Abseits des Weges von Flordelis (Erinnerungen sind wie Fragmente) ================================================================================ Glaube an mich -------------- Mit einem genervten Seufzen griff Richard sich an die Stirn. „Das ist doch nicht zu fassen.“ Im Gegensatz zu ihm ließ Asterea ihre Hand wieder sinken. Es war offensichtlich, dass er nicht an dem besonders hell glitzernden Zwillingsstern am Nachthimmel interessiert war und das, obwohl sie ihn extra dafür aus dem Haus geholt hatte. Sie sagte nichts und gab auch nicht zu verstehen, dass sie von seiner Reaktion ein wenig enttäuscht war, stattdessen wartete sie darauf, dass er sich erklärte, was er auch sofort tat: „Ich werde dich bald heiraten und du glaubst tatsächlich an so etwas wie himmlische Zeichen, das ist nicht zu fassen.“ Sie schwieg weiterhin, ohne jede Änderung ihrer Mimik, während sie sich darüber wunderte, wie er auf himmlisches Zeichen kam, da es immerhin genau das war, wie sie diese Sterne hatte bezeichnen wollen. „Das war es doch, was du mir sagen wolltest, oder?“, fragte er. „Du wolltest mir diesen Zwillingsstern zeigen, mir erklären, wie neu er ist und dass es bedeuten muss, dass der Himmel unsere Verbindung absegnet, dass es ein Zeichen ist.“ Es erstaunte sie, im positiven Sinne, dass er ihre Gedanken im Vorfeld erraten hatte und auch das war für sie ein Zeichen, dass sie zusammengehörten. Aber da sie wusste, dass er es nicht so sehen und eher darüber lachen würde, sagte sie nichts, sondern lächelte nur sacht. Er ließ sich davon nicht abbringen, einfach weiterzusprechen: „Aber das ist doch unsinnig. Die Leute warten immer auf irgendwelche Zeichen oder die Liebe, die ihnen den Weg weisen soll. Was ist denn so wichtig an Zeichen? Warum kann man sich nicht einfach selbst entscheiden und auch dazu stehen?“ „Glaubst du denn absolut nicht an Vorsehung?“ Als eine Person, die sich nicht selten von Sternen durch ihr Leben leiten ließ, fiel es Asterea schwer, zu verstehen, dass es auch noch Leute gab, die das vollkommen ablehnten, weswegen sie extra nachhaken musste. „Absolut nicht“, antwortete er bestimmt, wirkte dann aber plötzlich nachdenklich. „Früher habe ich das mal, aber dann wurde mein Leben ja auf den Kopf gestellt – und ich will nicht glauben, dass das Vorsehung gewesen war, sonst müsste ich die dafür verantwortliche Person hassen.“ Ihr erster Impuls riet ihr, ihn davon überzeugen zu wollen, dass Schicksal eine gute Sache war, dass es ihn nach Cherrygrove geführt hatte, dass er so zu allem gekommen war, was er nun liebte, nachdem ihm alles zuvor genommen worden war. Aber dann dachte sie sich, dass es ihn erstens nur nerven, zweitens nicht im Mindesten interessieren würde und drittens war es vollkommen in Ordnung. Wenn er so leben wollte – und das tat er ganz offensichtlich gut – dann gab es keinen Grund, weswegen sie etwas dagegen sagen sollte. „War das jetzt alles, weswegen wir hier rausgekommen sind?“, fragte er, als sie schwieg. „Mir wird langsam kalt.“ „Andere Paare beobachten gern nachts die Sterne.“ Dabei holte sie mit dem Arm aus und deutete in eine unbestimmte Richtung, in der sie Joshua und Bellinda vermutete, die um diese Zeit gern draußen saßen und in den Himmel starrten. Richard lachte spöttisch. „Wenn du eine romantische Beziehung haben willst, solltest du vielleicht versuchen, Joshua zu umgarnen. Bei mir bist du da an der falschen Adresse – und das weißt du auch.“ Das wusste sie sogar sehr genau. Richard war kein Beziehungsmensch, er war lieber allein – und umso mehr erstaunte es sie immer noch, dass er sich darauf eingelassen hatte, sie zu heiraten. Sicher, vielleicht lag es einzig an ihrer Schwangerschaft und seinem Wunsch, diesem ungewollten Kind dennoch ein guter Vater zu sein, aber das erklärte nicht, warum er sie zuvor hatte bei sich wohnen lassen und sogar besorgt um sie gewesen war. Seine gewollte Einsamkeit musste für viel Langweile sorgen, sein Leben zäh vorüberziehen lassen, aber es störte ihn nicht und deswegen sah Asterea auch hier keinen Grund, etwas dagegen zu unternehmen. Sie wollte ihn nicht ändern, sie wollte einfach nur, dass er glücklich war – und das am besten in Verbindung mit ihr, immerhin könnte sie dafür sorgen, dass sein Leben so ruhig und friedlich bleiben würde, wie er es sich wünschte. Aber dennoch gab es da etwas, das ihr Sorgen bereitete. Eine Person, die so verschlossen war, besaß nicht viele Freunde. Eine Person, die an nichts glaubte, konnte sich an nichts klammern, wenn sie in einer hoffnungslosen Situation war. Aber war das denn überhaupt so? „Gut, du glaubst an nichts, so viel weiß ich... aber was tust du denn dann, wenn dein Leben nicht nach Plan verläuft?“ Fast hätte sie Wie im Moment hinzugefügt, biss sich aber noch rechtzeitig auf die Zunge, damit er nicht wieder die perfekte Vorlage für seine Vorwürfe bekam. Mit verschränkten Armen sah er sie abschätzend an, als überlegte er gerade, weswegen sie ihm all diese Fragen stellte, sie hoffte allerdings dennoch, dass er einfach antworten und ihr Verhalten auf ihren verdrehten Charakter schieben würde, wie er es gern tat, wenn er nicht mehr weiterwusste. „Ich verfluche die ganze Welt“, antwortete er schließlich. „Funktioniert für mich.“ Manchmal waren seine Antworten wirklich frustrierend für sie. „Okay, okay. Aber wenn du in einer gefährlichen und hoffnungslosen Situation bist, was tust du dann? Sie wusste, dass er bereits mehrmals in seinem Leben in solchen gewesen war, erwähnte das aber nicht extra, weil er es nicht wusste – und das sollte auch so bleiben. Mit dieser Frage schaffte sie es tatsächlich, ihm ein Lächeln zu entlocken, auch wenn ihr die darauf folgende Antwort nicht mehr ganz so gut gefiel: „Ich warte darauf, dass Kieran mir zur Hilfe eilt. Das tut er immer, weißt du?“ Das wusste sie nur zu gut, aber ihr war nicht klar, was sie davon halten sollte. Richard sah es vielleicht nicht, aber ihr fiel durchaus der Blick auf, mit dem Kieran ihren – inzwischen – Verlobten nicht selten musterte. Gerade wollte sie ihn darauf hinweisen, dass er einfach mal davon ausgehen sollte, dass Kieran nicht kommen könnte, weil er verhindert wäre, da sprach er bereits weiter: „Aber nehmen wir mal an, Kieran hätte etwas verdammt Wichtiges zu tun oder wäre sonstwie verhindert, dann gehe ich stark davon aus, dass die Sternennymphe kommen würde, um mich zu retten.“ Damit hatte sie nicht gerechnet, weswegen sie sich keine Mühe geben musste, ihn überrascht anzusehen. „Die Sternennymphe?“ „Du weißt genau, wen ich meine“, sagte er und blickte sie dabei derart bedeutungsvoll an, dass sie bereits glaubte, er hätte sie durchschaut – doch ehe sie anfangen konnte, sich zu verteidigen oder alles abzustreiten, sprach er bereits weiter: „Immerhin hast du denselben Namen wie sie und dein Geburtstag fällt sogar auf das Sternenfest. Bislang hat sie mich nur einmal gerettet, aber ich habe so das Gefühl, dass sie es immer wieder tun würde, wenn es sein muss.“ Ihr Herz schlug augenblicklich schneller, ihre Wangen erhitzten sich und im Moment war sie froh darum, dass er sie nicht sehen konnte, da sie das durchaus hätte verraten können. „Du glaubst also an sie?“ Was sie durchaus verwunderte, nachdem er sonst immer abstritt, an irgendetwas zu glauben, aber vielleicht hatte sie seine Argumentation nur nicht weit genug verfolgt. „Nein. Glauben ist nicht gleichbedeutend mit wissen... und ich weiß, dass sie mir wieder helfen würde, selbst wenn ich es nicht will.“ Was sie ohnehin nie verstanden hatte, schon damals nicht. Wie konnte jemand nur sagen, dass er nicht gerettet werden wollte? Besonders, wenn man noch sein ganzes Leben vor sich hatte. Aber diesen Gedanken beiseite gelassen, freute es sie, dass er so sehr auf sie vertraute, an sie glaubte und davon überzeugt war, dass sie – oder besser: die Sternennymphe – ihn retten würde, wenn er wirklich Hilfe benötigte. Es erfüllte sie mit einem warmen, wohltuenden Gefühl, das ihr Innerstes angenehm ruhig sein ließ, so wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Sein auf ihr ruhender Blick zog sie allerdings alsbald wieder aus diesem beruhigenden Teich, in dem sie vollkommen sein konnte. Sie neigte den Kopf und erwiderte ihn irritiert. „Was ist denn?“ „Du hast mich noch nicht gefragt, was ich tun würde, wenn ich in einer Situation wäre, in der es nichts zu bemängeln gibt, weil einfach alles gut ist.“ Da dies nicht im Mindesten das Thema gewesen war, verstand sie nicht, warum er das nun anmerkte. Doch statt ihn das zu fragen, zuckte sie mit den Schultern und beugte sich seinem Vorschlag: „Gut, was würdest du in einer solchen Situation tun?“ Er lächelte und sie stellte erfreut fest, dass es ein anderes Lächeln war als jenes, das er nutzte, wenn es um Kieran ging. Nicht, dass dieses weniger ehrlich gewesen wäre, aber es war irgendwie... liebevoller, wärmer. Sie glaubte, dass er ihr ein anderes Lächeln schenkte als jedem anderen und selbst wenn sie sich damit selbst eine Illusion auferlegt hätte, wollte sie daran festhalten. Er legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie so ein wenig näher zu sich, damit er leiser sprechen konnte, als vorher: „Wenn alles gut wäre, so wie jetzt, würde ich mich an dich wenden und dir dafür danken, dass du es erst so gut hast werden lassen.“ Wieder erhitzte sich ihr Gesicht, als er ihr so etwas sagte, ihr Herzschlag beschleunigte sich und sie war sich fast sicher, jeden Moment vor Glück einfach ohnmächtig werden zu können. Richard sagte selten solche Dinge zu ihr, eigentlich nie, und machte ihr viel lieber Vorwürfe, dass sie ihn in einige unangenehme Situationen befördern würde. Dass er ihr nun das sagte, wenngleich nur flüsternd, kam ihr daher wie ein wunderbares Geschenk vor und die Freude darüber ließ ihre Augen noch mehr glitzern als sonst, wenn sie ihn ansah. Doch ehe sie in diesem Gefühl völlig aufgehen konnte, strich er ihr über die Wange und runzelte dann die Stirn. „Wir sollten wieder reingehen, Yuina sagte, du solltest dich nicht überanstrengen. Dann setzen wir uns zusammen hin und trinken einen Tee. Das wird dem Kind sicher auch guttun.“ Unwillkürlich legte sie ihre Hände auf ihren Bauch, der bislang lediglich eine leichte Wölbung aufwies, sie aber immer wieder zum Lächeln brachte. „Ja, lass uns wieder reingehen. Eine Tasse Tee wäre jetzt wirklich gut.“ Sie hatte inzwischen ohnehin genug erfahren und war mehr als nur glücklich über das, woraus die Informationen bestanden. Er glaubte an sie, daran, dass sie als Sternennymphe kommen würde, um ihn zu retten, wenn er ihre Hilfe benötigte, aber genauso glaubte er daran, dass sie dafür verantwortlich war, dass sein Leben sich dem Besseren zuwandte. Er liebte sie und war ihr dankbar. Und auch, wenn er es nicht gesagt hatte, so hatte sie zwischen seinen Worten noch mehr gehört: Er machte sie für sein Glück verantwortlich, er würde sich auch jederzeit an sie wenden, wenn er besorgt war oder er sich tatsächlich einmal fürchten würde, was vermutlich nie vorkam. Er vertraute darauf, dass sie ihn stützen würde und dieses Wissen erfüllte ihr Herz und ließ jeden einzelnen Schritt so leicht vonstatten gehen, als ob sie tanzen würde, gemeinsam mit Richard, dessen Arm noch immer auf ihrer Schulter ruhte und auf dessen Gesicht ebenfalls ein zufriedenes Lächeln zu sehen war. Alles war gut – und sie beide fanden es perfekt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)