Heldenzeit von Ur (Spiegelverkehrt & Kryptonit & Vulkado | Oneshot- Sammlung) ================================================================================ Kapitel 23: Freitagnacht ------------------------ Für :) Warnung: Supernatural kommt vor und spielt eine mehr oder minder wichtige Plotrolle. ___________________ Anjo ist ein paar Tage bei Chris und Lilli und ich verbringen den Freitagabend mit Alkohol und einer Serie namens Supernatural, in der es um zwei Brüder geht, die die Welt retten müssen und dabei viel fluchen, dauernd lügen und ziemlich wahrscheinlich nicht nur Massenmörder, sondern auch Alkoholiker werden. Lilli ist mit ziemlich großer Begeisterung dabei und hat mich innerhalb von anderthalb Monaten dazu gebracht, viereinhalb Staffeln dieser Serie mit ihr anzuschauen. Ich habe schon nach etwa drei Folgen gewusst, dass ich mich mit beiden Brüdern unangenehm gut identifizieren kann – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Lilli muss mir zwischendurch mit den Namen helfen, weil ich kein besonders gutes Namensgedächtnis habe. Schwierig wird es vor allem, wenn Dämonen ihren Wirt wechseln und plötzlich völlig anders aussehen. »Würdest du mir noch ein Bier reichen?«, fragt Lilli, nachdem sie eine leere Flasche auf ihrem Nachtschrank abgestellt hat. Wir liegen in ihrem Zimmer auf dem ausgeklappten Sofa und haben Chips, Bier und einen riesigen Berg Lakritz zwischen uns ausgebreitet. Wenn man mir vor einem Jahr gesagt hätte, dass ich irgendwann in einer Wohnung mit Anjo und Lilli wohnen würde und Abende damit verbringe, mir mit Lilli komische Fernsehserien anzusehen, hätte ich der betreffenden Person nicht geglaubt. Jetzt bin ich angetrunken, kaue auf einem Stück Lakritz herum und widerstehe der Versuchung, Sam zuzurufen, dass diese ganze Dämonenblut-Sache vermutlich keine gute Idee ist. Stattdessen gebe ich Lilli ein neues Bier aus dem zweiten Sixpack, das wir gerade anbrechen. »Mir ist schon klar, wieso die Serie nichts für Anjo ist«, erkläre ich, während Lilli ihr Bier mit den Zähnen öffnet. Ich benutze ganz altmodisch einen Flaschenöffner. »Mir auch. Deswegen schau ich sie ja mit dir«, gibt sie schmunzelnd zurück und nimmt einen großen Schluck aus ihrer Flasche. Es gluckert leise, als das Bier aus der Flasche läuft. Lillis Haare haben sich nach pink, grün, pink in ein leuchtendes blau mit türkisen Spitzen verwandelt. Ich habe mich noch nicht entschieden, welche Farbe ich an ihr am liebsten mag. Die Vorstellung, dass sie irgendwann in ihrem Leben mal ganz gewöhnliche, dunkelblonde Haare gehabt haben soll, kommt mir absurd vor. »Gibt es irgendwas, was du magst, das du auch mit Anjo anschauen könntest?«, erkundige ich mich grinsend und verziehe angesichts der gerade gezeigten Folterszene das Gesicht. Dieser bärtige Oberfolterdämon, dessen Name ich schon wieder vergessen habe, ist wirklich widerlich. Lilli runzelt die Stirn und scheint ernsthaft lang nachzudenken, während sie unaufhörlich kleine Schlucke Bier trinkt. Sie verträgt eindeutig mehr als ich. Ich bin nicht mehr im Training, seit mein Leben nicht mehr furchtbar ist. Selbstverständlich ist das eine gute Sache. »Vielleicht ein paar der Animes, die ich mag. Wenn ich ihn lieb frage, würde er mir vielleicht sogar Fanarts malen!«, meint Lilli begeistert und strahlt mich an. Ich ziehe die Brauen hoch. »Du kannst doch wunderbar deine eigenen Fanarts malen«, erwidere ich und wünsche mir für Sam, dass er mal wieder lächeln kann. Wenn er lächelt, wird irgendwo ein Einhornbaby geboren, soviel steht fest. »Das ist nicht dasselbe, als wenn man was von jemand anderem bekommt!«, erklärt Lilli und wedelt mit der freien Hand, die nicht die Bierflasche hält, vor meinem Gesicht herum. Ich nicke gehorsam, da ich keine Ahnung habe, wie genau es sich anfühlt, wenn man von einer fiktiven Sache so begeistert ist, dass man Stunden deswegen im Internet verbringt, so wie Lilli das tut. Aber ich weiß, wie glücklich sie das macht, deswegen würd ich auch nicht drüber lachen. Jeder hat eben so sein Ding. »Stirbt Sam am Ende?«, will ich etwas kläglich wissen und leere meine aktuelle Flasche. Lilli wirft mir einen strengen Blick zu. Sie weigert sich strikt, mir irgendwas vorher zu verraten. Das ist mitunter recht stressig für mich, weil ich tatsächlich mitfühle. Zwar bin ich nicht so emotional involviert wie Lilli, aber als Sam am Ende der zweiten Staffel gestorben ist, war das eindeutig nicht ok. Ich glaube, das ist mittlerweile die vierte Folge, die wir hintereinander weggeschaut haben und ich frage mich, wann mir von der Mischung aus Bier und Lakritze endgültig schlecht wird, aber noch spielt mein Magen gut gelaunt mit. Also greife ich mir noch ein Bier. »Magst du nun Sam oder Dean lieber?«, will Lilli wissen und rutscht ein Stück näher an mich heran. Lilli gehört mittlerweile zu dem auserlesenen Kreis von Menschen, deren körperliche Nähe ich gern hab. Sie umarmt mich regelmäßig aus heiterem Himmel, als wäre sie der festen Überzeugung, dass ich besonders viel Liebe benötige. Bei Anjo ist es genauso. Wahrscheinlich hat sie Recht mit ihrer Vermutung. Sie umarmt auch besonders gut, finde ich. Ich bin nicht sicher, wonach sich das richtet, aber wenn Lilli einen umarmt, dann fühlt es sich an, als wäre man in einem gemütlichen Kokon eingeschlossen, der einen vor all den schlechten Dingen auf der Welt beschützen kann. Es kommt ab und an vor, dass ich von ihr verwirrt bin, weil sie sich von einer Art Mutterinstinkt geleiteter Amazone in ein quietschendes Bündel emotionaler Widersprüchlichkeiten verwandeln kann, und das innerhalb von null Komma zwei Sekunden. Ich weiß noch, wie wir zu dritt in Anjos Zimmer saßen und Anjo ein Bild gemalt hat, während ich von einer Begegnung mit Richard und meinen anderen alten Kumpanen berichtet habe. Eine Sekunde lang bequietschte sie Anjos Bild, im nächsten Moment sah sie aus, als würde sie sich jeden Augenblick auf den Weg zu Richard und den anderen machen, um sie mit bloßen Händen zu erwürgen. Ich bin mir nicht sicher, wie man so schnell seine Stimmung wechseln kann, ohne sich dabei völlig in all den Gefühlen zu verheddern. »Ich kann mich nicht entscheiden«, sage ich, obwohl mir klar ist, dass Lilli das nicht durchgehen lassen wird. Prompt boxt sie mich sachte in die Seite. »Los! Sag es!«, verlangt sie und bewirft mich mit Lakritz. Ich muss lachen und rolle mich auf dem Sofa zur Seite, wobei ich beinahe mein Bier verschütte. Lilli giggelt hinter mir und verteilt Lakritz überall auf der Couch. »Ok, ok! Ich ergebe mich! Lass mich kurz nachdenken!«, rufe ich und stelle vorsichtshalber mein Bier zur Seite, damit ich nicht noch alles vollsaue. Insgeheim hoffe ich, dass Lilli mich auf ihrem Sofa schlafen lässt. Ich weiß, ich hab ein eigenes Zimmer, aber es kommt eher häufiger als selten vor, dass ich in Lillis oder Anjos Zimmer oder die beiden mit in meinem Zimmer schlafen, weil ich einfach nicht gut darin bin, allein zu schlafen. Mir fehlt immer das Atmen einer anderen Person irgendwo in meiner Nähe. »Wenn du länger brauchst als ‘ne halbe Minute, musst du die ganze Lakritze einsammeln«, sagt Lilli und streckt mir die Zunge raus. Sie krabbelt vom Sofa, um die nächste DVD einzulegen. Es ist nach zwei, aber ich bin nur ein klein wenig müde. Es ist großartig, die ganze Nacht mit Freunden wachzubleiben, auch wenn man am nächsten Tag verschlafen und gerädert ist. Nachts gibt es auch meistens die besten Gespräche, als würde die Dunkelheit einen dazu bringen, alles an Gefühlen und Geheimnissen und Geschichten in sie hineinzuschütten, damit sie sich nicht so leer anfühlt. »Dean!«, sage ich laut, ohne weiter drüber nachzudenken, bevor ich mich doch wieder um entscheide. Dean ist durch seine Rolle als großer Bruder vielleicht noch ein bisschen mehr derjenige, in dem ich mich sehe, auch wenn Sam dazu neigt, viel Scheiße zu bauen, was selbstredend nicht weit von meinem eigenen Erfahrungshorizont entfernt ist. Aber Dean… ja. Dean würde für sein kleines Geschwisterkind alles tun und das ist etwas, das ich einfach sehr sehr gut nachvollziehen kann. Sam ist Deans Welt, so wie Jana meine Welt ist. Lilli sieht zufrieden aus und mustert mich einen Moment lang nachdenklich. Dann beugt sie sich vor und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Einfach so. »Gib die Fernbedienung«, verlangt sie anschließend und ich bin so perplex, dass ich sie ihr ohne weitere Nachfragen reiche. Meine Wange kribbelt ein bisschen. Ich bin sicher, ich hab irgendwas gesagt oder gemacht, was Lilli als niedlich befunden hat – das tut sie nämlich häufig, auch wenn ich mich nicht wirklich niedlich finde – und dafür hab ich den Kuss bekommen. Vielleicht ahnt sie, was mir wegen meiner Dean-Antwort durch den Kopf gegangen ist. Wir starten die nächste Folge und während der Vorspann läuft, räuspere ich mich und sehe zu ihr herüber. »Darf ich nachher auf dem Sofa–« »Blöde Frage.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)