Kryptonit von Ur (Jeder Held hat eine Schwäche) ================================================================================ Kapitel 22: Größe ----------------- Danke mal wieder für all die lieben Kommentare! Ich freu mich jedes Mal sehr über euer Feedback! Viel Spaß auch mit dem neuen Kapitel und einen schönen Abend wünscht euch ______________________________ »Er hat mir einen Zettel geschrieben, dass er hier kurz was abholen wollte«, erklärt Milan mir, als wir vor der Wohnungstür ankommen. »Achso? Vielleicht haben sie sich verquatscht«, sage ich lächelnd und Milan lächelt zurück. Er ist nett. Ich hab ihn unten vor der Haustür getroffen. Er wusste nicht, bei welchem Nachnamen er klingeln sollte. »Wir haben heut unseren zweiten Jahrestag. Ich hab Konzertkarten besorgt«, meint er und folgt mir in die Wohnung. Das ist ziemlich süß von ihm. »Er freut sich bestimmt«, entgegne ich, schließe die Wohnungstür und schlüpfe aus meinen Schuhen. »Chris’ Zimmer ist da hinten«, sage ich, deute kurz in die Richtung und gehe Milan voran durch die Wohnung, ehe ich kurz an Chris’ Zimmertür klopfe und eintrete. Meine Augen finden die beiden in der Nähe des Bettes und mein Herz zerbröckelt augenblicklich in tausend kleine Teile. Ich halte den Atem an, als mir zwei große, erschrockene Augenpaare entgegenstarren. Ungläubig. Geschockt. Mein Brustkorb scheint sich zuzuziehen und mein Kopf kann kaum mithalten, so schnell rasen Gedanken durch meinen Kopf. Chris und Jakob. Ich hab dafür gesorgt, dass sie wieder miteinander reden. Ich hab Jakobs Freund gerade hier rein gebracht. Sie haben heute ihr Zweijähriges. Chris ist doch eigentlich in Felix verliebt. Jakob betrügt seinen Freund mit Chris. Meine Sicht verschwimmt und erst im nächsten Moment begreife ich, dass meine Augen angefangen haben zu weinen. Doch ich komme nicht wirklich dazu, rückwärts aus dem Zimmer zu gehen, denn in diesem Augenblick ertönt hinter mir ein lauter Schrei, der mich zusammen zucken lässt und dann hat Milan mich auch schon zur Seite geschoben. Jakob und Chris sind auseinander gestoben. Ich fühle mich vollkommen taub, als ich sehe, wie Milan seine Faust in Chris’ Magenkuhle versenkt. Schimpfworte dringen zu mir durch. Jakobs Stimme, die Milan zuruft, dass er aufhören soll. Chris, der sich überhaupt nicht gegen die Schläge wehrt. Milan ist kleiner als Chris und auch schmaler. Aber dumpf erinnere ich mich daran, dass er Polizist ist. Erst als Chris einen Schlag ins Gesicht bekommt und nach hinten taumelt, die Unterlippe blutend und mit diesem Blick, als würde er sich wünschen, dass Milan noch stundenlang auf ihn einprügelt, kommt Bewegung in mich. »Was ist denn hier los?« Sinas Stimme zerreißt das Geschrei von Milan, der zum nächsten Schlag ausholt. Aber seine Faust bleibt in der Luft hängen, als ich mich mit ausgebreiteten Armen und mit nassen Wangen zwischen ihn und Chris stelle. »Milan, hör auf.« Jakobs Stimme klingt, als wäre sie aus Glas. »Ich glaub, ich spinne! Raus hier, auf der Stelle! Was fällt dir ein, in meiner Wohnung eine Schlägerei anzufangen? Und du!«, herrscht sie Jakob ab, der vor ihr zurück zuckt. »Zieh dir was an! Raus hier! Alle beide!« Als sie sich zu mir und Chris umdreht, sehe ich, – verschwommen durch meine Tränen – dass ihr Gesichtsausdruck sich verändert. »Anjo«, sagt sie leise, aber ich kann nichts sagen. Ich krieg kaum Luft. Also schüttele ich nur den Kopf und eile aus dem Zimmer, um Milans mörderischen Gesichtsausdruck nicht mehr zu sehen und auch nicht die verzweifelte Miene von Jakob. Und vor allem Chris nicht. Plötzlich macht alles einen Sinn. Seine Schlaflosigkeit und die Ringe unter den Augen und sein bedrückter Gesichtsausdruck. Ich schließe meine Zimmertür ab und verkrieche mich ins Bett, wo ich mir die Decke über den Kopf ziehe und mein Gesicht im Kissen vergrabe. So schlecht habe ich mich noch nie gefühlt. Nicht mal, wenn Benni und Konsorten mich fertig gemacht haben. Das hier fühlt sich anders schlecht an. Wahrscheinlich würde jemand, der Ahnung davon hat, das hier Liebeskummer nennen. Das Gefühl ist schrecklich. Und ich hab außerdem den bohrenden Gedanken im Kopf, dass ich Schuld an allem bin. Wenn ich nicht zu Jakob gegangen wäre, um ihn und Chris zur Versöhnung zu bringen, dann wäre das nicht passiert. Sinas Schreie sind so laut, dass auch mein Kissen sie nicht fernhalten kann. Ich höre das Zuknallen der Wohnungstür und dann ist da nur noch Sinas Stimme. »HAST DU SIE NICHT MEHR ALLE? DAS HIER IST MEINE BESCHISSENE WOHNUNG UND DU VÖGELST EINEN KERL, DER VERGEBEN IST? DU ELENDES ARSCHLOCH, WAS IST IN DICH GEFAHREN?« Ich warte darauf, dass mein Name fällt. Sina wird es ihm sagen. Er hat es wahrscheinlich schon selber mitbekommen. Wieso sonst hätte ich angefangen zu heulen? Wie ein Baby. »ICH HAB DIR GEPREDIGT, DASS ANJO ZU DIR AUFSCHAUT, DASS ER DICH ANHIMMELT! UND WÄHREND ER HIER RUMLÄUFT, MACHST DU MIT JAKOB RUM? IST DIR KLAR, WAS ER SICH JETZT FÜR VORWÜRFE MACHEN WIRD? WENN DU NICHT MEIN BESTER FREUND WÄRST, DANN WÜRDE ICH DICH JETZT VOR DIE TÜR SETZEN!« Ich schließe die Augen. Es hört sich nicht so an, als würde Chris sich irgendwie wehren. Als Chris’ Zimmertür mit einem donnernden Knallen ins Schloss geworfen wird, muss ich nur wenige Sekunden warten, dann klopft es an meine Tür. »Anjo?« Ich zögere. Will ich reden, oder nicht? Ich weiß nicht, ob ich reden kann. Die Tränen wollen einfach nicht aufhören zu laufen. Erst letztens hab ich noch über Hoffnung nachgedacht. Wie albern. Ich quäle mich langsam aus dem Bett und gehe zur Tür, um aufzuschließen. Sina schlüpft herein und schließt die Tür hinter sich. Sie schaut mich mit einem lauten Seufzen an, dann kramt sie nach Taschentüchern und hält mir eins hin. »Es tut mir so Leid«, sagt sie, nachdem sie sich neben mich aufs Bett gesetzt hat. Ich wische mir energisch über die Augen und putze mir geräuschvoll die Nase. »Schon ok. Ich weiß auch gar nicht, wieso ich mich so anstelle… Ist ja nicht so, dass ich irgendwelche falschen Hoffnungen hätte haben dürfen«, entgegne ich und atme ein paar Mal tief durch. »Du gibst dir die Schuld dafür. Aber das ist nicht deine Schuld. Das haben die beiden Vollidioten ganz allein verbockt«, sagt Sina fest und legt mir einen Arm um die Schultern. »Ich weiß… trotzdem«, antworte ich leise und starre meine Knie an. Wenigstens hab ich aufgehört zu heulen. »Ich bin grad so sauer auf Chris, ich könnte ihn glatt auch noch mal verprügeln«, sagt Sina durch zusammen gebissene Zähne. »Bloß nicht. Seine Lippe sah übel aus«, sage ich und schaue zu ihr auf. Sie lächelt mich ein bisschen traurig an. »Dir ist schon klar, dass du ein zu guter Mensch für diese eher weniger gute Welt bist, oder? Selbst jetzt denkst du nicht, dass Chris ein Volltrottel ist«, meint Sina behutsam. Ich seufze tonnenschwer. »Ich weiß. Ich kann nicht anders. Scheint mein größter Fehler zu sein«, murmele ich niedergeschlagen. »Red keinen Unsinn«, schimpft Sina und piekt mir mit dem Zeigefinger in die Wange. »Du machst die Welt ein bisschen besser und ich gebe drauf acht, dass du dabei die Bösewichte hinter dir nicht übersiehst, ok?« Ich muss lächeln. »Danke«, nuschele ich und Sina umarmt mich ganz fest. Dann kratzt es leise fiepend an meiner Tür. »Ah. Parker hat bestimmt irgendwo eine Pfütze hingesetzt«, sage ich und springe auf. »Dann viel Freude beim Wischen«, zwitschert Sina mir nach, als ich das Zimmer verlasse, um eilends nach dem Unglück zu suchen und es zu beseitigen. * Ich gehe ein paar Tage später nicht zu Chris’ finalem Kampf. Sina übrigens auch nicht. Sie ist immer noch wütend auf Chris und spricht nicht mehr mit ihm. Ich gehe ihm einfach nur aus dem Weg. In ein paar Tagen fängt sowieso die Schule wieder an und dann bin ich den halben Tag nicht hier. Als es abends an meine Tür klopft, sitze ich mit Parker auf dem Bett und kraule seinen Bauch. »Ja?« Ich denke, dass das wohl Sina ist, die mich zum Essen zwingen will und mir geschmierte Brote reinbringt, so wie sie das gestern und vorgestern gemacht hat. Aber nein. Die Tür geht auf und da steht Chris. Seine Lippe ist immer noch arg geschwollen und seine Augenringe sehen sogar noch schlimmer aus, als vor der ganzen Sache mit Milan. »Oh«, sage ich und starre hinunter auf Parker, der mit dem Schwanz wedelt und Chris anschaut, der sich im Türrahmen herumdrückt. »Ähm… darf ich reinkommen?«, fragt er unsicher. Meine Augen huschen unweigerlich zu ihm hinüber. Er sieht aus, als würde er zerbröseln, wenn ich nein sage. »Weiß nicht«, gebe ich ehrlich zurück. Sein Gesichtsausdruck ist so voller Selbstabscheu, dass mir die Antwort schon wieder Leid tut. »Wie war der Kampf?«, frage ich leise und schaue wieder hinunter auf Parker, der gerade halb in meiner Bettdecke einsinkt und leise bellt. »Hab verloren«, sagt er gleichmütig und kommt nun doch in mein Zimmer. Dann zögert er einen Moment und schließt die Tür hinter sich. Ich blinzele und vergesse für einen Sekundenbruchteil, dass ich Liebeskummer wegen Chris habe. »Oh, tut mir Leid«, meine ich also und beobachte ziemlich nervös, wie er sich einen Augenblick unschlüssig umsieht und sich dann auf die äußerste Bettkante setzt. Als wollte er es mir nicht zumuten, allzu sehr in seiner Nähe zu sein. »Ich hab nichts anderes erwartet«, gibt er zu und betrachtet seine Hände in seinem Schoß. Wir schweigen eine zeitlang und ich sehe Parker beim Toben auf meiner Bettdecke zu. Mein Herz rast wie verrückt. Wie kann ich das nur abstellen? Ich will nicht mehr in Chris verliebt sein. Es führt zu nichts. »Es tut mir Leid«, kommt es schließlich kaum hörbar von Chris und ich hebe den Kopf und betrachte sein Profil. Er lässt den Kopf hängen und seine Augen sind geschlossen. Ich weiß, dass das, was er getan hat, nicht richtig war. Aber er scheint so schrecklich darunter zu leiden, dass er mir einfach nur Leid tut. Ich hole tief Luft. »Willst du drüber reden?«, frage ich leise. Sein Kopf schnellt in die Höhe und er schaut mich verblüfft aus seinen braunen Augen an, die dunkler aussehen als sonst. Die Schatten rund herum könnten Schuld daran sein. »Was?« Ich räuspere mich und bin mir ziemlich sicher, dass mein Kopf gerade ziemlich rot anläuft. Wie so oft. So wird das nie was mit dem Entlieben. »Sina redet nicht mehr mit dir. Felix hast du es bestimmt nicht erzählt… ich dachte… vielleicht würdest du gern drüber reden«, erkläre ich und bemühe mich, meine Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen. Chris sieht mich an wie eine Erscheinung. »Ich… das willst du doch nicht wirklich«, meint er schließlich. Ich seufze. »Na ja. Vielleicht nicht… aber… doch, eigentlich schon. Ich kann nicht wirklich zuschauen, wie schlecht du aussiehst«, gebe ich zu und seine Augen bohren sich in meine. Herrgott, gleich sterbe ich an einem Herzinfarkt. Ich sollte mittlerweile gelernt haben, aber meine Gedanken fahren Achterbahn und ich stelle mir vor, wie es wäre, Chris zu küssen. Ich werd nie dazu lernen. Es ist ein Teufelskreis. »Milan ist ausgezogen«, sagt er schließlich und ich setze mich im Schneidersitz aufs Bett, damit ich ihn direkt anschauen kann. Er rutscht nach hinten aufs Bett und lehnt sich gegen die Wand, ehe er sich mit der Hand über das müde Gesicht fährt. »Ich kann’s ihm zugegebenermaßen nicht verübeln. Jakob ist total am Boden zerstört. Jetzt versinken wir beide in Selbstmitleid, obwohl wir dazu keinen Grund haben. Wer sich so eine Suppe einbrockt, der muss sie auch auslöffeln…« Chris lehnt nun auch seinen Kopf gegen die Wand und schließt die Augen. Es sieht aus, als hätte er nächtelang nicht geschlafen. »Ich hab schon versucht, mich bei Sina zu entschuldigen, aber sie macht komplett dicht. Ich glaub, so mies wie zur Zeit hab ich mich noch nie gefühlt«, fährt er fort und Parker tapert auf Chris’ Beine und legt sich schwanzwedelnd hin. Chris krault ihn abwesend. »Es war… ich wusste die ganze Zeit, dass es falsch ist, aber ich konnte nicht aufhören. Vielleicht hab ich mir vorgemacht, dass es so was wie ein neuer Anfang sein könnte, nachdem ich damals alles so verbockt hatte. Als hätten wir je das sein können, was wir damals fast waren. Wer hätte gedacht, dass ich so dumm sein kann. Schon wieder. Und ich dachte immer, das hätte ich hinter mir. Nachdem ich damals damit durch war. Pustekuchen. Ich werd nicht schlauer. Ich bin immer noch derselbe Vollidiot wie damals…« Ich kann es kaum ertragen, wie er sich selbst fertig macht. Klar, er hat einen Fehler gemacht. Aber gerade stellt er sich so hin, als wäre er der schlechteste Mensch auf Erden. »Ich will ja nicht sagen, dass es richtig war, was ihr getan habt«, murmele ich leise. Als hätte ich eine Ahnung von solchen Sachen. »Aber ich kann es schon verstehen. Ihr habt damals nie wirklich damit abgeschlossen, dass ihr euch mochtet und vielleicht ein Paar hättet werden können. Und dann kam eben jetzt alles wieder hoch. Es war nicht gut, aber… manchmal sind Gefühle eben nicht gut…« Chris’ Hand hält inne und Parker gibt ein empörtes Geräusch von sich. Aber Chris achtet nicht auf ihn. Stattdessen sieht er mich an. »Tut mir Leid, dass du es gesehen hast«, sagt er dann. Und ich erkenne in seinen Augen, dass er es weiß. Ich muss ihm nicht mehr sagen, dass ich in ihn verliebt bin. Er weiß es jetzt. Ich schlucke und bin mir nicht sicher, ob ich das nun gut oder schlecht finden soll. »Schon gut. Ich… hätte vielleicht auf ein ›Herein‹ warten sollen«, antworte ich kleinlaut und mein Gesicht ist schon wieder ganz heiß. »Vielleicht ist es ganz gut so. Jetzt ist es raus und es ist vorbei und ich hab ordentlich eingesteckt dafür«, meint er. Seine Augen weichen nicht von meinem Gesicht und das macht mich nervös. Parker springt nun wieder auf meiner Bettdecke herum und ich setze ihn behutsam auf den Boden, um Chris’ Blick für einen Moment zu entkommen. Mein Herz bricht mir beinahe die Rippen, als ich auf Knien zu Chris hinüber rutschte, einen Augenblick zögere und dann die Arme ausbreite. Er lächelt kaum merklich, dann lässt er sich tatsächlich zur Seite kippen, sodass sein weiches, braunes Haare kurz mein Kinn streift. Und dann liegt er auf meinem Schoß und hat die Augen geschlossen. So kann ich ihn natürlich nicht umarmen, wie ich es eigentlich vorhatte, aber ich hebe eine leicht zitternde Hand und streiche Chris durch die Haare. »Dafür, dass du so ein Knirps bist«, murmelt Chris leise und ich ziehe meine Finger hastig zurück, »bist du innerlich ein ziemlicher Riese. Ist dir hoffentlich klar.« Ich starre hinunter auf sein Gesicht. Parker tapst durch mein Zimmer und rollt sich auf seiner Kuscheldecke ein, um zu dösen. »Nein, ist mir nicht… wirklich klar«, krächze ich. Chris lächelt ein wenig mehr. »Dann weißt du es ja jetzt…« Ein Moment Stille. Dann… »Danke.« Während ich ihn ungläubig und mit pochendem Herzen ansehe, wird Chris’ Atem regelmäßiger und es dauert nicht lang und er ist auf meinem Schoß eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)