Smoke and Crimson von dadgrin ================================================================================ Kapitel 1 --------- Als Sebastian auf die Londoner Straßen hinaustrat war das erste was er dachte, das er etwas passenderes zum Anziehen brauchte. Denn auch wenn seine Kleidung keine Spuren von den Feuern der Hölle aufwies – ein bedauerlicher Nebeneffekt dem die meisten Dämonen aus dem Weg gingen, indem sie jedes Mal, wenn sie an die Oberfläche kamen ihren Körper änderten – war sie immer noch seit gut dreißig Jahren aus der Mode. Einige Dämonen glaubten, das die Kleidung längst vergangener Zeitalter den Hauch ihrer Unsterblichkeit nur noch verstärkte, das sie den Beweis lieferte das sie schon immer da gewesen waren und immer da sein würden. Marchosias zum Beispiel, bestand darauf sich wie Kaiser Nero zu kleiden. Das war aber auch der Grund warum er in nächster den Zeit kaum den siebten Thron der Hölle wieder zurückerlangen würde. Es war nicht das erste Mal während dieser drei Jahrzehnte das Sebastian unter Menschen wandelte – er hatte gerade vor einigen Jahren zu Abend gegessen – allerdings war es das erste Mal das er es ohne Vertrag tat seit er seine Diät begonnen hatte. Welche ihm letztlich auch an die Nieren ging. Dämonen die sich von Junk-Seelen ernährten zeigten sich absolut glücklich damit nur zu essen, dem Himmel zu zeigen wie korrumpierbar die Menschen doch waren und auf dem Steinrand herumzutoben. Aber seit Sebastian angefangen hatte darauf zu achten was er aß, begann er auch in allen anderen Bereichen seines Lebens auf Qualität zu achten. Die Ewigkeit war ja letztenendes eine ziemlich lange Zeit, wenn man nichts anderes tat außer Gott zu ärgern. Er verdiente die Chance auf eine eigene Identität. Als erstes war da natürlich die Frage nach seinem Namen. Andere Lebewesen verstanden einfach nicht wie viel von dem Namen eines Dämons abhing: Er war seine Identität; das was die Menschen für ihre Beschwörungen brauchten und ihr Anspruch auf das was es wert war später aufgeschrieben zu werden. Der durchschnittliche Dämon auf der Straße würde alles für seinen wahren Namen geben. Aber er mochte 'Sebastian' lieber, genauso wie er seinen jetzigen Körper lieber mochte. Nebenbei gesagt würde er auch nur seine Zeit verschwenden, wenn er darauf bestehen würde in seiner richtigen Gestalt mit seinem richtigen Namen hier durch die Gegend zu schlendern. Wen wollte er hier eigentlich verarschen – er verschwendete seine Zeit so oder so. Er wusste nicht Mal warum er hier war. Was, nebenbei gesagt, eine absolute Lüge war. Dämonen waren ja in dem Ruf Schwindler zu sein, aber wenn es darum ging sich selbst zu belügen, musste er einsehen das er es verlernt hatte. Als er das letzte Mal in London gewesen war, hatte er nicht sonderlich viel gelogen – ausgenommen wenn der Grund warum er hier war zählte – allerdings war da generell auch nicht viel Zeit für irgendetwas gewesen bei seinem letzten Essen. Ciel hatte vielleicht einen Beschützer gebraucht, aber alles was das Gavrilo Princip von ihm verlangte war eine etwas übernatürliche 'wird-erledigt'-Haltung. Nur wenige Menschen wussten das der Satz 'du bist was du isst' von Sebastians Cousin Asmodeus stammte der es einem seiner Essen gesagt hatte und so war er in den Umlauf gekommen. Aber das Problem dabei nur alle paar Jahre oder Jahrzehnte die feinsten Seelen zu essen und sich die Zeit nicht mit Snacks zu überbrücken, war dass Sebastian begann sich ziemlich... menschlich zu fühlen. Demnach tat er auch etwas menschliches. (In der Hölle wurde 'menschlich' gelegentlich als Synonym für 'unglaublich dumm' verwendet.) Das Wichtigste zu erst: Kleidung. Er hatte beschlossen wieder etwas praktischer zu werden. Eine durchaus praktische Eigenschaft von Menschen war es das sie es liebten sich gelegentlich zu betrinken. Um die Auswahl einzugrenzen brauchte er eine halbe Stunde, doch auch wenn Sebastian die Auswahl von einigen verschiedenen Anzügen hatte entschied er sich letztlich für einen schlichten schwarzen Wollanzug der mehr oder weniger eine neuere Version dessen war was er als Ciels Butler getragen hatte, nur ohne die Eigenheiten des Livrees. Dennoch, einen gut geschnittenen schwarzen Anzug zu tragen verhalf ihm noch lange nicht zu Anonymität und während Deutschland in voller Blüte stand war London noch immer ziemlich mitgenommen. „Exzellente Arbeit“, sagte ein zehnjähriger Junge auf der Straße zu ihm. „Hätte ich selbst nicht besser machen können.“ Sebastian blickte dem Jungen hinterher als er davonrannte und vorgab die Abendausgabe zu verteilen, wobei er in Wirklichkeit auf der Suche nach einem Snack war. Azazel. Sein zweiter Cousin Dantailion winkte ihm zu, während Procel und Bal ihn beide anhielten um ihm die Hand zu schütteln. Und erst als ihn Alocer fragte wo er die letzte Zeit gewesen war und wie es um seine Gesundheit stand, fiel Sebastian auf das selbst für einen flüchtigen Besuch in London bei Nacht sich viel zu viele hochrangige Dämonen an ein und dem selben Ort herumtrieben. Eine plötzliche schreckliche Erkenntnis sackte schwer in seinen Magen hinab, vergleichbar mit dem was die meisten Menschen empfanden, wenn es um die bloße Vorstellung ging erhebliche Zeit mit ihren Verwandten zu verbringen. Ohne ihr Gefolge ging seine liebe Tante Lilith nirgendwo hin und im Hinblick auf ihre Qualitäten als Gastgeber, liebte sie es natürlich festliche Abendessen zu veranstalten. Freilich aßen Dämonen selten zusammen. Aber war das Tratschen über das Essen hinterher geradezu ungehörig unter Menschen, (zumindest bevor es den Fernseher und die Kochshows mit ihren schamlosen Jurys gab), so war es doch in der Hölle ein beliebter Zeitvertreib. Zwar hätte er die Einladung so oder so höflich abgelehnt, aber es stand immer noch im Raum das er gar nicht eingeladen worden war. Es bedeutete das er etwas getan hatte, was seiner Tante Lilith missfiel. „Und ich dachte ich hätte mir genug Ehre verdient um für eine halbes Jahrhundert oder so meine Ruhe zu haben...“, murmelte Sebastian zu sich selbst. Seine Verwandtschaft hatte ihm ja nicht umsonst gratuliert. Allerdings hatte er Prioritäten, und auch wenn er sich nicht sicher war ob er den Mut hatte sie umzusetzen, wollte er die Freiheit haben sie aufzuschieben ohne das es in einer Art überkomplizierten Familienaffäre endete in der alles aus den Fugen geriet. Seine Diät hatte ja schon für genug Aufregung gesorgt. Er schloss seine Augen, und als er sie wieder öffnete fand er sich inmitten des dunkleren, hässlicheren Teils Londons wieder. Er roch Blut, aber irgendwas daran war komisch. Allerdings war auch etwas komisch an dem Loch in der Decke der Lagerhalle und wie wahllos zerstreut alles herumlag. „Willst du deiner Tante keinen Kuss geben?“ Sebastian blickte auf und sah eine Frau deren sehr modisches, sehr teures Kleid teilweise von etwas dunklem nach Eisen riechendem durchtränkt war. Noch mehr Blut. Ein schmales Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Ich nahm an du wärst hier in der Gegend Lilith, also wollte ich kurz hallo sagen.“ „Was tust du hier?“ Lilith schmunzelte, als sie ihr sehr menschliches schwarzes Haar zurück- und das Kleid, die Haut und die Fassade abwarf. Ihre wahre Gestalt ließ Sebastian zusammenzucken. Sie war äußerst unangemessen für die feine Gesellschaft, auch wenn der eigentlich Grund das ihm die wahre Erscheinung eines Dämons zuwider war der war, dass es ihn daran erinnerte das er selbst nichts anderes trug. Einen Anzug in einem Anzug. „Hat mein süßer Neffe endlich beschlossen wieder zu seiner Familie zurückzukehren? Ich dachte du wärst dir zu gut für uns. Zuerst versuchst du auf eigene Faust besser zu speisen als Luzifer persönlich und meinst dann so herablassend sein zu dürfen indem du bei Gericht fernbleibst, nachdem du dein kleines Gefecht gestartet hast. Sicher, deine Geschwister, Cousins und Cousinen mögen beeindruckt sein, aber du musst schon bessere Geschützte auffahren, wenn du dich aufspielen und wie ein Mensch verhalten willst...“ „Also hast du mich überwachen lassen“, Sebastian hatte Mühe seine Stimme ruhig zu halten als er das sagte. „Tut mir leid das meine Angelegenheiten so langweilig waren, das nächste Mal suche ich mir eine Seele mit Aussicht auf eine aufregendere Beschäftigung.“ Lilith schmunzelte. „Warum solltest du deiner lieben Tante denn etwas verheimlichen wollen? Ich will doch nur das beste für dich... besonders wenn du nicht ganz beisammen bist. Ich hab ein paar Überlegungen angestellt warum du hier sein könntest.“ Daraufhin verschränkte Sebastian die Arme vor der Brust. „Ich hab so das Gefühl du wirst es mir gleich erzählen.“ „Ich esse. Ich lebe, überlebe nicht, so wie du. Denkst du wirklich ich schaue zu wie mein Neffe verhungert?“ „Ich werde nicht verhungern, Lilith“, seufzte Sebastian und vergrub für einen Augenblick sein Gesicht in einer Hand um ruhig zu bleiben. Mal im ernst, wer hatte je von einem verhungernden Dämon gehört? Als er wieder aufsah, nahm er die dunkle Zerrung an ihrer Schulter genauer unter die Lupe. Selbst jetzt wo sie ihre menschliche Hülle abgelegt hatte war sie immer noch da, also musste es letztlich ihr Blut sein. Wer hatte schon Mal von einem Dämon gehört der während seines Abendessens einen solchen Schnitt kassiert hatte? „Woher hast du diese Wunde...?“, wollte er dann wissen. „Oh Darling, wie-“ „Nenn mich nicht so. Ich will das nicht hören. Niemals wieder.“ Genauso gut hätte er ihr an anderer Stelle eine klatschen oder den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist beschwören können, so wie Lilith zusammenzuckte. „Wie bitte?“, fragte sie atemlos als sie sich wieder gefangen hatte. „Du würdest mich lieber den Namen den dir dein Fünfuhrtee verliehen hat benutzen lassen? Willst du so unbedingt ein Mensch sein?“ „Ich will kein Mensch sein– “ „Wäre dir Mr. Michaelis lieber? Oder ist dir das zu förmlich? Vielleicht einfach Sebastian... oder wie wärs mit“, meinte sie lachend, „etwas niedlicherem? Wie Sebby?“ Dieser Name war das letzte was er jetzt noch hatte hören wollen. „Es wäre mir lieber, wenn du mich Sebastian nennen würdest. Aber ehrlich gesagt wäre es mir noch lieber, wenn du mich nie bei auch nur irgendeinem Namen nennen würdest“, sagte er finster drein blickend. „Fahr zur Hölle– “ „Schweig jetzt!“, sagte Lilith und machte eine abwehrenden Handbewegung. „Es gibt keinen Grund dich übermäßig aufzuregen... Sebastian. Wir wissen beide das du sparsam mit deinen Kräften umgehen musst; wer weiß wann du das nächste Mal isst? Ich für meinen Teil, weiß sehr genau das es nur eine Frage von Stunden ist, bis mich ein wahrer Leckerbissen beschwören wird und er wird ein viel aufregender gestaltetes Spiel für mich haben als der letzte, wenn auch vielleicht nicht ganz so interessant. Kommt ja nicht jeden Tag vor das ein Dämon gerufen wird um sich am Tod zu rächen... Au revoir, mein wählerischer kleiner Neffe.“ Rache am Tod selbst, Sebastian drehte den Gedanken hin und her, während Lilith in blitzschnell aufglühender Dunkelheit verschwand. Der strenge Schwefelgeruch sagte ihm, das sie nicht gelogen hatte und wirklich in die Hölle zurückgekehrt war. Er hörte etwas. Stimmen – menschliche Stimmen. Sie kamen vom Eingang der Lagerhalle. Früher oder später hätte dieses Ausmaß an Zerstörung sowieso Aufmerksamkeit erregt. Am besten er ging hinten raus. Sebastian suchte sich im Halbdunkeln seinen Weg durch die Trümmer. Und hätte sich nicht für einen Moment das Mondlicht in seinen Brillengläsern gespiegelt, wäre ihm Liliths Opfer sicherlich nicht aufgefallen. Jetzt machte auch der komische Geruch des Blutes Sinn. Vorhin hatte er es nicht einordnen können, er war erdiger als der bei einem Menschen, so wie der Geruch von Steinen nachdem es geregnet hatte. Es erklärte ebenfalls woher Lilith ihre Wunde hatte. Lilith musste von der Sense eines Schnitters erwischt worden sein um so einen großen Schaden davonzutragen, dachte Sebastian mit dumpfem Unwohlsein, als er über seine Schulter zu der Blutspur sah der er unbewusst gefolgt war. Das, und das Sebastian den Schnitter Tod nicht erkannte, ließ ihn schlussfolgern, dass es entweder ein sehr junger Reaper gewesen war und Lilith ihren Job nicht sonderlich erst genommen hatte, oder aber das es ein Schnitter war bei dem er noch nicht das Glück gehabt hatte ihn kennen zu lernen und das Lilith ihren Job nur allzu ernst genommen hatte. Es wäre schlecht, wenn die Schnitter in ihren dummen Familienstreit verwickelt würden, auch wenn er nicht glaubte das sich Lilith um diesen Rückschlag kümmern würde. Wahrscheinlich hätte sie sogar ihren Spaß an so einem Drama im Jenseits. Aber für ihn es würde ziemlich unangenehm werden, wenn er da seine Karten drin hätte. Im Grunde war allerdings ein verletzter Schnitter Tod in der Obhut eines Dämons besser, als ein toter Schnitter Tod. Ohne eine genaue Idee wohin mit sich und dem Schnitter, ließ Sebastian seine Arme unter Beine und Schultern des Schnitters gleiten und hob ihn hoch. Ein schlichter schwarzer Mantel mit einem schlichten schwarzen Nadelstreifenanzug darunter. Wegen seinem matten braunen Haaren und dem zackigen Schnitt – sah aus als wäre es aus einer Laune heraus entstanden – erkannte Sebastian erst das er sich geirrt hatte, als der Schnitter ein schwaches Wimmern von sich gab. Und zwar nicht was die Verletzungen anging. Sebastian wusste das er, falls überhaupt, nicht mehr viel Zeit hatte. Dieser Schnitter lag wirklich im sterben. Sondern letztendlich kannte Sebastian diesen Schnitter doch. Noch war es nicht zu spät seine Meinung zu ändern. Er war ja letztenendes ein Dämon. Von ihm wurde praktisch erwartet, das er wenn er einen sterbenden sah ihm in die Rippen trat, ihn dann links liegen ließ und vielleicht zusätzlich noch wahnsinnig lachte. Sich selbst zu bemitleiden war nicht wirklich etwas was Dämonen in ihrer Freizeit machten, dennoch wusste Sebastian das er sich morgen Nacht dafür hassen würde, wenn er das jetzt nicht tat. Vor ungefähr dreißig Jahren hatte Sebastian eine schlechte Entscheidung getroffen. Für einen Dämon war eine schlechte Entscheidung nicht das selbe wie für einen Menschen, allerdings würden sich wohl beide Arten darin einig sein, das Sebastian nur seiner schlechten Entscheidung wegen zurück an die Erdoberfläche gekehrt war und jedes Mal, wenn er sich etwas anderes erzählte, sich selbst belog. Denn vor dreißig Jahren hätte Sebastian möglicherweise mit einem Schnitter Tod geschlafen. Natürlich wusste er es. Ebenso wie der Schnitter Tod es wusste. Es war nichts falsches daran das Dämonen mit anderen Arten schliefen, auch wenn in der Hölle automatisch jeder vermutete das es sich um einen (ermüdenden) Versuch handelte ein politisches Statement zu geben, wenn ein Dämon behauptete mit einem Engel geschlafen zu haben. Beziehungen allerdings waren etwas, das nur den Menschen vorbehalten war. Jeder wusste, das es einem Engel unmöglich war Gott keinen Platz einzuräumen, weshalb Eifersucht vorprogrammiert war, allerdings vergaßen Dämonen auch gerne Mal das sie es nicht mit einem Essen zu tun hatten (seine kühle Beziehung zu seiner Tante war der Beweis dafür.) Und da die Schnitter nun Mal festgelegt Neutral zu sein hatten, bestand fast keine Möglichkeit Beruf und Privatleben zu trennen. Damals hatte er nicht viel tun können: Er hatte voll und ganz unter Ciels Kommando gestanden und Ciel hätte jede Tat Sebastians als Verrat angesehen, nach dem Tod von Ciels Tante und dem ganzen. Das, und das Sebastian nicht Herr seiner Taten gewesen war (nur damit das klar war, wahrscheinlich war der Schnitter ebenso wenig Herr seiner Taten gewesen wie er.) Wollust, und als genau das hatte er es gegenüber Belial und Valafar sowie natürlich seiner Tante Lilith abgeschrieben, auch wenn es nicht dafür gesorgt hatte das er sich besser fühlte bei dem Ganzen. Ganz sicher, ob es Wollust oder etwas menschlicheres war, war er sich nämlich nicht. Selbst für einen Dämon war es ein angenehmes Gefühl gewollt zu werde. Nein, auch so war es das. Es war etwas worüber die Menschen nie nachdachten, wenn sie Höllenfeuer und Schwefel vor ihrem geistigen Auge heraufbeschworen. Es war dort einsam. „Grell“, sagte Sebastian leise, sein Griff war etwas fester als er annahm. „Es wäre besser, wenn du nicht stirbst; ich weiß nicht mal ob die Seelen von Schnittern essbar sind.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)