Lilienjäger von Flordelis (Custos Vitae II) ================================================================================ Kapitel 7: An der Grenze ------------------------ Mein erster Besuch der Grenze von Monerki und Király... Es war ein seltsames Gefühl, immerhin hatte ich niemals vorgehabt, das Land zu verlassen oder diesen Ort zu betreten. Allerdings war mir auch nie bewusst gewesen, was für ein wundervoller Anblick die Grenze war. Mitten auf dem Weg war eine kleine Hütte zu sehen, davor waren allerlei Stände von verschiedenen Händlern aufgebaut worden, so dass sie die unterschiedlichsten Waren anbieten konnten. Die vielen Besucher, die sich vor den Ständen tummelten, schienen allesamt ebenfalls Händler zu sein – zumindest wirkte kaum einer von ihnen wie ein einfacher Tourist. Noch niemals zuvor war ich inmitten so vieler Menschen gewesen, so dass ich einerseits hoch euphorisch war und andererseits nur den Wunsch verspürte, schnellstmöglich wieder fortzukommen. Zumindest meine Befürchtung, Aurea in diesem Gewühl zu verlieren war aber unerheblich: Sie hielt sich stets so dicht an mich, dass ihr Haar beständig in mein Gesicht wehte und Glace saß noch dazu auf meiner Schulter, notfalls hätte er Ausschau halten können. Ich bedauerte, mich nicht näher an den Ständen umsehen zu können – allerdings besaß ich auch keinerlei Geld, also wäre es ohnehin vergeudete Zeit gewesen. An der Hütte angekommen, verdünnte sich die Menschenmasse wieder. Offensichtlich gab es keinen Weg nach Király außer jenen direkt durch das Gebäude hindurch – immerhin war es ja auch eine Grenze. Zum wiederholten Male machte ich mir Sorgen, wie ich das schaffen sollte, immerhin sprach alles dafür, dass ich bereits gesucht wurde. Außerdem führte ich keinerlei Nachweis über meine Identität bei mir. Ich war wirklich ratlos, wie Aurea das anstellen wollte. Daher folgte ich ihr umso interessierter in die Hütte hinein. Im Inneren tanzte Staub in der Luft, die vom Geruch alten Papiers erfüllt wurde, auf verschiedenen Regalen und Tresen waren alte Bücher oder Pergamente gestapelt, irgendwo konnte ich das Kratzen einer Feder vernehmen. Ich fühlte mich sofort heimisch. Irgendwo, an einem Tisch, fast gänzlich versteckt von Papierbergen, entdeckte ich schließlich einen kahlköpfigen Mann, der eifrig an einem Dokument arbeitete. Es war seine Feder, deren Kratzen die einzige Geräuschquelle im Raum darstellte, trotz der kleinen Brille schien er kaum noch etwas zu sehen, weswegen er seinen Kopf so tief senken musste, dass seine Nasenspitze das Dokument berührte. Offenbar bemerkte er keinen von uns und da Aurea nichts sagte und ich ihn nur zu sehr um seinen Posten beneidete, musste Glace es übernehmen, auf uns aufmerksam zu machen und zwar mit einem lauten Räuspern. Bis dahin war mir nicht einmal klar gewesen, dass Frettchen sich räuspern konnten, das war eine interessante Erfahrung. Der Mann hielt inne, legte erst einmal die Feder beiseite, wohl um nicht zufällig einen falschen Strich zu setzen und hob dann erst den Blick, um uns zu mustern. „Ja?“, fragte er mit krächzender Stimme. Und dann geschah etwas, was mich sehr überraschte: Aurea sprach in vollständigen Sätzen! „Wir möchten gerne nach Király, bitte. Dafür brauchen wir eine Erlaubnis, nicht wahr?“ Noch einmal huschte sein Blick über jeden einzelnen von uns. „Händler?“ Jemand erklärte mir später, dass Händler ein spezielles Dokument von der Gilde in Monerki benötigten und noch dazu eine Erlaubnis der Königin von Király, um über die Grenze zu kommen. Sie durften nicht einmal als Privatpersonen einreisen. Aurea schüttelte mit dem Kopf. „Nein, keine Händler.“ Der Mann wandte sich den Stapel rechts auf seinem Tisch und nahm eines der Dokumente von der Spitze an sich. Er legte das halb beschriebene Blatt beiseite, tauchte die Feder in das Tintenfass und konzentrierte sich dann auf seine neue Arbeit. „Wie viele Personen?“ „Zwei“, antwortete Aurea, ich dagegen wunderte mich noch darüber, warum er das fragte, wenn er uns doch eben vor sich gesehen hatte. „Und ein Frettchen.“ Das schien ihn nicht wirklich weiter zu kümmern, zumindest Glace benötigte also keinerlei Einreisegenehmigung wie es aussah. Ob es genauso gewesen wäre, wenn er gewusst hätte, dass es sich bei ihm eigentlich um einen Dämon handelte? Die nächste Frage drehte sich um unsere Namen, die Aurea ihm auch bereitwillig nannte. Der Mann blickte nicht einmal auf, fragte auch nicht, wie etwas buchstabiert wurde, sondern schrieb weiter, die Augen stur auf das Dokument gerichtet. Ein Gewicht fiel mir vom Herzen, bedeutete dies doch offensichtlich, dass ich hier noch nicht gesucht wurde. Sobald ich erst einmal in Király war, wäre es für Monerki auch nicht mehr so einfach, mich festzunehmen, besonders wenn ich mir keinerlei Schuld bewusst war. Eine weitere Frage sollte die Gründe unserer Einreise erforschen, etwas, worüber ich nun gestolpert wäre – man konnte ihm ja schlecht sagen, dass man nach Nymphen suchen und gleichzeitig Lilien bekämpfen wollte. Er hätte das Dokument wohl schneller zerrissen als ich hätte aussprechen können. Doch Aurea blieb vollkommen ruhig, als sie antwortete: „Wir möchten uns das Land ansehen.“ „Touristen, eh?“ Sein abwertender Tonfall zeigte, wie wenig er von eben diesen hielt, aber Aurea ließ sich nicht beirren und nickte bestätigend. Nun, im Grunde waren wir ja auch genau das, also war es nicht gelogen. Einige unbedeutende Fragen später, die Aurea mit ewig gleichbleibender Miene beantwortete, stempelte der Mann schließlich das Dokument, löste den Durchschlag davon und überreichte uns das Original, mit den Worten, dass wir dies im nächsten Raum vorzeigen sollten. Aurea nahm es dankend an sich und bedeutete mir, ihr zu folgen. Ich wollte mich von dem Mann verabschieden, doch er war bereits wieder in seine ursprüngliche Arbeit mit dem anderen Dokument vertieft. Bei dem kurzen Blick, den ich darauf werfen konnte, stellte ich fest, dass er eine Blanko-Erlaubnis anfertigte, um diese später einmal auszufüllen. Eine äußerst wirksame Arbeitsbeschaffung, das musste ich zugeben. Ich folgte Aurea in den nächsten Raum, der von einem hölzernen Zaun geteilt wurde. Ein schmaler Durchgang erlaubte es den Reisenden, auf die andere Seite zu wechseln – dies war also die richtige Grenze, allerdings machte ich mir keine Sorgen mehr. Der Soldat, der dort stand und die Dokumente der Leute kontrollierte, trug eine königsblaue Uniform, er war also offensichtlich ein Soldat aus Király, die von Monerki trugen braune. Während wir uns in die Schlange stellten, bekundete ich gegenüber Aurea, wie schön ich es fand, sie einmal in ganzen Sätzen sprechen gehört zu haben. Ich hoffte, sie würde damit fortfahren, doch stattdessen erwiderte sie nur mit einem „Hmm~“ und sah stur weiter nach vorne. „Gib es auf“, murmelte Glace in mein Ohr, ich wusste bereits, dass es sein Standardsatz an mich werden würde. Wie lange wir in der Schlange standen, konnte ich nicht sagen, aber es kam mir ungewöhnlich lang vor, besonders da es kaum weiterging. Wurde etwa doch so viel geprüft? Der Mann vor uns seufzte leise. „Heute geht hier aber auch gar nichts voran...“ Sofort wurde ich aufmerksam und lauschte auf das, was sein Begleiter oder Freund oder was auch immer, ihm erwiderte: „Ja, heute ist einfach ein schlechter Tag zum Reisen. Mein Schwager ist in dem Regiment, das heute für einen Einsatz nach Király geht.“ „Ein Einsatz in Király?“, hakte der erste Mann ungläubig nach. „Warum bitten sie Monerki-Soldaten deswegen? Was ist da los?“ „Keine Ahnung. Anscheinend ist es streng geheim, aber offiziell ist es eine Freundschaftsmission.“ Ich spürte, wie Glace sich auf meiner Schulter anspannte. „Das ist ja komisch“, murmelte er. „Vor kurzem waren sie noch im Krieg und jetzt gibt es eine Freundschaftsmission? Irgendwas ist da oberfaul.“ Ich nickte lediglich. Da das alles offenbar schon eine Weile geplant war, konnte es zumindest nichts mit mir zu tun haben, aber es mutete selbst für mich seltsam an. Aurea sagte wie gewohnt nichts dazu. Als wir schließlich an der Reihe waren, überflog der zuständige Soldat die Angaben auf dem Dokument nur kurz, ehe er es wieder an Aurea zurückgab. Uns beachtete er kaum – abgesehen von Glace, den er ungefragt hinter den Ohren kraulte, ehe er uns weiterwinkte. Begeistert wirkte das Frettchen davon nicht, verzichtete aber auch auf jeden Protest. Ich beschloss, mir zu merken, dass ihm das nicht gefiel und trat hinter Aurea wieder ins Freie. Im Gegensatz zu der Monerki-Seite gab es hier keinerlei Markt, möglicherweise aber auch nur wegen all den Kavalleristen und Pferden, die auf dem Platz verteilt waren. Eine Kutsche verriet, dass offenbar jemand Namhaftes erwartet wurde, möglicherweise der Anführer der Einheit, die noch ankommen sollte. Einer der Kavalleristen fiel mir besonders ins Auge, da seine Uniform reicher verziert war als die der anderen – allerdings schien er sich darin nicht sonderlich wohlzufühlen. Immer wieder zerrte er an seinem Kragen oder zupfte an seinen Manschetten, wenn er sich nicht gerade nervös durch das schwarze Haar fuhr. Er musste wohl das Sagen bei dieser Truppe haben. So wie er uns anblickte und dann erleichtert aufatmete, zweifelte er anscheinend genauso an dieser Freundschaftsmission wie Glace und ich. Wir waren gerade erst einige Schritte gelaufen, als sich plötzlich hinter uns die Tür öffnete und der Mann dieses Mal erschrocken die Luft einsog und sich sofort in Position stellte. Ich wäre am Liebsten einfach weitergelaufen, hätte mich gar nicht erst umgedreht – doch Aurea fuhr herum und so tat ich es ihr nach, während ich gleichzeitig ein wenig zur Seite trat. Aus der Hütte marschierten um die zwanzig Soldaten, jeweils in Zweiergruppen, angeführt wurden sie von einer jungen Frau, die mir... bekannt vorkam. Also, bekannt ist das falsche Wort. Es ist als ob man jemandem schon einmal in seinen Träumen begegnet und das nur vergessen hatte. So erging es mir bei ihr. Das zu einem Zopf gebundene lange, blaue Haar, die goldenen Augen, ja sogar ihre Waffe, die wie eine Mischung aus Zauberstab und Speer anmutete, kam mir bekannt vor. Nur wollte mir der dazugehörige Name einfach nicht einfallen. Ich hoffte, sie würde an mir vorbeilaufen ohne mich zu beachten und doch wünschte sich etwas in mir, dass sie stehenblieb und mir ihren Namen verriet. Aber ich muss zugeben, dass mein Herz beinahe aussetzte, als sie tatsächlich direkt vor mir innehielt und sich mir zuwandte. Sie musterte mich mit einem Blick, der zu versuchen schien, meine Gedanken zu lesen, dann aber feststellte, dass es auf diese Weise nicht funktionieren würde, so dass sie sich doch entschied, ihre Stimme zu gebrauchen: „Darf ich deinen Namen wissen?“ „Sag es nicht!“, zischte Glace. Das hatte ich allerdings ohnehin nicht vor. „Wäre es für den Fragenden nicht angebracht, sich zuerst vorzustellen?“ Meine Gegenfrage entlockte der kühlen Frau ein Lächeln. „Aber natürlich, verzeih meine Unhöflichkeit. Mein Name ist Loreley.“ Das ließ mehrere Erinnerungen in meinem Inneren wach werden. Eigentlich war es der Name einer Undine, die berüchtigt dafür war, Männer zu verführen und zu töten, doch noch bevor ich in den Wald gezogen war, hatte der Name an Popularität zugenommen. Unsere Händler hatten oft darüber gescherzt, dass man in den Städten dauernd über Kinder mit dem Namen Loreley stolperte. Also war das Verwunderlichste an dieser Frau wohl doch eher, dass sie eine Einheit der Monerki-Soldaten anführte – das Land war nicht sonderlich für Gleichberechtigung bekannt gewesen. „Mein Name ist Alphons.“ Glace schnaubte leise, doch ich ignorierte ihn. Loreley neigte leicht den Oberkörper. „Ich bin erfreut, Euch wiederzutreffen.“ Ihr plötzlicher Stimmungsumschwung, so wie ihre Worte verwirrten mich, doch ließ sie mir keine Zeit, nachzuhaken, was sie meinte, denn sie fuhr direkt fort: „Aber wenn wir uns das nächste Mal sehen, werde ich nicht weiter zögern. Seht das als Warnung.“ Sie lief weiter und ließ mich verwirrt zurück. Genau wie Glace, der den Kopf neigte. „Kennst du die, Phons?“ „Ich habe sie noch nie in meinem Leben gesehen...“ Diesem Gefühl in meinem Inneren konnte ich jedenfalls nicht trauen, immerhin war mir immer noch nicht bewusst, woher genau es eigentlich rührte. Ich blickte Loreley hinterher. Als sie vor dem Kavalleristenführer stehenblieb, verneigte sich dieser vor ihr. „Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Lady Loreley. Mein Name ist Nolan Lane, ich bin Kommandant der Kavallerie von Király.“ Daher also diese Uniform, aber ich fand es doch seltsam, dass jemand so Hochrangiges geschickt wurde, um diese Frau abzuholen. Es sprach dafür, dass man dieser Freundschaftsmission in Király nicht sonderlich viel Vertrauen entgegenbrachte. Nach einigen Worten der Begrüßung, denen man deutlich die Distanziertheit anmerkte, die beide dem jeweils anderen gegenüber an den Tag legte, anmerkte, bat der Kommandant sie in die Kutsche einzusteigen. Er gab seinen Leuten zu verstehen, dass sie losgehen konnten, dann stieg er ebenfalls in das Gefährt, das sich gleich darauf in Bewegung setzte. Innerhalb kurzer Zeit war der Platz wie leergefegt, Glace und ich waren allerdings nach wie vor äußerst verwirrt. „Was soll dieses Gedöns mit der Freundschaftsmission?“, fragte das Frettchen. „Bis vor zwei Jahren waren die noch miteinander im Krieg. Jetzt machen die einen auf Freunde?“ „Da muss noch mehr dahinter stecken“, erwiderte ich. „Keines der beiden Reiche würde jemals von sich aus das andere um Hilfe bitten. „Ob das etwas mit unserer Mission zu tun hat?“ Gemeinsam blickten wir zu Aurea, die immerhin so etwas wie unsere Anführerin war, doch sie beachtete uns nicht einmal. Sie sah immer noch der Kutsche hinterher oder vielleicht sah sie auch nur in die Richtung, in die das Vehikel verschwunden war. Ohne etwas zu sagen lief sie schließlich los und erwartete offensichtlich, dass wir ihr ohne Aufforderung folgten, was ich auch sofort tat. Nun, da ich in einem fremden Land war, brauchte ich immerhin jemanden, an den ich mich vorerst halten konnte – und ich schuldete ihr immer noch was für die Rettung meines Lebens und dann war noch dieser Zauber, der mich an sie band. Ich könnte mich also gar nicht so weit von ihr entfernen, egal, was ich tat. Aber ich war ohnehin schon äußerst gespannt darauf, wohin ihr Weg uns als Nächstes führen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)