Drei weise Affen von inkheartop (nichts sehen, nichts hören, nichts sagen) ================================================================================ Epilog: EPILOG -------------- Epilog Stille verfolgte ihn, wohin er ging. Es war ein stummer Teppich aus Blicken, aus nicht gedachten Worten, aus Verlorenheit. Marlon hielt den Blick aufrecht, sah ihnen in die unsicheren Gesichter, sah wie sie vor ihm zurückwichen. Das Schlimme war, dass er nicht sagen konnte, warum. Weil er auf Jungs stand oder weil er deswegen halb totgeprügelt worden war. Schwer zu sagen. Seine Mutter hatte sich gewundert, hatte gesagt, dass er wegen den drei Wochen nicht mehr in die Schule müsste. Waren doch bald Ferien. Sie hätte ihn erst gar nicht zurückkehren lassen. Er wunderte sich ja selbst. Aber alles andere wäre doch feige gewesen. Alles andere hätte nur noch mehr Gerüchte hervorgerufen. Konnte er nicht gebrauchen. Nicht jetzt, nicht mehr. Gar nicht. Er wollte nach vorne sehen. Nicht mehr beim kleinsten Geräusch zusammenzucken, nicht mehr jede dunkle Ecke meiden. Vor den ersten Stunden fürchtete er sich nicht. Marlon war die Schule immer relativ leicht gefallen und Freya war ja da, meistens. In Geschichte saß sie neben ihm, redete auf ihn ein, lächelte, kritzelte seltsame Nachrichten in sein Heft. Sie wollte ihn nur ablenken. Von dem Getuschel, von den Blicken, die sich in seinen Rücken bohrten. Er war dankbar dafür. Vermutlich hätte er sich längst in sie verliebt, wenn. Ja, wenn. Wenn er nicht gewesen wäre. Dann wäre alles einfacher. Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht? Erst in der Pause klopfte sein Herz mit einem Mal so schnell, dass er schon deswegen Angst bekam. Panik, ein bisschen. Weil da kein Schutz mehr war. Die meisten machten immer noch einen großen Bogen um ihn, aber da waren noch andere. Andere wie Daphne und Ray. Sie lächelte ihm zu, mit diesem Lächeln, diesem Ausdruck in den Augen, der einem Schauer über den Rücken jagte. Manchmal glaubte Marlon, dass sie in Menschen hinein sehen konnte. Dass sie sehen konnte, wie das Blut durch seine Adern schoss und seine Lungen sich mit Luft füllten. Er war da anders, bei Ray war da nichts. In seinem vorsichtigen Grinsen lag eine gewisse Verlegenheit. Aber auch so viel Mut, so viel Furchtlosigkeit. Konnte aber auch an dem blauen Auge und der aufgeplatzten Lippe liegen. Helden. Marlon konnte nicht fassen, dass er das gedacht hatte. Weil er doch eigentlich wütend auf sie sein, sie hassen müsste. Er tat es nicht. „Es gibt schon zu viel Hass auf der Welt“, hatte Freya mal gesagt. Warum sollte er noch was drauflegen, nur weil er nicht verzeihen konnte? Freya zog ihn am Arm an Ray und Daphne vorbei, grüßte sie, strahlend wie eh und je. Die Farce stand ihr nicht, fand Marlon, aber sie würde ohnehin nicht auf ihn hören. Er hob kurz die Hand, nickte ihnen zu. Ihre Hände berührten sich, ganz leicht, das überraschte ihn dann doch etwas. Wie selbstverständlich sie miteinander umgingen, als wäre es nie anders gewesen. Und die anderen, aus seiner Stufe, von seiner Schule, einfach alle, begrüßten die beiden wie ganz normale Schüler. Und doch nicht so, weil. Das waren sie nun mal nicht. Helden. Kein bisschen, nein. Vorbilder. Ja. Vielleicht. Irgendwann blieb Freya stehen, die Sonne schien ihr ins Gesicht und sie redete, lachte und machte große Gesten. Sorry, aber er hörte nicht wirklich zu. Marlon suchte. Nach der Normalität. „Was ist hier eigentlich los?“, fragte er irgendwann, ziemlich laut, ein paar Fünftklässler in seiner Nähe zuckten erschrocken zurück. Als sie ihn bemerkten, flüsterten sie, sahen ihn mit großen Augen an und. „Du bist Marlon, oder?“, fragte ein Mädchen, Gott, war die winzig, grade mal halb so groß wie er. Höchstens. „Ja?“ Es war fast ein bisschen peinlich, wie misstrauisch er klang. Wie verschreckt, immer noch. Noch immer. Furchtbar, leg endlich deine Paranoia ab, Marlon. Die Kleine wollte ihm nichts tun. „Cool“, sagte sie, kicherte und wandte sich ab. Okay…?! Er sah Freya an. Die zuckte mit den Schultern. Dann. Sah er Luka. Er ignorierte ihn, hundertprozentig, aber Marlon war es egal. Endlich war es ihm egal. Gut, ein bisschen ziepte es noch in ihm drin und ein bisschen sehr begann sein Herz noch zu rasen, wenn er ihn lachen sah. Selbst wenn das Lachen nur gespielt war. Er sah einfach so schön aus, wenn er lachte. Marlon bemerkte, wie er starrte. Wandte sich wieder Freya zu. Sie hatte aufgehört zu reden, huch. Wann das? Sie runzelte die Stirn, er auch. „Was ist los?“, fragten sie, gleichzeitig. Plötzlich fiel Freya ihm um den Hals. Nuschelte etwas gegen seinen Hals, das er nicht verstand. „Was?“ „Ich hab dich so vermisst“, wiederholte sie. „Schon gut.“ Er strich ihr über den Rücken. Murmelte etwas, sah dabei, wie Luka ihn ansah. Etwas stimmte nicht an diesem Bild. Felix. Felix, schoss es ihm durch den Kopf. Marlon konnte ihn nirgendwo entdecken. Normalität. Nach der suchte er doch. Es würde nie mehr normal sein, für niemanden. Alles hatte sich verändert, selbst wenn manches noch so aussah wie früher. Alles anders. Wegen ein paar Worten. Wegen ein paar Taten. Wegen ein paar Menschen. Er sah es. Er hörte es. Er wollte etwas sagen. Aber vermutlich würde er, würde niemand es je wirklich verstehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)