Et In Terra Pax von Imogen ================================================================================ Et In Terra Pax --------------- Then Irgendwo draußen, vor dem Motel, bellt ein Hund. Es ist ein Geräusch, das Dean immer noch einen Schauer über den Rücken jagt, umso mehr nach den Ereignissen in Carthage, aber im Moment ist es eher eine Art Gewohnheit, und kein wirklicher Schrecken oder auch nur verdrängten Erinnerungen. Es ist ja nicht so, als ob das verdammte Vieh irgendwann in den letzten Stunden auch nur für fünf Minuten still gewesen wäre, von daher ist Dean inzwischen fast nur noch genervt. Er wollte doch nur wenigstens ein paar Stunden Schlaf bekommen – wie zur Hölle kann das zu viel verlangt sein? In solchen Nächten vermisst Dean wirklich die gute alte Zeit, in der sein Leben einfach nur daraus bestand, das nächste Monster aufzuspüren und zu erledigen. Damals, vor der Hölle, und den Engeln, und der gottverdammten Apokalypse, als er praktisch schon schlief, sobald er die Matratze auch nur berührte. Inzwischen kann er fast überhaupt nicht mehr schlafen. Wenn er sich jetzt auf eine Matratze fallen lässt, fällt ihm auf, wie unbequem sie ist, oder wie sie riecht. Er achtet auf Hunde, die er außerhalb des Motels hören kann, Geräusche aus anderen Zimmern, denkt zu sehr darüber nach, wie lange sein Handgelenk wohl noch schmerzen wird – obwohl der Schlag ins Gesicht dieser Dämonenschlampe es absolut wert war – und natürlich, Sams Schnarchen. Zum vermutlich tausendsten Mal dreht Dean sich in seinem Bett um. Auf dem Nachttisch steht eine Digitaluhr. Das rote Leuchten der Zahlen kommt ihm in seinem übermüdeten Zustand so vor, als ob es ihn auslachen würde. 2:44… Wunderbar… wieder mal so eine Nacht… Und es regnet, natürlich. Das Prasseln wird jede Minute lauter, oder zumindest kommt es Dean so vor. Er ist sich nicht sicher, wann es das letzte Mal nicht geregnet hat… Aber irgendwie passt es auch zu diesem ganzen „Ende der Welt“-Mist, eine Flut, die alles davon schwemmt… Dean ist sich ziemlich sicher, dass Pastor Jim einmal von etwas in der Richtung geredet hat, aber als er die Geschichte gegenüber Castiel erwähnte, hat der Engel nur den Kopf schief gelegt und ihm in absolutem Ernst erklärt, dass Gott nie Regen geschickt habe um die Menschheit auszulöschen, und obwohl der ständige Regen im Moment möglicherweise ein Zeichen der Apokalypse sei, habe Gott mit Sicherheit nichts damit zu tun. Das ist inzwischen eine Woche her, und seitdem hat er Castiel nicht mehr gesehen. Auch das ist etwas, das ihn vom Schlafen abhält – das Wissen, dass Castiel irgendwo da draußen ist und einen Weg sucht, mit dem Dean all das zu einem Ende bringen kann, während Dean selbst praktisch nichts tut und sich, was das angeht, nicht einmal sicher ist, ob er überhaupt bereit ist, dem Plan zu folgen. Dabei ist es inzwischen nicht einmal mehr eine Wahl, die er treffen muss. Die Zeit läuft ihnen davon, die sechs Monate, von denen Luzifer gesprochen hat, sind beinahe vorbei und laut den Worten des Teufels sollte Sam irgendwann in den nächsten Tagen ja sagen. Nicht, dass Dean tatsächlich dumm genug ist, auch nur ein Wort von dem, was Luzifer sagt, zu glauben – denn, hallo? Der verdammte Teufel! – aber er weiß, dass die Voraussage Sam in den Wahnsinn treibt – jeder Kalender scheint ihn zu verfolgen, er grübelt noch mehr als sowieso schon, und fast jede Nacht wacht er mehrfach nach Luft schnappend aus Alpträumen auf, über die er sich weigert zu sprechen. Alles in allem ist es also ziemlich egal, ob diese sechs Monate Prognose eine tatsächliche Prophezeihung ist oder nur ein Trick um Sam zu verunsichern – es funktioniert jedenfalls, und Dean ist sich nicht sicher, wie lange sein Bruder noch durchhalten kann. Oh, und dann ist da noch das Ende der Welt. Vermutlich werden ihre Feinde bald das gottverdammte Croatoan-Virus verbreiten. Und dabei sterben so schon jeden Tag mehr Menschen. Langsam ist Dean fast bereit, seinem zukünftigen Selbst in zumindest diesem einen Punkt zuzustimmen – ein halber Planet ist immer noch besser als gar keiner, was ihnen bevorsteht, wenn sie die Apokalypse nicht ziemlich bald beenden. So sieht es also aus. Sein Bruder und die Welt nähern sich immer weiter dem Zusammenbruch, und Dean wird definitiv nicht einfach daneben stehen und zusehen. Falls Cas‘ wahnsinnige Theorie wirklich wahr sein sollte, wird er es tun. Und wenn nicht… dann ist es wohl an der Zeit sich seiner Verantwortung zu stellen und ja zu sagen. Denn irgendjemand muss den Teufel besiegen, und es ist inzwischen ziemlich deutlich geworden, dass Dean es nicht kann. Michael, wahrscheinlich. Vielleicht. Aber Dean? Gott, er hofft, dass Cas Recht hat. Es würde eine vollkommen neue Ebene von Merkwürdigkeit eröffnen, aber wenigstens hätte er auch nur eine Chance er selbst zu bleiben, und vielleicht genug Empathie zu behalten, damit er sich wenigstens überhaupt um den Kollateralschaden kümmert, den ein Kampf gegen Luzifer verursachen würde. Wahrscheinlich sollte er es Sam sagen... Aber da ist immer noch das Problem, dass die Idee selbst für ihn vollkommen lächerlich klingt, und er nicht sicher ist, ob er es wirklich erklären kann, und außerdem hat Sammy bereits genug Ärger. Für einen Moment schafft Dean es sich von seinen Gedanken abzulenken mit der Frage, welche Verantwortung wohl schwieriger war – seine Aufgabe, die Welt zu retten, oder die an Sam gerichtete Erwartung, sie zu zerstören. Er schätzt beide sind verdammt hart, aber hey, wer hatte je behauptet, Winchesters hätten es leicht? Es ist ein altbekannter Gedankengang, aber auch unerwartet beruhigend, und Dean glaubt schon fast die Möglichkeit zu sehen, tatsächlich ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Natürlich ist das genau der Augenblick, in dem sein Handy klingelt. Er greift danach ohne zu zögern, obwohl er fest entschlossen ist, den vollen Zorn Dean Winchesters auf den Anrufer herabfahren zu lassen, falls es Bobby mit einer neuen Jagd ist, oder irgendein Idiot, der sich verwählt hat. Bevor er den Anruf annimmt, blickt er kurz auf den Namen auf dem Display – Cas. Dean lässt den Atem, den er unbewusst angehalten hat, in einem fast erleichterten Seufzen entfahren. Am anderen Ende ist es still. Nicht komplett still, Dean glaubt Geräusche zu hören. Tiergeräusche. Und ein paar Vögel. Aber keine Stimme. Er wartet kurz, aber nach gefühlten Minuten hält er es nicht aus. „Cas? Alles okay?“, fragt er unsicher. Was er jetzt hört, klingt nach einem scharfen Einatmen, also ist Castiel definitiv am Telefon. …oder zumindest irgendjemand. Oh nein, Dean mag diesen Gedankengang kein verdammtes bisschen. „Cas? Hey, was ist los? Sag was!” Wenn irgendwas passiert ist… Dann, ein einziges Wort. „Dean.“ Wieder bemerkt Dean erst beim Ausatmen, dass er die Luft angehalten hat. „Wo zur Hölle bist du?“, fragt er. Normalerweise ist es anders herum. Eigentlich ist das Cas’ Frage, und normalerweise würde Dean über die Ironie lächeln, aber im Moment ist er zu besorgt. Wieder Stille, und irgendwie ist es wirklich nervig, dass Castiel ausgerechnet wenn Dean sich endlich daran gewöhnt hat, dass der Engel nie eine klare Antwort gibt, einfach anfängt überhaupt keine Antwort zu geben. „Dean.“, sagt Castiel noch einmal, und Dean denkt ernsthaft darüber nach zu erklären, dass er eigentlich kein Problem damit hat, sich seinen Namen zu merken, vielen Dank auch, als der Engel weiterspricht. „Ich habe es gefunden.“ Fuck. „Bist du dir sicher?”, fragt Dean, hauptsächlich zur Verzögerung, denn er ist sich ziemlich sicher, dass Castiel nicht angerufen hätte, wenn irgendwelche Zweifel bestehen würden. „Ja, Dean.“, antwortet der Engel, wie erwartet. „Diese Energie ist stärker als alles, was ich je in einem Engel gespürt habe. Es ist definitiv Michael.“ „Verdammt.“, murmelt Dean. „Huh… ich schätze, das ist dann unser endgültiger Beweis, dass Zach der größte Idiot ist, den wir kennen…“ Wie erwartet übergeht Castiel diesen Kommentar. „Dean.“, sagt er stattdessen, zögerlich, als ob unsicher ist die nächsten Worte auszusprechen. „Du musst das nicht tun.“ „Ah, richtig, ich hatte vergessen, dass wir so viele andere Möglichkeiten haben, zwischen denen ich mich entscheiden kann.“, erwidert Dean sarkastisch. „Es… es könnte schief gehen, Dean.“, sagt der Engel, und Dean ist überrascht, als er klar Sorge in Castiels Stimme erkennt. Dean ist ziemlich sicher, dass er inzwischen ein Experte darin geworden ist, Castiels Ausdrücke und zurückhaltende Mimik zu lesen, aber seine Stimme ist normalerweise deutlich schwerer zu durchschauen. „Wenn du das tust, Dean… dann kann ich dir nicht versprechen, dass du als du selbst zurückkommst. Das muss dir klar sein.“ Dean nickt, was lächerlich ist, da der Engel ihn offensichtlich nicht sehen kann, aber im Moment ist es ihm egal. „Ich weiß, verdammt. Es ist ein verfluchter Schuss ins Blaue, und vermutlich wird es mich umbringen oder auslöschen, oder was auch immer, ich weiß! Aber…“ Er bricht ab, unsicher, was er eigentlich sagen will. Denn ja, irgendwie hat er sich bereits entschieden… oder zumindest entschieden, dass es die richtige Entscheidung ist, aber das heißt nicht, dass es ihm gefällt, oder auch nur, dass er sich sicher ist, und… „Dean.“ Castiels Stimme bringt ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Dean atmet tief ein, dann nickt er wieder. Es ist wirklich keine Wahl mehr, die er zu treffen hat, und je mehr Zeit er damit verbringt, darüber zu jammern, umso mehr Menschen werden sterben. „Es ist okay, Cas. Ich werde es tun.“ Er ist sich ziemlich sicher, dass das der Punkt ist, bei dem jeder andere Gesprächspartner anfangen würde, ihn ins Kreuzverhör zu nehmen und ihn auszuquetschen, angefangen mit dem ewigen Winchester-Klassiker “Hast du eigentlich komplett den Verstand verloren?!” Aber das ist einer der Gründe, warum er es mag, Strategien mit Castiel zu diskutieren. Der Engel weist nur auf seine Bedenken und alle Schwachstellen, die er im Plan finden kann, hin, vertraut ansonsten darauf, dass Dean die richtige Entscheidung trifft und akzeptiert sie dann. Anstatt also jeden einzelnen Grund aufzuzählen, warum dieser Plan vermutlich eine schlechte Idee ist – und hey, immerhin hat Dean in den letzten Wochen über nichts anderes nachgedacht und hat vermutlich jedes einzelne denkbare Argument dafür und dagegen tausend Mal geprüft – fragt Castiel nur, wo Dean sich im Moment befindet. Dean hat den Namen des Motels schon genannt, bevor ihm Zweifel kommen. So wäre es natürlich einfach, einfach zu verschwinden – erst aus diesem Zimmer, dann vielleicht endgültig. Es ist einfach, und unkompliziert, und er ist sich ziemlich sicher, dass sein Dad, und vermutlich auch Sam es so machen würden. Aber sein Blick fällt auf die schlafende Gestalt seines Bruders, und er weiß, dass er es einfach nicht kann, nicht so. Er sollte wenigstens versuchen, Sam alles zu erklären, auch wenn er Angst hat, auch wenn er immer noch Probleme hat, es zu begreifen… aber das Mindeste, das er Sam schuldet, ist sich zu verabschieden. „Zimmer 211.“, beendet er seinen letzten Satz. „Kannst du ein paar Minuten warten? Ich muss noch mit Sam sprechen.“ „Natürlich.“, erwidert Castiel. Er sagt nicht „Lass dir Zeit.“, aber Dean versteht. Mit einem Seufzen geht er zu seinem Bruder und weckt ihn. Es dauert nicht lange, die meisten Jäger haben einen leichten Schlaf oder wachen früher oder später einfach nicht mehr auf. Und ja, Dean will ihm wirklich alles erklären, aber Sam sieht so müde aus, und so jung und verwirrt und einfach viel zu sehr wie sein kleiner Bruder, der noch nicht auf sich aufpassen kann… Als Sam also ein kaum verständliches „Wasislos?“ von sich gibt, wird Dean klar, dass er ihm vermutlich nicht die Wahrheit sagen kann. Also das Mindeste. „Sammy, wir müssen reden…“ Now Sam hat diese Worte schon vorher gehört. Vermutlich tausende Male, von Dutzenden verschiedenen Leuten. Es ist erschreckend, dass er sich im Moment nur an das eine Mal erinnern kann, als sie von genau dieser Stimme kamen, dieser ruhigen, beiläufigen, sanften Stimme, der er beinahe glauben kann, dass die Worte ernst gemeint sind. „Es tut mir Leid, Sam, es tut mir wirklich Leid…“ Und Sam muss seine gesamte Kraft aufbringen um sich daran zu erinnern, dass er mit dem verdammten Teufel spricht, und wenn es in der gesamten Schöpfung auch nur eine Person gibt, deren Worten er unter keinen Umständen glauben sollte, dann Luzifer, der immer noch vor ihm steht und mit dieser gottverdammten, ruhigen Stimme, die er hat, redet – oder der seines Gefäßes, und wer zur Hölle schert sich überhaupt noch um diese Frage? – und der kein Recht hat so verdammt beruhigend zu klingen. Sam kann inzwischen nicht einmal den Sinn der Dinge, die er hört, verarbeiten, aber trotzdem schleicht sich die ruhige Stimme dieses Bastards in sein Gehirn, so taub es sich auch anfühlen mag. „Es tut mir Leid, Sam, es tut mir wirklich Leid…“ Er hält sich an diesen Worten fest – die letzten, die er bewusst wahr genommen hat – und an die Überzeugung, dass sie Lügen sind. Sich daran festzuhalten ist das Einzige, was ihn gerade davon abhält, zusammenzubrechen. Denn diese Worte kann er anzweifeln. Er kann sie als Lüge akzeptieren. Wenn er sich genug anstrengt, kann er sie ignorieren, und nicht auf diese absurde Mitleidstour reinfallen, die ihm der gottverdammte Teufel präsentiert! Die Worte davor… die, die seinen Verstand wirklich so gelähmt hatten… Nicht annähernd so leicht. Und dann hört der verdammte Bastard plötzlich auf zu reden. Er seufzt laut, und die Taubheit um Sams Geist verschwindet. Plötzlich wirkt alles so viel realer, der kalte Wind, der durch sein Haar weht, der Geruch von Rauch und Tod, die Leichen, die die Straßen Detroits füllen… „Du hörst mir nicht mehr zu, oder, Sam?“, fragt Luzifer geduldig und ruhig… aber das sind nicht die Worte, die bei Sam ankommen. In seinem Kopf hört er die Worte von vorher, und wieder treffen sie ihn mit ihrer vollen Wucht. „Dein Bruder hat seine Erlaubnis gegeben.“ „Das ist nicht wahr!“ Sam fühlt Scham in sich aufsteigen, als ihm klar wird, wie lange er für diese Worte gebraucht hat, und Übelkeit, als ihm klar wird, dass er es nicht schafft, an sie zu glauben. Denn so sehr er auch versucht, vernünftig zu sein, und so sehr er sich auch sagt, dass er vor Luzifer steht, der sogar Prinz der Lügen genannt wird, wird er einfach nicht die Ahnung los, dass genau das geschehen ist… …denn Sam hat natürlich gemerkt, wie sein Bruder sich in den letzten Wochen benommen hat, und er erinnert sich daran, wie Dean sich immer mehr von allen distanziert hat, selbst von Sam. Und wenn er daran denkt, wie Dean auf jeden neuen Bericht über vermutlich apokalyptische Katastrophen reagiert hat, muss Sam zugeben, dass das Szenario nicht so unrealistisch ist, wie er gehofft hätte. Aber das ist unwichtig. Er kann sich nicht auf die verdammten Gedankenspiele dieses Bastards einlassen. Er darf diese Worte nicht glauben! Also kann Sam nur den Mutigen spielen und den Teufel anschreien. „Du lügst! Dean würde sterben, bevor er ja sagt!“ Wieder seufzt Luzifer, und es klingt fast wie ein leises Lachen. „Sam, Sam, Sam…“, sagt er und tritt ein paar Schritte vor, tritt dabei achtlos über eine Leiche, die im Weg liegt. „Hörst du mir überhaupt zu? Ich habe dir doch gesagt, ich werde dich nie anlügen. Ich bin immer ehrlich zu dir gewesen, egal, worum es geht. Warum sollte ich jetzt anfangen zu lügen?“ Der kleine Teil von Sams Gehirn, der immer noch fähig ist, logisch zu denken, versucht einen Fehler in diesen Worten zu finden, irgendwas, um Luzifer zu widersprechen, irgendeine Lüge, die er ihm erzählt hatte… aber hauptsächlich hat er verfluchte Angst, und alles, was er schafft, ist ein paar Schritte nach hinten zu stolpern, während sein Verstand ihn anschreit, dass das nicht wahr sein kann, denn Dean würde niemals… Aber… Aber es ergibt Sinn. Es passt dazu, wie seltsam ruhig sein Bruder in letzter Zeit war. Es erklärt alles, die hastigen Anrufe mitten in der Nacht, wenn Dean dachte, dass Sam schläft, das schlechte Gewissen, das er immer wieder in seinem Gesicht erkannt hatte… und die Art, auf die er sich verabschiedet hat, bevor er mit Castiel Gott weiß wohin verschwunden ist… Es ergibt zu viel Sinn, und Sam kann es sich nicht leisten, dass es Sinn ergibt, nicht, wenn Luzifer ihm näher kommt wie ein verdammtes Raubtier. Also versucht er etwas zu finden, worauf er sich stützen kann, irgendetwas, das ihn aus diesem Netz aus Lügen – oder Wahrheit – oder was auch immer heraushalten kann! „Woher willst du das überhaupt wissen?“, schreit er, und er weiß, dass das schwach ist, aber er ist langsam verzweifelt. Und natürlich antwortet Luzifer so ruhig, als würden sie über das Wetter sprechen. „Michael ist mein Bruder, Sam. Natürlich weiß ich es. Er hat diese Welt vor ein paar Stunden betreten. Ich nehme an, er brauchte etwas Zeit, um sich in seinem Gefäß zurechtzufinden, aber er ist auf dem Weg hierher, da besteht kein Zweifel. Und dein Bruder…“ Luzifer seufzt. Sam bemerkt erst jetzt, wie nahe er ihm gekommen ist. „Dein Bruder ist nicht mehr hier, Sam. Und es gibt keine Möglichkeit ihn zurückzubringen.“ Sam fühlt, wie sich sein Mund öffnet, wie sein Verstand verzweifelt nach Worten sucht, nach irgendetwas, was er sagen kann, aber sein Gehirn scheint einzufrieren. „Du bist hier her gekommen, um ihn zu suchen, nicht wahr?“, fragt Luzifer, immer noch so verdammt lässig. „Nun, ich nehme an, es wird dir nicht helfen, aber er wird kommen. Michael wird kommen. Mit deinem Bruder als seinem Gefäß. Ich gebe zu, es ist nicht das, was ich erwartet habe, aber…” Eine Hand legt sich auf Sams Schulter und er schreckt zurück, als würde die Berührung ihn verbrennen. Wann zur Hölle ist Luzifer so nahe gekommen? „Du, Sam – du hast verloren.“ Sam ist fast dankbar, denn das hier ist absurd genug um ihn von der wachsenden Verzweiflung abzulenken, die in ihm aufsteigt. „Was zur Hölle soll das heißen?“, fragt er mit heiserer Stimme. „Michael… er kann dich töten, nicht wahr? Das ist der Sinn des Ganzen!“ Wieder seufzt Luzifer, und dieses Mal klingt er fast ungeduldig. „Sam, Sam, Sam. Dein Problem ist, dass du nicht zuhörst. Ja, vielleicht wird Michael mich töten. Vielleicht auch nicht. Es ist genauso gut möglich, dass ich ihn töte. Aber egal, wie dieser Kampf endet – du, Sam, hast verloren. Egal, was mit mir passiert, oder mit Michael, selbst deiner ach so geliebten Menschheit, du selbst hast verloren.“ „Was?“, fragt Sam. „Egal, was passiert…”, erklärt Luzifer, der jetzt seine Schultern festhält, als ob er ihn beruhigen will. „Du hast deinen Bruder verloren, Sam. Du hast niemanden mehr. Deine persönliche Welt ist zu Ende. Alle, die dir wichtig sind, sterben, und du weißt, dass es deine Schuld ist. Diese ganze Apokalypse wäre nie geschehen, wenn du nicht geboren worden wärst. Versteh mich bitte nicht falsch – ich bin sehr dankbar für deine Existenz, und deine Handlungen, aber ich nehme an, dass du einen etwas anderen Standpunkt hast.“ „Fick dich“, zischt Sam, denn er kann sich das nicht anhören, er kann es nicht ertragen, er kann es nicht leugnen, und er hat das Gefühl, als ob er schon langsam den Verstand verliert. „Was auch immer jetzt geschehen wird, für dich ist es vorbei. Entweder ich gewinne, und du wirst meinen Sieg sehen – alles, auch wie ich Michael im Körper deines Bruders töte, und die Menschheit auslösche. Oder Michael gewinnt, und du kannst zusehen, wie er im Körper deines Bruders verschwindet, oder vielleicht lässt er deinen Bruder auch einfach als leere Hülle zurück, praktisch tot. Und du bleibst zurück, um mit all dem zu leben, was du verursacht hast.“ Luzifer hat jetzt beide Hände auf Sams Schultern, und blickt mit einem traurigen, mitleidigen Ausdruck zu ihm auf, der so echt aussieht, dass Sam nicht weiß, ob er es schaffen kann, nicht daran zu glauben. „Du hast verloren, Sam. Es tut mir wirklich Leid für dich. Ich wünschte, es hätte einen anderen Weg gegeben. Aber alle Straßen führen zu diesem Punkt. Egal, was passiert wäre, es musste immer darauf hinauslaufen, dass du ja sagst.“ „Warum sollte ich das tun?“, fragt Sam. Seine Stimme zittert, und verdammt, das sind Tränen in seinen Augen… Und Luzifer lächelt nur traurig. „Ganz einfach, Sam – weil du nichts mehr hast, für das es sich lohnt, nein zu sagen.“ Sam will ihn wegstoßen, er will aufwachen, er will Luzifers verdammten Kopf abreißen! …aber er kann es nicht. Er kann zittern, und weinen, und nichts wird etwas verändern, denn… Er hat verloren. Letztendlich ist es so einfach. Es macht keinen Unterschied für die Welt, was er tut. Er ist müde, und er hat verloren, und das einzige, das ihn noch in der Realität verankert, sind die Tränen auf seinem Gesicht und Luzifers Hände auf seinen Schultern. Zitternd holt Sam Luft, dann öffnet er seine Augen wieder. Luzifer sieht immer noch zu ihm auf, als ob er ihn mit seinem Blick festhalten könnte. Und es kümmert Sam nicht mehr. Er atmet noch einmal tief ein und aus, bevor er spricht. „Ich…“, beginnt er, seine Stimme kaum lauter als ein Flüstern. „Ich…“ Bevor er weitersprechen kann, hört er das flatternde Geräusch von Flügeln. Er sieht auf, und sein Herz bleibt beinahe stehen, als er Dean sieht – nicht Dean, Michael in Deans Körper, mit einem brennenden Schwert in seiner Hand, Castiel an seiner Seite. Sam kann die Macht spüren, die vom Körper seines Bruders ausstrahlt, sogar das Feuer rechtschaffenen Zorns in seinen Augen, und für einen Moment fühlt Sam sich unerträglich allein. Wieder öffnet er seinen Mund, denn das hier kann er nicht ertragen, und wenn die einzige Möglichkeit, dem zu entkommen, ist, sich Luzifer zu überlassen, dann soll es so sein.” „Ich…“ „Denk nicht mal dran, Sammy!“, unterbricht ihn die Stimme seines Bruders, und Sam starrt ihn an. Er erkennt den Tonfall, die Worte, alles, einfach nur… „Dean?“, flüstert er ungläubig, denn das ist einfach nicht möglich… Das Grinsen im Gesicht seines Bruders, die unausgesprochene, besorgte Frage in seinen Augen, die Anspannung – denn ja, sie stehen immer noch Luzifer gegenüber… Sam kann es kaum glauben, aber das hier ist definitiv und ohne jeden Zweifel Dean, zur Hölle mit der seltsamen Aura und allem, was Luzifer sagt. „Gott sei Dank…“, flüstert Sam. Dean schnaubt. „Bedank dich lieber bei Cas.“, verbessert er ihn, bevor er sich Luzifer zuwendet, und das Grinsen wird durch einen todernsten Gesichtsausdrück ersetzt. „Jetzt tritt beiseite, Sammy, ich habe einen Teufel zu töten.“ Between Einen Moment lang nimmt Dean nur das Flattern von Flügeln um sich herum wahr. Seine Augen sind geschlossen, und er ist nicht sicher, ob er überhaupt sehen will, wie sie sich durch die Luft bewegen, selbst wenn er könnte… Dann, nur Sekunden später, spürt er wieder festen Boden unter den Füßen, und der sanfte Druck von Castiels Fingern auf seiner Stirn verschwindet. Er öffnet seine Augen, und auch seinen Mund um sich über die unangenehme Art zu reisen zu beschweren, aber dann nimmt er seine neue Umgebung erst richtig wahr. Sie stehen in einem Wald, der um diese Uhrzeit eigentlich komplett dunkel sein sollte. Stattdessen wird er von einem sanften, unnatürlichen Leuchten erhellt, das von einem besonders großen Baum zu kommen scheint. Es ist nicht wirklich der Anblick, der Dean zum Schweigen bringt, sondern eher die… Aura, oder was auch immer er hier spürt. Es ist einfach so… friedlich. „Das ist es also?“, fragt Dean, und seine Stimme kommt ihm selbst heiser vor. „Bist du dir sicher?“ Castiel nickt und geht langsam zu dem leuchtenden Baum. „Dieser hier.“, sagt er. Er klingt dabei so selbstsicher, wie Dean ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gehört hat, und so verrückt das Ganze auch ist, fühlt es sich doch so gut an, Castiel wieder so selbstbewusst zu hören, dass es den ganzen Ärger fast wert ist. …und er ist sich ziemlich sicher, dass dieser Gedanke viel zu kitschig ist, also räuspert er sich und tritt ebenfalls vor. „Ein ganzer Wald also, huh? Der von Anna war kleiner.“ Castiel wirft ihm einen dieser Blicke zu, der ihm klar macht, dass er es inzwischen wirklich besser wissen sollte, als Small Talk mit einem Engel zu versuchen. „Anna hatte den gleichen Rang wie ich. Michael… das hier… ist der mächtigste Erzengel, den der Himmel je gesehen hat. Natürlich ist seine Gnade stärker.“, sagt er, nur ein bisschen ungeduldiger und entnervter als sonst, was vermutlich ein Zeichen dafür ist, dass er genauso kurz davor steht durchzudrehen wie Dean – oder wenigstens so sehr das für einen Engel überhaupt möglich ist. In stillem Einverständnis treten sie noch näher an den Baum heran, bis sie einfach nur den Arm ausstrecken müssten, um ihn zu berühren. Das Gefühl von Frieden wird stärker, und obwohl Deans Instinkte ihm sagen, dass ihn das beunruhigen sollte, kann er nicht anders als sich zu entspannen. Ohne darüber nachzudenken, hebt er seinen Arm und legt eine Hand auf die Rinde des Baums. Bevor ihm klar wird, wie lächerlich das aussehen muss, spürt er, wie sich Wärme in seinem gesamten Körper ausbreitet. Wärme, und Ruhe, und Frieden. Zuhause. Seine Mutter umarmt ihn. Engel wachen über dich. Die Erinnerung an ein vertrautes Gewicht auf seinen Schultern… „Whoa.“ Dean zieht seine Hand zurück, als hätte der Baum ihn verbrannt. „Was hast du gesehen?“, fragt Castiel. „Nichts.“, antwortet Dean ehrlich. „Eher…“ „Gefühlt.“, beendet Castiel den Satz. Dean nickt. Seine Hand kribbelt immer noch, und auf einmal hat er das Gefühl, dass ihm etwas fehlt. Sein Körper ist zu leicht… einen Moment lang ist er versucht Castiel zu fragen, wie fühlen sich Flügel an? „Ich glaube ich weiß, was du vorher gemeint hast.“, sagt er stattdessen. Denn wenn schon eine kurze Berührung dafür sorgt, dass er Flügel vermisst, an die er sich nicht einmal erinnern kann, was für eine Chance hat Dean Winchester dann, wenn er die reine Gnade eines Erzengels berührt? „Die Gnade zu absorbieren könnte deine Identität vollständig auslöschen.“, bestätigt Castiel und starrt ihm direkt in die Augen, als ob das dabei helfen könnte, Dean den Ernst der Situation klar zu machen. „Ich habe etwas Ähnliches nur ein einziges Mal gesehen, bei Anna, aber sie hat sich bereits an alles erinnert, bevor sie ihre Gnade zurück bekam. Ich weiß nicht wie, oder ob es dich verändern wird. Aber…“ Er zögert, dann legt er seine rechte Hand auf Deans Schulter, gleich über das Brandmal, das er hinterlassen hat. „Das hier ist unsere beste Chance, Dean.“ Dean wendet den Blick ab. Es ist einfacher, nur die Hand anzusehen, die auf seiner Schulter ruht. Ja, dieser Ort fühlt sich vertraut an, und es ergibt Sinn, und Castiel ist sich so verdammt sicher – aber ernsthaft, er, Dean Winchester? Es ist schwer genug zu glauben, dass er auch nur den Ansatz einer Chance haben soll, die Apoklypse aufzuhalten, aber das hier ist einfach zu viel. Es kann nicht wahr sein. Es muss jemand anders sein. „Wirst du jemals glauben?“, fragt Castiel. Er klingt fast traurig, und müde, und Dean hat tatsächlich ein schlechtes Gewissen deswegen, aber nicht genug um anzufangen zu glauben – er bezweifelt, dass er sich jemals so schlecht fühlen kann, um das zu tun. „Du kennst mich, Cas.“, sagt er stattdessen und zuckt mit den Schulter, als ob es unwichtig wäre. Natürlich wäre das deutlich überzeugender, wenn er es schaffen würde, aufzublicken. „Bin nicht sicher, ob ich jemals geglaubt habe, ich würde keine Wetten darauf abschließen, dass ich ausgerechnet jetzt damit anfange.“ „Du hast geglaubt.“, sagt Castiel, seine Stimme voller Entschlossenheit. Er tritt noch näher, und Dean ist klar, dass er Castiel jetzt normalerweise an das Konzept von „Abstand“ erinnern würde, aber im Moment wirkt er so… so sehr wie ein Engel, dass Dean sich fast eingeschüchtert fühlt, und auch etwas nostalgisch. „Du hattest Glauben. Und du bist würdig, Dean, niemand ist würdiger als du es bist.“ Er bricht ab, vermutlich um seine Gedanken zu lesen oder irgendwas anderes in dieser Richtung. „Du denkst, dass ich mich geirrt habe. Castiel ist die einzige Person, die er kennt, die das sagen könnte, ohne beleidigt zu klingen – noch ein Grund, warum es einfacher ist mit ihm zu reden. Und so gruselig dieses ganze Gedankenlesen auch ist, wenigstens muss er so nicht herumsitzen und seine Gefühle erklären, oder wie auch immer Sam den Schwachsinn diese Woche nennt. Außerdem hat Castiel diese Angewohnheit, Recht zu haben, was normalerweise wirklich eher nervig als positiv ist, aber im Moment macht es Dean nichts aus. Es bedeutet nur, dass er nicht wirklich aussprechen muss, was ihm gerade durch den Kopf geht. Dass er eben nur Dean Winchester ist, nur ein Mensch, und nicht mal ein besonders guter, was das angeht. Er hat es nicht verdient, zur Hölle zu fahren, aber er hat es auch nicht wirklich verdient, gerettet zu werden. Selbst die Engel und der ganze Schwachsinn über den „rechtschaffenen Mann“ war nur eine Art zu sagen „Du hast die Welt kaputt gemacht, jetzt spiel mal Erzengel-Kondom, um sie wieder in Ordnung zu bringen.“ Er hat versucht, den Teufel zu töten, und er hat versagt, und er will nicht einmal über die Zukunft nachdenken, die Zachariah ihm gezeigt hat… Er ist nichts Besonderes, das hat er schon vor Ewigkeiten akzeptiert. Das kann ja auch nicht jeder sein. Sam ist vermutlich besonders. Aber Dean hat seine Schwächen schon immer gekannt, auch ohne dass jeder zweite Dämon, den sie trafen, sie noch mal aufzählte, vielen Dank auch. Er kann verstehen, Michaels Gefäß zu sein, immerhin hängt das mit seinen eigenen Handlungen zusammen, damit, dass er gebrochen ist… versagt hat. Es passt, und er versteht es. Das ist er. Und dann war da Castiel, der wieder viel zu nahe stand, ihm mit einer Mischung aus Hoffnung und Furcht in die Augen starrte, eine Hand erhoben, als ob er nicht sicher war, ob er Dean berühren durfte, und so vorsichtig klang, als er sprach… „Ich glaube, du bist Michael.“ Natürlich. Da hat er sich gerade an die Idee gewöhnt, dass er ein Gefäß ist – oder ein mögliches Gefäß, wenn er irgendwas mitzureden hat – und jetzt soll er ein verdammter Erzengel sein? Ein verdammter, gefallener Erzengel? Und das Traurige ist, dass er sich inzwischen sogar an diese Idee gewöhnt hat. Sicher, es klingt wahnsinnig, aber Castiel hat es irgendwie geschafft, dem ganzen Sinn zu verleihen, und in der Theorie gibt es ihm eine gute Chance, den Teufel zu töten, ohne dass Michael den halben Planeten zerstört. Aber jetzt, wo er der Gnade eines Erzengels so nahe steht, ist sich Dean nicht mehr so sicher. Es ist Gnade, und auch wenn seine Ansichten über Engel nicht gerade idealistisch sind, stellt er sich Gnade immer noch als etwas Reines vor, etwas Heiliges – es passt einfach nicht in die Welt von Dean Winchester so etwas zu haben. Zu denken, dass das hier – diese Kraft der Schöpfung oder was auch immer – ein Teil von ihm sein soll? Es ist lächerlich. Und außerdem hat er etwas gegen die Idee, dass ein wütender Erzengel hinter ihm herjagt, weil er dessen Gnade gestohlen hat… Castiels Hand schließt sich fester um seinen Arm, seine Finger krallen sich fast in Deans Lederjacke. „Du hast Angst.“, stellt er fest. „Vor dem, was passieren wird. Und vor dem, was es bedeutet. „Wenn es wahr ist, heißt das nur, dass ich ein größerer Versager, als ich überhaupt für möglich gehalten hätte.“, erwidert Dean. „Denk mal nach, deine ganzen Kumpel da oben, mit ihrem Amoklauf? Glaubst du wirklich, das würden sie abziehen, wenn ihr großer General noch da wäre, um sie an der Leine zu halten? Was, irgendwann sagt er einfach ‚ihr könnt mich mal, ich spiele jetzt für das andere Team‘ und lässt sie alleine, damit sie ihre Apokalypse starten können? Klingt ja nach einem fantastischen Anführer, wirklich.“ Er zögert. „Obwohl, so gesehen… könnte doch ich sein.“ Castiel seufzt. „Ich hätte gedacht, dass gerade du verstehen würdest, was es bedeutet, die Menschen zu wählen. Aber anscheinend habe ich deinen Mangel an Selbstwert wieder einmal unterschätzt. Ich kann dir nicht sagen, was Michaels… was deine Motive waren, aber ich weiß, dass sie weder egozentrisch noch kurzsichtig waren.“ „Ach ja, und woher willst du das wissen?“, fragt Dean. „Weil ich dich kenne.“ Und anscheinend ist es so einfach. Dean blickt auf in Castiels Augen, die fast strahlen vor Glauben, und Vertrauen, und… Dean will widersprechen, weil niemand, der ihn kennt, tatsächlich so an ihn glauben kann – aber Tatsache ist, dass Castiel ihn kennt, vermutlich besser als irgendjemand anderes. Immerhin war es nicht möglich, irgendetwas vor jemanden zu verbergen, der einen aus der Hölle zerrte. Und ja, er hat Angst. Verflucht, selbst Castiel wirkt zumindest besorgt. Aber er glaubt auch, dass Dean das hier tun kann. Und so ist es kein Widerspruch, den Dean ausspricht, nur eine Frage. „Bist du dir sicher?“ Einen Moment lang kommt es Dean so vor, als ob die Zeit stehen bleibt. Er ist sich ziemlich sicher, dass er nicht atmet, und er würde auch keine Wetten über die Existenz seines Herzschlags abschließen, während er auf eine Antwort wartet, obwohl er sich nicht einmal sicher ist, wonach er eigentlich gefragt hat – sicher wegen Michael, wegen Dean, ob es funktionieren kann, ob er es tun sollte, ob Castiel wirklich an ihn glauben kann… und es endet in dem Augenblick, als der Engel kurz nickt. „Ja, Dean. Ich bin mir sicher.“ Nun… vielleicht ist es wirklich so einfach. „Okay, also… was soll ich machen?“, fragt Dean. „Einfach meine Hände auf den Baum legen und warten?“ „Ich denke, du musst dich der Gnade öffnen.“, antwortet Castiel. Wenigstens bemerkt er Deans hochgezogene Augenbraue und führt weiter aus. „Du benötigst Blut, um mit der Gnade zu interagieren.“ „Klingt nicht besonders heilig…“ murmelt Dean, während er nach seinem Messer sucht. „Es ist eine Sicherheitsvorkehrung, um sicher zu stellen, dass nur ein Engel die Gnade extrahieren kann.“, erklärt Castiel. „Hast du das mit Annas Gnade gemacht?“, fragt Dean. Es ist keine wirklich wichtige Frage, aber er ist lieber abgelenkt, wenn er sich in die Hand schneidet. „Wir hatten unsere Befehle…“, gibt Castiel zögernd zu, und ja, Dean versteht, Castiel ist nicht gerade stolz auf das, was damals passiert ist, und es ist wirklich nicht notwendig, sich weiter damit zu beschäftigen, nicht jetzt, wo der Schnitt fertig ist und Blut aus seiner Handfläche quillt. „Uriels Schuld, der Bastard war ein wirklich schlechter Einfluss auf dich.“, sagt er. „Okay, jetzt lege ich einfach die Hand an den Baum und warte, richtig?“ Castiel nickt. „So funktioniert es.“, bestätigt er. Ihm ist offensichtlich unbehaglich, und er hat immer noch eine Hand auf Deans Schulter. Okay, er hat also wahrscheinlich auch Angst. Dean versucht ihm ermutigend zuzulächeln, aber er beendet den Versuch, als ihm klar wird, dass er nur eine Grimasse zustande bekommt. Stattdessen legt er seine blutende Hand auf Castiels. „Bringen wir es hinter uns.“, sagt er. Wieder nickt der Engel, und nimmt die Hand von Deans Schulter. Es ist beruhigend, ihn an seiner Seite zu haben. Ohne weiter zu zögern, legt Dean seine Hand wieder gegen den Baum. Die Wärme, die er zuvor gefühlt hat, ist nichts verglichen mit der rohen Energie, die jetzt durch ihn zu fließen scheint. Jeder Zentimeter seiner Haut scheint in Flammen zu stehen, brennend, heißt, aber nicht schmerzhaft. Alles scheint in weißem Licht zu verschwinden, wie eine Explosion und er hört nichts. Es fühlt sich an, als ob sich sein Blut erhitzt, als ob es einfach aus seinem Körper herausbrennen könnte, und er spürt, wie sich sein Mund zu einem Schrei öffnet. Irgendwann hat er das Gefühl in seinen Beinen verloren, vielleicht fällt er zu Boden, er ist sich nicht sicher, er kann sich nur auf das Brennen und das Licht konzentrieren. Er spürt, wie seine Augen sich verdrehen, und er sieht… Er steht auf einem Berg und betrachtet die neuen Kinder seines Vaters, die Menschen. Sie sind seltsam, und interessant, aber sie sind ungehorsam, und er macht sich Sorgen. Ihm wurde aufgetragen sie zu lieben, weil der Vater sie geschaffen hat, und weil der Vater sie liebt. Er ist nicht sicher, ob er das kann. Er will es versuchen, aber er versteht sie nicht. Selbst wenn er ihre Gedanken liest, kann er sie einfach nicht verstehen. Aber der Vater ist gerecht, und der Vater liebt, und er hat Vertrauen in den Vater. Seine Brüder stehen neben ihm, beobachten. Er spürt Gabriel und Raphael zu seiner Linken, beide stellen sich die gleichen Fragen wie er, und es beruhigt ihn. Er wendet sich zu seiner Rechten, zu Luzifer. Ihm gefällt nicht, was er sieht – Verachtung, Wut, Stolz. Die Flügel des Morgenstern flattern gereizt, als er diese neue Schöpfung betrachtet. „Uns vor diesen… Tieren verbeugen?“, fragt Luzifer. “Was denkt Er sich?” Und er erinnert sich an seine Antwort, wie er seinem Bruder gesagt hatte, dass ihr Vater weiß, was er tut, dass es das Richtige war, seinen Anweisungen zu folgen, und er erinnert sich an die Wut – beinahe schon Hass – in den Augen seines Bruders, der ihn verspottete, als Dads perfekten kleinen Soldaten, und wie groß er sich vorkam, mit seinem wundervollen eigenen Kopf, den Dean nicht hatte, und er erinnert sich an den Schmerz, als ihn das Steinsalz traf, und als Sam den Abzug betätigte. Kein physischer Schmerz, nicht bei diesem letzten, natürlich. Es ist kein physischer Schmerz, der ihn trifft, als er den Hass in Gabriels Augen sieht an dem Tag, als er in den Himmel zurückkehrt, sein eigenes und Luzifers Schwert in seinen Händen, aber ohne ein Zeichen seines jüngeren Bruders. „Du hättest ihn retten sollen.“ „Rette ihn oder töte ihn.“ Er wird diesen Auftrag nicht vergessen, den Dad ihm gegeben hat. Wie könnte er? Nicht, wenn Sam ihn jeden verdammten Tag daran erinnert, dass er ihn töten soll, bevor er sich dem Böse zuwendet, und er fragt sich, ob Sam überhaupt weiß, worum er ihn da bittet, seinen eigenen Bruder zu töten… Denn er konnte Luzifer einfach nicht töten. Ihn verbannen, ja, aber nicht töten. Engel sollten nicht sterben, und der Morgenstern war einst der am meisten Geliebte. Er erinnert sich an seine Furcht, als er dem Vater gegenüber trat. Sicherlich war es gegen den himmlischen Plan, Luzifer am Leben zu lassen, als ständigen Widersacher, der versuchen würde die Menschen zu verführen, und aus seinem Kerker auszubrechen. Er fürchtete den Vater nie zuvor, aber an diesem Tag hatte er Angst. Er erinnert sich daran, wie John Winchester ihn umarmt, als sie sich endlich wiedersehen, nachdem er ihn Ewigkeiten gesucht hat, und er erinnert sich an die Freude in den Augen seines Dads, als er seine Söhne wieder sah. Und sein Vater ist gerecht, und liebt, und vergibt. Und er ist dankbar. Eines Tages ist John Winchester verschwunden. Er hinterlässt keine Nachricht, und sein Sohn ist auf sich allein gestellt. Sie stehen auf dem selben Berg, aber dieses Mal sind sie nur zu dritt. Luzifer Morgenstern ist nicht mehr unter ihnen. Heute beobachten sie nicht die Menschen sondern jüngere Engel, eine der Garnisonen, die über die Menschen wachen. Raphael findet Gefallen an ihrer Anführerin, er lobt sie. Aber Michael kann durch die äußere Ruhe sehen und erkennt Wut, Zweifel, Ungehorsam und Leidenschaft. Er macht sich keine Sorgen. Diese hier ist nicht wie Luzifer, ihre Gefühle sind zu rechtschaffen. Sie fühlt sich einsam, und sie beneidet die Menschen. Für Michael bestehen keine Zweifel. „Diese hier wird fallen.“, sagt er zu seinen Brüdern. „Anael. Sie wird fallen.” Gabriel zuckt mit den Schultern. Es ist eine Besorgnis erregend menschliche Geste, was man in letzter Zeit oft bei ihm sieht – beides, eigentlich, das Ignorieren von Problemen und das Imitieren von Menschen… vermutlich verspürt er Sympathie für alle, die die Menschen über die Engel stellen, und vermutlich gibt er Michael die Schuld für all das. Keiner seiner Brüder scheint mit der Art und Weise zufrieden zu sein, wie er Luzifers Rebellion behandelt hat, aber es ist egal. Der Vater weiß und versteht, und auch wenn er schon seit einer Ewigkeit nicht mit seinem Vater gesprochen hat, wird Michael nicht seinen Glauben verlieren. „Selbst wenn sie fällt…“, sagt Raphael. „Sie haben auch Uriel. Er wird einen starken Anführer abgeben.“ Michael wirft nur einen Blick auf diesen Engel und macht unwillkürlich einen Schritt nach hinten. Dieser hier ist zu sehr wie Luzifer. Seine Augen fallen auf einen anderen Engel. „Nein.“, sagt Michael einfach. „Dieser dort.“ Seine Brüder beäugen ihn skeptisch. „Er ist jung…“, bemerkt Raphael. „Er ist schwach.“, schnaubt Gabriel. „Er ist rein.“, sagt Michael und lächelt. Sam Winchester bittet ihn, ihm zu folgen, mit ihm zusammenzuarbeiten um den Dämon Lilith zu töten. Aber er kann es nicht, nicht unter diesen Bedingungen, nicht mit der Hilfe eines Dämons, und nicht so. Und Sam fühlt sich verraten, seine dunklen Flügen flattern gefährlich, während seine wahre Gestalt von dunklen Blitzen der Wut erleuchtet wird… Nein… das war Luzifer. An jenem Tag, als er ihn angeschrieen hatte, mit ihm gestritten hatte und Michael angefleht hatte, ihm zu folgen, zu erkennen, dass der Vater sich irrte, dass Michael sich ihm anschließen sollte. Aber Michael glaubt an den Vater, und er denkt, vielleicht kann er auch an die Menschen glauben, aber er weiß, dass Luzifer sich irrt, und dass nichts Gutes davon kommen kann, mit einem Dämon zusammen zu arbeiten, und warum kann Sam das nicht erkennen? Er erkennt es nicht, er lässt ihn einfach zurück. Gabriel ist fort. Das ist es nicht, was Michael überrascht, er hat es kommen sehen. Der Schmerz ist etwas Unerwartetes. Er hat seinen Bruder enttäuscht – einen weiteren seiner Brüder, zu einer Zeit, an der sich alle darauf verlassen, dass er ein starker Anführer ist. Aber je mehr er sich umsieht, umso mehr scheint es, als ob der Himmel den Vater nicht braucht, um sie zu führen, und auch nicht Michael. Gruppen bilden sich, die die Macht auf sich verteilen und die Arbeit des Vaters weiterführen. Es beunruhigt Michael. Etwas stimmt nicht, und Gabriel war der Einzige gewesen, mit dem er darüber reden konnte. Raphael ist nur noch müde, ein Gefühl, das viele teilen. Die niedrigeren Ränge scheinen weniger Probleme mit der Abwesenheit des Vaters zu haben, aber Michael ist nicht sicher, wie weit sie informiert sind. Er weiß nicht, ob das wirklich das ist, was der Vater wollte. Die Erschöpfung, die Zweifel… wo ist Er? Die anderen Engel haben begonnen, Verachtung oder zumindest Missachtung für die Menschen zu entwickeln, und Michael kann es seinen Brüdern nicht einmal vorwerfen. Menschen sind ermüdend. Selbst jetzt versteht Michael sie nicht, und er fängt an zu bezweifeln, dass er es je schaffen wird. Sie verrichten die grauenvollsten Dinge, dann wieder unglaublich Gutes, aber alles in allem sind sie hauptsächlich ermüdend. Er wünscht sich wirklich, dass er sie verstehen könnte. Vielleicht können sie das nur selbst, vielleicht ist es etwas, das von außen nicht zu sehen ist. Aber der Vater hatte den Engeln aufgetragen, über sie zu wachen, und sie zu lieben, und Michael versucht es. Das Problem ist, dass die meisten Engel es nicht einmal mehr versuchen. Sie können nichts Gutes in den Menschen sehen. Einige reden in gedämpften Stimmen über Luzifer, als ob das verhindern würde, dass er sie hören kann. Andere wollen einfach nur, dass es endet. Das Ende aller Tage, die Apokalypse. Michael verbietet es. Nicht, dass es einen Unterschied macht. Er hat Sam wohl schon tausende Male gesagt, dass die Hölle zufrieren wird, bevor er seinen Bruder tötet. Nicht einmal, als er sieht, wie Sam Jo bedroht. Lieber will er glauben, dass es ein Dämon oder ein Zauber oder irgendetwas anderes ist, anstatt zu akzeptieren, dass sein kleiner Bruder so etwas tun würde. Er wird ihn retten, nicht töten. „Wir würden sie alle retten.“, sagt Raphael. „Alles beenden. Sieh nur, wie sie leiden.“ Und Michael weiß, dass seine Brüder müde sind. Er ist auch müde, müde davon zu versuchen sie zu verstehen. Die Menschen, natürlich. Sie sind faszinierend, und wenn er sie nur verstehen könnte… „Retten, indem wir sie alle töten?“, fragt er. „Ich denke nicht, dass man das retten nennt.“ Aber Raphael teilt seine Meinung nicht. „Wir würden sie von ihrem Leiden erlösen. Der Himmel steht hinter diesem Plan, Michael. Du kannst es nicht aufhalten, und du kannst es nicht ignorieren. Die Apokalypse wird kommen, und sie werden alle gerettet werden.“ Michael denkt darüber nach. „Sie werden alle getötet werden.”, verbessert er seinen Bruder, denn wenn er eines über die Menschen verstanden hat, dann wie wichtig ihnen ihr Leben ist. „Ich verstehe dich nicht, Bruder.“, sagt Raphael. „Was auf der Erde ist es wert, gerettet zu werden?“ Michael schließt seine Augen. Er weiß es nicht. Aber er ist sich sicher, dass es etwas geben muss. Wenn er nur verstehen könnte… Und dann sieht er Liebe. Er sieht eine Frau, oder vielleicht nur ein junges Mädchen, gebeugt über die Leiche des Mannes, den sie liebt, und er hört, wie sie mit einem Dämon redet, einen Pakt schließt, um das Leben ihres Geliebten zu retten. Und es sollte sich falsch anfühlen, und Michael sollte sich angewidert fühlen, aber als er sieht wie diese schöne, junge Frau, Mary Campbell, einen Pakt mit einem Dämon schließt, empfindet er Schmerz, und Trauer, und er glaubt, er sieht einen kleinen Teil davon, wie der menschliche Geist funktioniert. Es ist faszinierend, und bricht sein Herz, so wie das von Dean Winchester, der die Szene aus einiger Entfernung beobachtet. Und beide, Dean und Michael erinnern sich an das Erscheinen des Engels, aber nur Michael lächelt wissend – er hatte Recht – und dann ist Dean fort, aber Michael bleibt und beobachtet Mary Campbell und John Winchester. Er versteht es nicht ganz, aber ihm ist klar, dass das hier – Liebe – wert ist, gerettet zu werden. Die Apokalypse wird kommen. Es gibt nichts, was Michael tun kann, um sie aufzuhalten, zu viele Engel in den höheren Rängen wollen es so. Es widert in an, aber er versteht. Es ist schwer weiterhin zu glauben, wenn sie nichts außer Leid und Schmerzen sehen, und kein Engel kann wirklich erklären, warum genau sie die Menschen retten sollen. Michael denkt lange Zeit darüber nach, und endlich entscheidet er sich zu handeln. Er ist es, der den Himmel anführen soll. Wenn er nicht erklären kann, warum die Menschen es verdienen, gerettet zu werden, wie soll er dann die Apokalypse aufhalten? Er hat Angst vor dem, was auf ihn zukommt, aber er hat seine Entscheidung getroffen. Er nimmt sein Schwert und beginnt, seine Gnade herauszuschneiden. Der Schmerz ist… …wie die Wunden von Luzifers Schwert… … wie Sam, der versucht ihn zu erwürgen, getrieben von Zorn und Dämonenblut… … wie dieser gelbäugige Bastard in Körper seines Vaters, der seine Organe verflüssigt… …Höllenhunde… … wie Alistair… … wie die reine, heilige Hand eines Engels, der ihn aus der Hölle zieht… Wie der Verlust seiner Gnade. Während Michael fällt, erinnert er sich an Mary Campbell. Er lächelt trotz des Schmerzes, auch als die Stimmen seiner Geschwister immer schwächer werden und schließlich verstummen. Michael erinnert sich… „Dean?“ …die Erschaffung Luzifers, voller ungezähmter Macht, ein wundervolles, aber schreckliches Wesen, und er erinnert sich an seine Entscheidung, sich um ihn zu kümmern, von dem Moment an, als sein Bruder in seine Arme gelegt wurde, bring deinen Bruder nach draußen… „Dean!“ …der Kampf in allen Einzelheiten. Die gesprochenen Worte, die ausgetauschten Schläge, und wie er Luzifer einfach nicht töten könnte, nicht einmal um ihn zu retten, und er erinnert sich daran, wie er Luzifers Gnade durchstoßen hat, ihn festgehalten hat und ihn wegsperrt. Er erinnert sich daran, wie andere Engel begannen, die Siegel zu errichten, und wie er selbst sich abwandte. Er musste es sich nicht ansehen. „Dean!“ Es ist das Brennen auf seiner Schulter, das ihn aus diesen Erinnerungen herauszieht. Das Licht wird schwächer, und er kann seine Augen wieder öffnen. Er liegt auf dem Boden unter einem Baum. Er ist majestätisch, aber er hält keine Gnade mehr in sich, nur noch ein Schwert – sein Schwert – steckt davor im Boden. Er erinnert sich, es ist zusammen mit seiner Gnade gefallen… Eine Hand liegt auf seiner Schulter, über einem Brandmal. Es ist definitiv die Hand eines Engels. Wohl die Hand des Engels, der das Mal hinterlassen hat. Er kann die Gnade des Engels wie eine Aura um seine Haut sehen… er blickt auf, fragt sich für einen Moment, ob er sich an ihn erinnern würde… Castiel. Er kennt den Namen, sobald er in seine Augen sieht, die fast überfließen vor Sorge, Angst, Hoffnung, und… und Engel sollten nicht fühlen – nicht so stark – aber irgendwie ist er stolz darauf, dass dieser bestimmte Engel so viel Emotion zeigt. Es ist der reine, er erinnert sich… …als wäre es ein Film, als wäre es aus einem anderen Leben. Er spürt, wie sich Castiels Hand um seine Schulter schießt, und er erinnert sich – kann sich tatsächlich erinnern. Cas! Das hier ist Cas, der einzige Engel, der den Namen wirklich verdient, der ihn aus der Hölle gezogen hat, sein Freund. Vielleicht der einzige, der noch für die Wünsche des Vaters kämpft. „Dean?“, fragt Castiel unsicher. Vermutlich fragt er sich, ob das wirklich Dean Winchester ist oder Michael, oder wo der eine endet und der andere beginnt. Er erinnert sich daran, ein Engel zu sein, aber er erinnert sich auch daran, Mensch zu sein. Das war der Sinn des Ganzen. Menschen zu verstehen… ein Mensch zu werden. Und er versteht. Vielleicht ist er beides, Mensch und Engel, aber Details sind im Moment unwichtig. Es fühlt sich an, als ob er Castiel zum ersten Mal wirklich sieht – nicht nur das Gefäß, sondern auch die Gnade, die durch ihn durchscheint. Es erschreckt ihn. Er kann Castiels Gnade sehen, schwach und ausgezehrt. Er kann seine Flügel sehen, verletzt, schmutzig, selbst jetzt sieht er eine Feder fallen… Castiel hat sich für ihn entschieden, selbst gegen den Himmel, und jetzt verliert er als Strafe langsam seine Gnade. Es ist falsch, besonders, wenn er seine eigene Gnade, seine eigenen Flügel spüren kann, die sich so rein und so unbefleckt anfühlen. Er hebt seine rechte Hand und berührt vorsichtig Castiels Wange. Er ignoriert die Verwirrung des Engels, und legt seine linke Hand an seinen Hals und zieht in vorsichtig näher zu sich. Er weiß, was er zu tun hat, dieses Mal kann er endlich Cas helfen, das ist seine Chance seine Dankbarkeit zu zeigen, und richtig zu stellen, was sein Freund für ihn erleiden musste. „Dean? Was…?“ Er ignoriert den Engel immer noch und legt stattdessen seine Lippen auf Castiels Stirn. Es ist nur eine kleine Verbindung, aber es ist genug, damit seine Gnade seinen Körper verlassen, und durch seine Lippen zu Castiel fließen kann. Er spürt, wie sie sich mit Castiels Gnade verbindet, die geschwächten Stellen stärkt und repariert, was Zachariah und die anderen Engel beschädigt haben. Und er kann fühlen, wie seine Gnade in Castiels Flügel fließt, die Federn glättet und sie langsam heilt. Er hat nicht genug Energie, um ihn vollständig zu heilen, aber vorerst ist es genug. Als der Fluss seiner Gnade endet, bewegt sich keiner von ihnen. Der vorsichtige Kontakt ist irgendwann eine lockere Umarmung geworden, aber es ist egal. Ein paar kurze, kostbare Sekunden, kann er nur daran denken, dass er einen Engel geheilt hat, einen seiner Brüder… seinen Freund. Am Rand seines Verstandes weiß er, dass er sich bald Luzifer stellen muss, seinem Bruder Morgenstern, um diesen Kampf ein für alle Mal zu beenden, aber jetzt fühlt er sich ruhig, und sicher, und wenn dieser Augenblick eine Ewigkeit dauern würde, hätte er nichts dagegen. „Dean.“, sagt Castiel wieder, dieses Mal erleichtert und sicher. Dean nickt. „Ja… Ja, Cas, ich bin‘s.“ Und verdammt, fühlt es sich gut an, das zu sagen… Now Dean steht stolz, mit hoch erhobenen Kopf vor Luzifer, ohne seine Augen von ihm zu nehmen. Auch Luzifer bricht den Blickkontakt nicht. Sie kreisen umeinander, aber nicht drohend – noch nicht – nur beobachtend, den Feind einschätzend. Luzifer strahlt Zorn und Stolz aus, eine dunkle Energie durchfährt sein Gefäß und seine Flügel blitzen vor Energie wie ein Gewitter, das nur darauf wartet, zuzuschlagen. Das Gesicht seines Gefäßes zeigt Verwirrung. Natürlich erkennt er den Menschen Dean Winchester, das für seinen Bruder bestimmte Gefäß. Er erinnert sich an diesen erbärmlichen Menschen, den er in Carthage gesehen hat, und er weiß, dass sein eigenes Gefäß ihn richtigerweise als seinen Bruder erkennt. Das ist definitiv der gleiche Mensch, der so dumm war zu versuchen, ihn vor sechs Monaten zu töten. Aber er kann auch über das Physische hinaus sehen, und er sieht seinen Bruder, den Erzengel Michael, sieht wie der menschliche Körper von Gnade erfüllt ist, und hinter ihm breiten sich Flügel aus, gerade jenseits der menschlichen Wahrnehmung. Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Engel und dem Menschen, und der menschliche Makel… der höllische Makel haftet an Michael genauso wie an dem menschlichen Körper. Und plötzlich versteht Luzifer und seine Verwirrung weicht Wut und Ekel. „Du… du bist Mensch geworden!“ Die letzten Worte spuckt er aus, als ob sie Dreck sind, und für Luzifer sind sie das wahrscheinlich. Dean nickt. Er erinnert sich, und er kann sehen, dass sich Luzifer nicht verändert hat. Vielleicht ist er wütender geworden, aber eins hat sich nicht geändert, und er weiß, dass fallen – ein dreckiger, wertloser Mensch zu werden, und dann auch noch aus freien Stücken – in den Augen seines Bruders der ultimative Verrat sein muss. „Du bist gefallen. Du bist zur Hölle gefahren… du bist gebrochen!“ „Ich würde wieder fallen.“, antwortet Dean. Luzifer schlägt zu, seine Wut nimmt überhand und ein Teil seiner wahren Form bricht durch den Körper des Gefäßes. Dean tritt vor und blockiert so schnell er kann die Energie mit seinem Schwert um sie von Sam und Castiel fernzuhalten, die hinter ihm stehen und den ältesten Kampf der Geschichte betrachten, unfähig sich einzumischen. Die Energie prallt ab, und bringt die Erde zum Beben. Jede Glasscheibe in der Nähe zerbricht, und Sam fällt fast zu Boden, als das Erdbeben bei ihm ankommt. Dean flucht. „Cas, beschütze Sam!“, ruft er, während er versucht, einer anderen Attacke Luzifers auszuweichen. „Selbst jetzt sorgst du dich so sehr um einen Menschen?“, fragt sein gefallener Bruder ungläubig. „Was hast du erwartet?“, erwidert Dean. „Deswegen müssen wir kämpfen, schon vergessen?“ Luzifer breitet seine Flügel aus, seine Wut löst eine Schockwelle aus, und Dean muss sich auf sein Schwert lehnen, um auf den Beinen zu bleiben. Die Macht von Luzifers Wut trifft auf seine eigene Gnade und beginnt zu brennen, ohne ihn zu verletzen, aber er kann spüren, wie die Energie den Boden unter ihm aufreißt. Risse erscheinen in der Straße und einen Gedanken später steht Dean hinter Luzifer, während der Boden, auf dem er Sekunden vorher gestanden hat, einbricht. „Selbst jetzt kämpfst du nicht mit ganzer Kraft. Du versuchst immer noch, Menschen zu beschützen.“, sagt Luzifer ohne seinen Kopf zu drehen. „Warum? Du bist besser als sie. Besser als jeder einzelne von ihnen! Und immer noch beschmutzt du dich selbst, indem du einer von ihnen geworden bist, dich auf ihre Seite stellst, dich für sie über deine gesamte Art entscheidest?“ Ein weiterer Ausbruch rast auf ihn zu, aber Dean ist bereit. Er hebt sein Schwert und hält es zum Schutz hoch. Die Energie prallt davon ab, fliegt zu Luzifer und an ihm vorbei, als er zur Seite tritt, bis sie eines der noch stehenden Gebäude trifft, das beginnt in sich zusammenzufallen. „Du bist gestorben für einen Menschen.“, zischt Luzifer. „Bist für diesen hier zur Hölle gefahren. Warum?“ Er stürzt sich vor, seinen Augen brennen vor Hass, und auch Neid. Er greift nach Deans Schwert, bis Blut und Gnade aus den Händen des Gefäßes fließen, und hält Dean davon ab, es zu benutzen. „Er ist mein Bruder.“, sagt Dean. „Ich bin dein Bruder!“, schreit Luzifer. Und endlich erkennt Dean, wie wahnsinnig Luzifer geworden ist, und wie weit der Morgenstern gefallen ist. Endlich versteht er. „Nein, Luzifer. Nicht mehr.“ Das Gesicht des Gefäßes ist verzerrt in Ungläubigkeit und Überraschung. Es kann nicht sein, dass Michael – sein Bruder – das sagen könnte, und schon gar nicht, dass es tatsächlich wahr ist. Das hier ist Michael, der Luzifer nicht einmal töten konnte, als er sich gegen den Vater gestellt hat. Aber es ist nicht nur Michael, gegen den er kämpft. Es ist auch Dean Winchester, der Mensch, Sohn von John und Mary Winchester, Sam Winchesters Bruder, der zur Hölle gefahren ist und gerettet wurde, und der geschworen hat, den Teufel zu töten. Für wenige Sekunden ist Luzifer von dieser Erkenntnis vollkommen geschockt. Nur wenige Sekunden, aber es ist genug, damit Dean sein Schwert befreien kann, und gerade als Luzifers Schock nachlässt, fährt Michaels Schwert durch sein Herz. Ein weiteres Mal lässt Dean die Gnade aus seinem Körper fließen, dieses Mal durch sein Schwert und nicht um zu heilen, sondern um zu brennen, und den Fehler zu korrigieren, den er vor einer Ewigkeit gemacht hat. Während Luzifers Gnade langsam ausbrennt, zeigt das Gesicht seines Gefäßes Überraschung, Unglaube, Angst… Dean sieht Spuren des Morgenstern in ihm, schwach und immer noch verzerrt durch Wut und Verachtung. „Ich werde mich nicht entschuldigen.“ Dean nickt dazu. Es klingt vernünftig genug. „Ich auch nicht.“, antwortet er sanft und benutzt seinen freien Arm, um den fallenden Körper zu stützen. Luzifer lacht mit kaum hörbarer Stimme, während die Flügel von Luzifers wahrer Form verschwinden. „Aber es tut dir Leid.“ Es ist sinnlos, zu lügen, nicht jetzt, da Deans Gnade durch Luzifer brennt und jedes seiner Gefühle verrät. Mit letzter Kraft lehnt Luzifer sich vor, nahe genug um in Deans Ohr zu flüstern. „Du weißt… dass ich Recht hatte, Michael…“ Dean schüttelt den Kopf. „Mein Name ist Dean.“, erwidert er. „Und du hast dich geirrt.“ Mit einem letzten Aufflackern von Gnade, stirbt Luzifer in seinen Armen. Detroit ist von Stille erfüllt. Ohne wirklich darüber nachzudenken, zieht Dean sein Schwert aus dem Körper des Gefäßes und lässt es achtlos zu Boden fallen. Er weiß, dass er das Richtige getan hat. Aber es tut ihm trotzdem Leid, und er fühlt sich trotzdem leer. Eine Hand legt sich auf seine Schulter und Dean blickt überrascht auf. Er hat tatsächlich vergessen, dass er nicht allein ist. Aber Castiel ist immer noch hier, und sieht ihn an, als ob er direkt in seine Seele blickt, was er vermutlich auch kann, besonders jetzt, da Dean voller Gnade ist. Dean beginnt zu zittern. „Cas…“, flüstert er und seine Stimme bricht fast. Mein Bruder ist tot. Er muss es nicht aussprechen. Castiel versteht, blickt ihm direkt in die Augen und hält seine Schulter fest, verankert ihn in der Realität. Es nimmt seinen Schmerz nicht, aber es hilft. Sammy ist auch noch hier, in einigem Abstand und starrt seinen Bruder an, der immer noch Luzifer in seinen Armen hält. Sam versteht nicht, was geschehen ist, und irgendwann wird Dean vermutlich alles erklären müssen, aber im Moment kann er das einfach nicht. Das Ende der Welt ist verhindert worden, Luzifer ist tot, und er ist verdammt müde. Die Welt kann ihn also erst mal in Ruhe lassen. „Sieht so aus, als ob du dich doch nicht in mir getäuscht hast.“, sagt Dean, und der traurige Ansatz eines Lächelns verzerrt sein Gesicht. Aber Castiel weiß es trotzdem zu schätzen. Er beugt sich vor und wie Dean zuvor – und wirklich, es fühlt sich ein, als wäre es vor einer Ewigkeit gewesen – legt Castiel seine Lippen in seinem sanften Kuss auf Deans Stirn. „Ruh dich aus.“, flüstert der Engel. „Die Welt ist gerettet, Dean. 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