Verstecktes Leben im Abseits von Stiffy (Tabuthema Homosexualität in der Männerdomäne Fußball) ================================================================================ <08> .... Gefühle im Nachspiel ------------------------------ Ich kann nicht genau sagen, wann ich merkte, dass sich seine Blicke ein bisschen veränderten. Oder vielleicht waren sie auch schon von Anfang an anders gewesen und ich hatte zuvor einfach nicht gelernt, sie zu deuten. Doch irgendwann bemerkte ich, dass Mathew mich anders ansah als zuvor oder dass ich in den wunderbaren Augen etwas anderes lesen konnte. So lächelte er mich mit ihnen dann und wann sehr intensiv an, selbst wenn seine Lippen dies zu verbergen versuchten. Oder er hielt vielleicht mal eine Sekunde zu lange meinen Blick, als dass ich es als einfache Coach-Spieler-Beziehung hätte abtun können. Ich bemerkte es und dennoch beschloss ich, es nicht zu verstehen. Unterbewusst führte es allerdings dazu, dass ich mit Miriam ein wenig anders umging, wenn Mathew dabei war. Ich küsste sie öfter, nahm sie inniger in den Arm, versuchte sozusagen alles, um ihm zu zeigen, wie glücklich ich doch mit meiner Freundin war. Seine Blicke aber hörten nicht auf. Und irgendwann hatte ich das Gefühl, dass seine Berührungen sich veränderten. Ich muss sagen, zunächst machte mir Mathews Verhalten Angst. Ich begann mich zu fragen, ob er dies machte, weil er irgendwie hinter mein nahezu perfekt gehütetes Geheimnis gekommen war und mich aus der Reserve locken wollte, um mich anschließend zu erpressen. Gefühlte Stunden und Tage machte ich mir darüber Gedanken, denn ich hatte im Internet mal von einem ähnlichen Fall gelesen. Andererseits konnte ich mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet dieser so vertrauenswürdige Mann Pläne schmiedete, die das Leben eines Fußballers zerstören konnten. Doch was mochte dann sein Grund sein, sich mit mir anders zu verhalten als er es mit den anderen tat? Denn mir wurde es immer bewusster, mit jedem Tag, jeder Begegnung. Es war zwar alles andere als offensichtlich, niemand sonst wäre wohl auch nur misstrauisch geworden, doch für mich war es sichtbar genug. Wenn wir alleine waren, drückten seine Augen Zuneigung aus, sprachen gar mit mir; erst wenn jemand in unserer Nähe war, wurde der Blick wieder professionell distanziert. Auch seine Berührungen unterschieden sich, je nachdem, ob wir alleine waren oder nicht. Nur unter uns griff er öfter nach meinen Beinen, um sie an den Geräten anders zu positionieren oder mir bestimmte Muskeln zu lockern. Dies tat er kaum bis gar nicht, wenn jemand dabei war; dann gab er lediglich Tipps oder Anweisungen. Natürlich könnte man natürlich vermuten, dass er es mit allen anderen ebenso hielt – auch darüber dachte ich nach - doch irgendetwas Unbenennbares zeigte mir ganz deutlich, dass dem nicht so war. Ich war anders als die anderen, doch ich wollte noch immer noch wahrhaben, was mich für ihn so anders werden ließ. Das, was am wenigsten zu der ganzen Situation zu passen schien, war die Freundschaft, die Mathew und Miriam mit der Zeit aufbauten. Die beiden verstanden sich unheimlich gut und unternahmen etwas zusammen, wenn wir trainierten und er frei hatte. Auch zu dritt oder fünft, zusammen mit Thomas und Chiela, waren wir anzutreffen, denn auch die drei hatten eine Wellenlänge zueinander gefunden. Mir schien es fast, als käme Mathew mit allen Personen gut zurecht, die mir etwas bedeuteten. Das war ein komisches Gefühl und es machte das alles nicht gerade einfacher. Ich wollte es mir zwar nicht eingestehen, aber mit jedem Tag, der verging, sehnte ich mich mehr nach Mathew. Bald schon galt der Großteil meiner Gedanken – wenn es nicht gerade um Fußball ging – ihm. Auch wenn Miriam in meinen Armen lag, erwischte ich mich dabei, wie ich mir wünschte, ihn bei mir zu haben. Wenn ich dies bemerkte, verdrängte ich die Gedanken sofort wieder, verbot sie mir und lenkte mich irgendwie ab. Doch sie kamen wieder, immer stärker und intensiver. Bald schon war der Drang, ihn zu Berühren, fast unerträglich geworden und ich wusste nicht, wie ich ihn unter Kontrolle bringen konnte. Ich durfte so nicht denken, nicht so fühlen. Es war gefährlich und fatal. Ich hatte viel zu viel zu verlieren, denn was konnte ich denn schon gewinnen? Was hätte mir seine Nähe gegeben? Ich redete immer wieder auf mich ein, innerlich, dann, wenn mich eine Sehnsucht plagte, die mir bisher unbekannt gewesen war. Ich durfte nicht schwach werden! Auf gar keinen Fall! Ganz schlimm war es nach dem finalen Sieg in der Gruppenphase. Der Sieg war denkbar knapp gewesen, erst in der 87. Minute hatten wir es geschafft, in Führung zu gehen. Jubelnd fielen wir uns der Reihe nach um den Hals und Mathew presste mich an sich. Intensiver als je zuvor nahm ich seinen angenehmen Geruch wahr; mir war nicht bewusst gewesen, wie gut ich ihn schon kannte. Ich sog ihn in mir auf und spürte, wie es mir mit einem Mal gut ging. Richtig gut; für ein paar winzige Sekunden fühlte ich mich frei. Erschrocken wich ich zurück, denn ich realisierte, dass ich ihn gerade nicht mehr loslassen wollte. Seinem fragenden Blick wich ich auf. Schnell umarmte ich die anderen Coachs, noch hier und da ein paar Spieler; mit einem der gegnerischen Mannschaft verfiel ich in ein kurzes Gespräch, da wir vor drei Jahren im selben Verein gespielt hatten, doch das Murmeln in meinem Inneren wurde ich nicht los. Es war eine Stimme, die ich bereits als Jugendlicher in mir getragen, aber weitestgehend ignoriert hatte. Plötzlich war wieder da, lauter als je zuvor, aufdringlicher, zusammen mit begehrenden Gefühlen. Ich musste mich zwingen, nicht ständig in Mathews Richtung zu sehen. Die Feier nach dem Spiel war für mich eine kleine Qual. Eigentlich wollte ich mit meinen Gedanken alleine sein, genauso wusste ich aber auch, dass das nun überhaupt nicht gut wäre. Stattdessen trank ich fast schon bewusst einen über den Durst, um die Stimme zu beruhigen. Anschließend wankte ich sturzbesoffen mit Miriam in unsere Suite, nur um dort über sie herzufallen. Freilich störte sie dies ganz und gar nicht. Als ich etwas später mit hämmerndem Schädel aufwachte, war mir sofort bewusst, dass mein Verhalten ganz und gar nicht richtig gewesen war. Ich spürte Miriams Wärme neben und das bedrückende, schuldige Gefühl in mir. Und ich spürte noch etwas, weshalb ich es nicht schaffte, meine Augen wieder zu schließen: ich spürte Sehnsucht. Fürchterliche, erschreckend deutliche Sehnsucht nach einem Mann, den ich erst ein paar Wochen kannte, der aber bereits meinen Verstand beherrschte, wie niemand je zuvor. In dem Augenblick wäre es mir genug gewesen, einfach nur seine Hand an meiner zu spüren. Ich kämpfte mit mir selbst und versuchte lange, wieder einzuschlafen. Doch je mehr ich mich dazu drängen wollte, desto stärker wurde diese Kraft in mir drin, die mich aus dem Bett treiben wollte. Irgendwann konnte ich einfach nicht mehr liegen bleiben. Leise stand ich auf, zog mir Jogginghose und Pulli über und wollte das geräumige Hotelzimmer bereits verlassen, als Miriams schläfrige Stimme mich zurück rief. Verzweiflung und Schuld ergriff mich, als ich mich zu ihr hinab beugte und wusste, dass ich nun sofort wieder ins Bett zurückkehren sollte. Stattdessen sagte ich, ich müsse ein wenig frische Luft tanken und würde deshalb draußen spazieren gehen. Sie gab mir den Hinweis, es würde doch regnen, entließ mich aber dennoch ohne Zögern mit einem sanften Kuss. Ich wusste genau, dass sie mir grenzenlos vertraute und dass ich kurz davor war, genau dieses Vertrauen zu missbrauchen. Doch das alles hielt mich nicht zurück. Ich konnte einfach nicht mehr. Den Hotelflur ging ich sehr langsam und leise entlang. Bei jeder Tür hatte ich Angst, sie könnte aufspringen und ich könnte bei meiner nächtlichen Tour enttarnt werden. Zuvor hatte ich mich noch geärgert, dass unsere eigene Tür keinen Spion hatte, nun war ich froh darüber, dass es hier mit allen so gehalten war. Trotzdem fiel es mir schwer, zwei Stockwerke hinab zu fahren und dort den blaugestreiften Teppich zu betreten, der mich zu einem Zimmer am Ende des Gangs führen würde. Ich versuchte nicht darüber nachzudenken, was ich hier tat. Es war so unheimlich unvernünftig und gefährlich und doch konnte ich nicht anders, als einen Fuß vor den anderen zu setzen. Meines Ziels war ich mir dabei vollkommen bewusst. Doch was wollte ich machen, wenn ich bei ihm wäre? Was würde es mir bringen? Würde ich mich nicht verraten? Was, wenn ich all seine Blicke und Berührungen… wenn ich einfach jedes kleine Zeichen falsch gedeutet hatte? Oder er wollte mich doch enttarnen… Während sich die Angst in mich fraß und ich mir all diese Fragen stellte, ging ich den Flur dennoch weiter entlang, das Ziel im Blick. Ich versuchte, mich krampfhaft daran zu erinnern, ob er mich wirklich so fest an sich gedrückt hatte, wie ich es in Erinnerung hatte, und ob seine Blicke später auf der Feier tatsächlich direkt in meine Augen gegangen waren. Eigentlich war ich mir sicher, doch gleichzeitig fürchtete ich, mich zu irren. Es wäre ein nicht auszumalender Fehler, wenn ich mich irren würde. „Das bringt mich zu der Frage… haben Sie in der ganzen Zeit einen anderen schwulen Profispieler kennengelernt?“ „Nein, keinen einzigen.“ „Aber es wird sie bestimmt geben.“ „Mit Sicherheit. Aber jeder hat eine so perfekte Fassade um sich gebaut, dass man sich nicht erkennt. Als schwuler Spieler ist man mehr als jeder andere darauf bedacht, männlich und stark zu wirken, bloß nicht zu gefühlsbetont zu sein. Doch natürlich ist das kein Zeichen, denn Aggressivität im Spiel kann auch ganz andere Gründe haben…“ „Also bemerken Sie einander nicht?“ „Nein. Man ist immer so sehr auf seine Handlungen bedacht, darauf, bloß nicht aufzufallen, dass die Maske nie bröckelt und perfekt sitzt. Es würde an ein Wunder grenzen, wenn einer ohne einen fast schon bewussten Fehler entlarvt werden würde…“ „Aber Mathew hat Sie entlarvt.“ „Ja.“ „Wie ist das möglich?“ „Ich weiß es nicht, denn ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass ich keinen Fehler begangen habe und die Maske nicht bröckelte… und dennoch, irgendwie hat er es gespürt.“ „Und Sie wiederum haben das gespürt?“ „Ja, das und noch viel mehr… Und deshalb war ich zum ersten Mal bereit, einen Schritt in diese fremde Gefühlswelt zu machen...“ Ich stand nicht besonders lange untätig vor seiner Hotelzimmertür herum, denn umso mehr Zeit ich dort verbrachte, umso größer war das Risiko, gesehen zu werden. Im Versuch, nicht vollkommen unvernünftig zu handeln, hatte ich mir sogar schon eine Ausrede zu Recht gelegt: Hin und wieder bekam ich nachts einen Krampf im Bein. Mir war immer wieder gesagt worden, in einem solchen Fall solle ich Vitamine anfordern. Würde Mathew auch nur eine Sekunde lang komisch gucken, würde ich mein Auftauchen auf mein Bein schieben. Ich würde es hinbekommen, dies vorzutäuschen und man würde mir glauben, das versuchte ich mir einzureden. Trotzdem blieb die Angst, zusammen mit der Furcht, dass ich alles richtig gedeutet und er mich bereits durchschaut hatte. Denn was würde ich dann tun? Ich klopfte schließlich und mein Herz hämmerte. Ich spürte meine kalten Hände und meinen trockenen Hals. Auch mein Kopf dröhnte noch immer ein wenig und die Sehnsucht brannte. Ich wollte ihn sehen, deshalb war ich hier… ich wollte ihn berühren. Es dauerte eine Weile, bis die Tür langsam geöffnet wurde und tatsächlich wirkte Mathew mehr als nur ein kleines bisschen überrascht, mich zu sehen. Ich hatte meine Lüge bereits auf den Lippen, als sich auf seine ein ganz spezielles Lächeln schlich. Er trat zur Seite und ließ mich ein. Zögernd ging ich dem nach und hielt die Luft an, als er die Tür hinter mir schloss. Doch nichts passierte, keiner von uns bewegte sich auch nur einen Zentimeter. Ich hätte einen Krampf gehabt, log ich nun doch, da mir die Stille unangenehm wurde, und Mathews Lächeln verstärkte sich ein wenig, als er meinte, er würde ein entsprechendes Mittel holen; ich solle ihm folgen. Also betraten wir als nächstes das nur spärlich erhellte Schlafzimmer. Mein Magen zog sich zusammen und ich zwang mich, nicht auf das Bett zu starren. Stattdessen richtete ich den Blick auf die leicht geöffnete Balkontüre. Durch sie konnte ich den Regen hören und für einen kurzen Moment versank ich in dem beruhigenden Geräusch, so lange, bis mich eine Hand sanft am Arm berührte. Ich zuckte zusammen, fuhr aber nicht zurück. War ich nicht hergekommen, um etwas herauszufinden? Über mich und über ihn? Dass ich nicht zurück wich und ihn stattdessen direkt ansah, schien für Mathew auf jegliche Frage Antwort genug zu sein. Er warf den kleinen Pillenbehälter aufs Bett und trat ein Stück näher an mich herum, so dass er mich besser ansehen konnte. Mein Blick glitt hastig zur offenen Balkontür und ich erklärte ihm sinnloserweise, dass es regnete. Er lächelte und nickte leicht. Unser anschließender Wortwechsel brannte sich Silbe für Silbe in mein Gedächtnis ein. „Was willst du wirklich hier?“, fragte er mich und strich mir mit zwei Fingern über den Arm. Ich bekam darunter eine Gänsehaut. „Ich weiß es nicht.“ So leise sprach ich, dass der Regen mich fast übertönte. „Ich will etwas wissen…“ „Ich auch.“ „Und was?“ „Das, was du mehr als alles andere zu verstecken versuchst…“ Hier wurde ich nervös. Ich schluckte und wusste nicht, was ich erwidern sollte. Gleichzeitig ergriff mich plötzlich heftiger als zuvor die Furcht, was ich machen würde, wenn irgendjemand von diesem Gespräch etwas erfuhr. Vielleicht wollte er mich doch bestechen und ich war ihm ins Netz gegangen? Vermutlich konnte man mir bereits aus diesen wenigen Worten einen Strick drehen. Schnell wich ich deshalb zurück und erklärte, dass es ein Fehler gewesen war, herzukommen. Ich wollte mich umdrehen und weggehen, doch ich schaffte es nicht und blieb stehen. Mathew hatte keine Anstalten gemacht, mich aufzuhalten. Vielleicht war genau das der Grund, weshalb ich blieb. Ich richtete meinen Blick wieder in Richtung Regen, den man nicht sehen, sondern nur hören und riechen konnte. Im Augenwinkel stand Mathew ganz ruhig da. Er schien zu warten, was ich tun würde und einen Moment lang frage ich mich das selbst. Meine Sehnsucht nach ihm hatte mich her gebracht, doch noch war ich zu ängstlich, nach ihr zu handeln. Ich hatte nicht umsonst jahrelang eine Mauer aufgebaut; sie konnte nicht in einer einzigen Nacht vollends niedergerissen werden. Statt also dem Drang nachzugeben, zu ihm zu gehen, löschte ich das Licht im Vorbeigehen zur Balkontür und zog den Vorhang etwas weiter zurück, so dass ich hinaus treten konnte. Sofort traf mich der Regen, als ich an das Geländer trat und danach griff. Irrationalerweise musste ich plötzlich daran denken, wie ich als Jugendlicher einmal über Selbstmord nachgedacht hatte. Seither war mir ein solcher Gedanke nie wieder gekommen und auch jetzt konnte ich mir keinen einzigen Grund vorstellen, ihn zu begehen. Ich fürchtete den Tod noch immer und trotzdem zog mich die schwarze Tiefe gerade magisch an. Ich hörte die leisen Schritte hinter mir, an der Tür schienen sie stehen zu bleiben. Er sagte meinen Namen und ich drehte mich langsam um. In der Dunkelheit konnte ich seine Umrisse höchstens erahnen, was mich beruhigte, da ich mir so sicher sein konnte, auch selbst von niemandem erkannt zu werden, der mich wohlmöglich mitten in dieser sternenlosen Nacht auf diesem Balkon stehen sah. Ich lächelte und richtete den Blick hinauf in den Himmel. Die Balkone waren versetzt, so dass die dicken Regentropfen ohne Hindernis direkt auf mein Gesicht trafen. Mir gefiel das in diesem Moment, denn sie durchnässten mich und schienen irgendetwas von mir zu waschen. Ich schloss die Augen und breitete die Arme aus. Noch mehr nahm ich die einzelnen, schweren, kalten Tropfen auf mir wahr und ich genoss es, wie ein Bach von ihnen über mein Gesicht glitt. Ich atmete tief und roch noch mehr den frischen Regen; noch nie hatte ich den Geruch so bewusst wahrgenommen. Überhaupt war ich noch nie freiwillig in den Regen hinaus getreten. Vielleicht hätte ich das schon viel früher einmal tun sollen, das erkannte ich in diesem Augenblick. Während ich Blick und Arme wieder senkte und die Augen öffnete, Mathew mit verschränkten Armen in der Tür erahnen konnte, fragte ich mich, was mich wirklich hierher getragen hatte. Ich war nie ein Risiko eingegangen, in den ganzen Jahren nicht. Ich hatte meinen besten Freund und meine erste Liebe sogar verprügelt und bloßgestellt, als ich noch nicht mal halb so erfolgreich gewesen war und bei weitem nicht so viel zu verlieren gehabt hatte wie jetzt. Dennoch war ich aus unerfindlichem Grund hier, obgleich ich alles verlieren könnte, wenn etwas davon dieses Zimmer verlassen würde. Es war ein unvorstellbares Risiko, das mir Angst machen sollte. Doch stattdessen war ich ruhig und entspannt wie selten zuvor. Die Liebe macht einen unvernünftig, das erkannte ich in diesem Moment, und es ließ mich lächelnd den Arm nach vorne strecken. Er solle herkommen, flüsterte ich sanft, und tatsächlich ergriff er sofort meine Hand. Ein atemberaubendes Gefühl floss durch mich hindurch, als er an mich heran trat, als unsere Körper sich berühren konnten und er seinen freien Arm um mich schlang. Kurz dachte ich, er würde mich küssen wollen, doch statt dies zu tun, lehnte er seine Stirn gegen meine und aus der winzigen Entfernung heraus erkannte ich, dass er die Augen geschlossen hatte. Ich tat es ihm gleich, während ich seine Hand umklammerte wie ein Ertrinkender. „Ich kann dir nichts sagen“, flüsterte ich dann, weil ich wusste, dass ich meine Farce noch nicht beenden konnte. Von ihm kamen daraufhin nur zwei Worte: „Ich weiß.“. Wir standen noch lange so da, ohne uns zu bewegen, ohne uns noch näher zu kommen oder voreinander zurück zu weichen. Durch den kühlen Regen spürte ich seinen warmen Atem in meinem Gesicht und ich nahm das Wasser wahr, welches unsere verschlungenen Hände hinunter glitt. Mittlerweile musste wirklich jede Faser meines Körpers durchnässt sein, doch es störte mich nicht. Denn es tat so gut, ihn zu spüren und mich. Denn das tat ich. Ich nahm mich wahr, ihn und mich, zusammen, verboten, mitten im Regen. Ich spürte mein Herz und nahm wahr, dass die Einsamkeit aus ihm verschwunden war. Plötzlich fühlte ich mich vollkommen, fühlte mich gut und frei. Ich spürte jeden Millimeter von mir und ich mochte mich. Zum ersten Mal seit einer sehr langen Zeit mochte ich mich. Es passierte nicht mehr als das auf dem kleinen Balkon. Irgendwann sagte ich, dass ich gehen müsse und Mathew wiederholte seine zwei Worte von zuvor. Er gab mir ein großes Handtuch, damit ich den größten Schaden beseitigen konnte und nicht zu viele Spuren auf dem Flur hinterlassen würde. Anschließend blieb er im Schlafzimmer stehen und ich ging alleine zur Tür. So sehr ich mich schon nach wenigen Schritten wieder zurück sehnte, war ich froh, bereits diese kleine Distanz von ihm zu erhalten, denn jegliche Nähe hätte mich aufhalten können. Doch so schaffte ich es, mit schnellen, selbst bestimmten Schritten den Weg zu meinem eigenen Hotelzimmer zurück zu gehen. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, ich hoffte einfach, dass Miriam tief und fest schlief. Doch natürlich wachte sie auf, als ich zu ihr ins Bett kroch, nackt und jetzt frierend von der nassen Kälte. Sofort schob sie ihren warmen Körper an mich heran und ich küsste sie heiß und innig, erregt und voller Gedanken, die ich nicht haben durfte. Wir zerwühlten das Bett wie lange nicht mehr und so befriedigt ich mich anschließend auch fühlte, so schuldig war ich auch. Ich hinterging sie und der Verrat war tiefer als zuvor, wog schwerer als jeder Besuch im Sexkino. Es war nichts geschehen auf dem Balkon, wir hatten einander nicht einmal geküsst, sondern uns nur bei der Hand gehalten, und dennoch war Mathew mir näher gewesen als sie in all den Jahren. Außerdem hatte ich mich zum ersten Mal, seit ich denken konnte, nicht dreckig sondern für ein paar Sekunden gar glücklich gefühlt. Ich hatte unbeschreibbar tiefe Gefühle für diesen Mann entwickelt und eben diese ließen mich in der Nacht nicht einschlafen, da ich keinen blassen Schimmer hatte, wie ich ihm oder auch irgendjemandem sonst am nächsten Tag unter die Augen treten sollte. Ich hatte mich verändert, in nur einer einzigen Nacht. Doch das durfte keiner merken. „Hatten Sie keine Angst mehr, dass er Sie verraten könnte?“ „Doch, natürlich, ein kleinwenig dieser Angst bleibt wohl immer in einem, wenn man sich schon so lange versteckt, doch mehr als das war ich mir aus irgendeinem Grund sicher, dass er nichts sagen würde.“ „Ziemlich leichtsinnig.“ „Ich weiß. Aber vielleicht musste ich auch einmal genau das sein…“ „Und wie war es, ihn am nächsten Tag wiederzusehen?“ „Überraschenderweise viel einfacher als erwartet, was aber auch an ihm lag. Er tat wirklich als sei nichts gewesen, schaute mich nicht länger an als sonst und zeigte mit keiner Geste, dass sich in der Nacht etwas verändert hatte…“ „Und damit kamen sie klar?“ „Um ehrlich zu sein, es zog mich nur noch mehr in seine Richtung.“ Kapitel 8 - ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)