Phönixasche von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 8: Frauen & Einladungen ------------------------------- FRAUEN & EINLADUNGEN Ich hatte das Gefühl, dass Raphael es sich heute vorgenommen hatte, mich bis an den äußersten Rand der Schande zu treiben, indem er ein Spiel nach dem anderen gewann und nicht einmal Mitleid zeigte, während ich mich gedanklich in Verzweiflung suhlte. Er spielte wie bei unserer ersten Begegnung und katapultierte eine Kugel nach der anderen in die Taschen. Es war wohl überflüssig zu erwähnen, dass er kein einziges Wort dabei sagte. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber mir schien, als wäre er unerklärlicherweise schlecht gelaunt und/oder sauer auf mich. Ich war momentan nur zur Deko da, Raphael spielte mehr mit sich selbst. Ich saß nur daneben und bestaunte seine Präzision und stoische Konzentration aufs Spiel und zerbiss mir fast die Zunge, weil ich ihm — wie jedem anderen auch — einen Knopf an die Backe labern wollte, darüber, wie mein Date gestern verlaufen war: nämlich großartig. Aber Raphael fragte nicht, im Gegensatz zu allen anderen. Raphael hatte gerade zum dritten Mal den Tisch geklärt und gewonnen, als er mir an diesem Abend das erste Mal richtig ins Gesicht blickte. Ich konnte den Unmut in seinen Zügen erkennen, und erschrak beinahe ein wenig. So einen harten Ausdruck hatte ich noch nicht bei ihm gesehen. Irgendwas schien wirklich an ihm zu nagen. »Alles gut?«, fragte ich ihn stirnrunzelnd. Raphael warf mir einen Blick zu, während er sich mit einer Hand durch den Haarschopf fuhr. Er seufzte tief, bevor er mir antwortete. »Ich weiß nicht genau«, erwiderte er schließlich. Sein Blick glitt durch den gefüllten Raum. Er nahm einen Schluck von seiner Cola. Ich blieb still, in der Hoffnung, er würde sein »Ich weiß nicht genau« weiter ausführen, aber — wie so oft — schien Raphael auch heute sehr wortkarg zu sein und nur sehr unzufriedenstellende Antworten zu geben. Warum konnte er nicht einfach mal den Mund aufmachen und wirklich mit mir reden? Ich wollte mich ihm nun wirklich nicht aufdrängen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass er nur wegen des Billardspielens Zeit mit mir verbrachte. Immerhin gab es einen Haufen anderer Leute, die mindestens genauso gut spielen konnten wie, und wenn es allein darum ging, konnte Raphael sich jemand anderen aus der Masse suchen. Daher bildete ich mir ein, dass es einen anderen Grund gab, warum er sich immer wieder mit mir traf. Stur starrte ich ihn an und zwang mich, nicht weiter nachzufragen. Er sollte sich endlich mal selbst aufraffen, mir etwas zu erzählen. Ich wollte nicht immer derjenige sein, der ihm alles aus der Nase zog. Er warf mir einen Blick zu, während er scheinbar gelangweilt den Queue in seiner Hand drehte. Ich nippte an meiner Bierflasche und tat so, als würde ich ihn nicht weiter beachten. Ein Teil von mir hoffte, dass er das Thema wieder aufgreifen und reden würde, aber Raphael schwieg auch weiterhin. Ich konnte aus den Augenwinkeln sehen, dass sein Blick unentwegt auf mich geheftet war, als würde er nur darauf warten, dass ich ihn ansprach. Ich gab es schließlich auf. »Was ist denn? Und sag nicht wieder ›Ich weiß nicht genau‹.« Raphael schaute mich einen Augenblick lang mit einer Mischung aus Verwunderung und Amüsement an. Dann grinste er in sich hinein, als hätte er nur darauf gewartet, dass ich ihn wieder ausfragte. Dieser Sack. »Warst du schon mal eifersüchtig auf jemanden, den du nicht kennst?«, wollte er dann wissen und ich fiel fast um, weil die Frage mich so unvermittelt traf. Da waren wir also offenbar beim Kern der Sache angekommen, aber irgendwie wusste ich nicht so genau, worauf genau er hinaus wollte. Die Frage allein konnte schließlich viel bedeuten. »Ich … glaube nicht«, antwortete ich ihm irritiert. Raphael sah mich an. Ich hatte das Gefühl als würde er auf etwas warten, doch als ich nichts weiter sagte, wandte er den Blick ab und begann, die Kugeln aus den Taschen zu holen, um ein neues Spiel aufzuziehen. »Nicht so wichtig«, meinte er währenddessen und sortierte die Kugeln in das Dreieck. »Wie war dein … Date?« Ich war hocherfreut, dass er endlich fragte. Vor lauter Unterdrückung war ich fast gestorben. »Es war toll! Wirklich. Ich hab nicht gedacht, dass es so gut laufen würde. Mein letztes Date liegt schon ewig zurück und das ist echt peinlich verlaufen und … egal. Wir waren Billard spielen. Amita ist echt eine desaströse Spielerin, ich musste es ihr ein paar Mal zeigen und erklären, bis sie —« Raphael sah aus, als würde er sich nicht sonderlich wohlfühlen in seiner Haut, und wirkte beinahe desinteressiert. Das Lächeln auf seinen Lippen schien aufgesetzt, als würde er sich zwingen. Er hatte nur aus Höflichkeit gefragt. »Du willst das gar nicht wissen, oder?«, meinte ich und musste mich zusammenreißen, um nicht gekränkt zu klingen. Raphael wandte den Blick von mir ab und sah auf den Billardtisch. Ich seufzte innerlich. Irgendwie nagte es an mir, dass es ihn wirklich nicht zu interessieren schien. Dabei hatte er sich doch bei Christie danach erkundigt … »Ich muss wohl an meinem Pokerface arbeiten«, murmelte er ziemlich undeutlich, bevor er mich wieder ansah. »Entschuldige.« Ich zuckte die Schultern. Eigentlich konnte ich es ihm nicht einmal wirklich übel nehmen. Jemanden, den ich nicht sonderlich gut kannte, würde ich wohl auch nur der Höflichkeit halber fragen und nicht, weil ich es tatsächlich wissen wollte. Nur war ich in ein gigantisches Fettnäpfchen getreten. Vielleicht war ich Raphael auch auf den Schlips getreten. Soweit ich wusste, hatte er keine Freundin, und möglicherweise wurmte ihn genau das. »Christie hat gesagt, es wäre ein Mädchen vom Speed-Dating. Hattest du nicht gesagt, es wäre keine dabei …?«, sagte Raphael dann langsam. Die Frage erschien mir beinahe unpassend. Ich glotzte ihn an. Wenn ihn die ganze Sache nicht interessierte, warum fragte er dann nach? Schließlich zuckte ich wieder nur die Schultern. »Amita ist schon süß. Schaden kann es nicht. Mal sehen, vielleicht wird doch was draus«, erwiderte ich schlicht. »So verkehrt wäre es gar nicht.« Raphael hatte wieder angefangen zu spielen und räumte den Tisch einmal mehr ohne mich ab. Schien passiv-aggressiv zu sein, der Gute. Ich wollte ihm gerade anbieten, mir ruhig zu erzählen, was ihn so unterschwellig sauer machte, als jemand den Arm um meine Taille legte und mir einen Kuss auf die Wange gab. Raphael, der gerade wieder zum Stoß angesetzt hatte, rammte die Spitze des Queues so hart in den Tisch, dass er eine weiße Spur darauf hinterließ. Es lief mir heiß und kalt den Rücken runter, als ich in das nur allzu vertraute Gesicht sah, das neben meinem schwebte. Ich war viel zu fassungslos, um auch nur ein Wort rauszukriegen. Mein Kopf war in diesem Moment vollgestopft mit Dingen, an die ich lange nicht mehr gedacht hatte, und an die ich auch nicht wieder denken wollte. Neben mir stand meine Ex-Freundin Mimi. Das Strahlen auf ihrem Gesicht schickte mich beinahe auf die Matte. »Mimi …?«, brachte ich schließlich mühevoll hervor. Grinsend knuffte sie mich in die Seite und ich zuckte zusammen. »Adrian, Mensch«, meinte sie und ließ mich los. Sie strahlte immer noch. Ich schluckte kurz. »Da leben und studieren wir in ein- und derselben Stadt und sehen uns trotzdem so selten.« Was unter anderem daran lag, dass sie an der Fachhochschule studierte und nicht an der Uni, und dass sie nach unserer Trennung aus dem Studentenwohnheim, in dem wir zusammen gewohnt hatten, ausgezogen war, um in eine Wohnung direkt in FH-Nähe zu ziehen. Dass wir einander selten sahen, lag nicht einmal daran, dass ich nicht wollte, sondern daran, dass unsere regulären Aktivitäten mittlerweile kilometerweit auseinander lagen. Raphael hatte den Tisch umrundet und stand auf meiner anderen Seite dicht neben mir. Ich zuckte beinahe zusammen, als ihn bemerkte. Mein Fokus hatte so konzentriert auf Mimi gelegen, dass ich nicht einmal mitbekommen hatte, wie er sich neben mir positioniert hatte. Ein ziemlich wachsamer Ausdruck lag auf seinem Gesicht, als er Mimi anschaute. Erst jetzt fiel mir auf, dass er ein bisschen größer war als ich; seine Augenhöhe lag mindestens drei Zentimeter über meiner. »Äh … Mimi, das ist Raphael. Raphael — Mimi«, stellte ich die beiden vor. »Wir … ähm …« »Adrian und ich sind noch zusammen zur Schule gegangen und zusammen hierher gezogen zum Studieren«, sagte Mimi und lächelte Raphael an, während sie ihm ihre Hand hinhielt. Raphael erwiderte ihren Gruß. Das war nicht einmal gelogen. Mimi und ich kannten uns noch aus der Schule. Wir sind in unserem letzten Schuljahr zusammen gekommen und es war Glück und Zufall zugleich, dass wir beide dieselbe Stadt zum Studieren ausgesucht hatten — und dann auch noch für unsere gewünschten Studienfächer angenommen wurden. Noch größeres Glück war es gewesen, als wir je ein Zimmer in ein- und demselben Wohnheim bekommen hatten, in derselben WG. Mimi ist zwar nicht meine erste Freundin gewesen, aber bei ihr hatte ich zum ersten Mal wirklich das Gefühl gehabt, dass es ernst war. Ich konnte mich erinnern, in was für einer Hochstimmung ich immer gewesen bin, wenn ich mit ihr zusammen war. So schrecklich verliebt zu sein, das hatte mich sogar selbst überrascht. Umso schlimmer ist die Trennung gewesen. Es war nicht im Streit passiert und wir hatten den Kontakt danach auch nicht abgebrochen, aber man konnte auch nicht wirklich sagen, dass wir befreundet waren. Zumindest nicht in engerem Sinn. Anfangs hatte ich noch versucht, wirklich nur ihr Kumpel zu sein. Aber jedes Mal, wenn ich mit ihr allein war oder wir über tiefgreifende, persönliche, intime Dinge sprachen, wurde ich von dem Bedürfnis überrannt, sie zurückzugewinnen. Es hielt mich auf, es erschwerte es mir, die Trennung zu akzeptieren. Alle Gespräche, die ich seitdem mit Mimi geführt hatte, waren relativ oberflächlich gewesen. Eben aus diesem einfachen Grund, dass es mir wahnsinnig schwer gefallen war, sie loszulassen, und irgendwelche tiefgründigen Interaktionen mich nur zurückgeworfen hatten. Irgendwann war es besser geworden und ich hatte das Schlimmste hinter mir gelassen, sodass ich tatsächlich nur freundschaftlich mit ihr abhängen konnte, aber wenn ich ehrlich darüber nachdachte, dann wurde mir jedes Mal aufs Neue klar, dass ich immer noch an ihr hing und ein kleiner Teil von mir hoffte, wir würden eines Tages vielleicht doch wieder zusammen kommen. »Was machst du hier, Mimi?«, fragte ich sie dann, um sie ein wenig abzulenken. Sie verdrehte gespielt die Augen. »Billardspielen, Dummkopf«, meinte sie amüsiert. Sie warf einen Blick über die Schulter, zu ein paar Leuten, die auf der anderen Seite des Raumes standen und ihr zuwinkten. Mimi winkte kurz zurück, bevor sie sich wieder mir zuwandte. »Natürlich«, murmelte ich und brachte ein Lächeln zustande. »Wie geht’s dir, Ri?«, wollte sie dann wissen und boxte mir sanft gegen den Oberarm. Ri war ihr ganz persönlicher Spitzname für mich. Ich weiß nicht, wie sie darauf gekommen war, mich so zu nennen, und sie war auch die einzige gewesen, die es getan hatte. Etwas in meiner Brust zog sich zusammen, als sie ihn wieder sagte. »Wir haben wirklich lange nicht mehr geredet.« Ich nickte stumpf und riss mich zusammen. »Ganz gut, eigentlich.« Das Lächeln, das ich aufgesetzt hatte, schien Mimi nicht zu überzeugen. »Ich hatte gestern ein Date«, fügte ich hastig hinzu. Es hatte die gewünschte Wirkung: Mimis Gesicht hellte sich wieder auf und sie strahlte mich erneut an. Sie wusste, wie schwer mir die Trennung gefallen war, und ich wusste von Fernando, dass sie immer mal wieder nach meinem aktuellen Gefühlsstatus gefragt hatte. Sie schien sich ehrlich darüber zu freuen. »Wirklich? Das ist ja super!«, sagte sie heiter und wirkte beinahe ein wenig erleichtert. »Wer ist es denn?« »Ich hab sie beim …«, ich musste schlucken, bevor ich das Wort hervorbringen konnte — vor allen anderen war es schon peinlich, vor Mimi war es die Hölle auf Erden —, »Speed-Dating kennengelernt.« Mimi lachte laut auf und lehnte sich gegen meine Schulter, während sie sich ihrem Lachflash hingab. Es dauerte einige Augenblicke, bis sie sich beruhigte. Unterdessen warf ich Raphael einen Blick zu, der noch immer neben mir stand, und mittlerweile einen recht skeptischen Gesichtsausdruck angenommen hatte. »Das war doch sicher Fernandos Idee, oder?«, meinte Mimi, nachdem sie sich beruhigt hatte, und atmete einmal tief durch. Ich nickte lediglich. Sie strich aufmunternd über meinen Oberarm. »Na ja, dann hat es sich zumindest gelohnt. Und wie heißt sie?« »Amita«, antwortete ich automatisch. Mimi machte große Augen. »Amita Bach?« Es hätte mich wohl nicht wundern sollen, dass Mimi Amita kannte. Irgendwie schien hier jeder jeden zu kennen. Also nickte ich wieder nur und wartete darauf, dass Mimi mir erklärte, woher sie Amita kannte. »Krass«, meinte Mimi gut gelaunt und freute sich immer noch wie ein kleines Kind. Das konnte nur bedeuten, dass sie zufrieden damit war, dass es sich um Amita handelte. »Amita und ich kennen uns durch gemeinsame Freunde. Das ist ja echt ein Zufall. Wie ist es denn gelaufen?« Ich fand es ein wenig verstörend mit meiner Ex-Freundin über meine aktuellen Anbandlungen zu sprechen, aber da ich nicht wollte, dass Mimi weiterhin glaubte, ich wäre ein Häufchen Elend, das klammerte wie ein Kleinkind, gab ich ihr brav Auskunft. »Sehr gut. Ich denke, wir werden uns wiedersehen«, erzählte ich ihr und das Funkeln in Mimis Augen verriet, dass diese Antwort sie zufriedenstellte. Sie konnte meine Lügen schnell durchschauen, also war es zwecklos; daher war es für sie auch kein Problem zu bestimmen, wann ich die Wahrheit sagte. »Aw«, machte Mimi und umarmte mich kurz. »Ich freu mich so für dich, Ri. Hey, da fällt mir ein: Ich veranstalte am Freitagabend wieder einen Supper Club. Mexikanisch. Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn du kommst. Und bring Amita mit. Das wären fünfundzwanzig Euro pro Person. Du musst mir aber spätestens morgen Abend Bescheid sagen, weil ich nur zehn Plätze frei habe, und die sind erfahrungsgemäß immer schnell weg. Wenn du willst, frag ich Amita sonst auch noch mal.« Mimis Planungseifer ließ mich lächeln. »Ich werd’ sie fragen, aber ich komme auf jeden Fall.« »Wunderbar«, sagte sie und schenkte mir ein hinreißendes Lächeln. »Dann sehen wir uns spätestens Freitag. Du kannst Christie, Fernando und Simon auch gern fragen, ob sie Lust hätten. So, ich muss jetzt echt, die sind schon alle sehr ungeduldig.« Sie warf wieder einen Blick über die Schulter zu ihren Freunden. Dann umarmte sie mich noch einmal kurz, winkte und eilte hinüber zu ihrer Clique. Ich starrte ihr nach, während sich in meiner Magengegend ein ziemlich schwerer Klumpen bildete. Eigentlich war es jedes Mal so, wenn ich sie sah, aber es wurde besser. Er löste sich mit jedem Mal schneller auf und es fiel mir leichter, mich von ihr abzulenken. »Du siehst aus, als hätte dir jemand vergammelten Fisch ins Gesicht geschlagen«, bemerkte Raphael und ich fuhr zusammen. Er stand immer noch neben mir und sah mich aufmerksam an. Ich versuchte, mich zu sammeln und wieder einzukriegen. »Nein, alles gut«, wehrte ich schließlich ab, strich den Saum meines Shirts glatt und wandte mich unserem Billardtisch zu. Raphael wandte sich wieder seinem Spiel zu und visierte die weiße Kugel mit der Spitze seines Queues an. »Was ist denn ein Supper Club?«, wollte er dann wissen und schaute mich interessiert an. Ich lehnte mich an den Billardtisch und trommelte mit den Fingern darauf herum, während Raphael die nächste Kugel ins Visier nahm. Offenbar genügte es ihm, gegen sich selbst zu spielen. Ich wusste nicht, woher er seine Genügsamkeit nahm, aber wenn zumindest er halbwegs Freude an diesem Abend hatte, dann war es ja nicht ganz umsonst. »Supper Clubs sind eigentlich illegal«, murmelte ich nachdenklich. Raphael trat neben mich und schob mich zur Seite, weil ich seinen Weg auf die Kugel blockierte. »Das ist ja schon mal sehr vielversprechend«, bemerkte er halb belustigt und halb sarkastisch. Ich sah ihm dabei zu, wie er sich vorbeugte und das obere Ende des Queues über den Bogen seiner Hand zwischen Daumen und Zeigefinger legte. »Na ja, soweit ich weiß, werden die Veranstalter nicht strafrechtlich verfolgt, aber ›Experten‹ warnen vor Hygienemangel und so Zeug halt. Supper Clubs sind wie Privatrestaurants, du bekommst das Menü, das vom Veranstalter zusammengestellt wird, und na ja, wenn du kommen willst und es noch Plätze gibt und du bereit bist, eine gewisse Summe zu bezahlen, bist du dabei. Die Köche, die das machen, haben meistens keine Lizenzen und das verbreitet sich meist nur über jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der das veranstaltet. Aber ich war bis jetzt nur bei Mimis Supper Clubs. Das ist ziemlich aufwendig und alles, aber sie probiert beim Kochen gern neues Zeug aus und mag es, Gesellschaft zu haben. Mimi hat mal erzählt, dass es wohl in Berlin beinahe zu einem Trend aufgestiegen ist.« »Ehrlich gesagt, ich hab noch nie etwas von Supper Clubs gehört«, gestand Raphael. Er betrachtete zufrieden, wie die gelbe Ganze in die Tasche fiel, ehe er mich anschaute. »Aber wenn es nur ums Essen geht, dann kannst du doch rein theoretisch auch ins Restaurant gehen und da etwas vom Profi bekommen und das unter Umständen günstiger.« Ich zuckte die Schultern. »Es geht ja nicht nur ums Essen, es geht auch um die Gesellschaft und dass Leute zusammen kommen und sich unterhalten. Das müssen nicht einmal unbedingt Freunde sein. Dabei kann man auch interessante neue Leute kennenlernen. Und was das Essen betrifft: Du bekommst schon ordentlich was geboten. Meistens sind das mehrgängige Menüs, alles voll aufwendig. Mimi plant das immer Wochen im Voraus.« Raphael be-hm-te meine Antwort nur. Dann schwieg er wieder eine ganze Weile, in der er eine weitere Partie gegen sich selbst begann. Inzwischen fragte ich mich, wieso er mich gefragt hatte, ob ich Lust auf Billard hatte, wenn er es augenscheinlich nicht einmal in Betracht zog, mir einen Zug zu gönnen. Ich kam mir vor wie überflüssige Dekoration. Nach diesem Spiel legte er den Queue zur Seite und richtete sich auf. Er trank den mickrigen Rest Cola aus, der noch in seinem Glas war, dann griff er nach meiner leeren Bierflasche und brachte beides zurück zur Bar, ehe er mit dem Pfand zurückkam. Der Abend war also gelaufen. Wunderbar. Wir verließen gemeinsam die Bar, verabschiedeten uns kurz und dann machte ich mich auf den Weg nach Hause. Meine Fresse, Raphael war heute ja ein reißender, schäumender Fluss Glückseligkeit gewesen. Ich hatte immer noch das Gefühl, dass er sauer auf mich war, und obwohl ich mittlerweile die ein oder andere Theorie hatte, weswegen, ließ es mir keine Ruhe. Wenn er ein Problem mit irgendetwas hatte, das ich angestellt hatte, dann konnte er mir das doch sagen, anstatt sich mit mir mehr oder minder den Hintern abzuwischen. Vielleicht sollte ich in seiner Gegenwart nicht mehr von Amita und meinen Dates mit ihr sprechen. Ich lag bereits im Bett, starrte die Decke an und konzentrierte mich auf das Ticken meiner Wanduhr, um nicht an Mimi zu denken, als mein Handy, das neben meinem Kopfkissen lag, zu summen begann. Blindlings griff ich danach und warf einen Blick auf das Display. »Hey«, sagte ich gedehnt. »Hallo«, hörte ich Raphael mit ruhiger Stimme sagen. »Hast du schon geschlafen?« »Nein«, antwortete ich, während ich mich fragte, warum Raphael mich mitten in der Nacht anrief — und das, nachdem wir den ganzen Abend zusammen verbracht hatten und er mich weitestgehend ignoriert hatte. Es blieb eine Weile still zwischen uns. Er hatte also angerufen, um mich wieder anzuschweigen. Irgendwas schien mit ihm eindeutig nicht in Ordnung zu sein. »Ich wollte mich entschuldigen für vorhin«, meinte er dann langsam. »Das war ziemlich blöd von mir. Dass ich nicht mit dir gespielt habe und dass ich dich wegen des Dates so angemacht hab. Eigentlich wollte ich dir das persönlich sagen, aber ich bin mir gerade selbst viel zu peinlich und es ist einfacher, wenn du mich dabei nicht siehst.« Mir blieb fast die Spucke weg. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Damit hatte ich nicht gerechnet. »Schon gut«, meinte ich, als ich meine Stimme wiedergefunden hatte. »Aber wenn ich irgendwas mache, was dich kränkt oder sauer macht, dann musst du mir das sagen. Ich mach’s wirklich nicht absichtlich.« Ich hörte Raphael leise lachen, es raschelte kurz. Es klang, als hätte er sich gerade im Bett unter seiner Decke gedreht. »Ich weiß, Ri«, meinte er. Ich hielt verdutzt inne. Mimis Spitzname für mich aus seinem Mund klang … eigenartig. Wir kamen zwar gut aus und waren einigermaßen befreundet, aber irgendwie … erschien es mir nicht richtig, dass er mich so nannte. Einmal ganz abgesehen davon, dass nur Mimi mich so nannte und nennen durfte. Andererseits klang es auf eine unbestimmte Art und Weise angenehm, wenn Raphael mich so nannte. Im nächsten Moment wurde mir etwas klar: Offenbar hatte ich tatsächlich etwas getan, was Raphael ungnädig gestimmt hatte. Sein »Ich weiß« hatte zumindest so geklungen, aber offensichtlich wollte er mir nicht sagen, was genau ich getan hatte. »Was hat es eigentlich mit Mimi auf sich?«, fragte er dann langsam. Er lenkte mal wieder von sich ab, aber ich ließ ihn. Raphael klang nicht mehr ganz so hart und abweisend wie noch einige Stunden zuvor, scheinbar war er nicht mehr ganz so sauer auf mich. Immerhin etwas. Ich seufzte tief und überlegte, ob es eine gute Idee war, Raphael in die tiefen meiner Gefühlswelt einzuspannen. Aber vielleicht würde er sich mir gegenüber auch mehr öffnen, wenn ich ehrlich mit ihm war. Also antwortete ich ihm wahrheitsgemäß. »Sie ist meine Ex-Freundin.« ___ tbc. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)