Just one week. von Eleven (Between bets and Creek) ================================================================================ Kapitel 4: IV - Donnerstag -------------------------- Kapitel 4 Ich war ein absoluter Fernsehmensch. Sicherlich gab es Menschen, die Fußballspielen zu ihren Hobbys zählten. Oder Fahrradfahren, joggen, chatten, lesen, und, und, und… Bei mir war das anders. Ich würde Fernsehen nicht unbedingt als mein Hobby betrachten, aber dennoch füllte es einen gewaltigen Platz in meiner öden Freizeit aus und irgendwie konnte ich mir nicht so ganz vorstellen, was ich ohne meine heißgeliebte Glotze tun würde. Am liebsten schaute ich mir eine ganz bestimmte Sportwagen Sendung an, deren Name und Inhalt mein ‘stark pigmentierter’ Freund für vollkommen bescheuert hielt und die mich nun schon seit der Grundschule mehr beschäftigte als Gott und die Welt. Aber natürlich schaute ich mir nicht tagtäglich, ununterbrochen nur den ‘roten Renner’ an. Genauso wie alle Anderen hatte auch ich noch nicht mit der sinnlosesten Serie überhaupt abschließen können, die zwei furzende Kanadier zeigte, welche aus unerklärlichen Gründen seit Anbeginn der Zeiten tagtäglich immer das selbe T-Shirt trugen… Aber wie auch immer. Neben diesem Schrott liebte ich eigentlich so ziemlich alles, was im Fernseher so kam, außer diese verweichlichten Liebeschnulzen natürlich. Eine weitere Schwäche von mir waren Horrorfilme. Je blutiger desto besser. Damals hatte ich nie verstehen können, warum Menschen sich so was ansahen, nein viel besser, ich hatte nicht einmal drüber nachgedacht. Dieses Thema war mir einfach so lächerlich vorgekommen und unverständlich, dass es mir schlichtweg egal gewesen war, wie Leute auf solche Ideen kamen. Aber irgendwas schienen diese Streifen etwas an sich zu haben, dass alle Teenager so sehr darauf abfuhren. Mein liebster Horrorfilm stellte ein einziges Massaker dar, die Synchronisierung bestand hauptsächlich aus Schreien, überall lagen Gehirne und Eingeweide rum, Blut hier, Blut dort… Und aus irgendeinem Grund musste ich nun genau an diesen Film denken, als ich mein Mittagessen anstarrte. Von meiner Mutter war ich ja schon keine gute Küche gewohnt, aber dieser Kantinenfraß hier gab mir nun doch irgendwie den Rest. Tatsächlich hatte ich für einen Moment geglaubt, die Hackfleischsoße hätte mir eben noch kurz zugezwinkert… “Könnt ihr bitte aufhören, mich so anzustarren?”, grummelte ich entnervt, während ich meinen Kopf hob und das Essenstablett ein wenig von mir schob. Natürlich hatte ich mit diesem Satz nicht mein im wahrsten Sinne des Wortes ’lebhaftes’ Essen gemeint, sondern zwei ganz bestimmte Personen, mir gegenüber. Zuerst wanderte mein Blick zu meinem besten Freund. Clyde schaute mich an wie ein Unschuldsengel und tat allen Ernstes so, als wäre er bis eben schwer damit beschäftigt gewesen, sich in seinem Löffel zu betrachten. Ich konnte ein Augenrollen nicht unterdrücken und musterte skeptisch die Person rechts neben ihm. Auch Token wollte mir anscheinend weiß machen, dass er absolut gar nicht wusste, was ich denn meinte. Demonstrativ ließ er sein Buch ein wenig sinken, dessen Namen ich nicht einmal vernünftig lesen konnte, so schwer war der Titel, und erwiderte meinen Blick ausdruckslos. “Warum, was meinst du?” Gott, wenn Clyde jemals versuchen sollte, durch Lügen die Welt zu retten, dann würde ich mich freiwillig selbst erschießen. Als hätte ich ihre Blicke nicht auf mir gespürt, fragend, zweifelnd. Den ganzen Tag lang ging das schon. Sie löcherten mich ja förmlich damit! Anscheinend war ihnen an meinem Gesichtsausdruck aufgefallen, dass ich nicht unbedingt zu einer Diskussion aufgelegt war. Meine Fresse, wenn sie mir etwas zu sagen hatten, dann sollten sie das jetzt tun, oder es endgültig vergessen. Denn ganz ehrlich, auf die Dauer wird man richtig paranoid, so beobachtet zu werden… Zu meiner Verwunderung war Token es, welcher nun das Wort an mich richtete. Also war es ernst. “Du legst dich ganz schön ins Zeug für diese Wette”, stellte er fest, ohne dass sich eine Regung in seinem Gesicht zeigte. Gott, das war ihr Problem?! Natürlich legte ich mich ins Zeug, war jawohl auch verständlich oder? “Ist doch klar, oder hätte einer von euch Lust, Cartman, der Tonne, fünfzig Mücken zu servieren?”, gab ich fauchend zurück und ließ meinen Blick noch etwas finsterer werden. Den ganzen Vormittag über hatte ich mit Tweek, dem Freak verbracht. Hatte jede erdenkliche Partnerarbeit mit ihm gemacht und hatte es in jeder Stunde -natürlich rein zufällig- geschafft, neben ihm zu sitzen. Schließlich würde sich der Kaffeejunkie jawohl kaum von selbst in mich verlieben. Und dann nahm ich mir hier einmal eine kurze Auszeit von dem Nervenbündel, da wurde ich auch schon mit sonem Dreck voll gequatscht! Irgendwie machte Token den Eindruck, als wolle er etwas sagen, ließ es dann aber anscheinend doch bleiben. Ich hasste es, wenn er so was tat. Dabei wirkte er immer so scheiße reif und überlegen, als wisse er alles und hätte zu allem den perfekten Kommentar, schien sich aber zu schade um ihn mit uns zu teilen. Und Fuck! Natürlich waren seine Kommentare immer perfekt, der Junge musste nen Gehirn haben, wie nen Elefant Ohren hat! Wütend funkelte ich ihn an, kassierte aber nur diesen schlauer-Denker-Blick von ihm und wusste absolut nicht, was in ihm vorging. Ich glaube sein Schweigen hatte auch ein wenig damit zu tun, da er bemerkt hatte, dass ich auf Streit aus war. Token war seltsamer Weise unheimlich gut, so was aus dem Weg zu gehen, auch wenn er mich damit meistens unbewusst nur noch mehr auf die Palme brachte. Unsere stumme Diskussion musste wohl ganz schön komisch wirken, da Clyde etwas verwirrt seinen Blick zwischen uns hin und her wandern ließ, in der Hoffnung irgendwie mal was anderes als nur ‘Bahnhof’ zu verstehen. “Ach wisst ihr was? F**** euch doch einfach.” Entnervt wie eh und je stand ich auf, als mich eine Hand festzuhalten versuchte. “Craig warte, so war das nicht gemeint! Wir machen uns nur Gedanken und irgendwie… na ja, wir wissen nicht, ob es wirklich so gut ist, dass du so viel Zeit mit dem da verbringst”, murmelte Clyde nun, wobei er ein wenig schneller sprach als sonst. Am Ende seines Satzes klang er richtig verachtend und deutete mit dem Daumen über seine Schulter. Irgendwie hatte ich gar nicht mitbekommen, dass Tweek in die Cafeteria gekommen war. Und als mich dann die Erkenntnis traf, dass Clyde unwiderruflich den Jungen meinte, spürte ich wie ich für einen kurzen Augenblick noch wütender als ohnehin schon wurde. Davon wurde ich jedoch ziemlich schnell abgelenkt. Ein angeregtes Gemurmel flutete die Cafeteria und man musste wirklich so naiv wie Tweek sein, um nicht zu verstehen, dass alle Welt sich auf ihn konzentrierte. Wie so viele Andere starrte auch ich auf die offenen Schnürsenkel seiner Schuhe, welche bedrohlich hin und her flogen, ohne dass er es zu bemerken schien, während er mit panischem Gesichtsausdruck auf einen der leeren Tische zusteuerte. Vielleicht war es auch ein Tisch, an dem zwei, drei Loser saßen, es war mir egal, für mich war der Tisch leer. Außerdem hatte ich nicht sonderlich das Bedürfnis danach, mich jetzt weiter damit zu befassen. Merkte er denn wirklich nicht, dass seine Schuhe offen waren? Wie aufs Stichwort hörte ich ein Zischen vom Tisch neben mir und es brauchte keine drei Sekunden, bis ich die Stimme hatte zuordnen können. “Passt auf, gleich fliegt er, ich sag’s euch! Mann, das wird nen Riesen Spaß!”, feixte das fette Hängebauchschwein neben mir, auch bekannt unter den Namen Wabbelwampe, Fettklos, Fettarsch und Cartman. Ich unterließ es noch einmal zu Tweek zu sehen. Ich wusste nicht warum, aber wieder schien meine Laune um ein paar Oktaven zu sinken und befand sich nun unmittelbar im Keller. “Das ist jawohl nicht euer ernst”, wandte ich mich wieder an Clyde und entriss mich seinem lockeren Griff um mein Handgelenk, “ich kann schon ganz gut auf mich alleine aufpassen, wisst ihr?” Ich konnte nicht verstehen, warum dieses Thema die beiden so unglaublich zu beschäftigen schien, schließlich war das doch meine Sache. Und nur weil ich jetzt nen bisschen Zeit mit Tweek verbrachte, musste das doch nicht zwangsläufig heißen, dass ich nun auch mega auf Kaffee abfuhr, angst vor Unterhosen klauenden Wichteln bekam und zitternd durch die Gegend lief! Mit großen Schritten machte ich mich auf den Weg zu der großen Flügeltür, wobei ich nun fast in Tweek hinein rannte, welcher erschrocken in sich zusammen fuhr und ein lautes ‘C-Craig!’ von sich hören ließ. Zwar war mir nicht danach, aber dennoch fiel es mir gar nicht mal so schwer, ein schiefes Lächeln aufzusetzen. “Nein, der Papst höchst persönlich”, scherzte ich und knuffte ihm freundschaftlich gegen die Schulter. Kurz schaute er mich aus großen Augen an, die ich absolut nicht interpretieren konnte, bis sie etwas fragendes annahmen. Seltsam wie viele Welten zwischen seinem Blick und dem von Clyde lagen, wenn sie doch irgendwie beide das Selbe auszustrahlen schienen. Clyde hatte immer irgendwie etwas spitzbübisches an sich, wenn auch nur ganz gering, was ihn auch nicht weniger sympathisch wirken ließ. Tweek dagegen sah aus wie ein kleines, treudoofes Kind, dass gerade zu verstehen versuchte, woher die Babys kamen. “H-hast du -ngh- hast du gar keinen Hunger? Oder… Oh Gott! Geht’s dir nicht gut?!”, stotterte er, wobei seine Augen noch etwas größer wurden. Kurz lachte ich ganz leicht und schüttelte meinen Kopf, wobei ich meine Hände in den weiten Taschen meiner blauen Jacke verschwinden ließ. “Ne, is alles okay. Ich wollt nur mal eben eine rauchen”, meinte ich und seine Gesichtszüge entspannten sich etwas. “Ach ja, was ich noch fragen wollte: Hast du Lust heute zu mir zu kommen?” Wie vom Blitz getroffen starrte er mich an und brauchte einen kurzen Moment um zu reagieren. Dabei wandelte sich seine Ausstrahlung einmal um 180° weswegen er mich also freudestrahlend ansah. “Meinst du das -gah- ernst?! Also… Oh Gott, total gerne, wirklich! W-wann soll ich denn dann kommen?” Wieder musste ich leicht lächeln, bei seiner überschwänglichen Antwort und zuckte leicht mit den Schultern. Ohne, dass es wirklich gewollt war, musterte ich ihn für den Bruchteil einer Sekunde, stockte aber wieder bei seinen offenen Schuhen. Dabei fiel mir auch erst jetzt auf, wie viele Augenpaare auf uns gerichtet waren. Ich war mir ziemlich sicher, dass es dabei nichts mit mir zu tun hatte, sondern viel mehr damit, was als nächstes mit Tweek passieren würde. Oder über was ich ihn eventuell in Kenntnis setzen könnte… Fast hätte ich gedacht von einem der hinteren Tische so was wie ‘wehe er…’ zischen gehört zu haben. “Keine Ahnung, so um vier?”, schlug ich vor und war schon dabei weiter zu gehen, als ich mich doch noch einmal zu ihm umdrehte, “Ach, ähm Tweek?” Zwei kaffeebraune Augen richteten sich auf mich und… es blieb still. “…ach schon gut. Wir sehen uns gleich in Mathe.” Ein seltsames Gefühl von Taubheit breitete sich in mir aus und die nächsten Sekunden kamen mir so vor, als würde ich sie nicht selbst miterleben, sondern mehr, als hätte mir nur jemand davon erzählt. Ein kurzer und erschrockener Schrei hinter mir durchzuckte die Cafeteria. Als man kurz darauf den dumpfen Aufprall eines schmächtigen Körpers und eines Tabletts auf dem Boden hörte, hatte ich bereits die Tür erreicht und verschwand durch diese, wobei man noch im Flur dahinter das polternde Lachen vieler Schüler vernehmen konnte. Vielleicht hätte ich Tweek sagen sollen, dass seine Schnürsenkel offen waren. Und Jesus, für den Bruchteil einer Sekunde war ich ja sogar drauf und dran gewesen, ihn daraufhin zu weisen. Warum ich es letzten Endes nun doch nicht gemacht hatte, wusste ich nicht genau. Jeder hatte sich denken können, dass es nur eine Frage der Zeit gewesen war, wann er hinfallen würde. Die hatten es alle gewusst, und nur darauf gewartet. ICH hatte es gewusst und ihn ins offene Messer laufen lassen. Trotzdem bereute ich es nicht, was vielleicht auch gerade an diesem ernüchternden Gefühl lag, welches mich so sehr einnahm. Vielleicht wusste ich doch, warum ich Tweek nicht geholfen hatte. Ich hätte mich selbst auch unbeliebt gemacht - unbeliebter als ich sowieso war - und warum bitte sollte ich das tun? Warum so werden, wie Tweek? Am Ende würden Clyde und Token noch recht haben und das konnte ich unter keinen Umständen zulassen. Und mal ganz ehrlich, wem gefiel schon der Gedanke, unbeliebt zu sein, wegen eines blöden Fehlers? Tweek würde nicht wissen, dass ich ihn hätte warnen können. Somit hatte ich ihn nicht enttäuscht, was schlecht für meine Gewinnchancen bei der Wette gewesen wäre. Alles war gut, ich hatte das Richtige getan. Die Nüchternheit aber hielt komischer Weise noch eine ganze Weile an und ließ es nicht zu, dass ich mich weiter wütend fühlte, oder sonst was. Ich fühlte… befriedigende Leere. * “Craig? Bist du das?” Innerlich seufzend ließ ich meine Schultern etwas sinken, mein angespannter Gesichtsausdruck nahm etwas enttäuschtes an, das spürte ich ganz deutlich. Sonst gelang es mir eigentlich immer ganz gut, unbemerkt ins Haus zu kommen und direkt nach links, die Treppe hoch zu verschwinden. Ich mochte diese typischen Familienbegrüßungen nicht sonderlich und ging ihnen daher lieber aus dem Weg. Auch wenn ich mir eigentlich ziemlich sicher war, dass eine Begrüßung bei uns niemals so sein würde, wie bei anderen. Bei Token und Clyde hatte ich mitbekommen, wenn sie ihre Eltern begrüßten oder umgekehrt, dass alles irgendwie Herzlichkeit ausstrahlte. Sie nahmen sich in den Arm, küssten sich auf die Wange, was auch immer… Ich hatte nie versucht mir das bei mir und meiner Familie vorzustellen, vielleicht weil das auch gar nicht möglich war, ich wusste es nicht. Vielleicht mochte ich diese typischen Familienbegrüßungen ja auch einfach nicht, gerade weil ich mir so sicher war, dass sie bei mir niemals so normal und perfekt sein würden, wie bei anderen. Egal, zurück zum Thema. Auf jeden Fall war es mir heute nicht gelungen, mich ohne Aufsehen zu erwecken in mein Zimmer zu verkrümeln. Noch im selben Moment als ich meinen Kopf etwas zur Seite drehte, konnte ich meine Mutter um die Ecke kommen sehen. Ich denke, meine Mutter ist einmal eine ziemlich hübsche Frau gewesen. Nicht, dass sie jetzt hässlich war, oder so. Sie hatte blonde, lange Haare. Eine schöne Haut, war schlank, trug immer dieses schüchterne Lächeln im Gesicht, das gleichzeitig immer etwas verwirrt wirkte. Dennoch fehlte etwas in ihrem Gesicht. Die Lebensfreude war nirgendwo zu erkennen, auch das sanfte Glitzern in ihren Augen fehlte. Sie wirkte einfach nicht wie eine Mutter, die gerade ihren einzigen Sohn begrüßte. Viel mehr wie eine traurige Hausfrau, die es sich nicht gestattete, mehr von ihrem Leben zu erwarten, es gleichzeitig aber durch ein Lächeln überspielen wollte, um ihren Kindern und ihrem Ehemann kein schlechtes Gewissen zu bereiten… Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn ich sie einfach einmal umarmt hätte, um ihr zu zeigen, dass sie geliebt wurde. Aber dann wäre ich nicht ich. “Craig, da hat so ein Junge angerufen… ähm… Kurt, glaube ich”; murmelte sie nachdenklich und legte sich demonstrativ einen Zeigefinger an ihre Unterlippe. Als sie weiter in meiner Nähe stand, konnte ich den Geruch nach verbranntem Essen vernehmen und mein Magen zog sich unweigerlich etwas zusammen. Ob nun vor Ekel oder Hunger wusste ich nicht. Was ich aber wusste, ich würde das Zeug definitiv nicht anrühren. Zwar hatte ich schon in der Mittagspause nichts gegessen, aber ich war mir ziemlich sicher, oben noch irgendetwas in meinem Zimmer zu haben. Was in diesem Haushalt eindeutig von Vorteil war, wenn man nicht an Lebensmittelvergiftung sterben wollte… “Kurt? Oder meinst du Clyde?” Eigentlich hätte ich mir die Frage sparen können, da ich mir eigentlich hundertprozentig sicher war, dass es mein bester Freund gewesen war. “Wer?” “Clyde. Clyde Donovan. Hat der angerufen?” Kurz blinzelte sie mich verwirrt an, als ihr ein Licht aufzugehen schien. “Ah ja, genau der! Karl, Karl hat angerufen! Er meinte ich soll dir sagen, dass du zurückrufen sollst”, stolz lächelte sie, und schien meinen Gesichtsausdruck gar nicht zu bemerken, den ich nur krampfhaft unter Kontrolle behalten konnte. Irgendwann würde ich noch mal ausflippen… “Danke, Mum…”, seufzte ich nachgiebig und wandte mich dann wieder zum Gehen. Es würde eh keinen Sinn machen, das ging eigentlich schon so lange so, wie ich denken konnte. Eigentlich aber schon ein wenig traurig, dass sich meine Mutter immer noch nicht den Namen meines besten Freundes merken konnte, wobei ich diesen doch nun schon seit der Grundschule kannte und auch nicht selten mit nach Hause brachte. Aber es war mir egal, ehrlich. * Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn als ich durch das zaghafte Pochen an meiner Tür geweckt wurde, fand ich mich in meinem Bett wieder und ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits viertel vor vier war. Schläfrig und immer noch nicht in Höchststimmung setzte ich mich also auf und fuhr mir kurz durch die Haare, bevor ich gänzlich aufstand und die Tür öffnete. Der Anblick war für mich im ersten Moment ein wenig verwirrend, da ich einen Moment brauchte um zu verstehen, was Tweek hier zu suchen hatte. Aber natürlich viel mir sofort wieder die Situation aus der Cafeteria ein, wo ich Tweek zu mir eingeladen hatte… Meine Mutter, die ihm anscheinend die Tür geöffnet hatte, blickte mich etwas verwirrt - verwirrter als sonst - an. “Craig, du hast Besuch, ähm…”, unsicher wanderte ihr Blick zu Tweek und ich glaubte zu wissen, dass das nicht daran lag, weil er ihr fremd erschien. Meine Mundwinkel sanken ein ganzes Stück weit, als ich nach Tweeks Ärmel griff und ihn zu mir ins Zimmer zog. Irgendwie machte mich das gerade ein wenig ärgerlich. Nicht dass Tweek da war. Auch nicht, dass meine Mutter ihn anscheinend bereits als Freak identifiziert hatte. Sondern viel mehr, dass es mir nicht gefiel, was sie in ihm zu sehen schien. Eigentlich sollte mich das gar nicht interessieren, trotzdem verspürte ich den plötzlichen Drang dazu, meine Mutter wieder los zu werden… “Danke”, war die knappe und eher rhetorische Antwort, als ich die Tür auch schon wieder schloss und die blonde Frau somit aussperrte. Sollte sie von Tweek doch denken was sie wollte, sie würde ihn wahrscheinlich eh nie wieder bei mir antreffen. Zumindest nicht, nachdem diese Woche zu Ende war. Wie bestellt und nicht abgeholt stand Tweek etwas ratlos in meinem Zimmer und zupfte an dem Saum seines Hemds, während er seinen Blick langsam über meine klägliche Einrichtung wandern ließ. “D-deine Mutter… uhm… wirkt sehr nett”, stotterte er vorsichtig und ich wusste, dass es rein aus Höflichkeit gelogen war. Das lag nicht an der Tatsache, dass Tweek in dieser Sache eine genauso große Niete wie Clyde zu sein schien, sondern viel mehr, weil meine Mutter gerade alles andere als ‘wirklich sehr nett’ gewirkt hatte. “Wie man’s nimmt…”, seufzte ich und fühlte mich genauso fehl am Platz, wie Tweek gerade aussah. Irgendwie schien mein Satz für ihn keinen richtigen Sinn zu ergeben, oder zumindest sehr verwirrend zu sein, da er mich nun etwas unverständlich ansah und seine Position somit lockerte. “Magst… du -nhg- deine Mutter etwa nicht?” Ein Schulterzucken meinerseits. “Keine Ahnung… wahrscheinlich nicht so sehr, wie ich sollte.” Tweeks Kaffeeartige Augen wurden etwas größer. Natürlich verstand er nicht was ich meinte, seine Mutter konnte man nicht mit der meinen vergleichen, auch wenn sie in Tweek wohl ebenfalls einen kleinen, freundlosen Freak sah, wenigstens schien sie ihn echt gern zu haben. Das hatte mir der gestrige Nachmittag definitiv bewiesen. “A-aber es ist doch -gah- doch deine Mutter!” Mir wurde ziemlich schnell bewusst, dass ich da wohl gegen eine Wand redete, oder es zumindest tun würde, wenn ich versuchte ihm zu erklären, was der Unterschied zwischen seiner Mum und meiner war, dass nicht alle Mütter ihren Sohn mit einem Küsschen und der Bezeichnung ‘Schatz’ begrüßten und sich abartig dolle freuten, wenn dieser Besuch mitbrachte. Als Antwort ließ ich ein resigniertes Seufzen von mir hören und beendete somit das Thema. Ich hatte keine Lust mich weiter darüber zu unterhalten und Tweek schien das zu verstehen. Trotzdem änderte das aber nichts an der Tatsache, dass wir nun wieder stillschweigend in meinem Zimmer herum standen und ganz offensichtlich nichts mit uns anzufangen wussten. “Lass uns rausgehen…” * In South Park herrschten über das Jahr hinweg nur zwei Jahreszeiten. Winter und Juli. So seltsam es sich auch anhören mochte, das war die reine Wahrheit. Eigentlich lag das ganze Jahr über weißer Schnee, egal wohin man sah. Man konnte das hinnehmen wie man wollte, am Ende änderte sich doch nichts daran. Es war lustig zu beobachten, wie unterschiedlich die Meinungen darüber waren und besonders, welches Muster sich daraus erkennen ließ. Die Kinder fanden den Schnee zum Großteil toll. Für sie war er noch etwas Besonderes, sie konnten mit dem Schlitten fahren, Schneemänner bauen, auf den zugefrorenen Seen rund um South Park Schlittschuhlaufen, sie konnten sich Taschengeld verdienen, indem sie Einfahrten frei schaufelten, so wie wir früher, und, und, und. Die Erwachsenen mochten den Schnee vielleicht nicht unbedingt, akzeptierten ihn aber. Sie hatten sich daran gewöhnt. Sie wären alt genug um weg zu ziehen, falls sie das gefrorene Wasser nicht mehr ertragen könnten, haben sich aber sichtlich damit abgefunden, dass es hier einfach so war, wie es war. Einige mochten den Schnee vielleicht sogar, das waren dann aber bestimmt solche Leute, die Zuhause arbeiteten, oder gar nicht. Die nicht jeden Morgen in der Früh raus mussten, in die eisige Kälte um zur Schule zu gelangen. Wo wir auch schon bei der dritten Gruppe wären, zu der Tweek ich und zählten. Hier war es schwieriger eine umfassende Einstellung gegenüber des Schnees erkennen zu können. Einige wenige mochten ihn vielleicht, von dem Großteil aber hörte man, dass sie ihn als lästig empfanden. Als Teenager war man zu alt um Schlitten fahren zu gehen, jedoch zu jung um eigenständig in eine wärmere Umgebung zu ziehen. Der Schnee war über die Jahre nervig geworden, hatte keinen Reiz mehr. Das Streusalz und die ständige Nässe auf den Wegen versaute lediglich Hosensaum und die neuen, teuren Schuhe, von denen man sich mehr versprochen hatte, als dass sie bereits nach kürzester Zeit erneuert werden müssten. Dabei entwickelte jeder noch eine eigene Note zu seiner Meinung. Butters zum Beispiel war viel zu optimistisch, als dass er Schnee jemals schlecht heißen würde. Bebe verfluchte das weiße Zeug hingegen jeden Tag aufs Neue (anscheinend ebenfalls wegen der Sache mit den Schuhen…). Mir war der Schnee relativ egal. Er nervte, klar. Aber wie schon gesagt, ich konnte ja doch nichts daran ändern. Und weil ich Leute hasste -solche wie Bebe- die sich immer und immer wieder über das selbe Thema ausließen, hatte ich damit begonnen, mich einfach damit abzufinden und mich im Stillen darüber zu ärgern, ohne jemandem dabei auf die Nerven zu gehen. Naja, solange man von der dadurch entstehenden schlechten Laune absah, über die sich Clyde so oft aufregte… Neben mir ließ Tweek ein kleines Niesen von sich hören, noch bevor wir überhaupt richtig draußen waren, welches ich eigentlich als süß bezeichnet hätte, wäre es von einem Mädchen und nicht von Tweek gekommen. Ich sparte mir ein ‘Gesundheit’ und lächelte ihn stattdessen etwas schief an. Ich denke mein Blick signalisierte das selbe, denn kurz darauf bildete sich auch auf Tweeks Gesicht ein winziges Lächeln. Es sah fast so aus wie dieses, welches mir schon in den beiden vergangenen Tagen aufgefallen war, nur dass es jetzt einen gewissen Touch von peinlicher Berührtheit aufwies. Die Luft welche uns entgegen kam, war nicht annähernd so kühl wie sonst. Man konnte also deutlich spüren, dass die Tage so langsam immer wärmer wurden. Das zeichnete sich aber auch auf sichtbare Weise ab. Tagsüber war es nun immer warm genug, dass der Schnee anfangen konnte zu schmelzen. Erst nachts begann das dadurch entstehende Wasser wieder zu gefrieren und bildete eine Spiegelglatte Oberfläche auf den Gehwegen. Mit vorsichtigen Schritten betraten der Kaffeejunkie und ich den kleinen Gehweg, welcher von meinem Haus zur Straße führte, quer durch unseren mickrigen Vorgarten. Die ganze Zeit hatte ich in Gedanken darüber philosophiert, wie der Schnee hier bei den Einwohnern ankam und erst jetzt fragte ich mich, wie Tweek wohl zu dem Thema stand. Sicherlich fand er das Zeug ganz toll, so wie dieser schwule Brite und Butters. Eigentlich hätte ich mich damit auch zufrieden geben können, aber jetzt wo mir der Gedanke schon mal gekommen war, bin ich wohl neugierig geworden. Außerdem war es eh viel zu still nach meinem Geschmack. Ich hasste es zwar selbst Gespräche zu beginnen und war daher froh, dass Clyde so eine Plaudertasche war, dass er meistens ununterbrochen redete, aber trotzdem. Stille fand ich eben noch schlimmer. “Tweek, wie findest du Schnee?” Er musste mich wohl für vollkommen bescheuert halten, das spürte ich auch ohne den Blick vom Boden zu heben. Sicherlich hatte er das Gesicht in meine Richtung gedreht, schaute mich an als wäre ich von einem anderen Stern oder so und würde mich gleich auslachen für diese… na ja seltsam klingende Frage eben. Zu meiner Verwunderung traf das aber nicht ein und ich hob doch noch meinen Kopf um seine Reaktion sehen zu können. Tweek schaute ebenfalls auf den Boden, wirkte dabei aber nicht abwesend sondern aufmerksam. Man konnte erkennen dass er über meine Frage nachdachte, zumindest sah es für mich so aus, und antwortete mir fast noch im selben Moment als ich glaubte, er hätte mich vielleicht gar nicht gehört. “Ich -gah!- mag Schnee nicht… generell den Winter!” Es war lustig Tweek zuzuhören. Obwohl er irgendwie betrübt klang, schien seine Stimme immer noch so überdreht und panisch. Ich schätze mein Blick wurde fragend, als ich nichts darauf zurück gab, denn er schaute mich nur ganz kurz an, richtete dann sofort wieder seine Augen auf den Boden und stotterte weiter. “Es ist viel -ngh- v-viel zu glatt! Ich… ich werde irgendwann noch mal ausrutschen und… Oh Gott! Was wenn ich dann auf meinen Kopf falle oder… oder wenn ich mir was breche?!” Panisch griff er sich in die Haare. Jetzt wusste ich, warum er die ganze Zeit auf den Boden starrte. Tweek hatte einfach nur angst auszurutschen, was aber auch kein Wunder war, bei dem glatten Untergrund. “Das wird schon nicht passieren”, gab ich amüsiert von mir und vergrub meine Hände noch tiefer in den Taschen. Doch auch wenn Tweek mit seinen Überlegungen vielleicht ein wenig übertrieb, bekam ich eine Art Gewissensbisse. Ich hatte einfach entschieden, dass wir rausgehen würden, ohne ihn überhaupt nach seiner Meinung zu fragen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir drinnen geblieben wären, wenn ich es gewusst hätte. Der Gedanke daran, so sehr auf Tweek Rücksicht zu nehmen gefiel mir nicht unbedingt, aber das änderte trotzdem nichts an meinem aufkommenden schlechten Gewissen. Zögernd blieb ich stehen, als wir fast die Gartenpforte erreicht hatten, was Tweek ebenfalls zum Stehen brachte und er mir einen verwirrten Blick zuwarf. “Hmm… warte”, war meine einzige Erklärung, woraufhin ich mich um wandte und nicht zurück zur Haustür ging, sondern mich auf den Weg zu unserem Hinterhof machte. Ich hatte nicht wirklich gemeint, dass Tweek genau dort stehen bleiben sollte und war daher froh, als ich bemerkte, dass er mir unsicheren Fußes folgte. Unser Hinterhof, oder Garten, wie auch immer, war nicht sonderlich groß. Etwas mittig stand eine Schaukel, die meiner jüngeren Schwester gehörte. Weiter hinten befand sich ein kleiner, rechteckiger Schuppen, in dem sich über die Jahre alles mögliche an Gartenutensilien angesammelt hatte. Außen am Zaun entlang wuchsen ein paar Pflanzen, die aber wegen des ständigen Schnees eher kläglich wirkten. Mein Vorhaben schien vielleicht etwas lächerlich, aber irgendwie war mir gerade so danach gewesen und ich machte mir keine wirklichen Gedanken darum, mich vor Tweek blamieren zu können. Schließlich war er hier der Außenseiter und nicht ich. Ich hatte das Gefühl das wieder gut machen zu müssen, dass ich ihn hier einfach mit nach draußen geschleppt hatte, obwohl er den Winter doch nicht leiden konnte. Kein Wunder, dass er mich ziemlich durcheinander ansah, als ich anfing eine kleine Fläche Rasen vom Schnee frei zu schaufeln, bis kein Flecken weiß mehr zu erkennen war. Irgendwann war das Stück so etwa drei mal drei Meter groß - genug wie ich fand - weswegen ich die Schneeschippe achtlos in den Schnee ein paar Meter weiter weg warf und zufrieden mein Werk betrachtete. Ein Blick zu Tweek verriet mir, dass er noch immer nichts mit meiner Aktion anzufangen wusste. Unschlüssig kam er auf mich und mein Ergebnis zu, hockte sich vorsichtig hin und strich mit den Fingerspitzen über das grüne Gras. “Wie im Frühling”, gab ich als Erklärung von mir, als er leicht den Kopf hob und mich immer noch fragend angesehen hatte. Zur Demonstration zog ich mir meine Jacke über den Kopf, so dass ich nur noch ein T-Shirt trug, trat auf die kleine Rasenfläche und legte mich dort hin, wobei ich die Arme unter meinem Hinterkopf verschränkte und so tat, als würde ich die Sonnenstrahlen genießen. Das brachte Tweek leicht zum Lachen und ich fand, dass sich das gar nicht mal so schlecht anhörte, auch wenn es Tweek war. Ich hatte eigentlich immer gedacht, dass seine paranoide Art so was nicht zulassen würde, umso überraschter war ich also, das klingelnde Geräusch von ihm zu hören. Es war tatsächlich noch recht frisch, so freizügig bekleidet, aber es störte mich nicht sonderlich. Ich brauchte Tweek nicht erst aufzufordern, er verstand von selbst dass ich das hier gerade für ihn gemacht hatte, so bescheuert es auch klingen mochte. Er schien zwar zu ahnen, dass es noch kühl war und zog sich daher nicht auch aus, aber trotzdem tapste er ebenfalls vorsichtig auf das Grün und legte sich dann neben mich, hielt die Arme eng anliegend an seinem Körper und starrte in den blauen Himmel. * Gras. Gras unter meinen Fingern. Weiches Gras, das noch ganz nass war, von dem Schnee welcher es bis eben bedeckt hatte. Wind strich über mein Gesicht, meinen Hals, meine freien Arme, meine Handrücken. Kalt fühlte er sich an, aber nicht unangenehm. Ein leichter Schauer prickelte auf meiner Haut. Mit dem Blick gen Himmel gerichtet konnte ich sehen, wie die Wolken gleichmäßig dahin getragen wurden und einen nicht enden wollenden Himmel freigaben. Das sanfte Atmen neben mir wirkte genauso beruhigend wie alles andere auf mich, während es die Stille durchbrach. Obwohl… nein, das war wohl der falsche Ausdruck. Es durchbrach die Stille nicht, es passte sich ihr viel mehr an, verschmolz mit der anhaltenden Harmonie. Ein winziges Lächeln bildete sich auf meinem Gesicht, als ich daran dachte. Normalerweise klang Tweeks Atmung nicht so. Es war nicht wie dieses zitternde Geräusch, als er gestern neben mir gesessen hatte in der Hoffnung, seine Hausaufgaben zu schaffen, wobei er nur mehr Selbstvertrauen gebraucht hätte. Es klang auch nicht wie dieses nervöse Geräusch von vorhin, als ich in der Stunde neben ihm gesessen hatte. Es klang einfach… ganz ruhig. Ich fragte mich, ob sein Gesichtsausdruck wohl gerade dazu passte, zu seinen gleichmäßigen Atemzügen meine ich. Denn um ehrlich zu sein konnte ich es mir nicht vorstellen. So sehr ich es auch versuchte, noch nie hatte ich Tweek in einer Situation erlebt, von der ich hätte behaupten können, er mache auf mich einen beruhigenden Eindruck. Die Frage wie er wohl gerade aussah ließ mich nicht mehr los und ich konnte gar nicht anders als langsam meinen Kopf zu drehen, bis ich auch an meiner kühlen Wange ein paar feuchte Grasspitzen spüren konnte, die mich leicht kitzelten. Mein Blick war erst gesenkt, ich tastete mich von Tweeks abgelaufenen Turnschuhen, über seine Beine zu seiner Hüfte. Anders als bei mir -ich hatte die Arme noch immer unter meinem Kopf verschränkt- lagen Tweeks Hände immer noch dicht an seinen Körper gepresst, wirkten aber lange nicht mehr so angespannt wie vorhin. Seine Hände zitterten auch nicht, so wie sonst. Sie lagen ganz ruhig da und hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich nun sicherlich gedacht, dort neben mir läge nicht mehr Tweek. Der Kaffeejunkie hatte sein Gesicht ebenfalls in meine Richtung gedreht, aber ich glaubte zu wissen, dass er mich schon viel länger angeschaut hatte, als ich ihn jetzt, da ich vorher kein Geräusch gehört hatte, welches sich darauf zurück schließen hätte lassen, er habe sich bewegt. Unbewegt schaute ich ihn an, musterte sein Gesicht und war erstaunt darüber, dass es wirklich zu dem Geräusch seiner Atemzüge passte. Tweeks ohnehin kindliche und sanfte Gesichtszüge waren ganz entspannt, nicht so panisch wie sonst, als müsse er sich darauf vorbereiten, dass in jeder nächsten Sekunde alles Mögliche passieren könnte. Seine Augen glichen immer noch zwei großen Tassen dunklen Kaffees, spiegelten aber keinerlei Emotionen wieder. Entweder dachte der Blonde gerade tatsächlich an absolut nichts, dass sich in ihnen hätte zeigen können, oder er war unheimlich gut darin es zu verbergen. Ich schätze ich machte in diesem Moment einen ziemlich ähnlichen Gesichtsausdruck, zumindest fühlte es sich so an. Kaum zwanzig Sekunden hielt mein Gegenüber aus, ehe er den Blickkontakt unterbrach und stattdessen seine Aufmerksamkeit einem Gänseblümchen widmete, dass direkt neben ihm aus dem Gras ragte. “Warum…?” Ich hätte nie gedacht, ein so klares und flüssiges Wort mal von dieser Stimme gesprochen zu hören. Nichts war zu hören von dem sonstigen Gestotter, dem Genuschel… Aber gut, es war ja wie gesagt auch nur ein einziges Wort gewesen. Das war das erste woran ich dachte, als Tweek seine nicht sonderlich umfangreiche Frage aussprach. Erst dann begann ich mir Gedanken über den Sinn seiner ’Frage’ zu machen, zog nachdenklich eine Augenbraue in die Höhe und schaute ihn weiterhin an. Eine knappe halbe Stunde hatten wir hier einfach so in unserem selbst erschaffenen Frühling verbracht, die Ruhe genossen -zumindest ging das mir so. Während dieser Zeit hatten wir kein Wort gewechselt. Was also meinte er mit ‘warum’? Ich versuchte mich daran zu erinnern, über was wir vorher gesprochen hatten, konnte mir aber keinen Reim darauf machen. “Warum, was?” Es fühlte sich nicht danach an, als hätte ich geantwortet. Viel mehr als wäre es jemand von weit weg gewesen. In meinem Kopf duselten einzelne Gedanken umher, ohne wirklich eine klare Form anzunehmen, bis auf einen. Vielleicht hätte ich es leugnen sollen, aber Tweek wirkte gerade unheimlich interessant auf mich. Wahrscheinlich gerade weil er mir absolut keinen Anhaltspunkt auf das gab, was gerade in ihm vorging. Sonst konnte man das immer. Entweder wirkte er ängstlich, paranoid, oder verletzt und einsam… es gab unglaublich viele ‘Tweeks’ wenn man das so nennen wollte, aber dieser hier war mir absolut fremd. Natürlich hatte er noch immer eine etwas melancholische Art an sich, wie eine Aura oder so was, aber das gehörte nun mal zu ihm. Tweek wäre er nicht Tweek, würde er nicht diese unglaubliche Verletzlichkeit ausstrahlen. Gleichzeitig fragte ich mich, ob er öfter so war wie jetzt, und wenn ja, ob es mir einfach noch nie wirklich aufgefallen war. Es hörte sich sicherlich dumm von mir an, dass mir gerade so was durch den Kopf ging, jedoch schämte ich mich auch nicht dafür. Ich schaffte es die Tatsache, dass ich Tweek gerade für interessant empfand, dass ich aus ihm schlau werden wollte, darauf abzuwälzen, dass es für die Wette von Nöten war. Ich musste ihn doch irgendwie kennen, um ihn zu irgendetwas zu bringen, oder? Ich wusste, dass das gelogen war. Ich wusste auch, dass ich mir nichts vormachen konnte, nicht in diesem Punkt, und trotzdem war ich zu stolz, als dass ich es hätte zugeben können. Jesus, schließlich war das hier immer noch Tweek Tweak, der neben mir lag. Ganz kurz hob der Junge seinen Blick, schaute mich an und widmete sich dann wieder dem kleinen Blümchen, dass so schrecklich einsam wirkte, zwischen den grünen Halmen. “Naja, warum du das alles machst… weil…”, drei, zwei eins, “Gott! I-ich meine, seit wann redest du plötzlich mit mir? Und seit wann -gah- seit wann hilfst du mir bei den Hausaufgaben?! U-und warum lädst du mich zu dir ein?! Oh Gott, das -ngh- das ist doch nicht normal, oder?! Vielleicht w-willst du mich ja… oh Gott! Vielleicht willst du mich töten und dann… w-wenn du das vorhaben solltest, würdest du mir das dann -gah- das dann vorher sagen?!” Es tat mir ein wenig leid, aber ich konnte gar nicht unterdrücken, dass sich auf meinem Gesicht ein breites Grinsen bildete. Es war so typisch für Tweek, dass er so was von sich gab. Ein Wunder dass ich nicht von selbst darauf gekommen war. Aber trotzdem musste ich mir nun überlegen was ich ihm wohl am besten sagte. Die Wahrheit ging jawohl schlecht. Ein noch größeres Wunder war es aber, dass mir ausgerechnet dieser Gedanke in den Sinn gekommen war. Als ob ich Tweek jemals die Wahrheit sagen würde… Das tiefbraune Augenpaar schaute mich verstört blinzelnd an, zuckte aber immer wieder in eine andere Richtung, als wäre es ungesund, jemand anderes länger als zwei Sekunden in die Augen zu schauen. Ich tat Tweek den Gefallen und drehte mein eigenes Gesicht wieder so, dass sich der blaue Himmel vor mir ausbreitete. Ich musste kurz nachdenken, gleichzeitig gab ich dem Jungen somit etwas Zeit, um wieder herunter zu fahren. “Hmm… warum denn nicht?” Ich wusste nicht mit welcher Antwort ich gerechnet hatte, eigentlich mit gar keiner. Wer rechnete auch mit einer Antwort, versuchte sie herauszufinden, wenn man sich sicher war, sowieso in ein paar Sekunden die Richtige zu bekommen. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte mit irgendetwas gerechnet, dann wäre ich vorbereitet gewesen. Andererseits hätte ich auch nicht gedacht, dass Tweeks Antwort sich derartig auf mich auswirken würde. Irgendwie traf es mich wie ein winziger Stromschlag, zeckte etwas, wie man sagte. “Weil ich ein Freak bin.” Wieder erstaunte es mich, mit welcher Festigkeit er diese Worte herausbrachte, ohne sich auch nur einmal zu verhaspeln. Anscheinend war er in dem Punkt wohl ziemlich überzeugt von der Richtigkeit seiner Worte. “Ich finde dich interessant.” “Weil ich anders bin?” “Weil du besonders bist.” Diesmal war Tweek es, der wohl nicht mit solch einer Antwort gerechnet hatte. Während unserer winzigen Diskussion hatten wir uns beide nach und nach aufgerichtet und schauten uns mit festen Blicken in die Gesichter. Zumindest war es so gewesen, jetzt schaute Tweek wieder mit diesem unerklärlichen Blick hinab auf das Gänseblümchen, dass zwischen uns wuchs. Es war sinnlos und irrelevant, doch trotzdem fragte ich mich, ob er sich wohl mit diesem verglich. Einerseits war es so unauffällig, dass man kaum Kenntnis von ihm nahm. Gleichzeitig aber ein totaler Außenseiter hier, auf dem Flecken Gras… “Und warum… -ngh-… denkst du das?” Jetzt klang Tweeks Stimme zögernd und unsicher. Vielleicht aber auch nachdenklich… ich konnte es nicht genau beschreiben. Es klang nach Tweek eben. Der Tweek, wie er war und anscheinend immer sein würde. “Warum, warum, warum”, seufzte ich und ließ mich wieder hinab ins Gras sinken. Diesmal schloss ich meine Augen. Wollte keinen Himmel sehen, keine Wolken und nicht dieses unschuldige Gesicht von Tweek, der den Eindruck machte, als habe er gerade erfahren Weihnachten würde ausfallen. Wirklich, genauso sah er aus. “Weil es nun mal so ist.” Ich war mir ziemlich sicher somit diese Diskussion gewonnen zu haben, wenn es denn überhaupt eine gewesen war. Und wirklich, kurz herrschte Stille. Aber dann kam wieder so eine Antwort, mit der ich absolut nicht gerechnet hatte. “Du… du kennst mich doch aber g-gar nicht…” Meine Augen öffneten sich reflexartig. Tweek saß noch immer aufrecht, zupfte an den Grashalmen herum, mit gesenktem Blick und sah aus wie ein kleines Häuflein Elend. Und Himmel, jetzt fühlte sogar ich mich schon irgendwie schlecht… als wäre das jetzt meine Schuld oder so. “Dann lass mich dich kennen lernen.” Wieder das selbe wie eben. Kurzes Blinzeln, Blickkontakt, Blinzeln, Tweek starrt wieder auf den Boden. Entweder konnte er da was sehen, was ich nicht sah, oder eben er wich meinem Blick tatsächlich aus. “Was… w-willst du denn wissen?” Es blieb kurz still, während ich darüber nachdachte. Eigentlich dürfte es nicht schwer sein, eine einfache Frage zu stellen, war es ja sonst auch nie gewesen, aber irgendwie war diese gesamte Situation gerade generell nicht so wie 'sonst'. Ich hätte mir wohl am besten Gedanken darüber gemacht, was ich erfahren musste, um Tweek schneller herum zu kriegen. Eine Woche war nicht fiel, dieses Gewicht lag mir durchgehend im Nacken und dennoch fand ich, dass ich bislang ganz gut voran gekommen war. Gleichzeitig hatte ich nicht das Gefühl, Tweek sei mir sonderlich offen. Alleine unser Gespräch eben hatte mir bewiesen, wie er über das alles hier dachte. Er vertraute mir nicht, zweifelte an, ich könnte ihn tatsächlich mögen, oder gar interessant finden. Nein, noch schlimmer, er ging ja sogar davon aus, ich wolle ihn womöglich töten! Vielleicht war es ja auch die Intuition, welche ihn dazu trieb oder einfach die Gewohnheit. Warum sollte jetzt auf einmal, so ganz plötzlich jemand auf ihn zugehen, wenn er sonst immer nur der kleine, verhasste Außenseiter war? Durch meine Überlegungen kam ich also zu dem Schluss, dass ich nun genau zwei Optionen hatte. Ich könnte mit Fragen wie 'was magst du? Was magst du nicht?' eben diese Sachen herausfinden und das Wissen darüber zu meinem Nutzen machen. Anderseits konnte ich versuchen sein Vertrauen für mich zu gewissen, mit Fragen von denen ich mir noch nicht ganz sicher war, wie sie überhaupt zu lauten hatten. Die Entscheidung fiel mir nicht schwer und ich konnte mich wie vorhin schon nicht selbst belügen, wenn ich irgendwie versucht hätte mir einzureden, dieser Entschluss basiere noch immer auf dieser dämlichen Wette. Ich wollte Tweek nicht solch banale Dinge fragen wie 'Was sind deine Hobbys?' und 'Was ist deine Lieblingsfarbe?' (bei Letzterem tippe ich ja sowieso auf braun, oder so was in der Richtung...). Nein, um ehrlich zu sein gewann mein Interesse über den Jungen neben mir und ich versuchte dabei objektiv zu wirken indem ich die Ausrede nutzte, ich müsse sein Vertrauen für die Wette gewinnen. “Hmm... ich frage mich warum du so bist…“, gab ich offen zu und es erstaunte mich, wie überzeugend ich mich selbst dabei fand. Es gab keine Erklärung für Tweeks bescheuertes Verhalten, er war ein Freak und würde immer einer bleiben, oder? Dem Gesichtsausdruck meines Gegenübers nach zu urteilen, hatte er wohl nicht mit dieser Frage gerechnet - wieder mal- sondern tatsächlich mit einer dieser langweiligen Standardfragen. Verdutzt schaute er auf mich herab und runzelte nachdenklich die Stirn. “W-warum willst du das -ngh- wissen?“, stotterte er sichtlich verwirrt. Ich konnte es nicht lassen, meine Augen zu verdrehen -für ihn gut Sichtbar- schließlich war ich es doch, der hier die Fragen stellen sollte und nicht er. Außerdem ging mir dieses ewige ‘warum‘ echt ganz schön auf den Sack. “Weil es mich nun mal interessiert. Du meintest doch selbst, dass ich dich nicht kenne. Also?“ Ich konnte ein kurzes Zögern in seinen Augen aufflackern sehen und erkannte es auch in seiner Haltung wieder. Er zögerte sich mir anzuvertrauen, hatte immer noch angst, ich könnte es irgendwie gegen ihn verwenden oder so. Fast hätte ich mit einem Seufzen aufgegeben, das hier führte ja anscheinend zu doch nichts... Aber eben nur fast. Denn im selben Moment noch war er derjenige, welcher leise und nachgiebig seufzte und ließ sich ebenfalls zurück auf seinen Rücken sinken. Ich folgte seinem Gesicht mit meinem Blick. Tweek schaute ausdruckslos in den Himmel, man konnte erkennen, dass er nachdachte. Seine Hände lagen wieder eng an seinem Körper an, wirkten dieses mal aber wieder so nervös, wie man ihn kannte. Ganz leicht zitterten sie, seine Fingerspitzen zuckten abwechselnd, anscheinend unentschlossen, ob sie sich in das weiche Gras krallen sollten, um dem 'Druck' wie er es immer nannte stand zu halten. “I-ich weiß nicht... ich bin -gah- bin eigentlich schon immer so gewesen, seit ich... also solange ich mich erinnern kann“ Als Tweek sprach, schaute er weiterhin hinauf in den mittlerweile blass-blauen Himmel. Wolken waren kaum noch welche zu sehen, und wenn doch, dann waren sie so leicht zu übersehen, dass sie eigentlich nicht wirklich zählten. Ich blieb ganz ruhig und unterbrach ihn nicht, nachdem er nach wenigen Sekunden fort fuhr und ich das erste Mal in meinem Leben das Gefühl hatte, einen tiefen Einblick in Tweeks Persönlichkeit zu bekommen… ____________________________________________________ Oh gott, es tut mir so leid, dass es so lange gedauert hat :( eigentlich sollte das Kapitel längst oben sein, aber irgendwie gab es einige Komplikationen und bei mir war so schrecklich viel los... aber ich hab die Geschichte nicht vergessen und ich hoffe ihr auch nicht ;) das Kapitel ist ziemlich lang, aber ich hoffe ihr habt trotzdem Spaß am Lesen. Ich werd versuchen mich so schnell wie möglich an den Freitag zu setzen, das ist dann übrigens das Kapitel wodurch diese FF überhaupt erst zustande gekommen ist... aber das werde ich dann noch weiter erklären, auf jeden fall darf man gespannt sein ;D hab euch ganz ganz dolle lieb, wünsche euch schonmal eine frohe Weihnachtszeit, viele schöne Geschenke und einen guten Rutsch :) greezes! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)