Zwischen den Fronten von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 2: Eine große Hilfe --------------------------- „Soll ich es beweisen?“, fragte Kian, als er seinen Kopf hob und dem jungen Mann direkt in die Augen sah, „Dass ich anders bin? Dass ich kein Mensch bin?“ In meiner Wohnung war es still. Dean und ich hielten unserem Atem an. Keiner von und wagte es, auch nur ein Wort zu sagen. Wir starrten Kian einfach nur fassungslos an, zu Recht. Es war lebensmüde von ihm, sein Geheimnis einfach so auszuplaudern, auch wenn es bei Mike sicher in Guten Händen war und er ihm nicht schaden würde. Aber das rechtfertigte es noch lange nicht. So ziemlich jeder andere hätte ihn für diese Worte entweder in die Klapse gesteckt oder ihn in einem Labor eingesperrt. Doch Mike tat das nicht. Er lächelte Kian weiterhin freundlich an. „Kannst du das denn?“ Ohne ein Wort zu sagen, entfernte sich mein bester Freund von uns. Er zog die Gardinen an den Fenstern zu, bevor er das Licht dimmte und sich in den am weitesten entfernten Winkel des Raumes stellte. Deans Bruder beobachtete das sichtbar verwundert, sagte aber nichts. Schweigend sah er Kian zu, abwartend was er als nächstes tun würde. Die Umrisse von Kians Körper verloren ihre Form und nahmen die eines großen Wolfes mit braunem Fell und goldbraunen Augen an. Regungslos stand er an der Wand und beobachtete unsere Reaktionen. Sein verletztes Bein setzte er nicht ab. Dean war einige Schritte zurückgewichen und schaute ihn leicht ängstlich an, während in Mikes Augen die blanke Panik stand. Das Gesicht des Arztes hatte sämtliche Farbe gewichen und er war zu einer Salzsäure erstarrt. Ich seufzte, bevor ich Kian streng in die Augen sah. „Das hast du nun davon...“ Zur Antwort bekam ich ein wütendes Knurren, doch ich ignorierte es und ging auf ihn zu. Ich brauchte keine Angst zu haben, das wusste ich. Kian würde mir nie etwas tun oder mich gar verletzen, wenn man von dem Schlag letzten Monat für meine versuchte Selbstmordaktion absah. Aber den hatte ich auch verdient gehabt... Direkt vor Kian blieb ich stehen und fuhr ihm mit der Hand über die Stirn, sein Fell war warm und weich, wie immer. Mit einem schwachen Lächeln im Gesicht wandte ich mich an die beiden Brüder, bevor ich Dean zu mir winkte. Zögerlich kam er meiner Aufforderung nach und näherte sich Schritt für Schritt mir und meinem besten Freund. „Und er ist wirklich nicht gefährlich?“, fragte er unsicher. Ich schüttelte meinen Kopf. „Kian wird dir nichts tun. Er hat überhaupt keinen Grund dazu. Das heißt aber nicht, dass du ihn nach Lust und Laune ärgern kannst. Wenn es ihm zu viel wird, dann wehrt er sich auch.“ „Und was passiert dann?“, kam es prompt von meinem Klassenkameraden. Obwohl er versuchte, es zu verbergen, hörte man seiner Stimme noch etwas von seiner Furcht an. Ich grinste, bevor ich Kian packte und knuddelte. Es folgte ein wütendes Knurren von seiner Seite und er fletschte die Zähne, mehr aber nicht. Er versuchte weder sich mit Gewalt aus meinem Griff zu befreien, noch unternahm er etwas anderes dagegen. Da ich ihn nicht unnötig ärgern wollte, brach ich nach etwas über einer Minute wieder ab. Sofort verstummte auch das Knurren und Kian legte sich vor mir auf den Boden. Er sah mich noch ein Mal genervt an, bevor er mich keines Blickes mehr würdigte. „Jetzt ist er beleidigt.“, murmelte ich und wandte mich wieder an Dean und Mike. Mein Klassenkamerad griff sich an den Kopf. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du bist lebensmüde. Oder durchgeknallt, je nachdem wie man es nimmt. Jedenfalls laufen normale Menschen vor Werwölfen weg und streicheln sie nicht noch!“ Bei dem Wort 'Werwolf' entwich der Kehle meines besten Freundes ein wütendes Knurren. Zuerst sah ich ihn einige Sekunden lang verwirrt an, bis ich begriff, warum er eben so reagiert hatte. Nur mit Mühe konnte ich ein Lachen verkneifen als ich Dean mit gespielt ernstem Blick ansah. „Was habe ich dir zu dem Wort 'Werwolf' gesagt?“ Mein Klassenkamerad schaute mich zuerst fragend an, bis er nach einer Weile seine Schultern hob. „Keine Ahnung. Hast du dazu überhaupt etwas gesagt?“ Ich seufzte und griff mir an den Kopf. „Gib mir nicht die Schuld, falls es dir ein Mannaro übel nimmt, wenn du ihn so nennst, und dich anschließend in einer dunklen Ecke einen Kopf kürzer macht. Was glaubst du, weshalb ich gesagt habe, du sollst das Wort nicht benutzen, wenn einer von ihnen es hören kann. Für sie ist das eine Art Schimpfwort und sie werden es dir wahrscheinlich sehr übel nehmen, so genannt zu werden.“ Mike und Dean nickten etwas eingeschüchtert, bevor der ältere von beiden sich langsam mir und Kian näherte und uns abwechselnd ansah. „Ihr wusstet es, oder?“ Seine Stimme klang seltsam streng, als er uns diese Frage stellte. „Ja, eine Weile.“, antwortete ihm Dean und senkte seinen Blick. „Alice und ich haben vor ein paar Wochen aus versehen beobachtet, wie Kian sich in einen Wolf verwandelt hat. Alec weiß es schon ziemlich lange davon.“ „Wie lange?“, fragte Mike und schaute mich eindringlich an. „Seit über sechs Jahren.“, entgegnete ich, während ich mit den Schultern zuckte, „Warum fragst du?“ Der Arzt hockte sich neben Kian auf den Boden. Zu meiner Überraschung schien er keine Angst vor ihm zu haben, oder er verbarg sie sehr gut. „Vor einer Weile habe ich ein Buch darüber gelesen. Aber um ehrlich zu sein, bin ich nicht davon ausgegangen, dass sie wirklich existieren würden.“ „Buch?“, fragte ich verwundert. Davon hatte ich noch nie etwas gehört. Neben mir nahm Kian wieder die Gestalt eines Menschen an und sah mich gereizt an. „Was habe ich dir zum Thema persönliches Kuscheltier gesagt?“, kam es wütend von ihm. „Und was habe ich darauf geantwortet?“, konterte ich. Mein bester Freund seufzte - wie es schien, gab er auf - und beantwortete meine Frage. „Es gibt einige Bücher über uns. In den meisten stehen alte Legenden über die verschiedenen Rudel. Aber der Großteil von ihnen ist frei erfunden.“ „Ach so. Das erklärt einiges...“, murmelte ich und schaute Mike bittend an. „Könntest du bitte Kian untersuchen und dich um seine Verletzungen kümmern. „Also eigentlich...“, Der Arzt griff sich verlegen an den Kopf. „Ich weiß nicht, ob ich ihn ordentlich behandeln kann. Wenn es bei dem Knochenbruch und dem zerkratzten Oberkörper bleibt, sollte ich in der Lage sein, ihm zu helfen. Aber ich fürchte, wenn sich herausstellt, dass er schwerer verletzt ist, muss ich einen Spezialisten um Hilfe bitten. Weißt du, ich bin kein Veterinärmediziner…“ Zögerlich schüttelte Kian seinen Kopf. „Ich habe keine weiteren Verletzungen.“ Dann sah er mich mit einem fragenden Gesichtsausdruck an. „Was ist ein Veterinärmediziner?“ „Ein Tierarzt.“, entgegnete Dean lachend und auch ich musste leicht grinsen. Mein bester Freund warf uns einen schmollenden Blick zu. „Sagt das doch gleich. Ihr wisst, dass ich solche Fachbegriffe nicht kenne!“ „Wie auch immer.“ Mike unterbrach uns. „Ich würde euch bitten, mit in die Praxis zu kommen. Ich habe hier nicht die nötigen Mittel, um den Knochenbruch zu behandeln. Er muss geröntgt und wenn du Pech hast, auch noch operiert werden. Dann müsste ich dich ins Krankenhaus überweisen.“ Die Augen meines besten Freundes wurden von Wort zu Wort größer und er sah den Arzt erschrocken an. „D- das geht nicht. Das-“ Deans Bruder seufzte. „Ich weiß. Aber wenn ich das nicht tue, wirst du deinen Arm nie wieder richtig benutzen können. Außerdem ist es noch gar nicht sicher. Vielleicht, mit ein wenig Glück, ist es ein sauberer Bruch und ich kann ihn behandeln.“ Damit schien Kian sich erst einmal zufrieden zu geben, jedenfalls nickte er zögerlich. Mike wandte sich in Richtung Wohnungstür. „Wenn ihr jetzt bitte mitkommen würdet…“ Wir taten, was er von uns verlangte und folgten dem Arzt zu seinem Auto, bevor wir in dieses einstiegen und er uns zu seiner Praxis fuhr. Den ganzen Weg über schwieg Kian und sah verunsichert aus dem Fenster oder starrte Löcher in die Luft. Ich sah deutlich, dass er etwas vor mir verbarg, aber ich fragte ihn nicht danach. Er würde es mir schon noch irgendwann sagen, das wusste ich. Es bestand kein Grund zur Hektik. Außerdem war er schon fertig genug, da musste ich die Situation nicht noch verschlimmern. Nach etwa einer halben Stunde verließen wir das Fahrzeug wieder und betraten gemeinsam mit Mike die Arztpraxis, wo er Kian gleich in das Behandlungszimmer schob. Dean und ich wollten den beiden folgen, da ich meinen besten Freund jetzt nicht allein lassen sollte. Er hatte Angst, das wusste ich. Man konnte es ihm ansehen. Doch gerade als ich das Behandlungszimmer betreten hatte, wurde ich von Kian wieder rausgeworfen. Er sah mich dankerfüllt an, bevor er seinen Kopf schüttelte. „Lass nur. Du brauchst nicht… Ich komme schon klar.“ Ich nickte. „Wenn du meinst… Sag Bescheid, falls du deine Meinung änderst. Ich bin mit Dean drüben im Wartezimmer.“ Zur Verstärkung deutete ich auf die Tür von diesem. „Geht klar.“, meinte Kian als ich das Zimmer verließ und mich auf einen der Stühle im besagten Zimmer setzte. Kurz warf ich Dean, der es mir gleichtat, noch einen dankbaren Blick zu, bevor ich mich anlehnte und meine Augen schloss. „Pennst du jetzt?“, rief mein Klassenkamerad laut und lachte. Ich gähnte. „Was denn sonst? Wirf mal einen Blick auf die Uhr! Es ist kurz vor Zwei.“ Eine Weile war es still, dann seufzte Dean. „Und wer hat mich zu dieser Uhrzeit aus dem Bett geholt? Wenn es nach mir gegangen wäre, läge ich da jetzt noch und würde schlafen.“ „Hätte ich Kian vor verschlossener Tür stehen lassen sollen?“, fragte ich leicht gereizt. Das kam nicht in Frage, überhaupt nicht. Wenn ein Freund meine Hilfe brauchte, würde ich ihn nicht einfach im Stich lassen, egal zu welcher Uhrzeit. „Schon gut, beruhige dich.“, redete Dean auf mich ein, „So hab ich das nicht gemeint.“ Genervt öffnete ich meine Augen. „Tu mir einen Gefallen und halt deine Klappe, damit ich jetzt endlich schlafen kann. In reichlich fünf Stunden müssen wir in die Schule!“ Mein Klassenkamerad seufzte gequält. „Ich frage Mike, ob er uns krankschreibt. Irgendwer muss ja schließlich auf Kian aufpassen und nur dich von der Schule zu befreien ist unfair.“ „Gute Idee.“ Ich machte es mit auf meinem Stuhl bequem. „Wenn du das wirklich hinbekommst, hast du was gut bei mir.“ Dean lachte. „Nächsten Freitag Abend, bei mir. Ich gebe eine Party. Du hilfst mir beim Aufbauen. Bring von mir aus Kian und Olivia mit.“ Ich musste leicht schmunzeln. „Falls er mich nicht vorher umgebracht hat. Du weißt, was er von Partys hält. Letztes Mal wäre er fast nicht mitgekommen.“ „Das habe ich gesehen. Hast du ihn eigentlich den ganzen Weg hinter dir hergezogen?“ „So in etwa.“, antwortete ich, „Dieses Mal werde ich das wahrscheinlich auch tun müssen. Jetzt wo er weiß, was wir vorhaben.“ „Wie?“ Dean klang verwirrt. „Er kann uns hören. Seine Ohren sind besser als unsere.“, erklärte ich. „Sag das doch gleich!“, rief mein Klassenkamerad erschrocken. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust. „Du hättest ja auch fragen können.“ Noch bevor mir Dean etwas entgegnen konnte, öffnete sich die Tür zum Behandlungszimmer und Kian trat heraus, gefolgt von dem Bruder meines Klassenkameraden. Der Oberkörper meines besten Freundes war in weiße Verbände eingewickelt und er hatte einige Pflaster im Gesicht. Um seinen linken Arm trug er einen Gips, woraufhin ich schlussfolgerte, dass Mike den Bruch hatte behandeln können. Langsam stand ich auf und ging auf die beiden zu. „Und?“ „Dein Freund hatte eine Mengte Glück.“, sagte der Arzt, „Es war ein sauberer Bruch und ich konnte ihn behandeln. Außerdem habe ich mich noch um die Schnittwunden gekümmert. Wenn keine Komplikationen auftreten, schaue ich mir den Arm in einer Woche noch einmal an. Dazu kommt ihr am Besten nach meinem Dienstschluss her.“ Ich nickte. „Geht klar. Danke, dass du dir Kian angeschaut hast.“ Mike winkte ab. „Keine Ursache. Ich helfe, wo ich kann. Es wäre nur nett, wenn ihr es nicht herumerzählen würdet, sonst bekomme ich Ärger mit meinem Chef. Genau genommen darf ich das nämlich nicht.“ „Keine Sorge.“ Sagte Dean zu seinem Bruder, „Wir schweigen wie ein Grab. Aber könntest du uns noch eine Freistellung für Heute schreiben?“ Zuerst schaute der Arzt ihn irritiert an, dann seufzte er. „Okay, okay. Wenn ihr so dringend die Schule schwänzen wollt. Mein Problem ist es nicht. Wenn es nach mir ginge, könnte ich euch auch die nächsten Wochen krankschreiben, aber das nimmt man euch dann sicher übel.“ Wir sahen den Mann verwundert an, dann lachten wir los. „Das ist normal bei Schülern.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)