Götterhauch von Flordelis (Löwenherz Chroniken III) ================================================================================ Kapitel 10: Erwachen -------------------- „Erkundungsmissionen sind die Leichtesten, besonders bei Anfängern. Wir werden heute eine alte Lagerhalle erforschen, sie ist aber vollkommen ungefährlich, steht unter Videobeobachtung und wird seit Jahren von den Kadetten unserer Schule als erstes Trainingsgelände genutzt.“ Leen beendete ihre kurze Erklärung, indem sie sich ein Stück Schokolade in den Mund schob und dieses dort mit der Zunge von einer Seite auf die andere schob, ohne es zu kauen. Zwar hatte er bislang noch nicht viel mit ihr gesprochen, doch Anthony konnte sich denken, dass sie das tat, um nichts weiter sagen zu müssen. Er saß ihr gemeinsam mit Marc im Wagen, der sie zu dieser Halle bringen sollte, gegenüber. Während der Blonde vollkommen gelassen schien und beständig lächelte, war Anthony über alle Maßen nervös. Bislang hatte er nur einmal – zwei Tage zuvor – mit Heather trainiert. Was wenn sich doch etwas Gefährliches in dieser Halle befinden würde? Er würde sich nicht vernünftig verteidigen können. Beide Anwesenden schienen das genau zu merken, aber nur einer von beiden sagte etwas darauf. „Mach dir keine Gedanken“ – Marc klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter – „Wir decken dir den Rücken. Ich war bei der ersten Mission hier auch nervös.“ „Das waren wir alle“, ergänzte Leen. Gleichermaßen überrascht wandten sich die Jungen ihr zu. „Du warst nervös?“ In Anthonys Augen war sie bislang eine etwas unterkühltes Mädchen gewesen, das leicht über allen möglichen Emotionen schwebte und darum abweisend wirkte, obwohl sie eigentlich eher desinteressiert war und einige Zeit brauchte, um wirklich aufzutauen. Aber Nervosität passte absolut gar nicht in dieses Schema. „Was denn?“, erwiderte sie leicht genervt. „Darf ich nicht nervös sein?“ Marc machte eine hilflose Geste, um zu zeigen, dass er nach Worten suchte, um zu erklären, warum sie darüber so verwundert waren. Doch es war Anthony, der diese schließlich fand: „Das passt einfach nicht zu dir.“ „Und du kannst das so genau sagen?“ Sie verzog ihr Gesicht, offensichtlich nicht gerade erfreut darüber, dass er so etwas bemerkte. „Es ist nur das, was wir denken“, sprang Marc für den vor Furcht schweigenden Anthony ein. Ihre gerunzelte Stirn und ihr finsterer Blick reichten, um die beiden Jungen tiefer in ihrem Sitz sinken zu lassen. Anthony konnte sich nicht erklären, woher sie diese furchteinflößende Attitüde hatte, aber er wollte sie keineswegs bei ihren Eltern in Gebrauch sehen. Der Wagen hielt schließlich an, der Fahrer bedeutete ihnen, auszusteigen, was Marc und Anthony nur zu gern auch gleich in die Tat umsetzten. Tatsächlich fanden sie sich vor einer großen, einfachen Lagerhalle wider, der Putz blätterte bereits von den Wänden ab, Efeu rankte sich daran empor, einige der Fenster waren kaputt, andere waren total verdreckt. Alles deutete darauf hin, dass seit Jahren niemand mehr in dieser Halle arbeitete. „Was wird hier denn aufbewahrt?“, fragte Anthony. Während Leen ebenfalls aus dem Wagen stieg, dachte Marc nach. „Also, ich das letzte Mal hier war, standen jede Menge Fässer und elektronische Ausrüstung darin herum und sind eingestaubt. Ich glaube, die Halle ist seit gut hundert Jahren verlassen.“ „Hundertfünf, um genau zu sein“, ergänzte Leen, als sie zu ihnen trat. „Wollen wir jetzt endlich reingehen, bevor wir hier Wurzeln schlagen?“ Die beiden Jungen nickten und folgten ihr hinein. Bislang hatte Anthony dem Gegenstand an Leens Gürtel keine Beachtung geschenkt, aber nach einem kurzen Handgriff von ihr erstrahlte das kristalline Rechteck in einem hellen weißen Licht, das ihnen genug Helligkeit spendete, um sich umsehen zu können Im Inneren des Gebäudes hallten ihre Schritte dermaßen von den Wänden wider, dass Anthony im ersten Moment zusammenzuckte und sich gehetzt umsah. „Ganz ruhig“, murmelte Marc. „Dir passiert hier nichts.“ Da war er sich nicht so sicher, aber er wagte es nicht, in irgendeiner Art und Weise zu widersprechen. Im Heim war man dafür stets abgestraft worden, weswegen er es hier lieber vermied. Metallregale, in Reih und Glied angeordnet, ragten meterhoch bis fast unter die Decke der Halle, auf jedem Fach waren eingestaubte Kartons oder mit Kabeln versehene Geräte abgelegt worden. Die niedrigsten Fächer waren derart hoch angebracht, dass die ein Meter hohen Fässer bequem darunter passten. Ein unangenehm stechender, fauler Geruch ging von ihnen aus und ließ Anthony fast schwindelig werden, als er diesen einatmete. Auf dem hölzernen Boden musste sich irgendwann eine schleimige Substanz ausgebreitet haben, weswegen nun alles klebte und Anthony weiter beunruhigte. Leen schnaubte empört. „Ab und an könnte Dad hier schon eine Putzfrau vorbeischicken...“ Das wäre eine Lebensaufgabe für eine einzelne Putzfrau, fuhr es durch Anthonys Gedanken. Nachdem sie die erste Reihe der Regale hinter sich gebracht hatten, blieben sie in dem Seitengang stehen, der wohl den Zugang zu bestimmten Bereichen erleichtern sollte. Marc sah auf den Boden hinab. „War hier immer Holz ausgelegt?“ Nachdenklich folgte Leen seinem Blick. „Nein, ich glaube, das letzte Mal war es noch Beton. Aber es ist gut möglich, dass unter dem schon immer Holz gewesen ist.“ „Müsste das nicht heißen, dass irgendwas den Beton weggeätzt hat?“, hakte Anthony nach. Das ungute Gefühl in seinem Inneren verstärkte sich derart, dass er schon regelrecht Magenschmerzen bekam und auch Migräne gesellte sich langsam dazu. Seine angespannten Schultern wirkten sich auf seinen Nacken aus und von dort auf seinen Hinterkopf, doch der Schmerz schlich sich bereits nach vorne zu seiner Stirn, das konnte er deutlich spüren. „Das ist wahr“, bestätigte Leen. „Aber es scheint sich mit dem Beton aufgelöst zu haben, sonst hätten wir schon längst keine Schuhe mehr.“ „Du bist so talentiert darin, einen zu beruhigen“, frotzelte Marc. „Hoffentlich bekommen wir mal eine lebensgefährliche Mission miteinander.“ Sie warf ihm nur einen missbilligenden Blick zu und kniete sich dann hin, um sich den Boden näher anzusehen. „Diese klebrige Substanz... was ist das?“ Während Marc sich zu ihr kniete und sich mit ihr in allerlei Theorien zu verstricken begann, worum es sich handeln könnte, ließ Anthony den Blick schweifen. Der Großteil der Halle lag trotz Leens Lichtquelle immer noch im Dunkeln. Irgendwo mitten in dieser Finsternis glaubte er, eine fremde Anwesenheit wahrzunehmen, die ihn zu sich rief und obwohl er sich dagegen zu wehren versuchte, spürte er plötzlich, wie seine Beine sich automatisch in diese Richtung zu bewegen begannen. Weder Marc noch Leen schienen zu bemerken, dass er sich von ihnen entfernte. Am Ende des Ganges angekommen, blieb er wieder stehen. Die Regale reichten dort nicht bis an die Wand, so dass er in einem recht freien Bereich stand. Allerdings wurde das Gefühl, dass sich außer ihnen noch jemand – oder etwas – hier befand, noch stärker. Es war das erste Mal, dass er eine fremde Aura spüren konnte, aber auch das erste Mal, dass sie so dermaßen stark war – und sie kam von unten. Unwillkürlich sprang er zur Seite und drückte sich gegen die Wand. Holz splitterte, als etwas aus dem Boden hervorbrach, ein massiger Körper, gespickt mit schwarzen Schuppen baute sich vor Anthony auf. Bei genauerem Hinsehen glaubte Anthony, ein rotes Glühen unterhalb der Schuppen wahrnehmen zu können als würde Feuer im Körper dieses Wesens schwelen. Die grünen Augen schienen ebenfalls von innen heraus zu glühen, die gebleckten Zähne waren erstaunlich weiß und rasiermesserscharf. Die verzogenen Mundwinkel erweckten den Eindruck als würde das Geschöpf ihn angrinsen. Anthonys Blick wanderte an dem Körper der Kreatur herab, um sich dieses Grinsen nicht mehr mitansehen zu müssen. Lederne, leicht eingerissene Flügel wuchsen dem Wesen aus dem Rücken, die Pranken waren geradezu gigantisch, dementsprechend groß waren auch die daraus hervorsprießenden Krallen. Der Schwanz zuckte nervös. Selbst mit seinem eingeschränkten Wissen bezüglich der Welt außerhalb des Heims wusste Anthony sofort, was das für ein Geschöpf war. „E-e-ein Drache...“ „E-e-ein Mensch.“ Anthony brauchte einen Moment, bis ihm bewusst wurde, dass die Stimme, die ihn da verspottete, tatsächlich von dem Wesen selbst kam. Ein Lachen erklang aus der Kehle des Drachen. „Ich hatte etwas anderes als einen Menschen erwartet... Du bist ja nicht mal als Snack geeignet.“ Eine Flüssigkeit tropfte aus dem Maul des Ungetüms, dort wo sie auf dem Boden aufkam, löste dieser sich zischend auf. Immerhin weiß ich jetzt, was den Beton hat verschwinden lassen. Allerdings tröstete ihn diese Erkenntnis nicht sonderlich. Er presste seinen Rücken gegen die Wand und versuchte, seitlich zur Seite auszuweichen, doch der Kopf des Drachen stellte sich ihm in den Weg. „Wo willst du denn hin, Kleiner?“ Schweigend starrte Anthony in seine Augen und spürte dabei, dass es unnatürlich war, dass er Angst empfand, dass er eigentlich keinerlei Probleme mit diesen Wesen haben dürfte. Aber woher kam dieser Gedanke? Wie sollte man vor diesem riesigen, furchteinflößenden Ungetüm keine Angst haben? „Anthony!?“ Marcs Stimme holte ihn abrupt in die Wirklichkeit zurück, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Drache mit dem Schwanz ausholte – und diesen auf ihn zusteuerte. Während Leens Blick vollkommen auf den Drachen gerichtet war, den sie hier nicht erwartet hatte, war Marc auf Anthony fixiert – und zuckte erschrocken zusammen, als der Schwanz des Wesens den Jungen erwischte und gegen die Regale schleuderte, die unter dem Aufprall zusammenbrachen und ihn unter sich begruben. „Anthony!“ Marc wollte auf das eingestürzte Regal zurennen, um dem Begrabenen zu helfen, doch Leen hielt ihn hastig am Arm fest und zog ihn zurück. Überrascht stellte er dabei fest, über was für eine Kraft das Mädchen verfügte – und wie ruhig sie blieb. „Lass es, Campbell. Du kannst ihm ohnehin nicht mehr helfen. Lass uns gehen!“ Er musste auch zugeben, dass es ziemlich viel Gewicht war, das da auf Anthony gelandet war, aber dennoch fiel es ihm schwer, zu verarbeiten, dass er tot sein sollte. Er war doch erst ein paar Tage bei uns... Als der Drache seinen Kopf ihnen zuwandte, wurde ihm bewusst, dass er keinerlei Zeit hatte, sich darüber Gedanken zu machen. Vorerst mussten sie fliehen, es war wichtig, dass sie überlebten. Drachen waren recht verbreitet, wenngleich die meisten einer äußerst friedlichen Spezies angehörten, die lediglich kämpften, wenn man sie bedrohte – und dann gab es jene, die einfach Vergnügen aus dem Töten von Menschen zogen. Dazwischen gab es mit Sicherheit noch weitere Schattierungen, aber für Marc war ihm Moment nur wichtig, dass dieses Exemplar vor ihnen sich im Moment an ihrer Furcht labte und genau wie alle anderen seiner Art ein äußerst tödlicher Gegner war. Ein einzelner Prankenhieb konnte diesem Ungetüm ausreichen, um seine Gegenüber mühelos zu zerquetschen. Sein Überlebensinstinkt meldete sich und spornte ihn an, sich umzudrehen und gemeinsam mit Leen zu fliehen, solange sie noch konnten. Er warf noch einen letzten Blick auf das zusammengestürzte Regal, dann fuhr er tatsächlich herum und rannte los. Leen tat es ihm direkt nach. Plötzlich schien die Dunkelheit jenseits der transportablen Lichtquelle noch viel undurchdringlicher zu sein, jeder Gang wirkte genau wie der andere, der Ausgang war wie verschwunden, verschluckt von der Finsternis, die ihre Klauen nun auch nach ihnen ausstreckte. „Links!“ Ihm blieben nur Bruchteile von Sekunden, zu entscheiden, ob Leen meinte, dass er nach links laufen oder sich vor einem Angriff von dort in Acht nehmen sollte. Instinktiv wählte er ersteres, schlitterte bei der nächsten Öffnung zwischen den Regalen nach links und stellte erleichtert fest, dass er endlich das Lichtquadrat sehen konnte, das gleichbedeutend mit dem Ausgang war. Er glaubte bereits, die frische Luft wieder wahrnehmen zu können – als Leen abrupt innehielt. „Marc, stopp!“ Automatisch blieb er ebenfalls stehen und wich sofort zurück, als etwas vor ihm aus dem Boden brach. Holzsplitter streiften sein Gesicht, er legte den Kopf in den Nacken, um den Drachen zu betrachten, der sich vor ihm aufbaute. „Er kann sich durch den Untergrund bewegen“, wisperte Leen, als Marc zu ihr zurückgewichen war. „Ich glaube nicht, dass er uns gehenlassen wird.“ „Kannst du nicht etwas tun?“ Keiner von ihnen wandte den Blick von ihrem Feind ab und dieser wiederum sah sie auch unablässig amüsiert an. Er bewegte sich nicht einmal, er wusste offenbar genau, dass sie ihm in der Falle saßen. „So gern ich auch würde“, erwiderte Leen, „aber es gibt nichts.“ Marc gab nur ungern zu, dass sie damit recht haben könnte. Hexenmagie galt als unwirksam, da die Schuppen der Drachen diese reflektierten, ihre Doppel-Kukri waren eine Nahkampfwaffe, die einen direkten Kontakt zum Feind voraussetzte – und er selbst fühlte sich mit seiner Pistole gerade auch äußerst unnütz. Wenn er sich den Unterricht richtig ins Gedächtnis rief, waren Drachen quasi unbesiegbar und den einzigen Rat, den er von ihrem Lehrer diesbezüglich bekommen hatte war 'Solltest du jemals einem gegenüberstehen, dann lauf und hoffe, dass er sich nicht für dich interessiert'. Tss, in diesem Fall geht gar nichts von beidem. Als er bemerkte, wie ruhig und sachlich er selbst über all das im Moment nachdenken konnte, wunderte er sich selbst – aber Panik, so wusste er, war im Augenblick fehl am Platz, das würde sie nicht aus dieser Situation retten. Leen und er wichen noch einen Schritt zurück und unbemerkt für sie beide, durchzuckte sie in diesem Moment derselbe Gedanke: Wir bräuchten schon ein Wunder, um hier herauszukommen. Die Kälte und die Leere, die ihn umgab, kamen ihm entfernt bekannt vor. Irgendwann war er schon einmal an diesem Ort gewesen, zumindest sagte ihm das sein Gefühl. Aber er konnte nichts sehen, er spürte seinen Körper nicht, nur diese unnachgiebige Kälte, die ihn wie einen Kokon umgab, der vergessen hatte, dass er eigentlich schützen und wärmen sollte. „Du bist wach?“ Er kannte auch diese Stimme, hatte sie unzählige Male in seinen Träumen gehört und doch war ihm der Name dessen unbekannt, der da sprach. Bislang war es ihm nicht möglich gewesen, zu fragen, wer dieser andere war, warum er sich in seinen Träumen befand. Ich denke schon... Es war ihm nicht möglich, selbst die Stimme zu erheben, um zu antworten, aber die gedachten Worte entfalteten sich in der Leere und bekamen einen Klang, der seiner echten Stimme ähnelte. „Das ist gut. Dann ist noch nicht alles verloren.“ Verloren? Was war überhaupt geschehen? Warum war er hier? Es war anders als seine normalen Träume, viel kälter... und noch nie hatte der Andere direkt mit ihm gesprochen. Bislang waren die Worte in seinen Ohren immer Erinnerungen an Ereignisse gewesen, von denen er nichts wusste, zumindest in seiner Vorstellung. „Du erinnerst dich nicht? Das wundert mich nicht. Im Prinzip bist du immerhin tot, begraben von Schrott. Dein Leben hängt am seidenen Faden, aber offenbar bist du noch nicht bereit, einfach aufzugeben, immerhin ist dein Bewusstsein noch da.“ Normalerweise hätten seine Gedanken sich in diesem Moment ein wildes Wettrennen in seinem Kopf liefern müssen, doch stattdessen schoben sie sich träge und zähflüssig umher und erlaubten es ihm nicht, Verbindungen oder Schlüsse zu ziehen. Was... jetzt? So sehr er sich auch an diese Stimme klammerte, um nicht zu verschwinden, so spürte er immer mehr wie sein Bewusstsein zu bröckeln begann und Gleichgültigkeit von ihm Besitz ergriff. „Nun, du wirst sterben, das ist klar. Aber du hast noch eine Möglichkeit...“ Er hätte über diese Zaghaftigkeit des Anderen am Liebsten laut geschrien, aber selbst für Wut fühlte er sich inzwischen zu müde. Was...? „Du musst mich in deine Seele lassen, übergib mir deinen Körper. Nicht für immer natürlich, aber zumindest für den Moment. Du solltest ohnehin eigentlich ich sein.“ Es fiel ihm bereits schwer, die Bedeutung der Worte zu erfassen, weswegen er nicht lange zögerte und zustimmte, worauf ein zufriedenes, leises Lachen folgte. „Sehr gut. Ich freue mich schon auf unsere Zusammenarbeit, mein Bester. Lass uns ein paar Fehler ausbügeln, die andere gemacht haben.“ Er verstand erneut kein Wort, doch er fragte auch nicht weiter. Wärme erfüllte ihn wieder, als dieser Andere Besitz von seiner Seele ergriff und die Kontrolle über seinen Körper übernahm. Er konnte spüren, wie sein Bewusstsein wieder verstärkt zurückkehrte, nur um sich hinter einen nebelhaften Vorhang zu begeben, um dem Anderen alles zu überlassen, in der Hoffnung, dass alles gut ausgehen würde. Das helle Licht lenkte sowohl die Aufmerksamkeit des Drachen als auch die von Leen und Marc zurück in die Richtung, in der das eingestürzte Regal lag. Die illuminierte Säule dort leuchtete so grell, dass sämtliche Finsternis aus der Halle vertrieben zu werden schien. Das Licht glühte in einem blassen Grün, das allem einen geisterhaften Schein verlieh und die Gesichter der beiden Kadetten unnatürlich bleich erscheinen ließ. „Was ist das?“, fragte Marc. Leen antwortete nicht, obwohl sie wesentlich weniger ahnungslos als er schien und auch der Drache, der von einer unguten Vorahnung erfasst wirkte, sagte nichts. Von unheimlicher Stille beseelt beobachteten sie, wie die Säule wieder verblasste, das Licht jedoch nicht ganz erlosch und sich dafür langsam auf sie zubewegte. Als es um die Ecke kam, erkannte er eine Gestalt in diesem Licht. Sie lief ein wenig ungelenk und vorübergebeugt als müsste sie sich erst wieder an diese Bewegungen gewöhnen, eine unheimlich kalte und furchteinflößende Aura ging von dieser Person aus und doch erkannte Marc sie sofort. „Anthony?“ Wenige Schritte vor ihnen blieb er wieder stehen und da war der blonde Kadett sich ganz sicher, dass es der vermeintlich Tote war. Sein Verhalten erinnerte aber eher an einen Geist oder einen Zombie denn den zurückhaltenden Jungen von zuvor. 'Anthony' stützte sich gegen das Regal und hob den Kopf ein wenig, so dass sie ihm ins Gesicht sehen konnten. Leen zuckte erschrocken zusammen und wich in derselben Bewegung zurück, während Marc ihn interessiert betrachtete. Die ehemals blauen Augen waren plötzlich blassgrün und wirkten unheimlich fehl am Platz – aber am meisten überraschte ihn das Symbol auf der Stirn des Jungen. Es war ein schlangenförmiger Drachen, der sich selbst in den Schwanz biss, eingerahmt von einem Kreis. Marc war sich sicher, dass er dieses Symbol bereits schon einmal gesehen hatte – fragte sich nur, wann und wo. Der Drachen sog erschrocken die Luft ein, genau wie Leen schien er diese Gestalt also zu erkennen, während Marc nach wie vor im Dunkeln tappte. „Das kann nicht wahr sein!“ 'Anthonys' Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. „Du hättest vielleicht vorher darüber nachdenken sollen, wen du angreifst.“ Marc glaubte zu spüren, wie der Drache vor Angst zu zittern begann, ganz offensichtlich wusste er mehr über diese fremdartige neue Aura, die Anthony umgab. Genau wie Leen, die sich hinter den blonden Kadetten drängte, um sich von ihm schützen zu lassen, zumindest glaubte er das. 'Anthony' hob mühevoll die Hand – etwas schoss an Marc vorbei, im nächsten Augenblick erklang ein lauter Schmerzensschrei von dem Drachen, der hinter ihnen stand. Der erzitternde Boden versicherte ihm, dass das Ungetüm umgefallen und – hoffentlich – tot war. Doch dafür hatten weder er noch Leen im Moment einen Blick übrig. Sie beide sahen konzentriert weiter auf 'Anthony', der den Blick wieder gesenkt hatte. Leen krallte ihre Finger schmerzhaft in Marcs Schultern und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn aus ihrer sicheren Position heraus zu betrachten. „Weißt du, was hier los ist?“, wisperte der blonde Kadett. Sie antwortete ihm nicht, aber damit gerechnet hatte er ohnehin nicht. Inzwischen kannte er sie gut genug, um zu wissen, dass sie ihr Wissen nicht teilte. Seine Hand griff nach dem Pistolenhalfter an seiner Hüfte, hielt aber davor inne. 'Anthony' schien sie nicht angreifen zu wollen, aber er machte auch keine Anstalten, sich selbst zu erklären. Marc war sich daher unsicher, ob und wie er nun handeln sollte. Vielleicht reichte es auch, wenn er ihn einfach in Gewahrsam nahm... oder ihn nett darum bat, mit ihnen zu kommen. Doch während er noch überlegte, fiel die fremde Aura plötzlich von seinem Gegenüber ab und im selben Augenblick stürzte Anthony zu Boden und blieb reglos liegen. Marc riss sich von Leen los und eilte zu dem Gestürzten, um seinen Puls zu fühlen. Ohnmächtig. Immerhin lebt er noch. „Wir sollten ihn ins Krankenhaus bringen“, bemerkte Leen, als sie neben ihn trat. „Und ich muss unbedingt mit meinem Vater sprechen.“ Marc wusste zwar nicht, was sie diesem sagen wollte, nickte aber zu dem Punkt, dass Anthony in ein Krankenhaus und in ärztliche Behandlung gehörte. Sein Mund war allerdings viel zu trocken, um etwas zu sagen. Vorsichtig, aber dennoch hastig, hob Marc seinen Oberkörper nach oben. Leen legte Anthonys Arm um die Schulter des Blonden und fuhr dann herum, um zu gehen. Sie lief einen großzügigen Bogen um den toten Körper des Drachen, der keinerlei offene Verletzungen zeigte, es war als ob er einfach vor Schreck umgefallen wäre. Marc betrachtete ihn nicht weiter, während er Anthony mit sich zum Ausgang schleppte. Er war bereits zu sehr in seine Sorgen und Gedanken vertieft, die sich alle um das eben Geschehene drehten. Er würde dafür Antworten finden müssen, irgendwie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)