Götterhauch von Flordelis (Löwenherz Chroniken III) ================================================================================ Kapitel 18: Lügende Gottheit ---------------------------- Lächelnd blickte Russel nach dem Ende seiner Erzählung in die Runde, auch wenn den anderen nicht im Mindesten auch nur nach einem Schmunzeln war. „Deine Erzählung war ziemlich kurz“, meinte Vincent schließlich. „Bist du sicher, dass nicht noch mehr passiert ist? Oder dass du wirklich so eine tolle Figur abgeliefert hast?“ „Nein, das war alles, ehrlich.“ Sein aufrichtiges Lächeln, das sonst dazu diente, jeden Verdacht zu zerstreuen, bewirkte bei Vincent, der als Detektiv darauf getrimmt war, Lügen zu durchschauen, eher, dass sein Misstrauen weiter anwuchs. „Bist du dir sicher?“ Russel nickte, ohne mit dem Lächeln aufzuhören und Vincent wurde bewusst, dass es nichts gab, womit er einen Gott bestechen könnte, um ihn dazu zu bringen, doch zu sprechen. Möglicherweise gab es auch einen vernünftigen Grund, warum er etwas verbarg. Als Gott würde er sicherlich die Lebenserfahrung besitzen, um das einzuschätzen, auch wenn Vincent diese Erkenntnis nicht gefiel. Seline tippte auf Russels Schulter, worauf dieser ein wenig zusammenzuckte und sich ihr zuwandte. „Was mich eher interessieren würde als das, was du uns bewusst verschweigst, ist, was du auf diesem Bildschirm gesehen hast.“ „Ah, du hast es dir gemerkt, du bist so umsichtig.“ Er zwinkerte ihr zu, bekam aber nur einen Klaps auf die Schulter, worauf er vor Schmerz das Gesicht verzog. „Okay, okay, lass das. Also, auf diesem Bildschirm war ein Bild von dir.“ Verwundert fuhr sie zurück und legte sich eine Hand auf ihr Herz. „Von mir? Bist du sicher?“ „Selbst wenn ich nicht dein hübsches Gesicht wiedererkannt hätte, wäre da immer noch dein Name gewesen, der unter dem Bild stand. Seline de Silverburgh.“ Mit der Hand zeigte er eine Fläche wie eine weit entfernte Leinwand an. „Den Namen würde ich nie vergessen und dein Gesicht-“ „Ich hab's verstanden, mein Lieber“, unterbrach sie ihn. „Du findest mich wunderschön und kommst einfach nicht über mich hinweg. Kannst du das sein lassen, langsam wird es langweilig.“ „Gut, sorry, kommt nicht wieder vor.“ Er winkte ab, um sie zu beruhigen. „Jedenfalls war das dein Bild und dein Name und darunter standen noch ein paar Daten. Sah ein wenig danach aus als hätte jemand deine DNS entschlüsselt oder so. Ich bin kein Wissenschaftler und ich hab nicht mal den Hauch einer Ahnung von sowas.“ Nachdenklich legte sie die Stirn in Falten. „Ich glaube, ich bin diesem Kerl noch nie begegnet, aber es ist nicht auszuschließen, dass irgendjemand irgendwann tatsächlich mal an ein Haar oder ein wenig Blut von mir kam.“ Auch wenn es ihr schwerfiel, zu glauben, dass irgendjemand Hand an sie legen würde ohne dafür von einer bestimmten Person gemaßregelt zu werden. Aber Gelegenheiten hatte es tatsächlich viele gegeben. „Neben deinen Informationen waren da noch die von so einem Kerl, den ich nicht kannte. Sein Name war.. äh, Raymond Lionheart, wenn ich das richtig im Kopf habe.“ Diesmal war es Ryu, der verwundert die Stirn runzelte. „Ray? Warum stand da Rays Name?“ Russels Gesicht hellte sich auf, hatte er doch bereits befürchtet, er würde diesen Mann ebenfalls erst suchen müssen, um... ja, was hatte er sich eigentlich gedacht, dass er ihn suchen müsste? Es schien ihm entfallen zu sein und für einen Moment glaubte er, das wäre ebenfalls die Schuld dieses Masters, auch wenn seine Fähigkeit keinen Einfluss auf ihn nehmen dürfte. Aber dann fiel ihm wieder ein, dass er schon im ersten Moment dieses Gedankens nicht wusste, warum er Raymond aufsuchen sollte, außer dafür zu sorgen, dass er sich von Seline fernhielt. „Nun, genau das ist der Grund, warum ich mit dir sprechen wollte, Seline. Das, was über den Bildern, Namen und Infos stand, war nämlich das wirklich Erschreckende und der Grund, warum ich so schockiert war.“ Gespannt blickten alle ihn an, nur Vincent schien sich so gar nicht für all das zu interessieren und lediglich aus Pflichtbewusstsein zu lauschen. „Also, ich hab nicht ganz verstanden, was genau dieser Kerl vorhatte, aber mir ist klar, dass das echt krank ist. Selbst aus meiner Perspektive und ich bin nicht mal ein Mensch.“ „Russel!“ Drohend hob Seline die Hand, bereit, erneut auf seine Schulter zu schlagen. Er duckte sich sofort. „Über den Bildern stand Perfekte Paarungs-Partie.“ Auf sein heftiges Niesen erntete Raymond ein äußerst altmodisches „Gott segne Sie“. Mit tränenden Augen blickte er seine Sekretärin an – tatsächlich eine reizende, ältere Dame mit Namen Marybeth Lively, die von allen nur Beth genannt wurde – und schluckte die Entschuldigung, die ihm bereits auf der Zunge gelegen hatte, hinunter. „Wissen Sie, was so ein Niesen bedeutet?“, fragte Beth, ohne von der Tastatur aufzublicken, auf der sie gerade mit ihren langen, manikürten Fingernägeln klackerte. „Nein, was?“ „Jemand denkt an Sie.“ Sie lächelte ihm vielsagend zu, ein sympathisches Lächeln als ob sie einem gerade ihre überaus schlecht schmeckenden Kekse verkaufen wollte. Auch wenn ihm nicht danach war, konnte er nicht anders als es zu erwidern. „Ich dachte immer, einem würden dann die Ohren klingeln.“ „Die Variante gibt es auch“, gab sie zu. „Aber das Niesen dürfte geläufiger sein. Was denken Sie, wer hat eben an Sie gedacht?“ Er blickte nach oben als würde er darüber nachdenken, aber eigentlich gab es für ihn nicht viel zu überlegen. „Ich bin Direktor einer Schule, also dürfte es genug Leute geben, die sich über mich ärgern und deswegen an mich denken. Ich habe zwei Töchter und eine Frau, die dürften sich gleichfalls über mich ärgern, hin und wieder. Und dann gibt es mit Sicherheit noch Leute, die nur meinen Namen kennen und sich denken Raymond Lionheart, was muss das für eine tolle Person sein, die hinter diesem Namen steht.“ Er schnitt eine Grimasse, als Beth über seinen trockenen Humor zu lachen begann. „Seit wann so humorvoll, Mr. Lionheart?“ „Ich versuche gerade, mir das anzueignen.“ Er schob seine Brille zurecht. „Wir haben einen eklatanten Mangel an Humor in der Familie.“ Beth zog die Stirn kraus, was die Falten in ihrem Gesicht vermehrte. „Sie reden von Ihrer Familie als wäre es eine Einheit, deren Stärken und Schwächen man ausgleichen muss.“ Ray, der bislang ziellos in Unterlagen geblättert hatte, hielt plötzlich inne. „Oh... das ist mir nicht bewusst gewesen.“ Das war es zwar doch, aber in dem Moment, in dem Beth das angemerkt hatte, war ihm klar geworden, dass man auf so eine Art wohl nicht über seine Familie sprach. „Ich arbeite wohl zu viel“, fügte er entschuldigend hinzu. Sie nickte zustimmend und nahm ihm demonstrativ die Akte ab, in der er geblättert hatte. „Sie sollten sich für heute frei nehmen. Wenn Sie krank werden, hilft das immerhin niemandem.“ Er murmelte zustimmend, dann kehrte er in sein Büro zurück, um seine Sachen zu holen, ehe er ging. Beth warf währenddessen einen Blick auf die ihm entrissene Akte und schüttelte seufzend den Kopf. „Dieser Anthony wird mit Sicherheit noch der Untergang unseres Direktors sein.“ Und sie ahnte nicht einmal im Mindesten, wie sehr sie damit noch recht behalten sollte. Russel genoss diesen Moment der ungeteilten Aufmerksamkeit in dem alle ihn irritiert und entsetzt anstarrten – alle bis auf Seline, die offenbar nicht anders konnte und in schallendes Gelächter ausbrach, was die allgemeine Aufmerksamkeit auf sie umlenkte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Maryl irritiert, während sie ängstlich ein wenig zurückrutschte, um nicht in der Nähe von Selines Hand zu sein, falls sie entschließen würde, diese zu heben. Zwar hob die tatsächlich die Hand, aber nur um sich damit die Lachtränen aus den Augen zu wischen. „Wie herrlich. Allein die Vorstellung, dass Ray und ich... ach nein, du meine Güte.“ „Ich mag mir auch gar nicht vorstellen, wie ein Kind von euch sich verhalten würde“, murrte Ryu. „Aber ich muss zugeben, von den Fähigkeiten her wäre es ein richtiges Wunderkind. Es wäre intelligent, schön und äußerst stark. Zumindest mit einer hohen Wahrscheinlichkeit.“ „Deswegen würde ich trotzdem nicht unbedingt ein Kind von ihm haben wollen... Ich meine, er ist okay, wenn man ab und an mit ihm redet und Pläne schmiedet, aber privat würden wir nicht zusammen passen. Er ist mir viel zu ruhig.“ „Wenn es allein um die Paarung geht, müsstet ihr ja nicht mal zusammen sein“, bemerkte Russel schmunzelnd. „Ich denke, es wäre um eine künstliche-“ „Bitte, können wir über etwas anderes reden?“, fragte sie plötzlich. „Allein der Gedanke löst bei mir schon Morgenübelkeit aus. Fragen wir lieber: Was will der Kerl mit einem solchen Kind?“ Gedankenverloren wog Vincent den Schirm in seiner Hand, hob ihn immer wieder hoch und runter als ob er ein Händler wäre, der abschätzen würde, wie viel er für solch ein Stück wohl verlangen sollte. „Es stimmt, wir wissen eigentlich gar nichts über seine Motive, obwohl wir mit ihm gesprochen haben.“ „Wahrscheinlich ist in seinem Gehirn einfach etwas schiefgelaufen.“ Maryl drehte den Finger an ihrer Schläfe, um ihre Worte zu unterstreichen. „Er ist doch ein Klon, oder? Die sind vielleicht alle so krank drauf, deswegen sind die meisten von ihnen gestorben, zumindest denke ich das.“ „Da ist was dran“, stimmte Russel zu. Ryu schien dagegen etwas anderes nachdenklich zu stimmen. „Hatte er denn eine Seele? Du sagtest, du kannst so etwas spüren, aber du hast nicht erwähnt, ob er eine hatte.“ Offenbar schien er es aus gutem Grund weggelassen zu haben, denn in dem Moment, als Ryu das erwähnte, schauderte Russel, als er sich gezwungenermaßen daran zurückerinnerte. „Oh, er besitzt sehr wohl eine Seele. Aber ob man das so bezeichnen kann? Weißt du, normalerweise sind Seelen“ – er hielt einen Moment inne, um über die passende Formulierung nachzudenken – „etwas Warmes. Ich habe schon viele verschiedene Menschen getroffen, gute wie böse, aber jeder von ihnen hatte diesen warmen Fleck von Seele in seinem Inneren, die vielleicht einmal vom Bösen berührt worden war, aber sonst... ihr versteht, worauf ich hinauswill. Aber dieser Kerl... es war als ob seine Seele einst in Bosheit getaucht worden war, diese vollständig in sich aufgesogen und danach nie mehr losgelassen hätte. Ich weiß, das Klischee vom urbösen Bösewicht war schon im 20. Jahrhundert verbraucht, aber dieser Kerl besteht aus Bosheit, die selbst mir unbekannt ist. Ich wette, selbst Ladon würde vor ihm zurückschrecken. Sowas ist selten, aber es kann vorkommen.“ Bei seinem letzten Satz wurde sogar Vincent, der zwischendurch gedanklich ausgeblendet hatte, um sich nicht alles anhören zu müssen, wieder hellhörig. „Du erwähntest auch vorhin, dass du weißt, wie es sein kann, dass ein Geschöpf keinerlei Seele besitzt, sich aber dennoch bewegt als wäre es ein Mensch. Mich interessiert seitdem, was du meinst. Hat das was mit Voodoo zu tun?“ „Ich kenne mich ehrlich gesagt nicht mit derlei Praktiken aus, weiß aber genug, dass das mehr was mit Pülverchen zu tun hat, die du einem Lebenden erst geben muss. Und es hat auch nicht sonderlich viel mit den üblichen Zombie-Viren zu tun, das alles erfordert, dass das vermeintliche Opfer immerhin erst einmal leben muss.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und biss sich einen kurzen Moment auf die Unterlippe. „Diese Wesen dort unten allerdings haben zuvor nie gelebt, das kann man deutlich spüren. Ah, wieder Zeit für eine Erklärung, das wäre viel einfacher, wenn eure Erinnerungen noch da wären. Es ist nämlich so-“ „Eine Seele hinterlässt Spuren.“ Russel verstummte, als er von dem wieder nachdenklich gewordenen Ryu unterbrochen wurde. Alle sahen wieder zu ihm hinüber, bis auf Seline sichtlich erstaunt, dass er das offenbar wusste. „Egal wie lang eine Seele in einem Körper war, sie verlässt diesen nicht vollständig. Selbst Ladon war nie begreiflich, woher das rührte, aber ich denke, am Einfachsten lässt sich das damit erklären, dass bestimmte, mit der Seele und dem Herz verbundene Erinnerungen im Körper bleiben.“ „Ich sehe, du erinnerst dich ein wenig an dein altes Leben“, stellte Russel lächelnd fest. Auch wenn er nicht wusste, ob ihn das wirklich freuen sollte. Damit ging immerhin auch viel Leid einher, möglicherweise war das für Ryus Charakterwandel verantwortlich. „Jedenfalls kann man auch in toten Körpern noch Spuren der alten Seele ertasten“, fuhr Russel fort, als Ryu nichts auf seine Worte erwiderte. „Aber in diesem Klon war nichts davon. Und ja, jetzt komme ich zum Punkt, seid nicht so ungeduldig. Es gibt nicht – entgegen der landläufigen Meinung – endlos viele Seelen, die verteilt werden können, sie sind tatsächlich begrenzt, was einfach dem Zweck dient, die ominöse Überpopulation, von der Weltuntergangspropheten seit Jahrtausenden sprechen, einzudämmen. Ist keine Seele verfügbar, wird auch niemand geboren, so einfach ist das.“ Er sagte das mit einer Gleichgültigkeit, die nur von jemandem kommen konnte, der bereits so lange lebte, dass er so viele Geburten, verzweifelte Eltern, die einfach keine Kinder bekamen und Todesfälle erlebt hatte, dass sie inzwischen einfach an ihm vorbeizogen und nur noch Aktenzeichen waren. „Aber es gibt eine Möglichkeit, diese Sperre zu umgehen, sofern man keinen Wert auf normales menschliches Verhalten legt.“ Vincent gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er nun wirklich endlich zum Punkt kommen sollte, auch wenn diesem das gar nicht gefiel. „Es gibt so etwas wie leere Seelen. Sie gaukeln dem Körper das Vorhandensein einer richtigen Seele vor, damit dieser vollständig agiert – ohne die negativen Aspekte wie Emotionen. Man kann diese Teile nicht künstlich herstellen, er muss sie von irgendwem bekommen oder sie gefunden haben.“ „Ich höre zum ersten Mal von sowas“, bemerkte Vincent, der nur darauf zu warten schien, dass Russel etwas sagte, das ihn als Lügner entlarvte. „Warum sollte so etwas auch für irgendwen wichtig sein?“, erwiderte dieser allerdings nur. „Wir sollten uns vorrangig auch nicht darum kümmern. Konzentrieren wir uns lieber darauf, was wir nun mit diesem Anthony machen.“ Seline winkte desinteressiert ab und erhob sich. „Ohne mich. Diese ganze Sache“ – sie gestikulierte zwischen dem Rest der Gruppe umher als würde sie versuchen, ein Netz zwischen ihnen zu weben – „hat ohnehin nichts weiter mit mir zu tun.“ Mit einem letzten Gruß verließ sie den Raum und verschwand in der vorherrschenden Dunkelheit jenseits des Raumes. Kaum war sie fort, fühlte Russel sich elend, ein Zustand, der bei ihm selten eintrat. Als Gott ging es ihm eigentlich immer gut, er wurde nie krank, verspürte nie Hunger, Durst oder Müdigkeit – er aß, trank und schlief nur aus Gewohnheit – aber in diesem Moment fühlte er sich so elend als ob er gerade dabei wäre, eine Grippe auszubrüten, zumindest fühlte es sich ähnlich an wie jene Beschreibungen. Mein Nacken ist gespannt, mein Hals schmerzt, mein Magen ist flau und mir ist kalt... irgh, alles nur wegen diesem verdammten Klon! Er stand schließlich ebenfalls auf, murmelte nur knapp, dass er frische Luft schnappen wollte und verließ den Raum, ohne auf eine Erwiderung der anderen zu warten. Zumindest Vincent war mit Sicherheit froh, ihn endlich loszusein. Als er aus dem Raum trat, wollte er instinktiv nach rechts gehen, um durch den Vordereingang wieder nach draußen zu kommen, besann sich dann aber eines besseren und wandte sich nach links, in der festen Erwartung, dort einen Hinterausgang vorzufinden. Doch er hatte den engen Flur noch nicht völlig hinter sich gelassen, als er plötzlich spürte, wie jemand nach seiner Jacke griff und ihn zur Seite zog, eine Treppe hinauf, die er im Dunkeln nicht hatte sehen können. Er spürte, dass die Person keine finsteren Absichten verfolgte, weswegen er sich nicht wehrte – und sie im nächsten Moment auch direkt als Seline wiedererkannte, die ihn wortlos weiter mit sich zog. In der oberen Etage führte sie ihn in ein Zimmer, das eher spartanisch eingerichtet war. Neben dem einfachen, weiß bezogenen Bett, gab es nur noch einen schlichten Schrank und einen Schreibtisch. Die einsame Zimmerpflanze auf dem Fensterbrett sollte wohl die Atmosphäre ein wenig auflockern, scheiterte mit seinen traurig herabhängenden Blättern aber kläglich. Es war das typische Zimmer einer Person, deren Fernweh und Impulsivität stärker waren als das Heimatgefühl und die sich in einem neutral eingerichteten Hotelzimmer wohler fühlte als in einem das gefüllt war mit Erinnerungsstücken. „Du siehst ziemlich blass aus, Russ.“ Sie wies ihn an, sich auf das Bett zu setzen, ehe sie neben ihm Platz nahm und ihm vorsichtig die Jacke auszog. Als sie seine Schulter freigelegt hatte, auf der sich eine klaffende Wunde befand, nickte sie triumphierend als würde sie sich über seine Verletzung freuen. „Du hast gelogen, mein Bester, nicht wahr? Dein Stolz hat verhindert, dass du uns erzählst, wie furchtbar dich dieser Klon zugerichtet hat.“ „Es ist nur diese eine Seite“, erwiderte er. „Und ich blute ja nicht mal.“ Das war ein Vorteil, ein Gott zu sein. Zwar hatte er sich in vielen Dingen inzwischen den Menschen angepasst, aber er war sich sicher, dass er niemals aus Gewohnheit anfangen würde, zu bluten. „Götterkörper funktionieren anders, ich weiß.“ Seline klang belustigt. „Ich habe selbst schon einen getötet, das ist mir geläufig. Ich kümmere mich trotzdem lieber hierum, damit es dir bald wieder besser geht. Erzähl mir solange, was geschehen ist.“ „Das ist schnell erzählt. Statt auf die Kugel zu springen, habe ich versucht, mich wieder zu ducken, aber sie korrigierte die Bahn des Morgensterns, so dass er mich an der Schulter traf. Ich konnte meine Kleidung reparieren, aber du weißt, ich beherrsche keine Heilmagie...“ Sie nickte verstehend, während sie vorsichtig einen Verband anbrachte. Er sollte nicht der Blutstillung dienen, sondern verhindern, dass Schmutz und Bakterien in die Wunde gelangten und diese sich schneller wieder schloss. „Wie hast du sie dann besiegt?“ „Ich bin mir selbst nicht sicher. Der Kampf dauerte eine ganze Weile, am Ende hatte ich wohl nur Glück, wie so oft. Jedenfalls darf man diese Klone nicht unterschätzen.“ „Sieht ganz danach aus. Wenn sogar du das schon sagst...“ Zum Abschluss strich sie ihm über den frischen Verband. „Ab sofort aber keine Dummheiten mehr, ja? Und vor allem keine Lügen mir gegenüber. Du weißt, ich hasse das.“ „Ja, schon gut. Ich bin doch kein Kleinkind.“ Er rollte mit den Augen, lächelte allerdings kurz darauf. „Wenn das hier vorbei ist, könnte ich deine Hilfe wegen dieser ganzen Klonsache brauchen.“ „Sicher. Falls du das alles überlebst – also sieh zu, dass du nicht deinen Kopf verlierst.“ Sie versetzte ihm einen Klaps gegen die Stirn, so verspielt und leichtfertig wie auch früher schon, als zwischen ihnen noch so ziemlich alles in Ordnung gewesen war. Möglicherweise war das ein Zeichen, dass es wieder so werden könnte wie früher – er konnte nur inständig hoffen und auf sein Glück vertrauen, das ihn bislang glücklicherweise noch nie im Stich gelassen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)