Journey to Evolution von Yurippe (Mit jedem Schritt wirst du stärker) ================================================================================ Kapitel 19: Familienangelegenheiten II -------------------------------------- Entschlossen bahnte Lily sich ihren Weg durch die Lobby des Pokémoncenters in Richtung der Bildtelefone, die in der hintersten Ecke zumindest etwas Privatsphäre boten. Sie tippte die Telefonnummer ein und wartete mit klopfendem Herzen darauf, dass ihre Schwester sich melden würde. Sicher hatte sie für alles eine triftige Erklärung und es gab überhaupt keinen Grund für Lily, sich betrogen zu fühlen. Zumindest redete sie sich das ein, bis Rose das Gespräch annahm und ihr Gesicht auf dem Bildschirm erschien. „Hallo, Lily“, grüßte sie freundlich lächelnd wie immer. „Was gibt es?“ „Hallo“, erwiderte das Mädchen knapp und bemühte sich, kühl zu bleiben. „Eins deiner Pokémon hat sich anscheinend selbstständig gemacht.“ Wie erwartet reagierte Rose verwirrt. „Wovon redest du, Lily? Ist alles in Ordnung bei dir?“ „Ich weiß nicht“, erwiderte sie. „Das hängt davon ab, ob du dein Gardevoir auf mich angesetzt hast oder nicht. Und ob es noch andere wichtige Dinge gibt, die du mir verschwiegen hast.“ Selbst über den Bildschirm konnte sie erkennen, wie sämtliche Farbe aus dem Gesicht ihrer Schwester wich. Fast hätte sie deshalb das Thema fallen gelassen, doch sie wollte Antworten und sie würde Antworten bekommen. Wenn Rose in der Lage war, sie beschatten zu lassen, dann musste sie auch die sich daraus ergebende Fragerunde überstehen. Rose atmete tief aus und blickte Lily dann ernst ins Gesicht. „Es stimmt, ich habe Gardevoir gesagt, es soll dir folgen. Aber doch nur, weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe.“ „Du hast mir hinterherspioniert!“, rief Lily aufgebracht. „Vertraust du mir denn überhaupt nicht?“ „Natürlich vertraue ich dir!“ Auch Rose hatte untypischerweise ihre Stimme erhoben. „Aber...“ Lily unterbrach sie sofort: „Wieso erzählst du mir dann nie etwas? Zwei Jahre lang hast du über Mums Verbleib gelogen, als Aidan neulich bei uns war, hast du mir auch nicht die Wahrheit gesagt. Du hältst immer alles vor mir geheim und tust dann so, als wäre es zu meinem Besten! Aber was ich mache, spionierst du mit Hilfe deiner Pokémon aus! Das ist einfach nicht gerecht!“ Je mehr sie aufzählte, desto wütender wurde Lily. Sie hatte es satt, von Rose wie ein kleines Kind behandelt zu werden. „Ich habe dich nicht ausspioniert, sondern nur versucht, dich zu beschützen!“, wandte Rose ein. „Deshalb habe ich dir auch die Wahrheit über Mum verschwiegen. Ich dachte, du hättest das verstanden. Und woher zum Himmel weißt du von Aidan?“ „Lenk nicht ab! Du hast mich ausspioniert, egal wie du es nennst! Während ich total ahnungslos durch die Weltgeschichte gewandert bin, warst du immer bestens über alles informiert. War es schwer, überrascht zu tun, wenn ich dir von meinen Neuigkeiten erzählt habe? Vermutlich nicht, denn das Lügen scheint dir ja auch leicht gefallen zu sein.“ Kein Wunder, dass Rose nicht großartig reagiert hatte ob Lilys Offenbarung, sie würde mit Alex reisen: Sie hatte schließlich schon längst davon gewusst. „Ich habe sicher einige Dinge getan, die nicht richtig waren, aber angelogen habe ich dich nie, das musst du mir glauben, Lily“, warf Rose ein und klang beinahe flehentlich, doch Lily war inzwischen zu sehr in Rage, um sich davon beeindrucken zu lassen. „Stimmt, du hast nur die Wahrheit verschwiegen! Was glaubst du eigentlich, wie ich mich bei all dem fühle? Ich dachte wochenlang, ich wäre paranoid, aber in Wahrheit hat dein Gardevoir mich die ganze Zeit verfolgt! Und Aidan deshalb auch, wobei er natürlich eigentlich hinter dir her war, wie könnte es auch anders sein. Vielleicht hatte Großmutter Recht, was dich angeht: Vielleicht sind dir das Rampenlicht und berühmte Trainer wirklich am wichtigsten auf der Welt.“ Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass das wohl nicht stimmte, dass Rose niemals zu ihr nach Hause gekommen wäre, wenn dem so wäre, aber im diesem Moment war sie so wütend, dass sie ihr einfach irgendetwas Gemeines an den Kopf werfen wollte. Für den Bruchteil einer Sekunde flackerte Entsetzen über Rose' Gesicht, dann verhärtete sich ihr Ausdruck und sie fand zurück zu ihrem alten kühlen Selbst. „Deine Vorwürfe sind ziemlich ungerechtfertigt, Lily, und dein Tonfall ebenso. Denk daran, wo du dich gerade befindest.“ Sie hob die Hand, um Lily, die Antworten und keinen Rüffel wollte, zum Schweigen zu bringen. „Aber du hast Recht: Es war nicht richtig von mir, dich von Gardevoir beschatten zu lassen, auch wenn ich es- und das musst du mir glauben – wirklich nur gut gemeint habe. Es tut mir sehr Leid.“ Für einen Moment war Lily kurz davor, ihrer Schwester zu vergeben, doch dann fügte diese hinzu: „Würdest du mir jetzt bitte erklären, was Aidan mit der Sache zu tun hat?“ Sie dachte daran, wie Aidan sie freundlich, aber im Nachhinein betrachtet etwas unverbindlich angelächelt hatte, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren, und dann daran, wie der Ausdruck in seinen rotbraunen Augen sich verändert hatte, als er von Rose sprach. Sie verstand noch nicht allzu viel von komplexen Gefühlen wie Liebe, aber sie hatte doch bemerkt, dass er etwas Besonderes für Rose empfinden musste, denn mit diesem Ausdruck hatte er Lily noch nie angesehen. Wäre sie älter gewesen, hätte Lily wohl gemerkt, dass der Stich, den sie dabei in ihrer Brust verspürte, eher der Neid auf das scheinbar aufregende Leben ihrer Schwester war als echte Eifersucht, die durch tiefe Gefühle für Aidan entstanden war. Momentan jedoch fühlte sie nur einen Schmerz, den sie nicht zuordnen konnte, und ließ diesen an der einzigen Person aus, die ihr einfiel. „Ich dachte, Aidan ist dir egal? Zumindest hat er gesagt, du redest nicht mit ihm. Ich werde jedenfalls auch mal etwas für mich behalten und dir nicht erzählen, was er zu mir gesagt hat. Und jetzt entschuldige mich, ich habe noch andere Dinge zu tun.“ Bevor Rose antworten konnte, beendete sie das Gespräch und lehnte sich für einen Moment an die Wand, um tief durchzuatmen und sich zu beruhigen, bevor sie zurück zu Aidan und Alex ging. „Und, wie ist es gelaufen?“, fragte Aidan. „Hoffentlich war sie nicht wütend, weil ich dir von Gardevoir erzählt habe.“ „Rose hat keinen Grund, wütend auf dich zu sein. Immerhin war sie es, die ihr Pokémon hinter mit herschnüffeln lassen hat“, erwiderte Lily. Aidan blickte sie nachdenklich an. „Ich kann verstehen, dass du verärgert bist, aber wie ich Rose kenne, hatte sie sicher gute Gründe dafür. Wenn sie, wie du sagtest, jetzt allein für dich verantwortlich ist, wollte sie bestimmt nur sicherstellen, dass dir nichts passiert.“ Wieder spürte Lily diesen Stich in ihrer Brust. „Ich weiß, das hat sie auch behauptet. Aber ich habe es satt, dass sie mir gar nichts zutraut. Ich wette, wenn sie mir erlaubt hätte, bei der Suche nach Mum zu helfen, hätten wir schon etwas mehr herausgefunden.“ Plötzlich kam ihr eine Idee. „Wisst ihr was? Ich werde noch einmal in die Alph-Ruinen gehen und mich dieses Mal genauer umsehen. „Hältst du das wirklich für eine gute Idee?“ Aidan sah wenig begeistert aus, und auch auf Alex' Gesicht zeichneten sich Zweifel ab. „Ist das nicht gefährlich?“ „Ihr müsst ja nicht mitkommen.“ Wenn sie ganz ehrlich war, hatte Lily durchaus Angst – nicht nur davor, was passieren könnte, sondern vor allem vor dem, was sie möglicherweise herausfinden würde -, aber sie würde die innere Unruhe, die sie seit der Enthüllung mit sich herumtrug, wohl nicht anders loswerden. Und wenn sie jetzt nicht ging, wo ihre Wut sie antrieb, dann nie, das wusste sie. „Es ist beschlossene Sache: Ich breche morgen in Richtung Alph-Ruinen auf.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)