Vierundzwanzig von abgemeldet (Tage bis Weihnachten) ================================================================================ 12. Dezember - Das wichtigste Geschenk ist... --------------------------------------------- Dr. Chiara Candle, angesehene Oberärztin und wichtigste Person auf der Unfall-Station des St-Anna-Krankenhauses, stand mit dem Rücken an die Wand gelehnt neben dem OP-Saal, den sie erst eben verlassen hatte und atmete erleichtert auf. Sie hatte vor einigen wenigen Minuten noch gedacht, dass Leben ihrer kleinen Patientin würde ihr aus den Fingern gleiten, doch sie hatten es in letzter Sekunde noch geschafft. Das Kind würde nicht einmal Folgeschäden davon tragen. Das war doch ein schönes Geschenk an die Eltern zum dritten Advent. Chiara hatte selbst kleine Kinder zu Hause und wusste, wie groß der Drang einer Mutter ist, ihr eigen´ Fleisch bis auf Blut zu verteidigen. Die Unfallchirurgin würde auch alles dafür geben, dass die kleine Linda-so der Namen des Kindes- Weihnachten bei ihren Eltern am Weihnachtsbaum feiern konnte. Die Sechsunddreißigjährige vergrub die Hände in der Tasche ihres weißen Arbeitskittels. Sie hatte gerade das dringende Bedürfnis, eine rauchen zu gehen, doch sie hatte sich das nicht umsonst vor fünf Jahren abgewöhnt. Diese verdammte Sucht, die sie immer noch versuchte, mit ihren Klauen zurückzuziehen. Doch Chiara wusste, dass sie sich davon nicht würde locken lassen. Sie hatte schon einmal den Brustkrebs nur in letzter Sekunde bezwungen. Das ihr das jetzt keine Schwierigkeiten mehr machte, war fast ein Wunder. Doch dafür gab sie jetzt alles für ihre Patienten, so wie ihr Arzt es damals während ihres Medizinstudiums für sie getan hatte. Chiara strich sich durch das braune, krause Haar, dass in unkontrollierbaren langen Strähnen um ihren Oberkörper floss und bei jedem Schritt auf und ab hüpfte. Wenn sie etwas an sich mochte, dann waren es ihre Haare, um die sie so viele beneideten und die sie jünger aussehen ließen, als sie war. Auch wenn sich schon die eine oder andere Falte deutlich auf ihrem Gesicht abzeichnete, empfand sie sich selbst immer noch als schön. Natürlich, war noch nie ein besonders heißer Feger gewesen, doch unansehnlich war sie nun auch nicht gerade. Aber das alles waren Belanglosigkeiten, hatte sie zu Hause doch einen liebenden Mann und zwei prächtige kleine Kinder, die ihr mehr im Leben gaben, als irgendetwas anderes. Sie hörte Schritte und als sie sich umdrehte, sah sie einen jungen Mann mit wehenden Rockschößen auf sie zueilen. Sie erkannte ihn sofort. Herbert Glockich, ein junger Arzt im Praktikum, der ihr selbst auch schon häufig als Assistenzarzt zur Seite gestanden hatte. Chiara fragte sich immer noch, wo sein Nachname herkommen könnte, hatte sich mit dieser Frage allerdings noch nie an den angehenden Arzt selbst gewandt. Doch bei dem gehetzten Ausdruck in seinem Gesicht blieb der Chirurgin die Begrüßung im Hals stecken. Herr Glockich kam schlitternd vor der Frau zu stehen, rang kurz nach Luft und brachte nur ein „Dr. Candle, wie brauchen sie unverzüglich im OP 7“, da wusste Chiara schon, was Sache war. Warum war es momentan eigentlich so verdammt stressig. Es war doch Vorweihnachtszeit… Vier Stunden später trat Chiara aus der Klinik und hätte sich eigentlich über einen restlichen freien Tag freuen können, würde nicht noch der Weihnachtsmarkt nach ihr rufen. Sie hatte ihren Kindern versprochen, ihnen ein paar Naschereien mitzubringen, und wenn sie etwas versprach, dann hielt sie sich auch daran. Es war halb sieben. Eigentlich eine humane Zeit, wenn man bedachte, welcher Arbeit sie nachging. Trotzdem kam sie meistens zumindest sonntags früher aus dem Krankenhaus raus, was einzig und alleine daran lag, dass bekannt war, dass sie sich um Kinder zu kümmern hatte. In der Zeit, in der sie ihren Arbeitsplatz verließ war auch eigentlich immer der Chefarzt bereits anwesend. Es war dunkel, die Sonne war schon lange untergegangen und es war so kalt, dass ihr Atem ihr in kleinen Dampfwölkchen aus dem Mund entwich. Schnee glitzerte auf Gehwegen, Bäumen und Hecken, als sie sich auf den Weg zum Weihnachtsmarkt machte. In Schal, Mütze und Handschuhe gewickelt- und zu Fuß. Ihr Arbeitsplatz lag direkt neben einem der wohl nobelsten Wohnviertel der Stadt. Ihrem Beruf allein hatte es die Oberärztin zu verdanken, dass sie dort wohnen konnte. Wobei sie noch eines der für diese Gegend kleinen Häuser besaß. Aber so konnte Chiara bequem auf jegliches Verkehrsmittel verzichten. Vor allem zur Weihnachtszeit empfand Chiara das zu Fuß gehen als viel angenehmer und zusätzlich sicherer. Auch wenn man ausrutschen und hinfallen konnte-die Gefahr war beim Auto- oder Fahrradfahren ja mal mindesten genau so hoch. Ein Windstoß kam auf und Schnee rieselte von den Bäumen, als Chiara den Weihnachtsmarkt betrat. Ihre Mütze war voller Flocken und auf ihrem Gesicht machte sich ein Lächeln breit. So viele glückliche Gesichter. Lachen. Küssen. Sich im Arm Halten. Auf so einem Weihnachtsmarkt sah man immer viel Glück und Zufriedenheit. Auch etwas Kitsch, aber damit kam sie zurecht. Auch in ihren Haaren, die ihr unter der Mütze hervorquollen hatte sich Schnee festgesetzt und glitzerte dort im Licht der Lichterketten. Es gab hier so viel zu besehen, so viel zu bestaunen. Auch als sie schon längst beim Schokoladenstand gewesen war, um Pralinen für sich und ihren Mann und eine Tafel hochwertigster Vollmilchschokolade für ihre Kinder zu kaufen. Überall Lichter, lächelnde Gesichter, ein freundlicher Gruß hier, ein Lachen da. Man entschuldigte sich, wenn man jemanden anstieß und war ausgelassen. Ein paar junge Männer standen um den Glühweinstand herum. Ob ihre roten Nasen nun von der Kälte oder dem übermäßigen Genuss dieses leckeren Getränks herrührten vermochten wahrscheinlich nicht einmal Diese zu beurteilen. Beim näheren Hinsehen erkannte die Braunhaarige einen weiteren AiP, dessen Namen sie sich jedoch nicht merken konnte. Irgendetwas total Gewöhnliches. Sie nickte ihm zu und ging dann weiter. Sie stand über eine Auswahl an handgestrickten Schals und gefilzten Hüten gebeugt, als ihr Handy klingelte und sie leicht zusammenfuhr. „Hallo Schatz“, meldete sie sich, als sie die Nummer auf dem Display sah. „Wo bist du, die Kinder machen sich schon Sorgen!?“ „Oh, ich bin noch auf dem Weihnachtsmarkt hängengeblieben. Ich komme sofort nach Hause. Bis gleich“ „Bis gleich. Ich liebe dich“ „Ich dich auch“ Chiara musste nicht klingeln oder klopfen, als sie mit federnden Schritten über den kleinen Kiesweg zur Haustür hin ging, riss eines ihrer beiden Kinder die weiße Tür auch schon auf. Sie mussten mit ihren Gesichtern an der Fensterscheibe geklebt haben, so schnell kamen sie herausgeschossen. Die Mutter konnte nicht einmal mehr „nicht so stürmisch“ sagen, da hatten sich beide schon an sie geklammert. Das Mädchen links, der Junge rechts. Chiara versuchte irgendwie, sich in ihrem jetzigen Zustand auf die Tür zu bewegen, um ihre Kinder, die dünne Pyjamas trugen wieder in die Wärme des Hauses zu bugsieren, doch es war ein unnützes Unterfangen. Zumindest solange, bis ihr Mann im Türrahmen erschien, einen leisen Pfiff von sich gab und meinte „Ihr holt euch noch eine Erkältung. Außerdem kann sie euch die Schokolade erst geben, wenn sie selber drin ist“. „Schokolade“ wirkte hier wie ein Zauberwort und die zwei flitzen lachend und kreischend ins Haus. Die Braunhaarige selbst ging es etwas langsamer an, blieb vor ihrem Mann stehen und gab ihm einen Kuss. „Nicht Knutschen, Mama. Wir wollen Schokolade“ Chiara sah Bastian an, bevor sie dem lautstark geäußerten Wunsch von Paul und Annabeth nachging, die Tür hinter sich schloss und sich ganz auf ihre Familie konzentrierte. Mit dem Klicken des Haustürschlosses war auch jeder Gedanke an ihren Arbeitstag fürs Erste ausgelöscht. Noch 12 Tage bis Weihnachten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)