Schneesturm von _Delacroix_ (Adventskalendertürchen Nr. 11) ================================================================================ Schneesturm ----------- Gähnende Dunkelheit hüllte die Wände der Höhle ein, ließ nur erahnen wo vor Jahrtausenden primitive Menschen Bilder ihrer selbst und ihrer Gefährten auf den Stein gepinselt hatten, die kaum genauer waren, als die Strichmännchen, die seine vierjährige Cousine malte und vor der gesamten Familie als große Kunst ausgab - Oder vielmehr von ihrer Mutter ausgeben ließ. Aber es war halt wirklich schwer die Kunst in drei hellblauen Strichen zu sehen, die willkürlicher angeordnet zu sein schienen, als die Ausscheidungen eines Hippogreifs. Rolf schüttelte den Kopf und richtete seinen Blick erneut auf den Boden vor sich. Er hatte den halben Tag in der düsteren Atmosphäre dieser Höhle verbracht und nur noch wenige Quadratmeter vor sich, bevor er auch dieses Loch von seiner Liste der Höhlen streichen konnte, in denen er einen Yeti erwarten würde. Rolf war durch die Dunkelheit gekrochen, in einen unterirdischen See gestürzt und gegen etwa zwei dutzend Tropfsteine gelaufen, weil der Schein seines Lumos ihn nicht rechtzeitig vor dem aufragenden Stein hatte warnen können, aber er hatte weder ein Haarbüschel noch Knochen und schon gar keine Yetischeiße finden können. Dabei hatte er doch so große Hoffnungen auf dieses Gebiet gesetzt, als er noch Zuhause im Warmen gesessen und über den Karten und Plänen gebrütet hatte. Von großen Monstern hatten die Einwohner der umliegenden Dörfern berichtet, von zerrissenen Pferden, Kühen und verschollenen Wanderern – Zumindest wenn Jemand tatsächlich so dumm war alleine während eines Schneesturmes auszuziehen, um vor Einbruch der Dunkelheit auf der anderen Seite des Berges anzukommen. Aber nichts! Nicht einmal einen verwischten Fußabdruck hatte er entdecken können und die fanden bekanntlich sogar die Muggel ab und an. Er war deprimiert, denn ihm lief zunehmend die Zeit davon. Wenn er bis Weihnachten keine Ergebnisse vorzuweisen hatte, würden seine Sponsoren den Geldhahn zudrehen und keine Yetischeiße der Welt würde dafür sorgen, dass er sich wieder öffnete. Alleine der Name Scamander hatte dafür gesorgt, dass man ihn nicht lachend aus dem Haus geworfen hatte, als er seine Pläne zur Erforschung der Yetis vorgestellt hatte. Immerhin hatte Gilderoy Lockhart bereits diverse Ergebnisse über diese gefährlichen Wesen in Form seines Buches „Ein Jahr bei einem Yeti“ vorgelegt. Das wusste sogar die Gattin seines gnädigen Spenders, die sich sicher in ihrem ganzen Leben noch nicht für die Ausscheidungen irgendeines Tieres interessiert hatte. Okay, vielleicht doch, wenn man bedachte, dass sie Perlen um den Hals trug, die größer waren, als die Glasmurmeln, die er mit Sechs von seinem Onkel geschenkt bekommen hatte, aber die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass sie keine Ahnung hatte, wie diese schimmernden Klunker überhaupt entstanden. Es hatte ihn Stunden gekostet die Ungereimtheiten von Lockharts Geschichte auszuarbeiten und diese Mrs. Malfoy glaubhaft zu machen, ohne dabei in Gebiete abzuschweifen, über die man mit einer Frau wie ihr einfach nicht redete. Aber das Glück war ihm hold gewesen und letztlich hatte die Absicht etwas für die Forschung zu tun und damit einen gehörigen Steuernachlass zu erwirken über ihre Skepsis gesiegt und so konnte er nun auf ihre Kosten durch dunkle Höhlen kriechen und in einem billigen Hotelzimmer übernachten, in dem die Heizung nie wärmer als lauwarm wurde, die Dusche tropfte und die graue Matratze Flecken aufwies, die durchaus ebenfalls von einem Yeti hätten stammen können. Was hatte er doch für ein Glück! In Gedanken wieder einmal bei der Frage wie er Mrs. Malfoy erklären sollte, dass er ihr kein Stück Yetischeiße mitbringen konnte, kroch er weiter auf den Ausgang zu. Woher er wusste, dass der Ausgang in dieser Richtung lag? Nun, an allen anderen Enden war er bereits gewesen und Rolfs Orientierungssinn war besser, als man vielleicht von jemandem erwarten würde, der seine Zeit damit verbrachte in muffigen Kellerräumen an Tierhaaren herumzuhexen. Aber wenn man sich zum vierten Mal beim Verfolgen eines Einhorns im Wald verlaufen hatte, lernte man sich zu merken in welche Richtung man gehen musste, wenn man unbeschadet wieder nach Hause kommen wollte. Der vertraute Schein seines Zauberstabs flackerte ein wenig, als er den Blick wieder auf den Boden richtete. Da war ein Stein, der ein wenig aussah wie die Nase seines alten Zaubertrankprofessors, eine kleine Wasserpfütze, durch die er früher schon einmal gewatet war, ein pinker Damenschuh... Halt? Ein pinker Damenschuh? Überrascht richtete sich Rolf ein wenig auf. Da lag tatsächlich ein pinker Damenschuh mitten in der Pfütze. War das die Spur auf die er so lange gewartet hatte? War das ein Indiz, dass das letzte Yetiopfer hier gewesen war, bevor es gefressen worden war? Aber wer ging bitte auf sieben Zentimeter hohen Absätzen im Gebirge auf Wanderschaft? Verdutzt streckte er die Hand nach seinem seltsamen Fund aus. Ein Fehler, den er binnen Sekundenbruchteilen bereuen sollte. Kaum hatte er die Hand um das pinke Lederimitat geschlossen, fuhr ein Ruck durch seinen Körper. Starke Seile schossen aus dem Wasser hervor und hoben ihn samt Schuh in die Luft. Er saß in der Falle! Gefangen wie ein Fisch im Netz begann er zu zappeln, aber auch das half ihm nicht. Diese Seile waren dazu konzipiert Schwereres als ihn einzufangen. Er hatte nicht gewusst, dass Yetis Netze bauen und Seile knüpfen konnten. Wirklich bemerkenswert, aber jetzt musste er erst mal dafür sorgen, dass er nicht als Snack endete, bevor er begann darüber nachzudenken, wie es eine angebliche dumme Kreatur geschafft hatte, ein Seil dieser Konsistenz zu drehen. Hatte er in Lockharts Buch irgendetwas über die Verständigung mit Yetis gelesen? Wieso erinnerte er sich nur noch an Yetischeiße? Genauso plötzlich wie er in die Luft gezogen worden war, gaben die Stricke unter ihm nach und Rolf stürzte, völlig unvorbereitet, zurück in die kalte Pfütze. „Du bist kein Yeti. Wieso machst du meine Falle kaputt?“, fragte eine Stimme zu seiner Linken. Rolf unterdrückte das Bedürfnis sich den schmerzenden Hintern zu reiben. Immer noch zitternd umschloss er den Griff seines Zauberstabes wieder fester und murmelte ein erneutes „Lumos“. Sofort erhellte das vertraute, matte Licht die nähere Umgebung, erlaubte ihm, wenigstens einen Meter weit zu sehen, doch was er nun vor Augen hatte, ließ ihn ernsthaft befürchten, dass er auf den Kopf gefallen sein musste. Mitten in seiner Forschungshöhle stand das seltsamste Geschöpf, dass er je gesehen hatte. Ein dicker, neongrüner Pelzmantel umhüllte einen Körper, umrahmt von zerzaustem, hellen Haar, das einen Kirschaufdruck nur halb verdeckte. Darüber saß, tief ins Gesicht gezogen eine hellbraune Mütze, die er wohl als typisch russische Tracht eingeordnet hätte, hätte sie nicht zwei lange Hasenohren besessen. Über diesem ganzen Durcheinander saß ein hellblauer Poncho, der ebenfalls ein buntes Fruchtmuster aufwies. Schuhe jedoch konnte er beim besten Willen nicht entdecken. Nicht einmal Socken. Hätte dieses Wesen nicht gerade schon gesprochen, er hätte angenommen, dass er vielleicht ein besonders bunt verkleidetes Karibu entdeckt hatte, aber Karibus sprachen nicht. Das war wissenschaftlich erwiesen. „Ist schon wieder Dienstag, oder warum sprichst du nicht?“, nuschelte das seltsame Subjekt mit einem sonderbaren Unterton in seinen Poncho und schenkte ihm einen misstrauischen Blick. Für einen Augenblick war Rolf einfach sprachlos, doch als das Wesen, das der Stimmlage nach wahrscheinlich weiblich war, schon verständnisvoll nickte und erneut zu reden beginnen wollte, würgte er eilig ein „Hier gibt es keine Yetis“ hervor. Seine Stimme klang rau... Zu rau für seinen Geschmack, aber ändern konnte er es gerade nicht. „Natürlich nicht“, antwortete sein Gegenüber und legte den Kopf so schief wie es eben ging, wenn man sich in mehrere Lagen Stoff gequetscht hatte. „Du trägst ja auch keine Yetianlockausrüstung. Aber wenn du ganz still bist, wirst du sie sehen. Sie kommen, schließlich können sie nirgendwo anders hin.“ Eigentlich wollte Rolf von diesen Hirngespinsten nichts wissen, doch ihre Aussage hatte ihn neugierig gemacht. Wusste diese seltsame Frau vielleicht wirklich mehr als er? Fand er deshalb keinen Yeti, weil dieser grüne Ponchogeist sie vertrieben hatte? Zugetraut hätte er es dieser Irren. „Wie meinst du – Meinen Sie das?“, verbesserte er eilig, sich daran erinnernd, dass er ein Brite und damit nahezu verpflichtet war, selbst in derart absurden Situationen einen Hauch von Höflichkeit zu wahren. Auch wenn es ihm schwerfiel diesen Obstsalat als eine Person zu betrachten, dem ein gewisser Grad an Höflichkeit gebührte, es war einfach eine Frage der Erziehung es wenigstens zu versuchen. Außerdem bedeutete das „Du“ einen gewissen Grad von Vertrautheit und wer wollte schon mit einem barfüßigen Ponchogeist vertraut sein, der einen in mysteriösen Yetifallen einfing? „Dummerchen“, antwortete die Fremde mit einem Unterton, der Rolf automatisch annehmen ließ, dass sie es nicht so meinte, „im Schneesturm kehren Yetis immer in ihre Höhle zurück.“ Taten sie das wirklich? Seit Jahren hatte Rolf alles gelesen, was auch nur im Entferntesten mit dem Thema 'Yeti' zu tun hatte und nirgendwo hatte er einen Hinweis darauf finden können, dass diese Wesen sich vom Wetter beeinflussen ließen. Wobei, so ganz unlogisch war die Idee nicht. Richtete sich nicht eigentlich jedes Wesen ein wenig nach dem Wetter? War es möglich, dass sich auch zwei Meter große Affenwesen von Schnee und Eis gestört fühlen konnten? Ausschließen konnte er es nicht. Es gab nur einen Haken an ihrer Theorie und der reichte nicht aus, um ihre Aussage komplett zu widerlegen. „Für heute war kein Schnee angesagt“, bemerkte er kühl und hoffte, dass die sonderbare Gestalt wenigstens ab und zu die Wettervorhersage des Tagespropheten studierte, sofern sie denn lesen konnte. Wobei, benötigte man wirklich Kenntnisse im Entziffern von Buchstaben um die Bedeutung einer kleinen lachenden Sonne zu verstehen, die fröhlich über die Seite flog? Das wäre wohl ein Experiment wert. Schade, dass er keine Zeitung dabei hatte um sie dieser Frau unter die Nase zu halten, die schon wieder grinste, als habe er etwas besonders Dummes von sich gegeben.“ „Vielleicht nicht, aber meine Nase juckt und wenn sie das tut, dann stürmt und schneit es draußen“, versicherte sie und zeigte mit einer großzügigen Geste in Richtung Ausgang, so als sollte er sich selbst davon überzeugen, dass sie nicht verrückt war. Zögerlich folgte er ihrem Vorschlag. Was sollte auch groß passieren? Im schlimmsten Fall würde er in eine weitere ihrer dummen Fallen rennen, aber damit konnte er leben, wenn auf der anderen Seite die Möglichkeit bestand, ihr zu beweisen, dass sie absoluten Schwachsinn redete. Die Schneewahrscheinlichkeit hatte der Prophet für heute mit zwei Prozent angegeben. Zwei Prozent, dass er sich irrte und die Nase dieser Frau wusste, wann sie zu jucken hatte. Aber das war doch nichts, oder? Sie konnte einfach nicht Recht haben. Es gab keinen Anhaltspunkt, keine Forschungsarbeit, kein gar nichts, was beweisen würde dass juckende Nasen verlässliche Wettervorhersagen abgeben konnten und selbst wenn er ihr eine gewisse Wahrscheinlichkeit zusprach, dass der Prophet sich irrte, lagen die Chancen auf Schnee weit unter fünfzig Prozent. Rolf reckte das Kinn nach oben, wich einem Stalagmiten aus und stapfte, seine neue Bekanntschaft im Schlepptau, in Richtung Ausgang. Das Erste, was ihm ins Auge sprang, als er sich dem Eingang näherte, war der ungewöhnlich helle Himmel. Fast weiß strahlte er Rolf entgegen und ließ ihn ein paar Mal heftig die Augen zusammenkneifen. Bunte Formen tanzten vor seinen Augen. Vielleicht war er doch ein wenig zu lange unter der Erde gewesen. Es dauerte einen Augenblick, bis er in dem weißen Chaos wieder etwas erkennen konnte. Da waren die Bäume, die er heute früh gesehen hatte, als er sich auf seine Expedition vorbereitet hatte. Kiefern, groß und stolz, die sich dem Himmel entgegenstreckten. Doch er war kaum in der Lage die Rinde der Bäume zu erkennen. Seine Fußabdrücke waren vollkommen im Schnee verschwunden und durch die Luft tanzten tausende, bunte Flocken, gepaart mit Ästen und Blättern, die der Sturm von den Bäumen gerissen haben musste. Geschockt starrte er in das weiße Chaos. Er hatte gewusst, dass solche Dinge in den Bergen passieren konnten. Das Stürme schnell aufzogen und fast noch schneller wieder abzogen aber das er nicht gemerkt hatte, dass die Welt in Schnee zu ertrinken drohte, gab ihm doch zu denken. Er hätte in dieser Höhle verschüttet werden können. Er hätte jetzt unter der Erde festsitzen können, durch eine tonnenschwere Steinwand von der Außenwelt entfernt und völlig außerstande irgendwohin zu apparieren weil der Schneesturm vor seinem selbstgewählten Gefängnis noch immer tobte. Es fröstelte ihn. Nicht nur, dass er ernsthaft in Gefahr gewesen war, dieses seltsame Geschöpf hatte auch Recht behalten. Entgegen aller Wahrscheinlichkeiten hatte dieser Ponchogeist eine Vorhersage treffen können – Sie musste einfach geschummelt haben. Sicher hatte sie den Schnee gesehen und ihn damit veräppelt. Ganz sicher. Rolf wusste nicht wie lange er schon in das flimmernde Weiß gestarrt hatte, als seinen Lippen wie von selbst eine erste Reaktion entwich. „Ich fass es nicht...“, murmelte er, obwohl er eigentlich nichts hatte sagen wollen und zuckte heftig zusammen, als ihm klar wurde, dass er nicht alleine im Höhleneingang stand. Die seltsame Frau hatte er für einen Moment fast völlig vergessen, doch jetzt wo sie erneut den Mund aufmachte und Blödsinn vor sich her plapperte, erinnerte er sich wieder daran, wieso er hier stand und wie ein bisschen blöde in den grau-weißen Himmel starrte. „Der Schnee ist schön kalt und man kann Engel darin machen“, erklärte die Fremde gerade mit einem sonderbaren Blick als Rolf sich so weit wieder gefangen hatte, dass er ihren Worten zumindest im Ansatz folgen konnte. Das war zu viel! Das Maß war voll! Wütend fuhr Rolf zu dem Fruchtcocktail herum. Wie konnte man nur in so einem Moment an Schneeengel denken? Er hätte in dieser Höhle ersticken oder zum Eiszapfen werden können und diese Frau redete so einen ausgemachten Schwachsinn. Merkte sie nicht, wie gefährlich das Ganze hätte werden können? „Engel? Engel! Wir sitzen in dieser Höhle fest und Sie reden von Engeln?“, fuhr er sie an und tatsächlich zuckte sie heftig zusammen und beeilte sich ein wenig auf Abstand zu gehen, bevor er sie ein weiteres Mal anschnauzen konnte. Graue Augen starrten ihn gekränkt an. „Ich sitze nicht fest. Ich warte auf den Yeti“, stellte sie leise klar und verschränkte die Arme vor der Brust, was sie ein mal mehr wie einen bunten Fruchtcocktail aussehen ließ. Ein wenig tat sie ihm schon leid, aber Rolf hatte sich in Rage geredet und er war nicht bereit sobald aufzuhören, besonders, weil auch diese Aussage einen nicht gerade kleinen Haken hatte. „Hier gibt es keine Yetis! Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise! Keinen Kot! Keine Haare!“, hielt er ihr wütend vor, doch das seltsame Geschöpf schüttelte nur knapp den Kopf. „Hinterlässt du immer Kot und Haare, wenn du Zuhause bist?“, fragte sie mit einem seltsamen Unterton und tatsächlich stockte Rolf. Hatte diese Frau ihn gerade wirklich mit einem Yeti verglichen? Schweigen. Seit einer geschlagenen Stunde saßen sie nun in der Höhle, nahe des Einganges und beobachteten, wie der Schnee langsam immer höher stieg. Seit seinem Ausbruch hatte Rolf kein einziges Wort mehr gesagt und auch die Unbekannte hatte es vorgezogen zu schweigen, während er versucht hatte, ein kleines Feuer zu entzünden und es eilig wieder gelöscht hatte, als ihm eingefallen war, dass der Rauch ja irgendwo hin musste und Höhlen nicht unbedingt mit Dunstabzügen ausgestattet waren. Beinahe glaubte er, dass sie geschmunzelt hatte, als er plötzlich auf dem mühsam entzündeten Feuerchen herumgehüpft war, nur um die Flämmchen möglichst schnell wieder zu ersticken, aber sicher war er sich nicht und er wollte es auch nicht wissen. Sobald der Schnee nicht mehr fiel und der Wind aufhörte zu jaulen würde er disapparieren, das hatte er sich vorgenommen und er wäre vermutlich auch schon längst fort, wäre es nicht so gefährlich im Sturm zu apparieren. Zu groß war die Wahrscheinlichkeit, dass man die Winde falsch berechnete und dann vielleicht seinen Unterleib in Bagdad wiederfand, während der Oberkörper ohne Kopf vor dem Tower von London landete. Rolf erinnerte sich noch gut an die abschreckenden Bilder aus dem Apparierkurs. Nein, so wollte er nicht enden, auch wenn es bedeutete, dass er sich gegen eine feuchte Höhlenwand presste, während eine Irre ihm gegenüber saß, der er zutrauen würde, dass sie plötzlich eine gefährliche Waffe aus ihrem Poncho zog. Als sie bemerkte, dass er sie beobachtete, ließ sie von einem Stück Moos ab und legte erneut den Kopf schief. „Ich bin Luna“, durchbrach sie die Stille und auch wenn er es nicht zugeben wollte, es tat gut, dass das drückende Schweigen endlich durchbrochen war. „Rolf.“ „Freut mich“, antwortete sie erneut und lächelte tatsächlich als würde sie meinen, was sie sagte. Rolf wollte es nicht glauben. Er hatte sie angeschrien, das hatte sie sicher noch nicht vergessen. Das konnte sie nicht vergessen haben. Immerhin erinnerte er sich noch sehr genau an seinen Ausbruch. „Magst du einen Kesselkuchen?“, erkundigte sich die Blonde plötzlich und zog eine Box hervor, deren Inhalt sich tatsächlich als kleine, braune Küchlein entpuppte, die Rolf doch sehr an die Kesselkuchen erinnerte, die er in seiner Kindheit auf dem Weg nach Hogwarts hatte kaufen können. „Wieso gehst du mit Kesselkuchen in Yetihöhlen?“, wollte er wissen, während sein Hunger über sein Misstrauen siegte und ihn dazu trieb vorsichtig nach den Küchlein zu greifen, während Luna bereits den Zweiten von ihnen in ihren Mund stopfte. Sie kaute langsam und sorgfältig, bevor sie zu einer Antwort ansetzte, die noch verrückter klang als alles, was Rolf sich hätte vorstellen können. „Ich wollte den Yetis vorschlagen Vegetarier zu werden“, erklärte sie mit einem Unterton in der Stimme, der ihn stark annehmen ließ, dass sie ihn schlagen würde, würde er jetzt zu lachen beginnen und brachte ihn so dazu das Grinsen zu unterdrücken und stattdessen verständnisvoll zu nicken, wie er es sonst nur tat, wenn seine vierjährige Cousine ihm Unsinn erzählte und dabei aussah, als würde sie gleich zu weinen beginnen, wenn er nicht eilig seine Zustimmung gab. Hatte er einen Moment zu lange gezögert? Rolf war sich nicht sicher, doch Luna seufzte deprimiert und erklärte mit ruhiger, verträumter Stimme: „Dann fressen sie keine Menschen mehr und kriegen keinen Durchfall.“ „Woher weißt du, dass Menschen bei ihnen zu Durchfall führen?“, rutschte es Rolf heraus, bevor er sich wirklich sicher war, ob er die Antwort überhaupt wissen wollte. Das Mädchen hörte kurz auf zu kauen und schenkte ihm einen langen Blick. „Weiß ich nicht.“ „Ja, aber-“ „Warum suchst du Yetis?“, wollte Luna wissen, nachdem sie auch den letzten Kesselkuchen verzehrt hatten. Draußen stürmte es bei weitem nicht mehr so stark wie noch vor einer halben Stunde und Rolf hatte die schwache Hoffnung, dass er es in der nächsten Zeit riskieren konnte in sein Hotelzimmer zurückzuapparieren. Luna schaukelte bereits seit längerem mit angezogenen Beinen vor und zurück, was mit einem Poncho reichlich sonderbar aussah und balancierte zusätzlich noch den einen inzwischen wiedergefundenen Schuh. Vielleicht hatte sie ja einen Seehund in der Verwandtschaft. Vorsichtig wägte Rolf seine Antwort ab. Er wollte nicht schon wieder streiten und er wollte auch nicht wieder von einem Mädchen verurteilt werden, das aussah wie ein Fruchtsalat. „Ich will beweisen, dass Lockhart sich irrt, darum“, murrte er. Schade, dass der Kesselkuchen schon alle war. Er hätte gut und gerne noch einen vertragen können, aber man konnte ja nicht alles haben und bei Lunas nächsten Worten, war er wirklich froh, dass er den Mund nicht voll hatte. „Ich hatte Mal bei ihm Unterricht“, erklärte sie lächelnd und etwas an ihrem Körper klirrte leise, als sie erneut nach hinten wippte. Vielleicht eine Kette oder ein Armband? Rolf konnte kein Schmuckstück entdecken, aber vielleicht trug sie den Schmuck ja unter dem Poncho versteckt. „Verrückt geworden ist er wegen Ron und den Nargeln.“ „Wer ist Ron?“ entwich es Rolf und er wunderte sich woher gerade diese Frage gekommen war. War der Name nicht noch das Normalste an ihrer Aussage gewesen? Lockhart, verrückt. Das konnte nicht stimmen. Laut seinem neuesten Buch 'Wer bin ich?' hatte er einen schweren Gedächtnisverlust erlitten. Das hieß aber noch lange nicht, dass der Mann irre war. Natürlich hatte Rolf das Buch nur aus rein geschäftlichen Gründen gelesen und war kein bisschen neugierig gewesen, was mit dem berühmten Forscher geschehen war. Schließlich war er keine Hausfrau in mittleren Jahren, die einen Orgasmus bekam, weil Lockhart sein Zahnpastatuben-Werbelächeln aufgesetzt hatte und er war auch nicht schadenfroh oder interessiert oder sonst etwas. Er wollte nur seine Thesen widerlegen, das war alles. Und Nargel? Dieses Wort hatte er noch nie gehört und irgendwie hätte er sein Lexikon verwettet, dass er diesen Begriff auch nicht finden würde, wenn er nachschlagen würde. Trotzdem war seine erste Reaktion die Frage gewesen, wer dieser Ron war. Vielleicht wurde es Zeit, dass er begann seine Prioritäten zu hinterfragen. „Ein Freund von mir“, antwortete Luna mit einem Strahlen und Rolf erwischte sich dabei, wie er sich zu fragen begann, ob es 'ein' Freund oder 'mein' Freund hätte heißen müssen. War vermutlich der Höhlenkoller, der sich langsam einstellte, oder dieses Mädchen hatte doch eine ansteckende Krankheit und morgen würde er einen Alufolienhut aufsetzen, durch das Hotel hüpfen und behaupten, er wäre Albus Dumbledore. „Und was sind Nargel?“, fragte er weiter, unsicher ob er das wirklich wissen wollte, aber doch zu fasziniert um es einfach zu unterlassen. „Wenn du das wissen willst“, erklärte Luna und saß plötzlich stocksteif in ihrer Ecke, „musst du meine Arbeit über die Verhaltensweisen der Nargel lesen. Ich hab noch eine. Hier!“ Für einen Augenblick nestelte sie an ihrem Poncho herum, dann zog sie eine Rolle Pergament hervor und schob dieses vorsichtig in seine Richtung. Neugierig griff Rolf nach der dicken Rolle, kämpfte im Dunkel eine Weile mit der Schnur, die Luna kunstvoll um ihr Machwerk geschlungen hatte und entblößte dann eine Menge eng geschriebenen Text, mit Skizzen, Schemata und Modellen der Arbeitsverteilung bei einer Spezies, deren Hauptzeitvertreib offensichtlich Schuhdiebstahl zu sein schien. Seine Augen schmerzten da sein Zauberstab kaum genug Licht zum lesen erzeugte, aber trotzdem schaffte es Rolf ein paar Sätze zu entziffern. „Wieso hast du eine Doktorarbeit in deinem Poncho?“, entfuhr es ihm und er fühlte sich ein weiteres Mal ganz furchtbar dämlich, als die Hexe mit den Schultern zuckte und ihm einen fragenden Blick schenkte. „Wo sollte ich sie sonst haben?“ „Du bist seltsam“, rutschte es ihm heraus, doch anstatt sich beleidigt abzuwenden, schüttelte Luna erneut den Kopf, ignoriert dabei, dass ihre Haare überall im näheren Umkreis hängen blieben. „Nein, ich bin Luna.“ „Siehst du das?“ „Was?“, erkundigte sich Rolf schläfrig und ließ den Blick über die weiße Schneelandschaft gleiten. Noch immer fielen dicke Flocken, aber der Wind hatte merklich nachgelassen und so erinnerte der Sturm schon fast an ein beschauliches Schneetreiben. In einem warmen Zimmer hätte es sogar romantisch sein können. In einer Höhle war es mehr ein Ausblick auf die baldige Erlösung. Es war kalt und feucht aber das Schlimmste schien in der Tat überstanden zu sein. Nur irgendwie war sich Rolf sicher, dass Luna ihm keine besonders hübsche Flocke zeigen wollte. „Na da“, wiederholte sie und streckte den Finger in Richtung Osten aus. Rolf guckte. Er sah Schnee, mehr Schnee und weiter fallenden Schnee und je mehr er starrte, desto mehr schmerzten seine Augen wegen des scheußlichen Weiß. Nur etwas Ungewöhnliches erkannte er beim besten Willen nicht. „Den Schnee?“, erkundigte er sich, heftig blinzelnd, damit die bunten Punkte vor seinen Augen wieder verschwanden, „Es ist schwer ihn nicht zu sehen, meinst du nicht?“ Erneut flogen blonde Haare durch die Luft, ließen Luna wilder aussehen, als sie eigentlich war und bei ihm das Bedürfnis entstehen, ihr mit einem Kamm auf den Leib zu rücken um wenigstens in einen kleinen Teil von ihr ein wenig Ordnung zu bringen. „Das Große und Ganze vielleicht“, begann sie zu erklären, „die einzelne Flocke jedoch geht in der Masse ihrer Freunde unter, obwohl sie einzigartig ist. Aber ich meine nicht die Flocken. Ich meine das da!“ Lag Panik in ihrer Stimme, oder war es eher Freude, die dieser kleine Quietscher ausdrücken sollte, den er gerade herausgehört zu haben glaubte. Rolf war sich nicht sicher, aber was war bei dieser Frau schon sicher? Erneut starrte er in die angegebene Richtung, spürte, wie seine Augen erneut zu schmerzen begannen und dann, gerade als er glaubte, dass die bunten Punkte zurückkehrten, entdeckte er einen Schatten im Schnee. „Bewegt sich da etwas?“, rutschte es ihm heraus und Luna begann augenblicklich heftigst zu nicken. Sie wippte jetzt schneller und klingelte dabei wie ein Tamburin. Eindeutig nervös. „Vielleicht ist es ein Karibu, oder ein Hase“, zählte er leise auf. Irgendwie machte es ihn nervös, dass sie nervös war. Einen Moment lang, klingelte es unverändert weiter, dann erstarrte Luna erneut ruckartig. „Nein“, antwortete sie und es klang ernster als je zuvor. Rolf hob skeptisch die Augenbrauen: „Nein?“ Doch er hatte das Wort kaum ausgesprochen da war sie auch schon auf den Beinen und begann aufs höchste Maß nervös herumzurennen „Das ist der Yeti!“, rief sie ihm über die Schulter zu, „Er kommt nach Hause! Ich muss sofort den Kesselkuchen holen.“ Sie drehte sich mehrfach im Kreis, wechselte die Richtung und hüpfte umher, als wäre sie ein besonders schreckhaftes Kaninchen. Rolf brauchte mehrere Anläufe und musste sich bemühen nicht von ihr überrannt zu werden, bis sie ihm wenigstens wieder so weit zuhörte, dass er ihr sagen konnte, dass sie den Kesselkuchen aufgegessen hatten. Ruckartig blieb sie stehen und starrte ihn mit ihren grauen Augen an. „Aber der Yeti wird Hunger haben“, murmelte sie fast schon verzweifelt, „Spielen im Schnee macht immer hungrig.“ Für einen Moment starrte Rolf sie an. Er wollte schimpfen, sie für diese dumme Annahme tadeln, aber er konnte es nicht. Es war erwiesen, dass man bei viel frischer Luft Hunger bekam und Hunger bedeutete bei einem Yeti, dass sie – Er konnte spüren, wie die Kälte tiefer in seine Knochen kroch und ein Schauer durch seinen Körper lief. Vermutlich war er blasser als der fette Mönch – Sein Lieblingsgeist, als er noch zur Schule gegangen war. „Oh oh...“ „Was machen wir jetzt?“, fragte Luna und riss ihn damit aus seiner Schockstarre. Die Frage war gut. Er wollte nicht gefressen werden und so seltsam Luna auch war, er war sich ziemlich sicher, dass sie es auch nicht vorzog als Snack zwischen den Mahlzeiten zu enden. Wenn, dann wollte sie vermutlich eine vollwertige Mahlzeit ab- Halt! Dieser Gedankengang war eindeutig nicht gesunder Natur und gehörte vorläufig zumindest unterdrückt. „Wir verstecken uns und warten, bis die Yetifalle zuschnappt, die du gebaut hast“, schlug er vor und wollte bereits tiefer in die Höhle rennen, als eine kühle Hand an seinem Arm ihn zurückhielt. „Du meinst die, die du kaputt gemacht hast?“ Rolf schluckte. Verdammt, Luna hatte Recht. Sie hatten vergessen die Falle wieder aufzubauen. Das hieß, sie hatte es vergessen. Er hatte es für schlicht überflüssig gehalten. In dieser Höhle hatte es schließlich keinen Yeti gegeben. Bis eben. „Dann streichen wir eben diesen Teil des Plans.“ „Er kommt näher“, flüsterte Luna und presste sich ein wenig stärker gegen den Stalagmiten, den sie sich als Schutzschild ausgesucht hatten. Rolf hatte seinen Zauberstab so weit abgedunkelt wie möglich. Er wollte nicht wegen dem bisschen Licht entdeckt werden, aber ihn ganz verlöschen zu lassen, hatte er sich auch nicht getraut. Lockhart behauptete, dass Yetis mit der Nase sehen konnten. Wenn er Recht hatte, würde er sie finden und dann wollte er den Feind wenigstens sehen, bevor er in die Suppe geworfen wurde. Ein leichter Geruch nach Obst lag in der Luft. Luna vielleicht? Oder war es doch der Yeti, der eine seltsame Vorliebe für Ananas und Melone hatte? Der Yeti, der die Höhle inzwischen betreten hatte, war viel kleiner, als Rolf zunächst angenommen hatte. Er war vielleicht ein paar Zentimeter größer als er, nicht gerade viel breiter und er bewegte sich zielstrebig auf den Hinterläufen fort. Ab und zu blieb der Yeti stehen, witterte, oder machte einen seltsamen, schnaufenden Laut, den Rolf noch nicht genauer einschätzen konnte. Trotzdem, die Situation hatte seinen Forschungsdrang geweckt und er presste sich mindestens so fest an den kalten Stein, wie Luna. Was würde er alles dafür geben, dieses Wesen von oben bis unten zu vermessen. „Ich muss unbedingt sehen, wie groß er genau ist“, raunte Luna neben ihm und riss ihn aus seinen Tagträumen, indem sie versuchte über den Stalagmiten zu klettern. Ein Fuß trat den seinen, als er nach dem Poncho griff und Luna mit Nachdruck zurückzerrte, aber Rolf schaffte es irgendwie nicht zu schreien. Er würde sich nicht wegen dieser Frau fressen lassen. Forschung hin, Forschung her. „Bist du irre? Du bleibst hier“, forderte er streng und tatsächlich ließ ihre Gegenwehr beinahe augenblicklich nach. „Ja, aber-“, begann sie, doch ein böser Blick ließ sie verstummen. Irgendwo nicht weit entfernt setzte sich der Yeti erneut in Bewegung. Zum Glück hatte er weißes Fell und fing damit das wenige Licht in der Höhle beinahe perfekt ein, so dass man ihn auch ohne viel Licht beobachten konnte. „Willst du gefressen werden?“, raunte Rolf leise, doch Luna ließ sich nicht mehr einschüchtern. War sie bis eben noch panisch gewesen, jetzt war sie offensichtlich neugierig genug um ihre Angst zu vergessen. „Möglicherweise.“ Er stöhnte: „Wieso nur wusste ich, dass du nicht einfach „Nein“ sagst.“ Plötzlich presste sich eine Hand auf seine Lippen und schnitt ihm unsanft das Wort ab. Der Geruch nach Melone nahm schlagartig um ein Vielfaches zu. Außerdem bemerkte Rolf erst jetzt, dass die Hexe sich magische Tierwesen auf die Fingernägel gemalt hatte. Da war ein Einhorn auf ihrem Daumen, ein Drache auf dem Mittelfinger und auf dem Kleinen glaubte er ein Bild von Santa Clause zu erkennen, der ein braunes Rentier kraulte. „Psst! Er wittert“, raunte Luna leise. Erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass sie nicht alleine waren und sein Blick glitt ein weiteres Mal zurück zu dem Wesen, das ein wenig verloren mitten in der Höhle stand. „Irgendwie sieht er verwirrt aus, nicht?“, bemerkte er, was Luna mit heftigem Nicken quittierte. „Stim- Hast du das gesehen? Er ist gegen den Stalagmiten gelaufen. Er hat sich wehgetan!“ Vermutlich hätte sie geschrien, aber sie schaffte es noch sich die Hände vor den Mund zu pressen und Rolf einen entschuldigenden Blick zu schenken, damit er nicht wieder beginnen konnte, an ihr herumzumeckern. Doch Rolf war mit seinen Gedanken längst woanders. „Vielleicht ist er vergesslich“, mutmaßte er leise, was ihre Augen erneut zum Funkeln brachte. „Oder blind“, ergänzte Luna begeistert und konnte es einfach nicht lassen ihren Kopf ein wenig weiter an dem dicken Stein vorbeizuschieben. „Obwohl“, verbesserte sich sich selbst, „dann hätte er kein Licht dabei.“ Kurz wollte Rolf widersprechen, dann sah auch er das fahle Glimmen, das ihn sehr an seinen eigenen Lumos erinnerte. „Bemerkenswert, wirklich bemerkenswert“, murmelte er und auch ihm viel es zunehmend schwerer, nicht hinter dem Stein hervorzukriechen. „Was macht er jetzt?“, hörte er Luna leise fragen, als das Wesen sich kräftig schüttelte und einen Arm zu heben begann. „Er greift sich an den Ko-“, setzte Rolf zu einer Antwort an. Doch weiter kam er nicht. Der Yeti hatte sich an den Kopf gegriffen und ihn einfach abgenommen. Rotes Fell lugte unter der weißen Masse hervor und Rolf hatte das Gefühl, als würde er inzwischen mit offenem Mund starren. Für einen Moment war er völlig erstarrt. Das war mit Sicherheit eine wissenschaftliche Sensation! Erst als Luna ein lautes „Ron!“ ertönen ließ und los rannte um sich der Bestie in die Arme zu schmeißen, erwachte er aus seinem Schockzustand. Hatte der Yeti jetzt einen Namen, oder war das Ganze am Ende doch ein einziger, riesiger Schwindel? War Ron nicht der Name von Lunas Freund? Vorsichtig lugte Rolf hinter dem Stalagmiten hervor. Er ließ Ron nicht aus den Augen, als dieser heftig hustete, bevor er krächzend zu reden begann: „Luna, da bist du ja. Hermine hat mich gebeten dich abzuholen, damit du dich nicht im Schneesturm verläufst.“ Er klang erkältet, aber nicht, als wäre er ein Schneemonster. Erleichtert und enttäuscht zugleich trat Rolf näher, ignorierte Lunas fröhliches: „Och, und wir hatten gehofft du wärst der Yeti“ und begann den Anderen zu mustern. Der junge Mann vor ihm hatte leuchtend rotes Haar, Sommersprossen und eine Nase, die von seiner Erkältung so rot war, dass sie sich fast mit seinen Haaren biss. Einige Bartstoppeln zeugten davon, dass er in letzter Zeit wohl nicht viel Freizeit gehabt hatte. Vielleicht war er ein wenig älter als Rolf, vielleicht schien es ihm auch nur so, weil er Augenringe hatte und in dem langen, weißen Umhang mit der Kaputze extra blass aussah. Kein Wunder, dass er ihn im Schnee nicht hatte sehen können. Erst beim zweiten Mustern entdeckte er das Ministeriums-M auf seiner Brust. Auror. Vermutlich erfolgreich, reich und bei den Frauen beliebt. Unsympathisch. Außerdem grapschte er eindeutig zu viel an Luna herum um ein herzensguter Mensch zu sein. „Wir?“, hustete es und Rolf erwischte sich dabei, dem Kerl weitere Erkältungen an den Hals zu wünschen, während Luna wieder fröhlich nickte und mit ihren bunt bemalten Fingern auf ihn zeigte: „Ja, das ist Rolf. Er ist ein großer Fan von Professor Lockhart!“, erklärte sie kichernd. Energisch schüttelte Rolf den Kopf: „Bin ich nicht“, rutschte es ihm heraus und für einen Moment fühlte er sich ein wenig wie Luna, als ihr Freund ihn kritisch ansah und anscheinend als Freak abstempelte. Klasse, verurteilt in der ersten Minute, aber er konnte sich wohl kaum darüber beschweren. Schließlich hatte er heute nicht anders gehandelt. „Bist du wohl“, widersprach das Mädchen und klimperte fröhlich, als sie eine Runde um Ron herumwirbelte, so wie sie es früher am Tag schon bei ihm getan hatte. „Bin ich – Ach, vergiss es“, grollte Rolf. Es gefiel ihm nicht, wie Luna um diesen Typen herumsprang und es gefiel ihm noch weniger, wie er ihn ansah und noch weniger gefiel ihm wie der Typ Luna angaffte. Kurz um, er konnte Ron nicht leiden, dabei kannte er ihn noch keine zehn Minuten lang. „Das wäre kontraproduktiv.“ „Luna, wir müssen los. Hermine und Rose warten mit dem Essen“, drängelte Ron, während sie ihre sieben Sachen und den fehlenden Schuh zusammensuchte und versuchte irgendwie alles in ihren Fruchtponcho zu stopfen. Wie viele Taschen hatte das Ding wohl auf der Innenseite? Sicher war sich Rolf dabei nicht. Aber bei dem ganzen Krempel mussten es entweder sehr viele, oder sehr große sein. Seit Rons Auftauchen fühlte sich Rolf ein wenig überflüssig. Er hatte seinen Lumos wieder stärker aufflammen lassen und bereitwillig bei der Suche nach dem fehlenden Schuh geholfen, aber an der Unterhaltung war er nicht mehr interessiert. Viel lieber behielt er den Auror im Auge und freute sich, wenn Ron Mal wieder einen Stein übersah, in eine Pfütze trat, oder einfach nur niesend in der Ecke stand, während Luna irgendwelche neuen Yetitheorien verkündete und ihren Besitz verpackte. „Och, müssen wir wirklich schon?“, fragte sie gerade, als Rolf scheinbar interessiert einen Stein zu mustern begonnen hatte, aber Ron nickte nur. „Hermine wird zum Yeti, wenn ich nicht gleich mit dir im Schlepptau nach Hause appariere“, erklärte er ungeduldig und putzte sich bestimmt schon zum achten Mal in Folge die scheinbar dauerhaft laufende Nase. „Sie wollen apparieren?“, entfuhr es Rolf obwohl er sich eigentlich vorgenommen hatte, nicht mit dem Kerl zu reden, aber unter den gegebenen Umständen würde er es zumindest versuchen, „Bei dem Sturm? Sind Sie eigentlich verrückt?“ Ein böser Blick prallte an ihm ab, aber auch sein Einwand schien auf Granit zu stoßen. „Nein, Auror“, kam die Antwort wie aufs Stichwort und hätte Rolf es nicht besser gewusst, er hätte geglaubt, dass der Andere breit zu grinsen begonnen hatte. Ministeriumstrottel. Kaum hatten sie ein goldenes M auf der Brust, glaubten diese Kerle doch alle Mutter Natur würde ihre Gesetze für sie ändern. Scheinbar machte es da keinen Unterschied ob der Gegenüber Auror oder Mitglied der Behörde für magische Tierwesen war. Hoffentlich würde das gutgehen. Zwar hatte der Sturm schon vor einiger Zeit spürbar nachgelassen und auch das Jaulen des Windes war kaum noch zu hören, aber dieser Auror war krank, gehörte ins Bett und Luna – Was wenn Luna in Einzelteilen auf der ganzen Welt verteilt wurde? Wäre es nicht doch irgendwie schade um die sonderbare, junge Frau mit den seltsamen Ideen? Unsicher warf er ihr einen Blick zu, der von der Hexe mit großen Augen erwidert wurde. „Tschuldige Rolf“, begann sie leise und klang tatsächlich ein wenig traurig dabei, „ich fürchte, du musst alleine auf den Yeti warten.“ Er hätte widersprechen können, erneut feststellen, dass es in dieser Höhle keinen Yeti gab, oder bemerken, dass er seine Untersuchungen für heute einstellen würde, sobald er dem Himmel genug traute um in sein Hotel zurückzukehren, aber er tat es nicht. Vielleicht war es ihr seltsamer Einfluss, der ihn dazu brachte nur knapp den Kopf zu schütteln, vielleicht war ihm der Aufenthalt in der Höhle wirklich nicht bekommen, aber Rolf setzte ein ergebenes Lächeln auf und erwiderte: „Schon gut. Ich glaube ohnehin nicht, dass er hier noch auftauchen wird.“ Große Augen begannen dankbar zu glänzen und erinnerten ihn für einen Moment an flüssiges Silber, obwohl er in seinem ganzen Leben sicher noch kein flüssiges Silber gesehen hatte. „Falls doch, gibst du ihm ein Pfefferminzbonbon von mir?“ Rolf nickte, noch immer abgelenkt: „Sicher.“ „Wunderbar. Ich sehe dich dann morgen in der Felsengrotte.“ Überrascht riss sich Rolf aus seinen Tagträumen. Woher wusste Luna, dass er sich die Felsengrotte für den nächsten Tag ausgesucht hatte? Hatte er es erwähnt? Nein, ganz sicher nicht. Seine Gedanken begannen schlagartig erneut einen Marathon zu laufen, durchdachten ihre letzte Unterhaltung, doch sie kamen nicht ins Ziel. Sie konnte es nicht wissen. Es gab keinerlei logischen Zusammenhang. Doch den gab es bei ihr ja scheinbar nie. Aus den Augenwinkeln bemerkte er wie Ron zum dritten Mal auf die Uhr starrte, nur um dann ungeduldig den Fuß auf den Boden zu tippen. Offenbar dauerte ihm das alles schon wieder zu lange. „Wieso gerade da?“, fragte Rolf nun doch und ignorierte das genervte Stöhnen des Auroren, der nun ungeduldig nach Lunas Arm griff um sie hinaus in den Schnee zu ziehen. Jeder von Lunas Schritten klingelte in einer anderen Tonhöhe und Rolf glaubte schon sie würde ihn bis zum nächsten Tag im Unklaren lassen wollen, da drehte sich die junge Frau um. „Weiß doch jeder, dass Yetis sich immer gegen den Uhrzeigersinn fortbewegen“, rief sie ihm durch den Schnee hinweg zu, dann wurden sie und ihr Begleiter eins in dem sanften Schneetreiben. Rolf seufzte. Diese Frau war mit Abstand das seltsamste Geschöpf, das er je gesehen hatte. Hoffentlich würde sie wirklich am nächsten Tag in der Felsengrotte sein. Es gab noch viel zu erforschen und viel zu erlernen und mit ein wenig Glück würde es vielleicht auch wieder schneien. Seine Nase juckte ein wenig. Das konnte ja eigentlich nur ein gutes Zeichen sein.   Hosted by Animexx e.V. 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