Spuren im Schnee von Tentakel (Adventskalender-Geschichte) ================================================================================ Kapitel 1: Flucht in den Schnee ------------------------------- 24tes, noch nicht ganz fertiges, Türchen für [[Jube]]s Adventskalender 24.12.2010 - KÖNIGSTEIN IM TAUNUS. 02.20. Die Forscherin kauerte zwischen einen geschlossenen Marktstand und einem Schneehaufen. Seit zwei Wochen beobachtete sie den Königsteiner Weihnachtsmarkt, prägte sich Worte und Gestern der Menschen ein. Jetzt waren alle Kunden weg, nur zwei Händlerinnen waren noch wach. Sie ahnte nicht, dass sie selbst beobachtet wurde. Ein schwarzer SUV stand halb eingeschneit am Ausgang des Marktes, darin sechs Jäger, die nur darauf warteten Ljod zu töten. *** "Die lange Weih-Nacht", Sandra starrte müde auf das zugeschneite Schild. Zu lesen war die Schrift nicht mehr. Jetzt lag der Weihnachtsmarkt dunkel und verschneit vor ihr, die meisten Händler waren schon Mittags geflohen. Diejenigen, die noch da waren, hatten sich in ihre Marktwagen oder günstige Hotels verzogen. Wie Sandra erwartet hatte, waren die Leute satt, beschenkt und lustlos nach der Bescherung und Essen aus ihren Häusern gekrochen gekommen. Umsatz war auf dem "Weih-NACHT-Markt-Event-des-Rhein-Main Gebietes", an Heilig Abend kaum zu erwarten gewesen. Am frühen Morgen einige gestresste Leute, denen kurz vor knapp einfiel: "Oh, Heiligabend ist ja dieses Jahr am 24. Dezember!". Alle suchten etwas ganz Bestimmtes, wussten aber entweder nicht was, oder es war so exotisch oder komisch, das man es nicht einmal seinem schlimmsten Feind schenken würde. Sandra lehnte sich an ihren Hänger und wartete auf Olga, um sich für diesen Markt zu verabschieden. Die wenigen Fuss- und Reifenspuren auf dem Marktgelände waren schon fast wieder von Schnee bedeckt. Sandra blickte neben einen geschlossenen Marktstand, irgend etwas hatte sich da bewegt. Sicher ein Händler der noch einmal in die Kälte kroch um den Schnee ein wenig gelber zu machen. Sie selbst schob das auf, bis sie einen einsamen Fleck an der Strasse fand. Die Marrtleitung hatte die Toiletten schon eine Stunde vor Marktende geschlossen und Sandra waren es einfach zu viele Webcams in der alten Stadt, um es ihrem Kollegen gleich zu tun. "Traumfänger", kopfschüttelnd lief Olga an Sandra vorbei, die grade ihren Marktwagen an den Allrad VW Bus hängte. "Bei mir wollte einer Kondome mit Zimt Geschmack", erwiderte Sandra. Ihre Kollegin, die selbst gemachte Kerzen verkaufte blieb stehen. "Oh, muss der Typ gewesen sein, der fragte ob die Kerzen bei Körpertemperatur nicht zu weich werden." Sandra zog die Stirn in Falten. "Welchen Durchmesser sollte die Kerze denn haben?" Beide Frauen sahen sich an und lachten. Olga deutete auf ihren Marktstand, den sie mit Planen zu gehängt hatte. "Ich gehe dann mal in mein 'Hotel Marktstand'. Bei dem Wetter rührt sich mein Auto selbst mit Schnee-Ketten nicht mehr von der Stelle. Ausserdem habe ich das hier." Olga hob eine Kanne Glühwein hoch. Sandra gab ihr eine LED Lampe und eine Packung Batterien zu. "Frohe Ostern Süsse - ein wenig Erleuchtigung." Olga grinste und winkte. "Wir sehen uns in zwei Wochen in Weilburg auf dem Neujahrsmarkt! B8 IN RICHTUNG ORTSAUSGANG KÖNIGSTEIN Ljod rannte. Ihr blieb keine Zeit nachzudenken woher die Jäger plötzlich gekommen waren, eben hatte sie noch das Ende des Königsteiner Weihnachtsmarktes beobachtet, dann war etwas wie eine Faust in ihre Seite eingeschlagen. "Nicht über den Friedhof!" Befahl sie sich selbst. Noch saugte ihre Kleidung das Blut auf, aber sie durfte in der Stadt auf keinen Fall eine Blutspur hinterlassen. Sie rannte am Rand der B8 entlang, hinauf in Richtung Glashütten, sprang über den Schneewall den ein Räumfahrzeug hinterlassen hatte und krabbelte einen Hang hinauf. Ihre Verfolger blieben hinter ihr zurück. Sie waren zu Fuss weitaus langsamer als Ljod. Die Forscherin rannte, bis sie sich sicher war, dass kein Mensch zu Fuss in dieser Nacht unterwegs war, dann rannte sie im Schnee, der ihr wie Hagel ins Gesicht schlug über die Strasse. Der Drang nicht in der Stadt zu verbluten, um nicht sich selbst und ihr Blut zum Beweis ihrer Existenz zurückzulassen, hatte sie unvorsichtig gemacht. Eine Hupe dröhnte neben ihr, Scheinwerfer zerschnitten die Dunkelheit. Sie hechtete über die Strasse und verschwand imWald. Jetzt hatte sie jemand gesehen, die Jäger waren es nicht gewesen, sie hoffte, das ihre Tarnung als MEnsch nicht aufgeflogen war. Sie hörte nicht mehr, wie das Fahrzeug anhielt. *** "Hey, ich lege einen Verbandskasten hier hin!" rief Sandra in die Stille des Waldes. Wer auch immer da vor ihr weg lief, blieb nicht stehen und die Blutspur im Schnee wurde immer deutlicher, ein Zeichen dafür, dass die Verletzung schlimmer wurde. "Verbandskasten und meine Weste lasse ich hier!" Sandra dürchwühlte die Taschen ihrer Weste. Ähh ... und Schokolade und einer Taschenlampe!" Sandra liess ihre wattierte Weste von den Schultern gleiten. Wenn es wirklich ein Kind war, das hier einsam durch den Wald flüchtete, musste sie dringend die Polizei anrufen. Aber das hatte sie schon getan, als die Gestalt vor ihrem VW Bus, kurz hinter Königstein entlanghuschte. "Wenn Sie erst kurz hinter Königsstein sind, ist es sicher nur ein Wanderer." Hatte man sie abgewimmelt. An Heiligabend hatte die Polizei wohl keine Lust dem Anruf nachzugehen. "Klar, nachts um drei", aber der Einwand wurde ignoriert. Als Sandra sich schon umdrehen und durch den Schnee, der ihr bis an die Knie reichte, zurückstapfen wollte, fiel ihr das Handy in ihrer Hosentasche ein. "Mein Handy liegt hier auch! Ich lasse es an!" Brüllte sie. Wer auch immer da weglief, würde, sicher keinen Krankenwagen in Nordsibirien anrufen und wenn doch, war es Sandra egal. Sie packte das Telefon auf den Verbandskasten und unter die Weste. Als sie sich durch den Wald zurücktastste liess die Aufregung langsam nach, Adrenalien und den ganzen Tag Kaffee auf dem Weihnachtsmarkt wollten raus. Sandra hockte an einem Baum gelehnt in Sichtweite der Strasse. "Was machen Sie hier?" riss sie eine Stimme, der eine Portion Freundlichkeit gut getan hätte. aus dem nachdenklichen vor sich hinpinkeln. "Ich mache gelben Schnee für den Weihnachtsmann", schnappte sie als ihr ins Gesicht geleuchtet wurde. "Haben sie hier jemanden gesehen?" Geblendet und unfreundlich angeblafft wollte Sandra zuerst wissen, wer hier dumme Fragen stellte, bevor sie die Sache mit dem Kind erzählte. "Ich sehe einen Tunneeel und ein Liiicht." Grummelte sie und wollte nach den Taschentüchern in ihrer Weste greifen. "Mist." "Was?" "Taschentuch!" blaffte sie. Zu ihrer Verwunderung schaltete der Typ das Licht aus und gab ihr ein Taschentuch. Sandra liess sich Zeit und gab damit ihren Augen die Chance sich an das Dunkel zu gewöhnen. Vier Gestalten konnte sie im Halbkreis um sich herum ausmachen. Ein dunkler Wagen stand hinter ihrem VW Bus und dem Hänger. Sie war also genau richtig aus dem Wald wieder rausgekommen, etwa 50 Meter oberhalb der Blutspur. "Was ist? Haben sie etwas gesehen?" Sandra entschied sich für eine Halbwahrheit. "Hätte fast einen dummen Jogger überfahren, so einen bescheuerten Fitnessfreak. Nachts um drei im Taunus. Wollte sich wohl ein paar Plätzchen von den Hüften laufen", motzte sie. Der Frust in ihrer Stimme war echt. Denn mittlerweile konnte sie sehen, dass zwei weitere Gestalten in ihren VW Bus leuchteten. Das Licht ihrer Lampen fiel, von den Fenster reflektiert, teilweise auf sie zurück Schwarz gekleidete Typen mit Waffen, komplett vermummt mit Einsatzhelmen und vollen Magazintaschen an ihren Westen. "Wohin ist dieser Typ gejoggt?" "Die B8 hoch, totaler Spinner", Sandra tippte sich an die Stirn. "In Ordnung. Frau...?" "Steht da drauf", Sandra deutete auf ihren Bus. "Sandra van Cooten - Töpferwaren", reflektierte die Spezialfolie. "Entschuldigen sie die Probleme", sagte der vermummte Mann. "Ihr spinnender Jogger ist ein wichtiger Politiker, den wir schützen sollen, etwas arg exzentrisch." Die Worte klangen logisch, aber dennoch falsch. "Dann hoffe ich, er lässt sich nicht plattfahren. Ich will jedenfalls heim", Sandra benutzte etwas Schnee um sich die Hände sauberzureiben und ging ungerührt an dem Mann vorbei. Sie spürte, das diese komischen Typen ihr misstrauten. Das Fahrzeug hinter ihrem Wagen war die dritte Version des Hummvee. Ein geschrupfter Glitzer SUV auf viel zu breiten Reifen. *** "Meine schöne Kiste Bier", maulte Finger. Jeder im Team hatte einen Spitznamen, nicht weil es besser klang, sondern weil es besser tarnte. Finger hatte denselben immer am Abzug seiner Waffe - und sich deswegen schon selbst ins Bein geschossen, etwas worauf man ihn besser nicht ansprach. "Du hattest doch gewettet, dass die Frau kreischend aufspringt", die Worte seines Kommandanten klangen schroff wie immer, aber mit einem belustigten Unterton. Er hiess einfach nur Kommandant oder Boss. "Doch keine Frau die auf einen Markt geht", mischte sich Messer ein, er rühmte sich Flüchtigen 'Affen' am besten die Haut abziehen zu können, nach einigen Schnitten mit seinem geliebten Messer. Der Kommandant klappte sein Helmvisier runter. Eine Nachtansicht der Umgebung wurde auf die Innenseite projiziert. Bäume und Schnee. Die Fussspuren der flüchtigen Beute waren längst verweht und von frischem Schnee bedeckt, aber der Scanner auf seiner Waffe, zeigte Geruchsspuren an. Blut. Die andere Hälfte des Trupps war im Wagen zurückgeblieben. Sie hörten Polizei- und Taxifunk ab. Durchwühlten die Datenbanken der Polizei auf Hinweise auf ihre Beute. "Jetzt hat der Boss wieder Spass", motzte Auge. "Jepp, hätte dem zweibeinigen Dreck am liebsten selbst den Fangschuss verpasst", Feuer, die einzige Frau die sich schon bei Jagden auf die 'Affen' bewiesen hatte, tätschelte den Tank ihres Flammenwerfers. "Ich habe was", Kohle deutete auf den Bildschirm seines Laptops. Die Abschrift eines Notrufes. Seine Augen blitzten im Jagdfieber. Nicht seine Hautfarbe hatte ihm den Namen gegeben, er war der Einzige, der die Jagd rein wegen des Geldes machte. Ihm waren die 'Affen' egal. Er hatte eine Söldnerseele, aber ob jemand auf Überzeugung den Dreck zur Strecke brachte, oder wegen Geld, war dem Oberkommando egal. *** Ljod ging unsicher zurück. Die Stimme gehörte zu keinem ihr bekannten Jäger. Natürlich konnte es eine Falle sein, aber sie hatte schon so viel Blut verloren, dass sie keinen der sicheren Eingänge in die Tunnel erreichen würde. Sie schob den Schnee von der Weste, ihre Fähigkeit im Dunkeln zu sehen, machte es fast überflüssig das aufgenähte Logo zu ertasten. Ihre Finger fuhren trotzdem über die gestrickte Beschriftung. Die Forscherin atmete auf, sie hatte den Marktstand und die Frau, die diese Weste trug auf dem Weihnachtsmarkt in Königstein gesehen. Sie verkaufte Dinge, die aus gebranntem Ton hergestellt waren. Ljod hatte schon selbst solche Dinge gemacht. Vor allem Tiere die in den Wäldern des Taunus zu finden waren. Sie hängte die Weste an einen abgebrochenen Ast und durchsuchte die Taschen. Taschentücher, eine angefangene Tafel Schokolade, Bindedraht, eine fast leere Rolle Panzerklebeband und ein zerknitterter Bogen Preisaufkleber. Auf dem Verbandskasten lag das Handy. Es war angeschaltet. Sie schnupperte daran und entschied sich dann es zu benutzen. Am anderen Ende wurde der Anruf angenommen, aber niemand meldete sich. "Onkel Karl, ich bin auf dem Weg zu meiner Schwester. Ich war in Königsstein auf dem Weihnachtsmarkt. Zu viel Glühwein, sehe schon sechs Weihnachtsmänner wenn ich mich drehe. Komme euch heute nicht besuchen." Ljod legte auf und öffnete, wissend, dass sie zu viel Blut verloren hatte, den Verbandskasten. Sie zitterte so sehr, dass er ihr entglitt. Auch das Handy landete im Schnee. Ljod zerrte sich den Poncho über den Kopf und rieb Schnee in die Schusswunde an ihrer linken Seite. Sie konnte kaum noch klar denken obwohl ihre beiden Herzen das verbliebene Blut mit aller Kraft durch ihren Körper pumpten. Es war kalt, aber sie musste ihren Körper vom Blut befreien. Beim zweiten Versuch schaffte sie es den Verbandskasten aufzumachen. Sie drückte die ganze Packung Taschentücher auf die Wunde und klebte diese mit Klebeband fest umwickelte sich dann ein paar Mal mit dem Band. Fest und es kam kein Blut mehr heraus. Vorerst. Dann betrachtete sie das, was sie aus der Wunde gekratzt hatte. Es war nicht das Projektil. Ljod wollte den Sender zuerst zerdrücken, wickelte ihn stattdessen in ihre Kleidung und stopfte diese hinter einen Baum. Das würde ihr nicht viel Vorsprung verschaffen, aber sie gab die Hoffnung nicht auf. Um ihren eigenen Geruch noch mehr zu verbergen schlüpfte sie in die Weste. Dann rannte sie los. Es dauerte keine zwei Minuten um alle Wächter zu alarmieren. Rund um den Feldberg setzen sich gepanzerte Fahrzeuge in Bewegung. "Ortung?" Onkel Karl hiess wirklich Karl. Er war der grosse Onkel, der darauf achtete, das niemand die Zuflucht entdeckte. Ljods Anruf war klar: Ihr Schwester war vor einem Jahr, ebenfalls nach dem Weihnachtsmarkt von sechs Jägern ermordet worden. Der hinweis sie käme heute nicht zu ihm, sondern ginge zu ihr, ließ Karl die Stirn kraus ziehen. Das einzige Zeichen von Wut und Sorge, das er sich erlaubte. Seine KSK Leute arbeiten inoffiziell für die Versteckten. Offiziell schützten sie eine längst aufgegebene Funkstation vor Anschlägen. "Habs gleich - lege die Daten auf die Scheibe." Die Stimme des jüngsten Mitglieds seiner Truppe zitterte. "Dieses Mal kriegen wir diese Jäger", Karl legte dem Mann am Bordcomputer die Hand auf die Schulter. Wie das Helmvisier der Jäger, verfügten die Fahrzeuge über Scheiben, auf die man wie bei einem Monitor Daten einblenden konnte. Die Ortung lief noch, grenzte sich aber langsam auf ein Gebiet, 600 Meter neben der B8 ein. Karl startete den Motor und sendete die Daten an alle Fahrzeige und die zwei Hoppa, die sich auf dem höchsten Punkt des Felbergs in die Luft schwangen. Ihre vier Schwenkrotoren wurden mit Schnee und Sturm bestens fertig. "Augen online", meldete die Chefpilotin von 'Hoppa Eins'. *** Sandra schlich durch das immer heftiger werdende Schneetreiben. Ihr Bus schaffte das Wetter mühelos, aber der Anhänger war ein Angriffsziel für Wind und Schnee. Sie versuchte nicht mehr an diese komischen Sicherheitsleute zu denken. Aber diese brachten sich ihr mit einem Schlag zurück in Erinnerung. Die Lampen des Hummer tauchten erst kurz vor dem Knall aus dem Schneevorhang auf, verschwanden dann im Hänger. Es war kein grosser Ruck. Sandra gab Gas, brav beschleunigte der Bus. "Mein Hänger ... Wichser!" fluchte sie. Dann raste der Hummer erneut heran um sie ein zweites Mal zu rammen. "Kaputt ist er eh!". Sandra trat mit aller Kraft auf die Bremse. Jetzt krachte es richtig. Der Aufprall schleuderte sie fast gegen die Scheibe. Dann nahm sie den Fuss von der Bremse und fuhr weiter. Der Wagen hinter ihr leuchtete nur noch auf einem Auge. Trotz des Aufpralls rollte der Hänger brav hinter dem Bus her. Die Verfolger gaben nicht auf, begannen auf der verschneiten Strasse ein Überholmanöver. "Breitreifen auf Schnee und Eis?" Sandra liess sie herankommen, bis sie direkt neben dem Hänger waren. "Whooops - ausgerutscht!" Sandra riss das Steuer nach rechts. Der Bus begann sich zu drehen, sie kurbelte zurück und der Hänger knickte hinter ihr ein, schubste den blitzenden Haufen Plastik-SUV-Müll von der Strasse. "Das ist dafür, das ihr meine Ware zerdeppert habt", knurrte Sandra. Sie sah wie drei Schemen aus dem Hummer krabbelten. Fürs erste waren die Erledigt. "Aber die Schmeissfliegen geben sicher nicht auf." Einige hundert Meter weiter hielt sie an. Kein Handy, mitten im Taunus, verfolgt von komischen Typen. Sie musste anfangen sich zu wehren. Der Anhänger sah nicht so schlimm aus wie gedacht. Der massive Metallrahmen unter der Holzverkleidung hatte gehalten. Das Innere sah dagegen wüst aus. Arbeitsmaterial und Waren hatte es aus den Kisten geschleudert. Es roch nach Verdünner. Sandra grub unter den Kisten nach der Flasche mit dem Verdünner. "Ihr wollt spielen?" Sandra trat das Gaspedal durch. Drei der vier angetriebenen Räder drehten durch, blind griff die Fahrerin nach den Differzialsperren und drehte beide bis zum Anschlag. Das wilde Durchdrehen hörte auf, grade rechtzeitig um das Abbiegen vorzubereiten. Es war als flöge der Allrad VW Bus durch ein schwarzes Universum voller Sterne. Die Scheibenwischer verloren den Kampf gegen den Schnee, die Scheinwerfer waren zu Teelichtern degeneriert, so dick klebten Eis und Schnee auf ihnen. An Bus und Weihnachtsmarktanhänger vorbei sah Sandra ein einsames Licht näherkommen. Die Verfolger hatten es anscheinend aus dem Graben herrausgeschafft. Hätten sie einen alten Militär-Hummer gehabt, wäre Sandra längst erledigt, aber das Yuppie Gefährt hatte mit dem ursprünglichen Militärfahrzeug so viel gemein, wie ein Goldfisch mit einem Koi Karpfen. Mit beiden Händen packte Sandra das Lenkrad, wartete bis der gelbe Reflektor an den fast zugeschneidetn Fahrbahnmarkierungen aufkeuchte. Die Markierung kündigte die Strasse hinauf auf den Feldberg an. Ihre Verfolger versuchten die Geschwindigkeit vor der Stassenkuppe mit der Kreuzung zu verringern. Sie schienen zu ahnen, dass Sandra zum Feldberg abbiegen wollte, den Vorteil ihres hochbeinigen Wagens nutzen würde um die total verschneite Strasse zur Flucht zu nutzen. Im Gegensatz zu ihren Verfolgern verlangamte sie nicht. Beschleunigte weiter und öffnete die hinteren Sperren. Gleich war es egal wie viele Räder griffen, gleich musste sie rutschen. Zumindestens mit dem Heck. Mit einem Ruck riss Sandra das Lenkrad herum und gab vorsichtig Gas. Das Heck des Allraders kam brav herum, gezogen vom Hänger. Kein Problem auf dem zentimeterdicken Eis. "Reifer Drift, wäre was für Youtube", lobte sich Sandra selbst. Die Verfolger fuhren vorsichtig um die Kurve, kamen aber trotzdem ins Schlingern, holten dann aber auf. Auf der steilen Strasse war der VW Bus mit Hänger einfach zu untermotorisiert. Sie kamen schnell näher, rammten den VW Bus aber kein zweites Mal. "Aha, lernfähig", knurrte Sandra. hatte aber nicht die Zeit sich zu freuen. Zuerst klang es wie Hagel oder zu gross geratener Streusplitt, dann wurde ihr klar, dass man auf sie schoss. "Zeit zu lüften", Sandra öffnete das Fenster, zum Glück hatte es der Zug des Seils das im Fahreraum endete, nicht zerstört. Knoten und Seilende verschwanden sirrend. Der Hänger hing nur noch am Seil und der Leitung für Beleuchtung. Das Seil wickelte sich problemlos von der Doppelrohrstossstange, kurz blieb der Knoten an der Anhängerkupplung hängen, entschied sich dann aber Anhänger und abgerissenen Kabel zu folgen. Befreit von der Last wurde der VW Bus schneller. "Frohe Weihnachten!", grummelte Sandra. Sie hörte den Aufprall, als der bergab rollende Doppelachs-Hänger die Verfolger traf. "Scherben bringen Glück." Sie fuhr langsamer, es war der Moment zu entscheiden: Flüchten oder helfen? Ihre Verfolger war sie los, aber sie hatte nur drei Leute im Graben aus dem SUV klettern sehen, also waren die anderen Drei noch hinter dem Kind her. Mindestens drei Arschlöcher gegen ein Kind, wenn sie vom besten Fall ausging, das ihr Anhänger die Typen im SUV erledigt hatte. Bis sie in Frankfurt war und irgendeinem Polizisten klarmachen konnte, dass sie sich diese Rambos im Taunus nicht einbildete, war es sicher schon Ostern. Sandra fuhr auf einen Wirtschaftsweg hinein in den Wald. Ohne stehendzubleiben kippte sie die Flasche Verdünner über den Beifahrersitz, hielt dann ihr Feuerzeug an den Sitzbezug bis der brannte. Sie kannte den Waldweg, noch wenige hundert Meter, dann kam eine Windschneise mit umgekippten Bäumen. Sandra hustete, der Sitz brannte wirklich gut. Das immernoch halb heruntergekurbelte Fenster ließ Luft herein, die das Feuer anfachte und Sandra atmen ließ. "Noch ein kleines Stück", dachte Sandra und hielt den Atem an. Da war die Schneise. Sie kurbelte das Fenster ganz runter und trat die Tür auf. Bevor der Fahrtwind sie wieder zudrücken konnte, hatte Sandra das Lenkrad nach rechts gedreht und war hinausgefallen. Die Landung im Schnee war unsanfter als sie sich vorgestellt hatte. Sie hörte wie ihr Bus den Hang hinabfuhr, durch Zweige krachte und dann knirschend stehenblieb. Rauch, Angst und der Verlust ihres treuen Busses ließen sie Tränen wegblinzen. "Burn-Bulli-burn", sagte sie. Der Bus brannte wirklich toll, Zeit wegzukommen. Eine halbvolle Propangasflasche und der ebenfalls nicht mehr ganz volle Autogastank würden sicher für ein tolles Feuer sorgen. Sandra verwischte die Stelle an der sie aus dem Bulli gesprungen war so gut es ging. Den Rest mussten Wind und Schnee machen. Dann verließ sie den Weg, versank aber schon nach wenigen Schritten bis zu den Knieen im Schnee. Jeder Schritt war mühsam, vor allem weil Sandra jedes Schneeloch wieder zuschieben musste. Statt ihrer Weste trug sie ihre dunkelblaue Arbeitsjacke, die Taschen voller gebrauchter Taschentücher. Nichts um sich zu verteidigen. Schritt für Schritt quälte sie sich in die Richtung in der sie das Kind vermutete. Über ihr gewann der Heli an Höhe, bis nichts mehr zu hören war. *** Ljod roch Feuer. Instinktiv hielt sie darauf zu, sie stolperte und kroch durch den Wald, nicht mehr in der Lage klar zu denken. Sie stolperte und fiel gegen einen Baum, rutschte am Stamm herunter und blieb mit offenen Augen auf der Seite liegen. Weiter entfernt erklangen Schreie, aber die drangen wie durch Watte in ihre Gedanken an die Gerüche des Weihnachtsmarktes und das Lachen der Händlerinnen. Ein letzter Adrenalinschub liess sie zusammenzucken. Wut darüber, was die Jäger der netten Händlerin antun mochten, sollten sie ihr habhaft werden. *** Sandra sah einen Lichtschimmer im Schnee und hielt darauf zu. Nachdem der brennende VW Bus ihr kein Licht mehr spendete, war es stockdunkel um sie herum und in der Jacke hatte sie nicht einmal ein Feuerzeug. Sie kniete sich neben den leuchtenden Schnee und schob ihn zur Seite. Darunter kam ihre Weste zum Vorschein und ihre Taschenlampe. Sandra zog das Kind in der Weste aus dem Schnee. Grüne Augen reflektierten das Licht ihrer Taschenlampe. Die geschlitzten Pupillen zogen sich zusammen. "Na also, du lebst noch", sagte Sandra und rubbelte die Arme des Wesens das seltsam unkindlich aussah, ein wenig warm. Hautfarbenes Make-Up schmierte an Sandras Handschuhe. "Lassen sie dieses Ding los!" Knurrte die gleiche Stimme, die sie auch beim Pinkeln gestörte hatte. Was oder wer das Wesen auch immer war, Sandra dachte gar nicht daran. Drei Lampen flammten auf und beleuchteten sie. "Geht lieber eure Freunde suchen", sie zerrte das bewusstlose Wesen hinter sich her. Schon schlugen Kugeln in den Baum ein. Dann flammten Scheinwerfer über den Bäumen auf, ein Sturm erhob sich - der Helikopter schien zurück zu sein. Aber die drei Arschlöcher freuten sich keineswegs über Verstärkung, sie begannen wie wild in die Luft zu schießen. Sandra zerrte ihre Last hinter sich her durch den aufgewirbelten Schnee. Als sie die Weste öffnete um nach der Verwundung zu sehen, kam ein durchtrainierter, weiblicher Körper zum Vorschein. Kein Kind, kein Mensch, aber auch niemand, den man einfach durch den Wald jagde. Sandra zog die Fremde an sich, schloss Jacke und die weite Weste, vor ihrem Körper. Sicherte sie zusätzlich mit ihrem Gürtel, der grade so um zwei Körper herumpasste. So einigermassen gesichert konnte Sandra die Fremde tragen und ihr ein wenig Körperwärme geben. Bis hinauf zum Feldberg war es zu weit, zurück nach Königsstein versperrten ihr die Verfolger den Weg. Sandra wählte einen Baum und begann mühsam daran hinaufzuklettern. "Als Kind ging das leichter", fluchte sie. Als Kind hatte sie auch keine Last mitgeschleppt, die jederzeit abstürzen konnte. Kaum hatte sie einen Ast erreicht der stabil genug erschien, tauchten die nächsten Bewaffneten auf. Als würde ihnen Schnee und das blendende Licht des Helis nichts ausmachen, kreisten sie die Verfolger ein. Sie waren allerdings genauso gekleidet wie die Sechs, die Sandra schon kannte. Wie Freunde sahen sie nicht aus. Sandra rutschte sich auf dem Ast zurecht und streichelte der Verletzten über den kahlen Kopf. "Wir müssen warten bis die Idioten weg sind." Die Bewusstlose antwortete nicht. Atmete aber noch. *** „Keine weiteren Ziele.“ Karl nahm die Information am ausgebrannten VW Bus entgegen. Der Morgen dämmerte grau, irgendwo bellte ein Hund die Kälte an. Sie hatten die drei verbliebenen Verfolger festgesetzt und gefangengenommen - aber von Ljod gab es keine Spur. Bis auf den VW Bus - noch wartete Karl auf weitere Informationen über den Besitzer. „Weitersuchen.“ Wenn Ljod tot war durfte kein Wanderer über sie stolpern. Der Hund bellte erneut, näher dieses Mal. Karl folgte dem Geräusch. Ein halb verhungerter Streuner buddelte unter einem Baum Schnee weg, rannte dann um den Baum und bellte ihn an. Als Karl sich nach einem Schokoladenpapier bückte kam der Hund knurrend, aber mit eingekniffenen Schwanz auf ihn zu. „Frühstück wäre jetzt gut“, sagte Karl und ließ den Hund an seinem Handschuh schnuppern. Dann begann der Hund den Baum erneut anzubellen. Karl blickte nach oben. vier Beine baumelten über ihm. *** „Ein Hund ist toll“, Sandra saß in der Nähe eines Heizlüfters der einen kitschigen Kamin imitierte, eigwickelt in mehrere Decken, obwohl ihr nicht mehr kalt war. Ein Schutzwall gegen all die neuen Eindrücke. Ljod bleckte die Zähne als der Hund versuchte ihr ein Plätzchen zu klauen. „Der hier stinkt und ... grrr!“ Weihnachtsbaum. Passende Musik. Plätzchengeruch. Und mehrere Bewaffnete die sich locker mit Wesen unterhielten die sich selbst Skrib nannten. Irgendwelche Ergebnisse irgendwelcher Versuche irgendeines wahnsinnigen Professors. Wie üblich. Geflohen und im Taunus gestrandet um dann so Sachen zu tun wie Weihnachten zu feiern. Das Ljod kein Kind war hatte Sandra auch schon mitbekommen - und das die blaue Haut nicht von der Kälte herrührte. Während Sandra immernoch die Nacht in den Knochen saß, schien Ljod der Verband um ihren Baum und die Verwundung selbst nicht zu stören. Sie tippte ihren Bericht in ein PDA als wäre sie grade frisch und Munter in einem Büro angekommen. „Du beobachtest doch die Menschen - da ist ein Hund toll. Der lenkt von Dir ab und du kannst locker mit anderen Wanderern reden“, Sandra warf der grauen Fellfussel ein Plätzchen zu. „Sie wird mit niemandem reden“, Karl richtete immer noch Weihnachtskugeln am Plastik Weihnachtsbaum aus. Skrib hatten etwas dagegen echte Bäume für bunte Feste zu opfern - auch wenn der Taunus voll davon war. „Nun, sie redet mit mir oder?“ Sandra grinste den Mann an, der Perfektion auch bei Weihnachtsbaumkugeln für wichtig hielt. „Ein Zivilist zu viel ...“ die Kugel die für eine Millisekunde perfekt gehangen hatte, fiel der Schwerkraft zum Opfer und dann Ljods neustem Beschützer. Der Hund schnappte sich die Kugel noch im Fall und rannte damit weg. Ohne sie zu zerbeißen. „Gib die wieder her!“ Rief Karl dem Hund nach Ljod kicherte, was sich eher wie ein Knurren mit Grunzenlauten anhörte. „Daran müssen wir arbeiten“, sagte Sandra. „Das der Hund Karl davon abhält mich zu bemuttern?“ „Nein, an Deinem Lachen.“ Sandra beugte sich zu Ljod herüber. „Übermorgen ist Abschluss des Weihnachtsmarktes in Frankfurt - gehen wir hin?“ Ljod bleckte die Zähne und nickte. „An Deinem Grinsen arbeiten wir auch noch ...“ ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)