Behind Closed Doors von Fairytale_x3 (can you find the truth?) ================================================================================ Kapitel 7: returned ------------------- Kapitel 7: returned Donnerstag Die sanfte Bewegung seiner Hand auf ihrem nackten Oberarm veranlasste sie dazu die Augen zu öffnen und ihm verschlafen ins Gesicht zu blinzeln. Unendliche Ruhe lag in seinen dunklen Augen. Er musste es genossen haben, ihr beim Schlafen zuzusehen. „Bist du schon lange wach?“, murmelte sie, ein Gähnen unterdrückend. „Eine Weile“, erwiderte Keith und lächelte selig. Sie nahm diese Tatsache ohne einen weiteren Kommentar hin und kuschelte sich näher an ihn, um noch ein wenig zu dösen. Fast wäre sie erneut eingeschlafen, doch das Vibrieren ihres Handys auf dem Nachttisch weckte sie wieder. Sie stöhnte, angelte nach dem kleinen Telefon und warf einen flüchtigen Blick auf das Display, ehe sie das Gespräch annahm. „Natasha, was gibt’s denn so früh?“, gähnte sie lautstark ins Telefon, die Augen halb geschlossen. „Hmh, 12:30 Uhr ist bei mir früh... Sms...? Nein, hab ich noch nicht gesehen, aber ist in Ordnung. Ich fahre noch nach Hause und hole meine Trainingsklamotten, dann komme ich zu dir.“ Sie lauschte einen Moment und schüttelte dann den Kopf, was niemand außer Keith sehen konnte. „Nein, ich habe noch geschlafen“, erklärte sie Natasha. „Was soll ich in den Nachrichten gesehen haben?“ Keith beobachtete sie von der Seite, als sich ihre Augen plötzlich weiteten und sie ruckartig auffuhr. „Was?! Das ist nicht dein Ernst.“ Ihre Stimme überschlug sich und verkümmerte schließlich zu einem Piepsen. „W...weiß man schon, wer sie ist? Oder... reden wir später. Ich beeile mich.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, beendete sie das Gespräch und drehte den Kopf zu Keith, der sie aufmerksam musterte. Als er zu einer Frage ansetzte, schnitt sie ihm das Wort ab. „Ein weiteres Mädchen ist verschwunden. Es läuft in den Nachrichten. Kannst du mich nach Hause fahren und dann zu Tasha? Jetzt?“ Keith schloss den Mund und nickte stumm, ehe er die Decke zurückschlug und sich daran machte, sich anzuziehen. Trish war dankbar, dass er diese Bitte ohne einen weiteren Kommentar annahm und keine Fragen stellte. Es ging ihr gut, davon war sie überzeugt, auch wenn sie diese Nachricht schockierte und sie im Augenblick nicht wusste damit umzugehen. Sie beobachtete ihn für einige Sekunden, erhob sich dann ebenfalls und tat es ihm gleich. Nachdem sie wenig später frisch gerichtet aus dem Bad trat, gingen sie gemeinsam nach unten. Im Flur begegneten sie Mandy. „Guten Morgen“, lächelte Trish der Jüngeren entgegen, die sie aus müden Augen anstarrte. Mandy brachte nur ein kurzes Nicken zustande, gähnte dann hörbar und verschwand mit einem gemurmelten ‚ich geh pennen’ nach oben. „Geburtstag“, erklärte Keith, als sie aus der Haustür traten. „Stimmt, das erzählte deine Mutter letztens. Ich hatte es schon wieder vergessen. Aber sie hat noch Ferien, da ist das in Ordnung. Ich bin gespannt, wie unser erstes Jahr am College wird“, plapperte Trish los und ließ sich auf den Beifahrersitz des Autos fallen. Sie brauchte jetzt ein lockeres Gespräch, um sich von den Gedanken abzulenken, die ihr seit Natashas Anruf unweigerlich im Kopf umher spukten. „Hmh, warten wir es ab, es ist ja noch eine Weile bis das Semester beginnt.“ Keith setzte rückwärts aus der Ausfahrt und sie fuhren die Broadway Ave entlang zu ihr nach Hause. Mittlerweile herrschte Schweigen zwischen ihnen, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach und Trish wusste, dass Keith sich insgeheim Sorgen machte. Er gab es lediglich nicht zu und versteckte es gut. Aus diesem Grund hatte er nicht viel für ein Gespräch übrig, das sich um solch lapidare Dinge wie das College oder den Geburtstag, von dem seine Schwester gekommen war, drehte. Er versuchte, nach außen stark zu sein und seine Gefühle nicht preis zu geben, nur wenige Menschen ließ er in sein Inneres blicken und den wahren Keith sehen. Warum er so war, wusste Trish nicht. Sie kannte ihn nicht anders und hatte es stets akzeptiert, ohne Fragen zu stellen. Das Einzige, das sie beunruhigte, waren die Alpträume, die ihn von Zeit zu Zeit heimsuchten. Sie hatte ihn mehrmals ausgefragt, nachdem er schweißgebadet aus dem Schlaf geschreckt war, doch eine Antwort hatte sie nie bekommen. In der Regel verließ er den Raum und kam erst zurück, wenn sie wieder eingeschlafen war, oder er drehte sich weg und tat, als wäre nichts passiert. Nach einer Weile hatte sie es aufgegeben und sich damit abgefunden. Er wollte es ihr nicht erzählen. „..ish? Trish!“ Sie spürte einen Druck am Arm und schreckte aus ihren Gedanken. Verwirrt starrte sie ihrem Freund entgegen, der sie schief grinsend betrachtete. „Wir sind da, Tagträumerin. Ich warte.“ „Äh, ja. Ich beeile mich.“ Hastig fummelte sie am Türgriff und stürzte aus dem Wagen, damit er ihre vor Scham geröteten Wangen nicht sah und verschwand kurz darauf im Haus. Kühle Luft schlug ihr im Inneren entgegen und sie empfand diese als wohltuend. Außer dem gleichmäßigen Ticken der Uhr an der Wand waren keine Geräusche zu vernehmen. Ihre Eltern und ihr Bruder waren auf der Arbeit. Einen Moment zögerte sie bei dem Gedanken jemand könnte hier auf sie lauern. Sich verstecken, warten bis sie kommt und sie dann überfallen. „Blödsinn Trish, spinn dich aus.“ Sie schüttelte den Kopf, ging nach oben in ihr Zimmer und packte ihre Trainingssachen. Zum Abschluss warf sie einen prüfenden Blick in den Spiegel, dann stürmte sie lautstark die Treppen nach unten und stürzte zur Haustür, die sie ruckartig hinter sich schloss. Sie spürte ihr Herz, wie es in unregelmäßigen Sprünge gegen ihren Brustkorb hämmerte. Ein letztes Mal atmete sie tief durch, dann ging sie betont lässig zurück zum Wagen und ließ sich in den Sitz fallen. „Okay, wir können.“ Doch anstatt den Motor zu starten, blieb Keith regungslos und sein nachdenklicher Blick ruhte auf ihr, als wolle er in ihren Kopf sehen. „Was ist? Hab ich was im Gesicht?“ Er schüttelte zaghaft den Kopf, ehe er zu einer Antwort ansetzte. Seine Worte wählte er mit Bedacht, um sie nicht zu verletzen. „Nein, aber wie du gerade aus dem Haus gestürzt bist... Sah ziemlich danach aus, als hätte dich jemand verfolgt. Alles in Ordnung?“ „Ernsthaft?“ Sie lachte nervös und strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Blödsinn, ich wollte mich nur beeilen. Du weißt, dass Tasha nicht so gerne wartet.“ Er schien noch einen Moment über ihre Worte nachzudenken, dann nickte er zögernd und startete den Motor, um den Wagen aus der Auffahrt rollen zu lassen. Wenig später erreichten sie Natashas Haus. „Danke. Ich melde mich später bei dir“, sagte Trish und drückte Keith einen Kuss auf die Wange. Anschließend verließ sie schnell das Auto und er konnte nichts weiter tun, als zustimmend zu nicken. Mit gemischten Gefühlen blickte er ihr nach, bis sie im Haus verschwunden war und fuhr dann davon. Unschlüssig drehte Sarah die gehefteten Blätter in ihren Händen und starrte auf das Deckblatt. Übersetzung des Tagebuchs von Elena Wasilenko, Teil 1. Sie und Daniel waren auf dem Weg zu Elenas Schule, wo sie einen Termin mit dem Rektor hatten und während Daniel fuhr, hatte sie Zeit, einen Blick in die erste übersetzte Seite zu werfen, die ihnen Alex in die Hand gedrückt hatte. Aus einem ihr unerklärlichen Grund war ihr nicht wohl dabei, das Deckblatt umzuschlagen und mit dem Lesen zu beginnen. Sie hatte Angst vor dem, was Elena ihnen erzählen könnte. Dinge, die nicht für sie bestimmt waren. Aber sie wusste, dass sie es tun musste, wenn sie in diesem Fall weiter kommen wollten. In den Zeilen und oftmals dazwischen verbargen sich eventuell Antworten, die sie dringend benötigten. Sie seufzte hörbar auf und lenkte damit kurz Daniels Aufmerksamkeit auf sich, die sie nicht erwiderte. Dann schlug sie die erste Seite auf: Elenas Tagebuch, Teil 1 Sonntag, 13. Februar 2005 Liebes Tagebuch, Nein Quatsch, das klingt total klischeehaft. Überhaupt nicht passend. Nicht passend zu mir, nicht passend zur Situation. Einfach nicht passend eben. Ich habe mich immer gefragt, wie es sich anfühlt, wenn sich das Leben vom einen auf den anderen Tag komplett verändert. Wenn zum Beispiel jemand stirbt, den man sehr lieb gehabt hat. Heute bekam ich die Antwort. Ich kann nicht in Worte fassen, was passiert ist, kann nicht verstehen, warum es passiert ist, ich weiß nur, dass es passiert ist. Und es reißt mir den Boden unter den Füßen weg. Wie kann ich umgehen mit dieser Bürde, wie kann ich so tun, als wäre nichts geschehen und weiterleben wie jede andere 12-Jährige, wenn ich tief in mir weiß, dass es nicht so ist? Und was ist mit Mama? Weiß Mama davon? Schaut sie bewusst weg, damit die geliebte, heile Vorzeigefamilie nicht ihr Gesicht verliert? Ich denke, ich kenne die Antwort… Der Eintrag endete und Sarah sah verdutzt auf. Noch einmal ließ sie sich die Worte durch den Kopf gehen. Elena hatte sie bewusst gewählt, dessen war sie sich sicher. Sie wollte, dass es nicht sofort offensichtlich war, was sie ausdrücken wollte. Dennoch wusste Sarah, dass sie die Antwort kannte. „Wir hatten recht“, sagte sie nüchtern, als sie von dem Dokument aufblickte. „Was meinst du?“, fragte Daniel und wagte einen kurzen Seitenblick, dann sah er zurück auf die Straße. „Der erste Eintrag. Verfasst im Februar 2005, da war sie Zwölf. Ich glaube – oder eher weiß ich -, dass an diesem Tag etwas Einschneidendes in ihrem Leben passiert sein muss. Das ist deutlich herauszulesen.“ „Du spielst auf den Verdacht mit dem Missbrauch an?“ „Das ist kein Verdacht!“, entgegnete Sarah barsch und warf ihm einen zornigen Blick zu. „Das ist eine Tatsache und wie es scheint, ging das über Jahre.“ Daniel seufzte und verkniff sich seine Antwort, als sie auf den Parkplatz der Schule rollten. Er wusste, dass es keinen Sinn machte, Sarah darauf hinzuweisen, dass es momentan nur ein Verdacht war. Zwar teilten ihn Alex und er selbst, aber es war eben nur ein Verdacht, für den es noch keine Beweise gab. Missbrauchsvorfälle konnten in allen Familien vorkommen. In denen, die nach außen absolut normal erschienen, genau so wie in Problemfamilien. In vielen Fällen kamen die Taten erst Jahre später ans Licht, oftmals dann, wenn sie verjährt waren, weil sich die Opfer nicht getraut hatten, etwas zu sagen. Das war schlimm und ihm gingen solche Dinge genauso nahe wie Sarah. Der Unterschied bestand darin, dass er sich nicht von seinen Gefühlen leiten ließ, sondern auf eine logische Kombination der Beweise setzte. Trotz allem konnte er seine Kollegin verstehen. Als Frau bei der Polizei hatte man es nicht leicht. Schon gar nicht mit einem Chef wie Alexander Jenkins. Man musste sich durchboxen und zeigen, dass man nicht das schwächste Glied der Gruppe war, für das man gehalten wurde. Daraus resultierte ihre oftmals übermäßig gefühlsbetonte Einstellung. Es gab nur einen Grund, wieso er dies akzeptierte: Meistens behielt sie recht. Daniel parkte den Wagen im Schatten und stellte den Motor ab, bevor er sich Sarah zuwandte und ihr vielsagend in die Augen blickte. „Hör mal, ich kann dich verstehen. Ob du es glaubst oder nicht, mir geht es nicht anders. Ich bin deiner Meinung. An diesem Fall stimmt etwas nicht und dem müssen wir nachgehen. Trotzdem bist und bleibst du Detective, klar? Und als solch einer darfst du dich nicht von deinen Gefühlen beeinflussen lassen, sondern musst dich an die Beweislage halten. Ist dir das bewusst?“ Einen langen Moment starrte die Jüngere mit verbissener Miene aus dem Fenster, ehe sie nickte: „Klar.“ Dann stieg sie ohne ein weiteres Wort aus. Er seufzte hörbar auf und schüttelte über ihre Reaktion den Kopf, ehe er es ihr gleichtat und sie gemeinsam zum Eingang liefen. Die Augen sämtlicher Schüler richteten sich auf die beiden, je näher sie der Schule kamen. Das machte ihnen nichts aus, sie waren es gewohnt, dass die Leute schauten, wenn sie auftauchten. Ein Junge fiel Sarah sofort ins Auge. Er stand abseits, lässig an einen Baum gelehnt, und hielt eine Zigarette in der Hand. Er beobachtete jeden Schritt, den die Beiden taten, jedoch nicht wie die restlichen Jugendlichen, deren Gesichter Neugier ausstrahlten. Er blickte misstrauisch, beinahe hasserfüllt, in ihre Richtung. Sarah blieb stehen und bedeutete Daniel mit einer kurzen Handbewegung es ihr gleich zu tun. „Was ist? Wir müssen rein.“ „Geh du schon vor, ich nehme mir den Jungen da hinten vor. Ich glaube das ist David.“ „Woher willst du das wissen? Wir haben für so etwas jetzt keine Zeit“, protestierte Daniel und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich hab es im Gefühl. Du schaffst das auch ohne mich.“ Ohne ein weiteres Wort ließ sie ihn stehen und steuerte geradewegs auf den blonden Jungen zu, der jeden ihrer Schritte genauestens beobachtete. „David Edwards?“, fragte Sarah direkt, als sie vor dem Jungen zum Stehen kam. Er musterte sie weiterhin abschätzig. „Kommt darauf an, wer das wissen will.“ „Detective Miller, Police Department Jacksonville“, gab sie zur Antwort und zeigte ihm ihren Dienstausweis. „Schön, und was wollen Sie von mir?“ Noch immer gab er seine verschlossene Haltung nicht auf und ließ keine ihrer Bewegungen unbeobachtet. „Ich möchte mich mit dir über Elena Wasilenko unterhalten. Du kanntest sie.“ „Ja, sie war meine Freundin.“ Sein Gesichtsausdruck veränderte sich kein Stück, als er diese Tatsache erwähnte. „Es tut mir Leid, was passiert ist.“ David gab ein abfälliges Schnauben von sich. „Als ob es Ihnen wirklich leid tut. Sie kannten Elena nicht. Und außerdem kümmert ihr Bullen euch sowieso nicht um das Leid anderer. Elena hätte man viel früher helfen müssen, nicht erst als so ein Psychopath sie abgeschlachtet hat!“ „Auf was willst du hinaus, David?“ Sie überhörte die Beleidigung gekonnt, um das Gespräch am Laufen zu halten. Solche Bemerkungen war sie gewohnt. „Auf was ich hinaus will? Haben Sie das noch nicht herausgefunden? Was ihr Vater mit ihr gemacht hat? Hm? War da jemand von euch scheiß Bullen da? Hat ihr irgendjemand geglaubt? Nicht einmal die Schule tat das, nicht die Polizei, als sie Anzeige erstattete, einfach niemand. Also erzählen Sie mir nicht, dass es Ihnen Leid tut und dass Sie mich verstehen können. Sie können gar nichts!“ Für einen Augenblick war Sarah sprachlos. Von welcher Anzeige sprach der Junge? Sie konnte sich nicht erinnern, in den Akten etwas dazu gefunden zu haben. „Wie kommst du auf die Idee, dass die Polizei ihr nicht glaubte?“ „Weil die verdammte Anzeige fallen gelassen wurde, nachdem ihr Vater zu den Vorfällen befragt wurde und keinerlei belastende Hinweise gefunden werden konnten. Deswegen! Aber soll ich Ihnen mal verraten, was er dann mit ihr gemacht hat? Er hat sie windelweich geschlagen, er hat sie verprügelt, bis sie nicht mehr aufstehen konnte und in der Schule hat es niemanden gekümmert, dass Elena plötzlich zwei Wochen fehlte. Als sie wieder kam und man sie auf die übrigen blauen Flecken ansprach, sagte sie, sie sei die Treppen herunter gestürzt und niemand stellte das in Frage. Weil es alles korrupte Arschlöcher sind, die sich einen Dreck um das Leben anderer kümmern.“ Der Frust und der unterdrückte Hass schwangen deutlich in seiner Stimme mit und ein Stück weit konnte Sarah nachvollziehen, was in diesem Jungen vorging. „Zu den Ermittlungen kann ich dir keine Auskünfte geben, aber ich verspreche dir, dass wir ihren Vater für das bestrafen werden, was er ihr angetan hat. Hier ist meine Visitenkarte. Wenn du mir etwas erzählen möchtest, was uns weiterbringen könnte, dann melde dich bitte bei mir, in Ordnung?“ Sie reichte ihm die kleine weiße Karte und blickte ihm fragend entgegen. „Gut. Auf Wiedersehen, Detective Miller.“ Ohne ein weiteres Wort ging er davon und ließ eine ratlose Sarah zurück, die ihm noch einen langen Moment nachsah und über das Gesagte nachdachte. „Und du bist dir sicher, dass er dir die Wahrheit erzählt hat und das nicht in seiner Trauer so hingedreht hat, wie es für ihn am erträglichsten ist?“ Skeptisch blickte Daniel zu seiner Kollegin, als sie auf dem Weg zurück zum Department waren. „Wir müssen es auf jeden Fall überprüfen und außerdem deckt sich seine Aussage in meinen Augen mit dem Tagebucheintrag, aber mehr kann man erst sagen, wenn wir das ganze Buch gelesen haben. Was hat der Rektor gesagt?“ Daniel seufzte auf. „Er meinte, in letzter Zeit kam es öfters vor, dass sie in der Schule fehlte, worunter ihre Noten litten.“ „Siehst du, das passt wieder zu dem, was David sagte. Wenn sie daheim wirklich misshandelt wurde, dann ist es logisch, dass sie öfters fehlte und dass ihre Noten schlechter wurden.“ „Ja, aber hast du vorhin nicht gesagt, dass der erste Eintrag von...“ Abrupt wurde er von Sarahs panischer Stimme unterbrochen: „Daniel, pass auf!“ Er trat mit voller Wucht auf die Bremse, die Reifen blockierten und quietschten protestierend unter dem scharfen Bremsmanöver. Zeitgleich war ein markerschütternder Schlag zu hören, als der Körper auf die Motorhaube knallte und Sarah glaubte, das Blech unter dem Gewicht ächzen zu hören. Der Wagen kam zum Stehen und Totenstille trat ein. Daniel hörte sein Blut durch seine Ohren rauschen. Es fühlte sich an, als würde sich sein Herz überschlagen. Das Adrenalin schoss durch seine Arterien und sein Gesicht wurde kreidebleich. Sarah war die Erste, die sich rührte. Sie riss die Tür auf und stürzte aus dem Wagen, direkt auf das am Boden liegende Mädchen zu. Ihre Kleidung war an vielen Stellen zerrissen und verschmutzt, zahlreiche Prellungen und Schürfwunden zeichneten ihre nackte Haut und Sarah war sich sicher, dass einige der Verletzungen nicht von dem Aufprall stammen konnten. „Daniel, los ruf einen Krankenwagen!“, brüllte sie, während sie sich zu dem Mädchen beugte. Er brauchte einen Moment, bis das Gesagte in seinem Kopf angekommen war und alarmierte dann den Notruf, ehe er selber ausstieg. Ohne einen Ton zu sagen, kniete er sich auf den Boden und starrte auf das bewusstlose Mädchen, das vor ihm lag. Er hatte sie nicht gesehen, sie war aufgetaucht wie aus dem Nichts. Sarah musterte ihn einen Moment prüfend, bis sie ihre Stimme erhob: „Es ist nicht deine Schuld.“ Stumm nickte er, den Blick nicht abwendend. Wenig später war in der Ferne der Lärm der Sirenen zu hören, die sich ihnen unaufhaltsam näherten. Dann ging alles rasend schnell und Daniel hatte das Gefühl, das Geschehen nur am Rand zu verfolgen. Wie durch einen dichten Nebel sah er die Sanitäter, die mit Sarah redeten und sich um das braunhaarige Mädchen kümmerten, das er überfahren hatte. Im nächsten Moment, waren sie weg, die Sirenen entfernten sich und ein anderes, bekanntes Geräusch trat an ihre Stelle. Die Sirenen eines Polizeiwagens. Das Auftauchen des Streifenwagens und Sarah, die sich mit den beiden Cops unterhielt, beachtete er nicht. Stattdessen kniete er weiterhin auf dem Boden und starrte den Asphalt an, in der Hoffnung es würde sich ein großes Loch auftun, in dem er versinken konnte. Dann spürte er Sarahs warme Hand auf seiner Schulter und ihre ruhigen Worte, mit denen sie auf ihn einredete, doch er reagierte nicht. Erst als sie seinen Arm nahm und ihm mit sanftem Zug half aufzustehen, kam wieder Leben in ihn. „Ich fahre, okay?“ Eine rein rhetorische Frage, wie Daniel fand, denn bevor er die Möglichkeit hatte, etwas zu erwidern, hatte Sarah ihn zur Beifahrerseite befördert und auf den Sitz gedrückt. Wohin sie fuhren, wusste er ohne zu fragen. Sie würden ins Krankenhaus fahren und versuchen herauszufinden, um wen es sich handelte. Das Gesicht ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Ein Verdacht klopfte nahezu penetrant in seinem Kopf an, doch er war noch nicht in der Lage ihn zuzulassen. Erst musste er sich sicher sein, dass Sarah das gleiche dachte wie er. „Hast du…“, er unterbrach sich kurz, als seine Partnerin ihn besorgt anblickte. „Hast du das Gesicht des Mädchens gesehen?“ Sie schwieg einen Moment, als würde sie über ihre Wortwahl genauestens nachdenken. „Ja, natürlich.“ „Und denkst du...“, er schluckte. „Denkst du auch, dass es sich um Brooke Coleman handelt?“ Wieder folgte eine lange Pause, ehe Sarah zögernd nickte. „Ja, das denke ich.“ Nervös starrte Daniel auf die Uhr, die an der gegenüberliegenden Wand des Wartezimmers hing und ihn mit ihrem wiederkehrenden tick-tock-tick-tock schier wahnsinnig machte. Trotz der Tatsache, dass er die Uhrzeit im Auge behielt, konnte er nicht sagen, wie lange sie dort saßen und warteten. Allzu lange konnte es nicht sein, denn direkt nachdem Sarah ihm bestätigt hatte, dass sie dasselbe dachte, hatte sie Alex informiert und dieser spazierte jetzt ins Wartezimmer. „Okay, kann mir einer von euch Knallköpfen sagen, was hier passiert ist?“ Seine gewohnt ruppige Art war zurückgekehrt, doch Sarah sah in seinen Augen, dass er mit aller Gewalt versuchte, seine Unnahbarkeit aufrecht zu erhalten. In Wirklichkeit machte er sich Gedanken über das, was passiert war. Daniel zuckte unter seinen Worten zusammen, machte aber keinerlei Anstalten seinen Chef aufzuklären. „Das hab ich dir bereits gesagt. Hast du ein Foto von Brooke Coleman dabei?“ Sarah hatte sich von ihrem Platz erhoben und sich mit verschränkten Armen vor dem Chief positioniert. Der Ältere wollte zu einer Antwort ansetzen, doch Sarahs warnender Blick ließ ihn erstaunlicherweise verstummen. Stattdessen nickte er und zog ein Foto aus der Innenseite seiner Jacke, welches er ihr reichte. Die Blonde nahm es, faltete es auseinander und warf einen kurzen Blick auf das braunhaarige Mädchen, das ihr auf dem Bild entgegen lächelte. „Das ist sie“, nickte sie dann. „Gut, dann werde ich mich jetzt über ihren momentanen Gesundheitszustand informieren und dann ihre Eltern anrufen. Ihr könnt gehen. Das Tagebuch wurde um zwei weitere Einträge übersetzt, holt sie euch bei Molly noch ab. Über das, was passiert ist, sprechen wir morgen. Wir sehen uns dann.“ Er besah Daniel mit einem prüfenden Blick, den dieser nicht erwiderte. Sarah nickte und verließ mit Daniel das Krankenhaus. „Ich halte noch kurz am Department und hole die Einträge, du kannst sitzen bleiben“, erklärte Sarah und fuhr vom Parkplatz des Krankenhauses. Daniel nickte und starrte aus dem Fenster. Das schlechte Gewissen ließ ihn nicht los. Er hatte das Mädchen überfahren, weil er nicht auf die Straße geachtet hatte, also war es seine Schuld. Egal, was Sarah meinte. Er versank in seine Gedanken und achtete nicht darauf, wo sie hinfuhren. Erst als Sarah auf dem Parkplatz des P.D. zum Stehen kam, schreckte er hoch. Er registrierte ihren sorgenvollen Blick, als sie ausstieg, erwiderte aber nichts. Wenig später kehrte sie mit einer Mappe in der Hand zurück, die sie ihm reichte. „Molly hat sich gewundert, wieso ich es so eilig hatte und gefragt, wo du bist. Ich hab nichts gesagt, da hatten zu viele ihre Ohren mit dabei. Ist auch egal, ich fahre dich jetzt am besten nach Hause“, plapperte sie los, als den Motor startete. Daniel hatte den Eindruck, ihr war die Situation unangenehm und sie wollte nur irgendetwas sagen, um die Stille zu vertreiben. „Hm, du kennst Molly“, antwortete er. „Allerdings“, pflichtete sie bei und setzte den Wagen rückwärts auf die Straße. Daniels Wohnung befand sich nur wenige Häuserblocks entfernt und sie erreichten diese nach wenigen Minuten. Sarah fuhr auf den Hof und stellte den Motor ab. „Kann dein Wagen vor der Garage stehen bleiben?“ „Ja.“ Schweigen folgte, bis Daniel die Stille nach kurzer Zeit brach: „Möchtest du noch mit reinkommen? Gesellschaft kann ich jetzt gut gebrauchen.“ Sarah war sichtlich überrascht über die Frage, nickte aber und schnallte sich ab. „Klar, kann ich gut verstehen.“ Er lächelte zaghaft. Das Herz schlug Sarah bis zum Hals, als sie Daniel die Treppen nach unten in seine Wohnung folgte. Sie war aufgeregt, auch wenn sie nicht zum ersten Mal bei ihm zu Hause war. Es war eher die Tatsache, dass er sie darum gebeten hatte mit zu kommen, weil er jemanden brauchte, mit dem er reden konnte. Jemanden, dem er vertrauen konnte, der ihn verstand und ihn nicht verurteilte. Es machte sie stolz, dass er diese Person in ihr sah. Im Flur streifte sie sich die Schuhe von den Füßen und folgte ihm ins Wohnzimmer. „Möchtest du etwas trinken?“ „Wasser reicht, danke“, nickte sie. Er verschwand in der Küche, während sie sich auf der großen Ledercouch nieder ließ und die Beine an den Körper zog. Daniel kam mit zwei Gläsern Wasser zurück, wovon er ihr eins reichte. „Sollen wir uns noch mal den Einträgen widmen?“ „Können wir machen. Lies den zweiten Eintrag vor. Den ersten kann ich später in Ruhe noch mal durchgehen.“ Sie nickte zustimmend, nahm die Mappe und begann zu lesen: Elenas Tagebuch Teil 2 Sonntag, 27. Februar 2005[/ u] Ich bin müde. Schrecklich müde und doch kann ich nicht schlafen. Ich will nicht schlafen! Dann kehren die schlimmen Träume zurück, die mir zeigen, was geschehen ist. Ich will es nicht sehen. Ich weiß, dass er es wieder tun wird. Früher oder später. Ich kann ihn nicht einmal mehr ansehen. Meinen eigenen Vater! Sarah stoppte. „Das ist es! Der Beweis. Sie hat es selbst geschrieben.“ „Ja. Lies weiter.“ Ich glaube, Mama bemerkt es. Und ihr ist auch längst klar, dass ich es ihr ansehen kann, obwohl sie es einfach ignoriert. An jenem Sonntag vor zwei Wochen, als sie mit ihren Freundinnen im Kino war und sich vergnügt hat, während mein Vater… Nein, ich spreche es nicht aus. Ich kann es nicht in Worte fassen, zu sehr schmerzt die Erinnerung, brodelt in mir, wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch und ist doch dazu verdammt auf ewig zu schweigen. Es ist 14 Uhr und sie sind bei den Nachbarn zum Kaffee eingeladen. Zeit, die ich nutzen kann, um Schlaf zu finden. Sarah schloss die Mappe und blickte Daniel verheißungsvoll entgegen. „Was sagst du jetzt?“ Als Antwort bekam sie ein Schulterzucken, da er hingebungsvoll die aufsteigenden Kohlesäurebläschen in seinem Glas beobachtete. Sarah seufzte auf. „Hast du mir überhaupt richtig zu gehört?“ „Ja, aber...“ Er suchte nach Worten, die das ausdrücken konnten, was er fühlte. „Du musst immer noch an heute Mittag denken, stimmt's? Und deswegen fühlst du dich scheiße.“ „Ja, es macht mich fertig. Wie soll man sich schon fühlen, wenn man jemanden fast tot gefahren hätte?“ Sarah seufzte, stellte ihr Glas auf den Tisch, nahm ihm seines aus der Hand und stellte es dazu. „Daniel. Du hast sie nicht gesehen, wie hättest...“ Er unterbrach sie mitten im Satz: „Ja, weil ich verdammt noch mal nicht aufgepasst habe!“ Trotz seiner lauter werdenden Stimme, blieb sie ruhig. „Nein, so schnell wie sie hinter dem parkenden Auto aufgetaucht ist, hätte das niemand mehr verhindern können. Das war nicht deine Schuld.“ Einen langen Moment dachte er über ihre Worte nach, schüttelte dann wieder den Kopf: „Trotzdem.“ Sarah platze daraufhin der Kragen: „Argh, Daniel! Es reicht!“, wütend schnellte sie in die Höhe und baute sich vor ihm auf. „Du konntest nichts dafür! Keiner hätte das verhindern können. Hör endlich auf...“ Erneut unterbrach er sie, indem er eine ihrer wild gestikulierenden Hände fasste und sie ruckartig zu sich zog, sodass sie auf seinem Schoß landete. Sie öffnete protestartig den Mund, doch bevor ein Laut ihre Kehle verlassen konnte, spürte sie seine weichen Lippen, die sich fest auf die ihren drückten. Ihr Herz stockte und ihre Gedanken setzten aus, als sie den fordernden Kuss zögernd erwiderte und wenig später ihre Arme um seinen Nacken schlang, um ihn näher bei sich zu wissen. Seine Hände wanderten über ihren Rücken, hinauf zu ihren Schultern und wieder zurück, was ihr wohlige Schauder bereitete. Sarah strich ihm über den Nacken hinauf zu den braunen Haaren, die sie mit unkontrollierter Leidenschaft zerzauste. Unerwartet spürte sie seine warmen, rauen Handflächen unter ihrem T-Shirt, wodurch sich ihr Verstand meldete, der sie anschrie aufzuhören. Sie legte ihre Hände auf seine Brust und drückte ihn von sich, um Distanz zwischen sie zu bringen. Langsam drang die momentane Situation zu ihr durch und ihre Wangen färbten sich zunehmend röter. Sie blickte Daniel in die nussbraunen Augen, suchte eine Antwort auf das, was hier vor sich ging, doch fand keine. Nur denselben verständnislosen Blick, den ihre eigenen Augen zeigen mussten. Dies bereitete ihr Übelkeit. Sie hatte erwartet, er wüsste, was er tat. Stattdessen schien er genauso verwirrt und das verletzte sie. Plötzlich wollte sie nur noch Abstand zu ihm und sprang von seinem Schoß. „Ähm...“, sie schüttelte den Kopf. „Vergiss es. Bis Morgen.“ Ehe er die Chance hatte, etwas zu erwidern, war das Zuschlagen der Haustür zu vernehmen. Fassungslos strich er sich durch die Haare, dann erhob er sich und sah aus dem Fenster. Draußen war es bereits dunkel und Sarah war zu Fuß unterwegs. Einen Moment überlegte er, ihr nachzufahren, um sicher zu gehen, dass sie heil zu Hause ankam, entschied sich dann jedoch dagegen. Er hatte genug Mist gebaut. Mit schnellen Schritten eilte Sarah durch die Straßen, dabei unterdrückte sie die aufkeimenden Tränen. Sie wusste nicht mal, wieso ihr zum Heulen zu Mute war. Wahrscheinlich lag es an der Tatsache, dass sie statt Klarheit nur Verwirrung in Daniels Augen gefunden hatte. Er konnte sie doch nicht einfach küssen, ohne einen guten Grund dafür zu haben. Dazu hatte er kein Recht! Wut flammte in ihr auf, erlosch aber sofort wieder beim Gedanken an ihren Partner, der momentan sicher andere Probleme hatte, als sich über den ungeplanten Kuss der beiden Gedanken zu machen. Der Wind zog an und pfiff ihr in kühlen Böen um die Ohren. Ein Blick in den Himmel bestätigte ihr, dass es bald regnen würde und sie legte noch einen Schritt zu. Sie war so in ihren Gedanken versunken, dass sie den Mann, der ihr seit mehreren Blocks folgte, nicht bemerkte. Als sie nur noch zwei Straßen von ihrer Wohnung entfernt war, wurde sie plötzlich an der Schulter gepackt und grob herum gerissen. to be continued... by Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)