Schutzbestie von Salix (Meine Freiheit ist der Preis für deinen Schutz) ================================================================================ Kapitel 2: Begegnungen ---------------------- Begegnungen Autor: Salix Nathaniel Nat spähte durch den Vorhang, welcher die Bühne abtrennte. Hinter der Bühne waren Tische aufgebaut, an denen die Gäste saßen und sich die Köstlichkeiten des Hauses schmecken ließen oder nur etwas tranken. Heute Abend war es voll. Er verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den Anderen. Vor jedem Auftritt fragte er sich, warum er das tat. Warum er sich so zur Schau stellte? Schon die Worte „zur Schau stellen“, brachten ihn dazu sich kurz und heftig zu schütteln. Andererseits, machte es sehr viel Spaß, solange er schauspielerte, oder in einem Kostüm am Tuch herumturnte. Das war in Ordnung, denn ein Kostüm war nun mal eine Maskerade, ein Versteckspiel. Die Zuschauer sahen ihn, dennoch sahen sie nicht ihn, sondern nur die Fassade und nur das, was er ihnen zeigen wollte. Noch standen Mieke und Robert auf der Bühne und verzauberten das Publikum mit ihrer Akrobatiknummer. Nat spähte erneut durch den Spalt im Vorhang. Die Nummer war fast vorbei. Er zog sich zurück, damit das Publikum ihn nicht bemerkte und wartete auf den Applaus. Als Mieke und Robert an ihm vorbeikamen, klatschte er kurz geräuschlos mit ihnen ab, ehe er die Bühne betrat und sich auf seine eigene Nummer konzentrierte. Ursprünglich war er auch ein Akrobat gewesen, doch dann hatte er das Tuch für sich entdeckt. Ein Zirkusgerät, bei dem man wirklich jeden Muskel im Körper trainierte. Geschmeidig kletterte er an dem roten Stoff empor, knotete seinen Fuß ein und schlang sich in verschiedenen Figuren um das Tuch. Zu guter Letzt hakte er ein Bein ums Tuch, schlang sich dieses um die Hüfte und warf es über das andere Bein, so dass er in einer Schlaufe hing. Dann wickelte er es sich erneut um die Taille, hielt es fest, löste sein eines Bein und ließ sich ein Stück fallen. Die Leute klatschen als er im Tuch nach Unten glitt, aufstand und sich verneigte. Obwohl er am liebsten rasch aus dem Scheinwerferlicht verschwunden wäre, ging er langsam von der Bühne ab. Im Backstagebereich kehrte er zur Gardarobe zurück, dort wurde er von Marina erwartet, einer der Kellnerinnen. „Der Chef lässt fragen, ob du Kellnern kannst. Uns fehlen heute Leute.“ Nat seufzte. „Na gut. Ich komme, sobald ich mich umgezogen habe.“ „Bis gleich.“ Sie winkte und verließ den Raum. Ohne darauf zu achten, dass sich auch Robert und Mieke hier aufhielten, schlüpfte Nat aus dem Kostüm. Dabei entblößte er das Tattoo auf seinem Rücken. Zwei schwarze Flügel, die an seinen Schulterblättern begannen und deren Spitzen bis zu seinen Oberschenkeln reichten. Sie sahen aus, als hätte jemand die angelegten Flügel eines Raben fotografiert und dieses Foto auf seinem Rücken aufgedruckt, fast wirkten sie dreidimensional. Ihr Schwarz hatte den gleichen Ton wie Nats Haare. Nat schlüpfte in eine schwarze Jeans und ein weißes Hemd, welches er für genau solche Fälle hier in der Garderobe deponiert hatte. Er kellnerte nicht gerne, aber wenn es sein musste, tat er es. Wie immer, wenn er kellnerte, checkte er den Raum und nahm alles in sich auf. Ihm entging nichts um ihn herum, nicht einmal die kleinen Kobolde, welche auf den Flaschen im Regal hinter dem Tresen herumturnten. Einige, der nicht so offensichtlichen Gäste, welche ihre Schützlinge begleiteten, warfen ihm wissende Blicke zu oder bestellten bei ihm. Immer, wenn er ein Getränk vor einen scheinbar leeren Stuhl stellte, fand er, dass der Genius, welcher dort saß gänzlich unprofessionell handelte. Wer größtenteils unsichtbar war, sollte keine Aufmerksamkeit auf sich lenken, indem er etwas trank! Der Abend verlief normal, bis er an den Tisch mit dem, offensichtlich reichen, jungen Mann kam. Zumindest saßen noch zwei muskelbepackte Männer am Tisch, welche Nat in die Kategorie „Bodyguard“ einsortierte. Daraus schloss er, dass der junge Mann reich sein musste. Er lächelte höflich als er an den Tisch trat, zu dem er gewinkt wurde. „Sie wünschen?“ „Noch ein Wasser, bitte.“ Der junge Mann sah nicht auf. Sein gewelltes Haar erschien im dämmrigen Licht dunkel. Sein Gesicht wurde von einer Hakennase, die an eine Cesarbüste erinnerte, dominiert. Nat brachte die Bestellung. Als er das Glas abstellen wollte, traf sein Blick den des Anderen. Die bersteinfarbenen Augen bohrten sich in seine eigenen Grünen. Der Andere schien ihn mit seinen Augen zu durchdringen. Nat sah Gitterstäbe vor sich. Er erkannte sie sofort. Er hatte es geschafft sie zu zerkratzen, aber mehr nicht. Er spürte Holz unter sich. Gelächter und spöttische Rufe prasselten auf ihn nieder. Seine Hände fuhren zu seinen Ohren. Sein ganzer Körper krümmte sich zusammen. Nat schloss die Augen. „Wenn ich sie nicht sehe, sind sie auch nicht da.“, sagte er sich stumm. Diese kindliche Logik wurde von einem Klirren durchbrochen. Das Klirren von zerbrechendem Glas holte ihn zurück. Er blinzelte und nahm die Hände herunter. Er war nicht mehr dort. Er war schon viele Jahre nicht mehr dort. Trotzdem huschte sein Blick durch den Raum um sich zu vergewissern. Ja, er stand im Variete „Imago“. Langsam sah er zu Boden, obwohl er ahnte, was er dort sehen würde. Vor seinen Füßen lagen Scherben und eine Wasserpfütze breitete sich aus. „Entschuldigen Sie. Ich bringe Ihnen gleich ein Neues.“ Nat wusste nicht, wie er diese Worte herausbrachte. Er hörte die Höflichkeitsfloskel des jungen Mannes nicht. Sie war irgendwie unwichtig. Den Weg zum Tresen bekam er nicht mit als er ihn zurücklegte. Erst mit Lappen, Feger und Kehrschaufel in der eine Hand und einem neuen Glas Wasser in der Anderen, bemerkte er, dass sein Herz heftig schlug, so als wäre er gerannt. Seine Finger krallten sich um das Tuch, ehe er sich zwang sie zu entspannen. Er wollte nicht zu dem Typen zurück, aber er musste. Beim Tisch stellte er zunächst das Glas vor den Kunden, dann ging er in die Knie. Als er den Lappen beiseite legte um den Handfeger zu benutzen, rieb er instinktiv mit seiner Schläfe an dem Bein des jungen Mannes entlang. Er spürte, wie dieser sich versteifte und ihn ansah. Doch Nat zwang sich, sich nur mit den Scherben zu beschäftigen. Er starrte auf die Scherben und wusste plötzlich, was er einen Moment zuvor getan hatte und warum. Ein Schauer lief über seinen Rücken. Er wollte es nicht, deswegen schwieg er. Noch war er nicht bereit sich oder gar jemand Fremden einzugestehen, was gerade geschehen war. Die Scherben auf der Kehrschaufel balancierend, kehrte er zum Tresen zurück. „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Seiji, einer der Besitzer des „Imagos“ und zugleich Nats Ziehvater. „Nicht so wirklich.“, gab er zu. „Sieh zu, ob du Robert oder Mieke noch erwischst, ja?“ Nat nickte und hastete in den Bereich für die Angestellten. Zu seinem Glück, war Mieke noch da und bereit für ihn einzuspringen, auch wenn sie eigentlich nicht kellnerte. Nat stopfte, so schnell es ging, seine Sachen in seinen Rucksack und floh aus dem „Imago“. In seiner kleinen Wohnung ließ er den Rucksack im Flur zu Boden gleiten, hängte seine Jacke auf und tapste mit hängenden Schultern zum Sofa. Er stellte den Fernseher an, doch eigentlich nahm er nicht wahr, was gerade lief. Er starrte nur auf den Bildschirm, weil es einfacher war als nachzudenken. Er wollte nicht denken, nicht an seine Vergangenheit und schon gar nicht an die Begegnung mit diesem jungen Mann, dessen Namen er nicht einmal kannte. Als er den Fernseher schließlich ausstellte war es drei Uhr. Er zwang sich aus Verantwortungsgefühl heraus ins Bett zu gehen und schlief sogar recht schnell ein. Mit einem Kaffee in der Hand, stürzte Nat, soweit dies möglich war ohne den Kaffee zu verschütten, in den Seminarraum. Gerade heute, fragte er sich, wie er sich diesen vierstündigen Kant-Lektüre-Kurs nur antun konnte, besonders, da der Kurs um acht begann. Nicht weiter auf seine Kommilitonen achtend ließ er den Rucksack von der Schulter gleiten, stellte den Kaffee ab, wobei er kleckerte, und setzte sich. Er legte Bücher und Block vor sich und nahm gähnend einen Schluck von seinem Kaffee. An dem er sich prompt verschluckte. „Ist hier noch frei?“ Die Frage wurde freundlich gestellt. Nat konnte nur schwach nicken und hustete, ehe er wieder Luft bekam. „Was macht der hier an der Uni? In meinem Kurs?“ Ehe er sich zurückhalten konnte, blickte er sich um und entdeckte tatsächlich die beiden Muskelprotze, die hier komplett fehl am Platze wirkten. „Ja, der ist frei.“, krächzte er. „Super. Ich war das letzte Mal nicht da? Wie weit sind wir?“ „Beim Raum.“ „Danke.“ Nat sah zu wie der junge Mann, den er im „Imago“ getroffen hatte, Bücher, Block und Stifte aus seiner Tasche holte. „Ganz schön früh, wenn du Abends noch arbeitest, oder?“, versuchte sein Sitznachbar ein Gespräch in Gang zu bringen. „Geht so.“ Nat wollte nichts mit ihm zu tun haben, gar nichts. „Kann der nicht einfach verschwinden?“ „Warst du das am Tuch?“ So schnell gab der nur leider nicht auf. „Ja.“ „Wow.“ Nat zuckte mit den Schultern. Für ihn war das nichts Besonderes mehr. Er turnte daran, weil es ihm Spaß machte und aus dem gleichen Grund stand er auf der Bühne. „Ich bin übrigens Angelo.“ „Angelo? Ernsthaft?“ „Wer bitte gibt seinem Sohn so einen Namen?“, fragte Nat sich, obwohl Angelo noch recht häufig vorkam. Nat musterte Angelo. Das kastanienbraune Haar, welches dessen Gesicht in weichen Wellen umrahmte, passte ja noch zu einem Engel. Die Hakennase schon nicht mehr und dem Blick von Angelos Augen wollte er nicht noch einmal begegnen, der war viel zu wissend. „Angelo del Chiarore.“, wurde ihm ruhig geantwortet. „Engel des Lichts, na super! Wer kam denn darauf?“, brach es aus Nat hervor. „Meine Mutter.“ Nat schüttelte den Kopf. „Warum antwortete der mir so ernsthaft? Halt, diese Frage brauche ich mir nicht zu stellen. Wir ziehen uns gegenseitig an. Es geschieht von ganz alleine.“ Zum Glück beendete die Ankunft des Dozenten das Gespräch. Nat malte verschlungene Kreise auf den Zettel vor sich, während ein älterer Kursteilnehmer eine sinnlose, zumindest in Nats Augen sinnlose, Diskussion über die Bedeutung eines Wortes mit dem Professor führte. Abwesend überlegte Nat, dass er selbst dem Mann schon längst gesagt hätte, welchen Blödsinn dieser redete. „Ob ich den Dozenten verwirren soll? Andererseits...“ Nat schielte zu seinem Sitznachbarn hin. „Besser nicht, das macht den nur noch mehr auf mich aufmerksamer, als bisher schon. Schließlich kennen die meisten Menschen die besonderen Eigenschaften, welche Raum und Zeit für bestimmte Personen besitzen nicht. Außerdem passt das Ganze nicht sonderlich gut zu Kants wichtigster Aussage, dass Zeit und Raum die Vorrausetzung für die menschliche Wahrnehmung sind.“ Nat seufzte. Seine Mitschrift, sofern man davon sprechen konnte, würde er später selbst nicht mehr lesen können. Eine subtile Veränderung an Angelo richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf diesen. Der Andere saß mit leicht glasigen Augen am Tisch, doch das war es nicht, was Nat bemerkt hatte. Er musterte ihn genauer. Nur für Nat sichtbar löste sich Angelos Geist von dessen Körper. Nat blickte sich verstohlen genauer um. Angelos Geist war alleine und somit schutzlos. Er strebte gerade an einen Ort, an den ihm keiner seiner Bodyguards folgen konnte. Zu Nats Verwirrung befand sich auch kein Schutzgeist im Raum, der zu Angelo gehören zu schien. „Mist!“, fluchte er. „Hat der wirklich noch keinen Genius intimus? Dafür ist er aber etwas alt!“, dachte Nat, doch er konnte keinen Genius entdecken, der zu Angelo gehörte. Ein kaum wahrnehmbares Knurren vibrierte in seiner Kehle. Er konnte nicht zulassen, was gerade mit Angelo geschah. Ob er wollte oder nicht, dass verbat ihm der Codex. Und anscheinend gab es nur ihn im Raum, der in diesem Fall etwas ausrichten konnte. „Na schön, jetzt errege ich also Aufmerksamkeit!“ Ohne weiter zu zögern, stieß er seinem Sitznachbarn den Ellenbogen hart in die Rippen, packte das Handgelenk dessen Geistes und zerrte ihn zurück in dessen Körper. Angelo japste auf, sein Kopf fuhr zu Nat herum. „Was?“ Nat drückte das Handgelenk, welches er nun umklammert hielt, fester. „Gibt es ein Problem?“, hörte Nat den Dozenten fragen. „Ich glaube meinem Sitznachbarn ist schlecht. Ich bringe ihn eben an die frische Luft.“ Nat ließ Angelos Handgelenk los und erhob sich. Angelo folgte, ohne Nats Erklärung in Frage zu stellen. Die Leibwächter dackelten hinterdrein. Direkt hinter der Tür, ergriff Nat erneut das Handgelenk des Anderen, da dessen Geist schon wieder Anstalten machte abzuschwirren. Schweigend verließen sie das Gebäude. „Bittet wartet in Sichtweite.“, war alles, was Angelo zu seinen Bodyguards sagte. „Okay, was soll das?“, fauchte er dann Nat an. „Verhindern, dass du in Schwierigkeiten gerätst. Wo ist dein Schutzgeist?“, fauchte der zurück, nur das sein Fauchen einem Raubtier ähnlicher war, als das bei einem Menschen möglich sein sollte. Angelo funkelte Nat dennoch unbeeindruckt an und dieser musste seinen Blick senken, um nicht wieder in die Vergangenheit gerissen zu werden. „Siehst du doch.“ „Warst du zu leichtsinnig und er ist für dich umgekommen?“, schnauzte Nat. Angelos Blick wurde kalt. „Nein, ist er nicht. Ich hatte nie einen. Er hat mich nicht gefunden!“, zischte er. Nat hörte die Wahrheit aus Angelos Stimme heraus und schauderte. „Wie hast du dann so lange überlebt?“, hörte er sich selbst verblüfft fragen. „Geht dich nichts an.“ „Ach ja? Wer passt hier gerade auf dich auf?“ Angelo schnaubte. „Wieso tust du es überhaupt?“ Das fragte Nat sich auch. „Weil ich nicht anders kann. Zumindest den Codex solltest du kennen.“ Angelos Augen weiteten sich. „Du...? Und wo ist dein Schützling?“ „Bist du immer so unhöflich?“ „Warst du auch?“ „Ach, ich hab ja nur verhindert, dass du auf die andere Ebene gezogen wirst.“ „Mein Leben, mein Risiko.“ „Oh nein, ganz bestimmt nicht. Du solltest vorsichtig sein bis du deinem Schutzgeist begegnest. Hast du eine Ahnung, was diesem, dir noch unbekannten, Wesen wiederfährt, solltest du sterben?“ Nat war wirklich sauer. „Ein Begabter ohne Schutzgeist sollte Zuhause bleiben.“ „Toll, und da darf ich den Rest meines Lebens versauern, weil er mich nicht findet!“ „Willst du lieber von ´nem Geisterwesen zerfetzt werden?“ „Was kümmert es dich?“ Ja, was kümmerte es ihn, abgesehen vom Codex. Nat erstarrte, er wusste es und wollte es nicht wahr haben. Er wollte seine Freiheit nicht aufgeben. Er wollte nichts mit Angelo zu tun haben. „Stimmt, was kümmert es mich?! Schon mal den Codex gelesen?! Die Gelegenheit scheint vorbei zu sein. Ich gehe jetzt wieder und führe mein Studium fort.“ Erst jetzt fiel Nat auf, dass er Angelo immer noch fest hielt. Als hätte er sich verbrannt, ließ er dessen Arm los und stapfte zurück in den Kursraum. „Geht es ihrem Kommilitonen besser?“, wurde er gefragt. „Weiß ich nicht.“, brummte Nat als er sich setzte nur um die Tür aufgehen zu hören, durch die Angelo eintrat. Nat senkte den Blick auf seinen Block. In seinem Kopf hallten die Worte: „Ich will nicht!“, beständig wieder. Den Rest des Kurses konnte er vergessen seine Gedanken kreisten nur noch um das Thema „Schutzgeist“. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)