Die Geister die wir riefen... von Eris_the-discord ================================================================================ Kapitel 35: ------------ Nach dem Erdbeben hatte die blanke Panik im Hotel um sich geschlagen. Draußen in den Fluren hörte man die Menschen hektisch reden. Das eilige Fußgetrappel war selbst im Zimmer zu hören. Die Bilder an der Wand waren von ihrer Halterung gerutscht. Eines davon war besonders massiv gewesen, war auf die Kommode darunter gestürzt und zertrümmerte die kunstvoll, verschnörkelte Dekoschale darauf, die aus filigranem Glas gefertigt war. Das Chaos hatte Jana einen solchen Schreck eingejagt, dass sie aus voller Kehle zu kreischen begann. Zu allem Übel war sie in ihrer Panik auch noch auf einen der Splitter getreten. Mr. Kinomiya hatte sie beruhigend auf den Arm genommen, während Mariah nun mit der Pinzette aus ihrer Kosmetiktasche versuchte, den Splitter herauszuziehen. Allein dem Mädchen die Socke auszuziehen, war mühselig gewesen. Sie hatte Angst jemanden an das „Aua“ heranzulassen und brüllte verzweifelt nach ihrem Bruder. „Ist ja gut, Mäuschen.“, sprach Mr. Kinomiya auf sie ein. „Unsere Mao kann das auch.“ „Nein!“ „Nicht bockig werden. Gleich hast du es.“ Er hielt ihren Fußknöchel fest, damit das Mädchen ihn nicht wieder wegzog und Mariah an den Splitter herankam. Als sie nur noch heftiger zu zappeln begann, umgriff Mao kurzerhand den Knöchel, zwängte ihn unter ihre Achsel und presste fest den Oberarm dagegen. Jana begann bitterlich zu wimmern und schrie dann nur noch lauter, doch durch diesen groben Eingriff, bekam Mariah den Splitter endlich mit der Pinzette zu fassen. Mit einem kurzen Ruck war er aus dem Fußballen entfernt, es ließ Jana erschrocken Quieken wie ein Ferkel, doch schon drückte Mariah ein Taschentuch gegen die Wunde. „Alles halb so schlimm. Ist doch nur ein kleines Wehwehchen.“ „Gar nich. Ist schlimm!“, beklagte Jana sich empört. „Das geht vorbei.“, dann wandte Mariah sich an den Großvater. „Wir ziehen besser unsere Schuhe an. Nicht das wir auch auf Glas treten.“ Mr. Kinomiya nickte auf ihren Vorschlag grimmig. Er setzte Jana auf der Fensterbank ab und hob den Zeigefinger. „Nicht von der Stelle rühren, junge Dame!“ „Ich will zu Kai.“, jammerte das Mädchen nur störrisch. Tränen rollten über ihre feuerroten Wangen. Ein lautes Schniefen kündigte an, dass bald ein weiteres Taschentuch gebraucht wurde. Gleich nachdem Mao sich schwerfällig in die Schuhe gezwängt hatte, kam sie dem Bedürfnis auch gleich nach. Sie drückte dem Mädchen ein Tuch gegen die Nase, was sie ungeniert zu schnäuzen begann. Da hörte sie Mr. Kinomiya zum Telefon greifen. „Wen rufen sie an?“ „Na, den Zimmerservice. Die sollen jemanden schicken der die Splitter aufsaugt.“ „Denken sie nicht die haben genug andere Probleme?“ „So lassen können wir es aber auch ni... - oh, hallo! Schon jemand dran. Gut! Also im Zimmer 481 haben wir ein kleines Problem, dass mal schnell aufgesaugt werden sollte.“ Gerade als Mr. Kinomiya weitersprechen wollte, schien er unterbrochen zu werden. Mao hörte die Stimme auf der anderen Leitung, jedoch nicht was gesprochen wurde. Es klang dumpf aus dem Hörer, dann wurde der alte Mann grantig. „Ja ich weiß, dass wir ein Erdbeben hatten, aber…“ Erneut sprach jemand auf der anderen Seite. „Nein, das geht nicht. Wir können nicht herunter kommen.“ Mao wurde hellhörig und ließ sofort von Jana ab. Sie wandte sich abrupt um und starrte wie gebannt auf Mr. Kinomiya. „Nein uns ist nichts passiert. Wir wollen einfach nicht!“ Nun wurde er aufgebracht. „Was soll das heißen wir müssen! Außer sterben, muss ich gar nichts, junger Mann!“ Mariah eilte zum alten Herrn und nahm ihm den Hörer ab. Es hätte gerade noch gefehlt, wenn er durch sein aufbrausendes Temperament, aus dem Zimmer geschmissen wurde. Etwas mürrisch dachte sie dabei, dass sie nun wusste, woher Tyson diese vorlaute Art hatte, da sprach sie auch schon in den Hörer. „Entschuldigen sie bitte. Mein Großvater ist etwas senil.“ Mr. Kinomiya blähte fassungslos die Wangen, doch sie tat eine unwirsche Handbewegung, um ihm zu bedeuten, doch bitte still zu bleiben. „Wir verstehen, dass sie in der jetzigen Situation etwas überfordert sind, aber hier drinnen ist eine Glasschale kaputt gegangen. Meine…“, sie schaute fragend zu Jana. Da sie nur für eine Person eingecheckt hatte, sprach sie, „Meine Nichte hat sich deshalb einen Glassplitter zugezogen. Wir wollen eigentlich nur das jemand kurz durchsaugt, mehr brauchen wir wirk-…“ „Tut mir Leid, sie hier unterbrechen zu müssen, doch wie ich bereits ihrem Großvater erläutert habe, werden die Zimmer vorerst geräumt.“, unterbrach sie eine junge Männerstimme. „Geräumt?“ „Das ist eine Vorsichtsmaßnahme falls ein Nachbeben kommt. Wir bitten alle unsere Gäste, ihre Zimmer zu verlassen und sich in der Lobby zu versammeln. Wir begeben uns dann alle gemeinsam nach draußen, bis die Behörden die Entwarnung geben.“ „Oh das…“, Mariah schluckte hart. Sie dachte an Galux, die ihr nahegelegt hatte, niemals das Zimmer zu verlassen. „Das ist wirklich nicht nötig. Wir kommen schon klar.“ „Oh doch, das ist nötig!“, sprach der junge Mann auf der anderen Leitung schroff. Offenbar lagen auch bei ihm die Nerven blank und er besaß keine Muße, um noch Höflichkeit vorzutäuschen. „Das ist eine ausdrückliche Anordnung. Sie müssen verstehen, dass es hier um das Wohl unserer Gäste geht.“ „Das ist lobenswert, aber wir bleiben auf eigener Verantwortung hier oben. Sie brauchen sich nicht weiter um uns…“ „Das ist leider kein Aspekt, auf den sie Einfluss nehmen können.“, sie hörte den Mann erschöpft schnaufen. Wahrscheinlich hatte er derlei Unterhaltungen bereits mit einigen anderen Hotelgästen geführt. „Sie müssen verstehen, dass wir für das Befinden unsere Gäste verantwortlich sind. Sollte ihnen bei einem Nachbeben etwas zustoßen, ist es dem Gesetzgeber egal, ob sie auf eigene Verantwortung gehandelt haben, weil wir in der Verpflichtung waren, alle unsere Gäste zu evakuieren. Ich bitte sie deshalb ein letztes Mal, aus eigenem Ermessen herunterzukommen. Ansonsten müssen wir sie leider aus dem Zimmer holen. Die ersten Sicherheitsleute sind bereits unterwegs, um sämtliche Etagen zu räumen.“ Mariah japste panisch. Sie starrte mit hilflosem Blick zu Mr. Kinomiya, der in einer ebenso machtlosen Geste die Arme hob und dabei das Gesicht panisch verzog. „Nein.“, sprach sie schließlich. Ihre Wangen wurden warm, wie immer wenn sie nervös wurde. „Das wird nicht nötig sein. Wir kommen hinunter.“ „Danke.“, der Hotelangestellte atmete erleichtert aus und fügte dann versöhnlicher hinzu. „Diese Unannehmlichkeit tut mir wirklich außerordentlich leid, aber sie müssen verstehen, dass wir nun einmal auch, an unsere Vorgaben gebunden sind. Solche Situation sind immer unerfreulich. Wir lassen nach der Entwarnung, auch sobald wie möglich ihr Zimmer durchsaugen.“ „Ja… Ja, das verstehe ich natürlich. Auf Wiederhören.“ Mariah legte auf und atmete schwerfällig aus. Sie blickte sich im Zimmer um. Jana hatte sich auf der Fensterbank hingelegt und schien nun äußerst theatralisch in Selbstmitleid zu baden. Dabei kullerten noch immer dicke Krokodilstränen aus ihren Augenwinkel, die sie mit aller Macht hervorzwängte. Als sie bemerkte, dass ihr gekünsteltes Weinen nicht auf Gehör stieß, drückte sie beleidigt ihr Stofftier an sich und begann zu schmollen. „Was jetzt?“, fragte Mr. Kinomiya. „Naja… Erst einmal brauchen sie eine Jacke. So können sie draußen nicht herumlaufen. Die Hotelpantoffeln können sie ja anbehalten.“, Mariah begann in ihrem Koffer zu kramen. Sie meinte Rays Mantel eingepackt zu haben, da er nach ihrem Streit so überstürzt aufgebrochen war, dass er kaum etwas mitgenommen hatte. Damals erhoffte sie sich davon, dass er bemerkte, wie sehr sie noch um sein Wohl besorgt war. Es entsprach ja auch der Wahrheit. Glücklicherweise war Mr. Kinomiya nicht dick, deshalb nahm sie an, er würde keine Probleme haben, hineinzuschlüpfen. „Als nächstens müssen wir hinunter in die Lobby.“ „Also verlassen wir doch endlich einmal diese Bude. Wird auch Zeit.“ „Nur vorübergehend.“, stellte Mao mit streng erhobenem Zeigefinger klar. „Sobald die Entwarnung gegeben wird, rennen wir wieder schnurstracks hier hoch.“ „Uns ist doch bisher nichts passiert! Ich weiß gar nicht was das ganze Theater noch soll.“ „Und warum ist uns wohl nichts passiert? Weil mein Bit Beast uns beschützt hat.“ Sie zog Rays Mantel aus dem Koffer. Er war dunkelbraun und eher sportlich gehalten. Für die Winter in ihrem Dorf optimal. „Mr. Kinomiya, ich muss wirklich darum bitten. Wir dürfen jetzt nicht unachtsam werden. Momentan kommen wir nicht umhin hinauszugehen. Aber es sind nur noch wenige Stunden, dann könnte der ganze Spuk vorbei sein.“ Sie half dem alten Herrn in die Jacke, dann tippelte sie vorsichtig zwischen den Scherben hindurch und packte Jana in ihre Tagesdecke ein. Das Mädchen murrte unwillig. Mao wischte ihr zärtlich die Tränen weg und sprach ihr gut zu. „Ach, verdammt! Ist doch echt zum Mäusemelken. Das ausgerechnet jetzt dieses blöde Erdbeben kommen muss. Und erst der Aufstand deshalb. Vor dem letzten Beben war man noch nicht so pingelig.“ „Die Angestellten machen nur ihren Job. Ich verstehe wenn man kein Risiko eingehen möchte.“ „Das ist ein freies Land. Ich kann ja wohl machen was ich will!“, zeterte der alte Herr. Darauf konnte Mao nur entnervt mit den Augen rollen. Diese Sturheit zog sich wie ein roter Faden durch die Familie. Zehn Minuten später lief die kleine Gruppe durch die Flure. Der Hauptstrom aus panischen Hotelgästen schien sich bereits gelegt zu haben, denn der Großteil war schnurstracks hinausgestürmt, in heller Furcht vor einem Nachbeben. Die wenigen Mutigen die noch hier waren, waren offensichtlich genauso Unwillens, ihr Zimmer zu räumen wie sie. Als Mariah in eine der anderen Suiten spähte, verstaute ein Mann geradezu hektisch seine Sachen im Hoteltresor und bellte seiner Frau zu, ihr alles Wertvolle zu reichen. „Wer weiß ob das Personal nicht klaut!“, sprach er wichtigtuerisch. Mariah hätte alles darum gegeben, dessen blöde Probleme zu haben. Sie war hochschwanger und ihr Ehemann verschollen, mit dem sie zu aller Übel auch noch in einer schweren Beziehungskrise steckte. In einem Anflug von Selbstmitleid, strich sie sich traurig über den runden Bauch, während Mr. Kinomiya Jana auf dem Arm hielt. Sobald sie in den Flur traten, schlug deren bockige Haltung prompt in kindliche Neugierde um. „Opa? Wohin wir gehe?“, fragte sie und wandte das Köpfchen aufgeregt in alle Richtungen. „Wir gehen jetzt hinaus, Kleines. Etwas frische Luft schnappen.“ Jana dachte nach und zog dabei eine unbekümmerte Schnute. „Könne mir Spieleplatz gehe?“ „Wohl eher nicht. Eigentlich solltest du im Bett liegen.“ „Oi, Opa. Will Saukel gehe!“, bat sie mit dicken Schmolllippen. Es entbrannte ein Pro und Kontra zwischen den beiden und tatsächlich schien Tysons Großvater einknicken zu wollen. Jana besaß eine zuckersüße Art ihre Forderungen durchzuboxen. Sie bettelte aus großen Kulleraugen, tätschelte Mr. Kinomiya die Wange und sprach dabei ganz liebreizend: „Komm, Opa. Spiele gehe. Ja?“ Dabei nickte sie eifrig, als wäre es beschlossene Sache. „Nein. Das geht jetzt wirklich nicht.“ „Doch, gehe.“, bejahte Jana zuversichtlich. „Nein, du kleiner Frechdachs.“, gluckste er. „Doch. Musst nur hinlaufe.“, schlug das Mädchen vor, als sei es damit tatsächlich getan. Einen verschmitzten Moment stellte sich Mariah vor, dass sie diese Debatten womöglich auch mit ihrem Bruder führte, bis sie dem alten Herrn einen mahnenden Blick zuwarf, um ihm zu bedeuten, dass ein Besuch auf dem Spielplatz keine Option darstellte. „Mao gehe mir Saukel?“ „Tut mir Leid, Süße. Aber wir müssen bald wieder ins Zimmer.“ „Oi nein… warum?“ „Weil es dunkel draußen wird. Da sollten kleine Mädchen schlafen und von der Zuckerfee träumen.“, sprach sie verschwörerisch. Jana bekam tellergroße Augen. „Zuckerfee?“ „Ja. Wenn du brav bist und du nachher ins Bett gehst, erzähle ich dir die Geschichte. Aber du musst auf uns hören und anständig bleiben. In Ordnung?“ Jana dachte ausgiebig darüber nach, als würde sie sich fragen, ob sie auf einen Kuhhandel einging. „Is Zuckerfee hübsch?“ „Oh ja! Eine wunderhübsche Fee.“ „Mmm… Okay.“ Damit schien die Sache für sie auch schon in Ordnung. Kurz darauf trafen sie auf einen Mann von der Security. Der schwarzgekleidete Herr lotste sie ins Treppenhaus, da die Fahrstühle nicht benutzt werden sollten. Dort schlossen sie sich dem Strom der anderen Hotelgäste an, die Stufe um Stufe, im Gänsemarsch hinabschritten. Für Mao wurde es zu einer kleinen Herausforderung, weil es immer schwerer für sie wurde, mit dem Babybauch vor sich zu erhaschen, wohin sie eigentlich trat. Eine bedrückende Stimmung lag auf den Menschen. Vielen lag noch der Schreck in den Gliedern. Mariah kam dabei das furchtbare Beben vor einigen Jahren in den Sinn, der einen verheerenden Tsunami in manchen Teilen Japans mit sich brachte. Ray und sie hatten gerade zusammen gekocht, als das Radio die Eilmeldung verkündete. Kurz darauf sah sie ihren Mann zum Fernseher rennen. Als sie die Bilder auf dem Monitor erblickte, die Wassermassen, welche ganze Schiffe ins Landesinnere Japans spülten, war ihr der Atem stehen geblieben. Wie von der Tarantel gestochen war Ray zum Hörer gestürmt, um Tyson anzurufen, doch die Leitung war ständig belegt. Dasselbe Spiel trug sich bei Kai zu und auch Kenny war nicht zu erreichen. Selten hatte sie ihren Mann so nervös erlebt. Immer wieder legte er den Hörer auf, wählte eine Nummer und schimpfte dann doch nur, weil niemand zu erreichen war. Den Einzigen den er an die Strippe bekam war Max. Der hatte in den USA ähnlich reagiert und saß auf glühenden Kohlen, weil er ebenso dringend wissen wollte, ob es seinen Freunden gut ging. Erst später fanden sie heraus, dass das Netz unter der Masse von Anrufen, für kurze Zeit zusammengebrochen war und als Kenny sich endlich meldete und ihnen versicherte, dass die Region um Tokyo nicht betroffen war, machte ein lautes Aufatmen die Runde. Mariahs Blick wanderte zu den anderen Menschen im Flur. Die Anspannung im Gebäude war förmlich auf der Zunge zu schmecken. Als sie in der Lobby eintrafen, stand das Hotelpersonal mit Klemmbrettern im Raum und hakte auf einer Liste ab, welche Gäste sich bereits eingefunden hatten, verglichen mit den Daten aus dem Computer, wer von den Gästen vorübergehend außer Haus war und diskutierten, welche Gruppe von wem betreut werden sollte. Als Mariah ihren Namen nannte, wurde sie argwöhnisch gemustert. „Laut unseren Daten haben sie aber alleine eingecheckt.“, sprach die ältere Frau ihr gegenüber fragend. „Das hier ist mein Großvater. Er hat mich mit meiner Nichte besucht. Ich kann meine Schwester nicht erreichen, damit sie die beiden abholt.“ Die Frau biss sich unangenehm berührt auf die Unterlippe. „Aus versicherungstechnischen Gründen, müssten wir die beiden eigentlich nachhause schicken. Das Hotel haftet nicht für Außenstehende, falls noch etwas passieren sollte.“ „Oh bitte nicht!“, bat Mariah verzweifelt. „Ich kann die beiden doch nicht nach diesem Beben wegschicken! Ich weiß ja noch nicht einmal wie es meiner Schwester geht…“ Sie wurde mitleidig bedacht, dann nickte die Frau ihr zu. „Natürlich nicht. Ich würde das an ihrer Stelle auch nicht wollen. Bei Fragen wenden sie sich aber bitte an mich und kein Wort zu dem anderen Personal darüber.“ Mariah faltete in tiefer Dankbarkeit die Hände vor dem Gesicht und deutete eine Verbeugung an. Auch der Großvater tat es ihr gleich und da trällerte Jana auch schon ein langgezogenes: „Dankeschön!“ Die Frau nahm es stillschweigend zur Kenntnis, warf ihren Kollegen einen wachsamen Blick zu und vollführte mit dem Klemmbrett eine Bewegung Richtung Ausgang. „Die Gäste aus Etage fünf, bitte mir Folgen!“, verkündete sie lautstark, um die plappernde Menge zu übertönen. „Wir werden draußen im Hof warten, bis die Entwarnung der Behörden kommt. Bitte entfernen sie sich nicht von der Gruppe und bleiben sie in meiner Reichweite.“ Ein Murmeln ging durch die Masse, dann formierte sich eine Menschentraube, die ihrer Betreuerin folgte. Sofort als sie ins Freie traten, verschlug es Mariah einen Moment den Atem und sie fröstelte. Draußen herrschte eine Eiseskälte. Einfach nichts passte an diesem dummen Tag! Ihr Mann war verschwunden, samt seiner Freunde. Es schneite und zu allem Überfluss kam nun auch noch dieses Erdbeben hinzu, was die Leute zwang, im Kalten auszuharren, bis die Entwarnung kam. Zu ihrem Glück verteilte das Hotelpersonal noch weitere Decken und auch heiße Getränke. Sie musste zugeben, man war hier wirklich gut organisiert und da sie keine Kinderjacke für Jana besaß, schnappte sich Mao sofort eine weitere Decke für das Mädchen, samt einem Becher warmen Kakao. Zusammen mit ihren Leidensgenossen, nahm sie etwas abseits vom Rest der Gruppe Platz. Nicht nur die Gäste des Hotels harrten im Freien aus, auch die Einwohner dieses Stadtteils. Als Mariah sich umblickte, hatten sich dutzende Gruppen auf den Gehwegen gebildet. Der Verkehr auf der Straße war vorerst zum Erliegen gekommen. Sie erspähte einen Mann, der neben seinem Auto stand und mit seiner Mutter telefonierte, dabei versicherte er ihr mehrmals total entnervt, dass es ihm gut ging. „Nein, ich lasse meinen Wagen nicht unbeaufsichtigt zurück und laufe Heim. Das Auto ist geleast, Mutter!“, bellte er in den Hörer. Mariah fiel auf, dass ihr Zimmer auf die andere Seite des Gebäudes schaute, denn vor ihrem Fenster aus, war die Prügelei zwischen den beiden Betrunkenen, auf der Hauptstraße zu sehen gewesen. Ihr kam die merkwürdige Frau mit dem Lampion in den Sinn. Doch schnell war sie vergessen, als Mariah Jana den Becher mit Kakao reichte. „Uuh, Schoki!“, gluckste Jana total begeistert. Gierig nahm sie den Plastikbecher entgegen und trank einen großen Schluck daraus. Dann rief sie kurz darauf panisch: „Hu ha! Heiß!“ Sie streckte die Zunge so entsetzt raus, dass die beiden Erwachsenen laut lachen mussten, vor allem weil ein Schokoladenrand um ihre Mundpartie zurückblieb. „Da vergisst man doch glatt die Sorgen!“, rief Mr. Kinomiya freudig aus. „Weißt du, Tyson war genauso. Es konnte noch so eine schlechte Stimmung im Haus herrschen, er hat es immer geschafft, alles mit seinen Faxen aufzulockern.“ „Ray meinte auch einmal dass er eine Begabung dafür hat.“ Mariah setzte sich auf die niedrige verschneite Mauer, zu Seiten der Hoteleinfahrt, welche das Grundstück absperrte. Auf der Rückseite des Gebäudes schien sie an Höhe zuzunehmen, wahrscheinlich um die Hotelgäste vom Lärm zu schützen, der von der Schnellstraße dahinter ausging. Als Mariah an die Prügelei dachte, die vor ihrem Zimmerfenster stattgefunden hatte, kam ihr das ganz gelegen. In den unteren Etagen, wollte bestimmt keiner der Hotelgäste diesen Anblick, direkt von seinem Zimmer aus sehen. „Ich hoffe nur dass wir bald wieder etwas von ihnen hören.“ „Den Grünschnäbeln geht es bestimmt gut. Die haben Dinge zusammen gemeistert, das kann man sich kaum vorstellen.“, lachte Mr. Kinomiya mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Das Einzige worum ich mir sorgen mache, ist die Beschuldigung gegen meinen Enkel. Sobald dein Bit Beast wieder hier auftaucht, packe ich mir diese Holzköpfe im Präsidium und ziehe denen die Ohren lang! Tyson würde mir niemals etwas antun! Darauf kannst d-…“ Abrupt hielt Mr. Kinomiya inne, denn unweit von ihnen, wandten sich plötzlich zwei Passanten ihnen zu. Sie fuhren so fahrig auf dem Gehweg herum, dass es auch Mariah auffiel, weil der junge Mann dabei fast auf der Schneeschicht ausgerutscht wäre und wild mit den Händen ruderte. Einen Moment wollte sie zickig reagieren und den beiden entgegen fauchen, wie unhöflich es war, fremden Gesprächen so offensichtlich zu lauschen, als auch ihre Augen groß wurden. „Ja heilige Scheiße!“, rief Tysons Großvater, mit wehenden Armen, überrascht neben ihr aus. „Wenn das nicht der Chef ist!“ „Mr. Kinomiya! Ich dachte schon ich hätte mich verhört!“ Eine junge Frau war in seiner Begleitung und etwas neidisch bemerkte Mariah, wie hübsch sie war. Zu ihrer Überraschung gab die aber ein lautes Jauchzen von sich und klatschte überglücklich in die Hände, als sie den Großvater erblickte. „Kenny, wir haben ihn gefunden!“, der Blick der Frau schoss zu dem Kind an ihrer Seite. „Und sieh mal an, wer da noch ist – das kleine Hiwatari Mädchen!“ „Dem Himmel sei Dank! Kais Schwester geht es auch gut…“ Jana schaute irritiert zu den beiden Fremden, als der Name ihres Bruders fiel. Dann reckte sie den Hals hinauf und sprach mit unverhohlener Neugierde. „Opa? Wer is das?“ Der hatte aber anderes im Kopf. „Was machst du denn hier, Chef?“ „Wie bitte?! Was machen Siedenn hier? Wir haben die halbe Stadt nach ihnen durchsucht!“ „Ich bin die ganze Zeit bei Rays Perle hier gewesen.“ Mariah erhob sich langsam von der Mauer und hob die Hand zum Gruß. Erst als sie sich rührte, wandte Kenny ihr das Gesicht zu. Er schob irritiert die Brille unter seinem buschigen Haarschopf zurecht und rief dann aus: „Meine Güte, du bist ja auch hier. Davon hat Ray mir gar nichts erzählt.“ „Kann er auch gar nicht. Ich bin ihm nachgereist, weil ich mit ihm sprechen wollte und erst gestern Morgen hier eingetroffen.“ „Weißt du wo er ist?“, sie hörte die Verzweiflung aus seiner Stimme heraus. Er tat einen Schritt auf Mariah zu und fragte geradezu drängend: „Sind Tyson, Max und Kai auch bei ihm?“ Sie atmete hörbar aus und warf einen vielsagenden Blick zum Großvater. Es war offensichtlich was Kenny in solch Aufruhr versetzte. Auch er sorgte sich um seine Freunde. „Seit wann hast du nichts mehr von ihnen gehört?“, wollte Mariah wissen. „Seit Freitagabend.“ „Na dann setzt dich mal auf deine vier Buchstaben, Grünschnabel.“, sprach Mr. Kinomiya düster aus. „Es gibt hier einiges zu erzählen.“ * „Sie verschwindet einfach nicht. Das ist ja zum aus der Mäusehaut fahren!“ Argwöhnisch verschränkte Allegro die Arme. Dabei ließ er von Rays Haarschopf aus, nicht den gesichtslosen Geist hinter ihnen aus den Augen. „Was will sie nur von uns? Sie greift nicht an, sie kommt nicht näher, aber von uns ablassen mag sie auch nicht.“ „Sie beschützt uns. Ist das denn nichts?“, wollte Tyson wissen. Er drehte sich einen Moment zu der Lichtgestalt um und lief einige Schritte rückwärts weiter. In der Zwischenzeit waren weitere Begegnungen mit anderen Geistern vorgekommen. Bei jeder war ihre Helferin tatkräftig eingeschritten. Sie stärkte ihnen den Rücken, während Galux die Vorhut bildete. Außerdem schien ihre Präsenz einen tröstenden Effekt auf ihre Artgenossen zu haben, denn die grauen Geister ließen schneller von ihnen ab, sobald sie sich einmischte, als könne sie sich trotz dem fehlenden Gesicht mit ihnen verständigen. „Es ist eine fragwürdige Hilfe.“, sprach Galux ernst, doch sie tat auch keine Anstalten, die Seele zu verscheuchen. Als Tyson sich wieder von ihr wegdrehte, spürte er, wie Kai seine Lippen an sein Ohr führte und hinein flüsterte: „Ich mag sie trotzdem.“ Es ließ ihn lächeln und Tyson schob den Kleinen hoch, um ihn bequemer tragen zu können. Dabei spürte er, wie Kai sein Kinn auf seine Schulter platzierte und der Gestalt hinter ihnen vorsichtig zuwinkte. Seit sie da war, schien er die Angst verloren zu haben, vielleicht weil es ihn aufmunternde, das nicht alle Geister sie angreifen wollten. „Wie lange geht es noch?“, wollte Max wissen. Es war das erste Mal, seit einer gefühlten Ewigkeit, dass er von sich aus das Wort an Galux wandte. Offenbar war er noch immer wütend über den Vergleich, den sie zuvor in die Runde geworfen hatte. „Wenn wir in diesem Tempo weiterkommen, könnten wir bald den Abstieg wagen.“ „Wir müssen klettern?“ „Nein.“ „Aber du hast doch gesagt wir absteigen.“ „Hier unten solltet ihr Abschied von irdischer Logik nehmen.“, erklärte Galux. „Mag sein das wir hinauflaufen, doch je nachdem, wo die Wurzel endet, könnten wir hinablaufen.“ „Als uns Draciel auf dem Friedhof aufgeschnappt hat, sind wir in die Erde gezogen worden.“, fiel Ray wieder nachdenklich ein. Max verkrampfte sich neben ihm einen Moment. Offensichtlich plagte ihn noch immer der Gedanke an Draciels heimtückische Art, ihm mit dem Gesicht seiner Mutter aufzulauern. Kurz darauf antwortete Galux: „Diesen Ausgang verwenden wir nicht.“ „Warum?“ „Mon dieu, meine Herren. Ist das nicht offensichtlich?“, kam es von Allegro. „Es gibt vier Uralte und davon ist nur einer auf unserer Seite. Dragoon und Driger kämpfen vielleicht noch, aber die anderen beiden treiben sich irgendwo herum.“ „Dranzer ist in der Menschenwelt.“, sprach Tyson. „Das heißt es könnte sich dabei nur um Draciel handeln.“ Abrupt hielt Ray inne als er das hörte. „Wie meinst du das?“ Tyson blinzelte ihn einen Moment verdutzt an, bis ihm wieder einfiel, dass er zu jenem Zeitpunkt, als sie diese Information erhielten, auf der Flucht vor ihnen war. „Das war der eigentliche Grund weshalb Driger uns geholfen hat. Dragoon wollte, das Galux den Schutzbann von unseren Familien nimmt, damit Dranzer aus ihrem Versteck kommt. Er wollte Jana als Lockmittel missbrauchen.“, Tyson starrte verbittert, ob diesen Kalküls seines Bit Beasts, zur Seite. „Als sie sich geweigert hat, hat er sie als Verräterin hingestellt.“ „Das heißt Dranzer lebt?“, schloss Ray aus geweiteten Augen heraus. „Ja. Und es ist ein weiterer Grund, weshalb wir nicht den Weg verwenden werden, von dem ihr gekommen seid.“, sprach Galux. „Wir werden einen kleinen Umweg nehmen. Es kostet uns ein wenig Zeit, doch sollten wir weiterhin so zügig vorankommen, sehe ich keinen Grund, weshalb wir es nicht rechtzeitig auf die andere Seite schaffen sollten. Sobald ihr wieder heimischen Boden unter den Füßen habt, werdet ihr aber vorerst bei Mao Unterschlupf suchen müssen, bis die heilige Neujahrswende vorbei ist.“ „Warum das?“ „So lange das Portal offen steht, seid ihr nicht außer Gefahr. Ihr könntet noch immer aufgegriffen werden. Zudem sprechen wir hier von den Uralten. Ihre Macht ist groß.“ „Wird es sich sofort schließen, wenn die Sonne in der Menschenwelt aufgeht?“ fragte Max. „Das ist schwer zu sagen.“ „Ihr müsst doch wissen wann sich die Tür schließt?“ „Genau da liegt die eigentliche Problematik. Das Portal an sich, kann nicht allein als eine Tür gesehen werden.“, Galux schaute empor, wo sich über ihnen dutzender kleiner leuchtender Verästelungen, kreuz und quer durch die Dunkelheit zogen. „Schaut über euch. Jeder dieser Zweige ist mit beiden Welten verknüpft. Momentan führen sie ungehindert ihre Energie in beide Reiche. So gesehen, gibt es also nicht nur ein Portal. Es sind Milliarden. Jeder Zweig welcher in die Menschenwelt führt, ist ein potenzieller Ausgang. Wir Bit Beast können sie fast ohne Einschränkungen verwenden. Ihr Menschen dagegen nur eine Handvoll. Eure Körper sind für die wenigstens tauglich, außerdem enden sie an den unmöglichsten Orten. Sobald sich aber das Ende der Neujahrswende nähert, werden nach und nach, die Wege in die Menschenwelt, auch für uns Bit Beast spärlicher. Stellt es euch wie ein Haus vor, in dem alle Fenster offen stehen, um es durchzulüften. Sobald ihr friert, lauft ihr von Zimmer zu Zimmer, um jedes Fenster, eines nach dem anderen, zu schließen. Das braucht Zeit. Genauso wird es ablaufen, wenn sich das Portal wieder verschließt. Jeder einzelne Ausgang wird dann nach und nach blockiert.“ „Als ich Wolborg getroffen habe, hat sie mir erklärt, dass ihr Bit Beast dann nur noch in der Irrlichterwelt, an eure Energie herankommt.“, sprach Tyson nachdenklich. „Und das das auch der eigentliche Grund ist, weshalb ihr euch Menschenkinder sucht. Ihr zapft ihre Kraft an, um nicht zwischen beiden Welten ständig pendeln zu müssen.“ „Das ist richtig. An der heiligen Neujahrswende, sind uns keine Grenzen gesetzt. Wir können immer an unsere Energie herankommen.“ „Aber wann schließen sich nun alle diese Verästelungen da oben.“, wollte Ray nun drängender wissen. „Es hört sich nicht so an, als ob der Spuk Punkt Mitternacht vorbei ist.“ „Das wird er auch nicht. Doch mit jeder Stunde die vergeht, wird es schwieriger für die Uralten, in eurer Welt ungehindert an ihre Energie heranzukommen. Sobald alle Portale geschlossen sind, seid auch ihr sicher.“ „Aber nur für ein Jahr.“ „Nur für ein Jahr. Das ist wohl wahr.“, pflichtete Galux mit geschlossenen Lidern bei. „Wie soll es danach eigentlich für uns weitergehen?“, fragte Tyson bei dieser Überlegung. „Ich meine, gibt es eine Möglichkeit, wie wir uns in Zukunft vor unseren Bit Beast schützen können?“ „Erst einmal solltet ihr es hinausschaffen, bevor ihr so weit denkt.“ „Trotzdem. Nur für den Fall, wir schaffen es, was können wir tun?“ Galux seufzte ob seiner Hartnäckigkeit. „Ich kann euch nur raten eure Bit Beast, bis zur nächsten Neujahrswende, zu besänftigen. Driger wird euch wohl keine Probleme mehr bereiten. Er hat seinem Menschenkind vergeben. Doch was euch andere angeht, ihr werdet große Abbitte leisten müssen.“ Max schnaubte. Der pure Unwille Draciel zu vergeben sprach aus seinem Gesicht. Galux ignorierte ihn jedoch und wandte den Blick direkt an Tyson. „Du wirst besonders achtsam sein müssen. Nutze das Jahr, um deinen Geist zu beschwichtigen. Sprich Dragoon gut zu. Zeig ihm, dass du ihn wertschätzt, indem du ihm Opfergaben bietest. Die Uralten sind erhabene Geister und so solltet ihr sie auch behandeln. Womöglich könnte es seinen Zorn, bis zur nächsten Neujahrswende lindern. Dragoon ist die treibende Kraft hinter dieser Fehde. Der einzige Weg für dich aus dieser Geschichte, ist mit Vergebung. Ihr werdet euch beiden vergeben müssen.“ „Das kann ich nicht!“, spie Tyson zornig aus. „Nach allem was passiert ist, kann ich nicht so weitermachen, als wäre nichts gewesen!“ „Und doch musst du. Denk immer daran, er mag dich nicht angreifen können, doch er kann jene angreifen, die du liebst. Und er kennt dich… Du bist sein Abbild. Er weiß genau, wem er schaden muss, um dich am schwersten zu treffen.“ Ihm schien als ob sie ganz besonders Kai fokussierte. Bei diesem Gedanken wurde er aschfahl. Das Kind auf seinem Arm neigte fragend den Kopf auf ihre Worte. Erst als ein Stöhnen vor ihnen, die Ankunft eines weiteren Geistes ankündigte, wandte sich Galux ab. Ein weiterer Verdammter näherte sich. Tyson fiel auf das an jener Seele selbst Teile der Haut fehlten. Darunter kamen nur noch spröde Knochen zum Vorschein. „Ai ai, der streunt wohl schon lange herum.“, sprach Allegro. Tatsächlich schien der Geist vor ihnen bald zu Staub zu verfallen. Es bedurfte nicht einmal mehr Galuxs eingreifen. Die Seele war so kraftlos, dass sie nur noch schleichend vorankam. Sie huschten an ihr vorbei und obwohl sie ihrer Anwesenheit gewahr wurde, war sie nur noch in der Lage, den Arm nach ihnen auszustrecken, ohne sie wirklich ernsthaft zu greifen zu bekommen. „Was passiert eigentlich mit den Verdammten, wenn sie es nicht bis zu ihrem Jenseits schaffen?“ „Dann regnet es Asche wenn sie zu Staub zerfallen.“ Der Gedanke ließ Tyson schaudern. Er fragte sich, wie viel passieren musste, damit ein Mensch dieses Schicksal verdient hatte. Sie folgten dem Pfad, der vor ihnen eine Kurve machte. Irgendwie erinnerte Tyson die Strecke, an das beleuchtete Gleis einer Achterbahn, welches unsicher in der Luft schwebte. Plötzlich legte Galux eine Vollbremsung hin. Es kam so überraschend, dass die Gruppe ineinander rannte. Erst kurz vor dem Hindernis wurde Tyson klar, was das Problem war. Ihre Wurzel hatte ein Loch. Es war auf dem leuchtenden Pfad deshalb nicht sichtbar, weil der Weg dort einen steilen Schlenker abwärts machte, wie bei einer Schaukel. Glücklicherweise hatte Ray schnell reagiert. Bevor Tyson in ihn hineinrennen konnte, strafte er vor ihm den Rücken. Ein dumpfer Laut kam von Kai, als er gegen Ray prallte, da hörten sie Max neben sich schreien. Er hatte nicht so schnell reagiert. Tyson hielt geschockt den Atem an, als er ihn mit fliegenden Armen am Rand der Wurzel balancieren sah. Da erblickte er die geisterhafte Hand der Lichtgestalt die Max am Kragen packte. In Sekundenschnelle schoss Galux Schweif hervor, um ihn zusätzlich noch am Arm zu halten. Einen Ruck später war er aus der Gefahrenzone gezerrt. Maxs Augen waren geweitet und sofort als er sicheren Boden unter den Füßen hatte, ließ die Seele von ihm ab und verschwand wieder weit in den Hintergrund, als wolle sie niemanden zu nahe treten. Er starrte ihr aus aschfahlem Gesicht nach. Das alles war so schnell passiert, dass es ihnen den Atem verschlagen hatte. „Verdammt, war das knapp!“, entfuhr es Ray. Max nickte, nicht in der Lage seinem Schrecken anders Ausdruck zu verleihen. „Damit hatte wohl keiner von uns gerechnet.“, sprach Allegro. Als Tyson etwas näher an den Abhang vor ihnen herantrat, erblickte er etwas besorgt die Schneise vor ihnen. Nur noch wenige Sehnen hielten die Wurzel zusammen. Das Gerüst wirkte dadurch ziemlich unsicher und sofort befiel ihn ein Gefühl der Beunruhigung. „Wie kommen wir da hinüber?“ Galux schien bereits die Antwort darauf zu haben. Neben ihnen sträubte sich das Bit Beast und wandelte sich zu ihrer Kämpfergestalt. Die Gruppe trat von ihr weg, denn dadurch gewann sie an solcher Größe, dass sie mehr Platz auf dem Pfad in Anspruch nahm. „Einer nach dem anderen klettert nun auf meinen Rücken. Ich springe mit euch über den Schlund.“ Tyson war froh, dass sie diesen Einfall von sich aus einbrachte, denn auch er hatte diese Idee gehabt. Allerdings kam es ihm etwas unverschämt vor, es laut auszusprechen, wo Galux sich doch so damenhaft verhielt. Man konnte ja nie wissen, wann ein Bit Beast sich auf den Schlips getreten fühlte. Falls dies der Fall war, ließ sie sich allerdings nichts anmerken. Zuerst verhalf sie Max über den Spalt, danach ihm, mit Kai im Schlepptau. Als sie auf der anderen Seite Fuß fassten, bemerkte Tyson jedoch voller Entsetzen, dass sich ein weiterer Geist Ray näherte. Galux beeilte sich, um wieder zu ihm, auf die andere Seite zu gelangen, doch dank der gesichtslosen Seele, blieb das graue Gespenst von Ray fern. Der beobachtete ziemlich verunsichert, wie sie sich zwischen ihnen aufbäumte. Sie streckte die Arme aus, um den Geist am Weitergehen zu hindern. Als er an ihr vorbeiziehen wollte, legte sie die Hände nur beschwichtigend auf die Schultern ihres Verfolgers, während Galux hinter ihr auf der anderen Seite aufkam, um Ray abzuholen. Tyson beobachtete wie er schnell auf ihren Rücken kletterte und sich in ihrem Fell festkrallte. Erst als sie mit einem beherzten Sprung, ihren Freund zu ihnen verfrachtete, ging ein aufatmen durch die Gruppe. Als Ray abstieg, schien er heilfroh, nun auf dem sicheren Ufer zu sein. „Das war wirklich knapp.“ „Allerdings. Die tauchen manchmal wie aus dem Nichts auf.“, meinte Tyson. „Das liegt an der Finsternis hier unten.“, erklärte Galux. „Sie verschluckt jegliches Licht. Daher ist es umso wichtiger immer beisammen zu bleiben. Der einzige Anhaltspunkt hier unten ist der Wurzelpfad. Jedenfalls für euch Menschen. Wir Bit Beasts können uns noch auf unseren Geruchsinn verlassen.“ „Und doch muss ich sagen, dass er uns manchmal zu trügen scheint.“, sprach Allegro. Der Mäuserich stemmte einen Arm in die Seite, während der andere sich an Rays Strähnen festhielt. „Ich habe kaum bemerkt, dass dieser Geist sich anbahnt.“ „Das liegt an ihr.“, Galux nickte zu ihrer Helferin, welche ihren Artgenossen im Zaun hielt. Tyson schien als würde eine lautlose Kommunikation zwischen den beiden stattfinden. Irgendwann ließ der graue Geist nämlich von seinem Vorhaben ab und trottete mit schleichenden Schritten davon. „Da sie ebenfalls tot ist, haftet auch an ihr der Geruch, einer dahingeschiedenen Seele. Das verfälscht den Duft um uns herum.“ „Trotzdem ist sie uns eine Hilfe.“, warf Tyson ein. „Sie hat doch ganz offensichtlich etwas an sich, was die grauen Geister besänftigt! Und sie tut uns nichts. Wäre Ray auf der anderen Seite alleine herumgestanden, dann hätte der graue Geist ihn aus dem Hinterhalt angreifen können, noch ehe wir es richtig bemerkt hätten.“ „Mademoiselle, ich muss ehrlich gestehen, dass ich da seiner Ansicht bin.“, pflichtete nun auch Allegro bei. „Wäre sie auf die Energie der Jungen aus, hätte sie sich Ray doch schnappen können, als er schutzlos auf der anderen Seite herumstand.“ Galuxs Blick lag nachdenklich auf der Strommaus. Dann wandte sie ihre saphirgrünen Augen zu der Lichtgestalt auf der anderen Seite. Die schaute ratlos auf den Abgrund vor sich und schien sich zu fragen, wie sie ihnen jetzt noch folgen sollte. Es wäre die Gelegenheit, die unliebsame Fremde abzuschütteln. Als der Rest der Gruppe ebenfalls den Blick zu ihr schweifen ließ, schien ihre Verfolgerin den Kopf hängen zu lassen. Obwohl sie kein Gesicht besaß, kam es Tyson vor, als würde sie betrübt zu Boden schauen. „Nun gut. Ich habe mich schon einmal geirrt. Vielleicht irre ich mich auch dieses Mal.“, sprach Galux schließlich. Kurz nach diesen Worten, tat sie einen beherzten Sprung über die Kluft, um das neueste Mitglied, ihrer bunten Truppe, auf die andere Seite zu verhelfen. * Der Ausgang welchen sich Dragoon näherte kannte er gar nicht. Es war eine unscheinbare, schmale Wurzel, dessen Pfad abwärts führte, zu den ersten Erdschichten die an die Menschenwelt grenzte. Einmal mehr war er überrascht über Galuxs Voraussicht, denn die glimmende Wurzel führte in einen engen Stollen, wo sie in einer Tropfsteinhöhle endete, was sicherlich dem Zweck diente, dass Dragoon ihnen nicht in seiner Drachengestalt folgen konnte, da sein Körper zu massig für diese Umgebung war. „Wie die Ratten die sich in ihren Löchern verkriechen.“, knurrte er bissig und bedachte den Weg. Mit einem Arm hatte er Schwierigkeiten voranzukommen. Ihm fehlte die Stabilität und er musste sich erst daran gewöhnen, dass sein Gewicht nun recht einseitig verteilt war. Das machte vor allem große Sprünge hier unten schwierig. Für gewöhnlich wäre es ein leichtes für ihn gewesen, in der Finsternis von einer Wurzel zur Nächsten zu fliegen. Doch nun befand er sich ständig in einer störenden Seitenlage. Dragoon fletschte verbissen die Zähne und berührte mit seiner verbliebenen Hand, den kümmerlichen Stumpf zur Seite seines Torsos. Driger hatte wirklich ganze Arbeit geleistet… Dann nahm er Anlauf und schoss erneut zwischen den dutzenden Wurzelsträngen hindurch. Gleich nachdem er mithilfe des Weltenbaumes, den Standpunkt der Gruppe ausfindig gemacht hatte, war er ihnen schnellstens hinterher geeilt. Zu seiner Überraschung war Draciel auch bereits auf dem Weg dorthin. Das es von alleine handelte, war ihm neu, doch es freute ihn, dass die Schildkröte endlich mal einen rechten Geistesblitz bekam. Für gewöhnlich musste er immer klare Anweisungen erteilen, bevor es in Bewegung kam. Bei diesem Gedanken huschte ein schiefes Grinsen über seinen Mund. Es entblößte einen langen Schneidezahn. Ihm gefiel die Vorstellung, dass die Gruppe nun direkt in Draciels Arme lief. Allein wegen Takaos dümmlichen Gesichtsausdruck, wollte er so schnell wie möglich am Ziel ankommen. Diesem vorlauten Gör sollte es noch leidtun, dass er Driger gegen ihn aufgehetzt hatte. Diese großspurigen Worte, mit denen er dessen Verstand regelrecht infiltrierte, waren geradezu eine Frechheit gewesen. „Warum lässt du dir Vorwürfe machen? Er sagt du wärst wie Ray und weißt du was? Das ist vollkommen in Ordnung! Es hat einmal einen Grund gegeben, weshalb du ihn als Kind ausgesucht hast. Wahrscheinlich genau deswegen!“ Ja, Driger war wie Ray. Da hatte der Junge allerdings recht gehabt. Es war ein offenes Geheimnis, dass sich Bit Beast jene Kinder aussuchten, die ihrem Naturell am ehesten entsprachen. Desto identischer sie ihnen waren, desto besser ließen sie sich anzapfen. In Takao hatte er viel Sturm in der Seele gesehen. Seine gesamte Familie war von dieser Eigenschaft gezeichnet. Es zog sich wie eine Linie durch den Stammbaum der Kinomiyas. Daher hatte Dragoon gerne über diese Familie gewacht, denn es kam auch ihm zugute. Takao war damals ein regelrechter Wirbelwind gewesen und nur zu gerne, war Dragoon seinem Flehen nachgekommen, als der Junge sich kurz vor einem entscheidenden Match, an ihn wandte, um ihn um seinen Beistand zu bitten. Er wusste noch wie entschlossen der Junge war, wie unnachgiebig in seinem Willen, diesen vorlauten Knaben namens Carlos zu besiegen. Es war Dragoon vorgekommen, als braue sich in Takao ein Tornado auf, genau wie all die anderen Male, in jenem er vor einem entscheidenden Match stand. Doch nun wagte dieser Bengel es, diese Seite gegen ihn aufzubringen. Nach einem weiteren Sprung, landete Dragoon auf der Wurzel, die zu einer jahrhundertalten Tropfsteinhöhle in der Menschenwelt führte, zu der Galux die Gruppe steuerte. Er roch die Anwesenheit der Jungen. Sie waren nicht mehr fern, doch noch lagen sie hinter ihm. Er hatte es tatsächlich vollbracht vor Takao hier anzukommen. „Du kannst nicht schneller als der Wind sein, Junge.“, sprach Dragoon voller Genugtuung, dann wandte er sich dem Stollen zu. Er überwand die letzten Meter. Die vorher in der Schwebe liegende Wurzel, wurde zu einer Kuhle, als formte sie sich zu einem länglichen Boot, bis die feinen Ranken sich zum Ende hin, zu einem komplizierten Flechtwerk auftürmten, das einen Schlauch bildete. Desto tiefer man in den Stollen eindrang, desto mehr würden sich die Verschnörkelungen des Weltenbaumes, in festen, glanzlosen Untergrund wandeln, wie ihn die Menschen zu ihren Füßen kannten. Hier verbanden sich die Weltenbaumzwillinge und bald würde er das Reich des Totenbaumes betreten. Dragoon schritt in die Höhle. Augenblicklich roch er die unterschiedlichsten Düfte die ihn in der Welt der Sterblichen erwarteten. Der Ort, welchen die Gruppe anstrebte, war in deren Heimat, als die Fugaku Windhöhle bekannt. Dieser Umstand spielte Dragoon in die Hände, denn dieses seltene Naturschauspiel, war eines der wenigen Phänomene, was ihm ermöglichte, auch unter der Erde seine Winde zu verwenden. Für gewöhnlich hörte sein Einflussgebiet dort auf, wo seine Luftströme nicht mehr heranreichten. Nicht das er dann komplett wehrlos war, doch von Vorteil waren derlei Orte selten für den Drachen. Während ihrem Kampf, hatte Driger deshalb mehrmals versucht, ihn zu packen und mit einem seiner Ranken unter die Erde zu ziehen. Dort unten wäre Dragoon im Nachteil gewesen und hätte auf seine bloße Körperkraft zurückgreifen müssen. Doch diese Höhle besaß durch die Temperaturdifferenzen einen Höhlenwind. Selbst im Hochsommer herrschte dort eine angenehme Kühle und in ihrem Inneren, befanden sich je nach Jahreszeit auch Eiszapfen. Da in Japan momentan der Herbst Einzug hielt, war sich Dragoon sicher, dass Draciel deshalb dort auf die Kinder wartete. Sicherlich genoss sie die Feuchtigkeit in der Höhle, deren komplizierte Vergabelungen, weit in die Erde reichten. Davon wussten die Menschen allerdings natürlich nichts. Zwar erforschten sie solche Plätze mit Vorliebe, doch kaum einer besaß noch die Weitsichtigkeit, um jenen Pfad zu finden, der in die Zwischenwelt führte. Jener Ort, der eine Art Grauzone, zwischen den Weltbaumzwillingen bildete. Es war so gesehen ein Niemandsland, was weder so recht zum einen, noch zum anderen Baum gehörte. Dragoon nahm das leise Plätschern von Wasser wahr. Mit jedem Schritt wandelten die Wurzeln ihr Aussehen, wurden zu hartem Felsgestein. Der Boden wurde rutschiger ob der Feuchtigkeit. Dragoon fuhr nachdenklich mit der Hand über die groben Wände über sich. Er musste geduckt voranschreiten, denn der Gang war beengend. Driger hätte diesem Ort bestimmt mehr abgewinnen können. Bevor der Gedanke drohte ihn traurig zu stimmen, schüttelte er den Kopf und besann sich wieder. Ihm fiel ein dass er Draciel seinen Reißzahn geben musste. Um das Attribut der Erde nicht zu verlieren, hatte ihn sich Dragoon kurz einverleibt. Er ließ seine verbliebene Hand zu einer Faust werden. Aus ihrem Inneren glomm ein Licht und als er die Handfläche wieder öffnete, lag darin Drigers Reißzahn. Der Anblick drohte ihn erneut melancholisch werden zu lassen, deshalb konzentrierte er sich von da an nur noch auf den Weg. Es war stockfinster im Stollen geworden, da die Wurzeln ihren Glanz verloren, sobald sie sich mit der Erde der sterblichen Welt vermischten. Er orientierte sich hauptsächlich an Draciels Geruch. Dragoons Nüstern weiteten sich. Der Menschenkörper den die Schildkröte bewohnte, sonderte einen recht penetranten Gestank von Verwesung ab - wie eine Wasserleiche eben. Da hörte er auch schon die Schritte von Draciel. Jedes Knistern eines Fußtrittes, wurde von der kühlen Luftzirkulation an sein Ohr getragen, wie ein verräterisches Wispern. Sie näherten sich einander. Der Stollen machte einen Schlenker aufwärts, wo er in einem weiten Raum endete. Mit einem beherzten Sprung entfloh er der Enge des Ganges und landete in einer Wasserlache. Die Tropfen stoben bei seinem Aufprall nur so herum. Als Dragoon sich umschaute, lag die Höhle im kühlen Glanz der Eiszapfen. Sie bildeten glitzernde Säulen, hingen messerscharf von der Decke herab oder umhüllten ganze Felsblöcke, wie eine transparente zweite Haut. Schnell verriet ihm der Luftzug in der Höhle, wo sich Draciel befand. „Ich habe etwas für dich.“, sprach er ohne ein Wort des Grußes. Die Schildkröte saß auf einem Felsvorsprung, der inmitten eines Tümpels emporragte. Die Hände des toten Körpers lagen sittsam gefaltet auf dem Schoss. Der Kopf war gesenkt, die Lider geschlossen. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn Draciel schon wieder ein Nickerchen hielt. „Du wirst mitbekommen haben, was Driger getan hat.“ Ein langsames Nicken ließ erkennen, dass sein Gegenüber bereits im Bilde war. „Es ließ sich nicht ändern. Er hat uns verraten“, fuhr Dragoon fort. Er wusste gar nicht vor wem er sich rechtfertigte, denn die Frage war gar nicht gefallen. Ihn beschlich das Gefühl, als ob er diese Worte zu sich selbst sprach. Etwas lag da in seinem Inneren verborgen, was beschwichtigt werden wollte. „Du musst Drigers Part übernehmen. Ich habe hier seinen Reißzahn. Das wird als Attribut ausreichen. Ich hoffe es wird nicht lange brauchen, bis das neue Bit Beast geboren wird.“ Etwas gedankenverloren blickte er ein letztes Mal auf den Reißzahn. Seltsamerweise drängte sich der Wunsch in ihm auf, dieses kleine Überbleibsel zu behalten. Nicht weil er Drigers Macht für sich beanspruchte – sondern als Erinnerung an seinen dahingeschiedenen Kameraden. Da bemerkte er eine Regung vor sich. Als Dragoon aufblickte, streckte Draciel die blasse Hand nach dem Attribut aus. Die Lider waren geschlossen. Kein Atemzug kam von den Lippen. Er fragte sich, ob Draciel denn gar keine Trauer verspürte. Beide waren mit Driger groß geworden und dennoch gab es keinen Mucks von sich. Als spiele es keine Rolle, ob ihr jahrelanger Freund vom Angesicht beider Welten verschwunden war. Dragoon schüttelte verächtlich den Kopf. Scheinbar war ihm Draciel was das anbetraf, in etwas voraus. Es verhielt sich so, wie es sich für einen Uralten geziemte. Wenigstens ein Bit Beast was an den alten Normen festhielt. Er überwand die letzten Meter zwischen ihnen, hob seinen Arm, um das Attribut in die ausgestreckten Finger zu legen – doch einen Moment später verweilte er. Da Draciel so gut wie stumm war, war seine einzige Möglichkeit, mit dem Bit Beast zu kommunizieren, indem er die Gedanken der Schildkröte abhörte. Doch da war kein Atemzug, aus dem Dragoon schlauer werden konnte. Das kam ihm seltsam vor. „Weshalb hältst du den Atem an?“, fragte er. Seine Stimme wurde leise, bedrohlich und voll von Misstrauen. Erst kürzlich musste er miterleben, wie sich ein weiterer seiner Verbündeten gegen ihn stellte. Von Dranzer war er böse Gedanken gewohnt gewesen. Sie war von einem hitzigen Gemüt und irgendwann empfand er die Flüche, die in ihrem hübschen Köpfchen herumspukten, als geradezu erfrischend belustigend. Vor allem wenn es sie ärgerte, dass sie ihren Groll vor ihm nicht verbergen konnte. Dragoons drachenhafte Pupillen hefteten sich auf Draciels Gesicht. Die farblosen Lippen des menschlichen Körpers blieben stumm. Die Hand verweilte in der Schwebe, bereit das Attribut von ihm entgegenzunehmen. Sein Blick huschte kurz zu den Fingern. Sie waren ruhig. Er sah kein Zittern. Keine Nervosität. Seine dunklen Pupillen irrten erneut zu dem Gesicht. Die Lider über den Augen waren gesenkt, als wäre das Bit Beast entspannt. Wie die friedliche Oberfläche des Meeres, das nicht offenbarte, was sich in ihren Tiefen befand. Trügerisch… Als er bemerkte, dass Draciel noch immer keine Anstalten machte, vor ihm auszuatmen, packte sein Gegenüber so plötzlich zu, dass er keine Zeit mehr hatte, seinen Arm zurückzuziehen. Er wollte sich losreißen, was aber in Ermangelung eines weiteren Arms schwierig wurde. Während er mit einem verbissen Ausdruck, seinen Oberkörper zurückzog, versuchte Draciel seinen Griff um das Attribut zu lockern, in einer so energischen Anstrengung, dass ihm klar wurde, wie viel davon abhing. „Erst will ich deine Gedanken hören!“, fauchte er. Und endlich hörte Dragoon sie. Mit einem winzigen Atemzug… Ihm folgten dutzende Überlegungen. Sie klangen leise, wie ein Wispern. Dennoch vernahm er die schweren Vorwürfe, welche durch Draciels Geist schallten. Es war erzürnt, dass Dragoon so leichtfertig Driger ausgelöscht hatte, wütend, weil ihm das Band zwischen seinen Kameraden so egal war. Es grollte, ja, hasste ihn dafür, dass seine Rache ihm wichtiger war, als seine Verbündeten. „Das ist nicht wahr!“, brüllte er Draciel entgegen. „Es war nicht meine Schuld! Ich wollte es niemals so weit kommen lassen!“ Und da erhaschte er bereits einen weiteren Atemzug – und damit die Erkenntnis in wessen Auftrag Draciel handelte! Als er die Drahtzieherin erkannte, riss er entsetzt die Augen auf. Die Weltenbaummutter. Seine Mutter… Sie stellte sich ihm nun auch in den Weg! „Warum?“, fragte er mit geweitetem Blick. Seine Stimme überschlug sich vor Enttäuschung. Das hatte er niemals erwartet. Ihrer aller Mutter, die sich nie zu den Belangen ihrer Kinder äußerte, tat es ausgerechnet jetzt, um ihn aufzuhalten. „Weshalb schert es sie, was wir untereinander treiben?! Sonst hat sie sich immer in stillschweigen gehüllt und ausgerechnet mit dir, tüftelt sie an einem Plan, um mich zu stürzen?!“ Er vernahm Draciels Gedanken. Die bodenlose Unterstellung das er zu weit ging. Es klang wie ein leiser vorbeiziehender Schall. So wie jeder Gedanke, der mit dem Atemzug eines Lebewesen mitschwang. Die Anklage tat weh. Der Verrat noch viel mehr. Er konnte nicht begreifen, dass sich die ganze Welt gegen ihn wandte. Dieses beklemmende Gefühl in seinem Bauch nahm nun überhand. Selbst wenn er noch gewollt hätte, er konnte diese Trauer nicht mehr unterdrücken. Dass die Mutter aller Bit Beats ihn so hinterging – es schmerzte! Bei seinem Versuch sich von Draciel wegzuziehen, zerrte er es vom Felsen hinab. Da fühlte er das kühle Wasser an seinen Waden. Es sprudelte förmlich um ihn herum. Die Tropfen flogen nur so durch die Gegend. Er hob den Fuß und verpasste Draciel einen Tritt in den Magen. Damit bekam er sich endlich frei. Die Schildkröte fiel rückwärts über den Felsen, doch mitten in ihrem Flug, streckte sie die Hand in seine Richtung aus. Gerade rechtzeitig sprang er aus dem kleinen Teich. Das Wasser darin wurde zu einer Fontäne, die wie bei einem Geysir, ihre Massen aufwärts spie. Wäre er noch an jener Stelle gestanden, hätte es ihn gegen die felsige Höhlendecke geschleudert, die noch dazu mit spitzen Eiszapfen bespickt war. Hier unten zu kämpfen war ein absoluter Nachteil für ihn. Das wurde nun auch Dragoon klar. Draciel hatte ihn absichtlich hier drinnen, in dieser klammen Enge erwartet und nicht draußen auf dem Wurzelpfad, wo er im grenzenlosen Nichts hätte abtauchen können. Er konnte fliegen, Draciel nicht. Das hatte das Wasser Bit Beast gewusst und die Gunst der Stunde wahrgenommen. Dragoon blickte auf das Attribut in seiner Handfläche. Hätte er Draciel auch noch Drigers Macht gegeben, wäre er komplett unterlegen. Den Reißzahn durfte er nun keinesfalls mehr verlieren. Draciel würde die Kraft nutzen um ihn hier unten, zwischen all dem Gestein zu zerquetschen. Bei diesem Gedanken kam ihm ein Einfall, vor dessen Ausführung er sich jedoch sträubte. Er hatte keine Ahnung wie man die Kraft eines Erd Bit Beasts lenkte. Womöglich schadete es Dragoon mehr als das es ihm half. Er schaute argwöhnisch auf, als er gurgelnde Laute vernahm. Als sein Blick durch die Höhle irrte, quoll aus sämtlichen Teichen das Wasser über. Tückische, alte Schildkröte! Entweder trat er nun den Rückzug an oder Dragoon tötete Draciel, bevor es ihn hier unten absaufen ließ. Sein Verstand sagte ihm, es sei das Beste nachzugeben, die Jungen ziehen zu lassen und dafür zu sorgen, dass die Welt nicht noch mehr, durch den Tod eines weiteren Uralten, aus den Fugen geriet. Da war ein Teil in ihm, der auch nicht noch einen Kameraden verlieren wollte. Doch seine tierischen Instinkte übermannten ihn. Er fühlte sein Blut unerbittlich in seinen Venen pulsieren. Seine Schläfe pochte hart an seinem Kopf. Pures Adrenalin. Es umnebelte seinen Geist, wie jedes Mal, wenn er sich zum Kampf bereit machte. Sein Atem beschleunigte sich. Seine Augen nahmen Draciel ins Visier. Er wollte kämpfen. Er wollte sich nicht unterwerfen lassen! Einen leisen Moment drängte ihn sein Verstand vernünftig zu bleiben. Die Konsequenzen zu überdenken. „Willst du einen weiteren Kameraden verlieren?!“ Doch es drang nicht mehr zu ihm durch. Es war wie eine Mauer, die beide Parteien voneinander splittete, sodass sie unfähig waren, einen Kompromiss auszudiskutieren. Er konnte nur noch auf einer Seite stehen. Als Draciel sich wieder aufrichtete, sah er noch die geweiteten tiefschwarzen Pupillen seines Gegenübers, in welchen eine ebenso unnachgiebige Kampfeslust herrschte. Selbst die Schildkröte konnte nicht anders. Keiner von beiden würde nachgeben. Sie waren nun einmal Bit Beasts… * Die verschlungene Höhle war kühl und finster. Nur das Licht, was von den Körpern der beiden Bit Beasts ausging und das ihrer geisterhaften Begleitung, erhellte noch den Weg, da der Glanz der Wurzel irgendwann erlosch, bis sie sich unter ihren Füßen zu harten Felsen wandelte. Es machte den Stollen stockdunkel. Ray war einen Moment irritiert stehen geblieben, als er das Gestein unter sich bemerkte. Etwas hilflos hatte er zu Galux geschaut. „Der Pfad leuchtet nicht mehr.“ „Weil ihr auf der Grenze zur Menschenwelt steht. Ihr betretet die Zwischenwelt. Ein schmaler Grad zwischen beiden Orten.“ Es war ein merkwürdiges Gefühl gewesen, direkt auf der Schwelle zu stehen und ehrlich gesagt, erschien Tyson der Rückweg viel einladender. Vor ihnen war nur noch eine gähnende Finsternis und er spürte, wie furchtsam Kai seine Hand drückte. Kinder hatten nun einmal Angst im Dunkeln. Die typische Urangst schlechthin… Sie hatten sich Schritt für Schritt vorgetastet und Tyson musste gestehen, dass ihm sein Herz bis zum Hals hämmerte. Überall um ihn herum, fühlte er feuchtes Gestein. Irgendwann bemerkte er, dass der Gang nicht einmal mehr breit genug war, um die Arme auszustrecken. Der Gedanke ließ ihn schneller atmen. Man konnte Wassertropfen vernehmen, die in der klammen Stille von der Decke fielen, sah aber nicht weiter, als bis zu dem spärlichen Leuchten der Bit Beasts. Es wirkte, als würden sie in einem dunklen Rohrschacht wandeln, ohne Aussicht auf ein Ende. Es war äußerst beengend und drückte ihm aufs Gemüt. Tyson überkam ständig die Furcht, Max hinter sich zu verlieren. Zudem lief der gesichtslose Geist wenige Schritte hinter ihm her. Zwar blieb sie in sicherem Abstand von ihm entfernt und tat auch keine Anstalten, sie hinterrücks zu überfallen, doch Tyson fühlte sich dennoch unwohl. Er konnte sich sein Unbehagen selbst nicht so genau erklären, aber er war ja auch noch nie an so einem Ort gewesen. Irgendwann bat er Max, die Hand auf seine Schulter zu legen. „Ich will wissen dass du noch da bist.“, hatte er aus kratzigem Hals erklärt. Als Ray das hörte, drehte er sich im fahlen Licht der Bit Best zu ihnen um und schaute ihn forschend an. Da er ihre Lichtquelle dadurch im Rücken hatte, wurde sein Gesicht ein vager Umriss. Tyson bemerkte kalten Schweiß auf seiner Stirn. „Bist du okay?“, fragte er besorgt. Ihm fiel auf, dass nicht einmal seine Lippen zu erkennen waren. Als würde ein Schatten zu ihm sprechen. „Ich komme klar.“ Ehrlich gesagt war dem aber ganz und gar nicht so. Er riss sich nur Kai zuliebe zusammen, um das Kind nicht nervös zu machen. Es war eine geradezu klaustrophobische Situation für ihn und wurde immer bedrückender. Er kam sich total eingezwängt vor und wollte doch eigentlich nur frische Luft um sich herum haben, nicht diesen Modergeruch der ihm in die Nase stieg. Es hatte etwas von einem Grab. Als wäre er lebendig in einem Sarg, den man viele Meter tief, unter einer dicken Schicht Erde verschüttet hatte. „Galux, wo endet diese Wurzel denn?“, wollte er schließlich wissen. „In einer Höhle. Ihr Menschen nennt sie die Fugaku Windhöhle.“ „Wirklich?“, lachte Ray erstaunt aus. „Da waren wir doch schon einmal!“ „Ja stimmt! Kenny, Hilary und Daichi waren damals auch dabei. Die Höhle liegt doch in den Aokigahara Wäldern.“, erinnerte sich Max. „Dieser Ort war wirklich interessant… Die merkwürdigen Eisformationen darin, die meterdicken Säulen die sie gebildet haben und obwohl es Hochsommer war, hat man dort drinnen richtig gefroren. Ein Foto von damals, habe ich mir damals entwickeln lassen, um es zuhause an die Wand zu hängen. Die Höhle wirkte auf mich geradezu surreal…“ „Weil sich in vielen solcher Orte ein kleines Schlupfloch in die Irrlichterwelt befindet.“, erklärte Galux. „Für meine Art ist es selten ein Problem diese zu wittern. Die Augen der Sterblichen haben damit aber ihre Schwierigkeiten. Besonders eure Spezies ist mit den Jahrhunden so abgestumpft, dass sie selten noch die Energie der Wurzeln wahrnimmt, die einem solchen Ort innewohnt. Es ist ein Jammer…“ „Tyson, du zitterst.“, bemerkte Kai plötzlich. Schlagartig wurde es still. Ray drehte sich erneut zu ihm um. „Mir ist nur kalt.“, dennoch ging es vor ihnen nicht weiter. Auch Galux bewegte sich nicht fort. Inmitten dieser Enge schien ihr Flackern, wie ein gespenstischer Wegweiser. Ihre saphirgrünen Augen blieben lange auf ihm ruhen. Tyson spürte eine unerklärliche Panik in sich hochsteigen - einfach weil es nicht weiterging. Der Gedanke dass jeder Schritt, den sie nicht taten, eine weitere Sekunde hier drinnen bedeutete, zerrte an seinem Nervenkostüm. Er verstand selbst nicht was mit ihm los war. Die Finsternis konnte nicht das Problem sein. Bevor sie in den Stollen geklettert waren, schwebte der Wurzelpfad doch auch in dieser unendlichen Dunkelheit. Maxs andere Hand gesellte sich auf seine Schulter. „Ist wirklich alles klar?“ „Ja. Alles in Ordnung.“, beteuerte Tyson schnaufend. Er schwitzte ziemlich stark. Sein Lachen klang selbst für ihn zu nervös. Da sprach Galux auf einmal: „Ich verstehe. Die Angst der Enge. Ein typisches Problem für eine Seele in der viel Wind lebt.“ „Angst vor Enge?“, wiederholte Ray perplex. „Das hört sich wie Klaustrophobie an.“ „Die habe ich nicht!“, bestritt Tyson prompt. Zumindest war ihm das selbst nie so vorgekommen. Er mochte weite offene Räume, war gerne im Freien, aber das traf doch auf viele Menschen zu. Das machte noch lange keinen Klaustrophobiker aus ihm. „Ich war damals in der Höhle auch dabei!“ „Nun, mir scheint fast so, als würde das Problem auch nur in Extremfällen auftreten.“, sprach Allegro. Er sah die kleine Gestalt der Strommaus ratlos auf Rays Schulter ihren Kopf zur Seite neigen. „Darf ich fragen, ob du dich schon einmal an einem solchen Ort befunden hast?“ „Ich war schon einmal in einer Höhle!“, betonte Tyson erneut gereizt. „Aber auch in einem so engen Schacht wie diesem hier? Für eine Strommaus wie mich, mag es riesig wirken, aber ein so großes Wesen wie du, könnte sich hier doch stark eingeschränkt fühlen, oder täusche ich mich?“ „Ich weiß nicht… Ich denke nicht.“ „Ruhig Tyson. Deine Atemzüge sind ganz flach.“ „Lass mich einfach in Ruhe, Max!“ „Drängt ihn nicht.“, sprach Galux ein strenges Machtwort. „Es ist selten hilfreich, eine Angst weiter zu schüren, indem man der Person hilft, sich in sie hineinzusteigern!“ Es wurde einen Moment ruhig. Tyson nutzte die Stille und sprach keuchend: „Lasst uns einfach weitergehen, okay?“ „Deine Hände sind ganz feucht.“, sprach das Kind an seiner Seite besorgt. „Kai, kommst du zu mir?“, bat Ray ihn. Er begriff worum es hier ging und desto mehr das Kind auf seinen Symptomen herumritt, desto unerträglicher machte es die Situation für Tyson. Dankbar entließ er den Kleinen, in die Obhut seines Freundes und fühlte nur umso mehr, wie Maxs Finger seine Schultern drückten. „Wir sind da. Konzentrier dich einfach auf deinen Weg. Und atme ganz ruhig…“ Tyson hatte gar nicht bemerkt wie hektisch seine Atemzüge wurden und schluckte hart. So einem bedrückenden Ort war er noch nie ausgesetzt gewesen. Diese ganze Situation… Wäre er alleine hier unten, er wäre schon längst wahnsinnig geworden. Sie schritten weiter und er musste zugeben, es tat gut Maxs Hand auf seiner Schulter zu spüren und Rays Gestalt vor sich zu sehen, der Kai sicher neben sich hielt. Es war eine Sorge weniger, ihn in guten Händen zu wissen. Das Kind drehte sich mehrmals zu ihm um und schaute ihn besorgt an. Tyson schenkte ihm dann immer ein mattes Lächeln. Irgendwann fragte er sich, wie sich Menschen fühlten, die im Bergbau tätig waren. Doch sofort schob er diesem Gedanken einen Riegel vor. Er versuchte ihn gar nicht erst zu vertiefen, denn allein die Überlegung ließ ihn schneller Atmen. „Tyson, weißt du woran ich gerade denke?“, fragte Max ihn plötzlich. Er antwortete nicht, denn seine Kehle fühlte sich zu trocken an. Er hätte alles für einen Schluck Wasser gegeben. Inmitten seiner düsteren Gedanken, vernahm er Maxs Stimme. „Kannst du dich daran erinnern, als wir ein zweites Mal nach Paris geflogen sind?“ „Ja.“, sprach er knapp angebunden. Bei ihrem ersten Besuch hatten sie wenig von der Stadt mitbekommen und wollten sich bei diesem Städtetrip, einfach nur dem französischen Flair hingeben. „Und wie wir vor dem Élysée-Palast standen? Erinnerst du dich?“ „Dieser Vorfall mit der Polizistin?“, fragte Tyson schweratmend nach. „Ja. Im Reiseführer stand, dass man den Palast mal anschauen soll, wenn man in Paris ist. Die meinten aber von außen. Wir dachten aber man kann hinein und ihn besichtigen, dabei war es der Staatssitz vom französischen Präsidenten und wir sind den ganzen Morgen, um das Gebäude herum gelaufen, weil wir den Ticketautomaten gesucht haben, bis wir die Polizistin davor gefragt haben, wo der Eingang für die Touristen ist.“ Tyson erinnerte sich. Die Wache war aus allen Wolken gefallen, als sie ihre Frage vernahm, denn man spazierte ja auch nicht einfach in den Buckingham Palast, um der Queen einfach mal so einen Besuch abzustatten. Die Brauen der Polizistin waren so verwundert hoch geschossen, dass sie kaum noch unter ihrem Pony zu sehen waren. Vor ihm erklang ein belustigtes Lachen von Ray, als er sich daran erinnerte. „Ja genau. Du bist zu ihr gelaufen und hast in deinem schrecklichen Englisch gefragt, wo man Eintrittskarten kaufen kann.“, er begann ihn zu imitieren. „Sorry Misses? But where can I buy tickets for that stupid building?!“ Die Überlegung lockerte den Griff um seine Kehle. „Jah!“, sprach er schließlich etwas heiterer. „Das Beste war ihre Antwort.“ „No tickets! No no! It`s forbidden!“, ahmte Max die entsetzte Stimme der Beamtin nach. „Ihr Englisch war genauso beschissen wie deines.“ „Ich hätte dich vorschicken sollen.“ „Bei ihrer Aussprache hätte ich auch nicht weiterhelfen können. Die hatte einen so üblen Akzent drauf, dass meine eigenen Muttersprache wie arabisch klang.“ Ein leises Lachen ging durch die Runde. Es ließ Tyson einen Moment die klammen Felswände um ihn herum vergessen und entspannter werden. „Und Kai hat uns auch noch ins Verderben geschickt! Er wusste genau, dass man den Palast nicht besichtigen darf.“, sprach Ray. Das Kind an seiner Hand schaute verdutzt zu ihm auf. „Ich?“, fragte es ganz arglos. „Oh ja… Du kleiner Fuchs hast noch zu uns gemeint, dass wir so früh wie möglich aufstehen sollten, damit wir auch wirklich die ersten in der Schlange sind. Aber selber wolltest du nicht mitkommen.“ „Und als wir wieder im Hotel waren, saß er am Mittagstisch über einer Zeitung gebeugt und hat ganz scheinheilig gefragt, wie das Frühstück beim französischen Staatspräsidenten war.“, sprach Max hinter ihnen gutgelaunt. „Warum? Kann der gut kochen?“, kam die kindliche Frage. Da prustete die Gruppe auch schon los. Tyson schwor sich, dass er diesen Satz, Kai sein Leben lang unter die Nase reiben würde, sollte er wieder erwachsen sein. Beinahe vergaß er seine Angst. Da sträubte sich Galux abrupt vor ihnen und blieb so plötzlich stehen, dass Ray fast über sie gestolpert wäre. Wie zur Salzsäule erstarrt, verweilte sie längere Zeit an einem Fleck, dabei beobachtete die Gruppe, wie ihre Nase sich bewegte und ihre Ohren zuckten. Dann schüttelte sie den Kopf und trat fassungslos zurück. „Oh nein…“ „Mademoiselle?“ „Er ist hier!“, flüsterte sie nur aus erschüttertem Blick. Es dauerte nicht lange, bis die Gruppe begriff, wen das Bit Beast meinte. „Folgt er uns?“, fragte Max panisch. Tyson fühlte wie die Finger von seinen Schultern verschwanden. Der Gedanke Dragoon in dieser Enge über den Weg zu laufen, ließ auch ihn erstickt keuchen. „Überall, nur nicht hier!“, war der einzige Gedanke der ihm durch den Kopf schoss. Da sprach Galux: „Nein. Er ist vor uns…“ Diese beiden Sätze schlugen ein wie eine Bombe. Sie ließen Tysons Gedankenwelt wild um sich schlagen. Wenn Dragoon ihnen auflauerte, hieß das, dass sie erneut den Rückweg antreten mussten, um einen neuen Pfad zu suchen. Er würde diesen ganzen verdammten Stollen wieder zurücklaufen müssen. Tyson schloss einen Moment die Augen und versuchte seine Atmung zu beruhigen. „Bleibt uns noch Zeit für einen anderen Weg?“, sprach Max seine nächste Befürchtung laut aus. Galuxs vages Kopfschütteln ließ ihrer aller Herzen abwärts rutschen. „Ich wünschte ich könnte euch das versprechen. Aber ich kann es nicht…“ Daraufhin entbrannte eine heftige Diskussion. Galux wollte kein Risiko eingehen und einen Umweg einschlagen. Die Gruppe sehnte sich aber nachhause und wollte nicht die Chance verstreichen lassen, dass der nächste Ausgang den sie ansteuerten, sich schloss, bevor sie die Gelegenheit fanden, durch ihn hindurch in die Menschenwelt zu gelangen. „Du hast selbst gesagt, dass es knapp wird!“, schallte Rays Stimme dumpf im Stollen. „Meine Herren! Mademoiselle Galux kann es nicht mit einem Uralten aufnehmen! Das können wir nicht von ihr verlangen. Es wäre ein Selbstmordkommando! Ich verstehe nur zu gut ihre Bedenken. Ihr geht zudem ebenfalls ein hohes Risiko ein.“, legte Allegro ihnen nahe und hob mahnend den kleinen Zeigefinger. „Wenn wir es aber nicht hinausschaffen, müssen wir ein weiteres Jahr bleiben!“ Max düstere Voraussagung, ließ die Gruppe geschockt, in ihren Gedanken aushaaren. Die Vorstellung machte ihnen allen Angst. Jeder von ihnen hatte im Zuge ihrer Beybladezeit ein Survivaltraining gemacht, doch zum einen waren ihre Kenntnisse eingerostet, zum anderen, sah dieses Training keine Zeitspanne von einem Jahr vor. Es sollte lediglich die Sinne schulen und ihnen die nötigen Grundlagen zum Überleben liefern. Tyson fasste nach der unebenen Felswand über ihm. Sie endete nur wenige Zentimeter über seiner Schädeldecke. Er schnaufte laut aus als er das spürte. Ihn überkam das obskure Bedürfnis, seine Hände dagegen zu pressen, im irrwitzigen Glauben, es könnte den Gang breiter machen. „Flipp jetzt nicht aus.“, flüsterte eine Stimme in seinem Hinterkopf. Dabei ermahnte er sich krampfhaft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und nicht seiner Angst zu verfallen. „Leute, wir müssen uns entscheiden.“, sprach Ray besorgt. Er behielt ihn offensichtlich genau im Blick. „Und wenn es geht schnell.“ „Ja. Da hast du Recht.“, meinte Max etwas hektisch. „Also was uns auf der anderen Seite erwartet, können wir von hier aus gar nicht wirklich beurteilen. Wir waren alle einmal in der Höhle. Soweit ich mich erinnern kann, war die ziemlich verschachtelt. Womöglich kommen wir an einem Punkt heraus, wo wir gute Chancen haben, unbeobachtet zu entwischen.“ „Oder sie warten gleich am Ende dieses Stollens auf uns!“, rief Allegro empört aus. „Was ich für weitaus wahrscheinlicher halte.“ „Es gibt einen kleinen Nebenzweig, den ich schon einmal hier verwendet habe.“, erklärte Galux nachdenklich. „Aber…“ Sie wurde still. „Aber was?“, drängte Ray sie. „Er ist noch viel schmaler…“ Tyson stöhnte laut auf als er das vernahm. Allein beim Gedanken wurde ihm schlecht. „Dann müssen wir zurück. Er schafft das nicht.“ „Doch!“, rief er energisch. „Ich bekomme das schon hin. Das ist… nur eine Frage des Willens.“ „Du schnaufst doch schon aus dem letzten Loch!“ „Hör auf so zu reden, Max. Das macht es mir nicht einfacher.“ „Okay, tut mir Leid... Lasst uns nachdenken. Wir sind insgesamt sechs Leute. Nehmen wir Kai mal aus der Entscheidung heraus, weil er einfach zu klein ist. Dann sind wir fünf Leute. Wir stimmen jetzt einfach ab, was wir machen. Wer ist dafür das wir den engeren Pfad nehmen und nicht den Rückweg antreten?“ Tyson hob zitternd die Hand. Das hier war für ihn ohnehin keine Frage des Wollens, sondern des Müssens. Nach anfänglichem Zögern, hob auch Allegro das Fäustchen und auch Galux hielt ihre Pfote hoch. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“, fragte Ray ihn fassungslos. „Du musst dir das nicht antun! Das würden wir niemals von dir verlangen… Wir können noch immer zurück!“ „Ich schaffe das.“ „Tyson, du musst jetzt wirklich nicht den Helden spielen.“, drängte Max ihn. „Das will ich doch gar nicht!“, wehrte er sich gegen den Vorwurf. „Ehrlich gesagt, macht es mir sogar mehr Angst, den ganzen Gang wieder zurücklaufen zu müssen! Und jede Minute, in der wir nicht weiterlaufen, will ich am liebsten Schreien! Also Bitte Leute, lasst uns diesen Nebenzweig nehmen. Ich will einfach nur noch hier raus!“ Er brauchte kein Licht, um die Gesichter seiner Freunde zu sehen. Sicherlich hätten sie sich vielsagende Blicke zugeworfen, könnten sie sich im fahlen Licht besser erkennen. „Okay. Wenn du meinst.“, sprach Ray beunruhigt. „Sind wir noch weit vom Ausgang?“ „Wären wir dem ursprünglichen Weg gefolgt, nein. Es wäre nur noch bis zur nächsten Biegung. Da wir aber jetzt einen Umweg gehen werden, rate ich euch zur Eile. Dieser Stollen liegt dicht am Boden. Ich denke Dragoon wird ihn übersehen haben, als er hier vorbeilief. Er ist nicht mehr, als ein kleiner Spalt. Bei eurer Statur, werdet ihr die nächste Strecke dann noch robben müssen.“ Tyson schloss die Augen. Das alles auch noch im Dunkeln… Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen, denn es ärgerte ihn, dass seine Freunde ihn für so einen Weichei hielten. Sie waren soweit gekommen, da weigerte er sich zurückzuschrecken, nur wegen einer lächerlichen Phobie. Er fühlte zarte Kinderfinger nach seiner Hand greifen. Als er hinabsah, schaute Kai zu ihm auf. Das Licht der Bit Beast erhellte nur die ihnen zugewendete Partie seines Gesichtes. Er konnte den zuversichtlichen Ausdruck in seinen Augen erkennen. „Du schaffst das. Ich glaube an dich.“, sprach er. „Du bist doch mutig.“ Diese Worte ließen Tyson zärtlich lächeln. Kai hatte bereits als ihr Teamleader die richtigen Töne getroffen, wenn es darauf ankam. Allerdings waren die eher strenger ausgefallen. Doch dieser simple Zuspruch, gab ihm den Glauben an sich selbst zurück. Er drückte seine Hand fester. „Was plätschert hier denn so?“, fragte Allegro plötzlich. Irritiert zuckten seine Ohren. Tyson hörte zunächst nichts, bis auch ihm auffiel, dass die Geräuschkulisse vor ihnen, von einem vereinzelten Tropfen, zu einem fliesenden Tosen umstieg. Da gab Galux vor ihnen auch schon ein angeekeltes Fauchen von sich. Kurz darauf fühlte er, wie seine Sportschuhe sich mit kaltem Wasser vollsogen. „Wo kommt denn das auf einmal her?!“, fragte Max hinter ihm entsetzt. Tyson hob einen Fuß an und hörte das Rauschen mehr, als das er die Fluten sehen konnte. Da Wasser kam ihm pechschwarz vor. Ein böser Gedanke sickerte in ihm durch. Er erspähte Galux, wie sie sich fauchend sträubte und panisch versuchte an der Felswand hinaufzukraxeln. Offenbar griffen ihre Katzeninstinkte nun über, denn sie schien nicht mehr klar zu denken. Als Ray sie aus den Fluten hob, fing er sich einige Kratzer ein und hielt das Bit Beast weit von sich. „Oh weh! Unsere liebe Mademoiselle scheint mir extrem wasserscheu!“, ergriff Allegro nun das Ruder. „Das muss Draciels Werk sein. So hat es auch ständig unsere Bauten überflutet!“ „Dann will sie uns nun auch ersaufen lassen?!“, fauchte Max zornig. Als Tyson sich ihm zuwandte, um ihm zu raten, seinen Groll erst einmal zu vergessen, bemerkte er, wie ihre geisterhafte Begleitung sich an die Wand presste und die Hände vor das Gesicht schlug. Es wirkte als ob sie weinte. Er schielte zu ihren nackten Füßen. Das Wasser floss einfach durch sie hindurch. Es konnte ihr wohl kaum gefährlich werden. Plötzlich schlug die Erkenntnis in ihm ein wie ein Donnerschlag. „Max, ich glaube…“ Er kam nicht weiter. Denn kurz darauf ergriff sie eine Sturzflut. Sie war nicht sonderlich groß, doch stark genug, um sie von den Füßen zu hauen. Tyson landete auf allen Vieren und ließ Kais Hand los. Das Kind drohte vom Wasser davon getrieben zu werden, doch Max packte ihn am Kragen, bevor er davongeschwemmt wurde. Er zerrte ihn an sich, drückte ihn fest an seine Brust und richtete sich triefend nass wieder auf, während Kai eine Ladung Wasser ausspie. Sein Husten schallte durch den Stollen. „Vorwärts, meine Herren! Beeilung!“, ermahnte Allegro sie von Rays Schulter aus hektisch. „Aber wenn wir zurück gehen…“, begann Tyson. „Mon dieu, bist du des Wahnsinnes, mein Junge! Bis wir draußen sind, ist der Stollen doch schon überflutet! Wir müssen zum Ausgang bevor wir elendig ertrinken!“ So kämpften sie sich vorwärts, während die Strömung immer weiter stieg. Bald reichte sie ihnen bis zum Unterleib. Eine ziemliche Panik ergriff Tyson. Das kalte Wasser ließ sämtliche seiner Glieder taub werden und er bibberte wie verrückt. Er packte nach Max Arm, um ihm dabei zu helfen, mit seinem Anhängsel vorwärts zu kommen. Die Haut unter seinen Fingern konnte er kaum spüren. Er fühlte sich wie ein laufender Eiszapfen und es war ein Kraftakt, mit ihrer vollgesogen Kleidung vorwärts zu waten. Er sah Ray Galux über seinen Kopf lüpfen. Das Bit Beast wirkte wie erstarrt. Mit eingezogenem Schwanz und furchtsam hängenden Ohren, ließ sie sich über die Flut balancieren, bis ihr irgendwann stöhnend einfiel: „Oh weh, der Nebenzweig wird schon längst überflutet sein! Wir müssen den anderen Ausgang nehmen!“ „Dann rennen wir ihnen in Falle!“, sprach Max laut aus. „Aber wir haben immerhin noch eine kleine Chance zu überleben!“ Eine weitere Welle schwappte in den Schacht. Tyson hörte Kai hinter sich schmerzhaft husten, offenbar weil er wieder Wasser verschluckt hatte. Doch endlich sah er ein Licht vor ihnen. Es schien wie eine Luke die an der Decke befestigt war. Dort oben würden also Draciel und Dragoon auf sie warten. Der Gedanke dass sein Bit Beast sie nun doch geschnappt hatte, machte ihn einen Moment wütend, doch lieber rannte Tyson ihm in die Arme, als hier unten wie eine Ratte zu ersaufen. Das Schlimmste was Dragoon tun konnte, war ihn wieder zurück in die Irrlichterwelt zu verschleppen. Die Chance rechtzeitig in die Menschenwelt zu gelangen, war wohl damit aber vertan. Er konnte sich das schadenfrohe Gesicht seines Bit Beasts bereits vorstellen. Dennoch verwarf er den Gedanken. Hier galt nur noch das Überleben. Ray erreichte zuerst die Öffnung und schob Galux hinauf. Sobald sie festen Boden unter den Füßen hatte, stieß das Bit Beast ihren langen Schweif in die Fluten, um nach Tyson zu greifen. Inzwischen war Ray aus dem Schacht hinausgeklettert. Aus seiner Kleidung strömte das Wasser in Bächen seinen Rücken hinab. „Beeilt euch!“, rief er ihnen entgegen. Das Wasser reichte dem Rest von ihnen bereits bis zum Hals. Tyson erblickte die Finger seines Freundes, die sich nach ihm ausstreckten. Kurz darauf ging ein Ruck durch seinen Körper, als Galux ihren Schweif, um seinen Bauch schlang. Tyson hielt Maxs Arm fest umklammert und ließ sich von dem Bit Beast immer weiter vorwärts ziehen, bis auch er die Öffnung erreichte. Kurz bevor er den Rand umfassen konnte, stürzte eine weitere Welle in den Stollen hinein. Er sah Ray sich gegen die Sturzflut lehnen, wie das Wasser an seinem Rücken aufprallte und in alle Richtungen stob, während er versuchte, nicht den Halt zu verlieren. Da blieb Tyson auch schon die Luft weg als der Gang gänzlich überflutet wurde. Der Schrei den er ausstoßen wollte, ging wortwörtlich unter und er verschluckte lediglich eine Ladung Wasser. Seine Finger griffen fahrig nach dem felsigen Rand und kurz darauf, spürte er Ray seinen Kragen packen und ihn unsanft hinauszerren. Gleich danach krachte er schmerzhaft auf die Knie. Auf allen Vieren krabbelnd, zog er sich hustend von der Luke weg, Maxs Handgelenk noch immer fest umklammernd, bis auch dessen Gesicht aus den Fluten hervorkam. Plötzlich riss er sich von Tyson los, um mit beiden Händen Kai aus den Fluten zu heben. Gleichzeitig stieß Galux ihren Schweif ins Wasser, um auch Max einen sichereren Halt zu geben. Tyson griff nach Kai, der völlig durchnässt seine Hände nach ihm ausstreckte und in seine Arme sank. Seine Haare klebten ihm wirr im Gesicht. Kurz darauf war auch Max aus dem überfluteten Stollen befreit. „Es ist noch nicht vorbei!“, warnte sie Allegro, noch bevor sie die Gelegenheit fanden zu Atem zu kommen. Auch der Mäuserich hatte einiges abbekommen. Um nicht von Rays Schulter gespült zu werden, hatte er sich unter seinen Kragen gerettet, wo er zwischen Stoff und Brust klebte. „Auch dieser Teil der Höhle wird bald überflutet sein! Noch sind wir in der Zwischenwelt. Also weiter, meine Herren! Immer weiter!“ Tysons Blick irrte durch ihre Umgebung, in Erwartung irgendwo das selbstgefällige Grinsen von Dragoon zu erspähen. Glücklicherweise war dieser Teil der Höhle größer, also bräuchte das Wasser länger, um die Kammer zu überfluten. Der Ort wirkte wie eine unwirkliche Halle, geformt aus Stalagmiten und Eiszapfen. Tyson spähte mit offenem Mund, zu den uralten Tropfsteingebilden, den Eisformationen die von der Decke ragten und bemerkte, wie sie bedrohlich erzitterten, im unregelmäßigen Takt eines dumpfen Schlages. Kurz darauf erblickte Tyson sein Bit Beast… Während es einen harten Schlag von Draciel kassierte. Verdutzt blinzelte er zu dem Szenario was sich vor ihm auftat. Dafür dass Maxs Bit Beast im Körper einer zierlichen Frau steckte, schien es gut austeilen zu können. Es erzeugte eine Ansammlung von Wasserfontänen, deren Druck Dragoon gegen die felsigen Wände katapultierte, wann immer er nicht flink genug war um auszuweichen. Überhaupt schien sein Bit Beast hier unten ziemlich im Nachteil, denn die Höhle war zu eng, um sich in seine wahre Gestalt zu verwandeln. Stattdessen sah Tyson dabei zu, wie er mit einem lauten Platschen im Wasser landete, dessen Pegel zunehmend anstieg. Ihm stockte der Atem, als er merkte, dass Dragoon nur noch einen Arm hatte. Dadurch fiel es ihm schwerer sich wieder aus dem Wasser zu stemmen. Da trat Draciel auch schon auf seinen Rücken und drückte ihn mit einer geradezu unheimlichen Kraft, zurück ins kalte Nass, offensichtlich um ihn zu ertränken. Tyson spürte eine Hand die nach ihm packte. Als er sich umwandte schaute er in das drängende Augenpaar von Ray. „Wenn das Glück dir in die Hände spielt, steh nicht herum und lass dir die Chance entgehen!“, kam es düster von ihm. „Lauf endlich weiter! Der Grund für ihren Kampf braucht uns nicht zu interessieren!“ Das war wohl äußerst treffend. Tyson nickte ihm zu und rückte Kai auf seinen Armen zurecht. Er fühlte anhand dessen Zittern, dass der Junge ebenso verfroren war, wie er selbst. Seine Lippen waren ganz blau und er schaute recht erschöpft drein, beklagte sich jedoch nicht. Galux tapste durch die Fluten, dabei gab sie ein mürrisches Mauzen von sich. Wann immer sie eine Pfote aus dem Wasser hob, schüttelte die Katze sie angewidert, bis Ray sie wieder aufhob, bevor sie noch mehr Zeit durch ihren Ekel verschwendeten. „Wo lang?“, fragte Tyson Galux. Das Bit Beast deutete verstimmt hinter eine Formation aus dutzenden Eissäulen. Sofort verfiel die Gruppe in hektische Bewegung. Er begann schwerfällig durch das Wasser vorwärts zu waten, hörte das dumpfe Dröhnen des Kampfplatzes, bis Tyson bemerkte das Max ihnen nicht folgte. Er stand weiterhin wie angewurzelt am selben Fleck – den Blick hasserfüllt auf Draciel gerichtet. „Max!“, rief er entgeistert aus. „Das ist nicht der richtige Moment um zu gaffen!“ Es ließ die Schildkröte auf sie aufmerksam werden. Draciel blickte auf und Tyson fluchte über seine eigene Dummheit, doch es tat keine Anstalten sie anzugreifen. Das Bit Beast starrte lediglich zu seinem früheren Menschenkind herüber, ohne ihn von der Flucht hindern zu wollen. Ihm schien als ob sich ihre Blicke tief ineinander bohrten. Einen Moment befürchtete er, Max würde in seinem Hass, etwas Einfältiges tun, wie auf Draciel zuzustürmen und es zu hauen. Doch stattdessen hörte er ihn brüllen: „Das ändert gar nichts!“ Erst dann wandte er sich um, sein Gesicht eine verbitterte Maske. Unter seinem Bit Beast bewerkstelligte es Dragoon, sich zu befreien, indem er einen Wirbel erzeugte, der die Fluten von sich fort stob. Es ließ den Pegel im übrigen Teil der Höhle weiteransteigen und drängte auch die Gruppe weiter vor. Tyson stieß wieder zu Ray auf, der zwischen den Eissäulen hindurch watete. Jeder seiner Schritte ließ das Wasser zur Seite spritzen. Sie erreichten eine Wand, auf deren Anhöhe, ein weiterer Stollen, aus der Halle hinausführte. In seiner Eile, warf Ray sein Anhängsel ohne sonderliches Feingefühl hinauf. Galux landete recht unsanft im Stollen und erst ihr Fauchen ließ Ray erkennen, wie forsch er gewesen war. „Hupps…“, blinzelte er schuldbewusst. „Etwas mehr Fingerspitzengefühl, wenn ich doch bitten darf! Das ist eine Lady, die du da durch die Gegend wirfst!“, kam prompt der brüskierte Gentleman in Allegro durch. „Wer sich mit Toten rauft, wird bestimmt nicht zimperlich sein.“, mischte sich Tyson ein, noch bevor die Standpauke in die nächste Runde gehen konnte und lüpfte Kai über seinen Kopf. Der Junge kletterte in den Stollen und kurz darauf hielt Ray ihm seine Hände hin, um Tyson mit einer Räuberleiter ebenfalls hinauf zu verhelfen. Dann drehte er sich um und streckte Max sich unwirsch entgegen. „Was treibst du denn so lange?! Komm endlich! Wir müssen von hier verschwinden!“ Von seiner Anhöhe aus, sah Tyson dabei zu, wie Max etwas in die Tasche seines Overalls gleiten ließ. ENDE Kapitel 35 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)