Die Geister die wir riefen... von Eris_the-discord ================================================================================ Kapitel 13: ------------ „Was ist denn das?!“, fragte Tyson entsetzt. „Dranzers Vorstellung von einem Zuhause…“ Die Antwort kam ziemlich nüchtern von Allegro, als hätte die kleine Springmaus nichts anderes erwartet. Die Küche war noch das einstige Abbild ihrer Erinnerungen gewesen, doch hinter der Tür zur Eingangshalle, offenbarte sich der seltsamste Ort, den die Gruppe jemals betreten hatte. Die Wände glühten und wirkten wie ein fließender Wasserfall aus Lava, der sich sanft auf den Boden ergoss. Zwischen diesen Wasserfällen drehten sich kleine Wirbel in einem unendlich langsamen Tanz, während aus jeder Ecke das schmatzende Geräusch platzender Lavabläschen zu ihnen schallte. Der Fußboden war eine weite, unheilvoll leuchtende Fläche, an vereinzelten Stellen ragten einpaar der verbliebenen Marmorfliesen zermürbt aus dem See heraus. Sie bildeten einen Weg zur Treppe, die porös und beschädigt in der Mitte des Raumes stand. Es war unübersehbar das eine von Dranzers Zaubern auf das Gestell wirkte, denn trotz der kleinen Rauchsäulen, die sich von der Stelle emporhob, an der Holz und Lava sich berührten, sank die Treppe nicht tiefer ab. Tyson selbst wusste nicht, ob sein Vorstellungsvermögen ihn täuschte, aber ihm war, als fiele die Eingangshalle weit größer aus, als man von außen vermutet hätte, trotz der bereits zuvor beachtlichen Größe des Anwesens. „Wie hast du es bloß hier durch geschafft Allegro?“, fragte Tyson beeindruckt. „Kinderspiel, meine Herren. Vor etwas Lava weiche ich nicht!“ Ray lachte leise. Die Unerschrockenheit mit der die Springmaus sprach, passte gar nicht zu ihrer winzigen Statur. „Leute, ich kippe gleich um! Diese Hitze macht mich wahnsinnig!“, beschwerte sich Max. „Mein Junge, was erwartest du von einem Feuer Bit Beast? Dranzer fühlt sich hier am wohlsten.“ „Aber wenn Kai das hier sieht merkt er doch dass etwas nicht stimmt. Jedenfalls wäre er ganz schon blöd wenn er das auf eine neue Inneneinrichtung schiebt…“ Allegro legte den Kopf nachdenklich zur Seite. „Hmm… Das stimmt allerdings. Jetzt wo du es sagst: Dranzer hat nur das obere Stockwerk Kais Erinnerungen angepasst. Das gesamte Fundament des Hauses schwimmt aber auf Lava.“ „Warum sollte es das tun?“ „Vielleicht ein kleiner Heimvorteil. Ein Feuer Bit Beast ist natürlich am Stärksten, wenn es direkt auf seiner Energiequelle sitzt. Aber um euch zu töten, braucht Dranzer nicht solche Vorsichtsmaßnahmen. Ihr seid für einen Uralten kleine Fische…“ Synchron schoben sich alle Mundwinkel nach unten und auf die Gesichter der Jungen trat ein empörter Ausdruck. Natürlich machte sich keiner von ihnen etwas vor, aber man konnte sich immer dezenter ausdrücken. Mehr zu sich selbst murmelte Allegro: „Wofür braucht Dranzer wohl eine solche Masse an Hitze?“ „Eigentlich passt Dranzer doch gar nicht zu Kai. So kühl wie er ist, käme jedes Bit Beast aus der Antarktis in Frage…“ Tyson seufzte. „Max, das gehört jetzt nicht hierher.“ „Sorry. Ich wollte bloß die Stimmung auflockern…“ Eigentlich war das einmal einer von Tysons Lieblingssätzen gewesen, doch mit den Jahren war Max zunehmend aufgefallen, wie sehr sein Freund von solchen Sprüchen über ihren ehemaligen Teamleader auf Abstand ging. Gemeinsam machte sich die Gruppe daran den Lavasee zu überqueren. Dabei bildete Allegro die Vorhut. „Hast du Kai eigentlich gefunden?“, fragte Ray, während er von einem Marmorfelsen zum nächsten sprang. „Ich habe einen Jungen gefunden der eurem ähnlich sieht. Er ist im oberen Stockwerk. Aber… er scheint mir etwas jünger zu sein. “ „Gut, das mag schon sein. Wir sind alle wieder jünger geworden.“ „Dieses Kind ist aber nicht älter als-…“ „Ray! Nicht so schnell da vorne. Max und ich kommen kaum nach!“ Ray drehte sich zu seinen Freunden um und ihm fiel auf, wie langsam sie durch Maxs Verletzung vorankamen. Tyson musste ihrem Freund immer wieder bei den Sprüngen helfen. Rays Augenbraue schoss skeptisch in die Höhe und er fragte: „Warum heilt Maxs Wunde nicht mehr so schnell wie vorher? Einpaar Stunden zuvor hätten wir gegen eine Wand rennen können, nach zehn Minuten wäre die Beule weg.“ „Weil ihr nicht mehr jünger werdet. Ihr habt das Alter erreicht, dass eure Bit Beast wollten.“ „Was hat das damit zu tun?“ „Wenn ihr eine Wunde habt und dann jünger werdet, verschwindet eure Verletzung, weil sie logischerweise zuvor nicht da war.“ „Heißt das, wir sind hier gar nicht unsterblich?“ „Natürlich nicht! Ihr besitzt ewige Jugend, aber falls ein Unglück passiert, könnt ihr hier trotzdem sterben. Unsterblichkeit und ewige Jugend sind zwei Paar Schuhe.“ Ray lief es eiskalt über den Rücken. Als seine Freunde nur noch einen Sprung von seinem Standpunkt entfernt waren, reichte er Max die Hand, um ihn zu sich auf den Stein zu hieven. „Das heißt ab jetzt haben wir unser Ass verloren. Wir müssen verflixt aufpassen.“, widmete er sich seinen Freunde zu. „Wäre ja auch sonst zu einfach. Wer will das schon?“, kam die pampige Antwort von Max. Es gab seltene Augenblicke in denen ihr Strahlenmann mürrisch wurde, aber einer davon war, wenn es so heiß wurde, dass sein Hemd klatschnass wie eine zweite Haut an ihm klebte. Schweigend folgte die Gruppe dem provisorischen Weg zur Wendeltreppe. Ray und Allegro gingen voraus. Als sie endlich gemeinsam der baufälligen Treppe gegenüber standen, wanderten ihre Blicke hinauf. „Wie kommen wir da hoch?“, fragte Max. „Da hilft leider nur eins…“, meinte Allegro. „Das wäre?“ „Rennen.“ „Spitzenklasse. Das Klappergerüst wird unter unseren Füßen zusammenbrechen.“ „Dann müsst ihr eben oben sein, bevor es euch in die Tiefe reißt.“ „Und wie kommen wir dann wieder zurück?“, kam die perplexe Frage von Max. „Darüber machen wir uns Gedanken, wenn es soweit ist…“, entgegnete Ray, der sich nicht einmal sicher war, ob sie lebend bis zu Kai kommen würden. * Die Dame Solowéj saß zufrieden in einem Sessel und beobachtete die kleine Kinderhand, wie sie mit dem Zeigefinger eine Zeile, nach der anderen entlangfuhr. Sie achtete darauf, wie Kais Augen stumm jedem Wort folgten und den Sinn des Buches aufsogen. Wie er dort auf seinem Bett saß - ruhig, ausgeglichen und sorglos. Er vertraute ihr mit Leib und Seele, nahm ihre Anwesenheit als selbstverständlich hin. Es war fast wie früher. Kurz bevor sie ihn zu ihrem Kind auserkoren hatte… Nur viel schöner. Hier in der Irrlichterwelt konnte sie mit ihm sprechen. Von Angesicht zu Angesicht. Sie konnte ihn sogar berühren - Wann immer sie wollte. Trotzdem… Wie sie ihn damals gefunden hatte, war ein einzigartiges Erlebnis gewesen. Ein Bit Beast ist viele Jahre alt. Es sieht unzählige Menschen kommen und gehen. Nationen erleben ihren Höhepunkt und ihren kulturellen Verfall. Auf die Blüte folgt stets der Niedergang. All die Jahre hatte Dranzer diesem Schauspiel stillschweigend beigewohnt. Ohne ein besonderes Interesse. Wozu auch? Für ein Bit Beast war ein Menschenleben ein Wimpernschlag. Es war unbedeutsam. Mit den Jahren, vergingen viele Jahreszeiten. Eine davon war der Winter. Die Jahreszeit die Dranzer stets verabscheute… Er war kalt, eintönig, es gab keine Möglichkeit ein Feuer zu verursachen. Und wenn doch einmal die Gelegenheit kam, dann zündeten Menschen nur das Kaminfeuer an. Das war der einzige Grund, weshalb Dranzer Orte aufsuchen musste, wo zurzeit Winter herrschte. Es war ihre Pflicht Wärme zu spenden, wo Wärme gebraucht wurde. Der Winter gehörte Draciel und Wolborg. So war es der Brauch. Für ein Feuer Bit Beast eine sehr eintönige Periode, denn wann immer sie sich den kalten Regionen näherte, spürte sie wie ihre Macht mit jedem Flügelschlag abnahm. Doch es musste sein… Dafür musste man lernen sich in verschneiten Gebieten die Zeit zu vertreiben. Also beobachtete Dranzer während dem Winter stets die Menschen, auch wenn sie ihr zuwider waren. Wenn Menschen wichtig waren, weshalb lebten sie so kurz? Sie waren wie Eintagsfliegen… nicht der Rede wert. Trotzdem schätze diese Rasse ihre Existenz viel zu hoch ein, dabei war die Erde 4,6 Millionen Jahre alt, während der moderne Mensch gerade mal kümmerliche zweihunderttausend Jahre auf diesem Planeten weilte. Dranzer mochte keinen Menschen, daraus machte sie auch keinen Hehl. Mit der Erschaffung dieser Spezies waren zu viele Probleme aufgetaucht und sie hätte diesen Parasit, der sich über die Oberfläche ihrer geliebten Mutter Erde wie die Krätze fraß, am liebsten endlich Einhalt geboten und sie ausgerottet. Die Erde war das Werk der Uralten und sie hätte doch gemeint, wenigstens etwas Mitspracherecht in dieser Sache zu haben. Zwar war ihr Mentor Drigger derselben Meinung wie sie, auch Draciel schien sich beinahe auf ihre Seite geschlagen zu haben, doch die letzte Unterhaltung die sie vor vielen Jahren diesbezüglich mit Dragoon hatte, ließ keinen Zweifel zu, dass er einen Narren an diesem launischen Volk gefressen hatte. Er mochte ihre Zankereien, ihre Kriege, die Gewalt mit der sie ganze Landstriche verwüsteten, aber - aus einem ihr unerfindlichen Grund - auch ihre Willenskraft, ihre Standhaftigkeit und… die Art und Weiße wie sie liebten. Wie sie liebten?! Sie war fassungslos gewesen als er ihr das damals offenbarte. Er hatte dieses arrogante Lächeln aufgesetzt, welches sie so an ihm hasste, gelassen mit der Rechten ihre Einwände verworfen und nur gemeint: „Sieh dir diese Lebewesen doch an! Sie stecken voller Überraschungen, voller wunderbarer Widersprüche und verworrener Moral. Nimm dir ein Beispiel an diesem Weib…“ er reichte ihr eine der Verästelungen von Yggdrassil, die zuvor tief in sein Fleisch gestochen hatten und mit deren Hilfe man in sekundenschnelle einen Einblick über die gesamte Menschenwelt erhielt. „Vor kurzem wurde das Königreich ihrer Familie von einem verfeindeten Volk überrannt. Ihre gesamten Verwandten kamen dabei um, einem nach dem anderen wurde auf Befehl des neuen Herrschers der Kopf abgetrennt, nur dieses Mädchen – das hat er behalten, weil er sich auf der Stelle in sie verliebt hat. Mit Blumen, Geschenken und schönen Versen hat er das Kind überhäuft und jetzt rate mal was die Kleine tut?“ Ein böses Grinsen huschte über Dragoons Lippen. „Obwohl sie sich ständig einredet, dass er der Mörder ihres Geschlechts ist und ihn immer wieder zurückweist, teilt das Luder nach zwei Jahren doch mit ihm das Bett. Ist das nicht verrückt? So unterworfen sind diese Wesen ihren Gefühlen. Es ist ein einziges Chaos. Wie ein Sturm…“ Dranzer war diese Seifenoper in der Menschenwelt damals auch nicht entgangen. Voller Abscheu hatte sie auf diese Frau geblickt, die scheinbar keinerlei Prinzipien besaß. Alles was ihr als Vater gleichkam war Drigger. Hätte jemand gewagt ihn zu verletzen… Niemals hätte sie dem Übeltäter verzeihen können! Er war ihre Familie – wenn auch der Letzte. Trotzdem musste sie gestehen, das diese Frau nicht ganz alleine Schuld an ihre Lage war, denn Dragoon hatte auch seine Finger mit im Spiel, denn so wie Dranzer Menschen in einen tranceartigen Zustand versetzen konnte, konnte er mit seiner Fähigkeit kleine Zweifel in den Köpfen von Lebewesen sähen und ihren Glauben ins Wanken bringen. Zu dieser direkten Manipulation waren nur Dragoon und sie in der Lage. Weder Drigger noch Draciel konnten Einfluss auf den Geist eines Wesens nehmen. Dragoons Eingriff verlief meist so schnell, dass der Betroffene gar nicht merkte, wie ihm geschah. Mit einem kleinen Lufthauch, vollkommen unscheinbar und kaum zu spüren, konnte er verwirrende Worte in die Ohren der Menschen flüstern. Jedem der Uralten gefiel es mit Menschen zu spielen, doch in dieser Hinsicht hatte Dragoon alle seine Register perfektioniert. Er liebte es, nein, er lechzte danach, seine Tragödien mit diesen Eintagsfliegen zu treiben. Fromme Menschen ließ er zu brutalen Monstern werden, Freunde zu unerbittlichen Gegnern, aber auch geborene Feinde zu sündigen Liebhabern, ganz gleich ob sie damit ihre Familie, oder sogar ihr Volk betrogen. Am besten fand er die Geschichten, in denen ein einziger Trümmerhaufen zum Ende hin übrigblieb und Menschen sich vor sich selbst ekelten, weil sie Dinge getan hatten, die sie nicht in den dunkelsten Ecken ihrer Seele für möglich gehalten hatten. Damit schien für ihn dann die Arbeit getan und er konnte sich neue Spielzeuge suchen. Diese schreckliche Seite an ihm hätten die Menschen wohl als „teuflisch“ bezeichnet. Selbst hier in der Irrlichterwelt trieb er diesen Unfug und auch bei ihr hatte er mehrmals versucht sie in seine Intrigen zu spinnen. Trotzdem hatte Dranzer es immer geschafft ihn zu durchschauen, mit den Jahrhunderten hatte sie einen sechsten Sinn dafür entwickelt. Sie wusste dass sie ihm niemals würde vertrauen können, selbst wenn er ihr mit den liebsten Worten schmeichelte, die man sich wünschen konnte. Und wenn sie so etwas konnte… Wenn sie die Gefahr stets im Nacken spürte, warum war es für Menschen so schwierig, Dragoons Spielen zu entkommen? Nein! Seit dieser Unterhaltung mit Dragoon, vor mehr als vierhundert Jahren, verabscheute sie die Menschen für ihre Willensschwäche und ihn für seine Hinterhältigkeit. Ihrer Meinung nach gehörte die Menschheit schon lange ausgerottet, da sie zu korrupt und verdorben geworden war – von dem Schaden dem sie ihrem Planeten antaten ganz zu schweigen. Diesen Gedankengängen folgte sie auch an jenem Wintertag, als sie Kai das erste Mal traf. Der Schnee hing den Menschen damals bis zu den Knien. Die Straßen in Japan waren voll von dem hässlichen Weiß und man sprach von einem der härtesten Winter seit Jahrzehnten. Unsichtbar für die Menschen, thronte der herrliche Phoenix auf einem Baum, etwas weiter oberhalb von Tokio, auf einem Plateau. Es war ein wunderschönes Gebiet im Sommer. Dann standen die Blätter auf der Allee in voller Pracht, die Sonne schien erbarmungslos herab und der Ausblick auf die Stadt war sagenhaft. Jetzt im Winter war alles weiß und trist. Trotzdem zog dieser Ort Dranzer magisch an. Er war nicht so überfüllt wie der Rest der Stadt. Angenehm ruhig und abgeschieden. In der Nähe des Baumes stand ein stattliches Anwesen, allerdings etwas zu finster für ihren Geschmack. Sie fand dass es die Idylle trübte und zog schon mehrmals in Erwägung, einen Brand darin zu verursachen. Der Ort hätte dann soviel mehr Schönheit an sich… Eines Tages änderte sich aber etwas. Ein schwarzer Wagen fuhr durch die Einfahrt des Anwesens und hielt direkt vor der zugeschneiten Haustür, die sich wie auf Kommando öffnete. Eiligst trat ein älterer Mann aus dem Haus, um die Tür des Wagens aufzuhalten. Der Mann verbeugte sich tief, nur um einen weiteren alten Kauz zu begrüßen, der seine Beine aus dem Rücksitz schwang. Sein Gesicht war düster und grimmig, doch obwohl er sichtlich gut genährt war, waren seine Wangen etwas eingefallen und tiefe Furchen lagen um seine Mundwinkel. Dranzer mochte ihn auf Anhieb nicht. Sein Blick fiel missbilligend auf den Hof und er maulte seinen Bediensteten an, weshalb die Einfahrt nicht frei gekehrt worden war. Eigentlich wollte Dranzer dem Szenario keine weitere Beachtung schenken, da öffnete sich die andere Hintertür des Wagens. Ganz langsam und vorsichtig… Eine kleine Gestalt trat in den Schnee. Die Knie versanken im satten Weiß. Ein Junge von vielleicht acht Jahren - wenn überhaupt - eingepackt in einer warmen Winterjacke, kam zum Vorschein. Seine Haut war blass, genau wie der Schnee und der Blick ernst und zutiefst gelangweilt, wie der des Alten, dem er nur bis zum Bauch reichte. „Master Kai! Wie hat ihnen die Abtei gefallen? So warten sie doch, ich trage sie! Dieser hohe Schnee bringt sie um. Nicht das sie ausrutschen…“, rief der Bedienstete aus und eilte um den Wagen herum, nur um einen strafenden Blick zu erhalten. „Lass das!“, sagte der Junge herrisch und schlug die helfende Hand barsch weg. Eine kleine Diskussion entflammte, denn auch der Großvater schien ein Wörtchen mitreden zu wollen. Der Junge hatte seiner Meinung nach ein zu großes Mundwerk. Doch Dranzer war das gleich. Ihre Aufmerksamkeit galt dem Kind und ein teuflischer Plan keimte in ihrem Kopf auf. Kinder spielten gerne mit Feuer. Das war allgemein bekannt. Sie wurden davon angezogen, wie Motten vom Licht. Vielleicht konnte man so das hässliche Anwesen loswerden? Ein herrlicher Zeitvertreib für den Winter… Von diesem Zeitpunkt an, wartete Dranzer auf ihre Chance, lag auf der Lauer wie ein Raubtier. Sie beobachtete den kleinen Menschenjungen jeden Augenblick. Wie Kai im Haus nachmittags Zusatzunterricht bekam. Wie er abends seinen Großvater, vor dem Kamin, aus einer russischen Lektüre las oder am frühen Morgen alleine durch den Garten spazierte. Ihrem messerscharfen Adlerblick entging keine Bewegung. Ab dem Moment, an dem er von der Schule heim kam, wartete sie darauf, ihn mit einer kleinen Kerzenflamme anzulocken und ihn dazu zu verleiten, mit dem Feuer zu spielen. Nur ein winziger Funke genügte und sie könnte ihn in ihren Bann ziehen. Feuer konnte unglaublich anziehend sein - fast schon hypnotisch. Kinder waren besonders empfänglich für derlei Magie. Das war Dranzers Stärke. Dann, eines Tages, kam der Junge von der Schule und trug eine Schachtel mit sich. Dranzer beobachtete wie er eiligst vom Rücksitz des Mercedes sprang, mit dem er täglich abgeholt wurde und wie immer ignorierte Kai sämtliche Anweisungen die vom dem alten Hausverwalter kamen. Stattdessen rannte er geradewegs in das Haus und verschwand in einem der unteren Räume. Aus purer Gehässigkeit, ließ er die Eingangstür ins Schloss fallen, damit der bevormundete Hausverwalter gezwungen war, den Hintereingang zu benutzen. Dranzer dachte sich nichts weiter dabei, bis sie es spürte… Eine Flamme. Jemand hatte eine Flamme im Anwesen entzündet! Das Bit Beast wandte seine Augen zum Kamin des Hauses und eine herrliche Rauchsäule, stieg daraus empor. Endlich war es soweit. Das Spiel konnte beginnen. Kein Mensch im Haus konnte ahnen, wie der Feuertod sich in jenem Moment durch den Kamin ins Haus schlich. So gelangte Dranzer zum ersten Mal in das Anwesen der Hiwataris. Versteckt in den trügerischen Flammen eines Kaminfeuers. Von dort aus konnte das Bit Beast beobachten, wie der kleine Junge ihr den Rücken zugewandt auf dem Boden kauerte. Er entledigte sich seiner dicken Winterkleidung und warf sie achtlos auf die Couch. Es war ein edler Raum, zusätzlich ausgestattet mit zwei gemütlichen Sesseln vor dem Kamin, zwischen denen Kai auf einem weichen Teppich kniete. Unwissend das er beobachtet wurde… Er brauchte nur einen Blick in die Flammen zu werfen, schon konnte Dranzer damit beginnen ihn zu bezirzen. Sie würde ihn dazu verleiten, unvorsichtig zu sein, mit dem Feuer zu spielen, sich daran in Brand zu stecken und das Haus gleich mit dazu. Dann endlich… Kai drehte sich zum Kamin, in der Hand die kleine Schachtel von zuvor. Er kauerte sich näher zu den Flammen, suchte die wohlige Wärme - allerdings nicht für sich. Denn als Dranzer neugierig in die Schachtel spähte, konnte sie darin drei kleine, hellgrüne Vogeleier erkennen. Ein Blick von ihr genügte, um zu wissen, dass die Küken darin niemals schlüpfen würden. Sie waren kalt. Die Mutter wahrscheinlich längst fort. Es war ein sinnloses Unterfangen sie jetzt noch zu wärmen. Der Winter war zu gnadenlos. Insgeheim schien der Junge das auch zu ahnen, denn der Ausdruck der auf seinem Gesicht lag, war tief betroffen. Seine Augen sprachen Bänder. Dranzer konnte die Traurigkeit darin sehen. Besonders faszinierend fand sie den Schimmer in den kleinen Kinderaugen. Es lag etwas Rötliches in ihnen - wie die Glut eines Feuers, zwei tiefrote Rubine. Gerade als sie sich ihrem eigentlichen Vorhaben zuwenden wollte, wurde die Tür geöffnet. Der Hausverwalter kam herein und als er die Flammen im Kamin sah, weiteten sich seine Augen. „Master Kai? Wer hat das Feuer entfacht?“ Der Junge blieb stumm. „Waren sie das?!“ Ein Nicken. Sofort bekreuzigte sich der alte Mann und schritt hektisch an die Flammen heran. „Allmächtiger! Erst sperren sie mich aus und nun das?! Ein achtjähriger Junge darf doch kein Kaminfeuer entfachen! Nur ihr Großvater macht das. Wenn er nicht da ist, ist der Kamin für sie tabu! Er will nicht das jemand anderes außer ihm daran herumwerkelt, dass wissen sie genau!“ Dranzer sah ihren Plan als gescheitert, denn der alte Mann schritt bereits auf die Flammen zu, um sie zu löschen. Das Bit Beast wollte sich wieder unbemerkt mit dem Rauch aus dem Haus stehlen, als der Hausverwalter die Eier bemerkte. „Na so etwas“, sagte er überrascht und beugte sich langsam zu dem Jungen hinab. Seine Wut schien verflogen und die tiefen Zornfalten auf seiner Stirn glätteten sich. „Master Kai, wo haben sie denn die Vogeleier her?“ „Schulhof.“, antwortete der Junge knapp. Der alte Mann schien schnell eins und eins zusammenzuzählen. Sein Blick wanderte vom Feuer zu den Eiern, bis er sich seufzend zu dem Kind setzte. „Master Kai, ich glaube nicht dass diese Eier noch schlüpfen werden.“ Kai senkte den Blick, antwortete aber nicht. Dranzer fand das ungewöhnlich für ein Menschenkind in diesem Alter. Die Kinder die ihr in den letzten Jahrhunderten begegnet waren, plapperten ohne Ende, bis man ihnen den Mund verbietete. Dieser Junge schien seine Gedanken zu verschließen. Das kannte sie stets nur von den älteren Menschen. Dabei loderte doch eindeutig so viel Temperament in diesen Kinderaugen. „Kai? Hörst du mich?“, wiederholte der Mann, diesmal unformell. „Ja Lew.“ „Dann lass sie uns fortwerfen. Vergeude deine Zeit nicht damit Junge.“ Plötzlich regte sich etwas in dem Kind. Seine Augen weiteten sich und er fragte: „Fortwerfen? Aber vielleicht…“ „Mein guter Junge, diese Eier sind faul. Sie werden nicht schlüpfen. Es gibt kein vielleicht. So leid es mir um die Küken tut.“ „Ein Phönix könnte sie vielleicht schlüpfen lassen…“ Der Satz hing ganz unvermittelt im Raum. Er erstaunte nicht nur den Hausverwalter, sondern auch Dranzer. Seit Jahrhunderten hatte sie keinen Menschen mehr, in ihrer Gegenwart, von einem Phönix sprechen hören. Es gab mal eine Zeit, da wurden sie verehrt, aber das lag lange zurück. „E-Ein… Wie war das?“ „Der Feueratem eines Phönix wäre bestimmt warm genug.“ „Himmel, Junge! Wo hast du denn diese Albernheiten aufgeschnappt?“, lachte Lew schallend auf, ganz überrumpelt von dieser kindlichen Aussage. Erzürnt über diese Frechheit, ließ Dranzer die Flammen etwas höher peitschen. Sofort blieb das Lachen dem alten Mann im Hals stecken, als er zurück schrak, während der Junge nur unbeeindruckt antwortete: „Ich habe in einem Buch mal von einem Phönix gelesen.“ „Die gibt es nicht wirklich. Also lass diese Ammenmärchen nicht deinen Großvater hören. Du weißt wie sehr er Aberglauben hasst. Er ist mit Haut und Haaren Realist.“ Lew ließ den Blick in die Flammen schweifen und suchte nach der Ursache für die Stichflamme. Mehr zu sich selbst murmelte er. „Was war das nur? Der Abzug ist doch nicht etwa kaputt? Das ist gefährlich…“ „Vielleicht steckt in jeder Legende ein Funken Wahrheit?“ Kai strich mit seinen Fingern über die Vogeleier, als hoffte er, sie damit aus einem Winterschlaf zu erwecken. „Wenn ich einen Phönix sehen würde, würde ich ihn bitten, die Küken schlüpfen zu lassen.“ „Du bist ein guter Junge, aber ich befürchte du wartest umsonst.“, antwortete Lew gedankenverloren. Er legte beiläufig seine Hand auf den Kopf des Kindes und die Enttäuschung, in dessen Augen, war nicht zu übersehen. Für Dranzer jedenfalls… Lew schien mehr um den Kamin bemüht, als um Kai. Der alte Mann ahnte nicht, wie viel er mit seinem rationalen Verstand, in dem Kind kaputtmachte. Vielleicht war Dranzer einfach geschmeichelt von Kais Worten. Vielleicht freute es das Bit Beast auch nur, durch diesen kleinen Jungen, nicht in Vergessenheit geraten zu sein. Doch nachdem sie die ehrliche Trauer in den kleinen Kinderaugen erblickte, wich ihr eigentliches Vorhaben in weite Ferne. Plötzlich konnte sie diesem Jungen nichts mehr antun. Wie er da saß, gekränkt von den Worten dieses alten Narren, darauf hoffend, dass er sich irrte. Er schien so offen für eine Welt hinter der Fassade. So viel weiser als man ihm glauben machen wollte. Zu gerne hätte sie ihm gesagt: „Schau her, hier bin ich! Es gibt mich wirklich!“ Der Wunsch von ihm gesehen zu werden war so unglaublich stark. Und plötzlich beugte er sich vor… Kais Augen wurden groß, er fixierte einen Punkt in den Flammen und Dranzer hätte schwören können, dass er ihr direkt in die feurigen Pupillen starrte! Sie blickten sich gegenseitig an und wussten beide um die Anwesenheit des Anderen. „Lew, schau mal. Siehst du das auch?“, flüsterte er leise. Als ob er an dem zweifelte, was er sah. Doch dann… „Aus dem weg Master Kai, ich lösche das Feuer. Es ist Zeit für sie ihr Russisch zu üben.“ Dranzer hätte schreien können. Plötzlich nahm der alte Mann eine Schaufel und versuchte mit der Asche im Kamin, die Flammen zu ersticken. Ihr herrliches Feuer erlosch mit jeder Ladung und das Bit Beast sah sich bereits gezwungen, aus dem Haus zu verschwinden. Dabei wollte sie noch so gerne bei dem Kind bleiben… Es fehlte nicht mehr viel und das letzte bisschen Glut wäre erstickt, bis Kai sagte: „Aufhören!“ „Ja aber warum?“ Kai erhob sich und ging zu einem der umliegenden Regale. Forschend suchte er die Einbände darin nach einem ganz bestimmten Titel ab, seine Finger streiften dabei die Bücherrücken, bis er eines herauszog. Mit einem dicken dunkelgrünen Wälzer nahm er wieder vor dem Kamin platz, direkt gegenüber von Lew. „Wenn ich russisch lernen muss, will ich auch ein Buch lesen, dass mir gefällt und wo es mir gefällt!“, forderte der Junge. „Master Kai. Sie sind erst acht, ich befürchte dieser dicke Wälzer ist noch etwas zu schwer für ein Kind in ihrem Alter. Wir wollen es doch nicht übertreiben.“ Es war eine Notlüge. Das spürte Dranzer. Der alte Mann befürchtete den restlichen Tag vor dem Kamin verbringen zu müssen, obwohl sich die Arbeiten im Haus häuften. „Na und? Ich will! Also machen wir das auch so!“ Gebieterisch schlug Kai die erste Seite auf und ignorierte den verzweifelten Blick des alten Hausverwalters. Er setzte seinen Zeigefinger auf die erste Zeile und begann in gebrochenem russisch den Titel vorzulesen: „Der Feuervogel“ Von da an besuchte Dranzer regelmäßig die Flammen des Hiwatari Kamins. Wann immer sich die Gelegenheit ergab, huschte das Bit Beast ins Feuer um einen Blick auf den kleinen Menschenjungen zu werfen, der sie von mal zu mal mehr faszinierte. Fast immer erwischte sie ihn dann bei seinen Leseübungen. Wie es von ihm verlangt wurde, saß er dann neben seinem Großvater auf einem gepolsterten Hocker und las laut vor. Wenn das Oberhaupt des Hauses da war, bestimmte immer er, an welches Buch sich Kai heranwagen sollte. Meist handelte es sich dabei um historische Bücher. Grimmig saß er dann da, zog die Brauen tief ins Gesicht und man sah ihm an, dass Kai seiner Meinung nach, nicht genug Fortschritte machte. Selten kam eine lobende Bemerkung aus seinem Mund. Nur der Hausverwalter Lew ließ dem Jungen freie Hand. Dann suchte Kai sich häufig Titel mit Sagen und Legenden aus. Vor allem von den Erzählungen, über den Phönix, schien er magisch angezogen zu werden. Er liebte spannende Bücher, nicht die trockenen Themen die er von seinem Großvater vorgesetzt bekam. Entzückt lauschte das Bit Beast dann Kais Worten, sog den Klang seiner Kinderstimme auf und folgte den Bewegungen seiner Lippen. Den ganzen Winter verbrachte Dranzer so ihre Zeit. Bald schon sprach sie nicht mehr von dem Menschenkind, sondern von ihrem Menschenkind. Und ab da war die Sache für den Phönix beschlossen.... Wenn ein Bit Beast seine Wahl trifft, dann heimlich. Im Stillen. Ohne das das betreffende Kind überhaupt etwas ahnt. Sie hatte Kai lange genug beobachtet. Jeden seiner Schritte genau verfolgt. Sein Verhalten studiert, seine Denkweise erspürt. Und sie hatte erkannt. Erkannt, wie ähnlich sie waren… Es war Anfang Februar, als Dranzer sich entschloss den letzten Schritt zu tun. Der alte Hausverwalter hatte Kai gebeten, die Vogeleier endlich fortzuwerfen. Der Junge hatte es bis dahin nicht übers Herz gebracht, schließlich hatten die kleinen Küken nicht einmal das Licht der Welt erblicken dürfen. Man sah es ihm nicht an, doch Dranzer spürte, dass Kai dieser Gedanke traurig stimmte. Für Tiere schien er mehr Vertrauen und Zuneigung zu empfinden, als zu Menschen, denen er sehr argwöhnisch gegenübertrat. Eine weitere Eigenschaft die Dranzer an dem Kind schätzte… Da Kai die toten Eier nicht einfach in den Mülleimer werfen wollte, trat er an einem ruhigen Sonntag hinaus in den Schnee, eingepackt in einer dunkelrote Winterjacke und einem weißen Schal. In der Hand, hielt er zum einen die Schachtel mit den Eiern, zum anderen einen kleinen Kreisel, den Lew ihm kurz zuvor geschenkt hatte. Der gutmütige Hausverwalter wollte den Jungen etwas aufheitern und hatte sich deshalb in den örtlichen Läden, nach dem neuesten Spielzeug umgehört. Dabei stieß er auf ein neues Beyblade, dass er Kai gleich mitbrachte. Kai schien zu diesem Zeitpunkt aber kein großes Interesse darin zu haben und empfand das neue Spielzeug wohl als schwachen Trost. Erst später erfuhr Dranzer, dass seine anfängliche Abneigung gegenüber dem Bladen, mit seinem zweijährigen Aufenthalt in der Abtei zusammenhing. Der kleine Junge stapfte mit ernstem Blick, durch den großen verschneiten Garten des Anwesens, auf der Suche nach einer geeigneten Grabstätte. Das Gebäude war schon in weite Ferne gerückt, als er an einer Trauerweide inne hielt. Er schien den Namen passend für die Situation zu finden, denn hier wollte er die Eier begraben. Plötzlich ging ein starker Windzug durch die schmalen Zweige der Weide… Der Schal des Jungen flackerte in der Luft. Der Wind wirbelte den Schnee um ihn herum auf. Kai blinzelte verwundert, blickte sich fragend nach der Ursache für diesen Sturm um. Dann meinte er einen Schatten auf dem Boden unter sich zu erkennen. Sein Blick schnellte nach oben… Dranzer konnte beobachten, wie Kai seine Augen konzentriert zusammen kniff. Er schien zu ahnen, dass er nicht alleine war. Die Strahlen der Wintersonne schien auf ihn herab, blendeten den Jungen, doch inmitten dieses hellen Glanzes, meinte er eine Gestalt zu erkennen. Er konnte die schimmernde Silhouette des Phönix sehen, die sich langsam vom Licht der Sonne trennte und auf ihn herab schwebte. Die Augen des Kindes wurden groß, er blinzelte mehrmals, als könnte er nicht glauben, welcher Anblick sich ihm bot. Für ihn war es, als wäre ein Sonnenstrahl zum Leben erwacht. Als Dranzer zu ihm hinab stieg, trafen sich ihre Blicke. Sie spürte nicht einen Funken Angst in dem kleinen Kinderkörper. Kai blieb ruhig und ließ den Moment auf sich wirken. Das brachte das Bit Beast zum Lächeln. Die Schwingen des Phönix umschlossen den Jungen. Dranzer konnte die Wärme spüren, die von dem kleinen Herzen im Menschenkörper ausging, wie es gegen den Brustkorb schlug, mit all seiner Energie. Das Bit Beast senkte den Kopf zu Kai hinab und legte die Stirn auf seine. So verharrten sie einen Moment. Als könnten sie in die Seele des anderen blicken. Irgendwann senkte Kai die Lider, genoss einfach nur den Augenblick – bis die Wärmequelle plötzlich versiegte. Sofort schlug er die Augen auf und blinzelte irritiert. Nichts… Da war nichts mehr. Der schillernde Vogel war verschwunden! Kai drehte sich einmal um sich selbst, suchte die verschneite Gegend nach Dranzer ab. „Das habe ich mir doch nicht eingebildet?“, flüsterte er. Dann bemerkte er zum ersten Mal das Leuchten seines Beyblades. Er warf einen prüfenden Blick darüber und auf dem kleinen Chip, konnte er deutlich die Zeichnung eines feuerroten Phönix erkennen. „Dame Solowéj?“ Dranzer öffnete ihre Lider und vorbei war es mit dem Ausflug in die Vergangenheit. Ihr Blick fiel auf den kleinen Jungen, der neben der Sessellehne stand und sie musterte. Vor seiner Brust hielt er ein Buch. „Ich habe sie nicht geweckt?“ „Nein“, entgegnete sie sanft. „Was hast du mein Liebling?“ In Kais Wangen schoss die Röte, wie immer wenn sie ihn so nannte. Es entlockte ihr jedes Mal aufs Neue ein entzücktes Lächeln. Dranzer hatte fast vergessen wie schüchtern Kai als Kind gewesen war. Er versuchte sein Gesicht unauffällig hinter dem Einband zu verstecken und senkte den Blick verschämt. Seine ersten Versuche, Gefühle zu verbergen, waren in jungen Jahren überhaupt nicht gelungen. „Draußen“, flüsterte er. „Im Flur ist es laut geworden…“ Dranzer zog die Brauen tief ins Gesicht. Das Bit Beast ließ seine Sinne gleiten und spürte, dass Kais Freunde sich die Treppe hinauf bemühten. Sie konnte, vor ihrem inneren Augen, das Feuer in den pochenden Herzen näher kommen sehen. Jeder war entschlossener als der Andere. Lews Phantom hatte versagt… Aber eigentlich hatte sie damit gerechnet. Es war ihr nur recht, denn er war ihr auf die Nerven gegangen. Sie wollte nicht, dass Kai sich ihm anvertraute. Der Junge sollte nur sie kennen und wo dieses Phantom herkam, gab es noch viele weitere. Sie strich mit ihrer Hand über den kleinen Kinderkopf und sprach: „Darum kümmert sich bald schon jemand. Verschwende keine düsteren Gedanken daran.“ Dann zog sie ihn zu sich auf den Sessel und fragte: „Was hast du da für ein Buch?“ „Der Feuervogel…“ „Eine schöne Geschichte. Ließt du mir daraus vor?“ Kai nickte zaghaft und klappte das Buch auf. Er setzte den Finger unter die erste Zeile und nach kurzer Zeit erfüllte der Klang seiner Stimme den Raum. Mit einem Seufzen bettete Dranzer ihren Kopf auf die Kinderschulter vor ihr und lauschte mit geschlossenen Augen ihrem kleinen Menschen. Jede Silbe die er von sich gab wurde aufgesogen. Bis Kai stoppte… Dranzer öffnete die Lider und blickte ihn an. Kai fixierte mit offenem Mund einen Punkt vor sich, voller Erstaunen in den Augen. „Wie rührend. Man könnte meinen der Junge vertraut dir tatsächlich…“ Erschrocken zog sie die Luft ein, als sie vor sich Dragoon erblickte. Er lehnte neben der Zimmertür, gegenüber ihrer Sitzgelegenheit und beobachtete das Schauspiel mit unverhohlenem Spott. Ihr Blick verfinsterte sich und wütend presste sie die Lippen aufeinander. Natürlich hatte sie damit gerechnet dass er bald auftauchen würde, um ihrem Treiben ein Ende zu bereiten, doch nicht schon so verfrüht. Sie hasste seine unvorhergesehenen Auftritte. Er besaß die Fähigkeit aus dem Nichts zu erscheinen. Das verschaffte ihm schon immer einen Gewissen Vorteil in ihren Kämpfen. Doch zu ihrer Freude, erkannte Dranzer auch einen gewissen Maß an Angespanntheit in seinem Gesicht. Ihre Blicke trafen sich, bohrten sich herausfordernd ineinander - bis Dragoon sich dem Jungen zuwandte. Er schenkte dem Kind in ihren Armen ein freundliches Lächeln und legte den Kopf leicht zur Seite. Instinktiv verstärkte Dranzer den Griff um den Jungen. „Du bist Kai, nicht wahr?“, der tiefe Klang seiner Stimme erfüllte den Raum. Der Junge nickte, noch immer irritiert von seiner plötzlichen Erscheinung. Dragoon stieß sich von der Wand ab und tat die ersten Schritte auf die beiden zu. „Gefällt es dir hier… bei ihr?“ „Natürlich tut es das!“, herrschte ihn Dranzer an. „Ich bin sein Gegenstück!“ „Meine Frage galt nicht dir.“, kam die ruhige Antwort. Wieder blieb sein Augenmerk an Kai hängen. „Also? Willst du mir nicht antworten, Junge?“ Kai sah Dragoon lange Zeit stumm an. Dann fragte er mit monotoner Stimme: „Warum sollte es mir hier nicht gefallen? Hier ist mein zuhause.“ „Was ist mit der Welt da draußen? Mit den Menschen die dort auf dich warten?“ „Da gibt es niemanden…“ Dragoons Brauen zogen sich zusammen. „Deine Freunde?“ „Ich habe keine…“ „Erinnerst du dich nicht?“ „Woran?“ Dragoon antwortete nicht. Stattdessen wanderte sein Blick zu dem Buch in den Händen des Jungen. Etwas Abwertendes trat in sein Gesicht, als er den Titel erkannte. „Der Feuervogel?“, lachte er abfällig. Ein strafender Blick von Dranzer traf ihn, den er geflissentlich ignorierte. „Hat dir unsere liebreizende Dame den Titel in die Hand gedrückt? Wahrscheinlich giert es sie danach, die alten Lobpreisungen der Menschen an den Phönix, aus deinem Mund zu hören. An Eitelkeit mangelt es ihr nicht, unserer Dame Solowéj.“ „Ich verstehe nicht…“, der Junge schien die Feindseligkeit zwischen den beiden Erwachsenen zu spüren. Verunsichert sah er zu Dranzer auf und fragte: „Wer ist dieser Mann?“ „Ein ungeladener Besucher.“, war ihre Antwort. Sie stemmte sich, mit dem Kind auf den Armen auf und taxierte Dragoon geringschätzig. „Die schlimmste Sorte von Besuchern, wenn du mich fragst. Noch schlimmer sind aber schlechte Verlierer. Sie wissen einfach nicht wann es Zeit ist, sich geschlagen zu geben.“ Ein gemeines Grinsen huschte über ihren Mund und siegessicher wiegte sie das Kind in ihren Armen. Kai war Dranzers Trophäe. Dragoons Junge hing an seinen Freunden. Er könnte niemals glauben, dass diese Welt real war, wenn einer von ihnen fehlte. Sie gaben ihm das Gefühl einer Familie, Geborgenheit und Sicherheit – sie waren sein Zuhause. Das wusste Dragoon nur zu gut. Deshalb machte es ihn rasend, dass Dranzer ihren Jungen nicht herausrückte. Sein ganzer Plan drohte zu scheitern - Dank ihr. Eine herrliche Genugtuung, für all die Niederlagen, die sie in der Vergangenheit gegen Dragoon erlitten hatte, erfüllte sie bis in ihre tiefsten Knochen. „Schlechte Verlierer sagst du? Seltsam… Dasselbe geht mir stets durch den Kopf, wenn mir dein hübsches Antlitz gegenübersteht.“, spottete Dragoon. Die Temperatur im Raum nahm merkbar zu. Dranzers Wut erhitzte die Umgebung. Doch Dragoon fuhr fort. „Du liest gerne Geschichten über Sagen, Kai? Nun, dann wird dich meine Erzählung vielleicht interessieren. Sie steht nämlich in keinem Buch, ist aber so alt wie die Welt selbst.“ „Er will das nicht hören!“ „Möchtest du dem Jungen nicht selbst entscheiden lassen? Oder kannst du Menschen nur an dich binden, indem du ihnen ihren freien Willen nimmst?“ Er lachte leise. „So ist das eben mit der Manipulation. Im Hinterkopf nagt der Verdacht, dass unsere Puppen gar nicht so willenlos sind, nicht wahr? Was hältst du davon Kai?“ „Richte dein Wort nicht an ihn! Ich bestimme für den Jungen!“ „So ist das.“, stellte Dragoon belustigt fest. „Aber ich vergaß. Ich wollte dem Jungen noch eine Geschichte erzählen. Kennst du die Sage um Luft und Feuer?“ Kai schüttelte verneinend den Kopf. „Vor unzähligen Jahren, als dieser Planet noch jung war, herrschte nichts außer Ödnis und Kargheit. In unserem Universum gibt es unzählige solcher Sterne, aber jeder einzelne von ihnen ist nutzlos, wenn er kein Leben spenden kann. Es gab aber vier Geister, die diesen Missstand erkannten und diesen Planeten zum Blühen brachten. Es dauerte viele Millionen von Jahren, bis die Erde ihren heutigen Zustand erreichte, doch letztendlich hatte sich ihre Arbeit gelohnt. Ein Geist ließ die Kontinente entstehen, überwuchte die Landschaft mit unzähligen Bäumen. Dieser Geist war für die Vegetation zuständig. Dank seiner Hilfe, verwandelte sich die Erde, in ein blühendes Paradies, voll kräftiger Bäume, fruchtbaren Äckern und erzreichen Gebirgen. Damit seine Pflanzenwelt aber nicht wieder eingingen, arbeitete er eng, mit dem Geist des Wassers zusammen. Er ließ Bäche und Flüsse entstehen, bewässerte die Gärten der Erde, indem er Regen herabfallen ließ und brachte sprudelnde Quellen hervor. Dank seiner Hilfe, blieb das Paradies auch auf Dauer erhalten. Diese beiden Geister hatten früh erkannt, wie viel Nutzen sie durch ihrer beider Fähigkeit voneinander hatten. Sie arbeiteten vorbildlich zusammen. Dann gab es da aber noch den Geist der Luft und des Feuers. Da die anderen beiden Geister die Voraussetzungen für die Grundressourcen gegeben hatten, ohne die Leben auf diesem Planeten nicht möglich wäre, stand es den andern beiden zu, dieses Leben auch zu erhalten. Nach Jahrhunderten entstanden durch den Gleichklang der vier Mächte die ersten Tiere. Der Geist des Feuers spendete den Körpern seine Wärme. Er sorgte dafür, dass die Geschöpfe ein schlagendes Herz, voller Energie und Tatendrang besaßen und sich frei bewegen konnten und gab ihnen Licht in der finstersten Dunkelheit. Doch all die Macht des Feuergeistes nützte nichts, solange der Geist der Luft ihm nichts von seinem Atem abgab. Ohne ihn gingen die Geschöpfe auf der Stelle ein. Das Feuer in den Herzen erstickte, kaum dass es aufgeflackert war. Wie du siehst, waren diese beiden Geister auch voneinander abhängig. Der eine von dem anderen allerdings mehr, als der sich eingestehen will…“ Sein Blick huschte für weniger als einen Wimpernschlag zu ihr, doch es reichte aus, um Dranzer verkrampfen zu lassen, trotzdem blieb das Bit Beast stumm. Das Buch über den Feuervogel lag zurückgelassen auf den Polstern des Sessels. Dragoon nahm es in die Hand und strich mit seinen Fingern über den Titel. „Es vergingen Jahrhunderte in denen jeder seiner Aufgabe nachging. Die Pflanzen, Tier und Menschenzahl wuchs und wuchs. Es wurden so viele, dass die Macht der Geister immer weiter abnahm. Zu viele Seelen mussten mit ihrer Energie bewirtet werden, was sie immer schwächer werden ließ.“ „Das verstehe ich nicht… Warum werden die Geister schwächer?“, erfüllte Kais Zwischenruf den Raum. Dragoon schenkte dem Kind ein nachsichtiges Lächeln. „Magst du Kuchen?“ Kai blinzelte verwirrt, nickte aber schließlich langsam. „Natürlich magst du das… Kinder naschen doch alle gerne.“, lachte er leise. „Dann stell dir jetzt vor die Energie der Geister ist eine riesige Torte, mein Kleiner. Jeder will ein Stück abbekommen. Aber wenn es zu viele sind, kriegen alle nur noch winzige Krümel ab. Was machst du wenn es so viele werden, dass weniger als nichts übrigbleibt?“ „Einen weiteren Kuchen backen?“ Dragoons Lachen erschallte laut durch den Raum. Als er sich beruhigte meinte er: „Herrlich! Der Junge ist einfach herrlich! Er ist meinem Tyson doch recht ähnlich, findest du nicht meine Dame?“, doch er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern sprach. „Da hast du wohl Recht, Kai, aber was ist wenn du mit dem backen nicht nachkommst?“ Darauf wusste Kai keine Antwort mehr. Er blieb stumm, deshalb fuhr Dragoon wieder fort. „Ab und zu mussten die Geister deshalb einige unbeliebte Maßnahmen einleiten, die für die Menschen doch recht grausam sein mochten, doch darauf gehe ich jetzt nicht weiter ein… Nichtsdestotrotz war es doch eine sehr friedliche Zeit. Die Geister wachten über ihre Geschöpfe, beobachteten wie ihre kindergleichen Wesen aufwuchsen und wundersame Kulturen aus ihnen hervorkamen. Sie waren interessant, wirklich sehr interessant… Einige Sachen konnten sogar die Geister von ihnen lernen. Bis der Hochmut über sie kam. Von den Menschen sahen sie des Öfteren, dass sie sich in Wettkämpfen maßen. Schließlich waren sie so töricht es ihnen gleich zu tun, mit dem Ziel, den Sieger über die anderen zu stellen. Der Kampf dauerte viele Jahre, bis der Geist der Luft und des Feuers sich als letztens gegenüberstanden. Aus den einstigen Verbündeten wurden Rivalen. Der Geist des Feuers war bei seinen vorherigen Kämpfen stets als eindeutiger Sieger hervorgegangen, doch als er dem Geist der Luft gegenübertrat…“ „Genug davon! Kai, in dein Bett!“ Der Junge schreckte auf. Es war das erste Mal das sie ihn mit solch herrischem Ton ansprach. „Ich möchte aber die Geschichte zuen-…“ „Du gehst schlafen!“ Wieder erfüllte Dragoons Lachen den Raum. „Dein Vögelchen lernt aber schnell fliegen. Kaum hast du ihn gefügig gemacht, fängt er schon wieder an zu widersprechen. Pass auf das er dir nicht entwischt! Wo wir aber schon dabei sind - es ist besser du vertraust mir nun den Jungen an.“ Er tat einen Schritt auf die beiden zu und wurde ernst. „Wir wollen den Jungen doch nicht zu etwas zwingen, was er nicht möchte, nicht wahr? Gib ihn mir. Es wird Zeit.“ „Untersteh dich!“, zischte Dranzer. „Vergiss nicht unseren eigentlichen Plan. Muss ich dir erst drohen?“ „Du kannst mich nicht mehr bedrohen.“, aus den Mund der Frau schallte unvermittelt ein merkwürdiger Gesang. Das Kind sah zu ihr hinauf, doch schon flackerten die Lider und er verfiel in einen tiefen Schlaf. Der kleine Kopf klappte zur Seite und blieb auf ihrer Schulter ruhen. Dranzer registrierte das mit einem Lächeln. Nun konnte sie frei reden, ohne dass Kai Dinge hörte, die nicht für seine Ohren bestimmt waren. „Siehst du das? Mein Junge ist auch ohne die anderen glücklich. Er braucht nur mich! Du kannst ihn nicht mehr mitnehmen... Es ist zu spät. Die Erinnerung an seine Freunde sind fort. Ich habe sie ausgemerzt wie Ungeziefer.“ „Dummes Stück!“, zischte Dragoon erbost und Dranzer lachte ihn nur gönnerhaft an. Sie schmiegte ihren Kopf an Kai und entgegnete nur: „Aber, aber! Weshalb so ausfallend? Erzürnt es dich, dass dein Junge nun niemals glauben wird, dass diese Welt real ist, während mein Kind mir mit Leib und Seele wieder vertraut?“ „Das glaubst du doch selbst nicht. Du hast den Jungen manipuliert. Seine Augen spiegeln eine verwirrte Seele, die wie eine leere Puppe in diesem Haus vegetiert. Quält dich dieser Gedanke nicht? Du hast ein Geschöpf erschaffen, welches dich nur verehrt, weil er es nicht besser weiß! Nur ein Blick hinter deine trügerische Fassade und er wird dir abhanden kommen. Ich dagegen werde Takao dazu bringen, aus freien Stücken hier zu bleiben.“ „Wie willst du das anstellen? Du hast Kai nicht? Solange die Gruppe nicht vereint ist, wird Takao dir die heile Welt nicht abkaufen. Sie denken wir stecken unter einer Decke… Meine Taten sind auch deine.“ „Dein Bengel wird sich wieder von dir abwenden. Er ist nicht dumm. Früher oder später erkennt er, dass etwas nicht stimmt und du bist wieder allein und verlassen…“ „Du kriegst ihn nicht.“ „Dann hole ich ihn.“ „Das werde ich verhindern…“ „Ach ja?“, Ein schiefes Grinsen zog sich über Dragoon Gesicht, dass etwas unheilvolles hatte. „Wie denn? Es ist offensichtlich wer in einem Zweikampf zwischen uns als Sieger hervorgeht.“ Dranzer antwortete nicht. Stattdessen fixierte sie ihren Gegner ernst – bis auch bei ihr ein spöttisches Grinsen ihr Gesicht zierte. In einer langsamen Geste hob sie das Kind, mit beiden Händen, über ihren Kopf. „Mag sein dass ein Phönix einen Drachen nicht besiegen kann, aber du hast meinen entscheidenden Vorteil dir gegenüber vergessen. Egal wie oft du mich besiegst, ich steige immer aus meiner Asche auf.“ Ihre Hände wurden zu Krallen, die sich in das Fleisch des Kindes bohrten. Es gab ein leises Stöhnen von sich, erwachte trotz der Schmerzen aber nicht. „Wenn du es wagst ihn mir wegzunehmen, werde ich uns beide verbrennen!“ Für eine Sekunde wurde es still im Raum. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, bis Dragoons Stimme das Schweigen durchbrach. „So weit gehst du nicht…“ Doch ein Blick in ihre Augen genügte. Dragoon schüttelte den Kopf, als hätte er ein begriffsstutziges Kind vor sich. „Mir scheint, nicht nur der Junge ist verwirrt. Hörst du dir selbst zu wenn du sprichst?“ „Ich bin noch nie klarer bei Verstand gewesen. Du selbst hast mich auf diese Idee gebracht. Was sagtest du noch mal, als ich nicht aus Kais Körper weichen wollte? Wenn du dich ungerecht behandelt fühlst, töte ich deinen Jungen hier und jetzt. Dann haben wir alle einen Rückschlag erlitten…“ Zum ersten Mal blickte Dragoon entsetzt und Dranzer fuhr unbeirrt fort. „All die Jahrhunderte hast du mich gedemütigt, schikaniert und gequält! All das nur weil ich mich nicht von dir Verwirren ließ, wie Drigger und Draciel. Weil ich mich nicht beugen wollte – so waren doch deine Worte!“, schallte ihre Anklage durch den Raum. „Was hast du mir deshalb nicht alles angetan? Mit welchen Intrigen hast du mich gegen die, die ich liebte, ausgespielt! Selbst deine Stellung als unser Anführer hast du dir ergaunert… Und nun bin ich es, die die Fäden in der Hand hält! Wenn die anderen Kinder erfahren, dass Kai tot ist, werden sie alles daran setzten von hier fort zu kommen. Sie werden euch niemals mehr vertrauern. Ihr werdet für sie Mörder und Verräter sein. Sie werden euch hassen und fürchten! Ich sehe schon Takaos Wut in den Augen… Er wird dich mit Leib und Seele hassen – so wie ich!“ „Dann nehmen wir den Kindern ihre Erinnerung!“ „Dafür war ich zuständig. Keiner der Uralten besitzt sonst diese Fähigkeit. Ich habe die Kinder verwirrt, sodass sie sich nicht mehr an ihre Liebsten entsinnen. Und nur ich kann die Flammen der Vergessenheit heraufbeschwören. Was meinst du wie ich Kais Erinnerungen ausgelöscht habe? Die Magie die ich an ihm angewandt habe ist sogar noch stärker als bei den anderen… sie ist unwiderrufbar! Indem Moment aber, indem ich uns beide in Flammen setzte, wird jedes der Menschenkinder seine Erinnerung Schritt für Schritt zurück erhalten und der Hass, den sie gegen euch verspüren, wird wieder aufleben.“ Wieder kehrte Stille ein und beide beobachteten sich, bis Dragoon die Augen zuschlug und eine Sekunde später ein melancholischer Ausdruck auf sein Gesicht trat. Er seufzte… „Sei vernünftig Dranzer, soll alles umsonst gewesen sein? Nur weil wir beide unsere Differenzen haben, “ er schlug absichtlich einen versöhnlichen Ton an, sprach geradezu sanft auf sie ein. „Mein Liebes… Mein kleines Täubchen, denk doch nach? Ist es das wirkl-…“ „Hör auf damit!“, schrie sie ihm entgegen, denn sie wusste das er gerade dabei war seine Magie auf ihr wirken zu lassen. Er versuchte sie dazu zu bewegen an sich selbst zu zweifeln. „Lass deine Spielchen! Die kannst du bei den Menschen anwenden, doch bei mir zieht keines deiner werbenden Worte. Ich weiß was du für ein Schuft bist. Du hast es einmal genug bewiesen!“ „Diese alte Geschichte schon wieder?“ „Ich werde sie niemals vergessen…“ „Und wegen dieser Sache soll dein Menschenkind sterben?“ „Ich habe nichts mehr zu verlieren. Es ist alles deine Schuld! “ die aufkommend Wut ließ die Augen des Bit Beasts wässrig glänzen. „Denkst du ich weiß nicht, worauf dein Plan hinausläuft? Hältst du mich für so einfältig? Du willst die Vergangenheit in die Gegenwart holen. Du willst das Takao wieder an lächerlichen Wettkämpfen teilnimmt, zusammen mit den anderen. Aber hast du mich jemals gefragt, ob es das ist, was ich wünsche?! Kai würde die nächsten Jahrhunderte damit verbringen, in einer Welt zu leben, in der ich nur als sein Bit Beast existiere. In einem endlosen Trott, ohne zu bemerken, dass er nicht altert!“ „Du wärst stets an seiner Seite. Was möchtest du mehr?“ „Ich wäre stets im Hintergrund!“, schrie Dranzer auf und ein verbitterter Blick trat auf ihr Gesicht. „Er würde mich nur als sein Bit Beast kennen, nicht als die, die ich bin! Ich könnte nicht mit ihm sprechen, ihn nicht berühren! Wenn wir uns nur damit zufrieden geben, diese Bande in einer endlosen Kindheitserinnerung leben zu lassen, sind wir für sie doch nicht mehr als Haustiere!“ Dragoon fauchte erbost und seine Augen glühten auf. „Takao sah mich nie als sein Haustier! Ich war sein Partner!“ „Einen Partner, den er in einer alten Schachtel hat verstauben lassen.“ Dranzer sah zu dem Jungen in ihren Händen auf und zischte. „Einst war ich genauso töricht wie du. Ich dachte, Kai würde mich als seine Gefährtin sehen. Als den Mittelpunkt seines Lebens. Aber… Er hat mich vergessen. Weil ich unterschätzt habe, wie schnell Menschen vergessen.“ Eine einsame Träne bahnte sich den Weg über ihre Wange hinab. „Hätte ich damals schon einen Menschenkörper besessen, hätte ich immer in seiner Nähe sein können. Dann wäre es nie soweit gekommen. Ich hätte ihn immer daran erinnert, dass ich noch bei ihm bin. Seine Schwester wäre niemals im Stande gewesen, meinen Platz an seiner Seite einzunehmen.“ „Du redest wirres Zeug. Reicht es dir nicht, mit ihm Seite an Seite zu kämpfen? Wozu mit ihm reden, wozu ihn berühren? Was hat das für einen Nutzen für dich? Du redest wie eine liebestolle Menschenfr-…“ Schlagartig verstummte Dragoon. Erst nachdem er begriff, fand er wieder Worte. „Nein... Wie kannst du nur?! Du lässt dich auf eine so niedere Ebene herab? Wie kannst du es wagen, du verfluchtes Miststück!“ seine Stimme donnerte durch den Raum und sein Zorn ließ die Erde erbeben. Jegliche Selbstbeherrschung die er zuvor gehabt hatte machte blanker Wut platz. Dragoon erhob mahnend den Finger und drohte: „Wage es nicht, Dranzer! Gib mir den Jungen und verschwinde aus meinen Augen, bis du wieder bei klarem Verstand bist! Ich habe dir schon viele Dummheiten verziehen, aber das schlägt dem Fass den Boden aus!“ „Warum? Was stört dich daran?“ „Es ist das niederste Gefühl das existiert und verblendet die Sinne! Du bist eine der Uralten und sollst dich um deine Aufgaben kümmern und nicht einer sterblichen Eintagsfliege schöne Augen machen!“ „Deine Aufgabe ist auch nicht Sterbliche in unsere Welt zu locken!“ „Diese Kinder dienen mir nur zur Unterhaltung. Das taten sie schon immer. Deshalb vernachlässige ich noch lange nicht meine Pflichten!“ Verbittert schaute er auf das Kind und sagte mehr zu sich selbst. „Ein Mensch… Ich fasse es nicht! Von allen Wesen muss es ein Mensch sein?“ Doch der Ausdruck blieb nicht lange erhalten. Plötzlich straffte sich Dragoon und unerbittert sagte er: „Gib ihn mir.“ Dranzer trat zurück. „Nein! Eher verbrenne ich uns beide!“ Das Bit Beast entflammte und schrie: „Und gemeinsam mit uns, wird dieses Haus auch dein Grab sein!“ Eine Stichflamme zog sich ihren Körper hinauf und drohte den Jungen zu erreichen. In einem verzweifelten Versuch ihn zu retten, ließ Dragoon einen starken Wirbelwind den Raum erfüllen. Möbel verschoben sich durch den Sog und ein Bild an der Wand, brach von seiner Halterung und flog durch das Zimmer. Es traf Dranzers Hände, bevor diese zusammen mit dem Kind, im Feuer verbrannte. Der Junge fiel einpaar Schritte von ihr zu Boden und blieb dort reglos liegen. An seinen Armen zeichneten sich ihre Krallen rötlich von der blassen Haut ab. Beide Bit Beast drehten sich abrupt zu ihm. Sofort brach Dranzer ihr Vorhaben ab und ließ die Flammen abklingen, doch ihr Menschenkörper hatte unter dem Zwischenfall gelitten. Er war an den Beinen versengt und feine Risse zogen sich an den Waden hinauf. Winzige Hautfetzen blätterten ab, zerfielen zu Ruß, wenn sie den Boden berührten. Dranzer hatte keine Zeit sich zu regenerieren, denn neben ihr verwandelte sich Dragoon zuckend und brüllend in seine Bit Beast Gestalt. Blitze peitschten um ihn und sein Körper begann sich aufzublähen. Seine Haut brach auf, wie die Schale einer überreifen Frucht, präsentierte die bläulich leuchtende Reptilienhaut darunter. Der gigantische Körper des Drachen zwängte sich aus der menschlichen Hülle, die reglos und einem schmutzigen Kleidungsstück ähnelnd, auf dem Boden zurück blieb. Es war kaum zu glauben, dass diese riesige Kreatur, bis vor einpaar Sekunden noch, in diesem winzigen Menschenkörper gehaust hatte. Dragoons Kopf schlug gegen die Zimmerdecke. Nach anfänglichem Widerstand, gaben die Deckenbalken nach und brachen. Es polterte als das Holz auf das Parkett krachte. Dort wo sich die riesigen Klauen hineinfraßen, hinterließen sie lange Spuren und der Boden sprang auf. Mit einem Brüllen ließ der Drache einen weiteren Wirbelsturm durch den Raum jagen, dann schnappte er mit der länglichen Schnauze nach dem Jungen – was nicht im geringsten Dranzers Wunsch entsprach. Mit einem gellenden Schrei tat sie es ihrem Kontrahenten gleich und kurz darauf durchfluteten helle Flammen das Zimmer. Eine Fontäne schoss hinauf und alles was zuvor noch von der Decke heil geblieben war, stürzte hinab. Ein ausgewachsenes Bit Beast war bereits zuviel verlangt, doch der Masse zwei solcher Ungetüme konnte der Raum nicht mehr standhalten. Als Dranzer dem nach Kai schnappenden Dragoon in den Nacken biss, peitschte der Schwanz des Drachens durch die Wände, und hinterließ eine Schneise der Verwüstung. Ein weiterer Schlag folgte und ein riesiges Loch klaffte im Boden. Kurz darauf schien das Haus zu erbeben und ein lautes Rumoren folgte – bis weitere Flammenfontänen unter dem Parkett hervorbrachen! Eine von ihnen traf Dragoon direkt am Unterleib. Das Bit Beast brüllte vor Schmerz und ein schallendes Kreischen folgte von Dranzer. Es klang als ob der Phönix sichtlich Freude an den Qualen seines Gegners besaß. Desto mehr Löcher die Fontänen in den Boden fraßen, desto instabiler wurde er. Es krachte und dröhnte von allen Seiten und als Dragoon den Phönix am Gefieder zu fassen bekam, stieß er sich, samt Beute, hinauf in den Himmel ab, zerlegte alle Stockwerke über sich in Schutt und Asche. Erst als der Drache aus dem Häuserdach gebrochen war und viele Meter über dem Gebäude schwebte, entließ er Dranzer aus seinem Kiefer. Sofort machte er sich daran, den zornigen Phönix weiter zu attackieren, mit dem Ziel, ihn soweit fort von Kai zu drängen, wie nur möglich – ohne zu ahnen, dass das zerfallende Gebäude eine weitaus größere Gefahr für die Jungen darstellte. * Die Treppe allein war schon ein Wagnis an sich gewesen. Als die Gruppe es gemeistert hatte, in einem rekordverdächtigen Tempo die Stufen hinaufzurennen, brach eine nach der anderen hinter ihnen zusammen. Sie mussten achten das keiner zurückblieb, aber auch das niemand zu schnell war. Der Letzte von ihnen hätte das nachsehen, der Vorderste würde die Stufen für die anderen zerstören. Als sie oben ankamen, blickten sie schwer atmend dem hinab fallenden Treppengeländer nach, welches in die rötliche Lavamassen stürzte und kokelnd darin verschwand. „Ich wäre gerne mal wieder bei Kai zuhause, ohne das die ganze Stube brennt.“, meinte Max mit zuckender Augenbraue. Eine riesige Lavablase erschien an der Oberfläche. In seiner Fantasie malte er sich aus, wie der See genüsslich die Treppe verschlang, einen kleinen Rülpser ausstieß und darüber nachsinnte, wie ihm drei blutjunge, knackige Menschenjungen schmecken würden. „Wo hast du Kai gesehen?“, fragte Ray an Allegro gewandt. Die kleine Maus hüpfte von Tysons Schulter auf den Boden. Angestrengt erhob sie sich auf die Zehenspitzen und witterte in der Luft. Der beißende Gestank von Schwefel, schien Allegro nicht zu stören, denn kurz darauf deutete er mit seiner winzigen Pfote in Richtung des Flurs. „Da drüben. Das erste Zimmer rechts. Aber seid gewarnt! Der Junge war nicht allein. Als ich ihn zuletzt sah, war etwas Totes bei ihm.“ „Etwas Totes?“, Max schauderte. „Wie meinst du das?“ Allegro bekam keine Gelegenheit ausführlicher zu werden, denn ein lautes Beben erfüllte ihre Umgebung, gefolgt von den lauten Schreien zweier unmenschlich klingender Geschöpfe. Dann erschallte ein lautes Schmettern und der Putz bröckelte von der Decke herab. Keine Sekunde später ging ein entsetzter Ausruf durch die Gruppe, als die massiven Deckenbalken, eine nach der anderen auf den Flur hinab fielen. Ein großer Spalt öffnete sich über ihnen, als hätte ein Riese mit einem Messer, das Dach aufgeschnitten. Schwere Geschosse fielen aus dem oberen Stockwerk auf sie herab. Max hielt schützend die Hände über seinen Kopf. Er war wohl der festen Überzeugung, dass ihm gleich der Schädel gespalten würde. Doch noch ehe er reagieren konnte, wurde er von seinen Freunden an die Wand gedrängt und zu Boden gedrückt. Die Gruppe robbte sich vorwärts, bis sie unter einem größeren Beistelltisch Schutz suchte. Dort verweilten sie, bis eine Wolke aus Schutt und Staub sie unter sich vergrub. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das Rumoren um sie herum verstummte. Als die Gruppe wieder aus ihrem Versteck kroch, lag der Flur vor ihnen, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Ein riesiges Loch klaffte in der Decke und das Licht von draußen drang herein, während die Staubpartikel darin tänzelten. Tyson war der Erste, der aufrecht stand. Als er alle wohlbehalten vor sich fand, kletterte er über den Geröllhaufen weiter auf die Tür zu, die ihnen Allegro genannt hatte. Er meinte noch zu wissen, dass Kais Zimmer dahinter lag. Als Tyson die Tür öffnete, sah auch dieser Raum nicht besser aus. An vereinzelten Stellen brannte es und der Boden war versengt und brüchig. Außerdem ging die Tür nicht richtig auf, da sie auf der anderen Seite von Geröll versperrt war. Mit aller Kraft warf sich Tyson so oft dagegen, bis sich ein kleiner Spalt auf tat, durch den er sich hindurch zwängen konnte. Seine Freunde taten es ihm nach. Als Max den ersten Schritt in den Raum tat, blinzelte er durch den Staub in die Höhe. Das Tageslicht kam kaum durch, doch irgendwann deutete er nach oben. „Seht mal da!“ Seine Freunde wandten den Blick hinauf und erkannten weit über ihnen, die Umrisse von Dragoon und Dranzer, die sich inmitten der Nebelschwaden bekämpften. Diese Fehde schien weit aggressiver zu sein, als alles was sich während ihrer Beybladekämpfe zugetragen hatte. Die beiden Bit Beast gönnten sich nichts und ihre Kraft schien viel mächtiger als früher. Erst jetzt wurde sich Tyson bewusst, wie viel Macht eigentlich in seinem Dragoon steckte. Er beobachtete wie sein Bit Beast mit seinem kräftigen Kiefer nach dem Hals des Phönixes schnappte. Wie er Donner und Blitze nach ihm warf und über dem Gebäude einen Wirbelwind formte, der alles in ihrer Umgebung mit sich riss. Gebannt von diesem Schauspiel, konnte er erst den Blick abwenden, als Ray an ihm vorbeistürmte. „Ist das Kai?!“ Tyson fuhr herum. Einpaar Schritte von Ray entfernt, kauerte eine kindliche Gestalt von vielleicht fünf Jahren auf dem Boden – reglos und vom Staub besudelt. Tyson eilte an Rays Seite, der die Hände nach dem kleinen Jungen ausstreckte und ihn langsam auf den Rücken drehte. Er wischte den Staub vorsichtig von dem Gesicht und begutachtete das Kind genau. „Das ist doch nie im Leben Kai?“, meinte Max argwöhnisch, als er zu seinen Freunden trat und sich über den Jungen beugte. Tyson konnte sein Misstrauen gut verstehen. Allegro hatte sie zwar vorgewarnt, doch dieses Kind war viel zu jung. In diesem Alter hatten sie Kai noch nie erlebt. Diese winzige blasse Gestalt, war ein herber Kontrast, zudem dreizehnjährigen Jungen, den sie kennengelernt hatten. „Vielleicht ist er das auch gar nicht?“, fragte Ray irritiert und wich abrupt zurück. Sein Blick schlich argwöhnisch durch den Raum. „Womöglich ist das nur eine Falle? Kai müsste doch in unserem Alter sein…“ „Nicht unbedingt“, mischte sich Allegro ein. „Euer Freund hat sein Bit Beast wohl viel früher kennengelernt als ihr. Das wird des Rätsels Lösung sein.“ „Hast du nicht gesagt, dass etwas Totes hier im Raum ist?“, Max wich einpaar Schritte zurück. „Vielleicht ist das auch nur ein Phantom…“ „Nein. Der Junge ist echt. Was ich gewittert habe, war auch kein Phantom.“ Während seine Freunde mit Allegro diskutierten, ging Tyson vor dem Jungen langsam in die Hocke. Er legte seine Hand auf die Schulter und rüttelte sachte daran, um dem Kind eine Regung abzugewinnen. Es dauerte seine Zeit, bis ein leiser Laut zu ihm hinauf drang. Tyson beugte sich über das Gesicht des Kindes und beobachtete, wie seine Lider flackerten. Sie öffneten sich einen spaltweit, nur um sich wieder erschöpft zu schließen. Doch Tyson hatte gesehen, was er wissen wollte – das rote Glimmen in Kais Augen. „Das ist er“, unterbrach er die Diskussion neben sich. „Lasst uns schnell verschwinden, bevor diese Godzillaverschnitte da oben merken dass wir hier sind.“ Er spürte dass Ray neben ihm Einwände erheben wollte und fuhr ihm dazwischen: „Wir haben jetzt keine Zeit für so etwas!“ Sein Freund gab nur ein resignierendes Nicken von sich. Er wollte gerade seine Hände nach dem Kind ausstrecken, als über ihnen das Dach von einem riesigen Feuerball getroffen wurde. Die Ziegel auf dem Dach lösten sich und regneten durch die Öffnung ins Zimmer herab. Zwar erschienen die Bit Beast nicht am Horizont, doch dieser Schlag schien eine Kettenreaktion ausgelöst zu haben. Kurze Zeit herrschte Stille. Die Gruppe war noch froh, nicht von einem der brennenden Ziegel getroffen worden zu sein, doch drückte sich schützend an die Wand, als ein lautes Rumoren das Haus erbeben ließ. Die Wände begangen zu erzittern, der Boden vibrierte, der Putz begann an allen Ecken hinab zu rieseln und Bilder fielen von ihrer Halterung. Das Gebäude hörte sich an, als ob es sich vor Schmerz krümmen würde. Dann ging ein Ruck durch den Raum und Tyson meinte zu spüren, dass das Haus verrutschte. Seine Vermutung sollte sich bestätigen, denn kurz darauf, begannen sich die Möbel im Raum zu verschieben und rutschten auf die Rechte Seite zum Fenster. Der Boden unter ihnen ächzte, bis er laut aufsprang und den Raum in zwei Hälften teilte. Die linke Plattform sank unaufhörlich hinab, die andere, auf der sie standen, neigte sich immer weiter zur Seite. Unglücklicherweise war Kai nicht auf ihrer Hälfte, was sie aber zu spät bemerkten. Tyson versuchte mit aller Macht nicht das Gleichgewicht zu verlieren und über den Spalt hinweg, nach seinem Freund zu greifen, doch sie trieben auseinander, als würden sie auf zwei Eisschollen im Pazifik schwimmen. Irgendwann war der Boden so schräg, das es unmöglich war, nicht ins Straucheln zu geraten. Max rutschte als Erstens aus und schlitterte schreiend hinab. Er knallte mit dem Rücken gegen die Wand und hielt sich stöhnend den verletzten Arm. Neben sich hörte Tyson Allegro aufgeregt piepsen. Die kleine Springmaus hatte sich in Rays Hemdkragen versteckt und hielt den Jungen an, nicht nachzulassen. Der junge Chinese biss eisern die Zähne zusammen. „Wir müssen Kai holen!“, rief er Tyson durch den Lärm zu. Der Boden war bereits so schräg, dass sie sich an der Spaltkante vor sich festhalten mussten, um nicht wie Max gegen die Wand zu schlittern. „Ray, hilf mir hoch!“, bat Tyson seinen Freund. Ein Nicken kam als Antwort, dann streckte er seinen freien Arm nach ihm aus. Tyson trat auf seine Handfläche und mit soviel Kraft wie er momentan aufbringen konnte, schubste ihn Ray die Kante hinauf. Oben angekommen griff Tyson nach seiner Hand, um auch ihn hinaufzuziehen. In diesem Moment kippte ihre Hälfte aber endgültig auf die Seite und ließ das Gebäude erzittern. Ray griff an Tysons Hand vorbei und rutschte auch hinab – genau auf Max, der laut ächzte: „Oh Gott! Warum immer ich?!“ „Ich habe das nicht geplant Max!“, fauchte Ray zurück. „Hey ihr beiden? Geht es euch gut?!“, rief Tyson von seiner Anhöhe hinab. „Es ging mir noch nie besser! Ich bin in einem Haus, das sich zweiteilt und mein bester Freund sitzt auf mir drauf! Ich muss ein scheiß Glückspilz sein“, schrie Max genervt hinauf. „Sieh endlich zu das du Kai holst und lass uns von hier verschwinden!“ Tyson atmete erleichtert auf und staunte nicht schlecht. Das Bild vor ihm sah seltsam skurril aus. An den Fenstern war nur Grasfläche und Erde auszumachen. Sämtliche Möbel lagen auf einem Haufen und inmitten dieses Chaos, Ray und Max – beide sichtlich angepisst. Er wandte seinen Blick durch die Umgebung und konnte dort, wo früher das Dach gewesen war, die Öffnung ausmachen, die die Bit Beast verursacht hatten. Die rechte Hälfte des Gebäudes lag nun vor ihnen wie ein Kanal. „Wartet draußen auf uns!“, wies er seine Freunde an und deutete auf den Ausstieg. Dann raffte er sich auf und kletterte allein den Weg weiter. Die linke Zimmerhälfte war schon ein beträchtliches Stück hinabgesunken. Tyson hatte alle Mühe den Abstieg schnell und ohne Verletzungen zu bewerkstelligen, da er sich noch irgendwie unbeschadet über den Spalt hangeln musste. Es war die reinste Bergwanderung, die mehr schlitternd als kletternd vonstatten ging. Als er die sinkende Plattform fast eingeholt hatte, sprang er die letzten Meter hinab, rutschte bei der Landung aber auf etwas aus und stürzte mit dem Gesicht voran in den Dreck. Fluchend rieb er sich das angeschlagene Kinn. Als er sich nach seiner Stolperfalle umdrehte, blinzelte Tyson irritiert, bis er mit einem angeekelten Schrei zurückwich. Fast unerkannt, unter einer dicken Staubschicht, lag ein menschlicher Körper. Er wirkte dünn und ausgezerrt, als wäre kein Tropfen Blut mehr in den Adern. Der Rücken war aufgerissen. Für eine winzige Sekunde spielte Tyson mit dem Gedanken, sich das Gesicht näher anzuschauen, was er aber für keinen sehr guten Einfall hielt. Das ganze Szenario wirkte wie aus einem Horrorfilm, weshalb sich also noch weitere unliebsame Erinnerungen einhandeln? Kurzerhand wandte er sich um und eilte zu Kai. Er ging vor seinem Freund in die Hocke und wunderte sich über dessen tiefen Schlaf. Für gewöhnlich wachte Kai bei der kleinsten Regung auf. Während ihrer Beybladezeit, hatte die Gruppe öfters Mal einen Gemeinschaftsschlafraum in Anspruch genommen. Wenn Max oder Tyson mitten in der Nacht mal auf die Toilette gegangen und auf dem Rückweg im Dunkeln gestolpert waren, war Kai der Erste, dem ein missmutiges Murren entwich. Ausgerechnet jetzt wurde er zum Tiefschläfer. „Wach auf Kai!“, versuchte er ihn zu wecken. „Bitte!“ Doch es kam nichts. Tyson seufzte niedergeschlagen und überlegte, wie er den bewusstlosen Jungen hinaufschaffen sollte, bis ihm ein Einfall kam. Er zog seine Jacke aus, nahm Kai auf seinen Rücken und zog sich anschließend die Jacke wieder an, sodass sein Freund zwischen seinem Rücken und dem Kleidungsstück eingezwängt war. Zuletzt zog er den Reißverschluss zu. Es war wahnsinnig eng und umständlich zu vollbringen, außerdem sah er aus wie Quasimodo, doch das kleine Kind passte gerade noch in die Jacke hinein. Für den Moment musste das reichen, sonst konnte er mit Kai auf den Armen nicht wieder hinauf klettern. Er versicherte sich noch mal, dass Kai auch wirklich nicht hinausrutschend konnte, anschließend rannte Tyson zurück und machte sich an den Aufstieg. Bald würde die Plattform das Erdgeschoss erreichen und dort wartete ein See aus Lava. Bis dahin musste er wieder oben sein. Er spürte schon die Hitze in die Zimmerhälfte kriechen. Ohne weitere Zeit zu vergeuden, setzte Tyson einen Fuß nach dem anderen und begann mit seiner Kletterpartie. Ihn trennten bereits einige Meter von der anderen Plattform und er griff nach allem, was ihm auf seinem Weg nach oben Halt gab. Hätte er hinabgeschaut, wäre ihm aufgefallen, dass bereits Lava über die Plattform rollte. Die glühende Masse griff nach der versinkenden Hälfte wie ein Schwarm Hände. Doch dabei blieb es nicht... Irgendwann meinte Tyson das Zischeln mehrerer Stimmen von unten zu hören. Er hielt für einen kurzen Moment inne und starrte argwöhnisch hinab. Dann begriff er, dass die Laute aus der Lava kamen. „Gib ihn zurück…“ „Was?!“ fragte eine Stimme in Tysons Hinterkopf, doch dann begannen sich die Lavaklumpen zusammenzufügen und es entstanden einpaar menschlich wirkende Gestalten. Vor Schreck klappte ihm die Kinnlade auf. Die Figuren erhoben sich aus der Lava, torkelten auf den Hang zu und begannen zielstrebig den beiden Jungen hinterher zu klettern. „Gib ihn zurück!“, klagte die vorderste Gestalt, während die anderen in ihr Flehen mit einstimmte. „Wir brauchen ihn! Gib ihn uns zurück!“ Dann erhärteten die Köpfe und die Gesichter wurden zu jenen Menschen, die Kai tagtäglich um sich hatte. Der grimmige Großvater, der alte Lew, die beiden Hausmädchen die dem Hiwatari Haus dienten. Alle Gesichter waren mager und ausgezerrt und flehten nach Kais Erinnerungen. Mit einem lauten Fluch auf der Zunge, legte Tyson an Tempo zu. Die Phantome kamen näher und schnappten mit ihren Fingern nach seiner Schuhsohle. Voltaires Phantom kam ihm so nah, dass er die Hitze seiner Lavahände bereits am Fußknöchel spürte – bis ein Stein den alten Großvater am Kopf traf. Der Schädel sprang entzwei, wie ein Kürbis der auf den Bordstein knallte. Die Gestalt fuchtelte kopflos mit den Händen, verlor das Gleichgewicht und stürzte die Wand hinab. Mit einem hässlichen „Platsch“ zersprang sie auf der Oberfläche und hinterließ nur eine Pfütze. „Schneller!“, hörte Tyson von oben. Max und Ray hatten seinen Rat nicht befolgt und warteten auf der oberen Zimmerhälfte. Tyson konnte nur raten, wie sie es die Wand hinaufgeschafft hatten. Sein amerikanischer Freund drängte ihn zur Eile, während Ray mit einem Stein ausholte und die nächste Kreatur direkt zwischen den Augen traf. Das machte ihm sogar sichtlich Spaß, denn er rief: „Hast du den Schuss gesehen, Max?!“ Ein ungläubiges Lachen später, setzte Tyson seinen Weg fort. Seine Freunde gaben ihm Rückendeckung, zielten nach jedem Lavaphantom, das nur ansatzweise in seine Nähe kam. Manche regenerierten sich nach einem Treffer und setzten Tyson wieder nach, doch so schnell, wie seine Freunde warfen, waren sie schon wieder zu einer Pfütze zerflossen. Voltaires Phantom war am hartnäckigsten. Doch da die Gruppe noch nie gut auf den alten Miesepeter zu sprechen war, bekam er immer zuerst einen Stein ab. Rays Stein traf den alten Mann erneut. Der wächserne Kopf zersprang und die Gestalt zerfloss vor ihren Augen. Mit einem letzten verzweifelten Schrei, formte sich noch einmal der Mund und über Voltaires Lippen schallte ein Ruf: „Herrin! Das Kind! Sie nehmen ihn mit! Haltet sie auf!“ Das Echo schallte durch die Ruine bis in den trüben Himmel hinauf. Für eine Sekunde schien alles still zu stehen. Dann hörte Tyson das schmerzerfüllte Brüllen von Dragoon und einen lauten Aufprall draußen. Das klang gar nicht gut, was auch seinen Freunden klar wurde. Max rief total hibbelig hinab: „Beeil dich Tyson!“ Allegro stand auf Rays Schulter und meinte: „Das hat sie gehört! Oh weh! Sie hat das ganz bestimmt gehört! Beeilt euch!“ Tyson griff nach Rays Hand, der schon darauf wartete, ihn hinaufzuhieven. Dann… KRACH! Die Erde bebte, als Dranzer kreischend durch die Trümmer über ihnen brach. Der Phönix musste es geschafft haben, Dragoon loszuwerden. Für eine winzige Sekunde konnte Tyson nicht verhindern, dass er sich um sein Bit Beast sorgte, auch wenn es in der jetzigen Situation unpassend war. Dranzer beobachtete indessen die Gruppe. Die Augen des Phönix glitten von einer Person zur nächsten und blieben an Tyson hängen. Dann Schrie das Bit Beast seine Wut hinaus und raste auf ihn hinab. Es hatte erkannt, wer von ihnen Kai versteckte. Ray zog Tyson hinauf und gemeinsam rutschte die Gruppe die andere Seite hinab, während das Bit Beast den Schnabel dort hinein rammte, wo sie zuvor noch gestanden hatten. Ohne weiter darauf zu achten, nahmen die Jungen ihre Beine in die Hand und rannten was das Zeug hielt. Der Lärm hinter ihnen verriet, dass sich Dranzer bereits befreit hatte. In Tysons Kopf schoss immer wieder die Bitte durch den Kopf, es noch aus dem brüchigen Gebäude zuschaffen. Der Ausstieg war noch ein ganzes Stück von ihnen entfernt, der Weg von etlichen Hürden versperrt, als der Flügelschlag des Phönix den Staub in der Ruine aufwirbelte und ihnen die Sicht raubte. Ein Sturm aus Asche und Dreck entstand. „Ray, Tyson?! Wo seid ihr?!“ hörte er Max nach ihnen rufen. Er selbst hatte vor lauter zerbröseltem Mörtel auch die Orientierung verloren. Die Rufe seiner Freunde schallten zu ihm, die wohl nacheinander suchten. Tyson torkelte in der Staubschicht umher, bis er gegen etwas lief, dass ihn zu Fall brachte. Gerade noch rechtzeitig landete er auf der Seite, bevor er Kai unter sich erdrückte. Der Dreck sammelte sich in seiner Lunge und ließ ihn gequält husten. Die Luft war pures Gift. „Tyson! Wo seid ihr?!“, schallte Rays verzweifelter Ruf durch die Ruine – es klang erschreckend weit von ihnen entfernt. „Tyson! Max! Sagt etwas!“ Rays Stimme entfernte sich immer weiter von ihnen und in Tyson brach Panik aus. Was wenn er zurück gelassen wurde? Wenn seine Freunde bereits fort waren und er zusammen mit Kai hier herumirren musste? Hustend raffte sich Tyson auf und folgte der Richtung, aus der er seine Freunde meinte zu hören. Er wollte antworten, aber die schlechte Luft hinderte ihn an seinem Vorhaben. Mehrmals brach er, inmitten der trüben Suppe, schnaufend zusammen. Irgendwann tastete sich Tyson nur noch auf allen Vieren voran. „Wenn jetzt die Wände über dir zusammenbrechen, siehst du es nicht einmal!“, verkündete eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf unheilvoll. Er mochte gar nicht daran denken. Seine Augen juckten wie verrückt und er musste dem Impuls widerstehen sie zu reiben. Mehr tastend als sehend, stolperte er durch die Ruine, bis er etwas unter seinen Fingern fühlte, was kein Beton war. Es fühlte sich schuppig und rau an und spreizte sich gegen Ende hin, wurde scharf. Als Tyson mit hochgezogener Braue weiter aufwärts griff, ertastete er weiches… Gefieder. „Oh Gott…“ Seine Hand schreckte zurück und er unterdrückte jeden weiteren Hustanfall. Der Staub lichtete sich etwas und gab den Blick, auf eine von Dranzers Klauen frei. Die scharfen Krallen klackten, bei der kleinsten Bewegung, auf dem Boden. Tyson meinte einen größer werdenden Schatten unter sich zu erkennen. Er schluckte und spähte voller böser Vorahnung hinauf – und ein funkelndes Augenpaar starrte zurück. „Ich sehe dich, Takao…“, hörte er ein Wispern, gefolgt von einem unheilvollem Kichern. * Nja, nach fast drei Monaten doch mal wieder ein Kapitel... Ehrlich gesagt habe ich mit dem Gedanken gespielt, die Geschichte endgültig auf Eis zu legen, da mir die ganze Schreiberei nach der Arbeit viel zu anstrengend wird (ganz zu schweigen von der anhaltenden Schreibblockade). Dieses Kapitel liegt schon seit Monaten auf dem Rechner, aber allein es zu überarbeiten und auf Rechtschreibfehler zu filzen hat wieder eine heiden Ewigkeit gedauert. Zu meinem Glück - obwohl, eher Unglück - lieg ich mit einer Grippe im Bett und habe endlich mal wieder etwas Zeit gefunden. Aber jedes Mal wenn ich am nächsten Kapitel dran sitze, ertappe ich mich dabei, wie ich lieber tausend andere Sachen mache - jetzt in diesem Moment suche ich nebenbei nach Schuhen für den Sommer. xD LG Eris Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)