Der Große Geist von Leschwa ================================================================================ Kapitel 1 --------- Behutsam strich er über das seidige Gefieder des Raben, der zu seiner Rechten saß. Yadais Blick lag in der Ferne, an einem Ort, den er selbst niemals betreten hatte. Unruhig wippte sein Bein auf und ab und der Vogel gab ein leises Krächzen von sich, als wolle er ihn aus seinen düsteren Gedanken reißen. "Warum musstest du zurück kommen, Gogog?" Gogog erwiderte seinen Blick und blinzelte ihn mit seinen schwarzen, runden Augen an. Yadai entfuhr ein Seufzer. Das konnte doch nicht wahr sein! Natürlich, er hatte seit Jahren gewusst, dass dieser Moment irgendwann einmal kommen würde, doch im Leben nicht hätte er gedacht, dass die Zeit so schnell an ihm vorbei ziehen würde. Noch einmal sah er zu dem Vogel, der nun auf seinem Fund im Schnee herum pickte und der bei dem jungen Mann überhaupt erst die Unruhe ausgelöst hatte. Missmutig starrte er auf das Spiel des Tiers und auf die filigran bearbeitete Goldkette an der ein Ring baumelte. "Ja genau, hack nur drauf rum. Vielleicht geht das Ding kaputt und wir müssen es ihnen nicht zeigen." Der Vogel zuckte nach oben, die Kette im Schnabel und wippte nun mit dem Kopf auf und ab, wie er es so oft tat, wenn er sich über etwas freute. Sein Bruder, ein sehr zerrupftes, wenn auch großes, Exemplar seiner Gattung, tat es ihm wie üblich nach und begann nun ebenfalls mit dem Kopf zu wippen. Wäre dieser Moment nicht so entsetzlich für Yadai gewesen, so hätte er nun lächeln müssen, doch selbst die beiden Raben schafften es nicht, ihn nun noch aus seiner Melancholie zu reißen. Kurz sog der Junge tief die eisige Luft ein und genoss das Brennen, das sie in seiner Kehle hervorrief, dann zog er sich den Fellkragen tiefer ins Gesicht, um den kratzenden Hals etwas mehr zu schützen. 'Musst es zeigen, Yadai!', kam es von Gogog. 'Dai-dai-dai-dai!', echote sein Bruder Woozooz, spreizte sein Gefieder und sah danach noch etwas gerupfter aus. Der Junge schnaubte und gab einen wütenden Fluch von sich, dann verfiel er in Schweigen und schien sich entschieden zu haben, den Schnee interessanter zu finden, als seine beiden Freunde. Schon seit Stunden saß er mit ihnen auf der eingeschneiten Lichtung, die so wunderbar still war, dass ihr eine ganz eigene Magie entsprang. Nur hin und wieder knackte ein Ast, keckerte ein Tier oder es fiel Schnee von einem der Bäume. Dass er eigentlich die Aufgabe hatte, zu jagen, hatte er schon lange vergessen und selbst wenn es ihm wieder eingefallen wäre, hätte er diese Erkenntnis wohl nur gekonnt ignoriert. Yadai wollte nicht heim. Er hatte keine Lust mehr auf das ewige Gezeter seiner Mutter und auf das Verhalten von Yael, das nur auf Aufmerksamkeit bedacht war. Yael ... Wieder einmal durchzuckte es ihn bei den Gedanken an sie, dieses Mädchen, mit dem er groß geworden war. Schon als Säugling war sie zu ihnen gekommen. Seine Mutter - die alte Hexe! - hatte das Kind vor seinen eigenen Eltern gerettet. Die alte Frau pflegte das immer wieder zu betonen, ebenso wie die Tatsache, dass Yael ihr ja ach-so-viel zu verdanken hatte. Seine Mutter war ja so heroisch! Noch einmal schnaubte der Junge. Warum musste dieses Mädchen nur so süchtig nach der Liebe dieser Alten sein? Verstand sie denn nicht? Nein ... natürlich nicht. Wie könnte sie auch? Yael war viel zu blind vor Liebe zu ihrer Familie, als dass sie einen Gedanken daran verschwendet hätte, dass sie es sich damit nur unnötig schwer machte. Dabei mochte er sie doch so sehr. Außerdem war sie der einzige Mensch, den er kannte und auch mochte. Und überhaupt das einzige Mädchen, mit dem er je geredet hatte. Missmutig starrte er auf den Schnee und einen Moment lang verweilte sein Blick auf einem grauen Klumpen, der entfernte Ähnlichkeit mit einem Stein hatte. Mit einem erneuten Schnauben holte er mit dem Fuß aus und kickte das runde Ding vor sich her und begann damit, die ganze Lichtung umzugraben. 'Yael muss gehn, auf Wiedersehn!' 'Auf Wiedersehn, auf Wiedersehn!', echote Woozooz und schnarrte freudig mit seiner brüchigen Rabenstimme. Laute Wut durchzuckte den Jungen und er schrie auf. Heißes Pochen wummerte in seinem Kopf, eine brodelnde Masse breitete sich pulsierend in seinem Magen aus und es durchpeitschte regelrecht seinen Körper bei dem bloßen Gedanken an das, was bald geschehen würde. Es war nicht aufzuhalten! Das wusste er und diese Einsicht machte es nur umso schmerzhafter für ihn. "Schnauze!", blaffte er dann und fuhr ungehalten zu den beiden Vögeln herum, die daraufhin nur ein amüsiertes Schnarren von sich gaben, sich in die Lüfte erhoben und in sicherem Abstand von ihm - in etwa zehn Metern Höhe - auf einem Ast Platz nahmen. Die Kette blitzte in Gogogs Schnabel und ließ Yadai nur noch verzweifelter werden. Verräter! Noch einmal schrie er auf, trat gegen den wattigen Schnee, der daraufhin flockig davon segelte und schloss dann die Augen. Atmete tief durch. Noch einmal und noch einmal. Und dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, da hatte er sich halbwegs beruhigt und sah wieder auf, blinzelte in das helle Licht des weißen Eises. "Wir ... wir müssen es ihnen doch nicht zeigen - oder? Können wir nicht einfach so tun, als wäre nichts passiert?" Nahezu flehend sah er hoch zu den beiden schwarzen Vögeln, die nun nachdenklich ihre Köpfe schief legten und ihn anblinzelten, als würden sie ihn heute zum ersten Mal sehen. Und sie antworteten nicht. "Ach, wisst ihr was? Ihr könnt mich mal - alle beide!" Mit einem erneuten Wutschnauben fuhr er herum, drehte den beiden Raben den Rücken zu, raffte seinen Pelzmantel und stapfte davon. Es hatte imposant wirken sollen, doch die Schritte durch den tiefen Schnee waren so mühselig und sahen so angestrengt aus, dass neuerliches Gelächter hinter ihm erklang und die Raben freudig keckerten. Wirklich frustrierend! Yael ... Wieder durchzuckte ihn das Bild des Mädchens, mit dem er so viele schöne Jahre verbracht hatte. Dass sie jetzt gehen sollte, sah er einfach nicht ein. Warum auch? War es denn zu viel verlangt, wenigstens sie bei sich zu haben, wenn ihm schon ein Leben in Einsamkeit bestimmt war? Hier einem anderen Menschen zu begegnen, war in etwa so wahrscheinlich, wie mitten in den Bergen einen Jaguar zu treffen. Hier und da wanderte ein Ork umher, man sah Gnome und ein paar Waldelfen, wenn es wärmer wurde, doch das war es auch schon. Die einzigen Leute, die hin und wieder seine Mutter besuchten, waren Gläubige aus der Stadt, die gemeinsam mit ihr Zeremonien für den Großen Geist abhielten, um seine Macht zu stärken. Der Große Geist war im Allgemeinen ein heikles Thema in diesem Königreich. Ihn anzubeten war gefährlich und deshalb musste man sich damit sehr bedeckt halten, um kein Aufsehen zu erregen. Das war auch der Grund, warum sie hier draußen in der Wildnis lebten. Denn hier gab es keine Menschen und das hieß für seine Mutter, dass hier auch keine Gefahr für den Großen Geist lauerte. Großer Geist hier, Großer Geist da. Wie ihn das alles nervte! Verdammt, er wollte nicht mehr an ihn glauben. Er war so wahnsinnig wütend auf ihn und seine dämlichen Pläne. Ohne ihn würde Yael hier bleiben und er könnte sein schlichtes Leben einfach weiterführen wie bisher. Andere Menschen wollte er nicht einmal unbedingt, denn die meisten von ihnen, die Heiden, die mochte er eh nicht. Sie kannten das Geheimnis nicht, trugen eine falsche Seele mit sich herum und verbreiteten Bösartigkeit. Das konnte er nun wirklich nicht gebrauchen. Ich könnte ... sie doch begleiten!, schoss es ihm dann durch den Kopf und er erstarrte, blieb stehen und riss überrascht die Augen auf. Aber natürlich! Augenblicklich sank er auf die Knie und neigte andächtig und dankbar sein Haupt für den Großen Geist, dem er zu Unrecht böse gewesen war. Mit Sicherheit hatte er ihm diese Eingebung zu verdanken und das wusste er sehr zu schätzen. Er würde Yael einfach begleiten, wenn sie ging, so einfach war das! Warum hatte er sich überhaupt aufgeregt? Ein leises Krächzen ertönte hinter ihm und riss ihn aus seinen Gedanken. Er musste sich nicht einmal umsehen um zu wissen, woher es kam und doch tat er es, sah zu den Rabenbrüdern und lächelte ihnen entgegen. "Kommt ruhig her, ich bin nicht mehr wütend auf euch." Wieder schnarrten die beiden und beäugten ihn mit kritischen Blicken. Scheinbar sah die Sache mit der Wut bei ihnen noch ganz anders aus. Yadai seufzte ergeben und hielt ihnen eine Hand entgegen. "Nun kommt schon, es tut mir leid. Ich hab nicht nachgedacht - ihr kennt mich doch." Doch offensichtlich hatten die beiden Spaß daran gefunden, ihn noch etwas schmoren zu lassen und begannen stattdessen, auf dem Ast herumzuwippen als sei er eine Schaukel. Der Junge musste lachen. Die beiden echoten sein Lachen mit einigen wilden Krächzern, dann schienen sie sich seiner zu erbarmen und stießen sich vom Ast ab, flogen zu ihm um seine Schultern als Beobachtungsposten zu missbrauchen und ließen ein Bild der Verwüstung hinter sich zurück. Den Rest des Weges ließen die drei schweigend hintr sich zurück und Yadai genoss die letzten Momente in Freiheit, ohne die nervende Stimme seiner Mutter und lauschte auf die Töne des Waldes. Heute konnte eines der Tiere hier sicher froh sein, noch zu leben, denn heute gab es dafür wohl für ihn und seine Familie wieder einmal nur Haferbrei. Lecker! Irgendwann, nach einer Zeit, die ihm viel zu schnell vergangen war, erreichte er schließlich sein Zuhause; ein schwarzes Loch, das ihn anstarrte wie ein Höllenschlund. Missmutig stand er vor der Höhle, betrachtete eine Zeit lang die ausgegilbten Tücher, die von den Seiten herab flatterten und das einzige Zeichen waren, dass hier jemand lebte. Leise klimperten die Windspiele aus Knochen an den Bäumen und Schnee schwebte flockig leicht auf den Boden, wie seit Tagen schon. 'Geh rein, geh rein!', drängte Gogog ihn ungeduldig und zerstörte die angenehme Ruhe um ihn herum. 'Reineineinein!, untermalte Woozooz die Aussage seines Bruders mit seinem üblichen unmelodischen Rabengesang. Abwesend sah er erst zu dem einen, dann zu dem anderen Tier, dann trat er einen Schritt nach vorne und tiefe Dunkelheit verschluckte ihn. Schon von weitem roch er den üblichen Qualm des Feuers, der nur durch den Eingang nach draußen gelangen konnte und das Innere seines Heims in der Regel in rußiges Schwarz tauchte. Nur leise hörte er den Widerhall seiner eigenen Schritte in dem schmalen Gang und einem kurzen Weg sah er vor sich die Öffnung zu dem einzigen Raum dieser Heimat ins weiche Licht des Feuers getaucht. "Ich bin wieder da", murmelte er dann leise und trat ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)