White Days von Varlet (Weiße Hoffnung) ================================================================================ Kapitel 1: C’est la vie ----------------------- Zwei lange Jahren vergingen seit Shinichi Kudo, seines Zeichen Oberschüler und Detektiv, verschwand. Keiner, wirklich keiner bekam ihn je wieder zu Gesicht. Es war, als hätte der Jüngling nicht existiert. Shinichi Kudo hinterließ keine Familie. Es gab Niemanden mehr. Die ganze Erinnerung an ihn wurde ausgelöscht. Vergangenheit? Die hatte er nicht. Zukunft? Die brauchte er nicht. Aus den Augen aus dem Sinn. Der Leitfaden des Lebens. Und trotzdem gab es jemanden, der sich an den Jüngling erinnerte. Ran Mori, Oberschülerin, Karateschülerin und Tochter eines – nur mittelmäßigen – Detektivs. Egal wie oft man versuchte ihre Erinnerungen zu löschen, jederzeit schwammen diese, wie ein Stück Dreck, an die Oberfläche. Ihre Erinnerungen, die Vergangenheit mit ihm war viel zu stark. Nicht einmal das stärkste, chemisch angefertigte, Mittel war in der Lage, diese dauerhaft zu entfernen. Verbundenheit. Liebe. Diese Schlüsselbegriffe sorgten dafür, dass Ran ihre Erinnerungen an Shinichi wieder bekam. Dabei war es besser, würde sie sich nicht mehr an ihn erinnern, sehr viel besser sogar. Doch das Mädchen war stur, auch wenn sie es nicht wollte. „Was ist nur passiert“, wisperte die Langhaarige in ihr Kissen. Am Abend vor dem ‚Jubiläum‘ des Verschwindens, saß sie am Fenster und schaute den Mond an. Und was noch wichtiger war – was passierte hier? Zu Beginn hatte sich Ran nichts dabei gedacht, als ihr Vater auf die Frage, nach Shinichi mit einem ‚Wer‘ antwortete. Ein Witz. Es musste ein Witz sein. Erst mit der Zeit verstand sie, dass er keinen Oberschüler mit diesem Namen kannte. Panisch realisierte das Mädchen, dass er keine Erinnerungen an den Oberschüler hatte. Sofort suchte sie nach alten Bildern, Geschichten, Fotos – alles was seine Existenz bewies. Der Schock traf sie im Fluge. Nichts aus der Vergangenheit existierte in der Form. Alle Fotos, Bilder und Geschichten fanden ohne Shinichi Kudo statt. Als Ran anschließend noch Yusaku und Yukiko aufsuchte, entdeckte sie, dass auch diese nirgends ihre Existenz fanden. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend verließ Ran am Abend ihr zu Hause. Sie musste Shinichi unbedingt finden. Vor allem jetzt, da zwei lange Jahre vergingen. Irgendwo musste der Junge sein. Er konnte sich nicht in Luft auflösen. Das konnte keiner. Im Flur griff die Langhaarige nach ihrer Jacke, zog sie an und verschwand raus in die Kälte. Wie schon sehr oft trieb es sie zur großen Kudo-Villa. Seit seinem Verschwinden stand sie leer. Wieder gab es irgendwelche Gründe, die das Mädchen nicht verstehen wollte. Ein anderer Familienname stand am Klingelschild. Eine Familie, die sie in der Gegend nie sah. Eine Verschwörung. Genau, das musste es sein. Fast jeden Abend kam das Mädchen her. Die Hoffnung gab sie nicht auf. Hoffnung, ihren Shinichi bald wieder zu sehen, ihn zu fragen, was passiert war und warum sich keine mehr an ihn oder seine Familie erinnerte. Sie blickte nach oben an die Fenster. Überall war es dunkel. Wieder setzte sich Ran an die Veranda des Hauses. Die ganze Zeit über wartete sie und hielt sich wach, ehe sie gegen Mitternacht einschlief. Der Stress, die Kälte und die Sorge waren zu viel für das Mädchenherz. „Sie ist wieder hier“, wisperte eine Männerstimme. Als man sich in Sicherheit wog, öffnete er die Tür. Mit einem Ruck hievte der Mann das Mädchen auf seine Arme. Er schüttelte den Kopf. „Warum muss sie auch nur immer wieder hier her kommen“, kam es von einer zweiten Stimme - einer weiblichen. „Sie gibt nicht locker“, seufzte er. „Bringen wir sie ins Labor.“ Nur noch ein Nicken. Wie schon an vielen Tagen lag Ran auf einer Trage. Das Mädchen schlief und um den Zustand dauerhaft anzubehalten, wurde sie noch mit einem leichten Narkosemittel betäubt. „Wir können nicht auf Dauer so weiter machen“, fing die weibliche Stimme wieder an. Der Junge neben ihr nickte. „Ich hätte nicht gedacht, dass sie gegen das Mittel eine Abwehr bilden kann.“ „Das war mir auch nicht klar. Je mehr wir es injizieren, desto weniger wird es wirken. Ich hab mir mal ihre Blutwerte angesehen, sie hat regelrecht Antikörper gebildet. Egal welche Dosis wir ihr diesmal geben, die Wirkung wird immer von kürzerer Dauer sein“, sprach sie. Er nickte ein weiteres Mal. „Genau wie deine Versuche das richtige Antidot zu entwickeln.“ „Irgendwann wurdest du davon Immun. Ein besorgniserregender Zustand“, antwortete das Mädchen. „Und was hast du jetzt vor?“, wollte sie von ihm wissen. „Sie wird keine Ruhe geben“, warf der Jüngling ein. Mit seiner Hand fuhr sich der Oberschüler – Shinichi Kudo – durch die Haare. „Du weißt, was passiert, wenn du ihr die Wahrheit sagst.“ „Natürlich“, nickte er. „Sie wäre wie wir in Gefahr.“ „Aber entscheide du. Sie ist schließlich deine Freundin. C’est la vie.“ „Danke. Du bist mir mal wieder eine große Hilfe“, grummelte der Oberschüler. Nachdem er Ran wieder hochhob und rüber in die Villa brachte, legte er das Mädchen in sein Bett. Schnell deckte er sie mit der Decke zu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich hoffe, du wirst du Wahrheit verstehen“, wisperte Shinichi. Da das Mädchen noch immer am Schlafen war, ging der Jüngling in das alte Arbeitszimmer seines Vaters und vergnügte sich die Zeit bis zum Aufwachen mit einem Buch. Es war besser so. Die Wahrheit würde es ihr leichter machen. Auch wenn es so nie geplant war. Eigentlich war die Idee von Haibara gut. Kaum das richtige Antidot entwickelt, verwandelte sich Conan Edogawa zurück in den Oberschüler. Und was dann? Ai selber wollte sich noch nicht zurück verwandeln. Sie fühlte sich nicht sicher in ihrer richtigen Gestalt. Aber wie sollten sie sonst gegen die Organisation angehen? Da Ai es schon einmal schaffte ein Schrumpfmittel zu entwickeln, das Gegenmittel zu synthetisieren, konnte der nächste Schritt wohl auch nicht lange auf sich warten lassen. Ein Mittel, welches die Erinnerungen der Menschen an eine bestimmte Person auslöschen konnte. Was für eine Idee. Eine Schnappsidee. Ja, genau, das hatte er ihr damals gesagt. Damals. Viel Zeit verging, ehe der Oberschüler seiner guten Freundin recht gab. Ohne die Erinnerungen an ihn konnten die Mitmenschen besser leben. Sie würden nicht mehr an ihn denken und wären aus der Gefahrenzone heraus. Und so fing Haibara schnell mit ihren Forschungen an. Binnen mehrerer Monate war das Mittel synthetisiert. Einiges gab es als Injektion direkt an die Bekannten und geliebten Menschen, das andere in Tablettenform, um es jemanden unterzujubeln. Natürlich mussten sie vorsichtig sein. Doch als Conan hatten beide Zugang bei den Moris. Was für ein Glück. Nur Ran spielte nicht so mit wie es geplant war. Stunden später wachte die Langhaarige auf. Wo war sie? Schnell blickte sie sich um, erkannte, dass es nicht ihr eigenes Zimmer war. Sofort stand das Mädchen vom Bett auf. Erst bei näherer Betrachtung, und vor allem dank des Lichtschalters, erkannte sie in wessen Zimmer sie sich befand. „Shinichi“, stieß das Mädchen aus. Ohne weiter darüber nachzudenken, lief sie aus dem Zimmer heraus. Ihr Weg führte sie den Flur entlang, wo sie schließlich ein Zimmer erblickte, aus dem Licht schummerte. „Shinichi“, rief Ran wieder. Mit einer schnellen Bewegungen und einem hastigen Karatetritt überwand sie die Tür. Und dann sah sie ihn. Shinichi saß auf dem Stuhl seines Vaters, den Kopf auf den Tisch geneigt, schlafend. Aber er war da. Ihr Shinichi. „Shinichi“, wisperte die Langhaarige seinen Namen ein drittes Mal. Mit schnellen Schritten machte sie sich auf den Weg zu ihm. Er war es. Er war tatsächlich da – als hätte er auf sie gewartet. Die Tränen rannen über das Gesicht des Mädchens. Sie war so froh, glücklich, einfach nur glücklich. Ohne sich was zu denken, stellte sie sich an die Seite des Stuhls und umarmte den Jungen. Ihr Kopf lag an seinem Rücken, während die Tränen seinen Pullover fluteten. Aber das war egal. Er war hier. Wieder bei ihr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)