On Life's Edge von Votani (Whitebeards Söhne) ================================================================================ Kapitel 1: Survival Heart [1] ----------------------------- Die Explosion erschütterte die gesamte Gegend. Sie ließ die Erde rütteln. Sie schallte von den Wänden dreckiger Gassen wieder. Sie machte die Nacht zum Tag. Sekundenlang. Für einen einzigen Herzschlag. Danach herrschte abrupte Stille, eine Totenstille. Jeder, ob nun Tourist oder Einheimischer, hielt den Atem an, setzte das Herz aus. Sekundenlang. Für einen einzigen Augenblick. I Ace brach aus dem Schutt heraus. Die Nacht war dunkel und Flammen, die hier und da an Trümmern leckten, boten das einzige Licht. Er sah sich um, während eine erdrückende Stille um ihn herum herrschte. Einen Moment glaubte er fast sein Gehör eingebüßt zu haben, doch dann hörte er sich selbst husten, als Staub und Rauch in seiner Kehle kratzten. Jeder Atemzug rasselte und stach. Eine seiner Rippen machte sich ebenfalls schmerzend bemerkbar. Trotz allem schleppte er sich einige Schritte vorwärts und stolperte über die Überbleibsel ihres Hauptsitzes. „Thatch?“, rief er aus, seine Stimme kratzend und eine Mischung aus Verzweiflung und Wut. Der Rauch brannte in seinen Augen, ließ sie tränen und dennoch meinte er eine Gestalt, wenige Meter von ihm entfernt, ausmachen zu können. Mit raschen Schritten, mehr strauchelnd als alles andere, überbrückte er den Abstand und hievte den Holzbalkon von ihr herunter. „Thatch!“ Ace sank auf die Knie und rüttelte an der Schulter seines Freundes. Eine Wunde klaffte an dessen Schläfe und Blut, im Dunkeln eher schwarz als rot, verklebte seine Haare. Wenn ihn die Explosion nicht umgebracht hatte, dann würde es wohl seine durcheinander geratene Frisur tun. „Thatch, hey, wach auf!“ Dieser begann sich zu regen, wobei Schmerz über sein Gesicht blitzte. „Was ist... passiert?“ „Später“, war alles, was Ace erwiderte, als er den Braunhaarigen umständlich auf die Beine zog. In der Ferne konnte man unterdessen Sirenen heulen hören. Um zu wissen, dass sie auf den Weg hierher waren, musste Ace nicht näher hinhören. „Wir müssen Paps und die anderen finden!“ Damit stolperte er bereits weiter, doch Thatch hielt ihm am Arm zurück. Diesmal war es nicht physischer Schmerz, den Ace auf seinem Gesicht ablesen konnte, als er angepisst über seine Schulter zurücksah. „Wir wissen gar nicht, wo wir anfangen sollen!“, gab Thatch zu bedenken. „Guck’ dich um, das hier ist das reine Schlachtfeld und-“ „Nein“, fuhr der Schwarzhaarige ihm zornig über dem Mund und riss sich los. „Paps lebt!“ Er musste leben! Zwar sagte sein Verstand ihm, dass das beinahe unmöglich war, da die Explosion eindeutig vom Zentrum des Hauses ausgegangen war und sie sich glücklich schätzen konnten, sich nahe des Eingangs befunden zu haben, doch das musste nichts heißen. Absolut nichts. „Ich mein’ ja nur...“, gab Thatch zurück, als beide den Schutthaufen herunter stolperten. Als sie gerade den ersten Fuß auf die Straße setzten, die ebenfalls von Teilen des Gebäudes getroffen worden war, zerschnitten Scheinwerfer mitsamt Blaulicht die Dunkelheit. Instinktiv duckten sich beide hinter einen Steinbrocken, der aussah als gehörte er einst zur Decke von Whitebeards Villa. Schweigend sahen sie zu wie der Polizeiwagen an ihnen vorbeifuhr. Er hatte die Geschwindigkeit verlangsamt und wich dem Schutt so gut es ging aus. Ab und an konnte man aber etwas unter den Reifen knirschen hören, ehe das Auto bereits wieder von der Dunkelheit verschluckt wurde. „Folgen wir ihm“, konnte Ace sich sagen hören. Es war viel mehr ein Instinkt, als ein einfacher Gedanke, der ihm durch den Kopf ging. „Was? Spinnst du?“, presste Thatch zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, als er mit dem Ärmel seines Hemdes das Blut von seiner Schläfe tupfte. Doch Ace hörte ihn nicht mehr, sondern rannte bereits in die Richtung, in die der Polizeiwagen verschwunden war. Fluchend stolperte Thatch ihm hinterher. Abgesehen von den fernen Sirenen war es so still, dass jeder einzelne Schritt auf dem Asphalt hörbar war. Genauso verhielt es sich mit ihrem keuchenden Atem, als sie schließlich auf der anderen Seite der zerstörten Villa ankamen. Dort standen zwei Polizeiwagen. Ihr Blaulicht erleuchtete stumm die Umgebung und Stimmengewirr wurde an ihre Ohren getragen, als sie sich hinter einigen Büschen versteckten. „Hey, da ist Marco!“, flüsterte Thatch aufgeregt und stieß Ace den Ellenbogen in die Rippen, das dieser das Gesicht verzog. „Sie verhaften ihn! Was machen wir denn jetzt?“ Panik schwang in seiner Stimme mit, aber Ace konnte es ihm nicht verübeln. Nicht unter diesen Umständen. Suchend sah er über seine Schulter, als erwartete er, dass Whitebeard jeden Moment auftauchte, dass er am Leben war. Doch da war kein Whitebeard und auf etwas zu hoffen, was nicht eintrat, half ihnen jetzt auch nicht weiter. Nein, deswegen zwang er sich wieder zu Marco und den Polizisten herüber zu schauen. Einer der beiden legte dem Blonden Handschellen an und der andere hob Marcos Bodyguard38 vom Boden auf. „...und wird gegen sie verwendet werden“, konnte Ace den Einen sagen hören, als er Marco auf die Rückbank seines Wagens verfrachtete. Das übliche Geplänkel – und trotzdem spürte Ace Wut in sich hochkochen. Die Polizei dachte doch garantiert, dass ihr alter Herr tot war, dass sie es sich wirklich wagten gegen seine Söhne vorzugehen, obwohl sie einen Deal hatten. Verdammt noch mal! II Das Metall der Handschellen biss in Marcos Handgelenke, als er austestete, ob er sich nicht doch befreien konnte. Daran geglaubt hatte er jedoch nicht, weshalb ihn der Schmerz nicht überraschte. Gerade spielte er mit dem Gedanken einfach seine Gelenke soweit aufzuscheuern, dass er sein Blut benutzen konnte, um vielleicht doch seinen Fesseln zu entkommen, als ein Schuss ihn zusammenfahren ließ. Sein Kopf ruckte zur Seite und er sah aus der getönten Scheibe des Polizeiwagens hinaus auf die Straße. Auf dieser klappte einer der Polizisten zusammen. Der andere zog seine Pistole hervor, doch ein weiterer Schuss riss sie ihm aus der Hand, ließ ihn ebenfalls zu Boden stürzen. Marcos Nase berührte das Glas, als er sich anstrengte, um in der Dunkelheit den Schützen ausmachen zu können. Das war doch garantiert einer seiner Leute! Wer sollte es sonst sein? Als wollte ihm jemand seine Frage beantworten, trat Ace in sein Sichtfeld. Seine Gestalt war nur ein Schemen, doch Marco kannte jedes Detail an ihm, so dass er ihn auch unter Hunderten an Schatten heraus erkannt hätte. Zwar blieb ihm sein Gesichtsausdruck verwehrt, doch er konnte dessen Remington in seiner Hand erkennen. Ihr Lauf war auf den noch lebenden Polizisten gerichtet, der waffenlos in seiner Haltung eingefroren war und nun seinen Arm hielt. Inzwischen kam jemand auf den Wagen zugerannt und öffnete die Autotür. „Thatch“, entwich es Marco mit einem Hauch von Erleichterung. Zwar war er nach der Explosion ziemlich desorientiert gewesen, doch es war nicht an ihm vorbei gegangen, dass das ein Haufen Verluste für sie bedeuten würde. Ein Haufen guter Männer war dabei drauf gegangen. Vielleicht sogar Paps – obwohl er daran nicht denken wollte! Nein, Marco war gerade auf der Suche nach seinem alten Herrn gewesen, als diese zwei Witzbolde ihn überrumpelt hatten. „Halt still und ich muss dich nicht erschießen“, warnte Ace den Polizisten unterdessen. „Thatch, Ace, seit ihr okay?“, entrann es Marco mit kratziger Stimme. Er schob sich vom Sitz und damit aus dem Wagen. „Du solltest dir lieber um dich selbst Sorgen machen“, konterte Ace und zwang sich ein Grinsen auf. „Immerhin wurden wir nicht gerade verhaftet.“ „Ach, halt den Mund!“, murrte Marco. Der Polizist sah nur zwischen ihnen hin und her, schlau genug um keinen Ton von sich zu geben. Ausnahmesituation hin oder her, sie waren immer noch Whitebeards Söhne. Doch inzwischen waren in der Ferne weitere Sirenen zu hören, die Marco klar machten, dass sie nicht länger hier bleiben konnten. Nicht, wenn sie so nah waren und sie dermaßen unterlegen. Unter Umständen wäre er geblieben, doch hierbei stand mehr auf dem Spiel als nur sein eigenes Leben. „Die Schlüssel für die Handschellen“, wandte Marco sich an den Polizisten. „Und meine Pistole.“ Dieser schob zitternd eine Hand in die Hosentasche, zog seinen Schlüsselbund hervor und warf ihn Marco vor die Füße. Anschließend folgte seine schwarze Bodyguard38. Thatch bückte sich, um beides aufzuheben. Die Sirenen schwollen derweil an und blaues Licht flutete die Straße in der Ferne. „Ab ins Auto!“ Marco nickte in Richtung des Polizeiwagens. „Thatch, du fährst!“ Der Braunhaarige rannte um den Wagen herum, bevor Marco ihn daran erinnern konnte, dass er noch immer Handschellen trug. Auch gut, Marco nahm an, dass die nicht wegrennen würden. Sollten sie hier noch länger verweilen, hätte man ihm sowieso ein zweites Paar angelegt. „Ace!“, zischte er, als er mit einem Bein wieder im Auto war, aber bemerkte, dass der Schwarzhaarige sich kein Stück bewegt hatte. Sein Blick wandte sich den auftauchenden Polizeiwagen zu, dann kehrte er zu Ace zurück. „Ace, verdammt, komm’ jetzt!“ „Und was ist mit den Jungs? Paps?“ Marco konnte einen Hauch Hilflosigkeit aus der Stimme seines Freundes heraushören. Eine, die er kannte und teilte und... herunterschluckte. „Du weißt, was wir in solchen Fällen tun.“ Ace zögerte, doch rannte dann auf sie zu und stieg in den Wagen. Der Motor dröhnte, als Thatch das Gaspedal durchdrückte. Die Reifen quietschten, als sie wendeten und in die Nacht davon fuhren. Marco beobachtete die anderen Polizeiwagen durch die Rückscheibe, doch anstatt sie zu verfolgen, hielten sie an Ort und Stelle. Allerdings hieß das gar nichts. In nicht weniger als einer Minute würde bestimmt eine Warnung über ein entwendetes Polizeiauto über Funk herausgegeben werden. Dessen war sich Marco sicher. III Kurz nachdem die Meldung über den Polizeifunk kam, parkten sie den Wagen in einer engen Gasse im Zentrum von Key West. „Mach’ mich los, Thatch!“ Marco klirrte mit den Handschellen, als sie das Ende der Passage erreichten und auf die verlassene Hauptstraße hinaus sahen. „Klar.“ Der Braunhaarige zog die Schlüssel hervor, um sie aufzuschließen. „E-Es geht nicht.“ „Was meinst du mit ‚es geht nicht’?“, fauchte Marco. „Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, Thatch. Ace, helf’ diesem Trottel!“ Der Schwarzhaarige schob sich hinter Marco, um Thatch den Bund aus der Hand zu nehmen. Doch Ace musste feststellen, dass Thatch es ziemlich genau auf den Punkt gebracht hatte. Er besah sich die Schlüssel näher, ehe er Marcos Hinterkopf musterte. „Ich würde sagen, der Typ hat uns verarscht“, bemerkte er dann. In einer anderen Situation hätte er das sogar ziemlich erheiternd gefunden, aber nicht unbedingt hier und jetzt. „Der Schlüssel passt nicht, Marco.“ „Was zum Teufel...?“ Doch Ace schnitt ihm das Wort ab, indem er seine Hand auf die Schulter seines Freundes legte. „Dann müssen wir eben einen anderen Weg finden. Lass uns erst mal zum Grandline weiter.“ Daraufhin schwieg Marco, doch Ace nahm an, dass es nur daran lag, dass er keine große Wahl hatte und nicht, weil seine Worte ihn in irgendeiner Weise beruhigten. Den Rest des Weges setzten sie zu Fuß fort. Sie hielten sich in den Schatten und tauchten in Türrahmen und um Häuserecken weg, sobald Wagen- oder Blaulichter das Dunkel zerschnitten. Es war rein instinktiv und bedurfte keiner Worte. Nein, das war nur ein simpler Reflex, der einer der Gründe darstellte, dass sie überhaupt noch unter den Lebenden weilten. Wer den nicht besaß, konnte sich auch selbst die Kugel geben. Und trotzdem verabscheute Ace den Gedanken an Flucht, an Rückzug, anstatt den Scheißkerlen mal zu zeigen, wo der Hammer hing. Dann hätten sie wenigstens nach den anderen, nach ihrem alten Herrn suchen können. Aber so...? Ace kam sich vor, als verriet er sie, als ließ er sie im Stich und zum Sterben zurück. Aber vielleicht waren sie auch bereits tot? „Du willst das echt durchziehen?“, unterbrach Thatch seine trüben Gedanken mit wispernder Stimme. Der Parkplatz des Grandline war inzwischen in Sicht gekommen und lag still vor ihnen. Es befand sich weit genug entfernt, so dass die Explosion in der Ville vermutlich in der lauten Musik und dem Partyleben im Inneren untergegangen war. Diesen Anschein hatte es auf Ace zumindest, als er das kastenförmige Gebäude mit der roten Leuchtreklame in Augenschein nahm. „Was sonst?“, murrte Marco neben ihm. Aus seiner Stimme konnte Ace heraushören, dass ihm das genauso wenig passte wie ihnen. „Solche Pläne wurden nicht gemacht, damit wir sie über Bord schmeißen, wenn solch eine Ausnahmesituation eintreten sollte.“ Ace betrachtete den Blonden stumm von der Seite, als sie am Rand des Platzes unter einigen Bäumen standen. Autos standen nur wenige dort, weil die meisten zu Fuß von den Hotels in der Nähe gekommen waren, um sich mal ordentlich unter den Tisch zu trinken. Das Grandline war nicht umsonst das bestbesuchteste Lokal des Ortes. Nein, die Getränke und das Ambiente waren ziemlich beliebt und einladend. „Wer, denkst du, steckt dahinter?“, warf Ace ein. In seinem Gesicht stand geschrieben, dass derjenige es bitter bereuen würde, Hand gegen sie erhoben zu haben. So etwas machte man nur ein Mal, weil man ein zweites Mal keine Hand zur Verfügung hatte. „Ich weiß es nicht“, gab Marco schließlich im nachdenklichen Ton zurück. „Die Bombe scheint irgendwo im Zentrum der Villa losgegangen zu sein. Entweder jemand war wirklich gewieft, dass er es ins Innere geschafft hat – und das trotz unserer Sicherheitsvorkehrungen – oder...“ Doch er beendete seinen Satz nicht. Das brauchte er auch nicht, Ace wusste auch so, was er hatte sagen wollen. Anhand von Thatchs geschocktem Gesichtsausdruck wurde ihm klar, dass es auch an diesem nicht vorbeigegangen war. „Aber spekulieren wir nicht. Lasst uns erst mal weiter, wir kriegen schon raus, wer dahinter steckt.“ Keiner sagte mehr etwas dazu, als sie alle drei mit raschen Schritten über den Platz gingen und sich durch die Tür ins Innere des Grandline schoben. Die Bar roch nach Alkohol und Rauch. Laute Musik spielte über Boxen in den Ecken und die Tische waren bis auf den letzten Stuhl besetzt. „Thatch, gib’ mir mal dein Hemd“, entrann es Marco, der diesem einen Ellenbogen in die Seite stieß. Ace sah zu, wie der Braunhaarige das weiße Hemd auszog und Marco es nahm, um die Handschellen zu bedecken. „Ich geh’ mal die Schlüssel holen“, bemerkte er dann und schob sich durch die feiernde Meute hindurch. Im Augenwinkel beobachtete er, wie Marco und Thatch sich den Weg zum Hinterausgang suchten. „Hey, Makino“, meinte er lächelnd an die Barkeeperin gewand, als er schließlich den Tresen erreichte und sich dagegen lehnte. „Den hinterlegten Schlüssel, könntest du mir den holen gehen?“ Sogleich zeigte sich ein besorgter Ausdruck auf ihrem Gesicht, das von kurzen, grünen Haaren umrahmt wurde. Sie musterte ihn, nahm den Schmutz in Augenschein, der an ihm klebte. „Keine Sorge, ist alles in Ordnung“, log er, ehe sie nachfragen konnte. Der Kerl, der neben ihm auf dem Barhocker saß, sah ihn neugierig von der Seite an, doch Ace ignorierte ihn. Seine Fahne konnte man bereits zehn Meilen gegen den Wind riechen, dass er sich lediglich etwas weg lehnte. Inzwischen verschwand Makino im Hinterzimmer. Ace warf einen Blick zur Tür und seine Finger tippten gegen das Holz des Tresens. Die anderen waren noch am Leben, nicht wahr? Sie mussten einfach! Sie konnten doch nicht die Einzigsten sein. So viel Glück konnte und wollte Ace nun auch nicht haben. Bei weitem nicht. Nein, wenn er die Wahl hätte, würde er sofort sein Leben gegen Whitebeards eintauschen. Oder gegen Vistas und jeden anderen der Jungs. Wut und Hilflosigkeit verknoteten seine Gedärme, dass er am liebsten wieder hinausgestürmt wäre, um zu Whitebeards Villa zurückzukehren. Doch Marco hatte recht, sie hatten für solche Situationen geplant und die Pläne waren nicht umsonst. Sie taten das Richtige, das versuchte er sich wenigstens krampfhaft einzureden. Dabei schrie alles in ihm, dass es falsch und falsch, absolut falsch war! „Hier“, riss ihn Makino wieder in die Realität zurück. Sie reichte ihm den Anhänger mit dem Autoschlüssel daran. „Danke, du bist eine Lebensretterin.“ Er grinste und schob sich ebenfalls zur Hintertür. IV Die Hintertür führte zu den Mülltonnen auf der Rückseite des Lokals. So sehr für Kunden auch der Zutritt verboten war, störte es doch weder Makino noch den anderen Barkeeper an diesem Abend, dass Marco, Thatch und Ace durch sie nach draußen verschwanden. Es war bei weitem nicht das erste Mal. „Da drüben steht er“, murmelte Thatch und deutete mit einer Handbewegung auf den alten Ford, der unter einigen Eichen und hinter einigen Pappkartons stand. Wer nicht wusste, dass er sich dort befand, würde auch nicht nach ihm suchen – so war es auch gedacht gewesen. Genauso verhielt es sich mit den anderen verbeulten und alten Wagen, die überall auf Key West verteilt standen und für Situationen wie diese gedacht waren. In diesem Business sollte man eben wissen, wann es Zeit war sich aus dem Staub zu machen, um mit heiler Haut davonzukommen. Wer diese Einsicht nicht hatte, wurde meistens über den Haufen geschossen, ehe er nur einen Gedanken an seine letzten Worte verschwenden konnte. „Lasst uns gehen“, murrte Marco, nachdem er den Blick über die Umgebung hatte wandern lassen, aber nichts Auffälliges entdeckt hatte. Da war nur Dunkelheit und Geräusche aus dem Grandline und Büsche und Bäume, welche die Sicht auf die Straße fast gänzlich einschränkten. Gefolgt von Thatch und Ace ging er auf den Ford zu. Der Schwarzhaarige schloss den Kofferraum auf, um die zwei Reisetaschen zu überprüfen. Die eine mit einem Haufen Waffen gefüllt, die andere mit anderem Kram, der nützlich sein könnte. Allerdings war da nichts dabei, womit man diese verdammten Handschellen loswerden konnte, stellte Marco zähneknirschend fest. Sah aus, als würde er noch eine Weile damit herumlaufen müssen. Inzwischen reichte Ace Thatch zwei weitere Magazine für seine Berettas, die links und rechts unter seinem Shirt in Halftern an seinem Gürtel hingen. Dann steckte er selbst ein Magazin ein, ehe er die Verkleidung des Wagens an der Seite öffnete und eine Karte hervorzog. Als Ace sie ausklappen wollte, umfasste Marco das Handgelenk des Schwarzhaarigen. „Wir müssen nach Buford, Georgia“, erklärte er, da er selbst es gewesen war, der auf Whitebeards Befehl hin, dort ihr Versteck ausgesucht hatte. Er war es, der den Vertrag mit falschen Namen unterschrieben hatte und der das Haus bar auf die Kralle bezahlt hatte, dass dem Makler beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen waren. „Lasst uns erst mal Abstand zwischen Key West und uns bringen.“ „Hast recht“, erwiderte Thatch und schaute über seine Schulter. „Ich hab’ ein schlechtes Gefühl, Jungs.“ Sie waren noch immer alleine, aber Marco wusste, was er meinte. Auch ihm erging es nicht anders. „Du hast doch nur Schiss“, stichelte Ace, als er den Wagen umrundete, um sich ans Steuer setzen zu können. Thatch und Marco traten auf die andere Seite. Gerade als Marco die Autotür aufziehen wollte, zerrissen Schüsse die Nacht. Alle drei duckten sich hinter den Wagen hinweg, als ein Kugelhagel über sie hereinbrach. Im Grandline war unterdessen jedes Geräusch verstummt. „Was zum Teufel...?“, entwich es Marco, nur unterbrochen von eingeschalteten Autoscheinwerfern, die von der Straße her rührten. Wie lange hatte der Wagen dort gestanden? Und wie verflucht noch mal war es möglich, dass keiner von ihnen ihn bemerkt hatte? Umständlich zog Marco seine Bodyguard hervor, während eine Kugel links von ihm in den Wagen einschlug. Ace und Thatch schossen bereits zurück, nebenbei schob sich der Schwarzhaarige durch einen Spalt ins Auto. Der Motor ging an, doch die fallenden Schüsse überdröhnten ihn, jeder einzelne hallte durch die Gegend. „Thatch, gib’ uns Deckung!“, zischte Marco über den Krach. Er schoss einmal an der Seite des Wagens vorbei, ehe er mit seinen gefesselten Händen ins Auto kletterte. Mit Marco mehr auf der Rückbank liegend als sitzend, setzte Ace inzwischen den Rückwärtsgang ein. Langsam rollte der Wagen in die Richtung ihrer Angreifer, während eine Kugel die rechte Seite des Rückfensters heraus schlug. Thatch, noch immer geduckt, folgte ihnen. Er schoss über das Autodach hinweg und sprang ins Innere, als Ace den Ford gewendet und ihm die Tür geöffnet hatte. Dann drückte er das Gaspedal durch und Marco wurde tiefer in den Sitz gedrückt. Nur mit Mühe setzte er sich auf und ließ den Lauf seiner Bodyguard auf der Lehne der Rückbank ruhen. Auf Knopfdruck schaltete sich der rote Laser ein, der sich über der Trommel befand. Damit war es trotz gefesselter Hände für Marco ein Kinderspiel, den Wagen, der nun hinter ihnen die Straße herunterbretterte, anzuvisieren. Die rucklige Fahrt sowie das fehlende Licht trugen jedoch dazu bei, dass seine Schüsse trotz allem nichts weiter als vage blieben. Kugeln schlugen laut in den Wagen ein, so dass Marco den Eindruck bekam, dass er ihnen jeden Moment um die Ohren fliegen müsste. Vorne bei Ace zerschlug eine Patrone den Seitenspiegel. „Thatch, übernehm’ das Steuer!“, konnte er ihn schreien hören. Wut schwang in seiner Stimme mit. „Mach’ keinen Unsinn!“, schnauzte Marco zurück. Er sah zu wie Thatch seinen Waffenarm vom Fenster hineinzog und beide die Plätze tauschten. Schon das alleine war Selbstmord, da beide anstatt den Kopf unten zu lassen, gleich ihren gesamten Körper als Zielscheibe anboten. Nur gut, dass es dunkel war und ihre Angreifer vermutlich genauso wenig sahen wie sie selbst. Andererseits... hatten sie genug Sicht gehabt, um sie dort auf dem Hinterhof an ihrem Wagen zu entdecken, dort auf sie zu warten und auf sie trotz eingeschränkter Sicht auf sie zu schießen, Zentimeter von dem Ort, an dem sie gestanden hatten. „Runter, Ace!“, brüllte er, was Ace in seiner Haltung einfrieren ließ, als würde er nicht verstehen. „Runter, verdammt! Die Typen haben Nachtsichtgeräte! Du bist-“ Doch der Rest seiner Worte blieb ihm in der Kehle stecken, drohte ihm die Luft abzudrücken, als ein weiterer Schuss in seinen Ohren schallte und Ace sich keuchend die linke Seite hielt. Trotz der Dunkelheit konnte Marco das schwarze Blut zwischen seinen Fingern hervor quellen sehen. Der Junge trug immerhin nur ein loses Hemd um die Schultern, wie er selbst auch. „Verflucht“, entwich es diesem, als er auf den Beifahrersitz sank. Der Ford machte einen gefährlichen Schlenker, als Thatchs Blick auf Ace ruhte, anstatt auf der Straße. Gerade noch rechtzeitig und mit quietschenden Reifen meisterten sie die enge Kurve, die sie auf die US1 brachte. Es war der berühmte Overseas Highway, der von Key West direkt zurück nach Miami führte. Er wurde auch der Highway der Träume genannt. Sie fuhren an Palmen und Buchten entlang, bretterten über die erbaute Straße direkt über das Meer hinweg, das sich wie ein schwarzer Abgrund unter ihnen auftat. Sie brausten unter dem sich heller färbenden Himmel hinweg, der den Morgen ankündigte. Erst das ließ die Realität wieder über Marco hereinbrechen, ihn bemerken, dass man noch immer auf sie schoss, dass man sie noch immer verfolgte, dass es nichts brachte, sich um Ace zu kümmern, wenn sie alle draufgehen würden, sollten sie ihre Verfolger nicht loswerden. Marco wandte sich ab und begann blind über die Lehne der Rückbank zu schießen, wo zwei kegelförmige Lichter ihnen an der Stossstange klebten. Tbc. Kapitel 2: Survival Heart [2] ----------------------------- V „Hier, press’ das auf die Wunde!“, stieß Marco aus, als er sich nach vorn lehnte und Ace Thatchs Jacke herüber gab. Und obwohl sie sich gerade in einer beschissenen Situation befanden und Schmerz seine Nervenstränge unter Strom setzte, konnte Ace trotzdem die unausgesprochenen Worte dahinter vernehmen. Er kannte Marco mittlerweile eine Weile zu lang, um sich nicht denken zu können, was in etwa durch den Kopf des anderen ging. Zumindest in manchen Hinsichten. Es war nicht schwer sich vorzustellen, dass Marco ihm für die Aktion am liebsten den Hals umgedreht hätte. Und dabei stand Ace viel mehr darauf, wenn er ihn küsste. „Danke“, presste er heraus, als er den weißen Stoff auf die Schusswunde drückte und die Augen zusammenkneifen musste, als eine erneute Welle Schmerz wie ein Blitz durch seinen Körper zuckte. Thatch lenkte den Wagen derweil an einem Truck vorbei, der über den Highway tuckerte. Dieser ging von Wasser auf Land über und führte im Gegensatz zu den anderen Inseln direkt durch das Innere von Key Vacoma. Bäume, Sträucher und gestutztes Gras ließ das Wasser und die Sonne, die sich vor den Horizont schob, aus ihrer Sicht verschwinden, umso mehr sie sich von der Küste entfernten. Kurz waren ihre Verfolger verschwunden, tauchten dann direkt neben ihnen auf. Der Kugelhagel zerschlug die Seitenfenster, unter denen sie sich hinweg duckten. Der Ford kam von der Straße ab und fuhr ruckelnd den Abhang herunter. Ein schmaler Baum hinderte ihre Weiterfahrt, als sie mit der Motorhaube dagegen knallten. Alle drei wurden nach vorne geschleudert, nur gehalten von den Gurten. Dann herrschte Totenstille, als der Motor den Geist aufgab. „Scheiße!“, entwich es Thatch, als die Lichter des anderen Wagens sie zu blenden begannen, als er den Hügel herunter manövrierte und ihnen Scheinwerfer im Rückspiegel begegneten. Das war wie ein Katz- und Mausspiel. Ace beobachtete das näherkommende Auto im Seitenspiegel, beobachtete wie die schwarzen Türen sich öffneten, Gestalten dahinter Schutz suchten, aber Pistolen über den Rand in ihre Richtung zeigten. „Ich hab’ einen Plan, aber keine Munition mehr“, entwich es Marco leise vom Rücksitz. „Ihr Spatzenhirne habt ja nur an euch gedacht.“ Die Tonlage versicherte Ace, dass Marco tatsächlich einen Plan hatte, was ihn grinsen ließ. Die Hand, die er nicht auf seine Wunde presste, hob die Remington an ihrem Lauf von seinem Schoß. Er hielt sie Marco zwischen den Sitzen entgegen, ohne sich umzudrehen. Als er sie ihm abnahm, ließ er auch das eingesteckte Magazin folgen, wobei keiner sich mehr als nötig bewegte, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sollten diese Typen – wer auch immer sie waren – ruhig glauben, sie ausgeschaltet zu haben. „Thatch, erinnerst du dich an den Autowaschsalon, wo ich meinen Mustang immer hinbringe?“, fragte Marco. „Ja, der ist Downtown“, wisperte Thatch zurück, als hätte er Angst, dass diese Kerle sie hören konnten. „Haben die überhaupt schon offen?“ „Bis wir dort sind schon. Fahr’ uns dahin. Du musst sie nur vorher kurzzeitig loswerden, damit sie nicht sehen, wie wir den Wagen gegen einen anderen tauschen und reinfahren.“ Das klang logisch, musste Ace feststellen. Kurz betrachtete er die kaputten Scheiben des Wagens, da war ein anderer wohl besser, um sich in einer Waschanlage zu verstecken. Typisch Marco eben, fast alles, was er sagte war stets wohlüberlegt und hatte Hand und Fuß. Da gab es nur einen Punkt, der ihn störte. „Anstatt diese Typen einfach zu erledigen, willst du lieber wegrennen und dich verstecken?“, hakte er nach, hielt aber auch weiterhin die Augen geschlossen. Zwar wusste er, dass er hier praktisch auf dem Sitz ausblutete, aber trotzdem würde er lieber kämpfend untergehen als von einer Schusswunde dahingerafft zu werden. „Was denn sonst?“, zischte Marco. „Wir sind nicht grad in der besten Lage, du Trottel.“ Dann drangen leise Stimmen an ihre Ohren. Ace drehte den Kopf sachte zur Seite, um aus dem Augenwinkel heraus zu sehen, wie sich eine Gestalt mit erhobener Pistole auf ihren Wagen zu bewegte. „Ich denke, Marco hat recht“, bemerkte Thatch, doch Ace widersprach nicht mehr. Stattdessen verweilte er in seiner Position, während Marco auf der Lauer lag und auch Thatch lautlos eine seiner Berettas aus dem Halfter zog. Ein leises Klicken ertönte, als er sie entsicherte, unmöglich bis nach draußen zu vernehmen. Die nächsten Sekunden streckten sich zu Minuten, zu einer halben Ewigkeit. Marco brauchte nur eine Kugel, um den Kerl auf halben Weg leblos zu Boden fallen zu lassen. Dessen Finger drückte reflexartig den Abzug, Schüsse flogen wild um sie herum. Thatch startete den Motor, nur damit sie feststellten, dass er nicht funktionierte. „Verdammte Scheiße!“ „Mach’, Thatch!“, herrschte ihn Marco von der Rückbank an. Die Typen, hinter den Türen ihres Wagens in Deckung hockend, begannen zu schießen, ein Schuss davon knapp an Marcos Kopf vorbei. Ace entzog Thatch die Beretta und begann über den Sitz und Marcos Gestalt hinweg zu schießen. Zu ungenau, um zu treffen, aber genau genug, um ihnen Zeit zu verschaffen. Etwas, ein klein wenig. Und dabei wollte Ace am liebsten aussteigen und diesen Kerlen ordentlich eines auf die Fresse geben! Und er wollte- Der Motor sprang an, Thatch schlug jubelnd mit den Fäusten aufs Lenkrad, dass Marco ihn erneut anschnauzte. Schüsse bohrten sich in den Blech des Wagens, als Thatch ihn wendete. Eine Kugel drang keine zwei Zentimeter von Ace’ Oberschenkel entfernt in den Sitz ein, ein anderer zerschoss ihm das Seitenfenster, dass Glas auf ihn niederprasselte. Doch sie fuhren wieder! Quer über den Rasen und rauf auf eine Nebenstraße, die ins Zentrum der Insel führte. Orangegelber Himmel über ihnen und ein schwarzer Wagen hinter ihnen, dass Ace grinste, obwohl er sich fühlte, als würde er jeden Moment den Löffel abgeben. VI Die engen Gassen von Key Vacoma waren verwinkelt. Der Ford donnerte durch sie hindurch, wirbelte Staub und Müll vom Asphalt auf, bog rechts, dann links, dann noch mal links ab. Reifen quietschten, Insassen wurden hin und her geschleudert, Fahrtwind drang ein und zog an Haaren und Kleidung. „Hier links, dann die Straße runter“, wies Marco an, der sich mit einer Hand an Ace’ Sitz festhielt. Immerzu blickte er über seine Schulter zurück durch die zerbrochene Rückscheibe, um nach ihren Verfolgern Ausschau zu halten. Im Moment sah es aus, als hätten sie diese abgehängt. Obwohl Thatch manchmal ein Klotz am Bein sein konnte, verstand er etwas vom Autofahren. Irgendwie, auch wenn Marco trotzdem sein Leben hin und wieder vor dem inneren Auge ablaufen sah. Viele Bruchstücke drehten sich dabei um seinen alten Herrn, einige um die Jungs, die meisten jedoch um Ace. Kein Wunder, wenn er noch immer blutend auf dem Beifahrersitz saß und sein Kopf von einer Seite zur anderen wippte. Zwar hatte der Bengel schon immer eine selbstzerstörerische Ader an den Tag gelegt und eigentlich war er an der Schusswunde selber Schuld, aber das änderte nichts an dem was Marco fühlte. Genauso wenig änderte es etwas daran, dass er sich erst richtig um die Wunde kümmern konnte, wenn sie außer Gefahr waren. Inzwischen nahm Thatch eine weitere Kurve und sie schlitterten an einem Mazda vorbei, der an der Ampel stand. Der Ford fuhr über Rot. Marco betete, dass das Glück ausnahmsweise auf seiner Seite war. Das es zumindest auf Ace’ war. Ungehindert bretterten sie die Straße herunter und an fahrenden Autos vorbei. Ohne dass Marco es sagen musste, fuhren sie auf den Parkplatz eines Walmarts auf, das ihren Weg kreuzte. So groß der Platz war, hatten sich die meisten Autos nahe der zwei Eingänge gesammelt, sodass nur vereinzelte entfernt von dem Trubel standen. Eines davon steuerte Thatch an. Es war ein weißer Toyota, dessen Besitzer noch immer im Wagens saß. „Das muss flink gehen“, entwich es Marco, als sie daneben parkten. Der Mann neben ihnen sah lediglich kurz auf, ehe er wieder auf seinem Handy herum tippte. Thatch schob sich aus dem Ford, während Marco die Lehne des Rücksitz herunterklappte und die beiden Reisetaschen nach vorne zog. Er öffnete noch das Geheimfach im Kofferraum, um das versteckte Geld und die Karte einstecken zu können. Dabei schaute er wieder hinaus auf die Straße, doch der Wagen, der sie von Key West bis nach Key Vacoma verfolgt hatte, blieb verschollen. Darauf, dass sie ihn entgültig abgehängt hatten, verließ sich Marco jedoch nicht. Inzwischen beobachtete er Thatch dabei, wie er den Toyota umrundete und mit freundlichen Grinsen, aber leicht gehetzten Zügen gegen das Seitenfenster klopfte. Anstatt das Fenster zu öffnen, ersparte sein Besitzer Thatch die Arbeit und öffnete die Tür. Dieser hob sein Hemd an, um eine seiner Berettas an seiner Hüfte preiszugeben und den verdutzten Kerl im selben Moment aus dem Wagen zu zerren. Das Mobiltelefon fiel auf den Asphalt und Thatch trat es kaputt, als er den Besitzer von sich stieß und sich in den Wagen schob. Mehr verängstigt als verdutzt schaute der mit offenem Mund zu, wie Marco die beiden Reisentaschen einlud und Ace ebenfalls zum Toyota torkelte. „Du machst besser, dass du wegkommst“, sagte Marco, ehe er einstieg. „Die Typen, die gleich hier auftauchen, werden dir die Knarre nicht nur zeigen.“ Im nächsten Moment brauste der Toyota bereits über den Parkplatz davon und reihte sich in den Verkehr ein. An der Ecke hinter ihnen tauchte ein schwarzer Wagen auf, doch Marco konnte nicht sicher sein, ob es ihr Verfolger war. Es spielte auch keine Rolle, viel mehr die Waschanlage, die einen halben Kilometer später wie ein rettender Hafen auftauchte. Abermals sah Marco über seine Schulter hinweg, aber der Verkehr war zu dicht, um etwas ausmachen zu können. „Siehst du das Home Depot auf der anderen Straßenseite?“, bedeutete er Thatch, als dieser auf den Platz auffuhr und vor dem Automaten stoppte, der vor dem Eingang der Waschanlage aufgebaut war. „Kauf’ einen Akkuschrauber und ich kümmere mich um den Wagen und Ace.“ Dabei kramte er in eine der beiden Reisentaschen herum und reichte Thatch einen schwarzen Kapuzenpullover. „Und zieh’ den an. Du willst schließlich nicht gesehen werden.“ Thatch sah aus, als wollte er protestieren, doch Marco schnitt ihm das Wort ab. „Ich will diese Handschellen nicht ewig tragen, Thatch! Geh’ schon, ich verlass mich auf dich.“ Daraufhin zog sich der Braunhaarige den Pullover an und die Kapuze tief ins Gesicht. Ohne ein weiteres Wort stieg er aus dem Wagen und lief mit raschen Schritten zur Straße, die zum Baumarkt herüber führte. Derweil kletterte Marco umständlich auf den Fahrersitz und richtete seine Aufmerksamkeit auf Ace. Der war käseweiß und Schweiß stand ihm auf der Stirn. „Kommst du an meine Brieftasche ran?“, fragte Marco trotz allem und auf den schmalen Lippen des Schwarzhaarigen zeigte sich ein anzügliches Schmunzeln. „Du willst, dass ich dir an den Hintern fasse?“ Ace’ Stimme war heiser und kratzig, doch der Blonde überging es und grinste stattdessen nur vielsagend. Er lehnte sich nach vorne, so dass Ace’ zittrige Hand die schwarze Geldbörse in seiner hinteren Hosentasche herausziehen konnte. Marco nahm sie ihm ab, kramte seine Kreditkarte heraus, ließ das Seitenfenster herunter und schob sie in den Schlitz. Nachdem er sie wieder wegsteckte, das Fenster schloss und den Wagen ins Innere der Waschanlage fuhr, zog er die Reisetasche nach vorne. Diese hatte er auf dem Rücksitz liegen gelassen, so dass er das kleine Erste-Hilfe-Kästchen hervorziehen konnte. „Ich hab’ den längsten Gang eingelegt. Mit Waxen und allem drum und dran“, bemerkte er, als er es öffnete. „Das gibt uns ein Zeitfenster von ungefähr fünfzehn Minuten.“ „Fünfzehn Minuten nur wie beide alleine“, gab Ace zurück. „Das ist genug Zeit für eine schnelle Runde, Marco.“ „Halt den Rand, Ace.“ Damit beugte er sich zu diesem herüber, sein Blick fest auf die Wunde gerichtet. „Das wird jetzt weh tun, aber die Kugel muss raus.“ Er stieß Ace’ Hand beiseite, entfernte den mit blutvollgesogenen Stofffetzen und zog die Stelle mit seinen Fingern etwas auseinander, um die Kugel mit einer Pinzette herausziehen zu können. Ace biss die Zähne zusammen, doch Marco spürte wie sich sein gesamter Körper unter den Schmerzen verkrampfte. Und er wünschte, er könnte Ace zu einem richtigen Arzt bringen. Obwohl es nicht die erste Schusswunde war, die Marco versorgte, war er letztendlich auch nur ein Amateur, das wussten sie beide. Ace mochte zwar Glück haben, doch was, wenn es irgendwann mal aufgebraucht war? Einen Augenblick lang hing sein Blick an der Kugel, die er mit der Pinzette hielt. Das erinnerte ihn an die Nacht, in der Donquixote Doflamingo wegen der Sache mit Bellamy im Grandline aufgetaucht war, um sie zu einer Runde Russisch Roulette zu zwingen. Den Revolver mit der verkanteten Kugel, die Ace das Leben gerettet hatte, besaß er auch heute noch. Sie lag im Nachttisch neben dem Bett, dass er mittlerweile so gut wie jede Nacht mit Ace teilte. Dabei ging es nur um Sex. Er war niemand für Gefühlsduseleien und schon gar nicht für Beziehungen. Allerdings verwarf er diesen Gedanken wieder und konzentrierte sich darauf, die Wunde so gut es ging zu reinigen. Derweil hatten längst die riesigen Bürsten eingesetzt, die nun an allen vier Seiten des Wagens schrubbten. Abgesehen davon war es still im Auto. Etwas zu still, wie Marco bemerkte, als er die Wunde verband. Was er ebenfalls bemerkte, war Ace’ Blick. Dieser war auf sein Gesicht gerichtet, bohrte sich praktisch in ihn hinein, während er selbst es mied seine Augen auch nur höher als Ace’ Hals wandern zu lassen. Dabei konnte er nicht direkt sagen, woran es eigentlich lag oder was sich Ace dabei überhaupt wieder dachte. Zugegeben, vielleicht wusste er es doch. Es gab sicherlich nicht vieles, über das jemand nachdachte, der angeschossen worden war und so aussah wie Ace. „Du wirst nicht sterben“, erklärte er, als er fertig war und nun doch aufschaute. Ihre Augen begegneten einander und Ace grinste ihn an, ehe er seine schloss. Er sah verflucht müde aus, stellte Marco dabei fest. „Daran hab’ ich nicht gedacht“, antwortete er schließlich, als Marco sich wieder in seinen Sitz zurücklehnte. „An was denn dann?“ „Erinnerst du dich noch an das erste Mal, als wir Sex hatten?“, fragte Ace nonchalant. Der Junge hatte aber auch keine Scham. „Ich erinnere mich daran, dass du Kokain geklaut hast und wir deswegen beinahe draufgegangen sind.“ Daraufhin lachte Ace rau, vor allem aber leise auf. Sein Lachen war schon mal lauter und vor allem ansteckender gewesen. Marco lehnte den Kopf nach hinten und beobachtete die Bürsten. Hier drinnen würde sie sicher keiner vermuten. „Ich hab’ gedacht, du weist mich ab“, gestand Ace schließlich, dass der Blonde ihn wieder ansehen musste. „Das hätte ich auch tun sollen. Es wäre das Vernünftigste gewesen.“ Im Moment wäre es Marco sogar lieber gewesen, wenn sie einander nie über den Weg gelaufen wären, wenn er niemals an diesem verfluchten Diner angehalten hätte, in dem Ace sich gerade über seine Fritten hergemacht hatte. Dann wären sie jetzt nämlich nicht hier, dann hätte Marco ihn nie in dieses Leben hinein gezogen. „Ich wollte nicht, dass sich was zwischen uns ändert, hättest du mich abgewiesen“, sprach Ace inzwischen weiter. „Die Drogen haben mich nicht interessiert. Ich war schon oft genug vollgedröhnt, dass ich weiß, welche Wirkungen die haben.“ Marco blinzelte daraufhin ein paar Mal. „Aber es machte eine gute Ausrede, falls du mich nicht gewollt hättest.“ „Du hast uns nur in diese Lage damals gebracht, weil du mit mir schlafen wolltest?“, wiederholte er ungläubig. „Bereust du es?“ Beide starrten sich eine ganze Weile stumm an, während Ace’ Frage in Marcos Kopf widerhallte. Ob er es bereut hätte? Was denn? Ihn gewollt zu haben? Ihn immer noch zu wollen? Jeden Abend im Bett zu liegen und seine Hände nicht bei sich behalten zu können? Jeden Morgen aufzuwachen, um Ace mit allen Gliedern von sich gestreckt und schnarchend neben sich liegen zu sehen und schmunzeln zu müssen? Marco verzog merklich das Gesicht, ehe er sich erneut herüber lehnte und Ace seine Lippen aufdrückte, anstatt ihm für diese Frage einen Kinnhaken zu verpassen, den er seinen Lebtag nicht mehr vergessen hätte. VII Das Motel, zwei Querstraßen von der Waschanlage entfernt, war spottbillig. Genau genommen kostete ein Tag neunundsiebzig Dollar und keinen Cent mehr. „Das sind Orte, wo man sich Dinge wie Bettwanzen und sonst was für ein Zeug einfängt“, entwich es Thatch, als er den Toyota auf dem Hinterhof parkte, wo er von der Straße aus nicht zu sehen war, und das Gebäude unter die Lupe nahm. „Ach Quatsch, die kriegt man heutzutage schon in fünf Sterne Hotels“, entwich es Marco genervt, der mittlerweile wieder auf dem Rücksitz Platz genommen hatte. Ace folgte dem Dialog nur mit halben Ohr. Er hielt die Augen vor Müdigkeit geschlossen, während der Schmerz zu einem dumpfen Pochen geworden war. Es war nicht das erste Mal, dass er angeschossen worden war und bei weitem nicht das erste Mal, dass er Schmerzen hatte. Diese konnte er relativ gut ausblenden, wobei er den Blutverlust trotz allem deutlich spürte. „Abgesehen davon, scheiß auf die Bettwanzen“, fasste Marco inzwischen genervt zusammen. „Guck’ uns an, Thatch! So kommen wir nicht bis nach Buford.“ Daraufhin konnte Ace dennoch ein leises Lachen dennoch nicht unterdrücken, woraufhin Marco ihm von hinten seinen Hut tiefer ins Gesicht stülpte. „Miet’ einfach ein Zimmer, verdammt noch mal!“ Kurz darauf kehrte der Braunhaarige bereits mit dem Schlüssel zurück. Marco zog die beiden Reisetaschen vom Rücksitz und schleppte sie mit dem noch immer verpackten Akkuschrauber aus dem Home Depot ins Zimmer. An die Handschellen schien er sich so sehr gewöhnt zu haben, dass Ace annahm, er würde sie glatt vermissen, wenn er sie erst mal los geworden wäre. Mit dem Ansatz eines Lächelns beobachtete er ihn dabei, nachdem er die Wagentür geöffnet hatte, aber noch sitzen geblieben war. Er drehte sich lediglich zur Seite und stützte die Hände auf den Schenkeln ab. Er kannte seinen Körper gut genug, um seinen Beinen zu misstrauen. Umso überraschter war er, als Thatch vor ihm auftauchte. „Ich hab’ vorhin noch einen Abstecher zu Publix gemacht“, erklärte dieser zwinkernd und klapperte mit einer Dose Schmerztabletten. Anschließend legte er einen von Ace’ Armen sachte um seine Schultern und zog den Jüngeren auf die Beine. „Danke, Thatch“, murmelte Ace, als dieser ihn bis Innere des Motelzimmers stützte und ihn dort auf einem der beiden Einzelbetten absetzte. „Eines mit mehr Betten gab es nicht“, bemerkte er anschließend und schloss die Tür. Marco hatte sich inzwischen an dem kleinen Tisch am Fenster niedergelassen. Mit Hilfe eines Taschenmessers versuchte er die Verpackung des Akkuschraubers zu öffnen, was mit gefesselten Händen scheinbar nicht ganz funktionieren wollte. Ihnen warf er nur einen knappen Blick zu, während Ace weiter nach hinten aufs Bett rutschte, um sich an die Wand lehnen zu können. Der Schweiß stand ihm noch immer auf der Stirn, so dass er sich bei dem Gedanken ertappte, dass Antibiotika wohl ratsamer waren als bloße Schmerztabletten. Nicht, dass er für diese nicht auch schon dankbar war oder dass er nicht wusste, dass Antibiotika nicht einfach über die Theke erhältlich waren. „Du hast nicht zufällig Antibiotika irgendwo in deinem Superkasten, oder, Marco?“, scherzte er, als er seinen roten Cowboyhut mit bebender Hand über den Schirm der Nachtischlampe hing. „Nein, aber wir besorgen dir welche“, erwiderte der Blonde mit ernstem Blick. Wahrscheinlich hielt er Ace für übergeschnappt, weil er freiwillig nach Medikamenten fragte. Derweil ließ sich Thatch auf der anderen Tischseite nieder, um den Akkuschrauber aus seiner Verpackung zu befreien. Auf Marcos Anweisung hin schraubte er die Schrauben der Handschellen heraus, dass dieser seine Hände ohne Probleme daraus befreien konnte und sie daraufhin nonchalant im Mülleimer landeten. Er rieb sich die gescheuerten Handgelenke und Ace erwischte ihn bei einem siegreichen Lächeln. Es war das Erste seit der Explosion und Whitebeards möglichem Tod. Als Marco sah, dass er es gesehen hatte, färbte sich das braungebrannte Gesicht einen Deut rötlich und Ace grinste trotz der bleiernen Müdigkeit. Dabei war er sich bewusst, dass dieser Moment an Thatch völlig vorbeiging, da dieser inzwischen Konservendosen auspackte und über ihr Abendessen entschied. Ace war das allerdings nur recht, er mochte diese privaten Augenblicke zwischen ihnen. Tbc. Kapitel 3: Fighter Heart [1] ---------------------------- I „…went out last night, one thing started leading to another, out last night, hitting on everybody and…”, sang Kenny Chesney über die schwarzen Lautsprecher an der Decke und vermischte sich mit dem allgemeinen Stimmengewirr, das in dem kleinen Diner herrschte. Es stand auf einem ländlichen Streifen des Highway 1. Diesem folgten sie nun schon seit einigen Tagen und hatten gestern erst die Grenze nach Georgia hinter sich zurück gelassen. Von hier war es praktisch nur ein Katzensprung zu ihrem Versteck, fasste Marco zusammen, als er die Karte studierte, die neben seinem kaum angerührten Teller auf dem Tisch ruhte. „Wenn du deinen Schinken nicht mehr willst-“ „Nimm ihn, wenn du so scharf drauf bist, Ace“, unterbrach der Blonde, woraufhin sich eine Gabel von der anderen Tischseite in sein Blickfeld schob und sich das Stück Fleisch von seinem Teller angelte. „Du haust ja ganz schön rein“, bemerkte Thatch neben ihm und schlürfte an seinem Kaffee. Ohne diesen wurde er nie richtig wach. „Ist ja fast so, als sei nie was gewesen.“ „Wenn Ace so weitermacht, wird er garantiert einen Rückfall erleiden“, räumte Marco genervt ein. Zwar ließen seine Worte nicht darauf schließen, aber er war durchaus froh, dass Ace seinen Appetit wieder gefunden hatte. Immerhin verschlug dem Jungen sonst nie etwas den Hunger, weshalb Marco das mehr zu denken gegeben hatte, als das Fieber oder der Schüttelfrost. Nur gut, dass er noch einen alten Bekannten in der Gegend gehabt hatte, der ihm einen Gefallen schuldig war und an starke Antibiotika herankam. Ansonsten hätte Ace wohl die Radieschen von unten gesehen, wie das Sprichwort doch ging. Sollte er also all den Schinken der Welt haben, Marco war zufrieden. „Wenn uns nichts dazwischen kommt, sollten wir Bufford spätestens heute Abend erreichen“, erklärte er schließlich und warf seinen beiden Kameraden einen Blick zu. Nebenbei zog auch er seine Kaffeetasse näher an sich heran. „Meint ihr, wir sind die Ersten?“, fragte Thatch. Marco meinte so etwas wie Bedenken aus seiner Stimme heraushören zu können, woraufhin er die Augenbraue hob. „Durch die Verzögerung mit Ace? Vermutlich nicht“, stellte er klar, woraufhin ihn Ace über den Tisch hinweg angrinste. „Aber... was ist wenn“, begann Thatch, der die gute Laune des Schwarzhaarigen scheinbar nicht teilte, „was ist, wenn wir die einzigen Überlebenden sind?“ Daraufhin legte sich auch Ace’ Grinsen und er wandte den Blick aus der riesigen Fensterfront des Diners, die auf den sandigen Parkplatz heraus zeigte. Marco folgte seinem Blick, die Tasse auf halben Weg zu seinem Mund eingefroren. Den geklauten Toyota hatten sie noch auf Key Vacoma zurückgelassen, um ihn gegen einen gebrauchten Dodge einzutauschen, den Marco einem Mexikaner für schlappe sechshundert Dollar abgekauft hatte. Der Wagen sah aus, als würde er jeden Moment in seine Einzelteile auseinander fallen, doch was erwartete man für diesen Preis auch? Allerdings konnte er nicht das gesamte Geld, das in einem Geheimfach im Ford versteckt gewesen war, für einen Wagen heraus schmeißen, wenn auch noch Sachen wie Essen, Benzin und Motelzimmer bezahlt werden wollten. Bisher hatte der Wagen ihnen auch recht gute Dienste geleistet. Nun stand er zwischen einem weißen Truck und einem Mercedes geparkt. Von dem schwarzen Wagen, der sie verfolgt hatte, war keine Spur mehr gewesen. Allgemein waren die vergangenen Tage ruhig verlaufen. Etwas zu ruhig sogar. Mehrmals hatte Marco die Handys einiger der Jungs von Münztelefonen an den Motels angerufen, doch entweder hatte niemand abgenommen oder er war sofort auf der Mailbox gelandet. Das musste nichts heißen, das wusste Marco. Er selbst hatte sein Mobiltelefon bei der Explosion verloren, aber es vermochte das schlechte Gefühl in seiner Magengegend auch nicht verbessern. Sie konnten nichts anderes tun als abwarten und hoffen – und wer Marco kannte, wusste, dass das keine Stärke von ihm war. Nein, er hatte lieber alles in seiner Kontrolle, denn Hilflosigkeit nagte doch zu sehr an ihm. Als seine Gedanken zu Whitebeard zurückkehrten, wo sie in der letzten Zeit verflucht häufig gewesen waren, riss die Türglocke des Ladens ihn aus seinen Grübeleien. Er hob die Tasse, um einen Schluck der braunen Flüssigkeit zu nehmen und unauffällig die schwarzhaarige Frau zu mustern, die soeben eingetreten war. Sie begegnete ihm mit einem ruhigen Blick und einem Lächeln, das er nicht definieren konnte, als sie an ihnen vorbei schritt, um den Tisch in der linken Ecke zu nehmen. Sie trug nur knappe Klamotten und einen weißen Cowboyhut, der ihr etwas Freches verlieh. Auch Thatch sah ihr hinterher, so dass Marco kurz darauf nach der Kellnerin winkte. „Zeit zu gehen, bevor Thatch noch die Augen aus dem Kopf fallen.“ „Was denn?“, erwiderte dieser empört. „Darf man keiner heißen Braut hinterher sehen, nachdem man tagelang mit zwei Kerlen in einem stickigen Motelzimmer verbracht hat?“ Ace lachte leise auf, als die braunhaarige Kellnerin zu ihnen trat und Marco bezahlte. Dann erhob er sich und schlenderte zum Ausgang, wo gerade eine Familie mit zwei kleinen Kindern eintrat. Das kleine Mädchen grinste er an, woraufhin dieses rot anlief und sich hinter dem Bein ihrer Mutter versteckte. Marco beobachtete das Bild argwöhnisch. Er hatte Ace ein dunkelblaues T-Shirt aufgedrückt, das dieser zwar als uncool betitelt hatte, aber das wenigstens den Verband verdeckte. Den musste schließlich nicht jeder sehen, um dann unnötige Fragen zu stellen. „Komm’ endlich, Thatch!“, befahl er nebenbei. „Sonst lassen wir dich hier und du kannst sie nach einer Mitfahrgelegenheit anbetteln. Darauf steht sie sicher total...“ „Ach, Marco, du bist ein totaler Spießer“, murrte Thatch, als sie das kühle Innere des Ladens gegen eine brütende Hitze eintauschten und zu ihrem Wagen stapften. „Nur weil du ein aktives Sexualleben hast, heißt das nicht, dass es allen so geht. Nicht alle stehen auf Muskeln und Sommerspr – Argh!“ Thatch hielt sich den Kopf und Marcos Gesicht glühte, während Ace nur über den Wagen hinweg grinste. II Der Highway führte an weiten Wiesen und Feldern vorbei. Ein paar davon von ehemaligen Plantagen und andere von Häusern, die majestätisch inmitten der grünen Fläche saßen und von vereinzelten Bäumen umringt wurden. Die Luft flimmerte in der Ferne und einige Spatzen saßen auf den überirdischen Leitungen, die rechts am Rand der Straße entlang führten. Ace hatte das Seitenfenster herunter gelassen und den Sitz soweit nach hinten geschoben, dass er seine schwarzen Stiefel auf dem Armaturbrett hatte ablegen können. Sein roter Cowboyhut war tief ins Gesicht gezogen, als er zurück gelehnt dasaß. Leiser HipHop spielte aus das Radio, schnarrend, dass es Ace ein bisschen so vorkam, als steckten sie hier mitten in einem Funkloch. Schräg hinter sich konnte er Thatch in der gekauften Zeitung blättern hören, die sowieso unentwegt durch den eindringenden Wind raschelte. „Obwohl’s immer noch weit vorne in der Zeitung steht, haben die immer noch keine Ahnung, wer dahinter steckt“, kommentierte der Braunhaarige irgendwann. Ace hielt auch weiterhin die Augen geschlossen, obgleich er hellhörig geworden war. Neben sich am Steuer konnte er Marco abwertend schnauben hören. „Was hast du denn erwartet?“, fragte er dann. „Das Ganze war verdammt gut geplant. Wenn es jemanden gibt, der was weiß, dann ist’s garantiert nicht die Polizei.“ „Marco hat recht.“ „Huh? Und wir dachten schon, dass du wieder eingepennt bist, Ace“, gab Thatch heiter zurück. „Auch egal...“, lenkte Marco ein, ehe Ace antworten konnte. „Spekulieren können wir immer noch, wenn wir im Versteck sind. Wenn wir überlebt haben, werden wir auch nicht die Einzigsten sein.“ „Weil...?“ „Weil das mehr Glück wäre, als Marco hat, Thatch. Darauf kann man sich eben verlassen.“, erklärte Ace und schob seinen Hut nach hinten, um dem Blonden grinsend von der Seite ansehen zu können. Auch er konnte sich nicht vorstellen, dass sie die einzigen Überlebenden waren. Zumindest hoffte er das, obwohl sie sich wohl alle drei darüber im Klaren waren, dass es eine Menge Verluste gegeben hatte. Und ihr alter Herr durchaus einer davon sein konnte. Ace konnte sich nicht vorstellen, wie es ohne ihn wäre. Es ging einfach nicht ohne Whitebeard! Die Jungs und er waren seine Familie, sein Zuhause – und was sollte ohne sie werden? Wie würde Marco das wegstecken? Er war immerhin viel länger dabei als Thatch oder er. Abschätzend betrachtete der Schwarzhaarige seinen Freund von der Seite, doch dieser schaute auch weiterhin nur stur geradeaus auf die Straße, obwohl er Ace’ Blick für gewöhnlich sofort bemerkte. Vielleicht wollte er ihn auch einfach nicht bemerken. Manchmal kam es ihm so vor, als ob der Blonde sowieso seine Gedanken lesen konnte, obwohl er an anderen Tagen feststellte, dass es vollkommener Unsinn war. Denn wenn es so wäre, dann wären da nicht so viele Sachen, die sie nicht voneinander wussten, die Marco nicht wusste und so verdammt viele unausgesprochene Worte zwischen ihnen. „Wir werden verfolgt“, bemerkte Marco aus heiterem Himmel in einer Stimme, die genauso eben war als wenn er über das Wetter sprach. Thatch drehte sich sofort auf der Rückbank herum, um den grünen Audi zu studieren, der ungefähr eine halbe Meile entfernt auf dieser endlosen Straße hinter ihnen fuhr. „Das weißt du woher?“, fragte er und kratzte sich verwundert am Kinn. „Hier gibt’s doch nur eine Straße, Marco. Wo sollen die sonst fahren, wenn sie auch hier lang müssen?“ Auf die Erklärung war Ace nun auch gespannt, obwohl seine Hand instinktiv nach der Remington an seinem Gürtel tastete. „Weil er seit mindestens einer halben Stunde den gleichen Abstand hält, obwohl ich mittlerweile gerade mal vierzig fahre. Jeder andere hätte auf einem Highway längst überholt, anstatt ebenfalls die Geschwindigkeit zu reduzieren.“ Unwillkürlich warf der Schwarzhaarige einen Blick auf die Tachonadel, doch diese stand tatsächlich auf vierzig Meilen pro Stunde. Marco hatte recht. Auf Highways wie diesem waren maximal siebzig Meilen pro Stunde erlaubt, was die meisten nutzen, um gleich mit hundertachtzig Sachen über den Asphalt zu brettern, anstatt weit unter dem Limit zu fahren und die Geschwindigkeit an einen anderen Wagen anzupassen. Außer es gab dafür einen Grund, verstand sich. „Ich hab’ keinen Bock mehr wegzurennen“, entwich es Ace, als er über seinen Sitz zurück schaute. Die weißen Fahrbahnmarkierungen blieben hinter ihnen zurück, führten zu dem flimmernden, grünen Schemen am Horizont. Das Radio spielte 'Moment 4 Life' von Nicki Minaj und Drake und er sang irgendeinen Mist, dass jeder etwas tat, aber nicht jeder lebte. Und Ace hatte keine Bedenken und keine Angst, er war nicht einmal mehr wütend. Dabei pochte die Wunde in seiner Seite dumpf, als wollte sie ihn daran erinnern, dass das Leben kurz sein konnte. Es konnte verdammt kurz sein, aber das spielte keine Rolle. Nicht solange er wenigstens ein paar dieser Typen mit ins Grab nehmen konnte. „Ich bin ziemlich sicher, dass das eine bescheuerte Idee ist, Ace“, antwortete Marco, trat aber trotzdem auf die Bremse, um den Dodge langsam ausrollen und ihn schließlich am Rand des Highways mitten im Nirgendwo zum Stehen kommen zu lassen. Dann zog er seine Bodyguard38 hervor und checkte das Magazin. „Eine ganz miese Idee!“, gab Thatch zu bedenken, als er sowohl in der rechten als auch in der linken Hand eine Beretta hielt und Ace dabei zusah, wie er seine Remington aus dem Halfter zog und mit einem leisen Klicken entsicherte. III Der Audi hielt knappe zwanzig Meter hinter ihnen in der Mitte der Straße. Durch die Morgensonne geblendet, war es ihnen unmöglich mehr als nur die Umrisse zu erkennen. „Da sind mindestens zwei“, bemerkte Thatch von der Rückbank, den Kopf gerade so über die Lehne geschoben. „Aber vielleicht sitzt noch wer hinten. Schwer zu sagen.“ „Wollen die da ewig im Wagen sitzen bleiben?“, beschwerte sich Marco, der den Audi aus dem Rückspiegel heraus beobachtete. Weder vor ihnen, noch hinter ihnen zeigte sich ein weiteres Auto, was ihnen wenigstens unangenehme Schwierigkeiten ersparte. Zumindest für den Moment. „Wollen wir ewig hier sitzen?“, stellte Ace unterdessen die Gegenfrage. Marco hätte wissen sollen, dass das kommen würde. Der Bengel war ungeduldig wie ein kleines Kind, sowohl in einer Situation wie dieser als auch im Bett. Das würde sich wohl bis zu dem Tag, an dem er starb, nicht ändern. Das war jedoch nicht heute, entschied Marco. Nicht nachdem er an so einer beschissen Schusswunde beinahe verreckt wäre. Er drehte den Kopf zur Seite und öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen. Sobald sich ihre Blicke jedoch begegneten, schloss er ihn wieder, ehe ein Wort über seine Lippen kommen konnte. Stattdessen schüttelte er kaum merklich den Kopf und öffnete die Wagentür. Eine kleine Stimme in seinem Kopf fragte sich, warum er das eigentlich tat. Es war vollkommen unnütz. Sie wären die Typen schon auf eine andere Art und Weise losgeworden. Aber nein, Ace musste sich mal wieder mitten ins Gefecht stürzen, selbst eines entfachen, weil da dieser Drang in dem Jungen existierte, der ihn eher früher als später umbringen würde. Der sie alle vermutlich irgendwann umbringen würde. Ein Drang, den sie alle von ihm kannten, aber den keiner sich so richtig erklären konnte. Da war viel zu großer Mut und viel zu wenig Selbstwertgefühl. Und Marco wollte ihn am Hemdkragen packen und schütteln und anschnauzen, was zum Teufel nicht mit ihm stimmte. Ihn anschnauzen und fragen, ob sein Großvater oder wer auch immer ihn großgezogen hatte, ihn mit dem Kopf auf den Boden hatte knallen lassen. Aber alles was er tat, war aussteigen und den Audi ins Visier nehmen. Seine Hand, die seine Bodyguard hielt, hing an seiner Seite herunter, der Finger am Abzug. Als wäre sein Aussteigen ein stummes Stichwort gewesen, öffneten sich alle vier Türen des grünen Wagens. Im darauffolgenden Moment lagen Schüsse in der Luft, hallten über die weite Fläche davon. „Verdammt aber auch!“ Marco duckte sich, um es ihnen schwieriger zu machen, ihr Ziel zu treffen. Rasch suchte er Schutz hinter der offenstehenden Wagentür. Ihre Angreifer taten es ihm gleich. Kugeln schlugen in Blech und Asphalt ein, Vögel schreckten aus den Bäumen am Straßenrand. Marco schoss über den Rand der Tür zurück. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte er Thatch, der auf der anderen Wagenseite hockte. Wie ein armer Irrer feuerte er seine Berettas, Ace neben sich, der- „Ace!“, entwich es Marco zwischen zusammengebissenen Zähnen, als dieser mitten im Kugelhagel zu den Bäumen herüber wetzte und den Schutz des Dodge somit hinter sich zurückließ. „Drehst du jetzt total am Rad?“, rief er hinter ihm her, doch Ace schien nicht zu hören. Bei dem Geballer nicht schwer vorstellbar. „Thatch, deck’ Ace!” „Ich bin dabei“, brüllte Thatch zurück. Das leere Magazin einer Beretta fiel zu Boden, ein weiteres steckte er hinein. Marcos Finger fand unterdessen den Knopf zum Laser. Der rote Punkt erfasste die Schädeldecke eines Typen, in der nächsten Sekunde klappte dieser stöhnend zusammen. Stimmen schrieen durcheinander, eine neue Welle an Schüssen fiel, bohrten sich in den Dogde. Thatch keuchte und sackte auf der anderen Seite auf die Knie. „Scheiße, mein Bein hat’s erwischt“, fluchte er. Marcos Blick blieb auch weiterhin auf den Audi gerichtet. Drei waren noch übrig. Ehe dieser Gedanke wirklich ins Marcos Kopf angekommen war, klappte ein weiterer zusammen, als er zu Ace herüber schaute. Der lehnte an dem Stamm einer breiten Eiche, die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Wahrscheinlich war es Zufall, statt geplant von ihm, doch der Blonde nutzte den Moment aus, um den Dritten anzuvisieren. Mit nur einer Patrone sackte auch er tot zu Boden. „Ich geb’ auf!“, kreischte der Vierte, nachdem er bemerkt hatte, dass seine Kameraden allesamt den Löffel abgegeben hatten und er somit alleine an der Front stand. Ein bisschen überrascht war Marco schon, obwohl er das schon oft erlebt hatte. Die meisten waren in der Menge mutig, aber wenn es auf einzelne Charakterstärke ankam, brachen sie wie Glas auf Stein. „Deine Waffe“, rief Marco, der zusammen mit Ace auf den schwarzhaarigen Kerl zielte. „Auf den Boden und kick' sie weg von dir! Weit weg, ansonsten wirst du nie wieder was kicken.“ Er tat wie ihm geheißen. Seine Desert Eagle ließ er auf den Boden fallen und trat sie von sich, die Hände hoch erhoben. IV „Du machst besser mal den Mund auf“, brummte Marco und wedelte mit seiner Bodyguard vor der Nase des Schwarzhaarigen herum. Dieser kniete am Rand der Straße auf dem Asphalt, umringt von Ace und ihm. „Ansonsten kann es sein, dass ich ganz aus Versehen an den Abzug rankomm’.“ „Das ist Marco schon oft passiert“, bestätigte Ace. „Dann kannst du dein Hirn von der Straße aufkratzen.“ Seine eigene Pistole saß inzwischen wieder in ihrem Halfter rechts an seiner Hüfte. Marco hatte immerhin alles unter Kontrolle und wenn nicht, dann hatte Ace immer noch zwei gesunde Fäuste, die nur zu gerne Bekanntschaft mit der vorderen Zahnreihe des Kerls machen wollten. An die eigene Waffe würde er nämlich so schnell nicht seine Finger bekommen, da diese auf dem Wagendach des Dodge lag. Auf dessen Motorhaube hatte es sich Thatch bequem gemacht. Er band sich gerade ein Stück Stoff um die Wunde an seinem Bein. Es war nur ein Streifschuss, nichts Ernstes also und doch musste sich Ace zurückhalten, um sich nicht gleich auf seinen Gegenüber zu stürzen. Die Wut, die vorhin noch so etwas wie resignierender Entschlossenheit Platz gemacht hatte, war zurückgekehrt und Ace konnte es deutlich unter der Oberfläche brodeln spüren. „Wer zum Teufel bist du und wer hat euch geschickt?“, forderte Marco unterdessen von dem Schwarzhaarigen zu wissen. Dessen Brille hing schief auf seiner Nase, die er mit zittriger Hand richtete, ehe er über seine Bartstoppeln kratzte. „Man nennt mich Mister 3“, stammelte er, als er verängstigt zu Marco aufsah. „Ich bin nur ein kleiner Fisch, ehrlich. Ich weiß von nichts. Man gibt mir und meinen Männern nur den Auftrag und den führen wir aus. Keine Fragen, keine Informationen, ich schwöre!“ „Sein Auftragsgeber ist Crocodile“, fasste Marco zusammen. Der Vorfall mit dem verpatzten Deal schoss Ace daraufhin unweigerlich wieder in den Kopf und er biss die Zähne fest aufeinander, als er auf Mister 3 herunter starrte. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Nur wegen ein paar Milligramm entwendeten Kokains? „Das hat nichts mit dem Job von damals zu tun“, fügte Marco mit ruhiger Stimme hinzu, als hätte er Ace’ Gedanken gelesen. Damals waren sie davon gekommen, obwohl es schlecht gestanden hatte. Doch mit Hängen und Würgen hatten sie es über die Grenze nach Florida geschafft, wo ihre Verfolger aufgegeben hatten. So leichtsinnig, um direkt in Whitebeards Gebiet einzudringen, waren sie nun auch wieder nicht gewesen. „Crocodile ist nichts weiter als ein Geier. Er hat nichts mit dem Schlag gegen Paps zu tun“, teilte Marco seine Gedanken, doch Ace wollte das nicht so recht glauben. Gewissheit gab es auch keine. „Und dass du kein kleiner Fisch bist, wissen wir beide. In eurer Organisation sind die niedrigen Zahlen die höheren Ränge“, wandte sich Marco derweil an Mister 3, dessen Augen bereits suchend umher gewandert waren, als er nach irgendetwas suchte, um sie beide zu überwältigen. Nun starrte er den Blonden wieder an. Im Gegensatz zu Marco besaß er kein Pokerface, dem Schock nach zu urteilen, hatte dieser sogar recht mit seinen Worten. „Denkst du etwa, dein Boss ist der Einzige, der Informationen sammelt?“ Marco schnaubte und richtete seine Bodyguard direkt auf die Stirn des Schwarzhaarigen. „Also, ich werde nur einmal fragen, verstanden? Wer steckt hinter dem Angriff in Key West, eh?“ „I-Ich hab’ keine Ahnung“, rief ihr Gefangener aus, seine Stimme heller als zuvor. Ace sah auf ihn herunter, jeder Muskel in seinem Körper angespannt. „Wirklich, das m-müsst ihr mir glauben!“ „Wir müssen gar nichts“, erwiderte Marco. „Glauben tun wir-“ „Wir kriegen Gesellschaft“, unterbrach Thatch vom Wagen aus und deutete auf den auftauchenden Schemen am Horizont. Alle Drei folgten seinem Blick, dann packte Marco Mister 3 bereits am Arm und zog ihn grob auf die Beine. Die andere Hand drückte den Lauf in seinen Rücken, als er ihn Richtung Dodge zerrte. Ace nickte er lediglich zu, woraufhin dieser auf den Audi zu joggte. Die Körper der Auftragskiller hatten sie längst ins Innere des Wagens verfrachtet, dass Ace sich nur auf den Fahrersitz schieben musste, um den Audi am Straßenrand direkt hinter den Dodge zu fahren. Anschließend schaltete er den Motor wieder ab und stieg aus, lehnte jedoch auch weiterhin an der offenen Wagentür. Sobald er diese schließen würde, würde man hübsche, kleine Löcher beim Vorbeifahren entdecken und sie wollten immerhin nicht, dass sich jemand sein Köpfchen darüber zerbrach. Thatch saß derweil auch weiterhin auf der Motorhaube, hatte lediglich die Beine übereinander geschlagen, trotz des Stechens, das von dem Streifschuss ausgehen musste. Inzwischen hatte der Wagen Form angenommen und mit einem Blick über seine Schulter identifizierte Ace ihn als einen schwarzen Mitsubishi. Dieser kam im rasanten Tempo auf sie zugerast, bremste zu ihrem Erstaunen jedoch ab. Die Hände von Ace und Thatch wanderten reflexartig zu ihren Waffen, als er neben ihnen zum Stehen kam. Die Scheiben waren getönt, doch nur wenige Sekunden später rollte das Fenster des Beifahrersitzes herunter und zeigte eine Frau am Steuer. Sie trug einen weißen Cowboyhut, unter dem schwarzes Haar hervor wallte, das ihr Kinn berührte. Auf ihren Lippen trug sie ein wissendes Lächeln, das Marco galt – und die Erinnerung schoss Ace in den Kopf. Es war die Frau aus dem Diner, die an ihnen vorbeigegangen war, um den Tisch in der Ecke zu nehmen. „Die Waffen braucht ihr bei mir nicht, Jungs“, entrann es ihr spöttisch, während ihr Mitsubishi schnurrte wie ein Kätzchen und die Mittagssonne sich auf dem Lack brach. „Ihr gehört zusammen, eh?“ Obwohl es als Frage gemeint war, klang es aus Marcos Mund viel eher als eine Feststellung. Die Schwarzhaarige lachte daraufhin leise auf, ehe sie die Autotür öffnete und ausstieg. Sie legte die Arme auf dem Wagendach ab und schaute sie darüber hinweg an, woraufhin sich Ace’ Griff um seine Remington lockerte. Solange er ihre Hände sehen konnte, brauchten sie ihre Pistolen wirklich nicht, auch wenn seine Sinne trotz allem auf die Frau vor ihnen fokussiert blieben. „Es scheint, als würden die Gerüchte über dich der Wahrheit entsprechen, Marco“, sagte sie, dass selbst der Gesichtsausdruck des Blonden kurzzeitig seine Überraschung wiederspiegelte. Scheinbar hatte nicht nur Ace nicht damit gerechnet, dass sie so gut Bescheid wusste. Anderseits war Marco im Untergrund durchaus bekannt. Kein Wunder, wenn er schon seit mindestens zwei Jahrzehnten dabei war. „Überrascht?“, stichelte sie mit einem Schmunzeln. „Das ist nicht das Einzige, was ich über die berühmtberüchtigten Söhne Whitebeards weiß.“ Dann wandte sich ihr Blick Mister 3 zu und ihr Blick wurde kühl. „Verschwinde, Mister 3! Dein Job hier ist zu Ende. Crocodile erwartet dich in Atlanta.“ Mit großen Augen blickte dieser zu ihr, und Marco ließ von ihm ab. Auch er hatte offensichtlich den Unterton in der Stimme der Schwarzhaarigen gehört, die gefallene Andeutung wahrgenommen. Sie wusste etwas über den Angriff auf ihren alten Herrn. So war es doch, nicht wahr? Als Mister 3 zu seinem Audi stolperte und Ace um Haaresbreite umfuhr, als er das Gaspedal durchdrückte, um zu verschwinden, erhob die Schwarzhaarige abermals das Wort. „Aber wisst ihr, ich unterhalte mich ungern mitten auf offener Straße. Zwei Meilen von hier befindet sich eine Quiktrip an der Ausfahrt des Highways.“ Damit schob sie sich wieder elegant in ihren Mitsubishi und fuhr ebenfalls davon. Tbc. Kapitel 4: Fighter Heart [2] ---------------------------- V Die Quiktrip war gut besucht, was Marco jedoch nicht verwunderte. Vermutlich hatte ihre Gegenüber diesen Ort nur ausgewählt, damit sie ihr keine Kugel in den Kopf jagten, sobald sie ihre Informationen verspielt hatte. Andererseits hätten sie die Schwarzhaarige auch einfach davon abhalten können hierher zu kommen, wenn sie es wirklich darauf angelegt hätten. Doch sie waren keine skrupellosen Mörder, zumindest stufte Marco sie nicht so ein. Nein, er versuchte stets eine friedliche Lösung zu finden, wurde aber meist dazu gezwungen, seine Bodyguard38 zu benutzen. Sie war eine Waffe der Verteidigung, niemals des Angriffs. „Warum machst du dich nicht nützlich und besorgst mir einen Kaffee von drinnen?“, fragte die Schwarzhaarige und zog einige Scheine links aus ihrem Dekolleté, die sie mit einem vielsagenden Lächeln Thatch entgegen hielt. „Schwarz?“ Dieser nahm ihr das Geld nur zu gerne ab. Einer hübschen Frau, selbst wenn sie nicht auf ihrer Seite stand, konnte er doch nicht widerstehen, und auch Marco musste zugeben, dass sie durchaus einen gewissen Charme besaß. „Oder mit Milch und Zucker?“ „Nur Milch.“ „Kommt sofort.“ Mit diesen Worten spazierte Thatch über den Parkplatz zu dem Tankstellenshop herüber. Sie selbst lehnten auch weiterhin an der Seite des Dodges nahe der Automaten mit den Staubsaugern. Teils weil es nichts Besseres zu tun gab, teils um die Einschusslöcher wenigstens für den Moment zu verdecken. Im Gegensatz zu dem fast gänzlich verlassenen Highway herrschte auf der Tankstelle ein reges Treiben. Sie lag am Rand der Stadt, umringt von Bäumen hinter denen man Hochhäuser ausmachen konnte, die meisten mit Schildern von Bankgebäuden oder Hotels versehen. Wagen kamen und gingen und an den Zapfsäulen standen sie bereits Schlange. Marco sah zu, wie ein Truck von einer wegfuhr, nur um von einem Lexus ersetzt zu werden. „Wer bist du?“, richtete er unterdessen das Wort an die Schwarzhaarige, die gegen ihren eigenen Mitsubishi gelehnt stand. „Miss Bloody Sunday“, erwiderte sie schmunzelnd. Ihre Stimme war in Amüsement getränkt. “Leider habt ihr keine Zeit für Smalltalk. Crocodiles Leute sind alarmiert und halten Ausschau nach euch. Wir sollten daher zum Punkt kommen, denkst du nicht auch, Marco?“ Dessen Augen hatten inzwischen den Shop ins Auge gefasst. Die Glasfront gab Sicht auf den Innenraum, wo Thatch noch immer durch die Regale stöberte, ehe er sich an der Kasse einreihte. Danach traf sein gelangweilter Blick auf Ace, der Miss Bloody Sunday unentwegt anstarrte. Am liebsten hätte Marco ihn auch weggeschickt bei dem schlechten Gefühl in seiner Magengegend. Ihm kam es vor, als wollten sie die Informationen der Schwarzhaarigen eigentlich gar nicht hören. Unwissenheit mochte schwer zu ertragen sein, einen quälen, doch so manches Mal war Wissen viel schädlicher. Es brachte Konsequenzen mit sich – für sie, als auch für andere. „Sag’ uns, was du weißt“, forderte Ace, als Marco schwieg und lediglich die Arme locker vor der Brust verschränkte. Nicht sehr überraschend, wie der Blonde fand. Miss Bloody Sunday lächelte sie an, als würde sie seinen Gedanken teilen. „Derjenige, der für den Sturz Whitebeards vera-“ „Whitebeard lebt!“, unterbrach Ace zornig. Er hatte die Hände so sehr zu Fäusten geballt, dass seine Knöchel gefährlich hervor standen, und seine Lippen waren zu einer schmalen Linie gepresst. Marco senkte den Blick auf den Boden zu seinen Füßen, wo ein ausgetretener Zigarettenstummel lag. „Wie auch immer ihr das nennen wollt. Denjenigen, den ihr sucht, geht laut Crocodiles Quellen unter dem Namen Blackbeard.“ Man konnte ihrer Tonlage entnehmen, dass sie diesen Namen eher lächerlich als respekteinflößend fand. Marco musste ihr recht geben, als er die Augen schloss, hin und her gerissen zwischen Wut und Resignation. Er hatte sich schon gedacht, dass sie einen Verräter unter sich hatten, obwohl Blackbeard wohl der Letzte gewesen wäre, den er vermutet hätte. So ganz vertraute er den Informationen dieser Miss Bloody Sunday sowieso nicht, sie gehörte immer noch zu Crocodile. „Warum erzählst du uns das, eh?“, fragte er, als er die Lider wieder öffnete und sie ansah. Nur im Augenwinkel bemerkte er das Beben, das durch Ace’ Körper ging. „Sagen wir einfach, dass Verrat gegen meine Moralvorstellungen geht“, erwiderte sie schulterzuckend, dann ging ihr Blick an Marcos Kopf vorbei, was ihm sagte, dass Thatch auf dem Weg zurück war. Kurz darauf schob er sich an den beiden Männern vorbei, um Miss Bloody Sunday ihren Kaffeebecher zu reichen. „Vorsichtig heiß“, murmelte er charmant grinsend, als die Schwarzhaarige ihn abnahm. „Danke. So nett ich diese kleine Plauschrunde auch finde, es wäre doch höchst ungünstig, wenn man uns zusammen sieht“, erklärte sie dann. Sie umrundete ihren Wagen, wobei ihre Fingerspitzen über den Lack ihres Mitsubishi fuhren. „Nur gut, dass ich ihnen sagen werde, dass ich euch südlich von Atlanta verloren habe“, fügte sie noch hinzu, ehe sie einstieg und die getönten Scheiben jeden weiteren Blick auf ihre Gestalt verhinderten. Das Motorgeräusch mischte sich unter die anderen und dann fuhr sie bereits von der Tankstelle und den Weg zurück, den sie gekommen waren. Sie sahen ihr nach, wobei Thatch verdutzt dreinschaute, als konnte er nicht glauben, dass sie bereits gegangen war. Marco ging es ähnlich, obwohl es eher daran lag, dass er sich fragte, warum sie für ihnen lügen würde. Frauen. Im nächsten Moment riss sich Ace jedoch aus seiner Starre heraus und stapfte zum Kofferraum. Marco sah ihm nach, sah zu wie er ihn öffnete und in der Reisetasche mit den Waffen und der Munition herum kramte. Ihm schwante Ärger. Genau deshalb wäre es besser gewesen, dass Ace nicht dabei gewesen wäre, verdammt aber auch! Entgegen dem, was ihm durch den Kopf ging, waren seine Gesichtszüge noch immer desinteressiert. „Was hast du vor, Ace?“ Doch der Angesprochene antwortete nicht, sondern schob stattdessen hektisch ein paar Magazine in seine Hosentaschen. Erst nachdem Marco seine Frage wiederholte, hielt er kurzzeitig inne, begegnete ihm mit zusammengebissenen Zähnen. Genauso wie sonst standen ihm seine Gedanken praktisch auf der Stirn geschrieben. Marco wusste, was er vorhatte, ehe Ace überhaupt den Mund aufmachte. „Ich werd’ Teach suchen gehen und er wird dafür bezahlen!“ „Das ist Selbstmord“, erwiderte Marco mit einem Hauch Unruhe, da er wusste, wie verdammt stur Ace sein konnte, wenn er sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Thatch, der mit großen Augen neben ihm stand, ignorierte er zunächst. „Ist mir egal“, zischte Ace, als er den Kofferraumdeckel zu warf und an Marco vorbeigehen wollte. Wo er hinwollte oder wie genau sich der Junge das dachte, wusste der Blonde nicht, doch das machte keinen Unterschied. Nein, Marco würde ihn nicht einfach ziehen lassen. Nicht jetzt und nicht hier! Ace am Arm packend, hielt er ihn zurück. „Du wirst nicht gehen“, stellte er klar, als sich beide einen Moment einfach nur anstarrten. Den Bruchteil einer Sekunde später riss sich Ace von ihm los und stiefelte ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei Richtung Stadt. Abermals hielt Marco ihn auf, indem er nach seiner Schulter griff. Er drehte ihn herum und verpasste Ace einen Kinnhaken, der ihn zu Boden schickte. Angepisst sah Marco zu ihm herunter - und obwohl es gegen seine Prinzipien ging und er es im selben Moment, in dem er Hand gegen ihn erhoben hatte, bereits bereut hatte, musste er erkennen, dass es die gewünschte Wirkung gehabt hatte. Jeglicher Zorn war aus seinem Gesicht gewichen und hatte Erstaunen Platz gemacht. Marco fühlte dasselbe. „Steig’ in den verdammten Wagen, Ace“, murrte er genervt. „Das wäre nicht ins Paps’ Sinne, das weißt du genauso gut wie ich.“ Damit wandte sich Marco ab und schob sich selbst in den Dodge. Er ließ den Motor an, als Thatch versuchte Ace auf die Beine zu ziehen, dieser ihn aber von sich stieß. Kurz glaubte Marco fast, dass Ace seine Worte übergehen würde, doch dann stieg er neben ihm ein und er atmete innerlich durch. VI „Eine Meile noch, dann sind wir da“, entrann es Marco. Es waren die ersten Worte, die in all den Stunden gefallen waren, in denen Ace nur stur aus dem Seitenfenster gesehen hatte. Die vorbeifliegende Landschaft, die inzwischen wieder nur aus Wäldern, weiten Wiesen und Flächen bestand, war einschläfernd und doch er fühlte sich viel zu aufgewühlt, um wegnicken zu können. Dabei hatte er für gewöhnlich kein Problem damit, andererseits pochte sein Kiefer noch immer und erinnerte ihn somit kontinuierlich an Marco. An Marcos Schlag und Marcos Worte und daran, dass er das nicht hatte kommen sehen, dass er diese Reaktion nicht erwartet hatte. Manchmal hatte er das Gefühl, dass er Marco durchschaute, dass er alles an ihm verstand, doch dann geschahen Dinge wie diese und Ace fühlte sich wieder, als würde er im Regen stehen. Glatt so, als wurde er von Marco im Regen stehen gelassen. Es war erdrückend und einfach beschissen, außerdem... hatte er noch nie Streit mit Marco gehabt. Hatten sie überhaupt Streit? Oder interpretierte er zu viel hinein? Ace presste die Augen zusammen, als er den Kopf gegen den Sitz lehnte. Inzwischen kletterte der Dodge die sandige Straße empor, die direkt auf einen Hügel führte. Rechts und links wuchs hohes Gras mit gelben Wildblumen, das in der Ferne in ein Waldstück überging. Sobald sie auf der Anhöhe angekommen waren, entdeckten sie bereits das riesige Haus, das inmitten des Tals gebaut worden war und das Marco als ihr Versteck identifizierte. Es war das einzige Gebäude für mindestens eine Meile, mit einer Veranda, die das gesamte Haus umschloss und zwei Schornsteinen. Es war verwuchert, dichte Büsche ragten höher als einige der unteren Fenster und an der linken Seite des Hauses war Efeu hinauf geklettert. Wildnis war dabei die Oberhand zu gewinnen, was eigentlich kein Wunder war, wenn das Haus die ganze Zeit über leer gestanden hatte. Jetzt parkten auf der sandigen Auffahrt jedoch fünf Wagen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Alte und neue, in rot, blau und schwarz, standen kreuz und quer. „Sieht so aus, als seien wir nicht die Ersten“, entrann es Ace mit dem Ansatz eines Grinsens. Natürlich hätten es mehr sein können, viel mehr, aber dass überhaupt jemand dort war, ließ Erleichterung über ihn hereinbrechen. Als Marco den Dodge vorantrieb, den Hügel herunter rollen ließ, begann Thatch auf dem Rücksitz zu jubeln und auch Ace spürte, dass er hibbelig wurde. Kaum hatte sich der Dodge zu den anderen Wagen gesellt, öffnete sich bereits die Eingangstür des Hauses und eine Gruppe von Männern trat hinaus auf die Veranda. Einige lehnten am Geländer, andere kamen die paar Stufen herunter gestiegen und trafen sie auf halbem Weg die Einfahrt hoch. „Wir haben schon auf euch gewartet“, erklärte Rakuyou mit einem Grinsen im Mundwinkel. Das Stirnband, das seine Dreadlocks zurückhielt, fehlte und auch sonst sah er genauso mitgenommen aus wie Marco, Ace und Thatch. Fossa, Blenheim und die andere Jungs wirkten ebenfalls nicht ganz auf der Höhe, doch das machte nichts. Sie alle hatten es hierher geschafft, obwohl nicht nur die Polizei, sondern auch ihre Rivalen und Feinde sie davon hatten abhalten wollen. „Ihr seht hungrig aus“, bemerkte Blenheim und kratzte sich den grauen Bart, ehe er ins Haus zeigte. „Haruta kocht gerade was auf, wenn ihr wollt.“ „Richtiges Essen!“, begann Thatch zu schwärmen und schob sich an den Jungs vorbei. Er verschwand im Inneren, während Blenheim kratzig auflachte. „Ist nur Dosenfutter, das im Keller gestapelt war. Einiges war glatt über’s Verfallsdatum, aber Haruta hat noch ein paar Ravioli gefunden.“ Ace sah Marco das Gesicht verziehen und obwohl es ihn grinsen ließ, zuckte er nur knapp mit den Schultern. „Besser als gar nichts“, erwiderte er, als er mit den anderen die Stufen hochstieg. „Klar, dass das von dir kommt, Ace“, erwiderte Rakuyou und schmunzelte zufrieden. Er legte einen Arm um Ace’ Schultern und führte ihn durch die Eingangshalle. Kurz erhaschte dieser einen Blick auf das Wohnzimmer, das mit drei Couchen vollgestellt worden war, die noch immer mit weißen Leinentüchern bedeckt waren. Entweder die Jungs waren noch nicht lange hier, oder sie waren einfach zu faul gewesen, es etwas wohnlicher zu machen. Schmunzelnd, tippte Ace gedanklich auf letzteres, als sie durch die Küche hindurch ins Esszimmer gelangten. Der breite Tisch, der ebenfalls mit einem Tuch bedeckt war, war dennoch mit Tellern beladen. Haruta verteilte gerade unordentlich die Servietten und Gabeln und schenkte Ace ein verschmitztes Grinsen, als sie ihn sah. „Wurde aber auch Zeit, huh“, sagte sie. „Wir dachten schon, dass wir die Einzigen wären.“ Und obwohl ihre Stimme spöttisch klang und Rakuyou neben ihm lachte, wusste Ace, wie es gemeint war. Er kannte das Gefühl - die Angst, die Verzweiflung. „Wir sind unterwegs in ein paar Schwierigkeiten geraten“, erklärte er heiter, als er sich mit Rakuyou am Tisch niederließ. Inzwischen gesellte sich auch Thatch mit nassen Händen zu ihnen, genauso wie die anderen Männer. Als alle sechs Stühle besetzt waren, griff sich der Rest weitere Teller und ließ sich an der Wand neben dem Tisch nieder. „Schwierigkeiten?“, wiederholte Blenheim spöttisch. „Die Bullen haben uns bis zur Grenze von Georgia gestalkt. Was, Haruta?“ „Ja, die dachten, eine Polizeisperre würde es tun, diese Trottel.“ Unterdessen füllte die Braunhaarige jedem seine Portion Ravioli auf den Teller, welche die Jungs innerhalb von wenigen Minuten verputzten, während sie sich weiter über ihre Fahrt austauschten. „Wo ist eigentlich Marco hin?“, entwich es Thatch zwischen zwei Bissen, als er seinen Blick über die Anwesenden gleiten ließ. Ace zuckte nur mit den Schultern. Jetzt wo Thatch ihn erwähnte, musste er zugeben, dass Marco ziemlich plötzlich verschwunden war. VII Der Himmel glich einem Flammenmeer, während die Sonne stetig hinter den hohen Bäumen verschwand. Einige Kardinale flatterten umher, ihre Flügel genauso rot wie der Sonnenuntergang. Marco beobachtete sie, als er dort mit einer Zigarette in den Fingern am Fenster stand und sich mit dem Arm auf dem Rahmen abstützte. Es war ein beruhigendes Bild, genauso wie das leise Stimmengewirr, das aus der Küche zu ihm hinauf schallte, da die Zimmertür offen stand. Eigentlich sollte er jetzt dort unten sein, aber er hätte vermutlich die Stimmung versaut. Die Erkenntnis, dass es nur so wenige waren, die es hierher geschafft hatten und dass ihr alter Herr nicht unter ihnen war, hatte seine Laune nicht verbessert. Ganz im Gegenteil, abermals fühlte er sich merkwürdig hilflos. Vielleicht war da sogar leichte Wut im Spiel, er konnte es nicht genau sagen. „Du hast was verpasst“, ertönte plötzlich eine vertraute Stimme hinter ihm. Mit Ace hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Nicht nach dem, was auf der Quiktrip vorgefallen war. „Die Ravioli waren gar nicht so schlecht.“ „Ich bin nicht hungrig genug für Ravioli“, murrte Marco, als er Schritte vernahm und Ace sich kurz darauf neben ihn stellte, mit der Seite gegen die Wand neben dem Fenster gelehnt. „Seit wann rauchst du?“ Sein Tonfall enthielt Amüsement, aber in den Ohren des Blonden klang es gespielt. „Glaub’s oder nicht, auch ich muss manchmal was Dummes tun.“ Es ging Marco leicht von den Lippen, während er mit den Schultern zuckte. „Da ich nicht einfach hier abhauen kann, um diesem Bastard eine Kugel zwischen die Augen zu verpassen, rauch’ ich halt.“ „Klingt so, als hättest du dir ganz genau ausgemalt, was du mit Teach machen willst“, fasste Ace zusammen, woraufhin Marco nachdenklich nickte. Ja, jetzt wo er das sagte,... er hatte es wirklich ganz genau im Kopf. Das änderte allerdings nichts daran, dass er Verantwortung zu tragen hatte und irgendjemand diese Idioten davon abhalten musste, sich selbst in unnötige Gefahr zu stürzen. So manches Mal wünschte sich Marco, dass er sein könnte wie Ace. Einfach von Augenblick zu Augenblick leben, ohne über die Konsequenzen seines Handelns nachdenken zu müssen. Einfach leben statt nachdenken. „Vielleicht sollte ich auch anfangen zu rauchen“, schlug Ace vor und riss ihn somit aus seinen Gedanken. „Untersteh’ dich!“ „Aber denk’ doch nach, Marco“, lenkte sein Gegenüber ein, seine Stimme plötzlich ernster. „Dann würde ich vielleicht nicht immer so einen Mist machen. Das hatte ich schon immer gut drauf – seit ich denken kann, glaub’ ich. Ich war schon immer ein Nichtsnutz, der nur Ärger gebracht hat.“ Marco wollte ihm eigentlich widersprechen, doch irgendetwas hielt ihn davon ab. Vielleicht war es das traurige Lächeln auf den Lippen des Schwarzhaarigen, als er ihn aus dem Augenwinkel heraus betrachtete. Vielleicht war es aber auch nur, dass er nicht wusste, wie er Ace klarmachen sollte, dass er Müll redete. Jedenfalls beließ er es dabei an seiner Zigarette zu ziehen und aus dem Fenster zu aschen. „Mein Großvater ist Polizist, kannst du das glauben?“ Nun schwang ein Hauch Spott mit, doch Marco schwieg auch weiterhin. „Nachdem ich die Highschool mit Hängen und Würgen hinter mich gebracht hab’, hat er ein paar Fäden gezogen und mich in der Polizeiakademie angemeldet. Aber die Typen dort hatten auch keine Verwendung für mich. Ist wohl normal, dass man den Sohn eines dreifachen Mörders genau im Auge behält.“ Daraufhin richtete sich Marco ein wenig auf, wobei sein Blick nach draußen gerichtet blieb. „Es war Selbstverteidigung“, verbesserte er trotzdem. Obwohl Ace ihm nie über seinen Vater erzählt hatte, hatte er sich selbst schlau gemacht. Irgendwie hatte er angenommen, dass Ace niemals mit der Sprache herausrücken würde. Übel nehmen konnte Marco es ihm nicht, da seine Vergangenheit keine war, die man mal eben während eines Smalltalks fallen ließ. Dennoch... wenn Ace seinen Vater als Mörder ansah, hatte er da offensichtlich etwas missverstanden. Ein Mann, der sein Hab und Gut, sein Grundstück schützte und die Typen erschoss, die nachts in sein Haus einbrachen, war kein Mörder. Nicht, wenn er einen fünfjährigen Sohn im Nebenzimmer schlafen hatte. Daran änderte auch das Gericht nichts, genauso wenig der Anwalt, der klagte, dass Mister Panabaker, Hall und Fisher vollkommen unbewaffnet gewesen waren und der Angeklagte sie dennoch ohne mit der Wimper zu zucken erschossen hatte. „Das ändert nichts daran, wie das Rechtssystem das sieht oder dass die meisten denken, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt“, antwortete Ace und zuckte mit den Schultern. Scheinbar war er nicht überrascht, dass Marco Bescheid wusste. Womöglich war er sogar ein bisschen froh darüber, obwohl sich Marco das auch hätte einbilden können. „Früher hab’ ich ihn dafür gehasst, weil niemand jemanden wie mich haben wollte.“ „Wir wollen dich.“ Marco drückte seine Zigarette auf dem Fenstersims aus, während er spürte, wie Ace ihn von der Seite her ansah. „Deshalb will ich Teach finden und Paps und die anderen rächen“, presste der Schwarzhaarige schließlich hervor und ballte die Hände zu Fäusten. „Du hattest kein Recht, mich aufzuhalten!“ „Hätte ich es, wenn wir mehr als Sex hätten?“, fragte Marco und begegnete Ace’ Blick. Er hatte lange darüber nachgedacht, da er zwar das Gefühl hatte, darin Mitspracherecht zu haben, aber offiziell wusste, dass dem nicht so war. „Wenn ich mich zwischen ein Leben ohne dich und eine Beziehung mit dir entscheiden müsste, würde ich mich für dich entscheiden, Ace.“ So ernst Marco ihn anschaute, so erstaunt schaute Ace zurück. Zum ersten Mal erlebte Marco ihn vollkommen sprachlos. Es war ein verdammt angenehmes Gefühl. „Dich an Blackbeard zu rächen ist nichts, was du alleine tun musst“, fügte der Blonde hinzu, als Ace nicht antwortete. „Das wollen wir alle und das werden wir auch, aber überstürzte Handlungen werden sicherlich nicht zum Erfolg führen.“ Mit diesen Worten trat er auf Ace zu, bis er direkt vor ihm stand und nur wenige Zentimeter ihre Körper voneinander trennten. Diese überbrückte Marco, als er mit einer Hand Ace’ Kinn umschloss und sich vorlehnte, um ihn zu küssen. Die Bewegung seiner Lippen war so energisch, dass es einen Moment dauerte, bis Ace den Kuss erwiderte. Erst dann fuhren Marcos Hände langsam seinen Armen hinauf, strichen das blaue Shirt von seinen Schultern, dass es raschelnd zu Boden fiel. Sein eigenes folgte, während er Ace Richtung Tür schob, diese schloss und ihn gegen das Holz drückte. Das leise Klacken des Türschlosses verriet Marco, dass Ace verstanden hatte, worauf er hinaus wollte. VIII Das weiße Leinentuch, das auf dem Einzelbett gelegen und es vor Staub geschützt hatte, war zerwühlt. Es lag halb auf dem Bett und halb auf dem Parkettfußboden, auf dem auch Klamotten verstreut herum lagen. Es war längst dunkel draußen und Grillenzirpen drang vom Garten durch das offenstehende Fenster herein, als es an der Tür zu hämmern begann. „Marco, Ace, seid ihr da drin?“, erklang Thatchs Stimme laut und aufgeregt. „Hey Leute, macht die Tür auf! Neuigkeiten! Von Vista und Paps! Paps, hört ihr?“ Der Kopf des Blonden ruckte von der Matratze und auch Ace saß mit einem Mal senkrecht auf dem Bett. Sie tauschten nur einen Blick aus, ehe sie beide hektisch nach ihren Klamotten griffen und sich anzogen. Den Reißverschluss seiner Jeans hochziehend, stolperte Marco zur Tür, um sie Thatch zu öffnen. Dieser war zu euphorisch, um einen Kommentar fallen zu lassen. Stattdessen packte er Marco am Arm und zog ihn aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Ace folgte ihnen, spürte Adrenalin durch seine Venen pumpen, sein Herz Saltos schlagen - aus Angst und Freude zugleich. Die Jungs waren in der Küche versammelt und Marco und Ace schoben sich durch sie hindurch, um die Anrichte zu erreichen, auf der ein schwarzes Telefon stand. „Wir sind grad in Jacksonville“, erklärte Vistas Stimme über den Lautsprecher. Wind pfiff im Hintergrund, verriet, dass er irgendwo im Freien stand. „Sie sind in Florida“, verkündete Thatch laut für alle, die es nicht verstanden hatten, und ein Murmeln ging durch die Reihen. „Vista“, machte sich Marco bemerkbar und stützte die Arme links und rechts vom Telefon ab. „Wer ist alles bei dir? Ist Paps bei dir?“ „Ja, Paps ist hier“, bestätigte Vista belustigt. Ace spürte ein Grinsen an seinen Mundwinkeln ziehen und mit einem Blick zu Marco, stellte er fest, dass es diesem nicht anders ging. „Izou und Atomos ebenfalls.“ „Geht’s euch allen gut? Sollen wir euch abholen?“ „Keine Sorge, Marco“, sagte Vista. „Gib’ uns ein paar Tage und dann sind wir bei euch.“ Im Hintergrund ertönte ein geräuschvolles Lachen, das den Wind mit Leichtigkeit übertönte. „Und Paps sagt, dass du wirklich lockerer werden solltest. Das ist ein Befehl!“ Ace sah wie Marcos Ohrenspitzen erröteten, als Lachen von den Jungs um ihn herum ertönte. Es schwoll an, als Thatch ein „Tja, Whitebeards Söhne sind eben nicht so einfach unterzukriegen!“ verlauten ließ. „Wir stehen immer wieder auf“, fügte Ace heiter hinzu und schlang einen Arm um Marcos Schultern, um zu sich ziehen zu können. „Wie Stehaufmännchen!“, rief jemand anderes und Grölen ging durch die Küche. Ace war sich sicher, dass es bis nach Florida hallte. End Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)