Vergrabene Vergangenheit von Enisegu (Oder auch: wie setz ich nur diesen Plot um?!) ================================================================================ Kapitel 1: Vertretung --------------------- Es plätscherte leise, als die heißen, ungesund wirkenden Nebelschwaden an den kalten Wänden kondensierten und dabei noch ungesünder wirkende glänzende Schlieren bildeten, die zu Boden tropften. Das Schlachtfeld sah fürchterlich aus. Holzsplitter steckten in den Wänden, Glasscherben bedeckten den Boden und das Wimmern von verletzten Schülern, die es immerhin geschafft hatten unter den massiven Tischen Zuflucht zu suchen, stahl sich hier und dort aus den Trümmerhaufen. Harry lag im Zentrum des Chaos. Ihm war schwindelig und er fühlte seinen Körper nur unvollständig. Gerade als er sich zusammenreißen wollte um sich aufzurichten, bemerkte er eine dunkle Wolke über sich. Der düstere Schemen emittierte ein knirschendes Geräusch, das durch Mark und Bein ging. Harry blinzelte verwirrt. Der Schatten nahm Gestalt an. „POTTER!“, rief der vor Wut bebende Zaubertränkelehrer mit einem finsteren Grollen, das Harry einem Menschen gar nicht zugetraut hätte. Erschrocken rappelte sich Harry hoch und sah Professor Snape, dem, durch den Schock, doch noch die Worte für eine angemessen gebrüllte Standpauke fehlten, mit aufgerissenen Augen an. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie sich die Trümmerstücke um ihn herum zu bewegen begannen und immer mehr jammernde, ärgerliche und verwirrte Schüler freigaben. Doch nun hatte Snape sich gefasst und es hätte nicht mehr viel gefehlt und er hätte Harry nicht nur verbal, sondern auch - im wahrsten Sinne des Wortes - physisch zur Schnecke gemacht. Nun, dies war jedoch Minervas Spezialgebiet und an einer Schnecke konnte man seine Wut schlecht auslassen. Harry saß alleine auf seinem Bett im Schlafsaal. Die anderen Schüler hatten sich, ihn bewusst ignorierend, in den Gemeinschaftsraum zurückgezogen oder befanden sich noch im Krankenflügel. Bedrückt zupfte er fusselige Federn aus seinem Kopfkissen. Das hatte er nicht gewollt. Naja, ein bisschen vielleicht, aber doch nicht so eine zerstörerische Explosion. Wer konnte denn ahnen, dass gerade der Austausch von Gürteltiergalle gegen Pufferfischaugen so eine verheerende Wirkung haben würde, dachte er niedergeschlagen. Unglücklich sah er sich in dem leeren Zimmer um. Selbst Ron, vor sich hinschimpfend wie ein Rohrspatz, hatte ihn einfach zurückgelassen. Er fühlte sich einsam. Nicht nur allein, sondern einsam, denn er hatte ein Problem, das er gerne mit jemandem besprochen hätte. Doch es gab niemanden, an den er sich wenden konnte. Wer sollte es auch schon verstehen? Er verstand es ja selbst nicht. Hier saß er, ein junger, erfolgreicher, bekannter Zauberer, 16 Jahre alt, Kapitän der Quidditch-Mannschaft, Gründer von Dumbledores Armee, zukünftiger Auror. Und doch sah er, wenn er die Augen schloss, das Gesicht von Professor Snape vor sich und ängstigte sich wie ein kleines Kind. Dass er den düsteren Zaubertränkelehrer nicht leiden konnte und teilweise Angst vor ihm empfand, war nichts Neues. Was ihn jedoch erschaudern ließ, war, dass sich seine Angst geändert hatte. Er fürchtete sich nicht mehr davor unfair behandelt zu werden, Punkte abgezogen zu kriegen oder Strafarbeiten aufgebrummt zu bekommen. Es graute ihm inzwischen eher vor dem Gefühl, welches ihn befiehl, wenn der Lehrer ihn lobte. Nicht, dass es häufig vorgekommen wäre. Aber es war passiert. Dieses Gefühl konnte nicht sein. Durfte nicht sein. Verzweifelt knetete er sein Kissen. Er hasste Snape doch. Und Snape hasste ihn. Wieso wollte er dann also in der Nähe des Professors sein? Müde und deprimiert saß Professor Snape hinter seinem wieder aufgerichteten Schreibtisch und ließ den Blick durch das Klassenzimmer schweifen. Es war niemand außer ihm anwesend und er hatte die letzten schweißtreibenden Stunden damit verbracht so etwas wie Normalität aus den Überresten seines geliebten Refugiums wiederherzustellen, Fragen besorgter Lehrer zu beantworten und auch Dumbledore einen Bericht abzuliefern. Selbst der Ersatz von Muskelkraft durch Magie hatte die Sache nicht einfacher gestaltet. Grimmig trommelte er mit den Fingern über sein Pult. An allem war nur dieser Wichtigtuer Slughorn schuld. Der hatte es doch glatt geschafft zwei Wochen vor den Ferien „krank“ zu werden. Nun, dafür, dass er seinen Kerker vorübergehend wieder für sich allein hatte, hatte Snape einen großen Preis zahlen müssen. Nicht nur, dass er durch die nötigen Vertretungsstunden ein sehr hohes Arbeitspensum bewältigen musste, nein, dieser aufgeblasene Hund Slughorn hatte auch noch lauter ebenso aufgeblasene Inkompetenzlinge in seinem Kurs gebracht! War der heutige Tag nicht Beweis genug, dass selbstverliebte Trottel, wie Harry Potter, nicht in einen Kurs gehörten in dem so delikate Dinge wie Zaubertränke unterrichtet wurden? Konnten diese ganzen minderbemittelten Schwachmaten nicht verschwinden und seinetwegen diesem ebenso begriffsstutzigen Hagrid beim Holzhacken helfen - oder womit auch immer der sich sonst beschäftigte?! Mit einem Ruck ließ er sich an die Lehne des Stuhls zurücksinken. Hoffentlich war Potter wenigstens zum Aufräumen zu gebrauchen. Die Stühle, Tische und Schränke standen zwar mehr schlecht als Recht wieder an ihren Plätzen, doch die meisten Zutaten lagen noch als wilder Haufen neben der erkalteten Feuerstelle oder waren geflohen. Seufzend erhob er sich und streifte seinen Mantel über. Obwohl es Mai war zogen noch kalte Ausläufer durch die Nächte. Er musste neue Gefäße besorgen. Wenn wenigstens die Hälfte der Zutaten noch zu gebrauchen war, konnte er sich glücklich schätzen, dachte er bitter auf seinem Weg durch das Schloss. Harry war von sich selbst überrascht. Obwohl er heute das Quidditch-Training verpasste und müffelnde, angetrocknete Flubberwurmreste von Blutblasenschoten und anderen, teils weniger kooperativen Zutaten abpellte, war er nicht wirklich unglücklich. Er wollte es sich eigentlich nicht eingestehen, aber er genoss die uneingeschränkte Aufmerksamkeit, die ihm Professor Snape während dieser Strafarbeit zukommen lies – auch wenn jener dies mit zusammengekniffenen Augen und einer körpersprachlich bravourös vermittelten Missachtung tat. Während er dazu überging Gänseblümchenwurzeln aus dem Gemenge zu picken, überlegte er, was ihn an solchen Situationen bloß so anzog. Es war schließlich nicht das erste Mal gewesen, dass er absichtlich etwas falsch gemacht hatte, um nachsitzen zu können. Nur war er, wie sich gezeigt hatte, in Zaubertränke effektiver darin, Chaos zu fabrizieren, als in Verteidigung gegen die dunklen Künste. Die Aufmerksamkeit alleine konnte es nicht sein. Im Quidditch bekam er mehr Aufmerksamkeit von der ganzen Schule – positive von den Gryffindors, neidische und missgünstige von den Slytherins, gemischte vom Rest – als nötig. Zudem kam mit dem Fliegen mehr Anerkennung und Zuneigung als dadurch ein Klassenzimmer explodieren und sich selbst als Idioten dastehen zu lassen. Harry seufzte tief, was den Anflug eines höhnischen Lächelns auf Snapes Gesicht zauberte. „Ich bin ein Narr.“, murmelte Harry fast lautlos und kramte weiter sowohl in den vermixten Zutaten als auch in seinen Erinnerungen. Die Verachtung in Snapes Zügen hatte ihm einen Stich ins Herz versetzt. Dumbledores Gesicht erschien ihm vor dem inneren Auge, als er an andere Arten der Aufmerksamkeit dachte, die er begehrte. Der Schulleiter war fast so etwas wie eine Vaterfigur für ihn geworden, dachte Harry dankbar. Doch auch eine Prise Trauer schwang in dem Gedanken mit, denn so sehr Harry sich eine Familie wünschte, so war der Rektor doch immer außer Reichweite, immer auf einer gewissen undurchdringlichen Distanz. Dumbledore war für alle Schüler verantwortlich und es gab so viele Dinge, die Harry nicht über ihn wusste und wohl auch nicht so bald erfahren würde. Slughorn hatte da eine ganz andere Art mit seinen Lieblingen umzugehen, aber trotzdem war Dumbledore ihm tausendmal lieber, ging es Harry mit einem Kribbeln durch den Kopf. Er vermisste Sirius. Harry spürte, dass ihm die Augen wässrig wurden. Hastig versuchte er sich abzulenken. Ein abgebrochener Knarlkiel, der sich schmerzhaft in seinen Zeigefinger bohrte, half ihm freundlicherweise dabei. Das Schuljahr näherte sich mit großen Schritten den Sommerferien. Eine gewisse Hochstimmung ergriff die Schüler, jetzt, wo sie die Zeit bis zum Schulfrei an einer Hand abzählen konnten. Selbst Harry ließ sich davon mitreißen, weg von seinen ewigen Grübeleien. Die meisten Mitschüler redeten auch wieder mit ihm,wie er freudig festgestellt hatte. Der Großteil war bei dem Unfall mit kleineren Kratzern, blauen Flecken und einem ordentlichen Schrecken davon gekommen. Der Rest der Verletzungen war auch kein Problem für Madame Pomfreys routiniert angewandte Kunst gewesen. Den Kerker selbst hatte es wohl am schlimmsten erwischt. Freudig lief er mit Hermine und Ron die Wendeltreppe zum Gemeinschaftsraum der Gryffindors hinauf, als ihm plötzlich einfiel, dass er, nach der Stunde Pflege magischer Geschöpfe, Rons Rechtschreibchecker-Feder bei Hagrid hatte liegen lassen. „Ich hole sie lieber gleich, sonst streiten sich Ron und Hermine nachher wieder darüber, dass er überhaupt eine benutzt, sobald ihm auffällt, dass sie fehlt.“, dachte Harry rasch. „Hey! Ron, Hermine!“ rief er ihnen zu. Die beiden standen bereits vor dem Portrait, das den Gemeinschaftsraum verschloss und sahen ihn fragend an. „Ich bin noch mal kurz weg.“, teilte er ihnen mit. „Werd nicht lange brauchen, aber wartet trotzdem nicht auf mich.“, rief er und lief beschwingten Schrittes die Treppenstufen, die er gerade erst erklommen hatte, wieder hinab. Die Feder hatte er schnell gefunden, doch ganz so schnell war er nicht losgekommen. Hagrid hatte ihn genötigt noch auf eine Tasse Tee und ein paar keksähnliche Kohlestückchen zu bleiben. „Ich hoffe du hast einen schönen Sommer bei deinen Verwandten.“, hatte Hagrid gemeint und seltsamerweise fehlte ein zynischer Unterton, ohne den Harry diesen Satz nicht ganz ernst nehmen konnte, in seiner Stimme. Er meine es wohl mal wieder aufrichtig gut. „Ich wünschte ich wär’ so optimistisch“, antwortete Harry ausweichend und versuchte unauffällig einen der Kekse unter dem Tisch verschwinden zu lassen. „Ach, ich werd dich vermissen, Harry!“ Hagrids Bassstimme füllte den Raum. „Aber hier kannst du nicht bleiben, selbst wenn Professor Dumbledore es dir erlauben würde. Er hat nämlich einen Auftrag für mich.“ Er blickte sich um. „Mehr darf ich dir leider nicht verraten.“, setzte er verschwörerisch hinzu. Harry nutzte Hagrids Kunstpause, um sich schnell zu verabschieden, und versprach, vor der Abreise noch mal mit Ron und Hermine vorbei zu schauen. Die Sonne neigte sich bereits dem Horizont entgegen, als er den knirschenden Kiesweg zum Schloss entlang wanderte. Über den See tanzten kleine glitzernde Wellen in der Abendsonne wie orange Funken über die ansonsten still daliegende Wasserfläche. Kaum jemand bewegte sich mehr über das Schulgelände. Friedlich lag es da und nur die Kronen der Bäume raschelten unaufdringlich in der leichten Brise. Harry verlangsamte seine Schritte. Die ganze Abenddämmerungsszene und Hagrids Worte hatten ihn melancholisch gestimmt. Da entdeckte er, an einen Baum am Ufer gelehnt, eine bekannte, dunkle Gestalt. Mit plötzlich deutlich klopfendem Herzen versteckte er sich flink hinter dem ihm am nächsten stehenden Busch. Aus seinem Versteck heraus beobachtete er Professor Snape, welcher seinerseits nur der untergehenden Sonne Beachtung schenken zu schien. Die Wärme des Tages wich der Kühle der Nacht, die mit leichten Böen durch die Blätter wuschelte, die Zweige zum Schwingen brachte und Snapes Haare leicht im Wind flattern ließ. „Warum“, dachte Harry, leicht peinlich berührt, „fällt mir so etwas überhaupt so deutlich auf?“, und merkte dabei wie sich seine Wangen der Farbe des Sonnenuntergangs anpassten. Mit immer noch eingeschlafenem Bein lief er möglichst leise die Treppe zum Schlafsaal hinauf. Als er Rons Bett passierte fragte dieser verwundert: „Harry, wo warst du denn? Du wolltest doch gar nicht so lange wegbleiben! Hermine hat gesagt - “ „Hagrid.“, unterbrach ihn Harry einsilbig, legte ihm die Feder auf das Bett und verschwand, ohne weitere Erklärung, hinter dem Vorhang seiner eigenen Schlafstätte. Bald kehrte Ruhe ein im Schlafsaal der Jungen. Einige konnte man deutlich ratzen hören: sie schnarchten, als würden sie im Traum Schwerstarbeit verrichten. Glücklicherweise verhalf ein Imperturbatio-Zauber, den Harry sich letzten Sommer von Mrs. Weasley hatte beibringen lassen, auf die Vorhänge seines Bettes gesprochen, zu wohliger Ruhe im Inneren. „Eigentlich ideale Voraussetzungen um einzuschlafen.“, dachte Harry bei sich, als er sich in sein Kissen kuschelte, „Wäre da nicht noch das eingeschlafene Bein, das immer noch unangenehm kitzelt." Er hatte sich unten am See nicht aus seinem Versteck getraut, bevor Snape nicht von selbst verschwunden war. Sein rechtes Bein hatte die Stellung anscheinend als unbequem empfunden. Ah - der Fuß war schon besser, stellte er erleichtert fest. Nur der Oberschenkel kribbelte noch unangenehm. Mit sanftem Druck versuchte er die Durchblutung im Bein zu verbessern. Es half, doch der Oberschenkel war nicht das Einzige, was besser durchblutet wurde durch die Massage. „Eh, warum nicht?“, dachte sich Harry und verlagerte seine Massagetätigkeiten ein Stück nach links. Er war gespannt, welches Gesicht heute auftauchen würde. Chos? Früher hatte er kaum an jemand anderen denken können, doch in letzte Zeit… vielleicht Padma Patil? Sie lächelte ihn ab und zu besonders nett an. Luna? Ein wenig sehr exzentrisch, aber trotzdem hübsch. Hermine? Nah, lieber nicht. Harry seufzte. Er würde all seine Freunde bald mindestens zwei Monate lang nicht sehen. Und dann sah er Ginny vor sich: Süße rote Sommersprossen, rotgold glänzendes Haar, nette Oberweite. „Wie gut, dass Ron keine Gedanken lesen kann.“, sagte er zu sich selbst. Dann hatte sich plötzlich etwas an Ginnys Antlitz geändert. Die Sommersprossen waren verschwunden. Die Haare glänzten noch, nahmen jedoch die falsche Farbe an. Zwei sehr dunkle Augen schienen ihm tief in die Seele zu blicken. Harry erstarrte. Er lag diese Nacht noch lange wach. „Wie gut, dass NIEMAND hier meine Gedanken lesen kann.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)