Nie erzählt von Flordelis ================================================================================ Von einer Jungfrau in Nöten --------------------------- Es behagte Maryl offensichtlich gar nicht, sich in einer derart vollen Taverne niedergelassen zu haben. Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her, schlang ganz unprinzessinnenhaft ihr Essen hinunter und wartete mit unverhohlener Ungeduld, dass auch Russel endlich fertig wurde. Er störte sich allerdings nicht im Mindesten an dem Lärm der anderen Gäste und den Ellenbogenhieben, die er hin und wieder im Gedränge abbekam. In aller Seelenruhe aß er weiter, so langsam und von der Außenwelt unbekümmert als würde er nicht einmal etwas davon bemerken. Seine Ruhe fachte Maryls Ungeduld noch weiter an, so dass sie ihn anzischte, er möge sich endlich beeilen – aber das ging im allgemeinen Lärm unter, was ein Grund für Russel war, so lange wie möglich zu verweilen. Immerhin hörte er sie hier nicht und musste nicht ihre schlechte Laune ertragen, abgesehen von ihrem Gesichtsausdruck, aber dem entging er äußerst gut, indem er sich einfach auf sein Essen konzentrierte, das er genüsslich verspeiste. Es war lediglich ein einfacher Eintopf, aber selbst dieser erschien ihm nach all den Rationen getrockneten Fleischs und dünner Suppe, die sie unterwegs irgendwie hinbekommen hatten, wie ein Essen im Paradies – wenngleich dort nicht gegessen wurde, wie er wusste. Aber es gab noch einen wichtigen Grund, wegen dem er unbedingt bleiben wollte, zumindest noch für eine Weile. In einer Ecke der Taverne hatte er bereits beim Hereinkommen einen alten Mann ausgemacht, der dort bedächtig seine Pfeife rauchte, wenn er nicht gerade wieder einen Schluck aus dem Krug neben sich nahm. Er kannte diesen Mann und der hatte ihn auch erkannt, wie ihm an dem Blick des Alten aufgefallen war. Seit ihrer letzten Begegnung war zwar viel Zeit vergangen, aber es schien als wäre diese für keine der beiden Männer von Bedeutung, sahen sie doch noch genauso aus wie bei ihrem letzten Treffen. Nein, Russel wollte nicht mit ihm sprechen, er wollte nur hören, welche Geschichte er an diesem Abend in der Taverne erzählen würde, immerhin war dies sozusagen sein Beruf – er war Geschichtenerzähler und das zur Abwechslung sogar nicht von irgendwelchen uralten finsteren Legenden, denen zufälligerweise der Auserwählte zuhörte, ohne zu wissen, dass über ihn gesprochen wurde, sondern von Geschichten, die keine tiefere Bedeutung für die Zukunft besaßen. Hauptsächlich Geschichten über Russel nämlich. Als Hauptfigur aller Erzählungen war er natürlich interessiert, welche Geschichte der Alte an diesem Abend zum Besten bringen würde und wollte sie um nichts in der Welt versäumen, weswegen er auch Maryls Tritte ignorierte, die ihm zusätzlich zu verstehen geben sollte, dass es besser für ihn wäre, sich zu beeilen. Glücklicherweise – sein Teller leerte sich langsam aber sicher – winkte der Alte schließlich alle ein wenig näher zu sich und verkündete mit überraschend fester und lauter Stimme, dass er nun eine weitere Geschichte erzählen würde, was schlagartig alle Anwesenden verstummen ließ. Außer Maryl, die genervt seufzend mit den Augen rollte und dafür einige abfällige Blicke erntete. Der Alte nahm noch einen Schluck aus seinem Krug und räusperte sich, ehe er die Geschichte begann: Es begab sich, vor gar nicht allzulanger Zeit, dass ein Königreich unter einer verheerenden Dürre zu leiden hatte. Kein Tropfen Regen war in diesem Jahr gefallen, der einstmals stolze Fluss war zu einem jämmerlichen Rinnsal geschmolzen, die Ernte drohte auf dem Feld zu verdorren. Um dem drohenden Hungertod zu umgehen, beschloss der König die schönste Jungfrau des Reiches als Opfer für die Götter zu bringen – und die Wahl fiel auf seine einzige Tochter. Mit ihrem langen goldenen Haar, das selbst jeglichen Schmuck verblassen ließ und den tiefblauen Augen, die klarer als der Himmel selbst schienen, sowie ihrer eleganten Figur auf die selbst Porzellanpuppen neidisch waren, wurde sie als das ideale Opfer auserkoren. Trotz der vielen Tränen, die sie und ihr Vater ob dieser Entscheidung weinten, wurde sie am Tag des Rituals zum Opferschrein geführt und dort auf dem Altar festgebunden. Doch – wie das Schicksal so spielte – befand sich zur selben Zeit auch eine Gruppe von Helden in der Nähe. Es waren nicht nur der tapfere Beschwörer Ashton und seine Leibwächter Lionet und Garasu, sondern auch der sagenumwobene Windgott Levante, der vom Himmel herabgestiegen war, um diese Grausamkeit zu unterbinden. Russel konnte sein Grinsen nicht verbergen, als die Sprache auf ihn fiel, nicht einmal, als Maryl ihm einen wütenden Blick zuwarf, der ihm sagte, dass sie nun endlich verstanden hatte. Er würde mit Sicherheit noch einiges an Ärger für seine Verzögerungstaktik bekommen, aber im Moment störte ihn dieser Gedanke nicht. Viel wichtiger war für ihn, wie die Geschichte laut dem Alten weiterging. Mit Sicherheit ganz anders als es in Wirklichkeit geschehen war, deswegen lauschte er weiter aufmerksam. Mit entschlossenen Schritten trat Levante auf den Opferschrein zu, wo er ohne jedes Wort die Fesseln der Prinzessin löste. „Lebe“, sprach er zu ihr und bedeutete ihr, dass sie diesen Ort verlassen sollte. Sie tat, wie er ihr befahl, so dass er und seine Kameraden sich den Priestern zuwenden konnten, die das Ritual hatten durchführen wollen. „Kein Gott wünscht euer Blutopfer. Alles, was wir wollen, ist euer Glaube an uns, denn dieser erhält uns am Leben und nur so sind wir in der Lage, euer Königreich dem verdienten Wohlstand angedeihen zu lassen.“ Kaum sprach er diese Worte, fegte ein Sturm durch das Land. Doch er brachte keine Verwüstung, sondern füllte den Fluss, wässerte die Erde und ließ die auf den Äckern verstreute Saat keimen und im Nu gedeihen. Als die Anwesenden Zeuge dieser göttlichen Gnade wurden, fielen sie allesamt vor Levante in den Staub und schworen, nie wieder an ihren Göttern zu zweifeln und nie wieder Opfer zu bringen. Zufrieden mit diesem Glaubensbekenntnis, verließ Levante mit seinen ihn bewundernden Kameraden den Schauplatz – und traf noch einmal auf die Prinzessin, die fest entschlossen war, ihren Retter zu ehelichen, wie es der königliche Brauch vorsah. Doch er erwiderte: „Ich bin ein Gott, mich gelüstet es nicht nach irdischen Sünden, geschweigedenn Frauen. Lebe dein Leben, mit meinem Segen, aber ohne mich.“ So ließ er die enttäuschte Prinzessin zurück und- Mehr bekam Russel von der Geschichte nicht mit. Maryl zerrte ihn bereits mit aller Macht nach draußen und ließ ihn erst wieder los, als sie einige Schritte von der Taverne entfernt waren. Er richtete seine Kleidung und blickte Maryl an, als sie leise zu knurren begann. „Ist diese Geschichte etwa wahr?“ „Nicht ganz“, antwortete er wahrheitsgemäß. „Er hat maßlos bei dem Aussehen der Prinzessin übertrieben, so wie bei meiner Retterrolle – immerhin stand ich eigentlich nur daneben und hab Garasu alles machen lassen – und er hat die Frau in der Gruppe vergessen. Wahrscheinlich, weil er sie schon damals nicht gemocht hat.“ Mit einem Schmunzeln erinnerte er sich daran, dass Miku dem Alten nur zu gern ihren Stab über den Kopf gezogen hatte, wann immer er auch nur den Mund aufmachte, um sie wieder einmal zu kritisieren. Die Unsympathie war eindeutig gegenseitig gewesen, aber in seiner Erinnerung fehlte das Stück, wieso eigentlich, da er bei der ersten Begegnung der beiden nicht anwesend gewesen war. Ungeachtet einer möglichen Faltenbildung, vor der sie sich früher stets gesorgt hatte, runzelte Maryl die Stirn. „Wie hat sie denn wirklich ausgesehen?“ Glücklicherweise musste er sich diese Prinzessin nicht erst ins Gedächtnis rufen. Nach ihrer Rettung war sie ein Teil der Gruppe geworden und daher lange genug in seiner Nähe gewesen, so dass er sie schon seit Beginn der Erzählung wieder vor seinem inneren Auge sah. „Gut, ihre Figur war wirklich astrein, da kann man nichts sagen, nur der Spruch mit den eifersüchtigen Porzellanpuppen war doch ein wenig zuviel gewesen.“ Von der Prinzessin war der Alte fasziniert gewesen, das wusste Russel noch ganz genau und zu ihr war er auch wesentlich höflicher als zu Miku gewesen. Der Standesunterschied war aber nicht dafür verantwortlich gewesen, da war sich Russel sicher, so war der Alte einfach nicht. „Ihre Augen waren auch wirklich faszinierend, wenn sie nicht gerade wütend war.“ Dann waren sie nämlich so tiefblau geworden, dass es aussah als würde ein Gewitter darin aufziehen und so manches Mal hätte er schwören können, kleine Blitze in ihrer Iris zu sehen. „Aber ihr Haar war weder goldfarben noch lang. Es war strohblond, reichte ihr bis zu den Schultern und die abstehenden Spitzen waren schwarz.“ Seine Beschreibung sorgte nicht dafür, dass sie glücklicher war, stattdessen schien sich ihr Stirnrunzeln sogar noch einmal zu verstärken. „Ist das so?“ „Ja. Eigentlich war sie 'ne echt gute Partie – sie hatte nur absolut keinen Humor.“ Zumindest hatte sie nie über seine einfallsreichen Ausreden gelacht, wenn sie ihn wieder einmal unweit ihres Bads erwischt hatte. „Und sie war undankbar. Einmal wurde sie vergiftet und ich bin sogar extra in eine andere Welt gereist, um das Gegenmittel zu besorgen und sie war trotzdem noch sauer auf mich. Dabei habe ich sie vorher noch extra vor dem Gift gewarnt und ihr trotzdem geholfen, obwohl sie nicht auf mich hören wollte.“ Er bemerkte gar nicht, dass Maryl immer wütender zu werden schien, je mehr er erzählte und darüber berichtete, dass er einmal sogar beinahe gestorben wäre, um sie vor einem riesigen Tier zu retten. „Im Endeffekt war sie wohl doch mehr an Garasu interessiert als an mir und- Au!“ Er hielt sich den schmerzenden Hinterkopf und sah Maryl wieder an. „Was sollte das denn?!“ Sie dachte allerdings nicht daran, den Blick zu erwidern und wandte eingeschnappt den Kopf ab. „Das hast du davon, wenn du so von anderen Frauen schwärmst!“ „Ich habe nicht geschwärmt“, wehrte er empört ab. „Das würde sich ganz anders anhören.“ Doch gerade als er ausholen wollte, um das zu demonstrieren, bekam er einen erneuten Schlag von ihr gegen den Hinterkopf. „Spar dir das! Es interessiert mich nicht!“ „Warum bist du eigentlich so sauer?“ Er bereute die Frage bereits, kaum dass er sie ausgesprochen hatte und nahm unwillkürlich eine leicht geduckte Haltung ein. Doch statt ihn noch einmal zu schlagen oder ihm überhaupt eine Antwort zu geben, beschleunigten sie ihre Schritte, damit sie nicht mehr neben ihm herlaufen musste, dabei murmelte sie einige Verwünschungen vor sich her, die er nur hören konnte, da der Wind ihre Stimme an sein Ohr trug. Sein genervtes Seufzen allerdings blieb für sie ungehört, was sein Glück war. Ich werde nie wieder mit einer Freundin reisen, von der ich mich getrennt habe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)