Nie erzählt von Flordelis ================================================================================ Trauer, Wut und Zorn -------------------- Man sah der Prinzessin die Ungeduld deutlich an, sie versuchte aber auch nicht im Mindesten, sie zu verbergen. Wozu auch? Jeder im Palast wusste, dass sie die Rückkehr ihrer Eltern herbeisehnte, die zu einem diplomatischen Treffen mit anderen Herrschern aufgebrochen waren. Seit der Abreise der beiden saß sie nun am Fenster ihres Zimmers, das auf die Hauptstraße der Stadt führte, blickte hinaus und wartete. Nicht einmal zu den Mahlzeiten verließ sie ihren Beobachtungsort, sie nahm ihr Essen auf einem kleinen Tisch, den ihr die Zofen gemeinsam mit dem Mahl brachten und danach wieder abholten, ein. Nachts schlief sie am Fenster sogar ein und wurde dann mit Hilfe des Leibwächters ihres Bruders ins Bett gebracht. Sobald sie erwachte, huschte sie, nach einem kurzen Besuch im Bad, sofort wieder ans Fenster zurück. Dabei sprach sie die ganze Zeit über kein Wort. Sie redete weder mit ihren Zofen, noch mit dem Leibwächter ihres Bruders oder gar ihren Geschwistern. Es war als habe das kaiserliche Paar die Seele ihrer Tochter mit sich genommen und lediglich ihren Körper zu Hause vergessen. Doch kaum eine Reise währt ewig und so kam es, dass die kaiserliche Kutsche fast zwei Monate nach der Abfahrt wieder ihren Weg in den Palast fand. Das Gefährt sah arg mitgenommen aus, eine Tür fehlte und der weinrote Lack war an so manchen Stellen abgeblättert, eine der Laternen am Kopfstück war abgerissen. Aber die Prinzessin kümmerte sich nicht weiter um diese negativen Vorzeichen. Sie sprang begeistert von ihrem Stuhl auf und lief an ihren fragend dreinblickenden Zofen vorbei, ohne diesen Beachtung zu schenken. Ihre Füße trugen sie eilig in den Innenhof hinab, wo sie neben der Kutsche auch jede Menge Soldaten vorfand – und den Kutscher, der sich gerade in einer Unterhaltung mit dem ernst aussehenden Lionheart, dem Leibwächter ihres Bruders, befand. Allerdings beachtete die Prinzessin keine dieser Personen, stattdessen suchte sie nach dem Kaiserpaar, um ihrem Vater in die Arme fallen zu können, um ihm zu sagen, wie sehr sie ihn vermisst hatte und dass sie das nächste Mal lieber mitfahren möchte, anstatt zu Hause auf ihn zu warten, egal wie ungemütlich die Reise werden würde. Doch sie entdeckte weder die hochgewachsene Gestalt ihres Vaters, dessen silber-blondes Haar stets zu leuchten schien, wenn er in der Sonne stand, noch die zierliche Figur ihrer Mutter, deren blondes Haar wie gesponnenes Gold wirkte und das Seline so gern bürstete, wenn sie die Gelegenheit fand. Überall sah sie nur die unbekannten Gesichter der Soldaten, die betroffen dreinblickten und sich flüsternd unterhielten und als sie irgendwann herumfuhr, blickte sie direkt auf Lionheart. Erst an seinem schwarzen Haar, das vollkommen durchnässt war und den Tropfen, die über sein Gesicht liefen, erkannte sie, dass es zu regnen begonnen hatte, dass sie selbst bereits völlig durchnässt war, ignorierte sie. Der Blick, mit der er den ihren erwiderte, wollte ihr allerdings nicht gefallen. Sie kannte ihn als leicht unterkühlte, immer ein wenig abweisende Person, die sich – wie seine Arbeit es verlangte – hauptsächlich mit Ryu beschäftigte, aber an diesem Tag verriet sein Blick Mitleid und Trauer und sprach ohne Worte von einer schrecklichen Nachricht. Ein schrecklich schmerzhafter Druck baute sich in der Brust der Prinzessin auf und bildete einen Kloß in ihrem Hals, ihr Blick verschwamm wegen der aufsteigenden Tränen. „Eure Hoheit...“ Lionhearts Stimme durchbrach das Summen zu dem die flüsternden Stimmen verschmolzen waren und bohrte sich wie ein Eiszapfen in ihren Kopf. „Es tut mir so Leid.“ Sie wollte lächeln, tief Luft holen und ihm sagen, dass es schon in Ordnung sei, sie werde ein Bad nehmen und dann gemeinsam mit ihren Geschwistern über eine passende Trauerrede sprechen. Sie würde erwachsen sein, genau wie ihre Eltern es gewollt hatten. Doch ihre Lippen weigerten sich standhaft ein Lächeln zu bilden und schufen stattdessen ein furchteinflößendes Grinsen, das ihre Wangen schmerzen ließ. Sie holte tief Luft – und ihr schien, dass im selben Moment sämtliche Schilde abfielen, die ihr Herz vor dieser furchtbaren Wahrheit, die sich ihr hier offenbarte, bewahrt hatten. Der Schrei aus ihrer Kehle war viel lauter als sie es sich hätte erlauben dürfen, sämtliche Anwesende wandten sich sofort ihr zu, aber es kümmerte sie nicht, dass sie einen fürchterlichen Eindruck als Prinzessin machte, wie sie protestierend kreischend mitten im Hof stand, wie ihr die Tränen in Strömen über das Gesicht rannen und sie sich gleichzeitig die Ohren zuhielt, um niemanden das Unausweichliche aussprechen zu hören. „Nein! Nein, nein, nein!“ Immer wieder kreischte sie dieses eine Wort, als wäre es eine Zauberformel, die mit genug Inbrunst des Beschwörers das ungeschehen machen könnte, was dieser nicht wahrhaben wollte. „Neineineineineineinein!“ Sie spürte, wie jemand an ihren Arm griff, aber ohne auf diese Person zu achten, um herauszufinden, wer es war, riss sie sich los und rannte davon. Fort von diesem Hof, von der Wahrheit, von all diesen Menschen mit ihrer aufgesetzten Trauer, die innerlich bereits den neuen Kaiser bejubelten, obwohl der alte noch nicht einmal begraben war. Nein, sie wollte nicht einmal daran denken, dass sie ihn begraben müssten, dass ihm unterwegs etwas Schreckliches zugestoßen war, dass er nie mehr heimkehren würde, dass sie ihn nie mehr umarmen, nie mehr das Haar ihrer Mutter bürsten würde. Diese Gedanken ließen sie stolpern und schmerzhaft im Schlamm landen. Sie wollte sich aufrichten, aber jegliche Kraft war aus ihren Armen gewichen, sie schaffte es nicht, sie zu bewegen und musste so hilflos ertragen, wie ihr Körper von all dem Schluchzen geschüttelt wurde. Neben der unbändigen Trauer, die sie verspürte und sich wie feine Nadelspitzen immer wieder in ihr Herz bohrten als wollten sie es einerseits zerreißen, aber es andererseits auch so lange wie möglich zusammenhalten, um es weiter zu quälen, kam auch Wut in ihr hoch. Sie war wütend auf ihre Eltern, die ohne sie gefahren waren, auf deren Fahrer, der ohne sie zurückkgekommen war und vermutlich nur eine heldenhafte Geschichte über ihre letzten Minuten zu erzählen wusste, sie war wütend auf sich selbst, weil sie sich von alldem derart mitnehmen ließ – aber vor allem fühlte sie unangenehm brennenden Zorn darüber, dass ihre Eltern sie einfach im Stich gelassen hatten und das für immer. Sie waren gegangen, ohne sich zu verabschieden und sie würden niemals, niemals zurückkehren, egal wie sehr sie es sich wünschte. Ihre Wut und ihr Hass wurden derart stark, dass sie ein unangenehmes Kribbeln auf ihrem rechten Oberarm spürte. Etwas schien von dort auszutreten und die Luft um sie herum zu erfüllen. Das Prickeln, das sie erfüllte verriet, dass es ein unfreiwillig gewirkter Zauber war, dessen Auswirkungen sie nicht einschätzen konnte, der sich wie eine kalte Umarmung auf sie legte und ihr die Luft zum Atmen nehmen wollte. In ihrem Kopf konnte sie die mahnende Stimme ihres Vaters hören, der sie daran erinnerte, dass sie niemals Magie wirken sollte, wenn sie wütend oder traurig war, weil es in einem derartigen Zustand fast unmöglich war, die Konsequenzen abzusehen. Mit einem wütenden Heulen trommelte sie ihre letzte Kraft zusammen, um sich aufzurichten. Dabei spürte sie, wie die Eissicht auf ihrem Körper, die sie nicht mehr atmen ließ, abplatzte und in Scherben zu Boden fiel. Kaum stand sie auf den Beinen, schwankte sie aber bereits wieder, weil ihre Kraft sie schlagartig erneut verließ. Doch dieses Mal fiel sie nicht zu Boden, sondern fand sich in den Armen Lionhearts wieder, der ihren Sturz verhindert hatte und nun neben ihr kniete. „Seline, es ist schon gut“, sagte er mit vor Tränen erstickter Stimme und strich ihr dabei beruhigend über den Kopf. „Es ist schon gut...“ Wieder stieg Zorn in ihr auf. Es störte sie nicht, dass er sie so vertraut ansprach, obwohl er nur der Leibwächter ihres Bruders war, nein, es war etwas anderes, das ihre Wut weckte. „Gar nichts ist gut!“, schrie sie und hämmerte mit den Fäusten auf seinen Oberkörper ein. „Sie werden nie wieder... nie wieder...“ Das Schluchzen unterbrach sie in ihren Worten und das sorgte dafür, dass sie im nächsten Moment hemmungslos zu weinen begann. Dabei barg sie ihr Gesicht an seiner Schulter, damit er nicht sehen würde, wie sie weinte. Er sagte nichts mehr, ließ sie aber auch nicht los und versuchte auch nicht, sie hochzuheben, um sie zurückzubringen, alles Dinge, für die sie ihm unendlich dankbar war und die im Nachhinein ihre Meinung über ihn auch verbessern würde. Wie lange sie beide so dasaßen und sie weinte, bis keine Tränen mehr kamen, wusste sie nicht. Irgendwann brachte sie nur noch ein trockenes Schluchzen zustande und das sorgte dafür, dass sie sich langsam beruhigte. Sie war nur noch müde, wäre am Liebsten ins Bett gekrochen und erst in einem Jahr wieder aus diesem herausgekommen. „Weißt du, was das Schlimmste ist?“, brachte sie mit krächzender Stimme hervor. „Was?“ Seine Stimme klang plötzlich so ungemein sanft und tröstend, ohne jeden Vorwurf, ohne jede Erwartung, ohne ein Anzeichen dafür, dass sie sonst nie miteinander sprachen. „Ich habe keinem der beiden je wirklich gesagt, wie sehr ich sie liebe...“ Mehr noch, vor der Abfahrt hatte sie beiden ein Ich hasse euch entgegengeschmettert und sich danach in ihrem Zimmer eingeschlossen, deswegen war es nicht einmal zu einer Verabschiedung von ihnen gekommen. Als sie die Kutsche hatte wegfahren sehen, war es bereits viel zu spät für ihre ehrlich empfundene Reue gewesen. „Sie wussten, dass du sie liebst“, erwiderte er. „Ganz sicher.“ Sie hinterfragte seine Worte nicht, verlangte keinen Beweis von ihr, der ihr sagen sollte, ob es überhaupt möglich war, dass er so etwas wusste. Stattdessen akzeptierte sie seine Worte und deren tröstende Wirkung, die sich wie kühlender Schnee auf ihre Wut und ihre Trauer legte. Sie erlaubte sich noch wenige Sekunden, dann richtete sie sich hastig auf und rieb sich die Augen, ehe sie Lionheart mit einem Lächeln ansah. „Ich bin in Ordnung.“ Er fragte nicht, ob es wirklich so war, wofür sie ihm ebenfalls dankbar war, denn hätte er gefragt, wäre sie sofort wieder in Tränen ausgebrochen. In Wahrheit war sie nicht in Ordnung, aber sie wusste auch, dass es lange dauern würde, bis sie das jemals wieder guten Gewissens sagen könnte. Solange würde sie das tun, was ihre Eltern sich gewünscht hätten und sich um ihre Geschwister kümmern. Und dann, irgendwann, würde die Zeit sie gelehrt haben, mit dieser Wunde zu leben und so fern und unerreichbar dieser Tag in jenem Moment auch schien, so sehr freute sie sich auch bereits darauf. Doch vorerst kehrte sie mit Lionheart zum Palast zurück, um dort bei einer öffentlichen Bekanntmachung den Tod des Kaiserpaares zu verkünden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)