Aurae von Flordelis (Löwenherz Chroniken II) ================================================================================ Kapitel 24: Ankündigungen ------------------------- Nicht nur Raymond besuchte die Schule ganz normal weiter, sondern auch Joel, der seit seinem Besuch wieder ein wenig optimistischer zu sein schien. So saßen sie schon einen Tag später wieder zusammen beim Mittagessen und beobachteten, quer durch die Mensa hindurch, die anderen Schüler, die sich um Alona scharten. Ohne eine ständig plappernde Christine waren sie dabei ziemlich leise. Selbst die Gespräche der anderen überdeckten das nicht. „Sie ist ganz schön beliebt“, stellte Joel fest und brach damit die Stille. „Und sie hing wirklich mit dir ab, während ich nicht hier war?“ Ohne großen Appetit aß Raymond seinen Salat, den er sich zuvor gekauft hatte. Eigentlich war ihm nicht nach Essen, aber er erinnerte sich daran, dass sie am Tag zuvor auch auf einen solchen bestanden hatte. Er spürte Alonas prüfende Blicke auf sich, obwohl sie so weit entfernt voneinander saßen, deswegen ging er lieber kein Risiko ein – außerdem wusste er selbst, dass er fit bleiben musste, wenn er Joel beschützen wollte. „Tat sie“, bestätigte er schließlich. „Sie ist eigentlich richtig in Ordnung. Ich glaube, sie ist hauptsächlich einsam. Deswegen genießt sie vermutlich diese Aufmerksamkeit auch so sehr.“ Er fragte sich, ob die anderen mit ihr gerade darüber sprachen, dass sie so viel Zeit mit ihm verbracht hatte. Ob sie mehr über diese Beziehung wissen wollten? Oder waren sie nur an Alona selbst interessiert und ignorierten ihn und ihre Blicke in seine Richtung vollkommen? Welche Vorstellung störte ihn mehr? Joel wandte sich ihm mit gerunzelter Stirn zu. „Einsam? Sie ist eine Hexe, Mann. Und sie hat versucht, dich zu töten. Mehrmals.“ „Sie ist ein guter Mensch. Und sie wollte euch anderen eigentlich nur helfen.“ Es war immerhin seine Schuld, dass es derart hatte eskalieren können. Sie hatte ihn sogar noch gewarnt, doch er hatte sie ignoriert. Und nun war es seine Aufgabe, das wieder unter Kontrolle zu bekommen. Aber das konnte er nicht sagen. „Ich kann niemandem vertrauen, der versucht, meinen besten Freund umzubringen.“ Auf diesen Standpunkt beharrte Joel offenbar – und es rührte Raymond, weswegen er ihn kurz anlächelte, was von seinem besten Freund auch erwidert wurde. Nichts an ihm wirkte gerade noch deprimiert, das war ein gutes Zeichen. Er wechselte auch sofort das Thema, um nicht mehr über Dinge zu sprechen, die deprimieren könnten: „Ich hab ja vermutlich nicht viel verpasst. Mein Vater hat mir alles weitergegeben und mich dabei beobachtet, wie ich die Aufgaben erledige.“ Seine zusammengezogenen Brauen verrieten, wie sehr ihn das alles genervt hatte. „Wir stehen auch kurz vor dem Abschluss“, erinnerte Raymond ihn. „Da kannst du dir keine Ausfälle mehr leisten, egal aus welchem Grund.“ Es war eine harte Aussage, aber eben auch die Wahrheit. Vermutlich hatte Rufus sich aber auch eher Sorgen um seinen Sohn gemacht und ihn deswegen so genau beobachtet. „Ich bin jedenfalls vorbereitet“, sagte Joel. „Selbst wenn heute Nachmittag noch ein super-mega-Überraschungstest kommt.“ „Ich hoffe dennoch auf keinen.“ Raymond war jedenfalls nicht im Mindesten vorbereitet. Die letzten Tage hatte er zu viel Zeit mit anderen Dingen verbracht. Das wollte er allerdings im Moment nicht erklären, Joel nahm dafür andere Gründe an, so dass er das auch gar nicht musste: „Ja, es muss ganz schön hart für dich gewesen sein. Sorry, Mann.“ Das Thema drohte, wieder deprimierend zu werden. Raymond musste rasch einlenken: „Die Tage sind ja jetzt vorbei. Wenn du so gut im Unterrichtsstoff bist, lass uns zusammen lernen.“ „Klar.“ Joel wirkte ziemlich zufrieden und stolz über diese Ansage. „Dann zeige ich dir mal, wie intelligent ich wirklich bin. Bislang hast du noch gar nichts gesehen!“ „Oh, soll das heißen, du kannst dir wirklich noch andere Dinge merken als nur das, was du in deinen Büchern über Todesarten liest?“ Joel schmunzelte. „Ist das eine Herausforderung? Glaub mir, du wirst total überrascht sein~.“ „Ohne Beweise glaube ich dir gar nichts.“ Diese kleinen spielerischen Auseinandersetzungen waren wie früher, selbst ohne Christine. Deswegen genoss Raymond sie in diesem Moment umso mehr – und bemerkte dabei gar nicht, wie er sein Mittagessen nach und nach verzehrte. Im Nachmittagsunterricht folgte, wie von Raymond gehofft, kein Überraschungstest, nicht einmal ein kleiner. Auch kam es ihm vor, als könne er dem Schulstoff nun wieder viel besser folgen, obwohl er nach wie vor nicht wirklich spannend war. Sein Blick wanderte immer noch ab und an zu Alona, die wenige Reihen vor ihm saß und vollkommen im Unterricht aufzugehen schien. Jedenfalls bemerkte sie seine Blicke scheinbar nicht. Als Raymond nach der Schule mit Joel nach Hause ging, hatte sich der Himmel bereits orange gefärbt. Zumindest war es nicht bewölkt. Aber es war trotzdem recht kühl, was Raymond nicht sonderlich gefiel. Nicht wegen sich selbst, sondern wegen Alona, die viel mehr Zeit draußen verbrachte. Hoffentlich ging sie nicht ohne ihn raus. „Sind aktuell eigentlich viele von denen in der Gegend?“ Raymond sah zu Joel hinüber. „Viele von wem?“ Es schien ihm unangenehm zu sein, es wirklich auszusprechen. „Von diesen Dingern.“ „Oh. Mach dir keine Sorgen. Ich kümmere mich schon darum. Gemeinsam mit Alona.“ Joel mochte sie nicht, aber wenn er erfuhr, dass sie für Sicherheit sorgte, dachte er vielleicht anders über sie. Allerdings kommentierte Joel das nicht und stellte stattdessen eine Frage: „Erlaubt dir Joy das etwa?“ Ein wenig ärgerte er sich darüber, dass offenbar jeder annahm, er bräuchte Joys Erlaubnis für alles, was er tun wollte. Doch vielleicht stimmte das ja sogar und dies war auch ein Akt der Rebellion. Aber er bereute es nicht. „Ist das denn so wichtig?“ Joel zog die Brauen zusammen. „Du hast dich ganz schön verändert, was?“ Wenn sogar Joel es bemerkte, musste es so offensichtlich sein, dass er es nicht mehr abstreiten konnte. „Es sind auch viele Dinge geschehen. Ich musste mich verändern.“ Er verzichtete, seinen Freund darauf hinzuweisen, dass dieser das auch durchgemacht hatte. Im Moment gab Joel sich Mühe, so zu sein wie früher, das wollte er nicht zerstören. „Ja, man merkt es. Früher hast du alles getan, was Joy dir gesagt hat. Oder meine Eltern. Du warst immer so ziemlich der perfekte Sohn.“ Joel schmunzelte. „Und jetzt bist du auch ein kleiner Rebell geworden, das ist cool~.“ Das zu hören erleichterte Raymond. Joel wollte immer noch Zeit mit ihm verbringen, das tat gut. „Hey, Ray.“ „Hm?“ „Benutzt du im Kampf gegen diese Dinger dann auch wieder diese krassen Fähigkeiten wie in dieser einen Nacht?“ Aus irgendeinem Grund deutete Joel dabei einen Abstand mit seinen Armen an. „Das war zwar unheimlich, aber auch total cool irgendwie.“ Raymond erinnerte sich dafür eher ungern daran. Aber es war schön zu wissen, dass es Joel nicht weiter kümmerte. „Nein, das mache ich nicht. Ich glaube nicht, dass es sonderlich gesund für mich ist.“ Er erzählte seinem Freund auch nichts davon, dass er am Tag danach gefesselt in einem Raum im Keller der Schule aufgewacht war. Darüber hätte Joel sich nur zu viele Gedanken gemacht und auch seinen Vater zur Rede gestellt, Raymond wollte das lieber vermeiden. Glücklicherweise vertraute Joel ihm auch: „Okay, dann solltest du das wirklich nicht machen. Aber solange du auch sonst zurechtkommst, passt das doch. Sei nur vorsichtig, ja?“ Sein letzter Satz klang fast ängstlich. Raymond musste sofort einschreiten: „Mach dir keine Gedanken, ich begebe mich nicht in Gefahr.“ Zusammen mit Alona fühlte er sich sogar seltsam sicher. „Ich nehm dich beim Wort“, sagte Joel. Ein plötzliches Klingeln unterbrach ihre Unterhaltung. Joel griff in seine Tasche, was Raymond ihm nachmachte – und tatsächlich, es war sein Handy. Und das Display verriet ihm auch, dass es Eve war, die gerade versuchte, ihn anzurufen. „ Da sollte ich dich wohl lieber allein lassen“, bemerkte Joel nach einem kurzen Blick auf das Display. Ehe Raymond widersprechen konnte, lief er plötzlich schneller, um die vor ihnen liegende Kreuzung als erster zu erreichen. Er fuhr noch einmal herum und hob die Hand. „Wir sehen uns dann morgen, Ray.“ Nach einem kurzen Winken verschwand er aus Raymonds Sicht, die Querstraße hinunter. Sorgen machte er sich keine um Joel, nach diesem Tag wollte er vermutlich nur mal wieder allein sein, das war okay. Joel würde sich nichts antun. Und solange es noch nicht dunkel war, gab es auch noch keine Mimikry, die ihm auflauern könnten. Derart zufriedengestellt nahm Raymond den Anruf an und hörte auch sofort die gut gelaunte vertraute Stimme Eves. „Ich hoffe, ich störe dich nicht gerade~.“ „Du störst doch nie.“ Er setzte seinen Weg fort, während er antwortete. „Was gibt es?“ „Eigentlich müsste ich das eher dich fragen. Aber eigentlich wollte ich dir sagen, dass wir übermorgen bei dir vorbeikommen~.“ In all der Aufregung hatte er ganz vergessen, dass Eve und Adam angekündigt hatten, ihn besuchen zu wollen. Deswegen war die Überraschung umso größer, genau wie seine Freude darüber. „Das ist ja großartig. Ich kann es kaum erwarten.“ Gedanklich ging er bereits Orte in der Stadt durch, die er ihnen zeigen müsste. Eve war nicht sonderlich an Kultur interessiert, Adam aber schon. Adam mochte Bücher, Eve aber nicht so sehr. Es dürfte nicht einfach werden, beides unter einen Hut zu bekommen. „Ich hoffe doch, dass du dich freust~“, flötete Eve. „Ich bin auch schon ganz aufgeregt. Dann sehe ich endlich mal, wie du gewachsen bist.“ „Ich habe dir Bilder geschickt.“ „Die sagen doch gar nichts aus. Erst wenn ich dich in natura sehe, kann ich wissen, wie du wirklich gewachsen bist.“ Im Hintergrund war ein leises Seufzen zu hören. Adam hörte also wieder mit. Er müsste ihn bei dem Besuch fragen, wie genau er es mit Eve aushielt. „Ich schicke dir noch alle genaueren Angaben per Mail. Dann weißt du ganz genau, wann du uns am Bahnhof abholen musst.“ „Gut, ich erwarte dann eure Anweisungen.“ „Jawohl, Sir!“ Er stellte sich vor, wie Eve gerade mit dem Telefon in der Hand salutierte, was ihn tatsächlich zu einem Lächeln anhielt. „Okay, dann bis übermorgen.“ Sie verabschiedete sich ebenfalls, dann beendete er das Gespräch. Zu wissen, dass er diese beiden endlich bald wiedersah, erfüllte ihn mit einer Vorfreude, von der er nicht geglaubt hätte, sie jemals wieder spüren zu können. Ein wenig nagte nach dieser Erkenntnis auch das schlechte Gewissen an ihm. Christine war noch nicht lange tot – sie hatte er nicht einmal erwähnt bei dem Gespräch eben – und doch fühlte er sich wieder glücklich. Durfte das überhaupt sein? Wie gern hätte er Christine danach gefragt, ihre Meinung darüber erfahren – aber vermutlich hätte sie bei diesem Thema nur gelächelt und ihm gesagt, dass sie natürlich wollte, dass alle glücklich werden, auch ohne sie, wenn es sein musste. Manchmal war sie einfach zu gut für diese Welt. Und vielleicht war das im Endeffekt der Grund für ihren Tod. Allerdings wäre diese These nur dann zutreffend, wenn er davon ausging, dass die Natur ein eigenständig denkendes und fühlendes Wesen war. Und dieser Gedanke war- Lächerlich. Er wollte das Handy gerade wieder einstecken, als es aber plötzlich in seiner Hand vibrierte. Zuerst glaubte er, es sei nur die Mail mit den Einzelheiten, die Eve ihm versprochen hatte. Aber als er auf das Display sah, stellte er fest, dass es sich dabei um eine Mitteilung von Alona handelte. Um eine scheinbar ziemlich empörte: Sind du und Chandler eigentlich im „Heimgeh“-Club oder was? Ihr wart nach der Schule schneller verschwunden als ich mich umdrehen konnte. Dabei wollte ich noch mit dir reden. Warum rief sie ihn dann nicht an? Oder war sie derart sauer geworden, dass sie es nur fertig gebracht hatte, ihm eine Nachricht zu schreiben? Er müsste sie fragen, wenn er sie wiedersah. Jedenfalls geht es darum, dass ich dir sagen wollte, wann wir wieder jagen gehen. Heute Nacht lohnt es sich noch nicht, aber morgen Nacht dürften wieder genug Mimikry unterwegs sein um die man sich kümmern muss. Halt dir die Nacht also schon mal frei, okay? Ruh dich bis dahin auch aus und iss ordentlich! 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