Kaffee und Vanille 2 von Jeschi ================================================================================ Kapitel 12: Ungewissheit ------------------------ Sanft streiche ich Valentin durchs Haar, muss dabei aber aufpassen, dass ich nicht aus Versehen an den Schlauch dieser komischen Nasensonde komme. Ich hab die Schwester gefragt, ob diese nötig ist und sie bejahte dies. Sie hat mir auch einen Grund genannt, aber so wirklich zugehört habe ich nicht. Irgendwas hatte sie davon, dass er so reinen Sauerstoff bekommen würde und das besser für ihn wäre. Wie auch immer… Ich würde ihn am liebsten küssen, aber irgendetwas hält mich davon ab. Vielleicht mag ich ihn einfach nicht überfallen, während er so hilflos ist. Hätte ja auch wenig Romantisches an sich, wenn ihn abknutsche, während er im Koma liegt. Andererseits bedeutet das ja nicht, dass er es deshalb nicht will. Dennoch. Ich finde es unpassend und lasse es. Schon alleine, damit uns nicht jeder dabei beobachten kann, da wir uns ja noch auf der Intensivstation befinden und alles überwacht wird. Keine Chance, hier lange Privatsphäre zu wahren. Vor allem, da neben Valentin ein Patient liegt, der es sicher nicht mehr lange macht. Okay, die Wortwahl ist vielleicht nicht die netteste, aber anders kann ich es wirklich nicht sagen. Es ist ein Opa, der nach einer Herzoperation ins Koma gefallen ist und dem es seit dem von Tag zu Tag schlechter geht. Es besucht ihn nur seine Frau. Wenn sie nicht hier ist, rede ich ab und an mit ihm. Er tut mir Leid. Genau wie sie, die sie allein sein wird, wenn er stirbt. Ich seufze und blicke Valentin an. Sanft drücke ich seine Hand und kann nicht umhin zu denken, dass mir unter noch schlimmeren Umständen das Gleiche Schicksal bevorgestanden hätte. Ich muss hart Schlucken, um den Kloß zum Verschwinden zu bringen, der sich bei dem Gedanken in meinem Hals bildet. Sanft hebe ich Valentins Hand an – die, an der keine Schläuche befestigt sind, übrigens – und küsse seinen Handrücken. Eine ganze Zeit lasse ich seine Hand noch an meinen Lippen und starre ihn an. Dabei kommt mir der unsinnige Gedanke, dass er sicher die Krise kriegen würde, würde er sich in so einem abgefrackten – so würde er sich ausdrücken – Zustand sehen können. Kein Make-up, ein Haaransatz und ein hässlicher Krankenhauskittel. Wo mir die Frage aufkommt, was mit seinen Klamotten geschehen ist. „Haben deine Eltern die Sachen mitgenommen?“, murmle ich gegen sein Hand und blicke mich kurz fragend im Zimmer um. Ein glücklicher Zufall lässt in dem Moment eine Schwester nach dem Opa neben uns sehen und ich frage sie. Ein noch glücklicherer Zufall hat dafür gesorgt, dass sie mir die Klamotten in einem Beutel in die Hand drückt. Gott sei Dank haben Valentins Eltern die Sachen nicht mitgenommen, sonst lägen die schon auf der Altkleidersammlung – er würde so ausrasten… Ich löse mich schweren Herzens von Valentins Hand und durchforste den Beutel kurz. Aber ich will es jetzt nicht rausholen – da könnten ja Bakterien dran sein, die dann herumschwirren oder so… -, also kann ich nicht wirklich was erkennen. Ich werde es zu Hause genauer unter die Lupe nehmen und dann in Jonas Waschmaschine hauen. Irgendwann holt mich die Müdigkeit ein. Also verabschiede ich mich von Valentin, in dem ich ihm einen Kuss auf die Wange hauche und verlasse dann die Station. Ich nehme den Bus nach Hause, was eigentlich ziemlich blöd ist. Da dieser überall anhält, dauert die Fahrt zu Jonas Viertel ewig. Wenigstens ist die Haltestelle nahe seiner Wohnung, also habe ich es dann nicht mehr so weit zu laufen. Fast verpasse ich besagte Haltestelle aber, da ich eindöse. Diese Nachtschichten im Krankenhaus zerren ziemlich an meinem Schlaf-Wach-Rhythmus, aber sie sind nötig. Denn Valentins Eltern halten sich den ganzen Tag bei ihm auf, so dass ich keine Chance habe, am Tag zu ihm zu kommen. Ich verziehe mein Gesicht zu einer bitteren Grimasse. Sicher sind sie besorgt um ihn – das will ich gar nicht abstreiten -, aber ich bin mir ebenso sicher, dass sie kein gutes Wort für ihn übrig haben, wenn er erstmal erwacht. Wenn er erwacht… Nein, so etwas sollte ich gar nicht denken. Es ist nur ein künstliches Koma. Zwar erwachen auch daraus einige Patienten nicht, aber das ist die Ausnahme. Valentin wacht auf! Er muss einfach! „Joshi,“ begrüßt mich Jona, als ich mit seinem Ersatzschlüssel die Wohnung aufschließe. Ich runzle die Stirn und blicke auf meine Armbanduhr. Es ist sieben Uhr morgens. Heilige Scheiße… war ich so lange bei Valentin? „Warum bist du wach?“, frage ich Jona dennoch, weil auch sieben Uhr morgens ziemlich früh ist. „Training,“ zuckt er mit den Achseln und ich nicke. Ich vergesse immer wieder, dass er seinem normalen Alltag nachgeht, während ich meine Pflichten komplett ignoriere. Im Gegensatz zu Benni, dessen Koffer gepackt im Flur steht. Er reist heute ab. Er meint, er hätte schon zu viel verpasst und müsse endlich zurück an die Universität. Das blöde ist, dass ich das auch müsste. Aber ich bringe es nicht über mich, zurück nach Köln zu fahren, so lange Valentin hier liegt. Mir egal, ob ich alles verpasse. Mir sogar egal, ob ich das Semester wiederholen muss – ich glaube, es wäre mir sogar egal, würde ich von der Uni fliegen! Hauptsache, ich bin bei Valentin, Hauptsache, ihm geht es bald wieder gut. Jona überlässt mir großartig sein Bett, ehe er zum Training geht. Also habe ich nichts mehr weiter zu tun, als mich von ihm und vor allem von Benni zu verabschieden, ehe ich in das große Bett falle und müde die Augen schließen kann. Ich wache auf, als mich helle Sonnenstrahlen an der Nase kitzeln, um es mal poetisch zu sagen. In Wahrheit blendet die Sonne mir so penetrant ins Gesicht, dass an Schlaf einfach nicht mehr zu denken ist. Ich öffne die Augen und stelle mürrisch fast, dass ich gerade mal sechs Stunden geschlafen habe. Nicht gerade wenig, aber sicher nicht genug. Am liebsten würde ich sofort wieder ins Krankenhaus gehen, aber das ist jetzt noch nicht möglich. Ich würde nur wieder auf diese Irren stoßen, die mich als Abschaum bezeichnen und mir sagen, dass ich ihren Sohn nicht zu nahe kommen soll. Also kann ich es auch gemütlich angehen lassen, trete deshalb in die Küche und schenke mir einen Kaffee ein. Der ist noch von Jona und da dieser schon stundenlang weg ist, hat der Kaffee auch die Temperatur, die man da erwarten kann – gar keine. Zumindest keine angenehme. Er ist kalt und schmeckt eklig. Ich trinke ihn dennoch in großen Zügen, um wach zu werden, aber so wirklich helfen tut er nicht. Ein wenig ein schlechtes Gewissen habe ich ja doch. Die Uni ruft förmlich nach mir und ich tue so, als wäre ich taub. Natürlich bin ich nicht ganz unvorbereitet. Tobias war so lieb, einem seiner Kumpels – der so ziemlich die gleichen Kurse hat, wie ich – zu sagen, dass er für mich mitschreiben soll. Ich darf mir dann also die Notizen von ihm holen und werde dann den ein oder anderen Tag damit beschäftigt sein, mir die neuen Infos alle einzuprägen. Aber ich bin dankbar, dass Tobias das organisiert hat. Ich hätte so spontan niemanden gewusst, den ich hätte fragen können. Den einzigen, den ich gefragt hätte, wäre Tobias gewesen, aber das hätte mir jetzt, da er noch in Dallas ist, nicht wirklich was gebracht. Ich ziehe eine Schnute, während ich auf den kläglichen Rest Kaffee in meiner Tasse starre. Irgendwann kommt Jona zurück, während ich noch immer auf dem Küchenstuhl sitze und den Kaffeeklecks bewundere. „Bist du gerade erst aufgestanden?“, fragt er mich und ich blicke auf die Uhr. „Vor zwei Stunden,“ erwidere ich dann und er zieht die Brauen hoch, sagt aber nichts. Ich sehe ihm zu, wie er zwei Pizzas in den Ofen schiebt. Danach dreht er sich zu mir um. „Hör mal… Ihm geht’s bald wieder besser. Du solltest dich nicht so hängen lassen.“ Tue ich das? Mich hängen lassen? Zugegeben, jegliche Motivation, jeglicher Ansporn, ist von mir gewichen. Ich könnte tatsächlich bis sechs Uhr hier sitzen, ehe ich mich auf den Weg ins Krankenhaus mache. Aber ist das nicht normal? Das man so drauf ist, wenn der Freund im Koma liegt? „Schon klar,“ brummle ich also nur verschlafen vor mich hin und Jona seufzte. „Was ist los?“ Ich sehe ihn nun direkt an und runzle die Stirn. Was soll los sein, außer den Tatsachen, die offensichtlich sind. Aufgrund meines fragenden Blickes seufzt er erneut. „Josh… warum lässt du dich so hängen?,“ setzt er nach. Ich zucke mit den Schultern. „Er wurde angefahren… Reicht das nicht?“ Jona sieht mich lange prüfend an, dann nickt er. „Doch… Aber ihm geht es doch schon besser.“ Es herrscht eine Weile schweigen und ich vertiefe mich in die Gedanken an den Unfall. Aber wenn Jona schon in Gesprächslaune ist, will ich mal nicht so sein. „Wieso musste das alles passieren? Wieso bin ich nicht einfach hier geblieben? Dann hätte ich mit auf das Konzert gehen können. Dann hätte ich ihn vielleicht halten können… aber ich… ich musste gehen, wo er mich doch gebraucht hätte.“ Ich fummle am Henkel der Tasche herum und Jona zieht scharf die Luft ein. „Was spinnst du dir da zusammen?“ Ich zucke mit den Schultern. „Wäre ich hier geblieben…“ „…wäre es auch nicht anders gekommen,“ beendet Jona meinen Satz, aber das stimmt nicht. „Vielleicht hätten wir Händchen gehalten oder so… Dann hätte ich ihn halten können und…“ „Josh!“ Jona stemmt die Hände in die Hüften. „Es ist doch nicht deine Schuld.“ Ich weiß es ja auch. Aber dennoch. Wäre ich hier geblieben… ich seufze. „Lass uns ins Krankenhaus fahren,“ meint Jona. Sicher, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Wir kommen viel zu früh an. Valentins Eltern stehen noch im Wartesaal der Intensivstation und diskutieren mit einem Arzt. Ich schnappe auf, dass es darum geht, Valentin verlegen zu lassen. Nach Bonn. Aber der Arzt rät ab, solange er noch im Koma liegt. Und wenn er erwacht, dann soll er das wohl selbst entscheiden. Ich schnaube. Das wäre ja noch schöner, verlege man ihn jetzt nach Bonn. Wenn überhaupt sollten sie ihn nach Köln verlegen – da wohnt er schließlich. Wie gesagt, der Arzt rät ab, und seine Eltern wenden sich nun zum Gehen, als sie mich erkennen. „Sie können noch so hartnäckig sein. Wir werden Sie nicht zu ihm lassen,“ meint seine Mutter zu mir und ich tue so, als würde mich das wahnsinnig aufregen. Wenn die wüsste, wie sinnlos ihr Gelaber ist und das ich Valentin täglich sehen kann… Na ja… Sie gehen und die Schwester bittet mich, in einer Stunde zu kommen, damit Valentin wenigstens etwas Ruhe findet. Also gehen Jona und ich in die Cafeteria und trinken unseren nächsten Kaffee. Ich empöre mich noch ein wenig über die wahnwitzige Idee, Valentin zu verlegen, obwohl das Thema ja schon längst wieder vom Tisch ist. Gleichzeitig fühle ich eine innere Ohnmacht in mir ansteigen. Seien wir ehrlich. Seine Eltern könnten jederzeit durchsetzten, ihn nach Bonn verlegen zu lassen. Ich könnte nichts tun. Und wäre die Schwester nicht so nett – ich hätte keine Chance darauf, Valentin zu sehen. Das alles stimmt mich traurig und ich kann nur hoffen, dass er bald aufgeweckt wird, damit das Theater ein Ende hat. Müde – nicht, weil ich nicht genug geschlafen hätte, sondern weil mich alles so aufregt - lasse ich meinen Kopf auf meine, auf dem Tisch verschränkten, Arme fallen und schließe die Augen. „Ich habe keinerlei Rechte, Jona,“ meine ich irgendwann und es dauert einige Zeit, ehe er antwortet. „Ja… ich weiß.“ Ich hebe den Kopf und er meint: „Ich bin froh, dass Bennis Eltern mich mögen und meine ihn. Wäre uns das passiert – wir hätten es viel leichter, als ihr.“ „Wäre einer von uns ein Mädchen… es wäre es sicher leichter…“ Aber ich will kein Mädchen. Ich will Valentin, so wie er ist. Und ihm geht es mit mir doch genauso. Warum akzeptieren das seine Eltern nicht. „Josh… Ihr solltet euch mal überlegen, was genau ihr tun könnt, damit ihr vielleicht doch… ein Recht habt…. Also…“ ich höre mir Jonas Gestammel einige Zeit an, ehe ich die Brauen hochziehe und ihn fragend anblicke. „Was meinst du?“, will ich wissen und er macht eine umschweifende Handbewegung. Plötzlich wird mir klar, von was er spricht und ich werde rot: „Bist du verrückt. Wir können uns doch nicht verloben oder so…“ „Warum denn nicht?“ Ich sehe ihn entgeistert an. „Wir kennen uns noch gar nicht so lange und… Wie kitschig wäre das denn bitte?“ Nun muss er lachen. „Man Josh. Valentin steht auf Kitsch.“ Ich muss grinsen. Ja. Das tut er allerdings. „Trotzdem… so lange sind wir ja auch noch nicht zusammen und… wir haben nicht mal die Uni beendet und…“ Jona zuckt mit den Schultern. „War nur ein Vorschlag. Dann solltet ihr aber wenigstens seine Eltern auf eure Seite holen. Und deine Eltern vielleicht auch.“ Ich sehe ihn an. Mir ist noch gar nicht in den Sinn gekommen, dass meine Eltern sich ähnlich verhalten können – weil sie das auch nicht tun würden. Meine Mutter liebt Valentin abgöttisch. Und mein Dad vertritt vielleicht eine ähnliche Meinung wie Valentins Eltern, würde sich uns aber nie in den Weg stellen. Es geht also nur um seine Eltern und gegen die setzte ich mich schon irgendwie zu Wehr… denke ich… „Die Stunde ist um. Lass uns gehen.“ Ich nicke und stehe auf, folge Jona nach oben. Es ist lieb, dass er mich immer begleitet, obwohl sie ihn nicht zu Valentin lassen. Meistens geht er aber, ehe ich zurückkomme. Aber wenigstens leistet er mir Gesellschaft, bis ich die Station betreten darf. Als ich heute in das Abteil komme, in dem Valentin liegt, fällt mir als erstes das leere Bett neben ihm auf und ich muss hart schlucken. Fast entweicht mir ein Keuchen, aber stattdessen merke ich nur, wie meine Augen feucht werden. Ich wende hastig den Blick ab, obwohl Valentins kläglicher Anblick jetzt nicht unbedingt aufheiternd wirkt. „Hey, Marzipanschnütchen,“ begrüße ich ihn leise und meine Stimme klingt seltsam belegt. Dass mir der Tod des Opas so nahe gehen würde, hätte ich nie gedacht. Sanft streiche ich über Valentins Wange und danke Gott dafür, dass er ihn beschützt hat. Keine Ahnung, ob es Gott wirklich gibt. Ich war nie wirklich Anhänger einer Religion. Aber vielleicht gibt es ja doch jemanden, der Valentin eine zweite Chance geben wollte. Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich darüber bin. Vor allem jetzt, wo der Tod so greifbar in unsere Nähe gerückt ist. Ich blicke noch einmal auf das leere Bett neben uns und erschaudere. Hastig wende ich den Blick ab, richte ihn wieder auf Valentin und lächle traurig. „Du wirst bald wieder gesund… Und dann… dann machen wir deine Eltern fertig, ja? So richtig. Und dann suchen wir eine Lösung, damit dieses Problem kein zweites Mal geschehen kann.“ Gibt es nicht so etwas in der Art? Eine Patientenverfügung oder etwas Ähnliches. Damit ich das Recht habe, ihn zu sehen, egal, was seine Eltern sagen. „Wenn nicht, dann heiraten wir doch. Als dein Lebenspartner werde ich schon zu dir dürfen, nicht? Und hey… dann kriegst du auch einen ganz kitschigen Antrag. Von mir aus sogar mit Kerzen und Rosen und ekliger Schmalzmusik – oder willst du lieber My chemical romance?“ Ich sinniere darüber nach, ob wir dann mit ‚My chemical Romance’ Shirts vor dem Standesbeamten stehen müssten, damit Valentin glücklich ist. Gott… für ihn würde ich sogar eines von diesem furchtbaren Andy Sixx tragen. Ich schmunzle. „Ich glaube, wir lassen das doch lieber… Aber wir schauen, dass wir es irgendwie hinbekommen, ja?“ Notfalls bringe ich seine Eltern eben um. Auch damit hätte ich nicht wirklich ein Problem. Im Gegenteil… „Siehst du… jetzt habe ich schon Mordgedanken… dabei sollte ich momentan nur an dich denken und daran, dass du bald wieder gesund wirst. Aber das tue ich ja auch.“ Ich komme mir ziemlich blöd vor, wie ich da mit ihm rede und so dumme Sachen sage. Wenn er auch nur annähernd etwas davon mitbekommt, kann ich ihm nie wieder unter die Augen treten. Das wäre ja total peinlich. Ich wechsle lieber das Thema: „Weißt du, dass Tobias es organisiert hat, dass ich die Aufzeichnungen von der Uni bekomme… ich werde ziemlich büffeln müssen, um das alles aufzuholen, aber dir wird es ähnlich gehen“ Es war sehr leicht, jemanden zu finden, der für Valentin mitschreibt. All seine Bandmitglieder wären bereit gewesen. Jetzt macht es Sebastian, der die gleichen Kurse hat. Aber sicher bekommt Valentin eine Sonderbehandlung. Immerhin war er ja krank – wohingegen ich unentschuldigt fehle und hoffentlich nicht so viele Lesungen verpasse, dass ich nicht mal an der Prüfung teilnehmen darf… Wobei… ich habe mir ja auch ein ärztliches Attest schreiben lassen – auch wenn ich dafür sehr lange diskutieren musste, ehe ich eines bekam – mir hat ja nie was gefehlt. Ich bin also zumindest einige Tag entschuldigt. Schon mal etwas. Drei Tage später erzählt mir die Schwester, man wolle Valentin heute aufwecken. Es ist, als hätte man mit diesem Satz einen Schalter in mir umgelegt. Von jetzt auf nachher werde ich total hibbelig und möchte nur noch zu ihm und zusehen, wie er aufwacht. Aber genau dieser Wunsch wird niemals in Erfüllung gehen. Denn seine Eltern beanspruchen dieses Recht für sich und für mich hießt es wieder einmal: Draußen bleiben! Aber nur, weil ich nicht auf Station darf, heißt das ja nicht, dass ich mich nicht im Krankenhaus aufhalte. Nervös laufe ich in der Lobby auf und ab – einen Kaffee in der Hand – während Jona auf einer der Bänke dort sitzt und mich beobachtet. „Josh, setz dich doch mal… davon wird es auch nicht besser.“ Aber ich kann mich nicht setzten. Ich bin zu aufgewühlt, um ruhig halten zu können. Die Ärzte meinten, es könnte eine ganze Weile dauern, ehe er aufwacht. Und da ich nicht mal weiß, wann genau man die nötigen Schritte – welche man auch immer dafür ausführen muss – eingeleitet hat, kann ich gar nicht abschätzen, wie lang es dauert. Was mich noch nervöser macht. Was, wenn er gar nicht mehr aufwacht? Was, wenn etwas schief geht? Oder wenn bleibende Schäden zurückgeblieben sind, von denen wir noch gar nichts ahnen? Vielleicht eine Amnesie? Hoffentlich erinnert er sich noch an mich, sonst… oh Gott… ich glaube, ich würde sterben, wenn er nicht mehr wüsste, wer ich bin. Ich sehe angsterfüllt zu Jona und dieser seufzt und steht auf, kommt auf mich zu. „Josh…“ Er sagt nichts mehr weiter, nimmt mich nur in den Arm. Ich möchte am liebsten Heulen. Diese Ungewissheit, die da Besitzt von mir ergreift, ist fast so schlimm wie die, die mich während meiner Rückreise ergriffen hatte. Aber sie haben mir ja alle versichert, dass alles so weit in Ordnung ist. Sicher geht alles gut und er wacht auf und kennt mich und… keine Ahnung, was ich mir erhoffe. Ich glaube, ich würde schon vor Freude heulen, wenn er nur meinen Namen sagen würde. Das wäre sicher schon mehr, als ich ertragen könnte. Und dennoch… so sehr ich mir diese glücklichen Momente auch ausmale, die Angst bleibt. „Was, wenn er nicht aufwacht?“ Ich sehe Jona fragend an und er schüttelt den Kopf: „So was darfst du nicht mal denken. Er wird aufwachen!“ Ja… er wird aufwachen… Weil ich nicht überzeugt aussehe, versucht Jona, mich zum lachen zu bringen, und fügt hinzu: „Ey, er wacht auf, ja? Er hat kein Autogramm von Andy bekommen… So was läppisches, wie ein Koma… kann ihn nicht davon abhalten, es sich nicht noch zu holen.“ Zum Ende des Satzes hin wird er leiser und letztlich drückt er sich an mich und ich spüre, wie mein T-Shirt nass wird. Unbeholfen fahre ich Jona über das Haar und werde mir klar, wie unfair es war, ihn so voll zu jammern, wo Valentin doch sein bester Freund ist. Er musste immer stark für mich sein, obwohl er selbst sicher genug Ängste und Sorgen um Valentin hatte… „Er wacht auf,“ bin ich es nun, der jemanden aufheitert und Jona nickt und weint und lacht leise – alles gleichzeitig. Irgendwann beruhigt er sich wieder – zum Glück, ehe er mich noch ‚ansteckt’. Wo ich mich doch gerade gefangen habe. Gerade rechtzeitig, denn wenig später kommen Valentins Eltern in die Lobby. Ich sehe sie fragend an, obwohl ich nicht glaube, dass sie mir etwas verraten werden. Ich rechne eigentlich damit, dass sie einfach an uns vorbei laufen und uns unseren Schicksal überlassen. Zu meiner großen Überraschung kommen sie direkt auf mich zu und ich kann mich nicht davon abhalten, ein banges „Und?“ über die Lippen zu pressen. „Er will Sie sehen,“ schnaubt Valentins Mutter. „War nicht von abzuhalten,“ fügt sein Vater kurz angebunden hinzu. Dann lassen sie uns stehen und ich glaube, meine Beine knicken ein, vor Erleichterung. Ich strahle Jona und er drängt mich, endlich hochzugehen. Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen und ich fliege fast zur Intensivstation, so wahnsinnig toll fühle ich mich gerade. Wenig später stehe ich vor der Türe und die nette Schwester, die mich am ersten Tag zu ihm gelassen hat, ist es, die mich nun hineinlässt. Sie lächelt ganz glücklich – ich glaube, unser Fall trifft sie auf einer ganz anderen, viel persönlicheren Ebene, als all die anderen Fälle hier im Krankenhaus. Kurz vor meinem Ziel bleibe ich unschlüssig stehen. Ich weiß gar nicht, was ich jetzt zu ihm sagen, wie mich verhalten soll… „Das wird schon,“ meint die Schwerster, als könnte sie meine Gedanken lesen und ich nehme mir zum ersten Mal Zeit, den Namen auf ihrem Schildchen zu lesen. Daniela. Ich lächle Daniela also dankbar und entschlossen an und dann überwinde ich die letzen Meter und trete hinter den Vorhang, der die einzelnen Abteile voneinander trennt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)