Und er lächelte von Crevan ================================================================================ Kapitel 21: Galgenburg ---------------------- Die Galgenburg erhob sich drohend vor dem Templer, nachdem er ihren Vorhof mit schweren Schritten betreten hatte. Massiv und grau war sie, in diesem Moment so groß. Viel zu groß. Uh. War sie schon immer so... dermaßen hoch gewesen? Der Kurzhaarige hob seinen brummenden Kopf dem tristen Stein entgegen. Zum ersten Mal wirkte das sonst so heimelige Gebäude, das eigentliche Zuhause Cullens, auf ihn nahezu erdrückend. Ja, der Zirkel mutete gerade gar einschüchternd und in gewisser Art und Weise bedrohlich an... wie ein tadelnder Vater, der sich vor seinem schuldbewussten Kind aufgebaut hatte. Mit in die Hüfte gestemmten Händen dastehend und auf seinen Schützling herab starrend. Fragend. Eine Rechtfertigung erwartend; nach einer Antwort drängend. Einer Antwort darauf was zur Hölle Cullen hier eigentlich tat. Oh, beim Erbauer. Wenn der Knight-Captain das bloß selbst gewusst hätte! Er tat es nicht und das sorgte für ein befremdliches Gefühl in seiner flauen Magengegend. Doch er wusste, dass es die einzige Option für ihn gewesen war den versehrten Anders hierher zu bringen, wenn man jenem denn helfen wollte. Und der Krieger wollte helfen. Cullen wusste als langjähriger Soldat im Dienst zwar, wie man die meisten Wunden verband und heilende Salben auftrug, doch dies reichte bei dem jämmerlichen Zustand des Abtrünnigen in seinen Armen nicht mehr aus. Bei weitem nicht. Der Fereldener brauchte Unterstützung. Der schwer Gerüstete ließ seinen zweifelnden Blick auf den stillen Blonden sinken, riss seine braunen Augen somit gewaltsam von der Galgenburg fort. Er glaubte zwar, dass Anders' Zustand stabil sein musste – das war er doch? -, dennoch sah der bewusstlose Mann nicht gut aus: Er war dreckig, seine blonden Haare wirr und dunkles Blut klebte an seiner zerschlissenen Kleidung, die penetrant nach Dunkelstadt roch. Es stand nicht besonders gut um dieses Häufchen Elend. Aber die hiesigen Zirkelheiler würden ihm sicherlich helfen können. Ja, wer wenn nicht die. Der Krieger straffte die breiten Schultern ein wenig, als sich eine Ordensschwester und zwei Magier aufgescheucht näherten – oder er versuchte es zumindest. Er schüttelte beschwichtigend den Kopf, verzog einen Mundwinkel dabei etwas und die anderen drei wirkten sogleich erleichtert; sie verlangsamten ihre Schritte. Cullen trug Rüstung seit er denken konnte. Seit er in den Dienst der Kirche getreten war, schmückte und schützte dicker Stahl seinen Körper. Jeder gläubige Anwärter wurde zu Anfang seiner harten Ausbildung von schwerem Metall in die Knie gezwungen. Jeder musste sich erst an das Gewicht der vielen Rüstteile gewöhnen, ehe er mit Stolz darin voranschreiten und kämpfen konnte. Ohne zu Schlurfen. Ohne den Rücken dabei etwas zu beugen. Cullen, der hochrangige Knight-Captain und Hauptmann so vieler Soldaten, hatte sich schon so lange an seine Rüstung gewöhnt. Sein Körper war trainiert, er stark. Doch heute, da schlurfte er. Er beugte den Rücken. Denn seine Uniform schien ihn gerade so barsch zu Boden zu ziehen wie damals, als er sie zum ersten Mal getragen hatte. Aber, ach, eigentlich wusste er, dass nicht seine vielschichtige Kleidung und Rüstung schwer auf seinen hängenden Schultern lagen und an ihm zerrten. Das, was da lastete, war sein mattes Gemüt, nicht? Und als er Anders aus den Händen gab, fühlten sich seine Arme noch viel, viel schwerer an als zuvor, wo er den verletzten Mann noch getragen hatte. Nur langsam ließ er sie sinken. War der Magier damals auch schon so leicht gewesen? Er war viel zu leicht für seine Größe. "Helft ihm." kam es im soldatischen Befehlston über die rauen Lippen des gezwungen gefassten Templers und er erntete irritierte Blicke. Die Templerin, die den schwachen Mann aus der Dunkelstadt an sich genommen hatte, und die beiden Zirkelmagier standen nun direkt vor ihm und taxierten ihn. Einer von den Magischen war ein Geistheiler, der Alte, man kannte ihn aus dem Lazarett. Der andere, ein kleinerer, etwas eingeschüchtert wirkender Junge in weißer Heilerrobe, war wohl ein Assisstent oder Schüler von ihm. Hm. Cullen würde sich erst an den Anblick der neuen, hellen Roben dieser Leute gewöhnen müssen. Man hatte diese eingeführt, weil sie sich angeblich leichter von Schmutz, wie Blut, Erbrochenem oder ähnlichem, reinigen ließen. Für Geistheiler war diese Uniform also äßerst praktisch. Vielleicht... sollte man Anders zu einem späteren Zeitpunkt ja auch eine davon aufschwatzen. An einem Tag, an dem er wieder genesen war und in alter Manier in seiner eigenen Einrichtung unter Kirkwall herum fuhrwerkte. Ein wenig abwesend musterte Cullen den blonden Abtrünnigen, der wie leblos in den Armen der Templerin hing. Anders würde doch wieder gesund werden..? Der Kurzhaarige kaute auf den Innenseiten seiner Wangen herum und die Finger seiner Rechten spielten unbewusst mit dem schmalen Lederriemen, der sich an das Wildleder an seiner Handfläche schmiegte und die genieteten Plattenteile vorn an seinem Handschuh hielt. "Knight-Captain..?" hakte die Gerüstete vor Cullen skeptisch nach und bugsierte ihn damit zurück in das Hier und Jetzt. In ihrer Frage lag eine Aufforderung zu einer Erklärung über das hier. Sie forderte eine Rechtfertigung, so wie das zu große Gebäude hinter ihr. Eine Vorstellung des dahinsiechenden Kerls, den sie tragen musste, wollte sie. Ob sie wusste, dass Cullen ihr keine Erläuterung schuldete? Sie unterstand schließlich ihm und nicht umgekehrt. Entweder hatte sie dies vergessen oder sie schob den Gedanken daran beiseite. Und darum wendete sich der Krieger im nächsten Moment auch ohne Diskussion entnervt an den Heiler mit den kleinen Lachfältchen in den Augen- und Mundwinkeln: "Na los.". Der betagte Magier akzeptierte diese Anordnung ohne nachzufragen. Er nickte bloß stumm und in seinen sehschwachen Augen lag ein Funken... Dankbarkeit. Sein Schüler neben ihm lächelte sogar ein wenig. Cullen galt in der Galgenburg schon seit jeher als gerechter jemand. Als Mann, der oftmals zwischen die Fronten geriet, wenn es Auseinandersetzungen zwischen cholerischen Templern und aufmüpfigen Magiern gab. Das war nicht immer so gewesen. Doch seit er in Kirkwall stationiert worden war und gesehen hatte, wie Knight-Commander Meredith regierte, hatte sich seine krankhafte Aversion gegen Zirkelmagier langsam aber sicher verflüchtigt. Er wusste: Nicht jeder Magiebegabte war von Grund auf böse. Sie waren unter Umständen gefährlich, ja, und man musste sie daher unter Kontrolle halten. Sie konnten schließlich in schwachen Momenten zu Monstern werden; Magier waren nicht so wie gewöhnliche Menschen. Doch abwertend mit ihnen umzugehen war eine andere Sache. Eine schlechte. Niemand hatte es verdient wie Dreck behandelt zu werden. Niemand. Cullen biss sich leicht auf die Unterlippe, als er der argwöhnischen Templerin und den beiden Magiern schlussendlich hinterher sah. Am liebsten hätte er die Gruppe begleitet, doch es wäre zu verdächtig erschienen wäre er ihnen nun gefolgt. Er wollte nicht den seltsamen Anschein erwecken um einen 'bloßen Abtrünnigen' besorgt zu sein. Es war schon verwegen genug, dass er diesen einen Mann und keinen anderen hierher gebracht hatte, damit ihm geholfen werden konnte. Der nachsichtige Krieger würde sich dafür noch eine gute Ausrede einfallen lassen müssen und musste hoffen, dass sich die Knight-Commander am Ende nicht noch zu sehr für diesen... prekären Fall interessierte. Man würde Anders im Lazarett helfen und würde Cullen ihn nicht davon überzeugen können zu bleiben, dann würde er ihn wieder sicher zurück in sein stinkendes Dreckloch in der Dunkelstadt geleiten. Ja, es klang so einfach. Was sollte schon schief gehen? Cullen war der Knight-Captain hier, die respektierte rechte Hand Merediths. Niemand hinterfragte seine Aktionen. Niemand außer seine direkte Vorgesetzte. Ein Seufzen verließ die trockene Kehle des müden Mannes und er fasste sich mit einem ungläubigen Kopfschütteln an die Stirn. Das konnte noch was werden. Anders schuldete ihm was. Und er selbst schuldete dem Erbauer nicht nur ein Gebet. * In ganz Kirkwall herrschte zur Zeit ein furchtbares Chaos. Die vielen Qunari waren völlig außer Kontrolle geraten und von den Docks aus in all die anderen Stadtteile ausgeströmt, um zu verwüsten und zu töten. Auf den Befehl des wütenden Arishoks hin wollten diese großen, gehörnten Monster angeblich den alten Vicomte stürzen. Oder so ähnlich. Doch zur gut befestigten Galgenburg im weiten Wasser vor der Stadt waren sie noch nicht gelangt. Offenbar hielten sie nichts davon ein Schiff hierher zu nehmen und sich den hunderten Zirkelmagiern und Kriegern der Kirche zu stellen. Womöglich waren die kämpfenden Magiebegabten und Templer, die ihre Stellungen hier hielten, zu mächtig für sie. Oder jedenfalls dachten sie das... Gut. Denn das verschaffte Cullen Zeit. Zeit um... wie der dämlichste Mensch aller Zeiten vor einer ganz speziellen Pritsche im Lazarett seines Zirkels zu stehen und sich dabei beobachtet zu fühlen wie ein Dieb, der befürchtete auf frischer Tat ertappt zu werden. Es klang womöglich harsch oder geschmacklos, doch das Geschehen im Zentrum der Stadt ging ihn absolut nichts an. Es interessierte ihn zwar irgendwo, doch die Überwachung Kirkwalls lag in den Händen der, an und für sich fähigen, Stadtwache. Die parteilose Kirche mischte sich in ein Belang wie den vorherrschenden Kleinkrieg gegen die Anhänger des Qun nicht ein. Und außerdem... außerdem hatte Cullen persönlich gerade ganz andere Sorgen als bedrohte Adelige in der Festung des Vicomte. Oder eher: eine Sorge namens Anders. Es war ein seltsames Bild den besagten Magier auf dem Bett einer Krankenstation eines 'Magiergefängnisses' zu sehen. Auf eine ganz skurrile Art und Weise wirkte es so... falsch, dass er hier war. Es war tragikomisch und beinahe hätte man darüber lachen können: Der ewige Rebell und gesuchte Abtrünnige befand sich schlussendlich erneut in den Fängen der Kirche. Tja. Jedenfalls war das zum Schein so. Und Cullen wusste nicht, was ihn mehr beunruhigen sollte: Dass er es schräg fand, dass sich Anders in der 'sicheren' Obhut der Galgenburg befand oder dass er, der renommierte Knight-Captain Kirkwalls, derjenige war, der ihn wieder aus dieser Einrichtung herausschmuggeln wollte. Vielleicht, nein, ganz sicher war beides obskur. Ein Mann wie Cullen hätte sich eigentlich weder zur einen noch zur anderen Thematik Gedanken machen sollen, nicht? Doch er tat es. Viel zu sehr. Seine braunen Augen hingen an dem flach atmenden Magier, der da so still und friedlich dalag. Oh, er sah so harmlos aus. Man hatte Anders sicherlich einige bittere Tränke eingeflößt und ihn dann in einen magischen Schlaf versetzt, damit sich sein angeschlagener Körper erholen konnte. Er hatte Stunden zuvor wohl erbittert gegen die aufständischen Qunari gekämpft und seine eigene Krankenstation verteidigt, hatte dabei einiges eingesteckt. Und dann war da noch... das eine gewesen. Dieser 'Ausbruch', wenn man es denn so nennen konnte. Cullen schluckte trocken und verengte die Augen einen Deut weit. Seine Brauen zogen sich in einer beunruhigten Miene zusammen und am liebsten hätte er Anders sofort wachgerüttelt, um ihn auszufragen. Er hätte ihn gerne gebeutelt und ihn aufbrausend angeblafft. Ihn grantig gefragt was denn nur mit ihm los war. Doch stattdessen verschränkte der Gerüstete die Arme vor der Brust; so, als wolle er sich selbst daran hindern den ruhenden Magiebegabten anzufassen. Anders war besessen, nicht wahr? Er war eine Abscheulichkeit. Oder zumindest irgendetwas in der Art. Cullen hatte das Nichts förmlich gerochen, als ihn der Heiler heute in der Dunkelstadt angegriffen hatte. Der alarmierte Templer hatte die blau glühenden Augen gesehen, die lyriumverpesteten Risse in einer verzogenen, bösartigen Fratze. Er hatte diese fremdartige, dunkle Stimme gehört. Das war nicht Anders gewesen. Jedenfalls nicht der, den er bis dato gekannt hatte. Und nun brannten ihm tausend bittere Fragen auf der Zunge; dabei sollte er als hochrangiger Templer doch nicht lange hinterfragen, sondern handeln. Doch er tat es nicht. Denn es ging um... Anders eben. Verdammt nochmal! Cullen presste die Kiefer fest aufeinander; er ärgerte sich über sich selbst und sein subjektives, unvorbildliches Verhalten. Er ärgerte sich darüber, dass er einfach nicht anders konnte, als sich um einen... um einen beschissenen, abtrünnigen Drecksmagier aus der Gosse zu scheren. Tief atmete der Templer durch. Einmal. Zweimal. War das Vorkommnis heute Anders' erster Ausbruch gewesen? Was oder wer hatte von dessen Körper Besitz ergriffen? Hatte er den Knight-Captain, seinen 'Freund', wirklich nicht erkannt? Wie dachte der Geistheiler selbst darüber? Hatte er Angst? Cullen wollte alles wissen. Alles. Es wäre wohl klug gewesen den blonden Heiler sofort zu töten, ohne klärendes Gespräch, doch er brachte es nicht übers Herz. Hatte er nie und würde er nie. Dies hatte er sich mittlerweile schon lange eingestanden. Und allein diese Tatsache wühlte Cullen auf, machte ihn noch vollkommen verrückt. Denn eigentlich sollte er nicht so über diesen dummen Magier hier denken. Er, als Templerhauptmann, sollte nicht einmal Sympathie für Anders hegen, denn er war weit mehr als ein bloßer Abtrünniger. Er war der, vor dem die Kommandantin der Grauen Wächter in ihrem Brief gewarnt hatte. Er war dieser 'Liam', oder? Anders war ein Mörder. Cullen ballte die Hände zu Fäusten und wendete sich wenige, schwere Herzschläge später halb ab. Die neugierigen Blicke der hier arbeitenden Heiler und Zirkelwachen kitzelten ihn seit geraumer Zeit unangenehm im Nacken. Aus den Augenwinkeln linste er forschend in ihre ungefähre Richtung. Er sollte besser gehen, war schon viel zu lange hier gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)