Und er lächelte von Crevan ================================================================================ Kapitel 10: Dunkelstadt ----------------------- Die Dunkelstadt war dreckig. Dreckiger noch als die Unterstadt und sie wurde ihrem Namen mehr als nur gerecht. Es war düster in den schmalen Gängen unterhalb Kirkwalls. Dunkel und stickig. Cullen hatte nicht oft hierher kommen müssen, um zu verstehen, warum sich gefährliche Kriminelle und ängstliche Abtrünnige in dem Dreck dieses elenden Viertels - wenn man es denn überhaupt als solches bezeichnen konnte – verkrochen. Die Stadtwache setzte selten bis nie einen Fuß in die Dunkelstadt. Zu viele arme Menschen lauerten hier; in der Hoffnung der Nächste, den sich erschlugen, trüge Geld oder wertvolles Gut bei sich. Die Schmuggler und Menschenhändler in diesen Katakomben duldeten die Stadtwache zudem nicht; man war dem Tode geweiht, trug man die Uniform dieser hier in diesem Drecksloch und war alleine unterwegs. Auch als Templer wurde man von den Bettlern in der Dunkelstadt kritisch gemustert, stach man ja auch durch eine strahlende Rüstung und gute Bewaffnung heraus. Doch man wurde geduldet. Denn der Templerorden mischte sich für gewöhnlich nicht in Anderes als das Aufspüren von entlaufenen Magiebegabten ein und hielt sich auch weitgehend aus der Durchsetzung anderer Staatsgewalten heraus. Und dennoch hatte Cullen seine schwere Rüstung heute Nacht nicht angelegt sondern sich in alte, gewöhnliche und unauffällige Kleider gehüllt. Die Kapuze seines schweren, dunklen Umhangs hatte er sich tief in das Gesicht gezogen und bemühte sich darum nicht auffallend schnell durch die Dunkelstadt zu schreiten. Auch, wenn ihm danach war, wurde er auch von einer hektischen Anspannung und Nervosität vorangetrieben, die er hinunterzuschlucken versuchte und die ihm den Brustkorb zuschnürte. Dass Anders tatsächlich lebte und sich auch noch in Kirkwall, hier, in der Dunkelstadt aufhalten sollte, hatte ihn die vergangenen Tage lang beschäftigt. Nach der Berichterstattung bei Knight-Commander Meredith, in der er seiner Vorgesetzten versichert hatte, der gesuchte graue Wächter sei nicht in der Stadt, hatte man die Ermittlungen rund um diese ganze Sache abgehakt. Vorerst. Doch hatte Cullen's Bauchgefühl ihn vor wenigen Tagen noch vom Marktplatz der Unterstadt fort geführt, so hatte sich sein Kopf am Abend darauf kritisch zu Wort gemeldet. Erst Stunden nach seinem Gespräch mit Meredith hatte er realisiert wie schwerwiegend die Entscheidung, die er getroffen hatte, eigentlich sein musste. Er hatte einen potentiell gefährlichen Abtrünnigen, desertierten grauen Wächter und Mörder laufen lassen, weil er ihn von früher kannte. Er hatte die Verantwortung für eine weitere Katastrophe in Kauf genommen, dafür, dass ein alter, vermeintlicher Freund am Leben bleiben durfte. Doch wieso? Weil er es nicht glauben konnte, dass Anders, der liebenswürdige Idiot des Zirkels in Ferelden, zum kaltblütigen Amokläufer geworden sein sollte? Ja, die Ermittlungen nach dem blonden Magier 'Liam' waren von Seiten des Ordens eingestellt worden. Auch Cullen hatte geglaubt, er könne die Tatsache, dass sich Anders in der Dunkelstadt versteckte, geflissentlich ignorieren; den Mann 'übersehen', damit dieser sein wohl hart erkämpftes Leben in Freiheit leben konnte. Doch der Templer hatte sich geirrt... drei schlaflose Nächte hatte er mit sich selbst hadernd zugebracht, bis er zu dem vagen Entschluss gekommen war, sich dessen versichern zu müssen, dass der Heiler aus der Dunkelstadt wirklich 'harmlos' war; dass die grausigen Geschichten und Anschuldigungen um ihn nicht stimmten. Und außerdem... außerdem wollte er mit Anders sprechen. Worüber, wusste Cullen nicht genau, doch dieses drängende Verlangen danach hatte schlussendlich ausgereicht, um ihn in die Dunkelstadt, diese Grauzone Kirkwalls, zu treiben. 'Folgt den Laternen und ihr findet ihn.' hatte der schmächtige Bettler vor Tagen gesagt und verschwörerisch gegrinst. Laternen? Cullen hob seinen Blick und ließ seine wachen Augen suchend durch die gespenstische Dunkelheit schweifen. Der Mann hob sich dabei den dicken Baumwollstoff seines Ärmels angewidert vor Mund und Nase und verzog sein Gesicht dabei leise hustend. Es roch bestialisch; nach Verwesung, Moder und Exkrementen. Hier und da drangen die gelallten Worte eines Betrunkenen an seine Ohren oder weit entfernte Schmerzensschreie von Verletzten oder Kranken hallten durch die eiskalte Düsternis. Der Templer kniff seine Augen leicht zusammen, in der Hoffnung, dies helfe ihm dabei in dem fahlen Licht besser sehen zu können. Doch es half nicht. Einer seiner Füße stieß schon nach wenigen Schritten an irgendetwas Großes, Weiches, das reglos vor ihm am Boden lag und ihn beinahe dazu zwang zu stolpern. Cullen's schwerer Atem stockte, als er sich wieder einigermaßen fing und innehielt; er musste sich dazu zwingen nicht nach unten, vor seine ledernen Stiefel zu sehen. Das laute Summen der Fliegen, die nach seinem 'Zusammenstoß' mit diesem... Ding am Erdboden auseinander gestoben waren, trieb ihm eine dunkle, grausige Ahnung in den Kopf. Eine, die ihm verriet was, oder besser wer, hier vor ihm liegen musste. Eine Ahnung, die ihm zusammen mit dem Gestank hier unten die Galle hochkommen ließ. Es war seltsam, hatte er in seinem Leben doch schon so viel Leid und Tod gesehen, doch die Dunkelstadt schaffte es, ihn an gewisse Grenzen des Aushaltbaren zu treiben. Ob die Menschen, die hier unten in der Kälte vor sich hin vegetierten, das selbe empfanden? Oder stumpften sie nach einer gewissen Zeit derart ab, dass sie den Tod nicht mehr rochen und die Schreie nicht mehr hörten? Schwer vorstellbar. Zu viel Zeit verstrich, bis Cullen endlich eine der besagten, roten Papierlaternen erblickte, die ein warmes, in dieser trostlosen Gegend so deplatziert wirkendes, Licht verbreiteten. Ein Anblick, der ihn dazu brachte seinen schnellen Schritt zu verlangsamen und wieder etwas genauer auf seine Umgebung zu achten. Nach wenigen Momenten schon erkannte er die Einrichtung, die die Bettler und Obdachlosen Kirkwalls als 'Klinik' bezeichneten. Nur wenige Stufen führten zu dem Holzverschlag empor, der die Räumlichkeiten dahinter vor den offenen und gefährlichen Wegen der Dunkelstadt trennte. Zwei mit Milch gefüllte, ausgebeulte Metallschälchen standen zu einer Seite des Eingangs: Zwei ramponierten Türen, die eher provisorisch in die morsche Trennwand eingebaut worden waren und die von Laternen am Plafond matt erleuchtet wurden. Eine von ihnen stand einen Deut weit offen, man konnte Stimmen durch sie herausdringen hören. Der nahe Umkreis um diese 'Klinik' wirkte sauberer als das restliche Viertel, offensichtlich sorgte jemand dafür, dass Kadaver und Leichen weggeräumt und der gröbste Dreck zusammengefegt wurde. Cullen schluckte trocken, als er zögernd die paar Stufen zu seinem Ziel empor schritt und ließ seinen nervösen Blick unruhig schweifen. Was machte er hier eigentlich..? Kaum zwei, drei Schritte von der offenstehenden Tür entfernt, hielt der Mann schließlich inne, beugte sich etwas vor und streckte einen seiner Arme aus, um die hölzerne Türe vorsichtig etwas weiter aufzustoßen. Der Templer richtete seine Augen daraufhin dem Szenario entgegen, das sich ihm innerhalb der gesuchten Einrichtung der Dunkelstadt bot: Eine drückende Beklommenheit lag in dem breiten Raum - mit den vielen schäbigen Liegen und nüchternen Behandlungstischen an beiden Seiten - in der Luft. Nicht Viele waren anwesend, ein vermeintlicher Patient lag zugedeckt und schlafend auf einer der Liegen, schien von dem Lärm um sich herum nichts zu hören. Womöglich war er durch Magie in einen komatösen Zustand versetzt worden. Ein weiterer Mann lehnte mit verbundenem Kopf auf einem wackeligen Stuhl und leerte eine verschmierte, halbvolle Flasche in einem Zug; er schien seine schlimmen Schmerzen in Alkohol ertränken zu wollen. Eine Frau schrie fürchterlich irgendwo in einer der Ecken, die man vom Eingang aus nicht sehen konnte, verfluchte dabei den Erbauer und irgendeinen 'verdammten Kerl von damals'. Zwischen all den schmerzlichen Lauten konnte man eine weitere Stimme ausmachen, die ruhig und beschwichtigend auf die schreiende Frau einredete. Sie gehörte Anders. Er war also tatsächlich hier. Cullen verengte seine Augen zu einem argwöhnischen Blick, als die Schmerzensrufe der Frau für wenige Momente lang verstummten und Anders' bekannte Stimme dabei ruhig versicherte, dass sie 'es' bald überstanden hätte. Was, beim Erbauer, ging dort, hinter der Zwischenwand, die sich fast bis zur Mitte des Raumes zog, vor? Der Templer atmete tief durch, als er sich wieder in Bewegung setzte, um sich dem Innenraum der Klinik zu nähern und um womöglich einen Blick auf das erhaschen zu können, was Anders dort drin mit dieser armen Frau trieb. Vielleicht hatte sich Cullen bisher getäuscht, vielleicht war er mit seinem guten Gefühl Anders gegenüber falsch gelegen. Womöglich war der gesuchte Mann tatsächlich zu einem blutrünstigen Monster mutiert, zu einem wahnsinnigen Verbrecher, der wahllos Menschen abschlachtete. Ja, es war vorstellbar, dass diese 'Klinik' hier in der Dunkelstadt nicht das war, was sie vorgab zu sein. Vielleicht war sie mehr ein Labor, eine Werkstätte eines Maleficars- Cullen spürte, wie es ihm die Nackenhäärchen aufstellte, als die Frau im Innern der Einrichtung erneut fürchterlich aufschrie und seine zitternde Hand wanderte reflexartig an den Knauf des Schwertes, das er unter dem ausladenden Baumwollmantel an seiner Seite verbarg. Doch als der Templer seine Füße schließlich in das Innere der Baracke setzte, wurden seine düsteren Vorahnungen, Gewissensbisse und Sorgen in alle Winde zerstreut. Denn so, wie die Frau abrupt stiller wurde und man dadurch wieder die Stimme des blonden Magiers vernehmen konnte, mischte sich noch ein weiterer Laut in den ganzen Trubel: das Geschrei eines Kindes, eines Neugeborenen. Cullen blieb wie festgewurzelt stehen, als ihn diese plötzliche Erkenntnis beutelte und augenblicklich schalt er sich, ob seiner schwarzmalerischen Gedanken, einen Narren. Der Templer ließ seinen Blick erneut durch den spärlich beleuchteten Raum schweifen und erkannte nun neben den Liegen, auch einen breiten, alten Holztisch, Bücher, verschiedenste Behältnisse in provisorischen Regalen und einen Magierstab, den man beiläufig an eine der Wände gelehnt hatte. Vor die Abteilung in der besagten Ecke, in der noch immer Hektik herrschte, waren hohe Bretter gelehnt worden, um vermutlich die Sicht auf diesen kleinen Bereich zu rauben. Eine, gerade einmal mannsbreite Lücke zwischen ihnen, die mit einem fleckigen, langen Tuch verhängt worden war, diente als Durchgang. Es machte den Eindruck, als sei dieser abgeschottete Bereich eine Art Behandlungsraum für Angelegenheiten, auf die niemand einen Blick erhaschen sollte. Verwunderlich mit welch simplen Methoden man solch etwas zustande bringen konnte... Wieder fing die Frauenstimme an zu jammern, sprach beinahe schon hysterisch gegen Anders, der ihr vermutlich ihr Kind in die Arme legen wollte „Nein, nein! Ich will es nicht! Ich kann nicht!“. Cullen stockte der Atem, als er die Worte vernahm, mit denen sich die Frau hinter dem Sichtschutz zu wehren versuchte; als Beschimpfungen gegen ihr eigenes, neu geborenes Fleisch und Blut fielen. Dem ungläubigen Templer standen die trockenen Lippen einen Spalt weit offen, als er in die Richtung der geräuschvollen Ecke des Raumes starrte und obgleich er nicht sehen konnte, was dort vor sich ging, konnte er es sich bildlich vorstellen: Eine Mutter, die sich mit Händen und Füßen gegen ihr schreiendes Neugeborenes wehrt und ein blonder Mann, der versucht ihr dieses Verhalten auszureden. Cullen wollte die Gründe für die vorhergegangene Schwangerschaft dieser Frau gar nicht erst wissen... Ein verbitterter Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht, als er seinen Kopf schwach schüttelte. Es gab Menschen, die hatte der Erbauer verlassen, so schien es. Eine gefühlte Ewigkeit verging, ehe die Frau aufhörte zu heulen und mit brüchiger Stimme zu schimpfen. Ihre bissigen und verzweifelten Ausdrücke wichen einem leisen Schluchzen, das nach und nach ebenfalls erstarb. Auch das weinende Kind schien sich allmählich zu beruhigen. Es fielen seitens Anders noch ein paar unbedeutende Worte, die wohl dem Zweck dienen sollten, schlechte Gedanken an die Zukunft zu vergessen; ruhige Versicherungen und Lügen, die einer verlorenen Kleinfamilie beibringen sollten, alles wäre gut. Und dann schob eine Hand den Vorhang zwischen den Verschlägen zu dem Eckabteil beiseite. Anders trat heraus und ließ die Frau und ihr Neugeborenes hinter den - vor neugierigen Blicken schützenden - Holzplanken zurück. Sich die blutverschmierten Hände an einem fleckigen Tuch abwischend, seufzte der Magier tonlos und senkte seinen Kopf. Er schien ein paar Herzschläge lang zu brauchen, um sich zu fassen, atmete ein paar mal tief durch und fuhr sich mit einem seiner Ärmel über das Gesicht. Anders wirkte mitgenommen, von dem Leid seiner Patientin und der dunklen Zukunft ihres Kindes mitgerissen; er schien Cullen in den ersten paar Momenten überhaupt nicht zu bemerken. Doch dann hob der Heiler seinen Kopf, um seinen entnervten Blick in die Richtung des anwesenden Templers zu lenken und augenblicklich stockte er, erstarrte für einige Sekunden lang wie zur Eissäule. Braune, ungläubige Augen blinzelten dem Knight-Captain entgegen und verengten sich nach und nach zu einem immer prüfender werdenden Ausdruck. Cullen's wirrer Kopf schien erst in diesem Moment, da ihm seine alte Bekanntschaft aus dem Zirkel in Ferelden wahrhaftig und in nicht allzu weiter Ferne gegenüberstand, zu kapieren, dass der Templer sich tatsächlich in die Dunkelstadt begeben hatte, um diesen Mann zu suchen. Und er hatte den Magier gefunden, stand seinem alten 'Freund', den er jahrelang nicht mehr gesehen hatte, nun unmittelbar gegenüber. Es erschien so surreal. Bis zu dem Tag, an dem er ihn am Markt der Unterstadt erblickt hatte, hatte Cullen geglaubt, Anders sei während eines Fluchtversuchs in Ferelden verschieden. Doch er lebte. Und wie. In diesem Moment kam er bereits zögerlich und mit ungläubiger Miene näher, schien sich wie sein Gegenüber nicht ganz sicher zu sein, ob sich unter dessen Kapuze das Gesicht eines Geistes oder das einer realen Person befand und holte demnach Luft, um eine vorsichtige Frage zu äußern „... Cullen?“. Der offensichtlich irritierte Abtrünnige hielt wenige Schritte vor ihm inne und legte den blonden Kopf in einer fragenden Geste ein wenig schräg. Anstatt einer Antwort auf seine Frage, entgegnete Cullen Anders jedoch nur eine nüchterne Feststellung, die der des Magiers gleichkam und eine stumme Zustimmung in sich trug „Anders.“. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)