Blutschuld von abgemeldet (Seine Bestimmung war es Vampire zu jagen, nicht sie zu lieben) ================================================================================ Kapitel 16: Freundschaft ------------------------ 16. Freundschaft In den nächsten Wochen machte Gerald keinen Hehl mehr aus seinem Zorn. Wo es ging schikanierte er Luc. Dennoch fühlte sich der Jäger bei der Stadtwache wohl und er konnte es kaum erwarten, seinen offiziellen Dienst anzutreten. Die Nachricht, dass er wie alle Anwerber zuerst eine Ausbildungszeit durchlaufen musste und fürs erste nur als Helfer den Dienst mitgestalten konnte, warf ihn in seiner Euphorie zurück. Geduldig folgte er und wurde mit dem Versprechen des Kommandanten, noch vor Jahresende seine Uniform zu erhalten, belohnt. Hin und wieder gab sich Luc einen Ruck und ging auf Gerald zu. Ein ums andere Mal wurde er bitter enttäuscht. Selbst an Sonntagen, an denen die Kaserne meist verlassen war, befand es der Blonde für nötig, aus allem ein theatralisches Schauspiel zu machen. Irgendwann war Luc die Gehässigkeit die ihm entgegenschlug leid und er gab auf. „Sag mal, was genau hast du verbrochen?“, wollte der Rothaarige wissen, als sie beide ungestört im Schlafsaal waren. Fragende blickte Luc in das neugierige mit Sommersprossen übersäte Gesicht. „Was meinst du, Utz?“ „Ich kenne Gerald fast mein ganzes Leben lang und weiß auch, dass er ziemlich unangenehm werden kann. Aber in deiner Gegenwart scheint seine Boshaftigkeit keine Grenzen zu kennen. Er nutzt jede Gelegenheit, um dich bloß zu stellen. Er scheint es regelrecht zu genießen, dir seine Macht zu demonstrieren.“ Luc grinste. „Wenn du es für Macht hältst, mich den Kasernenhof fegen zu lassen oder mir jeden Nachtdienst aufzuhalsen, der möglich ist, hast du wohl recht.“ „Und was ist mit den sinnfreien Bestrafungen, wie dich stundenlang mit Steinen beladen, wie ein Jahrmarktspony im Kreis laufen zu lassen?“ Bei dem Vergleich musste Luc los prusten. „Sah ich wirklich so lächerlich aus?“ Utz puffte ihn freundschaftlich in die Seite. „Schlimmer. Aber ich meine es ernst.“ „Ich habe nichts gegen körperliche Ertüchtigung. Der Herbst bricht bald an und der Winter ist nicht mehr fern. Wenn ich erst einmal den offiziellen Rang einer Stadtwache innehabe, wird er mich nicht mehr so leicht demütigen können. Also mache dir bitte keinen Kopf.“ Utzs blaue Augen musterten ihn kritisch, während sich die Stirn in leichte Falten legte. Kurz glaubte Luc Sorge in dem runden Gesicht zu lesen. „Er hat dir Avancen gemacht, oder?“ Luc errötete bei der Direktheit dieser Frage. „Wie meinst du“, „Wie kommst du darauf?“ „Noch bevor ich Gerald hier begegnet bin, waren wir quasi seit der Kindheit Nachbarn. Ich erinnere mich noch gut daran, wie er als Jüngling sehr von meinem älteren Cousin angetan war. Er gab es nie zu und mein Cousin tat es als Bewunderung ab. Aber die Blicke die Gerald ihm zuwarf, waren so wie die meinen, wenn ich Mädchen nachschaute. Verträumt und sehnsüchtig.“ „Du kannst wohl kaum behaupten, dass er mich verträumt anschaut“, spottete Luc um der Ernsthaftigkeit dieser Unterredung zu entgehen. „Nein, eher so, als ob er dich auf der Stelle zu Boden werfen möchte. Allein um dir zu zeigen, dass er der Stärkere von euch beiden ist.“ Utz machte sich definitiv Sorgen um ihn. Dennoch war dieses Gespräch äußerst unangenehm und es wäre Luc lieber gewesen, wenn sein Freund nicht so ein waches Auge auf ihn geworfen hätte. „Seit er ein Mann ist, verbirgt Gerald alles hinter Arroganz und stolzem Gehabe. Darunter liegt aber nicht etwa ein sensibles, sondern ein brutales Wesen. Er hat dich nicht angegangen, weil er wusste, dass du zu stark für ihn wärst, verstehst du?“ Der Schock fuhr tief in Lucs Glieder. Gerald mochte ein unangenehmer Zeitgenosse sein, aber die Unterstellung, die in der Aussage mitschwang, ging doch zu weit. „Ich schätze dich sehr, Utz, aber das kann ich nicht glauben. Bist du dir darüber im Klaren, welche Vorwürfe du indirekt erhebst?“ Der Blick des Rothaarigen war fest, als er fortfuhr. „Glaube mir, wenn ich dir sage, dass sie nicht aus der Luft gegriffen sind. Aber einer Stadtwache etwas nachzuweisen, noch dazu bei so einem Vergehen, ist schwierig und stößt nur zu gerne auf taube Ohren.“ Luc war immer noch ungläubig. Doch nach und nach formte sich das Bild, welches er von Gerald hatte, neu. „Ich danke dir für deine Offenheit. Das Gesagte muss ich aber erst verarbeiten. Ich hatte gedacht, dass ein weicher Kern unter der harten Schale zu finden ist. Die kurze verbrachte Zeit mit ihm, zeigte mir nichts von seiner verkommen Art. Im Gegenteil. Ich bedauerte, dass unser Kennenlernen so misslich endete.“ „Ich sollte diesen Sonntag vielleicht nicht gehen.“ Luc schüttelte den Kopf. „Unsinn. Deine Frau wartet auf dich. Gerald hat mir bis jetzt keinen ernsthaften Schaden zugefügt und wird es auch zukünftig nicht. Sagtest du nicht selbst, dass ich zu stark für ihn wäre? Mache dir bitte keine Sorgen und gehe. Ich bin schon mit ganz anderem fertig geworden.“ Seufzend packte Utz seine Sachen zusammen. „Das glaube ich dir. Dennoch habe ich ein ungutes Gefühl.“ „Ich auch. Wenn ich recht darüber nachdenke, könnte es Hunger sein.“ Die Besorgnis wich aus dem Gesicht seines Freundes. „Gut, gehen wir was essen, bevor ich aufbreche.“ Als Utz nach dem Frühstück zusammen mit den anderen wie jeden Sonntag nach Hause aufbrach, erfüllte Luc bedrückende Einsamkeit. Wie immer. 'Blicke nicht zu tief', ausgerechnet heute kam ihm Geralds Warnung in den Sinn. Utz hatte ihn schon ganz konfus mit seinen Sorgen gemacht. Nachdenklich ging er in die Bibliothek. Das Wetter war schlecht und so konnte er ebenso gut ein Buch lesen. Luc entschied sich für etwas Lehrreiches zur Stadtgeschichte. Sein Wissen aufzubessern würde sicher nicht schaden. Eine Tasse Tee sollte ihm die schwere Kost erleichtern. Die große Küche war genauso verlassen wie der Rest der Kaserne. Der Kessel pfiff und Luc goss die Kräuter auf. Der Geruch war wohltuend und legte sich warm auf seine Sinne. Während er nach Honig suchte, glaubte er einen Schatten vor einem der Fenster gesehen zu haben. Umsichtig ging nach draußen um sich zu vergewissern. Nichts. Wahrscheinlich spielten ihm seine Gedanken einen Streich. Als er wieder in die Küche trat, stand ihm Gerald gegenüber. „Stadtgeschichte. Was Besseres hast du wohl nicht gefunden?“ Lässig legte der Blonde das Buch zurück auf den Tisch. „Was dagegen, wenn ich mir etwas von dem Wasser nehme?“ Luc reizte die mögliche Herausforderung und er wollte sich nicht um den ersten bissigen Kommentar der ihm auf der Zunge lag drücken, als er auf den Blonden zuging. „Ja. Wenn es abgekühlt ist, kannst du es meinetwegen wieder aufkochen. Darin bist du ja gut, im Warm machen.“ Utz hatte recht. Jetzt wo er wusste, wonach er in den stahlblauen Augen suchen musste, fand er Antworten. Neben Stolz, waren es Gier und Rücksichtslosigkeit. Ehe er reagieren konnte, wurde er von Gerald an die nächste Wand gepresst. Hart drückten sich die Lenden des Anderen an die seinen, während ihm durch die Nähe warmer Atem entgegen schlug. Das Gesicht seines Gegenübers war von verlangender Lust geprägt. Stechend fanden sich stahlblaue Augen in grünen wieder, bevor sie sich abwandten und begehrlich seine Lippen betrachteten. Sein Herz schlug intuitiv schneller, während sich seine Muskeln spannten und die Situation mit einem Schlag beenden wollten. Den plötzlich aufgezwungen Kuss quittierte er jedoch einzig mit einem Biss in das weiche Fleisch. Er schmeckte Blut. Augenblicklich wich Gerald zurück und fasste sich an die offene Lippe. Die Überraschung in dem Blonden hielt nur kurz an und verbarg sich sogleich unter Arroganz. „Ich komme dann wieder, wenn das Wasser kalt ist.“ Fassungslos ruhten Lucs Augen solange auf dem Rücken des Blonden, bis dieser hinter der Tür verschwand. „Verdammt, was sollte das?!“ Seine Frage kam zu spät um Beachtung zu finden. Kopfschüttelnd rief er sich zu Ordnung. Ob es ihm passte oder nicht, er sollte achtsamer in Geralds Gegenwart sein. Er sah ihn nicht wirklich als Bedrohung, aber die gezeigte Unberechenbarkeit, machte ihn zu einer ernstzunehmenden Gefahr. Langsam schlürfte er den Tee und macht sich an das erste Kapitel. Er kam zur zäh voran und hatte Schwierigkeiten sich zu konzentrieren. Seine Augen schmerzten und die Buchstaben verschwammen. Vielleicht sollte er doch in die Bibliothek zurückgehen. Dort war der Lichteinfall durch die großen Fenster etwas besser. Mit einem Satz trank er den Rest der nur noch lauwarmen Flüssigkeit runter und stand auf. Schwindel ergriff ihn. Seltsam, er fühlte sich gar nicht krank. Beim ersten Schritt hatte er das Empfinden zu wanken. Beim zweiten Schritt fiel er. Unfähig aufzustehen, versuchte er vergeblich einen klaren Gedanken zu fassen. Das Schallen von Absätzen ließ ihn aufhorchen. Seine Augen suchten nach Antworten, doch Die Dunkelheit zog ihn unaufhaltsam in die Bewusstlosigkeit. Als er die Ohnmacht abschüttelte, brannten seine Glieder. Langsam wurde er sich seiner Lage gewahr. Er stand mit den Armen nach oben gefesselt, in der Mitte eines nur spärlich beleuchteten Raumes. Das Tageslicht wurde durch dicke Vorhänge ausgesperrt und machte stattdessen einigen wenigen Kerzen platz. Sein Oberkörper war entblößt und er konnte die eisigen Blicke von einer anderen Person im Raum auf sich spüren. „Ich sagte ja, ich komme wieder, wenn das Wasser kalt ist.“ Langsam kroch Angst in Luc empor. Er hatte Gerald unterschätzt oder vielmehr ihm nicht soviel Hinterlist zugetraut. Krampfhaft sammelte er sich. Er würde dem Blonden keine Schwäche zeigen. „Es war noch lauwarm. Du solltest besser an deinem Zeitplan arbeiten.“ Harsch griff Gerald in das dunkelblonde Haar und zwang Luc somit direkt in die stahlblauen Augen zu sehen. „Vorsicht, Baldur. Du bist gerade nicht in der Position dich zu wehren. Mich zu reizen, wäre äußerst unklug.“ Luc gab ein abfälliges Grinsen zur Antwort. „Dann soll ich dich also fürchten? Verzeih, aber bei einem Mann, der feige zu Betäubungsmitteln greifen muss, um sich zu behaupten, fällt mir das nur schwer.“ „Dann werde ich dir dabei behilflich sein!“ Gerald trat hinter ihm. Ein leises Surren folgte, dann ein Schlag, der sich als schmerzhafter Striemen auf seinem Rücken abzeichnete. Erschrocken zog Luc die Luft mit einem Stöhnen ein. Bei dem nächsten Schlag war er vorbereitete. Er tat Gerald nicht mehr den Gefallen, sich den Schmerz anmerken zu lassen. Nicht beim Zweiten, nicht beim Dritten. Fest Griff die Hand des Blonden nach seinem Kinn. Ekel durchzog seinen wehrlosen Körper, als Geralds feuchte Zunge über sein Gesicht glitt. Dann machte sich die Hand des Blonden an seinem Hals zu schaffen. „Wollen wir doch mal sehen, welches Geheimnis du verbirgst.“ „Nein!“ Luc keuchte auf. Zu spät. Das weiße Tuch fiel zu Boden und kalte Finger tasteten nach seinen Narben. „Dann ist es also wahr. Du bist der Geliebter des Prinzen.“ Entsetzen befiel Luc. Woher wusste Gerald von Iven? „Na, hast du mir nichts zu sagen? So etwas wie, ich solle die Finger von dir lassen, weil sonst dein Prinz kommt und mir jeden einzelnen Tropfen Blut raubt?“ „Selbst dein erbärmliches Leben würde ich vor Vampiren beschützen,“ spie Luc aus. Gerald lachte schallend. „Ganz der Jäger was. Dabei hat die Garde dich doch verstoßen und als vogelfrei deklariert.“ Lucs Augen weiteten sich. Er hatte es befürchtet. Aber wie kam Gerald an all die Informationen? „Was hast du damit zu schaffen?“ „Oh, im Grunde nichts. Außer einen Halbbruder, der mich darüber aufgeklärt hat, wer und was du bist.“ Wieder das unbarmherzige Surren. „Und dann noch einen Vater. Der bei deiner Auslieferung vielleicht auch mal an seinen Bastard denkt, der es nur in den Dienst einer Stadtwache geschafft hat.“ Fünf. Er musste all seine Beherrschung aufbringen. „Wessen Sohn?“, keuchte er schwer. „Hauptmann Junkens. Und mein Halbbruder Siegbert, lässt dir schöne Grüße ausrichten.“ Stur blickte Luc in den goldenen Schein einer Kerze, um auch die nächsten Schläge zu schlucken. Das Surren verstummte und wurde durch ein bedrohliches Raunen ersetzt. „Eine Schande, einen so schönen Körper zu verunstalten.“ Die Spuren, die Geralds kühle Finger über seine Brust zogen, ließen Luc erschaudern. „Aber ich will mich ja nicht anstecken und werde mich wohl mit deiner süßen Stimme amüsieren müssen.“ „Tu, was du nicht lassen kannst. Aber renne später nicht zu Papi, wenn du nicht bekommst, was du willst!“ Zorn funkelte in den stahlblauen Augen auf. „Ich bewundere deinen Mut, Luciel. Im Augenblick ist er nur völlig sinnlos. Die Garde hat bereits ihre Gefolgsleute nach dir ausgesandt. Kurz vor Sonnenuntergang werden sie dich zu deiner sicheren Hinrichtung eskortieren. Bis dahin...“ Wieder harte Lippen die fordernd nach seinen verlangten. Wieder ein wehrender Biss, Blut auf seiner Zunge. „...werde ich meinen Spaß mit dir haben.“ Spielerisch leckte sich der Blonde über die offene Wunde an der Unterlippe. „Und da du die eine Art eben abgelehnt hast, werde ich mich mit der anderen begnügen.“ Gleich wie oft die Peitsche seinen Rücken streifte, ihm Tränen in die Augen trieb, so kam der Schmerz doch nicht an jenem in seinem Herzen ran. Er dachte an Sarah. Flüsterte ihr zu, dass er bald bei ihr sein würde. Dann viel er in die Dunkelheit und sah Iven vor sich. Er war nicht Richter oder Henker. Aber seine Schuld. Schuld, die schwer auf seinem Gewissen lag und ihn jeden Schlag demütig ertragen ließ. Er hatte es nicht besseres verdient. Die Ohnmacht erbarmte sich und schluckte sein Bewusstsein mit stiller Schwärze. Ein Schwall Wasser holte ihn zurück in das düstere Zimmer. „Willst du mir nicht wenigstens einen Laut schenken? Vielleicht bin ich gnädig mit dir.“ Luc kämpfte mit seinen Sinnen. Sein Rücken brannte, als ob er in Feuer stehen würde. „Ich verdiene keine Gnade.“ Kraftlos fiel er zu Boden, als seine Fesseln unerwartet gelöst wurden. „Selbst die Möglichkeit dich zu strafen und zu verdammen nimmst du mir, indem du es selbst tust!“ Sehnsüchtig beugte sich der Blonde zu dem Jäger und strich sanft über dessen Hals. „Ich hätte dich vor ihm finden müssen.“ Dann verschwand er und Luc glitt dankbar in die Schwärze der Bewusstlosigkeit zurück. Unruhig zuckten seine Augenlider. Als er sie aufschlug, nahm er die Umgebung nur unscharf wahr. Er wollte sich aufrichten, aber seine Glieder gehorchten nicht. Der Versuch sich umzublicken scheiterte, genauso wie der aufzustehen. Benommen starrte er auf den Boden und überlegte fieberhaft, wie er sich befreien konnte. Je wacher sein Geist wurde, desto intensiver spüre er das Brennen auf seinem zerschundenen Rücken. Dumpfe Stimmen drangen an sein Ohr. „Ich hatte euch später erwartet. Seid ihr etwa allein? Hat man euch nicht gesagt, wen ihr abführen sollt?“ „Nun führt mich schon zu dem Gefangenen.“ „Wie ihr wollt.“ Diese Stimme. Irgendwie kam sie Luc bekannt vor. Ein Schlüssel klapperte im Schloss, gefolgt von Schritten. Der Lichteinfall verschaffte ihm ein deutlicheres Bild. Zwei Schatten standen hinter ihm. „Da habt ihr ja ganze Arbeit geleistet.“ Lucs Herz machte einen Hüpfer, als er die tadelnde Stimme, als die von Vernon erkannte. Wieso war er hier? Bitterkeit befiel ihn. Musste der General ausgerechnet Vernon schicken, um ihn zum Galgen zu führen? Schritte näherten sich. „Seid achtsam. Er könnte wach sein.“ „Für mich sieht es nicht so aus, als ob er sich noch großartig wehren könnte.“ Der Brünette beugte sich nach unten, um den Gefangenen in Augenschein zu nehmen. „Großer Gott, musstet ihr ihn so zurichten?“ „Ihr seid wohl sehr zimperlich. Ich dachte er sei ein Geächteter und jede Strafe hätte er mehr als verdient.“ Eine Decke fiel unweit von Lucs Kopf zu Boden. Als sie von Vernon aufgehoben und über ihn gelegt wurde, unterdrückte er ein Keuchen. „Mir ist nicht bekannt, was ihm zur Last gelegt wird. Aber über die Bestrafung wird das Gremium der Gilde in einem fairen Prozess entscheiden.“ Sachte wurde er umgedreht. Traurig sah er in das bronzene Gesicht seines Freundes. Das Entsetzen mit dem Luc gemustert wurde, verriet ihm, dass Vernon wohl nicht über seinen Auftrag aufgeklärt wurde. Vorsichtig half ihm Vernon dabei sich aufzurichten. Er schwankte dennoch und versuchte vergebens sein Gleichgewicht zu finden. Mit einem sorgenvollen Blick bugsierte Vernon ihn sogleich zu der nächsten Wand, an die er sich dankbar anlehnte. Geistesgegenwärtig richtet sich der Soldat wieder an den Gruppenführer. „Wo sind seine Sachen?“ „Im Schlafquartier der Truppe.“ „Dann führt mich hin und gebt ihm was zum Trinken.“ „Herje, ihr seid wirklich empfindlich. Euer Verräter ist hart im nehmen und wird darauf verzichten können“, tönte die hochmütige Stimme von Gerald. „Sein Leben ist mir unterstellt. Auf was er verzichten kann und auf was nicht, entscheide nunmehr ich. Wenn ihr euch dann bequemen wollt!“ Die Autorität in Vernons Auftreten ließ keinen Widerspruch zu. „Schön, ich führe euch zum Schlafquartier und kümmere mich auf eure nette Bitte hin, dann um sein leibliches Wohl.“ Mit einem letzten Blick, den Luc nicht zu deuten vermochte, verließ Vernon mit Gerald den Raum. Kraftlos glitt Luc an der Wand herab. Sicher war es reine Taktik des Generals gewesen, Vernon zu schicken. Gegen ihn würde er sich nicht wehren. Soweit ihm das gegenwärtig überhaupt möglich war. So schmerzlich die Erkenntnis war, von seinem Freund ausgeliefert zu werden, so fand er doch einen gewissen Trost darin, die letzten Stunden in dessen Gegenwart erleben zu dürfen. Wieder klappernden Schlüssel. Mit einem Becher in der Hand blieb Gerald vor ihm stehen. Er schien es sichtlich zu genießen, dass Luc zu ihm aufblicken musste. Mit einem höhnischen Grinsen reichte er dem Dunkelblonden den Becher. Als Luc danach griff, versagte sein Arm an der noch fühlenden Taubheit, woraufhin sich unter dem Zittern der Inhalt des Bechers auf den Boden ergoss. Mit einem spöttischen Grinsen beugte sich Gerald zu dem Gefangenen. „Armer Luciel. Immer noch unfähig zu handeln. Hilflos wie ein kleines Kind. Wenn du lieb zu mir bist, bringe ich dir vielleicht noch einen Becher.“ Revanche. Der Gedanke brannte mehr in Luc als sein Rücken. Er würde durch diesen Bastard dem sicheren Tod übergeben werden. Aber er würde dem Blonden ein Andenken hinterlassen. „Bitte,“ ehrfürchtig flehten seine grünen Augen, „nenne mir deinen Preis.“ Siegessicher verzogen sich Geralds Lippen, als sie sich den seinen näherten. „Diesmal mit mehr Leidenschaft“, hauchte der Blonde als er zum Kuss ansetzte. Es kostete Überwindung, die er nur zu gerne aufbrachte. Vorsichtig strichen seine Lippen über Geralds Mundwinkel, nur um sich dann ruckartig auf dessen Wange wieder zu finden. Seine Zähne schlugen in Fleisch und seine Zunge schmeckte den bitteren Geschmack von Blut. Der Blonde schrie augenblicklich auf. „War, dass genug Leidenschaft für dich?“ Luc konnte nicht anders als schadenfroh zu lachen. „Das wirst du mir büßen!“, brüllte der Blonde. In völliger Rage zog er sein Schwert, um zum Schlag anzusetzen. „Steckt es weg! Oder ihr macht Bekanntschaft mit meiner Klinge.“ Wütend drehte Gerald sich um. „Er hat mich gebissen. Wie eines dieser Tiere!“ Vernon schien die Rechtfertigung nicht zu interessieren. Ohne weiter darauf einzugehen, ging er auf Luc zu, um ihn in die Höhe zu helfen. Stolz stellte sich der Blonde beiden in den Weg. „Nicht so schnell. Ich verlange Genugtuung!“ „Wenn ihr so leichtsinnig seid, jemanden zu provozieren, der nichts zu verlieren hat, verdient ihr es nicht anders. Außerdem hattet ihr eure Genugtuung bereits mehr als genug. Jetzt tretet beiseite.“ Zornfunkelnd zog sich der Hauptmann zurück, nicht ohne Luc vorher noch einen hasserfüllten Blick zuzuwerfen. Auf dem Kasernenhof angelangt, konnte der Jäger seine Stärke nicht mehr bewahren. Der Schmerz war zu groß und seine Füße wollten sein Gewicht nicht mehr tragen. Erschöpft brach er zusammen und wurde nur von Vernons Armen vor dem Fall bewahrt. „Luc? Hörst du mich?“ Ja, er konnte die Stimme seines Freundes hören. Zur Antwort fehlte ihm die Kraft. Wie gerne hätte er mit ihm gesprochen. Über alte Zeiten, über die Geschehnisse der letzten Monate, über seine Verzweiflung und sein Bedauern in jeder Hinsicht versagt zu haben. Als Sohn, als Bruder, als Schüler, als Jäger und als Freund. Er wollte sich entschuldigen, ohne Vergebung zu erwarten. Ein Wunsch, der von Ohnmacht geschluckt wurde. Warmherzige schmale blaue Augen waren das erste, was er sah. Er dachte an Sarah, doch ihre waren es nicht. „Ihr seid wach!“ Freudig tupfte ihm die rothaarige Frau die Stirn mit einem kühlen Tuch ab. „Ich kenne euch doch.“ Lucs Hals fühlte sich rau und trocken an. „Babette. Ihr kennt mit aus dem 'Spielmann'. Vernon hat euch zu mir gebracht.“ Unter Schmerzen setzte sich Luc auf. „Bitte überstürzt nichts. Ich habe eure Wunden versorgt, soweit es mir möglich war. Aber ihr braucht dringend Schonung.“ „Nicht da wo ich hingehe.“ Die Mimik der Rothaarigen drückte Unverständnis aus. „Ihr werdet nirgends hingehen, bevor ihr nicht genesen seid. Und jetzt nimmt einen Teller Suppe zu euch. Ihr habt eine Stärkung bitter nötig.“ Babette führte ihn zu einem Tisch. Müde ließ sich Luc auf den Holzstuhl sinken. Die hübsche Frau servierte einen Teller klarer heißer Brühe, angereichert mit allerlei Gemüse und etwas Fleisch. Ein angenehmer Geruch stieg Luc in die Nase. Sogleich meldete sich sein Magen und verlangte nach Nahrung. „Wieso bin ich bei euch?“ „Ich werde euch keine Fragen beantworten, bevor ihr den Teller nicht restlos geleert habt.“ „Danke für eure Fürsorge.“ Nach und nach leerte sich der Teller. Luc hätte schwören können, in seinem Leben noch nichts so schmackhaftes zu sich genommen zu haben. „Ich sollte gar nicht hier sein“, sagte Luc, nachdem er den letzten Bissen geschluckt hatte. „Nein.“ Vernon erschien, mit einem kleinem Bündel in der Hand, in der Tür. „Um genau zu sein solltest du vor zwei Tagen abgeurteilt und dem Henker übergeben werden.“ Luc schluckte. Er wusste nur zu gut, was sein Freund für ihn aufs Spiel setzte. Mit einem liebevollen Kuss begrüßte Vernon seine Liebste und reichte ihr das Bündel, dessen Inhalt sie sorgfältig auf dem Bett ausbreitete. „Wenn ihr gestattet. Ich würde eure Verbände gerne neu legen.“ Luc folgte der Aufforderung und setzte sich neben sie. Während sie sanft zu Werke ging, sah Luc seinen Freund ernst an. Babette trug eine Salbe auf die Wunden auf, die seine geschundene Haut beruhigen sollte. Luc ignorierte die Reizung die dadurch entstand und konzentrierte sich auf das kühle Gefühl das folgte. „Das hättest du nicht tun sollen,“ wandte er sich an seinen Freund. Vernon winkte ab. „Bedanke dich bei Phil. Er hat das ganze arrangiert.“ Luc zuckte zusammen und wurde sogleich von der jungen Frau ermahnt. „Haltet still! Ich muss den Verband noch befestigen.“ „Phil?“ Ein warmes Gefühl fing ihn ein. Einfühlsam beendete die Babette ihr Werk. „So, meine Arbeit ist vorerst getan. Es ist Mittagszeit und ich muss zurück in die Wirtschaft. Wenn ihr mich entschuldigt?“ „Ich danke euch. Es freut mich, dass ihr zu einander gefunden habt.“ „Keine Ursache. Ich hatte so gesehen, ja noch etwas gut zu machen.“ Mit einem Zwinkern in den blauen Augen schloss sie die Tür. Gespannt wartete Luc auf Vernons weiteren Bericht. „Ja, Phil. Er kam mit einem wichtigen Eilauftrag, wie er es nannte, zu mir. Ich sollte einen Abtrünnigen in Haft nehmen. Er sagte es ginge um Leben und Tod und ich sollte mich bedeckt halten und eilen. Die Nacht durchreiten, wenn es sein musste.“ „Dann war es keine offizielle Order?“ „Ja und nein. Phil schickte mich in seiner Eigenschaft als Oberstleutnant. Somit stellte ich keine Fragen. Weder weshalb ich alleine reiste, noch um wen oder um was es ging. Im Nachhinein war mir klar, dass er mich schickte, um dich vor den beauftragten Überstellern wegzubringen.“ Die Freude über Phils Hilfestellung überwog nicht die Schuld, Vernons Konflikt verursacht zu haben. „Es tut mir leid, dass er dich in solch eine Lage gebracht hat. Aber es ist noch nicht zu spät. Bring mich zur Garde, bevor dir ernsthafte Konsequenzen drohen.“ Traurige braune Augen taxierten grüne. „Denkst du von mir wirklich, dass ich das könnte? Dich dem Tod ausliefern?“ Luc wollte darüber keine Grundsatzdiskussion führen. Er kannte Vernons Standpunkt und akzeptierte ihn, so wie er es immer tat. „Du hast es selbst gesagt. Wenn wir uns das nächste Mal begegnen sind wir Feinde.“ „Als Gegner, Mann gegen Mann, ja. Aber nicht so.“ Luc stand auf, als ob er seinen Worten damit mehr Kraft verleihen konnte. „Ich werde nicht zulassen, dass ich dich auch noch ins Unglück stürze. Gerald ist der Bastard von Hauptmann Junkens. Er hat dich gesehen und wird sicher nichts unversucht lassen, dich als Verräter zu überführen.“ „Mach dir darüber keine Gedanken. Gerade weil er der Bastard des Hauptmanns ist, wird er es nicht wagen herum zu erzählen, dass er dich dem Falschen übergeben hat. Mir ist nichts nachzuweisen. Phil hat mir für jenen Tag bereits ein stichhaltiges Alibi verschafft.“ Luc ließ nicht locker. Sein Gewissen musste bereits zu viel tragen. „Und was ist mit deiner Verpflichtung? Deiner Treue zur Gilde? Ich kenne dich besser als Phil und weiß nur zu gut, welche Konflikte dir diese Entscheidung beschert.“ Nachdenklich ging Vernon zum Fenster und ließ seinen Blick über das munter Treiben der Straßen wandern. „Mein Wissen über dein Aufenthalt quält mich. Es ist nicht so, dass ich Lüge. Aber mein Schweigen gegenüber meinen Vorgesetzten ist nicht besser oder von geringerer Schuld.“ Entschlossen streifte sich Luc sein Hemd über. „Dann sollten wir keinen weiteren Aufschub provozieren.“ Harsch drehte sich Vernon um. „Verdammt nochmal Luc! Ich kann es nicht! Gleich wie sehr ich gegen meinen Eid verstoße, mein Gewissen würde es nicht ertragen dich auszuliefern. Ich könnte es mir nie verzeihen, meine Loyalität als Soldat über die des Freundes gestellt zu haben. Ich war enttäuscht von dir, weil ich stets zu dir aufgeblickt habe. Wütend darüber, dass du dich hast so leicht verleiten lassen. Ich hasste die Schwäche, die ich in dir erkennen musste und verfluchte meine einstige Bewunderung für dich. Aber als ich dich da liegen sah, gab es keinen Frust oder Groll mehr, nur den Wunsch, diesen blonden Mistkerl zur Hölle zu schicken, der dir das angetan hat.“ Langsam ging Luc auf den Größeren zu. Die feuchten Augen seines Freundes berührten ihn zutiefst. „Luc, ich weiß nicht, wie sehr du bereits von diesem Vampir abhängig bist. Ich will es im Grunde auch nicht wissen.“ Luc hatte Vernon noch nie so ernst gesehen. Gebannt folgten seine grünen Augen der schenkenden Geste seines Freundes. Gefasst reichte der Soldat dem Jäger den geweihten Dolch entgegen. „Ich bitte dich, das hier als Unterpfand unserer Freundschaft anzunehmen und versprich mir, dass du ihn benutzen wirst, bevor er deine Seele verschlingt.“ Dankbar griff Luc nach der Waffe. „Ich verspreche es und danke dir.“ Vernon nickte knapp. „Wie hast du ihn gefunden?“ Das alte Grinsen kehrte auf das gebräunte Gesicht zurück und vertrieb die ernsten Falten. „Ich bitte dich. Als ob ich nicht genau wüsste, wo du so eine Waffe verstecken würdest.“ Luc schlug Vernon freundschaftlich auf die Schulter. „Lange habe ich geglaubt, alles verloren zu haben. Danke, dass du mich eines besseren belehrt hast.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)