Blutschuld von abgemeldet (Seine Bestimmung war es Vampire zu jagen, nicht sie zu lieben) ================================================================================ Kapitel 19: Onyx ---------------- 19. Onyx Luc konnte nicht länger verharren. Jedes Wort war zu viel. Er stürzte nach draußen in die Dunkelheit. Kalter Regen prasselte in spitzen Nadeln auf seine erhitzte Haut, während ihn seine Füße wankend durch den Vorgarten trugen. Alles Lüge. Und er wusste es. Von Anfang an. Hätte er nur von Beginn an auf seine gottverdammte Intuition gehört. Der warnenden Stimme in sich nachgegeben. Stattdessen hatte er sich bereitwillig immer weiter in den Abgrund führen lassen. Die Erkenntnis, dass Phil ihn nicht minder benutzt hatte wie Iven, brannte wie Feuer in ihm. Wieso hatte ihn sein Mentor blindlings solcher Gefahr ausgeliefert? Nicht ein Wort der Warnung. Stattdessen sinnlose Beteuerungen, er solle sich in Acht nehmen. Gott, warum hatte Phil ihm nicht einfach die Wahrheit gesagt? Sein Mentor hätte ahnen können, dass der Prinz nichts unversucht lassen würde, seine Rache zu bekommen. Und nun fand er sich in ihr wieder. Gnadenlos von dem Strudel der Vergeltung in die Tiefe gezogen. Keuchend rang der Dunkelblonde nach Fassung und stützte sich Halt suchend auf dem steinernen Rand des großen Brunnens ab. Wie zwei Dämonen thronten die beiden Wasserspeier in der Mitte. Ihre Fratzen schienen ihn zu verlachen. Und recht hatten sie. Wie konnte er nur an die Liebe eines Vampirs glauben? Unbarmherzig schnitt der eisige Wind in sein Gesicht, vermischte Salz mit perlenden Regentropfen. Der dünne Stoff seines Hemdes klebte mittlerweile wie eine zweite Haut an ihm. Er hatte das Gefühl erdrückt zu werden. Rache. Ja, sie war perfekt gelungen. Er wurde benutzt und bis aufs tiefste verletzt. Und das von einem Vampir. Gegen all seine Vorurteile und Prinzipien. Trotz seiner Vergangenheit und seinem bodenlosen Hass war es Iven gelungen, sich in sein Herz zu nisten. Und nun hatte er das Gefühl, dass es ihm bei lebendigem Leib aus der Brust gerissen wurde. „Luc, was tust du hier draußen?“ Ivens Stimme ließ den Dunkelblonden zusammenfahren. „Ein Sturm zieht auf. Du solltest besser rein kommen.“ Fürsorglich, beinahe voller Liebe waren die Worte gesprochen. Verzweifelt hielt er sich die Ohren zu. Lüge, nichts als Lüge. „Luc?“ Bestimmt legten sich Ivens Hände auf seine Schultern. „Alles in Ordnung?“ Nein, nichts war in Ordnung. Iven hatte in betrogen. Seine Gefühle missbraucht. Einzig der Rache wegen. Zärtlich wurden seine Hände umschlossen und nach unten geführt. Raunend bahnte sich Ivens dunkle Stimme ihren Weg. „Was immer es ist. Lass uns reingehen und es innen besprechen.“ Aufgebracht drehte sich der Jäger um „Es gibt nichts zu sagen. Außer, dass du gewonnen hast!“ Schmerzverzerrt und anklagend fixierte er Ivens Antlitz. „Falls du vorhattest, mein Herz in Scherben zu legen, dann kann ich dich nur beglückwünschen. Du hast dein Ziel erreicht. Nimm die Fetzen die davon noch übrig sind und werde glücklich! Es tut mir nur leid, dass ich dir meinen Schmerz nicht für die Ewigkeit schenken kann, wie du es wohl geplant hattest!“ Ein Blitzen durchzuckte die kühl blickenden Augen des Prinzen. „Ich verstehe nicht“, setzte der Vampir an. Zorn loderte in Luc auf. Er hatte sich lange genug täuschen und irreführen lassen. Mit bebender Stimme fuhr er den Betrüger an. „Tust du doch! Mach dir nicht die Mühe dein grausames Schauspiel noch länger aufrecht zu erhalten. All deine Worte, deine Berührungen, deine vorgegaukelten Gefühle. Alles Lügen! Und ich war der Narr der sie geglaubt hat!“ Luc erwartet eine Erwiderung. Doch jegliche Reaktion blieb aus. Die Reglosigkeit mit der ihn sein Gegenüber ansah, machte ihn rasend und kraftlos zu gleich. Er hatte so sehr gehofft, dass Iven ihm einen Vorsatz zum Kampf liefern würde. Dann hätte er sich in blinder Wut auf ihn stürzen und die Last der Schuld auf seinem Gewissen verdrängen können. So blieb nur Ernüchterung. Resigniert fing sich seine bebende Stimme wieder. „So verletzt ich auch bin, im Grunde kann ich dir nicht einmal einen Vorwurf machen. Nur zu gut kenne ich den Rachedurst, der unbarmherzig in einem brennen kann. Der einen nicht mehr schlafen lässt und jeden Tag aufs Neue weiter auffrisst.“ Luc wandte sich ab. Länger konnte er Ivens Anblick und dessen Kälte nicht ertragen. Ein bitteres Lächeln umspielte die Lippen des Jägers. “Du hast wahrhaft gut gespielt, Iven. Die Pointe deiner Posse, hast du dir nur eben selbst verdorben.“ Er musste sich dazu zwingen, um sein letztes bisschen Stolz aufzubringen. Doch er wollte nicht gebrochen, sondern erhobenen Hauptes gehen. Dem Schmerz trotzend, die Schwäche übergehend, trugen ihn seine Beine Richtung Tor. „Warte.“ Luc hielt inne. Hoffend und zweifelnd, mit Vernunft an der Macht. „Nein, Iven. Bitte tu das nicht. Versuche mich nicht davon zu überzeugen, dass du Liebe empfunden hast. Ich würde es dir doch nicht glauben und du würdest dich nur lächerlich machen.“ Still lauschte der Jäger dem Regen, der prasselnd zur Erde fiel. Wieder hoffte er auf eine Reaktion. Und wieder blieb sie aus. Er wusste, dass Iven ihn noch immer ansah. Wie Dolche spürte er die Augen in seinem Rücken. Seine Hände krampften sich zu Fäusten. Wieso sagte Iven nichts? War er ihm so gleichgültig? Nein. Er war schlicht der Mörder seiner Schwester und Luc verstand nur zu gut, wie es in Iven aussehen musste. Er verdiente seinen Hass. Wie konnte er nur auf etwas anderes hoffen? Er rang mit sich, wollte seine Worte mit Bedacht wählen, doch seine Lippen sprachen, noch ehe sich sein Verstand einmischen konnte. Ein letztes Mal herrschte sein Herz über seinen Geist. „Iven, auch wenn es dir nichts bedeuten wird...“ Ein zögerndes Wenden seines Kopfes. Ein letzter fester Blick in vernichtendes Schwarz. „...es tut mir leid.“ Er wollte rennen. Iven so schnell wie möglich hinter sich lassen. Doch er war kein Feigling. Niemals. Langsam entfernte er sich, bei jedem Schritt sich selbst ermahnend, nicht zurück zu blicken, nicht fortzueilen. Als er durch das schmiedeeiserne Tor ging, fühlte er, wie seine Welt endgültig zusammenbrach. Die kleine Welt in der er hoffte, Glück und Geborgenheit zu finden, lag in Schutt und Asche. 'Es tut mir leid'. Stunden waren vergangen und noch immer hallten die Worte in den Ohren des Prinzen wieder. Es sollte ihn einen Dreck scheren. Leid tun. Luc hatte keine Ahnung wie leid es ihm tun sollte! Sich nicht mehr beherrschen wollend, zerschlug der Prinz wütend und hemmungslos ein Mobiliar nach dem anderen. Holz zersplitterte, Stoff zerfetzte, Porzellan zersprang, Er hatte es selbst vermasselt. So kurz vor dem Ziel. Eine Unaufmerksamkeit und sein ganzer Plan war zunichte. Luc würde leiden, ja. Aber nur ein gottverdammtes menschliches Leben lang. Der Ewigkeit entronnen. Lediglich als Liebeskummer manifestiert. Wie lächerlich im Vergleich zu seinem Schmerz! Zorn erfüllt schlug seine Faust in das Spiegelbild vor ihm. Er konnte seinen Anblick jetzt nicht ertragen. Er wollte nicht sehen, wie seine Augen erleichtert blickten. Von Sehnsucht und Liebe sprachen. Tief schnitten die Scherben in seine makellose Haut. Mühevoll unterdrückte er das Wimmern seiner Seele. Nein, er würde keine Tränen vergießen. Niemals. Erschöpft sank er in die Knie. Er fühlte sich elend. Sein Herz predigte Vergebung. Führte als Zeugen die Erleichterung über Lucs entkommen an. Die Trauer über seinen Verlust. Den Schmerz des Verrats. „Iven? Großer Gott, was ist passiert?“ Fassungslos schweiften graue Augen über die Zerstörung die sich ihnen boten. Vorsichtig trat der Vampir näher. Xei wusste, dass Iven stets die Selbstbeherrschung in Person sein konnte. Doch wenn der Prinz die Fesseln der Disziplin ablegte, war er unberechenbar. Zaghaft kniete er sich zu seinem Bruder nieder. Iven unterdrückte den Impuls um sich zu schlagen und ließ sich stattdessen in Xeis tröstende Arme ziehen. Er hatte nicht die Kraft zu sprechen. Lediglich ein Flüstern kam über seine Lippen. „Ich habe ihn verloren. Nun kann ich weder meinen Hass, noch meine Liebe stillen.“ Traurig hauchte Xei einen Kuss auf die Stirn seines Bruders. „Ich hatte dich gewarnt. Aber dein Stolz wollte mir kein Gehör schenken.“ Scharfe Nägel krallten sich in Xeis Arme. „Ich sollte seinen Körper in Stücke reißen, sein Herz zerquetschen und seine Seele vernichten! Stattdessen bin ich erleichtert, dass er meiner Rache entkommen ist, bevor sie Vollendung finden konnte. Ich habe versagt und es ist mir gleich. Ich will ihn nur zurück!“ Ein leicht wässriger Schleier legte sich in die schwarzen Augen. „Cecilia wird mir das nie verzeihen können. Ebenso wenig wie ich. Ich habe ihr Andenken mit Schande befleckt. Wie kann ich mich je wieder selbst achten?“ „Iven!“ Scharf zog Xei die Luft ein. Nie hatte er bei dem Schwarzhaarigen solch einen Gefühlsausbruch erlebt. Er wirkte verletzt, beinahe hilflos und gänzlich überfordert. „Bitte beruhige dich. Sie ist tot und nichts wird sie dir je wieder bringen. Ob du nun weiter nach Rache trachtest, oder nicht. Es ist gleich. Hör endlich auf, dich ihretwegen zu verdammen und erinnere dich an deine Stärke, die Macht die du innehast. Du bist der Prinz. Du alleine entscheidest, ganz nach deinem Willen. Als Herrscher, nicht als Büßer. Und wenn du ihn liebst, dann sei es so.“ Ivens Gesichtszüge verhärteten sich, von einem Moment zum anderen. Schwäche fiel und Stärke kehrte unvermittelt wieder. Nichts zeugte mehr von dem eben schutzlos präsentierten Gefühl. Erhaben richtete sich der Prinz auf. Eisern, autoritär und überlegen. „Finde ihn. Und bring ihn mir zurück.“ Die fordernde Bitte annehmend, nickte der Weißhaarige stumm. Nun hatte er sich selbst in jene Situation manövriert, die er eigentlich vermeiden wollte. Schweren Herzens machte er sich auf, seine Liebe in die Arme eines Anderen zu führen. Seine hoffende Liebe opfernd, für die bestehende. So sehr er sich auch bemühte, er konnte Iven nicht hassen. Iven hatte ihn tief verletzt. Ihn benutzt und betrogen. Doch er war selbst nicht unschuldig am Ausmaß dieser Misere? Hatte ihn sein Instinkt nicht stets gewarnt? Dennoch war er bereitwillig blind und taub gefolgt. Zudem konnte er nur zu gut Ivens Schmerz nachfühlen. Mitgefühl, das seine Wut schwächte, den verletzten Stolz als unbedeutend darstellte. Die Leichtigkeit mit der Iven ihm weiß machte, er würde ihn lieben, ließ Luc erschaudern. Wie viel Kraft musste es dem Vampir gekostet haben, den Mörder seiner Schwester gefühlvoll anzulächeln? Ihn in seine Arme zu ziehen. Berührungen der Leidenschaft, Küsse der Liebe zu schenken. Luc wurde übel. Alles nur Maskerade. Genauso, wie alles begann. Wenn er nicht so wahnsinnig verletzt gewesen wäre, würde er diese Stärke bewundern. So aber, blieben nur Enttäuschung und eine unsagbare Leere. Sie reichte nicht, um Hass zu schüren. Und auch nicht, um seine Liebe in sich zu saugen und verschwinden zu lassen. Wie konnte er nur so naiv sein? Zu glauben ein Vampir könne lieben. Einfach lächerlich. Drei Nächte war es nun her und er fühlte sich noch kein Stück besser. Doch heute würde er zumindest wieder nach vorne gehen. Phil. Er würde ihn zu Rede stellen, gleich was ihn erwarten würde. Lucs Verstand sah mittlerweile wieder klar. Er wurde benutzt. Jeglicher Versuch dies abstreiten zu wollen, schlug fehl. Einzig das Wissen, dass Phil auf seine Art sicher nur das Richtige wollte, machte es ertragbar. Doch sein Herz pochte immer noch anklagend gegen seine Brust. Auch wenn er es niemals wagen würde, seinen Mentor zu verurteilen, so musst er ihm doch zumindest seine Enttäuschung kundtun. Dicke Wolken verdeckten den Mond und machten ein unbemerktes Eindringen in die Kaserne der Garde leichter als sonst üblich. Wehmütig schlich er an dem Gemeinschaftsraum der Garde vorbei. Das Lachen seiner ehemaligen Kameraden klang wie Musik in seinen Ohren. Wie gerne hätte er sich zu ihnen gesellt. Doch was außer Spott und den Tod hatte er zu erwarten? Leise ging er weiter Richtung Schlafsäle. Nur noch über das Dach des Mittelsaals, um von den Wachposten davor nicht entdeckt zu werden, dann nach hinten zu den Quartieren der Befehlshaber. Fast lautlos kletterte er über die Zinnen und sprang auf der anderen Seite angelangt in das feuchte Gras. Konzentriert lauschte er, ob die Wachposten etwas bemerkt hatten. Nichts. Vorsichtig lugte er um die Ecke. Die beiden Soldaten standen still, den Blick geradeaus gerichtet. Gleich würden sie ihre Runde gehen, dann musste er vorbei eilen und er wäre am Ziel. Die Uhr schlug und die beiden Männer drehten ihre übliche Runde. Luc gab sein Versteck auf und eilte zu dem Kreuzgang auf der anderen Seite. Keuchend verschwand er in der Schwärze des Ganges unter dem Rundbogen. Eng presste er seinen Körper an den kalten Stein der Säule. Er zählte. Bei Zwölf musste er zum nächsten Haus. Wenn er zu schnell oder zu langsam im Takt war, würde er entdeckt werden. Zehn. Seine Muskeln spannten sich. Elf. Er war bereit. Zwölf. Jetzt – alles oder nichts. Plötzlich wurde er zurück gerissen. Ein Arm schlang sich eisern um seine Brust, während eine kühle Hand sein Aufstöhnen unterdrückte. Die Dunkelheit schluckte ihre Silhouetten, als die Wachposten ihre Runde zurück drehten. Luc wollte sich aus der Umklammerung befreien. Sein Blick wanderte nach einer Schwachstelle suchend, zu der Hand um seiner Brust. Ein Schock durchzog seine Glieder und er hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Es war unmöglich und dennoch so klar und deutlich, dass seine Augen nicht irren konnten. Zwei silberne Raben, deren Krallen einen schwarzen Onyx hielten. „Wir müssen hier weg, bevor der Aufruhr los bricht.“ Es war Xeis Stimme, die sich leise in sein Bewusstsein schlich. Aber wie konnte das sein? Luc hatte keine Zeit mehr darüber nach zu denken. Mit lautem Galopp ritt ein Trupp Soldaten auf den Kasernenhof. Sogleich wurden neugierig die verschlossenen Türen geöffnete. „Es war eine Falle!“ polterte einer der Reiter. „Dann haben wir einen Verräter in unsern Reihen“, donnerte der General zurück, während er hastig aus seinem Quartier auf die Truppe zuging. Ein lauter Tumult brach aus. Luc war viel zu sehr in seinen Gedanken gefangen, um klar denken zu können. Die Umgebung verschwamm, die Laute verstummten. Ohne sein zu Tun, bugsierte Xei sie beide ungesehen aus der Kaserne. Erst als sie an einer Waldlichtung ankamen und im Schutz der Schatten verschwanden, wurde Luc von Xei zu Rede gestellt. „Herje, Jäger was ist los mit dir?! Du warst eben wie versteinert, fast wie ein verschrecktes Kind.“ Der Nebel seines Geistes lichtete sich nur langsam. Ja, wie ein Kind, so fühlte sich Luc. Er war wieder zehn, kauerte mit Sarah im Arm in seinem Versteckt. Sah das Blut seiner Brüder. Hörte die Schreie seiner Mutter. Grausam brannte sich das Bild in sein Gedächtnis. Der Ring an der Hand des Schlächters, der den Kopf seines Vaters von den dessen Schultern trennte. „Luc?“ Xeis Stimme. Klar wie Wasser. Sein Anblick, der eines Engels. Unschuldig und rein. Nein, er konnte nicht der Mörder seiner Familie sein. Außer Iven hatte ihn mit seiner Geschichte belogen. So, wie mit allem. Er musste die Wahrheit aufdecken, Gewissheit erlangen. „Bitte verzeih. Ich war kurz wie betäubt. Das hätte nicht passieren dürfen. Der Wunsch nicht mehr weglaufen zu müssen, war für einen Moment nur übermächtig.“ Xei nickte, als sei ihm dies Erklärung genug. „Solang du noch flüchten kannst, ist nicht alles verloren.“ Sanft, als ob sie ihn beruhigen wollten, legten sich die Worte des Vampirs auf sein Gemüt. Jetzt erst wagt es der Jäger, in die ruhigen grauen Augen des Vampirs zu blicken. „Wieso warst du da?“ Die Frage klang zögerlicher als sie sollte. „Ich suche dich seit jener Nacht. Deinen Spuren zu folgen war nicht einfach. Als ich heute Nacht sah, welche Richtung du einschlugst war mir klar, wohin dich dein Weg führte. Nun, ich hatte nicht gerade das Bedürfnis mich in die Mitte der Garde zu begeben, also zog ich mich zurück und wohnte ungewollt einem Kampf bei, der allem Anschein nach anders geplant war. Als sich der Trupp zurückzog, wusste ich, dass du bei ihrer Ankunft kaum mehr unauffällig durch die Dunkelheit streifen konntest. Also bin ich dir gefolgt, um dich zu warnen. Und dies nicht zu spät, wie mir scheint.“ Ein aufrichtiges Lächeln fing Luc ein. Er musste es wissen. „Darf ich dich etwas fragen Xei?“ „Wenn du wissen willst, ob Iven mich schickt dann“. „Nein.“ Barsch unterbrach der Dunkelblonde den Vampir. Er wollt nichts von Iven wissen. Nicht hören, ob er etwas zu sagen hatte. Keinen neuen Lügen glauben schenken. Neugierig legte sich der weiße Schopf leicht schräg. „Nun, was liegt dir dann auf dem Herzen?“ Luc sammelte sich bevor er sprach. „In jener Nacht, als ich dich in der Kirche fand, erzählte mir Iven eine Geschichte, genauer gesagt, sprach er über dich. Im Grunde könnte und sollte ich alle Worte die er je zu mir sprach als Lüge abtun, aber bei dir macht es einfach keinen Sinn. Ich finde keine Logik darin, weshalb er mir in Bezug auf dich eine konstruierte Vergangenheit als Wahrheit verkaufen soll. Deshalb möchte ich wissen ob es wahr ist. Hast du stets dem Blut entsagt?“ Xei trat näher. Der Jäger wich intuitiv zurück, bis er mit dem Rücken an einen Baum stieß und damit weiteres Ausweichen zunichte machte. Luc musste sich beherrschen, um nicht wieder auf den silbernen Ring zu starren, der sich nun langsam seinem Gesicht näherte. „Ja, das habe ich. Ich habe nie menschliches Blut getrunken.“ Wie eine zarte Schneeflocke kitzelten Xeis Fingerspitzen an Lucs Wange. „Aber wenn ich einen Gefährten finden würde der“. Fest griff Luc nach der Hand. Er wollte diese zarte Berührung nicht länger spüren. „Bitte nicht.“ Betroffen zog sich Xei zurück. „Es tut mit leid. Ich wollte dir nicht zu nahe kommen oder dir meine Gefühle aufdrängen.“ Wieder war es so, als ob Luc das reinste und strahlendste Geschöpf betrachtete, dass die Erde je hervor gebracht hatte. Zweifel lehnten sich auf, der Drang nach Gewissheit wuchs. „Blut trinken ist das eine. Aber du bist nicht minder ein Vampir, als Iven. Wie steht es mit dem töten Xei? Hast du je ein Leben beendet?“ Innerlich hoffte Luc, dass Xei antworten würde, dass er so rein war, wie er ihn jetzt hier in diesem Augenblick sah. Auch wenn es hieß den Mörder vielleicht niemals zu finden, so begrub er doch lieber seine Hoffnung, als sich dem Unausweichlichen stellen zu müssen. Die Angst Xei nicht töten zu können war schlicht zu groß. Wehmütig blickte der Weißhaarige in den Sternenhimmel. „Warum ist es von Belang für dich? Warum all die seltsamen Fragen?“ Er musste Klarheit erlangen, gleich wie. „Wie sollte ich dir mein Herz anvertrauen, wenn es anders wäre?“ Xeis blutrote Lippen zeichneten ein Lächeln, welches Luc nicht zu deuten vermochte. „Lass es, Luc. Iven spielt bei weitem besser. Zudem steht dir Hinterlist nicht.“ Das Herz des Dunkelblonden schlug deutlich schneller. Er war zu ungeschickt gewesen. Sein Instinkt mahnte zur Vorsicht. Die Bedrohung in Xeis Aura schwang fast schwerelos in der friedlichen Ausstrahlung mit. Hatte er es eben nicht selbst gesagt? Xei war ein Vampir, genauso wie Iven. Und wenn Xei es wollte, war er in seiner Gegenwart nicht mehr als ein hilfloses Tier, dass der Vampir mit einem Satz reißen konnte. Die Sanftheit in den grauen Augen wog ihn schließlich wieder in trügerischer Sicherheit. „Luc, du brauchst keine schönen Worte, um von mir die Wahrheit zu erfahren. Dein Wesen alleine genügt.“ Xeis Blick schweifte nachdenklich zum Nachthimmel zurück, nur um sich nach kurzer Zeit wieder auf den Jäger zu heften. Lucs grüne Augen wurden mit Wärme eingefangen. Er fühlte sich wie hypnotisiert, obgleich er wusste, dass Xei seine Macht nicht einsetzte. Wie ein Strom riss ihn die klare Stimme mit. „Ja, auch ich habe Blut an meinen Händen. Und es brauchte nicht erst das Tier in mir, um diese Sünde zu begehen. Ich war Jung. Naiv und verliebt. Dann kam die Eifersucht. Ich habe sie beendet. Die Liebe und die Eifersucht. Selbst im Angesicht des Todes lächelte mir meine Geliebte entgegen und schallte mich einen Narren, dass ich ihre Liebe somit nur für die Ewigkeit besiegelt habe. Die Worte meines Nebenbuhlers waren schlicht eine Feststellung, die mein Leben veränderte. Er sagte, er verliert sein Leben und gewinnt die Liebe. Seine Frage nachdem was mir bleibt, traf mich tief und ist immer noch ein lebhaftes Echo in meinen Ohren. Die Schuld zerriss mich und schenkte mir gleichzeitig Erleuchtung. Von da an glaubte ich den einzig wahren Grund unserer Existenz gefunden zu haben. Liebe. Selbstlos und aufopfernd. Ich ging schließlich dort hin, wo sie am meisten gebraucht und erwartet wurde. Ich fand Frieden im Kreise der Kirche und Vergebung in meinen Gebeten. Seither würde ich lieber sterben, alle Qualen der Welt erleiden, als noch einmal aus Selbstsucht zu töten. Ich habe mir verziehen, aber immer noch sehe ich das Blut an meinen Händen kleben. Genauso wie der Schatten meiner Charakterschwäche fortwährend wie ein Damoklesschwert über mir schwebt.“ Luc schluckte. Es war soviel mehr, als er erwartet hatte. „Weiß Iven davon?“ Xei zuckte leicht mit den Schultern. „Nein. Wozu auch? Er würde meinen Schmerz darüber nicht verstehen. Zudem sieht er in mir nur all zu gern das, was er selbst nicht sein kann. Makellosigkeit und Unschuld.“ Ja, so wie er auch stets auf Luc wirkte. Er glaubte Xei, ohne Zweifel. Er konnte nicht der Mörder seiner Familie sein. Aber dieser Ring. „Würdest du mir etwas von dir geben, wenn ich dich darum bitte?“ Xei bejahte ohne zu zögern. „Was immer dich glücklich macht.“ „Der Ring an deinem Finger. Die Hand die mich wohl eben vor dem Tod bewahrt hat.“ Traurig senkte Xei den Kopf. „Nun, das hatte ich nicht erwartet. Du willst ein materielles Unterpfand meiner Liebe? Dann mache ich keinen Hehl daraus, dass dieser Ring für mich von hohem emotionalem Wert ist. Bevor du ihn annimmst, solltest du aber wissen, dass du mit diesem Ring vielmehr von Iven als von mir bei dir tragen wirst.“ Zärtlich legte Xei das Schmuckstück in Lucs Hand. Zwei feine weiße Linien durchkreuzten das tiefe Schwarz des Steins. Es gab keine Zweifel. Er hatte ihn gefunden. „Wie meinst du das?“, hakte der Jäger nach. „Cecilia ließ ihn einst als Geschenk für ihren Bruder anfertigen. Nach ihrem Tod ertrug Iven die Erinnerung daran nicht und gab ihn in meine Obhut. Als Zeichen des Vertrauens und der Verbundenheit.“ Iven. Luc wurde schwindelig. Wie sich der Kreis doch schloss. „Bist du dir sicher, dass du ihn dennoch willst?“ Luc kämpfte mit seiner Fassung. So grausam konnte das Schicksal doch gar nicht sein. Er hatte sein Ziel gefunden, doch würde er es je treffen können? „Nein, er ist für dich sicher von größerem Wert. Ich wollte nur ein Andenken. Jetzt bin ich mir nicht sicher, ob ich deine Nähe überhaupt missen möchte.“ 'Nur ein anderer Vampir kann dich aus seinem Bann befreien'. Laut hämmerten Xeis vergangene Worte und deren Erkenntnis in seinem Schädel. Ja, er brauchte Xei. Mehr als irgendetwas sonst. Zitternd schob er den Ring zurück auf den Finger des Vampirs. „Bitte sag mir ehrlich, ob ich auf Ivens Liebe hoffen kann.“ Schmerz durchzog das helle Antlitz. „Ich hoffe du weißt, dass mich deine Frage nicht nur kränkt, sondern auch überaus verletzt. Du sagst mir, dass du meine Gegenwart schätzt und willst von mir gleichzeitig wissen, ob du dir Ivens Liebe gewiss sein kannst?“ Luc schwieg. Wieder war er zu ungeschickt gewesen. „Ja, es war sein Wunsch, dass ich dir folge. Genauso, wie bereits die Monate zuvor. Nur diesmal sollte ich nicht über dich wachen, sondern dich zu ihm zurückbringen. Iven kann seine Gefühle für dich weder ordnen noch verstehen. Aber letztendlich ist es gleich. Er liebt dich mehr, als er dich hassen sollte. Und seine Gefühle, wenn sie denn da sind, gehen stets tief.“ Flehend krallten sich Lucs Hände in Xeis Mantelaufschlag. „Und was wenn ich dir sage, dass ich diese Liebe niemals zulassen möchte, auch wenn ich mich nach ihm verzehre? Du hast einst angedeutet, dass du die bessere Wahl von euch beiden wärst. Ich habe nicht die Kraft mich alleine zu entscheiden oder zu widerstehen. Hilf mir dabei!“ Zärtlich zog der Vampir den Dunkelblonden nunmehr vollends in seine Arme. Behutsam legten sich seidige Lippen auf die des Jägers. Es war wie Licht in der Dunkelheit, das Luc sanft mit Wärme erfüllte. Er fühlte sich sicher und geborgen. Seufzend erwiderte er den Kuss. Ja, alleine könnte er sein Vorhaben niemals in die Tat umsetzten. Alleine Ivens Gegenwart würde ihn vor Liebesschmerz taub machen. Seine Rache brauchte eine tragende Kraft. Eine, wie sie besser nicht sein könnte. Er hatte einen Trumpf. Xeis Liebe war sogleich Heilung für ihn, wie Gift für Iven. Er würde dem Mörder seiner Familie gegenübertreten. Sein verfluchtes Spiel umkehren. Sein Herz brechen. Rache üben. Und wenn er dabei bis zum Äußersten gehen musste. Die geglaubte Liebe zerfloss in dem Strom der Verzweiflung, der in Hass mündete. ~ Hallo ihr Lieben! Also das Kapi hat es in sich. Ich hoffe ich habe euch mit der Gefühlsachterbahn der einzelnen Charaktere nicht überfordert ^^ Das Kapi bringt sehr viel Aufschluss und setzt einen Wendepunkt für die Story. Ich bin gespannt, ob es euch begeistern konnte. Liebe Grüße, Teedy ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)