Blutschuld von abgemeldet (Seine Bestimmung war es Vampire zu jagen, nicht sie zu lieben) ================================================================================ Kapitel 30: Irrweg ------------------ 30. Irrweg Mit aufgesetzter Miene betrat er den Eingang zum Festsaal. Wie schon die ausladenden Gärten davor, so repräsentierte auch das Innere des Lustschlosses Reichtum und Wohlstand, die in jedem Winkel des prunkvollen Anwesens spürbar war und beinahe erdrückend wirkte. Luc war immer noch nicht zum Feiern zumute, doch bestand Iven mit Nachdruck darauf, ihm seinen Wunsch nach einem Ballbesuch zu erfüllen. Der Jäger folgte dem Anstand, nicht zuletzt um den Prinzen bei Laune zu halten. Begleitete ihn das düstere Misstrauen in den schwarzen Augen doch seit geraumen Nächten auf Schritt und Tritt. Mit gespielter Fröhlichkeit ließ er seinen Blick über die Gesellschaft schweifen. Einige der ausstaffierten Persönlichkeiten kamen Luc bekannt vor. Sicher hatte Iven eine Festlichkeit gewählt, an dem Vertreter mit Rang und Namen anwesend waren. Luc hoffte inständig, dass ihm eine Konfrontation aus seiner Vergangenheit erspart blieb. Auf einen Würdenträger der Gilde zu stoßen, hätte fatale Folgen. Seinen Schutz außer Acht lassend, schwieg er sich jedoch aus und unterließ eine Nachfrage über die geladenen Gäste. Ein Name alleine könnte verheerend sein und eine ganze Kette an Geheimnissen der Gilde offen legen. Er trug ohnehin eine große Schuldigkeit mit sich. Auf weitere Bürde konnte er gut und gerne verzichten. Seine beiden Begleiter schienen die Festgesellschaft ausnahmslos zu bereichern. Neugierige Augen blieben fast schon unhöflich schmachtend an deren Schönheit haften. Es war wohl mehr Ehrfurcht als Diskretion, die verhinderte, dass sie fortlaufend in Gespräche verwickelt wurden. Der Prinz schien in der Ausgelassenheit des Abends und der Bewunderung, die man ihm sichtlich entgegenbrachte, aufzublühen. Schmerzhaft wurde Luc an ihre erste verhängnisvolle Begegnung erinnert. Es herrschte die gleiche Pracht um ihn herum, geblendet von seiner Präsenz. Iven wirkte auf ihn wie damals, zauberhaft und anziehend. Von der Magie dieser charismatischen Komposition erfasst, fühlte er sich hilflos in Bann geschlagen. Mit jeder Minute wurden sein Hass und seine Abneigung weiter fortgetrieben. Allein Ivens Nähe durchströmte seine Adern mit lockendem Glück. Hoffnungsvoll mischte sich Sehnsucht mit Verlangen. Sein Herz gierte nach Erfüllung. Mit jedem weiteren Schlag eindringlicher, heftiger. Sein Verstand hallte als klägliches Echo im Nebel, verloren in Wünschen, die es nicht geben durfte. Hilfe suchend warf er sich in Xeis Arme. Liebevoll hießen sie ihn willkommen, luden zum Verweilen in der Beschwingtheit der Musik ein. Takt für Takt, jeder Schritt dem Verderben näher. Schon bald würden sie gemeinsam auf ewig tanzen. Xei sagte nichts. Seine blutroten Lippen formten ein Lächeln und der silbrige Glanz in den warmen Augen sprach stumm von dem Glück der Zukunft. Luc bekam keine Luft mehr. „Bitte entschuldige mich für einen Augenblick.“ Zustimmend ließ Xei den Dunkelblonden los. An schwatzenden Gästen vorbei, eilte der Jäger in die Stille der Nacht. Er wollte alleine sein. Zur Ruhe kommen. Er fühlte sich verloren. Er suchte gewollt die Herausforderung, sich in den verschlungen Wegen des Irrgartens zurechtzufinden. Doch die mannshohen Hecken dachten gar nicht daran, ihn aus ihren Klauen zu entlassen. Weg für Weg schien er sich nur noch weiter zu verirren. Jede Abzweigung führte tiefer, umschloss ihn mit mehr Dunkelheit. Wieder gelangte er an eine Eibenwand. Er suchte das Ziel mittlerweile zu lange. Die Zeit schwand, wie er sie verlor. Verstört kehrte er der Sackgasse den Rücken zu, um einen neuen Pfad zu nehmen. Die Absicht, seine Gedanken beim lustvollen Wandeln einfach schweifen zu lassen, entpuppte sich schmerzlich als eine Suche nach sich selbst, die er nie hätte beginnen dürfen. Jeder Schritt glich einem Blick in die Verworrenheit seiner Gefühle. Er hasste, er liebte. Er hoffte, er zweifelte. Das Ziel vor Augen, der Abgrund davor. Er sah die eigene Zerbrechlichkeit, angefüllt mit wilder Aggression. Er wollte zerstören, sich unter den Trümmern seines Tuns begraben. Vergessen, Leere umarmen. Leise Schritte im Schnee folgten ihm. Das Knirschen verursachte eine Gänsehaut. Er wollte dem Störenfried entgegen treten, doch seine Einsamkeit aufzugeben widerstrebt ihm. Der Schatten der sich ihm näherte, fragte jedoch nicht nach Gesellschaft. Er nahm sie sich. Gereizt drehte sich Luc um. Stahlblaue Augen nahmen ihn in Empfang und ruhten gelassen auf seinem Körper. „Ich hätte nicht gedacht, dich noch einmal wieder zu sehen, Luciel.“ Lucs Rücken brannte. Abscheu legte sich auf seine Lippen. Geralds Körperhaltung verriet dem Jäger nur zu gut, dass dieser auf Konfrontation aus war. Luc trug keine Waffen bei sich. Nachlässigkeit die ihm scheinbar zur Gewohnheit wurde. Verbissen spannte er sich. Er würde seinem Gegenüber keinen Respekt heucheln, um die Furcht zu verbergen, sondern die Bedrohung mit offenen Armen willkommen heißen. „Hübsches Andenken, das du da mit dir trägst.“ Luc wies mit einer Geste auf die Narbe an Geralds Wange. Der Blick des Blonden war eisiger als die herrschende Winternacht. „Dumm von dir, mich daran zu erinnern.“ Jedem Wort folgte ein Schritt, der die Distanz zwischen ihnen verringerte. Ein kaltes Lächeln legte sich auf die schmalen Lippen, während die Hand des Blonden spielerisch glänzendes Metall zum Vorschein brachte. „Du wirst mutiger. Diesmal ganz ohne Gift?“ Lucs grüne Augen flammten auf. Seine Unsicherheit schmolz im Feuer der Vergeltung. Gerald hatte ihn erniedrigt, ihn in Hilflosigkeit gekettet und seinem Körper Unterlegenheit aufgezwungen. Begierig wartet der Jäger auf den Angriff, um selbst zuzuschlagen. „Diesmal Luciel, will ich, dass du dich wehrst. Ich werde deinen Körper unter meinem begraben und dir die Sinne rauben.“ Angst kroch zäh in sein Bewusstsein. Der irre Ausdruck ihn den stahlblauen Augen untermalte die Drohung. Gerald wollte ihn nicht töten, sondern gefügig machen. Überfordert wich Luc nun doch einen Schritt zurück. Das fiese Grinsen des Blonden wurde breiter. Augenblicklich stürmte er auf Luc zu und riss ihn sogleich zu Boden. Sie rangen heftig miteinander. Der kalte Stahl in seinem Genick, zeigte Luc schließlich seine Grenzen auf. Er schmeckte Schnee, während sein Körper fest von Gerald auf dem Boden gehalten und seine Arme in die weiße Decke gepresst wurden. Vom Nacken aus wanderte die Klinge langsam Richtung Hals. Gerald schien seine Position in vollen Zügen auszukosten. Unnachgiebig drückte die Schneide gegen Lucs Kehle und zwang ihn im Hohlkreuz nach oben. „Siehst du, wieder wurde ich von deinem Stolz unterschätzt.“ Luc verdrehte die Augen, um direkt in die von Gerald zu blicken. „Dann mache meinem Leben schon ein Ende!“ Feucht leckte die Zunge des Blonden an seinem Ohrläppchen. Ekel kroch in Luc empor. „Hast du mir nicht zugehört, mein Lieber? Oder verdrängst du die Wahrheit? Ich werde dich mir nehmen. Hier und jetzt.“ Nun kam sie doch, die Panik. „Woher willst du wissen, dass ich meinem Hals nicht lieber deiner Klinge darbiete als meinen Körper dir?!“ Kaltes Lachen verspottete ihn. „Du würdest dich nicht selbst töten. In dir ist viel zu viel Feuer, als dass du dich freiwillig zum erliegen bringst.“ Schmerzvoll drückte sich Geralds Knie in sein Rückgrat und ließ ihn aufkeuchen. Im selben Augenblick wurde sein rechter Arm dem Schnee entrissen, auf den Rücken gedreht und mit Geralds unnachgiebigem Knie fixiert. Luc zuckte und bezahlte mit einem Schnitt an seinem Hals. Feuchte Seide klebte sogleich an seiner Haut. Automatisch hielt er inne. Sein linker Arm gesellte sich gezwungen zu seinem rechten. Stoff schnitt in seine Handgelenke. Vergebens bäumte er sich auf, um der Fesselung zu entgehen. Zu spät erkannte Luc, dass Gerald durchaus vorhatte, seine Drohung in die Tat umzusetzen. „Dir ist es ernst“, stellte der Jäger mit Schrecken fest. „Ah, du scheinst endlich zu begreifen.“ Die Klinge entfernte sich von seinem Hals, während mit einem Ruck der wärmende Umhang von seinen Schultern gerissen wurde. Mühelos durchtrennte Geralds Dolch die cremefarbene Weste und teilte sodann das seidene Hemd. Kühle Finger zogen brennende Bahnen auf der nackten Haut seines entblößten Rückens. „Hör auf.“ Es war nicht mehr als ein Flüstern. „Aber ich habe doch eben erst begonnen. Versuche es mit bitten. Vielleicht erhöre ich es.“ Resignation griff nach Luc. Ätzend glitt die verlangende Zunge über die Narben. Luc biss sich die Unterlippe blutig. Er würde seinem Peiniger keinen Laut schenken. Nicht einen. Grob wurde er umgedreht. Das Grinsen über ihm war widerlich, genau wie die Finger, die sich auf seinem Körper schamlos ihren Weg suchten. „Sträube dich so viel wie du willst, Luciel, es wird dir nichts bringen. Ich werde deine süße Stimme hören. Zitternd und winselnd wie bei einer Jungfrau.“ Hass schrie, seine Gedanken tobten. Er würde sich nicht so demütigen lassen. Raserei verschlang die Resignation. Er würde Gerald zur Hölle schicken. Sein verkommenes Herz dem Tod übergeben. Jähzorn gab dem Jäger die Kraft, sich aus der unterlegenen Position zu winden. Er war im Rausch der Aggression gefangen. Fesselnder Stoff zerriss an der Kraft von Wut. Wie im Wahn stürzte sich der Jäger auf seinen Peiniger. Fleisch deformierte an Zorn. Er versagte sich keinen Schlag, im Gegenteil. Hemmungslos gab er der Zerstörung Raum. Er überhörte die lauten Schreie, das entschuldigende Bitten, das leise Röcheln. Der Schnee färbte sich rot. Das hübsche Gesicht unter ihm krönte entstellt das Bild. Äußerliche Hässlichkeit, die der inneren nunmehr gleich kam. Triumphierend hielt der Jäger den Dolch in seiner Hand. „Zu viel Feuer also. Dann brenne in ihm. Und in dem der Hölle.“ Erbarmungslos durchschlug die Klinge das Herz des Blonden. Starr hingen stahlblaue Augen an ihrem Peiniger fest. Der ungläubige Ausdruck verstarb. Die Stimme schwieg. Der Nebel wich. Wärme legte sich auf seine Hand. Unter Schock stand Luc auf. Grauen grub sich in sein Bewusstsein. Entsetzen brachte Besinnung. Er war angewidert. Angewidert über sich selbst. Er taumelte und fiel zurück in den Schnee. Übelkeit durchzog seinen Körper. Er hatte einen Menschen getötet. Alleine weil er seine Emotionen nicht zu beherrschen wusste. Er hatte dem Anstand ins Gesicht gespuckt, das Mitgefühl mit Füßen getreten. Wie tief war er nur gesunken? Wie orientierungslos seinem eigenen Chaos ausgeliefert? Er wollte eben nicht Gerald töten, sondern seine eigenen Gefühle der Taubheit übergeben. Er wollte sich Hass beweisen, um an der Liebe nicht zu Grunde zu gehen. Als Ergebnis hatte er ein Menschenleben beendet. Die kalte Luft in seiner Lunge brannte. Die Abscheu über sein Handeln, trieb ihm Tränen in die Augen. Was war nur aus ihm geworden? Was hatte Iven aus ihm gemacht? Sein Wimmern wurde von Stolz geschluckt. Er würde nicht brechen. Niemals. Luc richtete sich auf. Er musste der Wahrheit ins Gesicht sehen. Der Schreck über den Anblick des Leichnams trieb zur Flucht. Er blieb. Schuld zog ihn zu Boden. „Das wollte ich nicht. Niemals. Hättest du doch nicht nach meinem Feuer gegriffen.“ Zitternd schlossen seine Hände die aufgerissenen Augen. Er würde sie nie vergessen. „Bitte vergib mir, denn ich kann es nicht.“ „Luc?!“ Das also, war die grausame Antwort des Schicksals. Der Jäger erhob sich und blickte ihm entschlossen entgegen. Der Fürst der Verdammnis blickte zurück. „Großer Gott, was ist geschehen?“ „Nein!“, wiegelte Luc energisch ab. „Tu das nicht. Sprich nicht von Gott. Nicht du!“ Verständnislos gruben sich tiefschwarze Augen in grüne. Ohne eine Antwort darin zu finden, ging Iven an dem Jäger vorbei, um das Ausmaß der Tragödie zu begutachten. „Wie konntest du das tun?“ Wieder rannen Tränen, diesmal aus Verzweiflung. Wärme die er nicht wollte, umschloss ihn und wog ihn in Geborgenheit. „Bitte lass mich frei“, flehte er. Mit einem traurigen Ausdruck zog sich Iven zurück. Freiheit. Wieso konnte er sie so einfach und dennoch so unmöglich erreichen? „Lass uns gehen, bevor man uns entdeckt und dich zur Rechenschaft zieht.“ „Vielleicht will ich das ja. Mich dem Urteil unterwerfen und in Sühne abgelten.“ „In diesem Fall interessiert mich dein Wille nicht. Du folgst mir freiwillig oder in Zwang.“ Es war stets der Zwang. Zwang der Pflicht, Zwang der Liebe, Zwang der Rache. Ein Resümee der Gefangenschaft. Jede Fessel mit ihrer eigenen Grausamkeit. Seine Seele war befleckt, hilflos und entblößt. Schweigend trat Luc zu dem Schatten. Ivens Mantel legte sich auf seine kalte Haut. Es schien dem Prinzen ein leichtes den Ausgang aus dem Irrgarten zu finden, wobei dessen Augen nicht einmal den Spuren im Schnee folgen mussten. Eine strahlende Silhouette wartete am Eingang des Labyrinths. Helligkeit in der Finsternis. Licht, das er heute nicht sah. Xei stellte keine Fragen, obgleich die grauen Augen nach Erklärungen brannten. Als sie in der Kutsche die Heimfahrt antraten, griff Luc in Gedanken versunken nach seinem Halstuch. Unschöne Blutspuren überlagerten die roten Ornamente und durchbrachen das reine Weiß des hauchdünnen Stoffes. Es war Iven, der die Stille nicht länger herrschen lassen wollte. „Die Narben auf deinem Rücken, stammten sie von dem blonden Mann?“ Lucs grüne Augen weiteten sich. Bilder hafteten auf seinem Geist. „Ja“, mehr wollte und konnte er nicht sagen. Ivens Hand schmiegte sich sanft an sein Gesicht und forderte Zuwendung. Unsicher folgte der Jäger und sah Iven direkt an. „Es wird dir kein Trost sein, aber sei dir gewiss, dass er durch mich nicht die gleiche Barmherzigkeit erfahren hätte.“ „Barmherzigkeit? Du hast recht, es ist mir kein Trost. Das Gegenteil ist der Fall. Du siehst, dass ich leide und sprichst mir den Schmerz ab, weil deiner unerträglicher wäre? Wenn es etwas auf dieser Welt gibt, was ich dir an Gefühl wünsche, dann ist es Sensibilität!“ Aufgebracht beugte er sich aus der Kutsche. „Haltet an!“ Der Kutscher gehorchte umgehen dem Befehl. Der Jäger stieg aus, den flehenden Ausdruck in Xeis Gesicht ignorierend. „Luc, was soll das werden?“, raunte die dunkle Stimme des Prinzen. „Nach was sieht es denn für deine scharfen Vampiraugen aus? Ich laufe!“ Schwungvoll ließ der Jäger die Tür zu fallen. „Wenn du zur Abwechslung aber mal an den Beweggründen interessiert bist, dann lautet meine Antwort schlicht, dass ich euer beider Gegenwart heute nicht länger ertrage!“ Hastigen Schrittes entfernte er sich und verschwand in der Finsternis. Er wollte alleine sein. Nicht nur innerlich, sondern auch gänzlich für sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)