Blutschuld von abgemeldet (Seine Bestimmung war es Vampire zu jagen, nicht sie zu lieben) ================================================================================ Kapitel 34: Unterweisung ------------------------ 34. Unterweisung Eilig jagte die Kutsche durch die Finsternis. Vernon war unbehaglich zumute. Die Nähe des Prinzen machte ihn nervös. Das Schweigen war unangenehm, das Atmen störend. Unsicher hefteten sich seine Augen in das dunkle Nichts, das verschwommen an ihnen vorbei zog. Nach einer gewissen Zeit kam er sich lächerlich vor. „Wohin fahren wir?“ Eine Frage die er hätte längst stellen sollen. „Zu der Stätte von Xeis Wiederauferstehung.“ „Wie meint ihr das? Die Andeutungen von Geburt und Auferstehung verwirrt mich. Welche Bedeutung kommt ihnen zu, dass sie für sein Wesen so aussagekräftig sind?“ Das Gesicht des Vampirs war ernst auf das des Soldaten gerichtet. „Xei ist durch und durch außergewöhnlich. Sein Handeln ist geprägt von seiner Einstellung zum Leben. Zumindest in Anbetracht seiner Ideologie gibt es wohl kein vergleichbares Geschöpf der Nacht. Liebe stellt für Xei die einzig wahre Maxime da, in jeder Hinsicht. Der Ort der Geburt, ist schlicht der Ort, an dem ihm durch die Liebe seiner Mutter das Leben geschenkt wurde. Die Wiederauferstehung ist schwieriger in Worte zu fassen. Ich möchte nicht zu weit ausholen oder Zusammenhänge erklären, die für euch nicht von Bedeutung sind. Vor seiner Wandlung widmete Xei sein Leben dem Göttlichen. Im Kreis der Kirche, befreit von allem Weltlichen und einzig die Liebe Gottes, für ihn Ursprung von allem, verkündend, fand er Zuflucht und später das Leben wieder. Er nannte mir gegenüber den Entschluss, sich gänzlich der Selbstlosigkeit zu öffnen und der Abhängigkeit zu folgen, seine Wiederauferstehung. Reingewaschen durch Erkenntnis. Erfüllend in Hingabe. Geführt durch Liebe.“ „Ein gläubiger Vampir? Das kommt mir Gotteslästerung gleich.“ Die Belustigung in den schwarzen Augen überzog sein Gegenüber mit umwerfender Attraktivität. Gebannt versank Vernon gänzlich in der Aura des Anderen. Was nur war es, das ihn so sehr anzog? Peinlich berührt über das sehnsüchtige Gefühl, wandte er seinen Blick wieder nach draußen. Er musste den Prinzen eine ganze Weile angestarrt haben. Zeit die ihm der Vampir offen gewährte hatte. Sanftes Lila färbte den Horizont. Die Sonne würde bald den Tag mit ihren hellen Strahlen einläuten. Fragend blickte der Soldat zu dem Vampir. „Nun, die Aussicht werde ich euch leider nehmen müssen. Vielleicht wollt ihr euch zu dem Kutscher gesellen?“ Der Anreiz den Prinzen im Schlaf hemmungslos beäugen zu können, trieb dem Brünetten die Schamesröte auf die Wangen. Fluchtartig drängte Vernon den Kutscher zum Anhalten. Kaum zum Stillstand gekommen, stürzte er aus der Kutsche, um der Verlockung zu entkommen. „Ihr habt recht, die frische Luft wird mir sicher besser bekommen“, gab er trocken zu und gesellte sich überhastet auf den Kutschbock. Die verwunderten Augen, die jede seiner Gesten bis zuletzt ausmachten, hafteten überdeutlich an seinem Körper. Er fühlte sich schmachvoll entblößt und hilflos. Gedankenversunken zog die Landschaft an ihnen vorbei. Die Eiseskälte der Nacht verflog mit jedem Sonnenstrahl. Die Gegend die sie bereisten, wurde nur wenig von der winterlichen Schneedecke geschmückt. Je höher die Sonne wanderte, desto vager wurde die Hoffnung, Luc vor dessen selbst gewählten Schicksal bewahren zu können. Immer wieder spielte er in Gedanken das Aufeinandertreffen durch. Jede Vorstellung so wenig fassbar wie die zuvor. Es fehlte schlicht der Glauben auf ein gutes Ende. Seine Glieder waren allmählich steif. Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten. Die Plaudereien mit dem Kutscher verkürzten die Zeit, waren aber belanglos. Eine kurze Rast nutzten der Kutscher zum Wechseln der Pferde und der Soldat um seinen Bewegungsdrang zu stillen. Wachsam behielt er die Kutsche dabei stets im Auge. Der Prinz ging ein großes Risiko ein, bei Tageslicht, nur im Schutze der abgedunkelten Kabine zu reisen. Abhängig alleine von Vernons Aufmerksamkeit und der des in Diensten stehenden Kutschers, war er vertrauensvoll der Willkür ausgeliefert. Nun wurde Vernon klar, weshalb der Prinz es bisher unterlassen hatte, einen Ortsnamen zu nennen. Sie fuhren weiter und Vernon konnte das Meer bereits erahnen. Die Luft roch leicht salzig und Möwen kreisten ab und an über die Klippen in der Ferne. Als sich die Sonne verabschiedete, drängte der Soldat den Kutscher zum Halt und stieg ab. Ehrfürchtig blieb er am Rand der imposanten Klippe stehen. Sehnsüchtig wanderten seine Augen über das Naturschauspiel, welches sich ihm bot. Das weite Meer wirkte in glitzerndes Silber und Gold getaucht atemberaubend schön. Die schäumende Gischt der See umarmte die sanften Wellen wie zu einem Kuss, während ihr weicher Klang romantisch zum Träumen einlud. Gerne hätte er diesen Augenblick mit Babette geteilt. Gefühlvolle Zweisamkeit mit seiner Liebsten ausgekostet. Der letzte goldene Hauch verschwand und Silber wandelte sich in tiefes Anthrazit, bis der Himmel schließlich sanft in Schwarz hinüber glitt und das Idyll der Nacht überließ. „Gerne hätte ich den Anblick mit euch geteilt.“ Die dunkle Stimme ließ den Brünetten zusammenfahren. Der Frieden um ihn verschwand und machte erneut Erregung platz. Spannung beherrschte seinen eben noch gelassenen Körper. Als der Prinz neben ihn trat, stieg die Hitze in ihm, mühelos die Kälte des Abends vertreibend. „Mir bleibt nur der Anblick der Sterne und der helle Schein des Mondes.“ Vernon drehte sich dem Vampir zu. Kaum seine Augen vom Nachthimmel abgewandt, fanden sie sich auch schon in der Miniatur davon wieder. Bezaubernd wie alles an dem Schwarzhaarigen. Formvollendete Züge, die anmutig kokettierten. Jede Bewegung war fließend und voller Kraft. Begehren keimte in dem Soldaten. Verzerrte Realität, die ihn gefangen nahm. Seine Lippen waren schneller als sein Verstand. „Wie macht ihr das nur?“ Fragend neigte sich der Schopf des Vampirs unmerklich zur Seite. Vernon kam sich überaus dumm und tölpelhaft vor. Verlegen suchte er Erklärungen. „Die Garde trimmt jeden Anwärter von Beginn an darauf, euch Vampiren in Kraft und Stärke ebenbürtig zu sein. Dabei ist es Feinheit und Liebreiz aus denen ihr die viel größere Macht über uns gewinnt. Ich sollte euch gegenüber nichts als Abscheu empfinde, doch suche ich vergebens danach.“ „Verzeiht, ich hatte nicht vor euch betören. Auch wenn ich Aufmerksamkeit genieße, so geschah es bislang nicht willentlich.“ „Bei Gott, ich hoffe niemals eurem Willen in Form von Zuneigung ausgesetzt zu sein“, entgegnete der Soldat beschwörend. Wieder dachte Vernon an seinen Freund. Die Hilflosigkeit in diesem musste überwältigend gewesen sein. Schuldbewusst rügte sich der Brünette dafür, seine Vorurteile über die Treue gestellt zu haben. Er hatte dem verpflichtenden Dienst der Freundschaft den Vorzug gegeben. Ein Fehler der fatal auf seinem Gewissen lag. Vielleicht wäre Luc nicht so verloren gewesen, wenn er von Beginn an eine Hand gehabt hätte, die ihn festhielt, gleich in welche Richtung er getrieben wurde. „Das Ziel ist nicht mehr fern, aber ich brauche eine Stärkung, bevor wir weiter reisen“, riss ihn der Schwarzhaarige aus seinen Gedanken. „Gut, lasst uns in eine Taverne gehen. Mein Magen wird sich sicher auch über eine Stärkung freuen.“ Ein amüsiertes Lächeln schlug dem Soldaten entgegen. Die Erkenntnis über Gesagtes ließ ihn erschaudern. Wie kam er nur auf den absurden Gedanken, dass der Prinz mit ihm zusammen ein Mahl einnehmen würde? Der Vampir brauchte Blut, nichts weiter. So einfach; kostbarer als alles. Der erwartete Spott blieb aus. „Geht nur, aber verweilt nicht zu lange. Ich werde derweilen meine Wege gehen.“ Damit wandte sich der Vampir ab. Vernon hatte augenblicklich keinen Appetit mehr. Lustlos stocherte er in dem aufgetischten Eintopf herum. Das Bier schmeckte schal. Vernünftig seinem Körper einen Dienst zu erweisen, nahm er dennoch ein paar Brocken zu sich und spülte sie mit dem bitteren Geschmack des Gerstensaftes herunter. Eiligen Schrittes näherte er sich der Kutsche. Er wollte keine Zeit mehr verlieren und endlich Gewissheit erlangen. Ungeduldig wartete er auf die Wiederkehr des Prinzen. Jede Minute zog sich endlos dahin, schaffte zu viel Raum für Sorge. „Wir sind auf der richtigen Fährte.“ Erschrocken fuhr der Soldat herum. Er hatte den Vampir nicht kommen hören. „Xei wurde letzte Nacht hier gesichtet. Die Beschreibung lässt keine Zweifel zu.“ Beiläufig fuhr ein Taschentuch tupfend über die roten Lippen des Vampirs. „Dann sollten wir keine Zeit mehr verschwenden“, stellte Vernon verstimmt fest. Während die Pferde weiter durch die Nacht jagten, wurde das Donnern der Räder von dem durch Regen aufgeweichten Boden geschluckt. Nachdenklich musterte Vernon den Vampir. „Empfindet ihr nie Reue oder Schuld?“ „Weil ich mich nähre?“ „Weil ihr tötet, Nacht für Nacht!“, klagte der Soldat an. „In dieser Hinsicht hat unser Schöpfer in mir sicherlich seine beste Wahl getroffen, genauso wie in Xei seine schlechteste.“ „Wegen seines Glaubens? Ich hatte mich schon gefragt, wie er töten kann, um seine eigenen Existenz zu erhalten, wenn seine Seele doch Gott so sehr dienen möchte. Aber es ist wohl kaum die Liebe, die ihn am Leben hält.“ Die zynische Mimik des Brünetten quittiert der Prinz mit einem süffisanten Lächeln. „Nun, bisher, war sie es. Meine Liebe, Nacht für Nacht. Xei hat nie das Blut eines Menschen getrunken, mit einer Ausnahme.“ Überrascht unterbrach Vernon den Vampir. „Ihr könnt ohne menschliches Blut leben? Alleine durch die Hingabe eines Liebenden von eurer eigenen Art? Wieso tut ihr es dann nicht?“ „Xei kann es. Ich kenne keinen anderen Vampir, der dem Drang nach Hunger widerstehen kann. Ja, unser gegenseitiges Blut reicht zum Überleben. Wir tauschen es aus der Not heraus, wenn keine Wahl bleibt. Oder wir tun es, um eine Intimität zu erzeugen, die unsagbar ist. Auch geben wir diesem Akt nach, um Lust zu kreieren, die jede andere Leidenschaft in den Schatten stellt. Doch der Hunger bleibt und unsere Natur verlangt stets nach mehr. Wenn der Zauber abfällt, der Bann loslässt und die Intimität schwindet, bleibt nur er über und regiert. Qualvoll, bis er gestillt wird. Die Gier ist verzehrend. Daher sehe ich die Chance rechtzeitig zu kommen als bereits vergeben an. Luc hatte einen folgenschweren Fehler begangen, indem er Xei bereits einmal sein Blut freiwillig gab. Er hat dem Tier in Xei damit Freiraum gegeben. Nun ist es bei Xei wie bei einem Verhungernden. Trotzt Übelkeit würde er alles Verschlingen um Nahrung zu erlangen. Alleine Instinkt getrieben. Mein Bruder ist nun die dritte Nacht in Folge ohne Blut. Jetzt, da ich nicht da bin, um seine Qual zu stillen, bin ich mir nicht sicher, wie viel von seiner Stärke geblieben ist. Die Verlockung gab es immer, genau wie seinen Widerstand. Doch nun ruft nicht der Hunger allein, sondern sein Herz. Es verlangt Blut wie Liebe und die kleinste Einladung verspricht Erlösung.“ Betroffen ballte der Soldat seine Fäuste. „Luc hat ihm freiwillig Blut gegeben? Warum und wie hat er es überlebt? Diese Schande für was? Ihr stellt mich immer wieder vor neue Rätseln, Prinz.“ „Es geschah um mich zu kränken. Eine Machtdemonstration, die mich so sehr traf, wie er es wohl beabsichtigt hatte. Ich fühlte mich von beiden Hintergangen. Beinahe wie ein betrogener Liebhaber. Vorgeführt und gedemütigt.“ Die Offenheit mit der der Prinz abermals zu ihm sprach, umschmeichelte Vernon. Begierig dieser Vertrautheit mehr Raum zu geben, lauscht er jedem Wort. „Ja, Luc hat es überlebt. Xei hat ihn weder getötet noch gewandelt. Selbst der Eigensucht, ein Blutband zu knüpfen, widerstand er. Du warst der Wahrheit vorher sehr nahe. Unsere eigentliche Macht erwächst nicht aus der physischen Überlegenheit, sondern aus der psychischen. Liebe ist die einzige Kette, die das Tier in uns halten kann. Dabei muss es nicht unbedingt die Liebe zwischen zwei Liebenden sein. Es gibt so viele Arten, wie sie sich äußern kann. Als Familienbande, als Leidenschaft, als Nächstenliebe oder Freundesliebe. Gleich wie, sie ist alleine abhängig von der Stärke des Gefühls.“ Mit dem vertraulichen Du, hatte der Vampir endgültig Intimität geschaffen, die bereits die ganze Zeit über mitschwang. Dies machte es für Vernon einfacher in die Unterhaltung einzusteigen. Die Förmlichkeit war stets ein Aufblicken, ein umsichtiges Achtgeben gewesen. „Was ist mit der Feindesliebe, Iven?“ Den Namen auszusprechen fiel schwer und schaffte einmal überwunden Erleichterung. „Kann sie nicht dein Gemüt besänftigen? Einen Ausweg bieten?“ Betrübt spiegelten schwarze Seen Verletzlichkeit wieder. „Wie könnte sie das. Meine Enttäuschung, mein Verlust ist zu groß, als dass ich jene Art zu lieben überhaupt in Betracht ziehen könnte. Meine Rücksichtslosigkeit zeichnete stets meinen Charakter. Feindesliebe ist von mir wohl so weit entfernt, wie der Himmel von der Hölle.“ „Verstehe.“ Vernon war sich nicht sicher, ob er den Umstand, Ivens Brutalität so deutlich vor sich zu sehen, begrüßen oder verwünschen sollte. Sein Verstand zeichnete Bilder der Vernunft. Grundeinstellungen und Prinzipien, seit Jahren mit bitterer Erfahrung untermauert. Doch sein Herz wollte sie weg stoßen. Sehnsüchtig hegte es den Wunsch, Iven ohne Makel zu betrachten. Dabei hatte es doch gar keinen Platz für einen Vampir. „In der Nacht, als das Treffen mit dem Grafen statt fand, hattest du Luc gebissen. Liege ich damit richtig, dass du wie Xei, ihn damals nicht mit einem Blutband an dich gebunden hast, sondern dass er dir stets freiwillig folgte?“ „Hatte er dir das nicht gesagt?“ „Nein, er bat mich lediglich um mein Vertrauen. Ich denke auch nicht, dass ich ihm geglaubt hätte, gleich welcher Beteuerung.“ „Und nun tust du es?“ Vernon schluckte. Er musste endlich klare Verhältnisse schaffen. „Ich fühle mich selbst gefangen in einer Welt, die es meiner Ansicht nach gar nicht geben sollte. Mein Herz habe ich längst mit Freuden meiner Liebsten geschenkt. Ihre Kraft durchströmt mich, Tag für Tag. Meine Gedanken sind bei ihr, in jedem Atemzug. Immer begleitet sie mich. Die Liebe zu ihr leitet mich und bürgt mich in Geborgenheit. Sie ist alles was ich mir je vom Leben erhofft habe und es gibt nichts nach was ich trachten sollte. Ich habe längst erhalten was begehrenswert wäre. Glück und Liebe vereint. Dennoch bin ich seit gestern mit Sehnsucht erfüllt die ich nicht verstehe. Emotionen überwältigen mich und schleichen sich bis in den kleinsten Winkel meines Körpers. Selbst Worte des Gefühls, die ich vorher nie nach außen getragen hätte, überkommen mich nun. Mein Geist fühlt sich durch dich in Gefangenschaft genommen und mein Herz ist im Begriff zu folgen. Ich fühle mich nackt in deiner Gegenwart. Vollkommen ausgeliefert und nach dieser Hilflosigkeit verlangend. Es ist grausam dich zu betrachten, dennoch kann ich meinen Blick nicht abwenden.“ Schwarze Augen verweilten sanft auf den seinen, als sich der Vampir leicht vor beugte. Die Nähe war Vernon unerträglich. Erbarmungslos legte sich Ivens fesselnde Kraft auf sein Innerstes und zog ihn unaufhörlich in die Tiefe. Die Hand die sich zärtlich auf sein Knie legte, erweckte Fantasien, für die er sich den Tod wünschte. Er wollte die geschaffene Berührung festhalten, sie ohne Stoff auf nackter Haut fühlen. „Was wenn ich deine Sehsucht stillen würde? Könntest du dich mir hingeben, Vernon?“ Entsetzen erfasste ihn. „Wie könnte ich es nicht? Welchen Weg muss ich gehen, um dir zu entkommen?“ Wann genau war in Ivens Gegenwart nur alles aus den Fugen geraten? So sehr, dass er diese absurde Unterhaltung führen musste. Wie konnte der Vampir so etwas überhaupt in Betracht ziehen? Hier ging es doch um Luc. Eben. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. „Wolltest du nicht den Kreislauf von Rache durchbrechen? Stattdessen ziehst du mich, entgegen deiner Beschwichtigung, doch mit hinein. Ruchlos führst du mich, spielend meine eigene Schwäche erkennend, in deinen Abgrund. Einzig um Luc schaden zu wollen. Es ist sein Schmerz, der mir meinen beschert, habe ich recht?“ Der belustigende Glanz in Ivens Augen kränkte Vernon. Er hätte niemals so viel Schwäche zeigen dürfen. Wie zu Bestätigung grub sich die belehrende Stimme des Prinzen verletzend in seinen Geist. „Lerne zwischen den Zeilen zu lesen. Ich sagte, dass die Versuchung besteht. Auch wusstest du nur zu gut, dass ich bis ins Detail der Raffinesse zugetan bin. Mit jeder verstreichenden Minute offenbarst du mir einladend neue Schwächen, die ich meiner Natur entsprechend nicht ausschlage, sondern genüsslich auskoste. Hast du etwa geglaubt, du könntest dich auf das Schlachtfeld begeben, ohne Schaden davon zu tragen? Du hast dich zwischen uns gestellt, schon vergessen? Die Position des Schützers bewahrt dich nicht vor meinen Angriffen.“ Kühl zog sich der Vampir wieder zurück. Dennoch war der Abstand für Vernon zu gering, um sich sicherer zu fühlen. Er hatte sich wahrhaft zum Narren halten lassen. Er fühlte sich wie ein Zuschauer, obgleich er die Handlung selbst vorantrieb. Blind darauf vertrauend, etwas ändern zu können. Nur zu gern glaubte er an die Sanftheit vor dem Grauen. Suggestion ohne Tiefblick. Einzig weil die Hölle engelsgleich entgegen lächeln würde. „Gestatte mir nur eine Wahrheit zu. Ist es die Kraft der Hypnose oder bin ich deinem Wesen tatsächlich aus freien Stücken so sehr verfallen, dass ich mich blind führen lasse?“ „Nun sind wir an dem Punkt angelangt, an dem wir bereits einmal waren, Soldat.“ Die erbarmungslosen Augen schlossen sich kurzzeitig, nur um anschließend milde zu leuchten. „Gut, ich will dir deine Frage deutlicher beantworten. Hypnose ist eine Fähigkeit, die ich nicht allzu oft gebrauche. Meinem Charakter entspricht das Unterjochen, das Treiben in Irrgänge und das Auskosten von dem Winden in Sackgassen. Dem Induzieren der von mir gewünschten Richtung, fehlt in der Passivität der Hypnose gänzlich der Reiz. Dennoch kann ich dir etwas von deiner Befangenheit nehmen, obgleich es für dein Ehrgefühl kein Trost sein wird. Jene Gabe, die es uns ermöglicht euch Menschen so sehr aus der Fassung zu bringen, liegt in unserer Natur. Manifestiert über Zeitalter hinweg. Wir verleiten euch zu Bewunderung, um der Hatz zu entgehen. Je nach Ahnenblut mehr oder minder erfolgreich. Hast du dich nie gefragt, wie wir über all die Jahrhunderte überdauern konnten? Trotz eures Wissens, eurer stetig wachsenden Macht über uns? Wir leben, weil ihr uns nicht auslöschen könnt. Unfähigkeit menschlicher Psyche. Eure Emotionen sind unser Schutz.“ Vernon schluckte. Jahrelange Ausbildung und dennoch wurde er in Unwissenheit gelassen. Naivität die leicht zu lenken war. Ahnungslosigkeit die nicht aufbegehrte. Ivens Lektion lehrte ihn mehr als jeder Unterricht zuvor. „Du öffnest meinem Verstand Türen, die dieser noch nicht wagt endgültig zu durchschreiten. Die Wahrheit die dahinter liegt in vollem Umfang zu erkennen, würde alles zerstören, woran ich glaube. Doch auch ohne Weitblick ist es offensichtlich. Es endet immer im politischen Machtspiel, habe ich recht? Eure Kontrolle über uns, unsere über euch. Wie viel lenkt ihr Vampire innerhalb der Gilde? Wie viele Herzen sind dir zugetan?“ Ivens dunkles Lachen erschreckte Vernon. Er hätte nicht fragen sollen. „So einfach ist es nicht. Ich sagte doch, dass die Natur unser Schutz ist, nicht unsere Waffe. Mit Verführung gewinnt man keinen politischen Einfluss. Dafür haben zu viele Taktiker und Anspruchsinhaber ihre Hände im Spiel, als dass ich sie alle unter Kontrolle halten könnte. Ein umnebelter Geist mag zuweilen hilfreich sein, aber er erschafft keine Substanz. Manipulation wird in allen Schichten der Herrschaft betrieben. Von der Gilde ebenso, wie von den Vampirclans. Wir nehmen uns beide nichts. Deiner Ahnung, dass es Abhängigkeit gibt, habe ich nichts hinzuzufügen. Sie ist existent, auf beiden Seiten. Nun habe ich dir mehr Wahrheit zugestanden als verlangt war. Kannst du sie auch tragen, Vernon?“ „Nicht darüber sollte ich mir Gedanken machen. Ich kam um Luc zu retten. Nicht um meine Loyalität in Frage zu stellen. Es ist das Band der Freundschaft, das mich führt. Nicht der Dienst des Soldaten.“ „Wie du meinst. Es obliegt nicht mir, deinen Geist zu erhellen.“ Dankbar, dass Iven das Thema ruhen ließ, schloss Vernon die Augen. Hartnäckig verscheuchte er die wirren Worte von eben. Ob die Gilde nun von den Machenschaften der Vampire unterworfen war oder andersherum. Es war nicht wichtig. Nicht jetzt. Er wollte nur seinen Freund in Sicherheit wissen. Das Gefühl der Hoffnung war immer noch da. Er würde daran festhalten. Bis zuletzt. Und bei seinem Weg würde er besser auf den Schatten achten, der ihm folgte. Der Schatten, der ihn beobachtete. Der Schatten, der ihn auskundschaftete. Von Außen und Innen. Es war unerträglich. Es war verführerisch. 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