Blutschuld von abgemeldet (Seine Bestimmung war es Vampire zu jagen, nicht sie zu lieben) ================================================================================ Kapitel 1: Auftrag ------------------ 1. Auftrag Beeindruckend. Der einzig würdige Begriff, um dieses Anwesen zu beschreiben. In der Ferne zeichnete sich die Silhouette des im Renaissancestil erbauten Schlosses erhaben und machtvoll im Nachthimmel ab. Großmütig vereinigte der über den Eingang prangende Dreiecksgiebel Säulen, deren Kapitelle florale Muster zierten. Eine breite steinerne Treppe führte Stufe für Stufe einladen in das Innere des Anwesens. Reges Treiben herrschte bereits vor dem großen begrüntem Vorplatz, der im Fackelschein golden leuchtete. Bunte Kleider zierten in schillernden Farben den Anblick wie anmutige Blumen. Bedächtig schritt der Dunkelblonde durch die Allee von buschigen Kastanien, die ihm den Weg zu dem offenen schmiedeeisernen Tor wies. Glitzernde Regentropfen hingen noch an den schwungvollen Ornamenten, der blank geputzten Torstäbe. Gleich würde er Teil der illusteren Gesellschaft sein. Noch einmal schweiften seine grünen Augen über das Gelände. Fahles Mondlicht tauchte die Umgebung in schimmerndes Silber. Dieser Ort hatte etwas verwunschenes an sich. Auf eine bezaubernde Weise fühlte Luc die Schönheit der Nacht, wie vielleicht noch nie zu vor. Einen kurzen Augenblick verspürte er Wehmut über die Kälte, die dieses Idyll ausstrahlte. Passend zum Publikum, dachte er. Ernst musterte er die goldene Einladungskarte. Gleich würde sich erweisen, wie zuverlässig ihr Informant war. Bis zuletzt hatte Luc dessen Glaubwürdigkeit angezweifelt. Ein Maskenball bei dem es lediglich einer Einladungskarte bedarf, um in die Nähe des Prinzen zu gelangen. Selbst auf eine Leibesvisitation wurde verzichtet. Das war nicht nur zu einfach, es war schlicht dämlich. Und rein zufällig hatte besagter Spion natürlich eine Einladung, die er der Gilde überlassen konnte. Die Tatsache, dass sich der Gönner bisher nie gezeigt hatte, sondern lediglich in Briefen korrespondierte, machte die Situation perfekt, um sich wie ein Kalb zu fühlen, das zur Schlachtbank geführt wurde. Dennoch hatte er den Auftrag, den Prinzen zu liquidieren, angenommen. Er war schließlich nicht nur ein Elitejäger der Garde, sondern auch der Beste. Und sich den Tod des Prinzen auf sein bereits beeindruckendes Jägerkonto zu schreiben, war Belohnung genug. Vielleicht war das heute die beste Chance für die Gilde, sich einem der mächtigsten Vampire mit politischem Einfluss zu entledigen. Eine derartig gute Gelegenheit würde es sicher nicht noch einmal geben. Lucs Bedenken, dass hiervon auch ein anderer ambitionierter Vampir profitieren könnte und die Möglichkeit nahe liegt, dass dieses Arrangement absichtlich so eingefädelt wurde, stieß auf taube Ohren. 'Du bist Jäger. Überlasse das Denken den Taktikern und das Befehlen den Generälen', war die beschwichtigende Antwort seines Mentors. Nun gut, wenn dies hier nicht klappen sollte, dann würde die Nacht für ihn schneller um sein, als er fluchen konnte. Ein bitteres Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er sich die schwarze Augenmaske aufsetzte. Sich wie ein Feigling unter diese Tiere zu mischen, missfiel ihm bis aufs Mark. Lieber wäre er kopfüber reingestürmt, um seine Zielperson in einem offenen Kampf zu stellen. Einen den er verlieren würde. Einsicht war eine Fähigkeit, die ihn ständig zu maßregeln schien. Er musste heute sein hitziges Gemüt unter Kontrolle halten. Gut, dann schlagen wir euch mal mit euren eigenen Waffen. Verkleiden, verstecken, meucheln. Sein Auftrag war an sich einfach. Mit der Umsetzung würde es anders aussehen. Dann mal los, rein ins Getümmel. Kapitel 2: Maskenball --------------------- 2. Maskenball Er war doch überrascht wie einfach es war, tatsächlich in den Festsaal zu gelangen. Keine Fragen am Empfang. Nicht einmal musternde Blicke. War es Leichtsinn oder die Überlegenheit die damit zur Schau gestellt wurde? Nun, letztendlich war es gleich. Luc begutachtete seine Umgebung. Der Saal erstrahlte in einem Meer von Kerzen. Riesige Kronleuchter hingen königlich an den prächtigen Stuckdecken. Bunte Gemälde reihten sich an den Wänden. Das Rascheln der bauschigen Kleider der Damen, das Klappern von Absätzen und angenehme Streichmusik, die zum Tanz einlud, drang an sein Ohr. Einige Gäste waren sehr pompös mit ihrer Abendausstattung vorgegangen. Perlen, Edelsteine, Gold, Samt und Seide. Der ganze Raum strahlte vor Pracht. So schön der Anblick auch insgesamt wirkte, er mochte dieses freudige Spiel der Farben nicht. Er empfand bei jedem Vampir einen tiefen inneren Groll. Er merkte wie sein Hass empor klomm. Es war nicht fair, dass diese Wesen in einer schillernde Welt lebten, die sie auf den Gräbern von Menschen erbauten. Seine Fäuste schlossen sich. Er sehnte sich danach, sein Schwert in Händen zu halten und ihnen ihre dämlich lachenden Gesichter von den Schultern zu trennen. Er schluckte schwer. Orientierung. Darum hatte er sich jetzt zu kümmern. Sein Blick schweifte gelernt über alle Fenster, Türen, Ausgängen. Registrierte die Empore und fand das Bild, das links neben einer korinthischen Säule hing. Das Motiv zeigte einen gefallenen Engel, der sehnsüchtig in das Licht des blauen Himmels blickte. Hier hatte er bei der Jahresrede des Prinzen unauffällig in den Gang dahinter zu verschwinden. Die Geheimtür zu nutzen, ohne Aufsehen zu erregen könnte schwer werden. Die Angst, dass die Beschreibung nicht stimmte, schob er beflissentlich beiseite. Als seine grünen Augen wieder nach unten zur Festgesellschaft wanderten, wurden sie von einem tiefen Schwarz gefesselt. Es dauerte eine Weile, bis er sich von diesen dunklen Augen losreißen konnte. Demonstrativ flüchtig strich sein Blick über den Fremden, der etwa sechs Meter entfernt von ihm stand. Groß, schlank, athletisch mit eleganten Zügen. Alles an ihm schien auf geheimnisvolle Weise erotisch und anziehend zu wirken. Gerne hätte er hinter die Maske geblickt, um die volle Schönheit des Wesens auszumachen. Der Fremde war ganz in Schwarz gekleidet. Die vollen Haare, lang und glatt. Glänzend wie die Federn eines Raben. Sie fielen seidig über die breiten Schultern, wurden eins mit dem Samt des Gehrocks. Die Weste schwarz, mit Silberfäden bestickt. Der dunkle Stoff der engen Hose betonten die langen Beine. Lederne Stiefel schafften ein Hauch von Härte, in der sonst weichen Erscheinung. Einzig die weißen Spitzen des Hemdes schienen die Dunkelheit der Gestalt zu durchbrechen. Sie und dieses strahlende Lächeln. Lippen die Verführung versprachen. Wie ein Schatten schlich sich der Vampir näher. Luc spürte deutlich, wie sich sein Puls beschleunigte. Er fühlte sich wie ein hilfloses Beutetier auf weitem Flur. Instinktiv wich er wie von selbst zwei Schritte zurück, bis er an einen freien Tisch stieß uns stehen blieb. Es war lange her, dass er sich so hilflos gefühlt hatte. Er schallte sich einen Narren. Verdammt Luc, du bist ein Jäger, kein Opfer. Du wurdest nicht umsonst als der Richtige für diesen Auftrag bestimmt. Nimm dich zusammen! Mit einem ungutem Gefühl im Magen ging er auf Angriff. Ein einladendes selbstbewusstes Lächeln traf direkt in das Gesicht seines Gegenübers. Genau rechtzeitig. Er wusste, dass er seine Rolle als Vampir überzeugend spielen konnte. Keine Schwäche war seinem Körper mehr anzumerken. Er war stark und entschlossen und kehrte dies nach außen. Verbarg sein Unbehagen hinter einem Mantel aus Selbstsicherheit und Stolz. „Ihr seht so aus, als ob ihr Gesellschaft sucht, mein Freund.“ Die Stimme war warm und angenehm. „Seid ihr denn eine gute?“, fragte Luc mehr herausfordernd als neugierig. Ein offenes Lächeln umspielte die eleganten Züge des Gefragten. „Nun ich erweise mich gerne als würdig, wenn ihr mich lässt.“ Eine Einladung so verlockende wie ein Feuer in kalter Winternacht. Leicht überrumpelt, zaghaft und dennoch mit einem Gefühl von Vertrautheit legte Luc seine Hand in die des Unbekannten. Ein Kribbeln erfasste seine umschlossene Hand. Durchzog seinen ganzen Körper und ließ ihn erschaudern. Das Atmen fiel ihm auf einmal schwer. Warum nur machte ihn die Anwesenheit des Anderen so nervös? Beherrsche dich Luc! Kläre deine Gedanken. Suche nach hilfreichen Informationen. Vielleicht erfährst du etwas, was für dich von Nutzen sein könnte. „Nennt ihr mir euren Namen?“ „Tanzt ihr mit mir?“ Eine Frage die keinen Widerspruch akzeptieren würde. „Wie meint ihr?“ Luc war mehr als verwirrt. Der Druck an seiner Hand wurde fester. Warum noch gleich hatte er sie in die des Vampirs gelegt? Ehe er es sich versah, zog der Schwarzhaarige ihn in seine Arme. Bugsierte sie beide bereits im Takt der Musik auf die Mitte der Tanzfläche. Wieder dieses Kribbeln. Diesmal auf seiner Hüfte. Die Musik und die Arme des Fremden schienen ihn wie von selbst zu tragen. „Ihr irritiert mich. In mehr als nur einer Hinsicht“, war das einzige was Luc in diesem Moment hervor brachte. Wieder dieses entwaffnende Lächeln. Augen die bis in sein Innerstes blickten. Komm zur Besinnung Luc! Er musste mit sich kämpfen, um sich aus dieser Trance zu reißen. Noch nie hatte es ein Vampir geschafft seinen Willen zu lenken. Bis heute. Luc du bist ein Elitejäger. Du verabscheust Vampire. Hör auf dich wie ein verliebter Idiot zu benehmen und erinnere dich an den Schmerz, den sie dir zugefügt haben! Entschlossen und abrupt befreite er sich aus der Situation. Wandte sich aus dem Griff des Vampirs, mit einem kalten Lächeln. „Bedaure. Aber für solches Amüsement, solltet ihr euch einer der Damen erwählen.“ Sein Rücken spannte sich. Seine Sinne waren wieder wach und geschärft. Dieser Mann strahlte Faszination und Gefahr in einem Atemzug aus. Einen kurzen Augenblick überlegte er, ob er der Neugier nachgeben, sich der Herausforderung stellen sollte. Rasch schob er den Gedanken beiseite. Mit einem knappen Nicken wandte er sich ab. Er brauchte jetzt all seine Sinne für eine anderer Aufgabe. Eine, deren Scheitern unweigerlich seinen Tod nach sich ziehen würde. Er ging zur Wendeltreppe, hinauf auf die Empore. Hier würde er sich einen bessern Überblick verschaffen können. Immer noch schlug sein Herz kräftig gegen seine Brust. Er widerstand bisher allen vampirischen Hypnoseversuchen. Nie hatte er es mit einem Gegner aufnehmen müssen, der tatsächlich Macht über sein Handeln erlangte. Er war nicht vorbereitet gewesen. Hatte einen Angriff in seinen Geist nicht erwartet. Sicher konnte er nur so in diese prekäre Lage geraten. Ob Vampire die Stärke ihre Fähigkeiten untereinander demonstrierten, um die Rangfolge untereinander zu klären? Wenn ja, dann sollte er weiteren Kontakt heute besser meiden. Außer seiner Willenskraft hätte er nichts entgegenzusetzen und die Gefahr als Mensch enttarnt zu werden, war ohnehin sehr groß. Beim entlang Schlendern machte er unauffällig die in den Marmor gemeißelten Verzierungen der korinthischen Säulen aus. Geschwind waren die Blumenköpfe der einzelnen Ranken abgezählt. Die Beschreibung des Informanten stimmte. Einzig die Säule neben dem Gemälde des Engels hatte dreizehn Blumenköpfe. Der siebte hiervon, sollte ihm den Weg zu den privaten Gemächern des Prinzen ebnen. Zufrieden lehnte er sich lässig an die marmorne Brüstung und beobachtete beiläufig das muntere Treiben unter ihm. In Gedanken ging er noch einmal den Plan durch, um sich später sicher in den Gängen zurecht zu finden. Bevor er seinen Weg komplett in Gedanken rekonstruieren konnte, holte ihn eine warme Stimme jäh zurück in den Festsaal. „Iven.“ Aus seiner Konzentration gerissen drehte er sich leicht verärgert um. „Bitte?“ Er war überrascht den Störenfried als den Unbekannten in Schwarz auszumachen. „Erzählt mit nicht, dass keine der anwesenden Damen eure Gesellschaft zu schätzen wusste. Oder ward ihr zu aufdringlich?“, spottete er unverkrampft. „Iven. Mein Name ist Iven. Bitte verzeiht meine Unhöflichkeit von vorhin. Ich hätte mich erst vorstellen sollen.“ Luc starrte bewusst direkt in die schwarzen Augen, widerstand dem erneuten Gefühl sich fallen zu lassen. „Ihr hättet zumindest Fragen können, ob mir der Sinn nach einem Tanz mit euch steht, bevor ihr mich überrumpelt, euren Willen aufzwingt und mich als Dame vorführt.“ Damit wandte er seine Augen wieder nach unten auf die Tanzfläche. Es hatte ihm alle Mühe gekostet, dem Blick des Anderen stand zu halten. Dennoch war es nötig gewesen, um Stärke zu demonstrieren. „Dann habe ich euch gekränkt“, die Stimme klang ehrlich betroffen. „Das tut mir leid.“ Iven gesellte sich neben Luc. Die Hände des Vampirs legten sich nur wenige Zentimeter neben den seinen auf die Brüstung. Unweigerlich musste Luc an die erste Berührung denken. „Ich bin es nicht gewohnt zu fragen, versteht ihr?“ „Dann nehmt ihr euch immer was ihr wollt, ohne Rücksicht?“ Nun funkelten die Augen des Vampirs belustigt. „Aber mein Freund, liegt das nicht in unserer Natur?“ Die Frage hallte in Lucs Kopf nach, als sich Iven entfernte, um der Bedienung eine Bestellung mitzuteilen. „Trinkt mit mir, bitte.“ Auch das war wiederum keine Frage, sondern eine Aufforderung. Einladend zeigte der Vampir auf den freien Nebentisch. Er setzte sich mit einer geschmeidigen Bewegung und forderte Luc mit einer Geste auf, es ihm gleich zu tun. Alles, jede kleinste Regung, faszinierte Luc. „Es ist ein wahrlich guter Tropfen“, drängte Iven. Luc hatte regelrecht einen Kloß im Hals. Er durfte seine Tarnung nicht gefährden. Er würde mitspielen. Inständig hoffte er um den 'guten Tropfen' herum zu kommen. Er würde Blut trinken können, ohne jede Regung von Ekel zu offenbaren. Seine Selbstbeherrschung war eine Waffe, die er von Anfang an in der Garde erlernt und gestärkt hatte. Dennoch würde ihm davon sicher sehr übel werden und er konnte beileibe auf die Erfahrung verzichten. Der Vampir beobachtete ihn für seinen Geschmack zu intensiv. Er merkte, dass jede seiner Bewegungen genaustens studiert und selektiert wurde. Nein, egal wie sehr es ihm zu wider war, er konnte die Einladung nicht abweisen. Er musste nun überzeugen. Er setzte sich. Ohne mit der Wimper zu zucken griff er nach dem servierten Becher und führte ihn an seine Lippen. Fest blickte er dabei in die lauernden Augen seines Gegenübers, der einen großen Schluck nahm. Luc trank und spürte einen süßlichen Geschmack seine Kehle hinunter rinnen. Es war Rotwein. Gekonnt überspielte er die Erleichterung. Noch eine Blöße würde er sich nicht geben. „Verratet ihr mir euer Geheimnis?“ Wieder diese Unsicherheit in ihm. Instinktiv wusste er, dass er sich vor diesem Vampir hüten musste. Vielleicht mehr, als vor all den anderen Vampiren um ihn herum zusammen. Nach außen blieb Luc ruhig. Er würde sich nicht aus der Reserve locken lassen. „Welches meiner vielen meint ihr?“ Offen und unwissend war sein fragender Blick. „Euren Namen. Ihr kennt nun den meinen. Nachdem ihr euer hübsches Gesicht unter einer Maske verbergt, würde mir euer Name sehr helfen euch wieder zu finden.“ „Wer sagt, dass ich euch wiedersehen möchte?“. Ein kurzes Lachen fing ihn ein. „Nun, ich denke schon, dass ihr das wollt. Und wenn nicht, würde es mich nicht kümmern. Aber vielleicht kennen wir uns ja bereits und ihr haltet mich gerade mit euren schüchternen Art zum Narren.“ Er ahnte nichts. Dessen war sich Luc sicher. „Kümmert es euch nicht, weil es euch gleichgültig wäre, oder weil ihr meine Wünsche nicht respektieren würdet?“ Fragend neigte Iven seinen Kopf leicht zur Seite. „Wieso seid ihr nur so misstrauisch? Ich mache euch einen Vorschlag. Gewährt mir ein paar Stunden mit euch. Nur hier, plaudernd bei einem guten Schluck. Ich werde keinerlei Macht mehr ausüben, um euch zu gefallen oder um euch zu einem Tanz oder anderes zu zwingen. Keine Macht, außer die meines Charmes. Falls ihr bis zur Jahresrede des Prinzen meiner überdrüssig seid und meine Gesellschaft zukünftig ablehnt, werde ich eure Nähe meiden, solange ihr es wünscht.“ „Luciel Baldur. Meine Freunde nennen mich Luc.“ Er wusste nicht warum, aber er konnte nicht anders als einzuwilligen. Viel zu sehr mochte er die Gegenwart des Anderen. Die Option, anschließend auf ein Adieu bestehen zu können, verstärkte zudem seine Entscheidung. Er war nicht sonderlich erpicht darauf, Iven noch einmal wiedersehen zu müssen. Die Schwäche, die er in seiner Gegenwart empfand, war wie ein wunder Punkt in seinem sonst so starken Charakter, der sicher in der Distanz schnell heilen und verschwinden würde. Ohrfeigen konnte er sich allein dafür, dass er leichtsinnig seinen echten Namen preis gegeben hatte. Was für ein Anfängerfehler. Iven tat seinem Verstand merklich nicht gut. „Danke für die zweite Chance, Luc“. Ivens Augen strahlten. Luc wäre damit zufrieden gewesen, einfach nur darin versinken zu dürfen. Vergiss nicht, dass er ein Vampir ist. Er scheint äußerst machtvoll zu sein. Vielleicht konnte er von Iven etwas über den Vampir erfahren, der einst seine Familie auslöschte und ihn zum Waisen und Jäger machte. Nur wie sollte er Informationen erfragen, wenn er nicht einmal wusste, nach was er Fragen sollte. Einzig der Ring des Vampirs hatte sich damals wie ein Stigma in sein Gedächtnis gebrannt. Aber nach einem Ring zu fragen, der möglicherweise gar keine Bedeutung für den Schlächter hatte, war zu gefährlich. Luc war froh, dass Iven anscheinend sehr gerne den Part des Gesprächigeren übernahm. Die Minuten flogen nur so dahin. Iven erzählte belangloses, angereichert mit Wissen über die einzelnen Vampirclans und deren Politik. Geschichten über Aufstieg und Niedergang. Luc versuchte verzweifelt Gesagtes zu behalten. Doch er konnte sich so sehr anstrengen, wie er wollte. Jedes gesagte Wort versickerte, wie Wasser in der Wüste im Nichts. Dafür galt seine Aufmerksamkeit voll und ganz den Bewegungen Ivens. Seinem Geruch nach Feuer und Regen zugleich. Dem Wohlklang seiner Stimme. Fast wie eine Melodie, die ihn sanft in den Schlaf wog. Der Vampir hatte versprochen keinerlei Macht zur Manipulation anzuwenden. Die Erkenntnis, dass Iven diese Fähigkeiten gar nicht einsetzten musste, um ihn zu bezirzen, brannte wie flüssige Lava in Lucs Adern. Wer war Iven? Er hatte bereits mächtige Vampire kennengelernt und viele von ihnen in schwierigen Kämpfen getötet. Dennoch hatte er das Gefühl, gerade den Kampf seines Lebens zu führen. Er wollte sich ihm hingeben. Sich in diese starken Arme fallen lassen. Seine Haut spüren. Die samtigen Lippen schmecken. Seine Wangen erröteten bei diesen Gedanken. Wieder hing er an diesen dunklen Augen. Ein Spiegelbild des Nachthimmels. Tiefschwarz mit dem Glanz der Sterne. Ein längst vergessenes Gefühl von Geborgenheit hüllte ihn ein. Mit aller Kraft lehnte sich Luc auf, um diesem Gefühl zu entkommen. „Ich brauche etwas frische Luft.“ Luc stand auf und wollte sich eben nach unten, Richtung Terrasse bewegen. „Bitte warte.“ Luc hielt inne. Zwei Hände legten sich auf seinen Schultern. Er hatte das Gefühl ins Bodenlose zu fallen, als er sich umdrehte und wieder in diese einzigartigen Augen blickte. „Ich möchte, dass du mir etwas versprichst, Luc.“ Er konnte gar nicht anders als zu nicken. „Der Prinz wird gleich seine Rede halten und danach könnte es hier ziemlich hässlich werden. Ich möchte dich bitten zu gehen. Jetzt, ohne Aufschub.“ Nun, dies lag ohnehin in seinem Sinn. Er würde gehen. Nur vielleicht nicht dorthin, wo Iven erwarten würde. „Einverstanden, ich verlasse den Ball.“ „Danke.“ Süß und unendlich zart schmeckten Ivens Lippen, die sich plötzlich auf die seinen legten. Es war mehr ein Hauch als ein Kuss. Gleichsam einer warmen Frühlingsbrise. Sein ganzer Körper wurde von einem Schauer erfasst. Als Luc die Situation realisierte und Iven wegstoßen wollte, war dieser auch schon verschwunden. Benommen ließ er sich in den Stuhl zurück fallen. Es war als ob Iven nie dagewesen wäre. Er fühlte sich auf seltsame Weise kalt und einsam. Einzig der zweite leere Becher auf dem Tisch zeugte von der vorherigen Anwesenheit des Anderen. Gedankenverloren fing er mit seinen Finger einen rot schillernden Tropfen von Ivens Becher auf. Ganz in dem lächerlichen Glauben verfallen, Iven dadurch wieder nah zu kommen, kostete er ihn. Bitter und kupfern. „Blut“, keuchte er leise und zuckte erschrocken zusammen. Natürlich Blut, verdammt er ist ein Vampir! Was hattest du erwartet, du Tor? Rotwein, schoss es ihm durch den Kopf. Wieso hatte er Wein bekommen und Iven trank Blut? Der Vampir hatte beide Becher bestellt. Luc kam gar nicht auf die Idee, dass Iven etwas anderes trank. Du Idiot. Wenn er nur etwas Verstand besaß, dann wusste Iven nun, dass er ein Mensch war. Aber warum kümmerte es ihn nicht? Ivens Warnung 'hier könnte es ziemlich hässlich werden'. Natürlich. Das musste es sein. Was war ein Ball ohne Dinner? Und das Festmahl war bereitet. Hier gab es nicht nur Vampire, sondern auch Menschen. Bei all seiner Tarnung hatte er nicht darauf geachtet, dass er nicht der einzige Mensch war. Er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen. Mit sich und Iven. Er wurde wütend. Auf sich, aber auch auf die schlechten Informationen die er erhalten hatte. Wieso hatte der Spion die Gilde nichts davon wissen lassen? Oder war es bekannt und er wurde nur nicht entsprechend unterrichtet? Das würde zumindest erklären, weshalb er so einfach auf den Ball gelangen konnte. Er hätte den Auftrag nicht angenommen, wenn er gewusst hätte, dass er unschuldige Menschen ihrem Schicksal überlassen musste. Nun hier zu sein und akzeptieren zu müssen, dass Menschen sterben würden, ohne dass er etwas tun konnte, machte ihn wahnsinnig. Er fühlte sich machtlos. Alleine konnte er nichts tun. Ein Kamikazeunterfangen würde niemanden helfen. Luc bebte vor Zorn. Das würde ein Nachspiel haben. Er war keine Schachfigur die man nach belieben einsetzen konnte. Traurig glitt sein Blick über die Gesellschaft. Er wollte gar nicht wissen, wie viele ihr Leben lassen mussten. Tief sog er die schwere Luft in seine Lungen. Er musste nun alles Unwichtige beiseite schieben. Er konnte nichts weiter tun, als seinen Auftrag erfüllen und damit wenigstens etwas Gerechtigkeit üben. Die Glocke schlug drei Uhr. Die Rede des Prinzen würde gleich beginnen. Die Gäste sammelten sich bereits um das erbaute Podest. Iven konnte er in der Traube nicht mehr ausmachen. Auch wenn er sich dessen schämte, er hätte gerne einen letzten Blick auf ihn geworfen. Iven hatte ihn gewarnt. Gebeten zu gehen. Luc war sich nicht sicher, ob er sich darüber freute oder sich wünschte, es wäre anders gewesen. Zu glauben, dass er vielleicht einem Vampir mehr bedeuten könnte als etwas, das über eine Nahrungsquelle hinausging, ängstigte ihn. Langsam zog sich der Jäger zurück. Auf der Empore war er bereits allein. Das lief besser als erhofft. Der Prinz schien die Gäste nach unten zu ziehen, wie das Feuer die Motten. Genieße deine Henkersmahlzeit du Bastard. Wenn du friedlich in deinem Bett liegst, werde ich dich in die Hölle schicken. Kapitel 3: Die Maske fällt -------------------------- 3. Die Maske fällt Langsam tasteten seine Finger über den kalten Marmor. Seine Sinne waren geschärft. Achtsam behielt er sein Umfeld im Auge, lauschte nach jedem Geräusch. Nichts, er war vollkommen allein auf der Empore. Die Festgesellschaft wurde merklich leiser. Die Spannung auf den erwarteten Auftritt des Prinzen war für Luc selbst hier oben spürbar. Da, er hatte den Mechanismus gefunden. Ungesehen verschwand er in dem Geheimgang. Vollkommene Finsternis umfing ihn. Seine Augen vermochten nicht den kleinsten Lichtstrahl auszumachen. Vorsichtig tastete er an der Wand links und rechts neben sich entlang. Der Stein war kühl und klamm. Die Luft roch leicht muffig. Dreißig Schritte hatte er zu gehen, dann nach rechts. Behutsam setzte er einen Fuß vor den anderen. Dann fand er die Tür zu seiner Rechten. Sie war verriegelt. Jetzt war Geduld gefragt. Geschickt führte er den Dietrich, wartete gelassen auf das ersehnte Klicken. Nach einigen Versuchen gelang es. Erleichtert trat er aus der Schwärze in den mit Fackeln erhellten Gang. Gierig sog seine Lunge die feine Luft ein. Leise schloss er die schwere Tür hinter sich und ging nach links. Der rote Teppich schluckte das Klappern seiner Absätze. Geschwind und wachsam eilte er den Gang entlang, bis er an eine Gabelung kam und die Treppe bis zum übernächsten Stockwerk nahm. Er schaute nach links zu einem großen, mit buntem Glas besetztem Fenster. Ein Vampir verharrte stumm davor und blickte nach draußen. Verdammt, er musste da raus und somit an dem Vampir vorbei. Er hoffte sich dem Vampir soweit näheren zu können, dass sich ein Kampf vermeiden ließ. Keinesfalls durfte er Aufmerksamkeit erregen. Es musste schnell gehen, bevor er von noch weiteren Augenpaaren gesehen wurde. Luc verschränkte seine Arme, den geweihten Dolch der Gilde sicher verborgen. Direkt ging er auf den Vampir zu. „Guten Abend. Solltet ihr nicht bei den anderen Gästen sein?“ Der Vampir lachte abfällig. „Um mir die Selbstverliebtheit dieses Schönlings anzuhören? Nein, wirklich nicht. Dass ich dem Prinzen verpflichtet bin, heißt nicht, dass ich ihn vergöttern muss, wie all diese dummen Schäfchen da unten. Und wie steht ist mit euch?“ Der blond gelockte Schopf musterte ihn neugierig. Luc war ihm bereits sehr nahe gekommen. Nur noch wenige Schritte. „Nun, auch ich habe besseres zu tun, als den Worten des Prinzen zu lauschen.“ Damit zog er blitzschnell den Dolch und stieß treffsicher in das Herz des Anderen. Ein Aufschrei wurde durch seine Hand sicher erstickt. Der Vampir sackte leblos in seinen Armen zusammen. Luc sah sich suchend um. Eine Leiche beseitigen zu müssen, warf seinen ganzen Plan durcheinander. Er hatte nicht viel Zeit und musste schnell reagieren. Wahllos Türen zu öffnen und nicht zu wissen, was oder wer sich dahinter verbarg war zu gefährlich. Also tat er das, was ihm am sinnvollsten erschien. Er bugsierte den Leichnam über den Fenstersims und warf ihn nach unten ins Gebüsch. Ihn hier im Flur liegen zu lassen, würde die Spur zu offensichtlich auf das gleich in der Nähe liegende Gemach des Prinzen werfen. Er konnte nur hoffen, dass der Leichnam nicht gleich entdeckt wurde. Vielleicht hatte er sogar Glück und das Sonnenlicht erledigte am Morgen den Rest. Nun hieß es klettern. Ohne zu zögern stieg er auf den Sims und glitt in die abendliche Kälte. Der Vorsprung unter seinen Füßen war sehr schmal und reichte lediglich um mit den Absätzen halt zu finden. Fest presste er seinen Rücken an die Steinwand. Seine Finger suchten vergebens nach Vertiefungen, die ihm Sicherheit geben konnten. Unter ihm ging es gut fünfzehn Meter in die Tiefe. Hätte er besseren Halt gehabt, wäre es ein Spaziergang gewesen. So fühlte er sich wie ein Seiltänzer und er hoffte, nicht gleich der Vampirleiche unten Gesellschaft leisten zu müssen. Nur nicht nach unten sehen, Luc. Du bist gleich da! Tatsächlich kam er dem Balkon zu seiner Linken immer näher. Geschafft. Geschmeidig schwang er sich über das Geländer, froh wieder sicheren Boden unter seinen Füßen zu haben. Noch einmal war das Geschick seiner Finger gefragt, als er sich an der Balkontür zu schaffen machte. Diesmal ging es schneller. Es war vollbracht. Mit einem Hauch von Ehrfurcht schlüpfte er, an dem schweren dunkelroten Vorhang vorbei, in das Schlafgemach des Prinzen. Durch das Mondlicht konnte er die Platzierung des Mobiliars gut ausmachen. Rasch fand er eine geeignete Stelle um sich auf die Lauer zu legen. Aus der Nische heraus, neben dem mächtigen Eichenschrank, hatte er den besten Blick auf das Bett, ohne selbst gesehen zu werden. Er konnte nur hoffen, dass sein Zielobjekt möglichst gleich Morpheus gute Nacht sagen würde. Wenn nicht war die Chance entdeckt zu werden ziemlich hoch und seine Erfolgsaussichten gleichzeitig mehr als gering. Das Warten machte müde. Kurzzeitig schweiften seine Gedanken zurück zum Ball. Er konnte sich die Abscheulichkeit, die in diesen Minuten unten stattfinden musste, bis ins kleinste Detail ausmalen. Er hörte Schreie. Die Schreie seiner Eltern und die seiner Brüder. Spürte die Fassungslosigkeit mit der seine kleinen Kinderaugen auf die Gräueltat blickten. Sah abgerissenen Gliedmaßen, Augen die ins Leere starrten. Seine Kleidung klebte von Blut durchnässt auf seiner Haut. Er wollte schreien, doch kein Laut kam über seine zitternden Lippen. Er fühlte sich wie gelähmt. Wach auf Luc! Komm zurück in die Gegenwart. Vergangenes kannst du nicht ändern, den armen Seelen im Ballsaal nicht helfen. Aber du kannst dazu beitragen, diesen Bestien einen schweren Schlag zu versetzten. Konzentriere dich auf etwas Schönes, Beruhigendes. Seltsamerweise musste er zuerst an Iven denken, bis er seine Gedanken zwang, das Bild von der weiten See aufzubauen. Es gelang. Wie fast immer. Das weite Blau des Himmels. Zarte Sonnenstrahlen, die sich in der Unendlichkeit des Ozeans brachen. Der gleichmäßige sanfte Wellengang beruhigte sein Gemüt, half ihm, sich zu entspannen. Er hörte Schritte. Seine Muskeln spannten sich. Fest umschloss seine Hand den geweihten Dolch. Eine Wunde von dieser Klinge würde auch der Prinz nicht mit seinen übernatürlichen Kräften heilen können. Schon bald würde er sie direkt in das Herz des Prinzen stoßen. Die Tür öffnete sich. Sofort war die Präsenz des Vampirs zu spüren. Die machtvolle Ausstrahlung war beeindruckend und fing Luc ohne weiteres ein. Ihm so nahe zu sein, war Furcht erregend. Durch jahrelanges Training hatte er sich aber gut genug im Griff, um sich Angst als Schutzmechanismus zu erlauben, ohne sich von ihr beherrschen zu lassen. Der Vampir schien keinerlei Ambition zu haben länger wach zu bleiben. Er entzündete noch nicht einmal Kerzenlicht. Achtlos wurden Stiefel in eine Ecke, Gehrock, Weste und Hemd über einen Stuhl geworfen. Kurz konnte Luc einen Luftzug des Anderen wahrnehmen. Er unterdrückte den Impuls zu atmen, verharrte stumm in seiner starren Haltung. Das Knirschen von Federkissen war zu hören. Er durfte nichts überstürzen. Er wusste, dass Vampire zum Morgengrauen hin schnell einschliefen, dennoch wollte er nichts riskieren. Nach einer Weile fühlte er sich sicher. Viel länger durfte er auch nicht mehr warten. Die Dienerschaft würde sicher bald auf den Beinen sein und der ein oder andere Untergebene wäre sicher nicht über den Tod seines geliebten Herren erfreut. Vorsichtig näherte er sich der schlafenden Gestalt. Durch das lange Warten, hatten sich seine Augen an die spärlichen Lichtverhältnisse gewöhnt. Dass der Prinz sein Gemach nicht bis aufs Letzte abdunkeln musste, zeugte von seiner Stärke. Lucs Augen wanderten über den makellosen Oberkörper unter ihm. Die helle Haut schimmerte seidig über die perfekt proportionierten Muskeln. Unwirklich schön, wie ein Gemälde wirkte der Schlafende auf Luc. Der Jäger kniete sich vor das Bett, um den besten Winkel für seinen Todesstoß zu haben. Er hob beide Hände, den Dolch sicher umschlossen. Bevor er zustach konnte er nicht anders, als einen Blick auf das Gesicht des Vampirs zu wagen. Das Blut gefror in seinen Adern. Iven. Der Prinz war Iven! Er fühlte sich wie versteinert. Lucs Herz setzte aus, sein Atem stockte. Er konnte nicht zustoßen. Warum er? Unsicher warteten seine Arme auf weitere Befehle. Luc kniff seine Augen zusammen und beschwor sich selbst. Ein Vampir. Du tötest nur einen Vampir. Einer der seit Jahrhunderten Leid sät. Der Schmerz der Erinnerung kam wieder. Das Gefühl in seine Glieder zurück. Er riss die Augen auf. Visierte den zu treffenden Punkt auf der Brust des Vampirs an und holte aus. Als seine Arme herunter sausten, wurden sie jäh gestoppt. Schmerzhaft wurden sie zur Seite und Luc in einer halben Rolle über das Bett geworfen. Bevor er die Situation begriff, fand er sich fest in die Bettlaken gepresst, unter dem Prinzen wieder. Seine fixierten Handgelenke brannten wie Feuer. „Du!“, keuchte Iven. Unwillkürlich nagten Schuldgefühle in Luc. Iven hatte in gewarnt. Ihn quasi vor dem Tod bewahrt. Und er schlich sich in sein Gemach, um ihn feige zu erdolchen. Ein Klopfen an der Tür durchbrach die Anspannung, die von beiden ausging. „Herr, ist alles in Ordnung?“ Die Klinke wurde nach unten gedrückt. Grüne Augen blickten unsicher in schwarze. Mit der freien Hand zerriss der Prinz Lucs Jackett und Hemd in einem Zug. Kühle Luft legte sich schwer auf Lucs entblößtem Oberkörper. Kurzes Entsetzen stieg in dem Dunkelblonden auf. Dann wandte er peinlich berührt seinen Kopf ab und suchte Richtung Fenster einen Ausweg. „Herr, bitte verzeiht die Störung.“ Die Tür wurde nunmehr ganz geöffnet. „Ein Bediensteter hat Björens van Salvik tot vorgefunden. Er“, der Eindringlich stockte unsicher bei dem Anblick der sich ihm bot, „wurde erdolcht.“ Mit schmalen Augen funkelte der Prinz den Störenfried an. „Und deshalb belästigst du mich. Sind deinen wachen Augen entgangen, dass ich im Moment anderweitig beschäftigt bin?!“, donnerte er. In der Tat sprach das Bild Bände. Zwei halbnackte Gestalten, schwer keuchend, in einer viel sagenden Position. Die Pulsader des Untenliegenden pochte verlockend. Dargon schien gerade den Höhepunkt des Spiels vermasselt zu haben. „Nein, bitte verzeiht. Ich dachte nur, es wäre wichtig. Wenn Jäger bereits unter uns wandeln, dann“. „Dann ist es deine Aufgabe dafür zu sorgen, dass ich mich sicher fühle, Dargon. Geh und erledige deine Arbeit. Du störst!" Die Aussage bekräftigend, strich Ivens feuchte Zunge neckisch über Lucs Hals. Luc wurde schwindelig. Dargon hatte verstanden. Mit einer weiteren Entschuldigung zog er sich zurück. Mutig blickte Luc wieder in das betörende Gesicht über ihm. „Und was jetzt? Wie weiter?“ fragte er herausfordernd. Er würde hier nicht als Mitternachtssnack enden, das stand fest. Lieber stürzte er sich kopfüber in den Innenhof. „Du hast gezögert, ich geschwiegen. Wir sind quitt, Jäger.“ Luc merkte wie das Blut in seinen Kopf schoss. Das war genug der Demütigung. „Lass mich los und ich zeige dir wie zaghaft ich bin“, antwortete er hitzig. „Ah, ich wusste gleich, dass hinter dieser ruhigen Fassade ein wahres Feuerwerk an Emotionen unter Verschluss gehalten wird.“ Damit ließ der Prinz Luc los und stand vom Bett auf. Der Schatten den der Vampir in den Raum warf wirkte bedrohlich. Luc tastete vorsichtig nach seinem Dolch und griff danach. „Denk nicht mal daran Jäger, du würdest doch unterliegen. Und dich töten zu müsse, wäre höchst unerfreulich.“ Luc fühlte sich beschämt. Nicht, weil ihm die Stärke des Anderen nur allzu bewusst war, sonder vielmehr, weil er schlicht nicht in der Lage gewesen war, einen simplen Auftrag zu erfüllen. Dabei hatte er die Chance dazu gehabt. Doch Iven hatte ihn viel zu sehr in seinen Bann gezogen. Auf eine Art und Weise verzaubert, die in Worten nicht erklärbar war. Am liebsten hätte er sein Gesicht in die Kissen vergraben. Der Prinz schien seine Gedanken zu erraten. Seine Worte wirkten fast beschwichtigend. „Du hattest Gelegenheit mich zu töten, Luc. Und du hast sie ungenutzt verstreichen lassen. Mitgefühl ist nicht unbedingt immer eine Schwäche.“ Luc befreite sich aus der devoten Haltung und ging auf Konfrontation. Iven würde ihn nicht in die Ecke treiben. „Mitgefühl? Bilde dir nicht zu viel ein Vampir. Ich habe gezögert, ja. Ich war verwirrt über die Tatsache, dass ich mich den halben Abend mit meiner Zielperson unterhalten habe, ohne es zu merken. Das hat nichts mit Gefühlen zu tun. Erst recht nicht mit so einer zarten Empfindung wie Mitgefühl. Ein Gefühl, dass keine von euch Bestien auch nur im Ansatz verdient.“ Nun beugte sich der Schatten über ihn. Zwei Fingerspitzen kitzelten unter Lucs Kinn. Zwangen ihn sanft in die schwarzen Höhlen zu blicken. „Wen willst du überzeugen Luc? Dich oder mich?“ Hass stieg in dem jungen Jäger auf. Brüsk schlug er die Hand an seinem Kinn beiseite und stand auf. „Fühle dich nur nicht zu sicher. Dass ich heute versagt habe, kann ich nicht mehr ändern. Aber es wird eine neue Gelegenheit geben und das nächste Mal, werde ich meine Chance besser nutzen.“ Es war raus. Er hatte nicht nur sich, sondern auch Iven gegenüber eingestanden, dass er versagt hatte. Er fühlte sich befreit. Er wusste, dass er dem Vampir damit seine Angriffsfläche genommen hatte. Zumindest das. „Nun, das hoffe ich Luc. Dass wir uns wieder sehen, meine ich.“ Verdammt, hatte er gerade nicht zugehört? Er würde ihn töten. Den geweihten Dolch tief in seinem toten Herzen versenken, bis es keine Regung mehr gab. Seine Seele endgültig in die Hölle befördern. Luc hatte das Gefühl noch etwas erwidern zu müssen, um ernst genommen zu werden. Doch der Prinz lächelte nur. „Geh durch den Eichenschrank. Nach etwa zehn Minuten kommst du an das Ende des Ganges, der durch eine Höhle zu einer Waldlichtung führt. Wenn du dich südlich hältst, erreichst du die Straße, die zurück in die Stadt führt.“ Ungläubig blickte Luc den Vampir an. „Hast du mir nicht zugehört? Ich werde meinen Auftrag dich zu töten erfüllen. Wenn nicht heute, dann ein anderes Mal. Und du willst mich gehen lassen und zeigst mir obendrein noch einen Geheimgang direkt in dein Gemach?“ „Du kannst nicht durch das Schloss zurückgehen und durch den Eingang hinaus spaziere, ohne geschnappt zu werden. Björens Gefährten werden Rache fordern, vor der ich dich nicht schützen kann. Also geh. Ich verlasse mich darauf, dass du dieses Wissen nicht ausnutzt.“ Da war es wieder dieses Gefühl der Vertrautheit. „Du meinst es ernst. Bin ich in deinen Augen so manipulierbar und schwach, dass ich meinen Pflichten als Elitejäger nicht nachkommen kann oder hältst du mich wahrlich für so ehrenhaft, dass ich dieses Wissen nicht ausnutze?“ „Wieso kümmert dich, was ich über dich denke?“ Schon wieder. Ohne es zu merken, hatte er eine weitere Schwachstelle offen gelegt. Er fühlte sich wie Wachs in Ivens Nähe. Eine Nähe die dieser noch verringerte, als er auf Luc zu trat und ihn sanft aber bestimmt in seine Arme zog. Wie eine Feder glitt die Maske zu Boden und raubte dem Jäger den letzten Schutz. Luc wollte sich wehren, doch nicht die kleinste Zelle in ihm gehorchte seinen Befehlen. Wieder dieser Hauch von Frühling auf seinen Lippen, welcher seinen ganzen Körper erwärmte. Kaum verstrichen fühlte er wieder diese innere Leere in sich. Sehnsüchtig schrie seine Seele nach mehr. „Du musst dich beeilen.“ Ein neuerliches Klopfen störte die Intimität. „Iven, alles in Ordnung?“, eine klare forsche Stimme, die nicht um Einlass bitten würde. „Aber warum?“ Zweifelnd suchte der Dunkelblonde nach Antworten in Ivens Gesicht. „Geh!“ Ohne sich nochmals umzudrehen folgte Luc der Aufforderung und flüchtet. Mehr vor Iven, als vor den suchenden Vampiren. Wie genau die engen Gänge verliefen, nahm er nicht wahr. Er stürzte zweimal, weil er weder auf die Senkung, noch auf die Unebenheiten des Bodens achtete. Atemlos erreichte er die Höhle, die den Ausgang zur Waldlichtung wies. Durch das Gestrüpp konnte er bereits die Straße ausmachen. Das Geäst zerriss den restlichen ganzen Stoff seines Hemdes, hinterließ mehrere Kratzer auf seiner Haut. Es war ihm gleich. Alles erschien ihn mit einem Male so furchtbar sinnlos. Leere war das einzige was blieb, als er die Straße erreichte. Kapitel 4: Schatten ------------------- 4. Schhatten Er hatte einen Stein im Magen. Bereits seit Minuten stand er vor dem Zimmer des Generals. Minuten die ihm wie eine Ewigkeit vorkamen. Am liebsten hätte er sich verkrochen, um mit sich ins Reine zu kommen. Stattdessen musste er Rechenschaft über seinen misslungenen Einsatz ablegen. Aber wie sollte er etwas erklären, was er selbst nicht verstand? Er konnte sein Scheitern schlecht darauf stützen, dass er durch die Aura des Prinzen so sehr bezaubert und einvernahmt wurde, dass er handlungsunfähig war. Dennoch war es die Wahrheit. Iven hatte ihn so vollkommen in seinen Bann gezogen, dass er zeitweise sogar vergaß, dass er mit einem Vampir sprach. Er hatte sich schwach und verletzlich gefühlt und gab diesem Gefühl der Unfähigkeit bereitwillig nach. Er verachtet sich selbst für seine Emotionen. Zu versagen war das eine. Auf welche Weise er scheiterte, schlicht indiskutabel. Er hatte seine Gefühle bisher immer unter Kontrolle gehabt. Selbstdisziplin war stets eine Gabe, die er bis zur Perfektion beherrschte. Er kannte kein Mitleid mit diesen Bestien. Nur kalten Hass. Bis jetzt. Die Tür öffnete sich. Luc fühlte wie sich sein Hals zuschnürte. Er betrat den spärlich beleuchteten Raum. Die rustikalen Mahagonimöbel und Holzvertäfelungen gestalten das Zimmer dunkel und erhaben. Angespannt blieb der Jäger vor dem großen runden Besprechungstisch stehen, über dem ein riesiger Kronleuchter herrschaftlich prangte. Der General Babtiste van Dur und Philippe Constenz, sein Mentor und Oberstleutnant der Garde, saßen ihm gegenüber. Luc war erleichtert sich nicht vor dem gesamten Gremium verantworten zu müssen. Phils sanfte Augen ermahnten ihn zur Haltung. „Bitte setzt euch Luciel Baldur.“ Der vitale Klang der Stimme des Generals, verriet nichts über dessen beachtliches Alter. Luc tat wie ihm geheißen. „Nun, ich möchte keinen Hehl daraus machen, dass ich persönlich sehr enttäuscht von euch bin. Wir hatten die einmalige Gelegenheit das Oberhaupt des hiesigen Vampirclans zur Strecke zu bringen. Gerade in politischer Hinsicht mehr als ärgerlich, dass dies misslungen ist. Die Einflussnahme des Prinzen auf die Geschicke des Landes nimmt mit besorgniserregender Geschwindigkeit zu.“ Politik. Diese alten machtgierigen Aristokraten. Politik war in Lucs Augen völlig überbewertet. Worum es ihm ging, war der stille Schutz von unschuldigen Menschenleben. Ihr Blut, das zur Lebenserhaltung dieser Ungeheuer diente, sollte die Gilde kümmern und nicht politische Ränke. Lucs Mitschuld an Ivens nächsten Opfern legte sich auf sein Gewissen, wie ein Mantel aus Eisen. Da war es wieder, dieses brennende Gefühl von Rache. Wie konnte er sich von Iven nur so einlullen lassen? „Bitte klärt uns über den Verlauf eurer Mission auf, Jäger Baldur. Und versteht mich nicht falsch. Ich mache euch nicht wirklich einen Vorwurf. Dass es schwer, beinahe unmöglich ist, den Prinzen zu liquidieren, ist uns durchaus bewusst. Umso mehr sind wir auf eine genaue Schilderung der Umstände angewiesen.“ Luc musste auf Angriff gehen. Unter keinen Umständen durfte er die wahren Gründe darlegen. Gefühle waren nichts, was sich ein Elitejäger leisten konnte. Erst recht nicht, wenn sie seine Fähigkeiten einschränkten. Er antwortete mit fester Stimme, der ein leicht aggressiver Unterton mitschwang. „Bei allem Respekt, was erwartet ihr? Was nützt es euch zu wissen, wie was genau geschah? Es wird uns nicht helfen. Wir hatten die Chance. Oder vielmehr ich hatte sie und habe sie vertan. Kein Mitglied der Garde, wird dem Prinzen je wieder so gefährlich nahe kommen können. Wie ihr bereits sagtet, es war eine einmalige Gelegenheit. Ich würde mir selbst das Herz durchstoßen, wenn ich daran irgendetwas ändern könnte, aber ich kann es nicht! Er war zu mächtig. Ich hatte keine Chance. Der Umstand, dass ich es in sein Gemach geschafft hatte, änderte nichts daran, dass er zu stark war. Ich konnte gerade einmal zum Schlag ausholen, als ich auch schon überwältigt wurde. Flucht war das einzige was blieb. Nicht aus Angst, einfach nur aus Instinkt.“ Er hatte nicht gelogen, gleichwohl die Wahrheit verschwiegen. „Keiner macht euch einen Vorwurf, dass ihr entkommen wolltet.“ „Nein, aber das ich entkommen bin.“ Luc verbarg seine Bitternis nicht. “Ich habe die Blicke gesehen, mit denen ich gemustert wurde. Die stummen Fragen und Anklagen meiner Kameraden in der Garde. Wieso hat er überlebt? Was hat er dafür getan oder nicht getan? Und in der Tat, bei der Vielzahl der Menschen die an diesem Abend ihr Leben lassen mussten, grenzt es an ein Wunder, dass ich noch unter den Lebenden wandle.“ Lucs Stimme bebte als er fortfuhr. „Wie konntet ihr dieses Massaker zulassen?!“ Dem scharfen Blick des Jägers entging nicht, dass sich der General ertappt fühlte. „Wir hatten keine Wahl. Einen Kampf in dieser Tragweite zu provozieren, käme einer Kriegserklärung gleich. Eine die sich die Gilde nicht leisten kann. Wir konnten unmöglich ein Regiment zur Zerschlagung des Festaktes abkommandieren. Nicht auf dem privaten Boden des Prinzen. Die Konsequenzen wären fatal gewesen. Eine derartige Herausforderung zu suchen, würde über kurz oder lang alle Clans vereinigen und das Ende er Gilde bedeuten. Daher war die stille Liquidierung des Prinzen so vehement von Bedeutung. Hätten wir eingegriffen dann“. „Dann würde ich mich jetzt nicht so schmutzig fühlen“, warf der Jäger ein. „Es tut mir leid Luc.“ Die vertraute Stimme seines Mentors klang beschwichtigend. „Aber wir wussten, dass du niemals einwilligen würdest, wenn wir dir alles offenbart hätten. Ich wünschte ich hätte dich vor diesem Schmerz bewahren können, aber du erschienst uns als die beste Wahl.“ Phils Worte fraßen sich grausam in sein Herz. Auch er hatte davon gewusst und ihn wissentlich in dieses Loch aus Schmerz gestoßen. Dabei war sein Mentor der einzige der verstand, wie sehr ihn diese Grausamkeit quälte. So viel Blut klebte nun an seinen Händen. Einzig aus Machtlosigkeit. Die Schuld schien ihn zu ersticken. Er konnte Iven letzte Nacht nicht töten. Keine Vergeltung für die vielen verlorene Seelen üben. Der Wusch zu schreien wurde übermächtig. Er wollte los lassen. Sich von seinem Schmerz und Zorn befreien. Seine Wut brauchte dringend ein Ventil. „Sind wir fertig?“ fragte Luc barsch. Das war mehr als anmaßend. Es war bekannt, das der dunkelblonde Jäger nie ein Blatt vor den Mund nahm. Aber offen zu sprechen, war doch etwas anderes, als eigenständig eine Anhörung aufzulösen. Die Verärgerung des Generals über diese Respektlosigkeit sprach in dem faltigen Gesicht Bände. „Dann habt ihr keine weiteren Erkenntnisse für die Gilde?“ „Nichts, was von Belang wäre.“ Der General nickte unzufrieden. „Ihr dürft euch entfernen.“ Ohne ein weiteres Wort verließ Luc den Raum. Eine Lüge. 'Ich verlasse mich darauf, dass du dieses Wissen nicht ausnutzt', die Worte brannten in seinem Kopf. Ein Geheimgang in das Schlafzimmer des Prinzen. Er hatte nichts gesagt. Schlimmer er hatte wissentlich gelogen. Und das, bei einem so schwerwiegenden Wissen. Luc hätte es nur zu gerne auf seine Ehre geschoben. Doch tief in sich wusste er, dass er Iven einfach nicht verraten und ausliefern wollte. Mit aller Wucht donnerte seine Faust an die Tür. „Vernon, bist du da?!“ Bevor sein Klopfen noch einmal durch den Gang hallen konnte, wurde die Tür geöffnet. „Luc! Ich habe gehört, dass du zurück bist.“ „Du meinst, dass ich versagt habe.“ „Hej, lass deine Wut über diese Angeber nicht an mir aus. Du weißt, dass ich hinter dir stehe. Und ehrlich, ich bin froh dich heil wieder zu sehen.“ Das breite Grinsen des Brünetten beschwichtigte Luc. „Ich muss mich abreagieren.“ „Geht klar. Fechten?“ Jetzt grinste Luc zurück „Fechten.“ Sie galoppierten zum Stadtrand. Luc konnte den Anblick von Menschen nicht ertragen. Er musste weg, raus in die freie Natur. Sehnsüchtig trieb er seinen Schimmel durch die dichten Wälder, der grünen Erhöhung entgegen. Hier oben hatte man bei klarer Sicht, einen atemberaubenden Blick über die umliegende Städte und Wälder. Noch ein kleines Stück. Der eisige Wind schnitt in das Gesicht des Dunkelblonden. Er wusste, dass Vernon seine Stute ganz schön antreiben musste, um mithalten zu können. Keuchend stieg er ab. Der Ausblick war heute nicht so gut wie sonst. Dicke grauweiße Wolken hingen am Himmel und warfen ihre Schatten bedrohlich auf die Erde. Die Luft roch nach Winter. Sicher würde bald der erste Schnee fallen. Luc legte den warmen Mantel ab. Er wollte beweglich sein. Die kühle Luft wurde von seinem erhitzten Körper freudig begrüßt. „Sicher, dass du noch einen Kampf brauchst um runter zu kommen. Der Ritt war anstrengend genug.“ Luc zog sein Rapier. „Etwa müde?“ Vernon nickte wissend. „Ok, hab schon verstanden. Es geht nicht um ein kleines Verausgaben, um zur Besinnung zu kommen. Du hast richtig viel Wut im Bauch, stimmt's?“ Luc ging in Angriffsstellung. Vernon zögerte nicht weiter und zog ebenfalls sein Rapier. „Bist du dir sicher, dass dir eine Aussprache nicht besser tun würde?“ Luc ging nicht darauf ein. Geschwind trugen ihn seine Füße nach vorne. Seine Muskeln spannten sich. „Wehr dich!“ schrie er seinem Freund noch entgegen, bevor die Klingen aufeinander prallten. Sein Adrenalin stieg. Das schrille Surren der Waffen war wie Musik in seinen Ohren. Sie schenkten sich nichts. Wie immer. Luc war wie im Wahn. Wenn Vernon oder er einen Fehler machen würden, dann würde einer von ihnen ernsthaften Schaden davon tragen. Er wusste es und nahm es in Kauf. Sie beide. Deshalb liebte er das gegenseitige Kräftemessen. Sie hatten beide keine Angst. Nie. Der dünne Stoff seines Hemdes klebte auf seiner Haut. Sein Herz schlug unerbittlich gegen seine Brust und verlangte eine Pause. Nein, er wollte dieses Gefühl weiter in sich spüren. Merken, dass er lebte. Sein rechter Unterarm brannte. Der weiße Stoff färbte sich rot. Vernon hatte ihm einen tiefen Schnitt versetzt. Es kümmerte Luc nicht. Noch war er nicht besiegt. Er holte aus. Wieder und wieder. Langsam, aber sicher trieb er seinen Gegner in die Enge. Nun war seine Schnelligkeit und Geschick gefragt. Zielsicher lockte er den Größeren in eine Finte und holte zum entscheidenden Schlag aus. Scheppernd prallte Vernons Rapier an den nahe stehenden Baumstamm und viel dumpf zu Boden. Seine Klinge hingegen ruhte ruhig auf der Brust des Anderen. „Ich habe gesiegt.“ „Ja, das hast du.“ Vernon zog sein Hemd einige Zentimeter in die Höhe. Eine klaffende Wunde über der rechten Hüfte, entstellte die sonst bronzen schimmernde Haut. Schuldbewusst sah Luc auf die Verletzung seines Freundes. Er hatte bei aller Aggressivität nicht gemerkt, dass er Vernon so schwer verletzt hatte. „Das tut mir leid. Mir ist nicht aufgefallen, dass“. „Lass gut sein, Luc. Ich weiß welches Risiko ich eingehe, wenn ich mit dir ein Duell mit blanken Waffen austrage. Außerdem hab ich dich diesmal auch ganz schön erwischt.“ Der Dunkelblonde begutachtet das Malheur an seinem rechten Unterarm. „Stimmt.“ Erschöpft ging Luc zu seiner Satteltasche um Verbände zu holen. „Ich kümmere mich erst um deine Wunde. Ich hoffe sie ist nicht zu tief.“ „Eine Schnittwunde, nichts weiter. Mach dir keinen Kopf, das heilt schon wieder. Und die Stelle wirst du nicht noch einmal erwischen, das verspreche ich dir, Freund.“ Ein Lächeln schien das trübsinnige Gesicht endgültig zu vertreiben. Gekonnt versorgte er Vernons Wunde, die ernsthafter war, als dieser zugeben wollte. Anschließend half ihm der Brünette dabei, eine Bandage um seinen Unterarm zu legen. „Lange her, dass ich dich so wütend gesehen habe. Was ist bei dem Maskenball passiert?“ Um Zeit zu gewinnen, holte Luc einen Wasserschlauch und zwei Äpfel aus der Satteltasche, bevor er sich wieder neben seinen Freund setzte. „Ich habe gepatzt. Eine Schwäche in mir entdeckt, die ich vorher nicht kannte. Und das macht mir Angst. Weiter möchte ich darüber nicht sprechen. In Ordnung?“ Luc würde Vernon sein Leben anvertrauen. Aber er kannte seinen Freund auch lange genug um zu wissen, dass seine Loyalität in erster Linie der Garde gehörte. Er war durch und durch ein folgsamer, kontrollierbarer Soldat. Ein ergebender Diener der Gilde. „Dann ist es also wahr was man sagt? Über die mentale Macht der höchsten Vampire meine ich.“ Er wusste schon zu viel. Vernon kannte ihn gut genug, um Gesagtes richtig zu interpretieren. Luc entschied sich für das einzig Richtige. Schweigen. „Apfel?“ „Danke.“ Der Rückritt war langsam. Schon alleine um Vernons Wunde zu schonen. Es dämmerte langsam. Die aufkriechende Nacht weckte Wehmut in Luc. Als sie sich den Stadttoren näherten, versanken auch die letzten Sonnenstrahlen hinter dem Horizont. „Ich habe einen Bärenhunger. Wie stet's mit dir?“ Vernon riss Luc aus seiner Melancholie. „Ja, schon.“ „Lass uns in eine Taverne gehen.“ „In eine Taverne, oder in die Taverne?“, stichelte Luc. Er wusste genau, dass Vernon nicht wegen des guten Essens in den 'Spielmann' gehen wollte, sondern wegen der rothaarigen Schönen, der er bereits seit geraumer Zeit den Hof machte. „Nun schau nicht so mürrisch. Wir können gerne dorthin gehen. Aber hältst du es nicht für besser, deine Wunde zunächst untersuchen zu lassen?“ „Ach was, ich bin nicht zimperlich und wenn ich umkippe, bringst du mich schon heim.“ Das schallende Lachen seines Freundes stimmte Luc fröhlicher. „Na dann, statten wir deiner holden Maid einen Besuch ab.“ Er fühlte sich beobachtet. Abermals schweifte sein Blick über die Gäste. Nichts. Niemand der ihn anstarrte oder gar beobachtete. Vernon stupste ihn von der Seite an. „Sie hat mich angelächelt.“ „Ich will dir ja nicht die Euphorie nehmen, aber sie lächelt jeden zahlenden Gast an. Und nachdem du bereits zum fünften Mal nachbestellt hast, kann es schon sein, dass ihr Lächeln etwas größer ausfällt.“ „Nein, das meine ich nicht. Schau in ihre Augen. Bei mir strahlen sie. Es ist wie Magie zwischen uns. Hast du so was noch nie erlebt?“ Lucs Brust verkrampfte sich. Ja, so sehr er sich auch sträubte, er kannte diese Magie. Das Strahlen anderer Augen, die einen anblicken, als sei dieser Moment das Schönste auf der Welt und alles andere unwichtig. Wieder fühlte er sich beobachtet. Diese mächtige Aura, er konnte sie beinahe greifen. Oder war es nur Einbildung? Wunschdenken? Die Hoffnung seiner Sehnsucht einen Moment Erfüllung verschaffen zu können? Luc ärgerte sich über sich selbst. Wieso bekam er Iven nicht aus seinem Kopf? Er hob den Becher an seine Lippen. Er hatte sicher zu viel getrunken. Dieser einer noch, dann war Schluss. „Sie kommt her.“ Luc war leicht genervt. Bereits den ganzen Abend brachte Vernon keinen vernünftigen Satz zustande. Der Brünette schweifte ständig ab und benahm sich zeitweilig wie ein Idiot. „Ja, weil dein Becher schon wieder leer ist und sie bestimmt nachfüllen möchte.“ „Warum kannst du mir nicht einfach Mut zusprechen und dich für mich freuen?“ Ja, warum konnte er es nicht? War er tatsächlich so eifersüchtig auf seinen Freund, dass er ihm diesen schönen Abend madig reden musste? Neidisch, dass Vernon bereits seine Liebe gefunden hatte. Eine, die sich erfüllen durfte. Nein Luc, so tief sind diese Gefühle in dir nicht! Es war schließlich nur eine Begegnung. Mach dich nicht verrückt. Nur Hirngespinste, weiter nichts. Vernon hatte recht. Er verhielt sich unfair. Seine schlechte Laune musste er wahrlich nicht auf seinem Freund abwälzen. Immerhin war der Brünette immer für ihn da, wenn er seine Hilfe brauchte. Luc nahm noch einen tiefen Schluck und ging zu der Rothaarigen, gerade rechtzeitig um sie abzufangen, bevor sie an ihren Tisch kam. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Vernon protestieren wollte. „Darf ich euch höflich um einen Gefallen bitten, schöne Maid?“ Überrascht aber auch geschmeichelt musterten ihn die hellblauen schmalen Augen der jungen Frau. „Wie kann ich euch helfen, werter Herr?“ „Es geht eigentlich nicht um mich, sonder um meinen Freund dort drüben. Wisst ihr, er wurde heute in einem Kampf schwer verwundet, aber all meine Überredungskünste ihn zu einem Arztbesuch zu bewegen scheiterten.“ „Herr, ich weiß nicht recht wie ich da helfen könnte. Der Heilkunde bin ich nicht mächtig.“ „Nun ja, der Grund weshalb er sich weigert einen Arzt aufzusuchen, liegt an einer viel größeren Wunde. Die in seinem Herzen. Er wollte euch nahe sein, koste es was es wolle.“ Die Wangen der Frau erröteten leicht „Ihr treibt keine Späße mit mir oder? Nur ein Narr riskiert seine Gesundheit um meinetwillen.“ „Nein, ich mache keine Späße und ich würde euch gewiss nicht damit behelligen und meinen Freund in diese beschämende Situation bringen, wenn ich mir nicht sicher wäre, dass er schleunigst einen Verbandswechsel braucht.“ „Wenn ihr lügt, kommt euch das teuer zu stehen!“ Als Antwort legte Luc eine Silbermünze in ihre Hand. „Bitte kümmert euch gut um ihn. Er ist ein netter Kerl und ein guter Mensch. Er macht euch bestimmt keine Schwierigkeiten.“ Fassungslos nahm sie das wertvolle Geldstück und inspizierte es. „Würde es euch wundern, wenn ich sage, dass ich noch nicht oft in Besitz solch kostbarer Habe war?“ Sicher nicht, Luc wusste nur zu gut, von dem harten Leben der Mittelschicht, die sich als solche nur bezeichnen konnte, weil sie mehr zum Leben besaß, als die Bettler auf den Straßen. „Behaltet es, werter Herr. Ich bin nicht käuflich und euer Freund ist mir bereist früher sympathisch aufgefallen. Ich kümmere mich um ihn, weil ich denke, dass er es wert ist.“ Damit wandte sie sich ab. An Vernons Gesichtsausdruck, konnte er sehen, dass sie ihn wieder mit diesem Lächeln ansah, welches er so liebte. Ja, mein Freund, sie besitzt ein gutes Herz und scheint eine aufrichtige Frau zu sein. Den Rest musst du nun schon selbst erledigen. Er war sich sicher, dass Vernon seinen Gruß nicht mehr wahrgenommen hatte. Lächelnd verließ er die Taverne. Die Nacht tauchte die Umgebung in ein tiefes Schwarz. Schwarz und verlockend wie die Augen des Prinzen. Er konnte die stumme Aufforderung sich fallen zulassen gegenwärtig wieder spüren. Wie Puzzlestücke setzten sich die Bilder der letzten Nacht vor seinem geistigen Auge zusammen. Krampfhaft versuchte er sie abzuschütteln. Wachsam machte er seinen Weg aus. Einzig ein paar spärlich angebrachte Fackeln beleuchteten die Straßen. Langsam schritt er durch die engen Gassen, seinen Schimmel neben sich führend. Immer noch bildete er sich ein, Augen auf seinem Rücken zu spüren. Es war kalt und dennoch fühlte er eine gewisse Wärme in seiner Nähe. Bei jedem flatternden Schatten hielt er inne. Huschende Ratten, wehende Bettlaken im Wind. Die Vorahnung blieb. Suchend musterten seine grünen Augen die Umgebung. Nichts. Dabei war er sich so sicher. Er war hier. Oder machte er sich selbst verrückt? Und was wäre wenn? Wie würde er reagieren, wenn er Iven noch einmal Angesicht in Angesicht gegenüberstand? Konnte er das nächste Mal widerstehen? Würde er seine Emotionen beherrschen können oder würde wieder das Gefühl dominieren, ins Bodenlose zu fallen? Besaß er die Kraft, ihm mit der gleichen Verachtung, mit dem gleichen Hass entgegenzutreten, wie all den anderen Vampiren? Oder wäre er nur wieder berauscht von seinem einnehmenden Charisma? Sein Kopf pochte. So viele Gedanken die er nicht einordnen konnte. Fragen, deren Hall ihn Taub machte. Gefühle, die fremd und ängstigend waren. Sein Herz verkrampfte sich. Er fühlte innerlichen Schmerz, den er nicht zu beschreiben vermochte. Diesen und ein Hauch von Glück. Leere und gleichzeitig Erfüllung, die er bereits sein ganzes Leben lang gesucht hatte. Er wünschte sich, in Ivens starken Armen versinken zu können. Wollte die wohlige Stimme hören, die ihm sanft zuflüsterte, dass alles in Ordnung sei. Doch nichts war in Ordnung. Rein gar nichts. Wieder eilte ein Schatten an ihm vorbei. Intuitiv griff er nach seinem geweihten Dolch und warf ihn in die Schwärze. Ein Jauchzen gellte durch die Gasse. Luc eilte näher. Kopfschüttelnd bückte er sich und griff nach unten. „Herzlichen Glückwunsch Luc. Du hast soeben todesmutig eine streunende Katze zur Strecke gebracht.“ Leicht angeekelt wischte er das Blut von der Klinge mit einem Taschentuch ab, welches er achtlos zu Boden warf. Wach endlich auf! Hier ist niemand. Zumindest kein Vampir. Und der Prinz würde sich wohl kaum in so einer Gosse aufhalten. Wieso glaubst du überhaupt, dass du für ihn so interessant sein könntest, dass er dich verfolgt und beobachtet? Und wenn du ihn wiedersehen solltest, dann gibt es nichts zu überlegen. Nichts zu fühlen. Du hast ihn zu vernichten und du wirst deiner eigenen Maxime Treue beweisen und ihn töten, genau wie jeden anderen dieser verdammten Blutsauger. Eine einzelne Träne brannte wie Säure auf seiner Haut. Du hast geschworen sie alle auszulöschen. Keine Ausnahme. Kapitel 5: Neue Chance ---------------------- 5. Neue Chance Er hatte eine unruhige Nacht. Stundenlang wälzte er sich von einer Seite zur anderen. Seine Gedanken wollten einfach nicht schweigen. Immer wieder bauten sie Bilder, die nichts in seinem Kopf zu suchen hatten. Erst bei Morgengrauen fiel er erschöpft in einen tiefen, traumlosen Schlaf, aus dem er jäh geweckt wurde. „Luc! Steh bitte auf, ich muss mit dir reden!“ Mürrisch wand sich Luc aus seinem Bett. „Phil bitte, ich hatte eine wirklich kurze Nacht.“ „Glaubst du, meine war länger oder erholsamer? Ich mache mir ernsthafte Sorgen um dich.“ Verschlafen ging der Dunkelblonde zur Waschschüssel. Das kühle Nass belebte sein Gesicht etwas. „Du willst also reden, als Vorgesetzter?“ „Deinen dienstlichen Bericht hast du bereits gestern abgelegt. Ich möchte die ungeschönte Version hören. Als dein Ziehvater, der dir Beistand leistet.“ Luc ging nicht darauf ein. Selbst Phil würde nie begreifen können, was ihm widerfahren war. „Ich habe nichts weiter vorzutragen und bei aller Liebe und Dankbarkeit, ich brauche deinen Beistand nicht.“ „Doch den brauchst du, Luc. Vielleicht mehr als du dir vorstellen kannst.“ Ruhig durchquerte der Grauhaarige das kleine Zimmer und ließ sich erschöpft in den Sessel vor dem Kamin sinken. Luc stellte mit Erschrecken fest, dass sein Mentor in den letzten Jahren merklich gealtert war. Immer noch sprühte sein Lehrmeister vor Kraft, aber die Müdigkeit in dessen Körper begann langsam die Oberhand zu gewinnen. „Alles in Ordnung?“ Luc konnte die Sorge in seiner Stimme nicht verbergen. „Ja, Luc. Mit deinem alten Lehrer ist alles in Ordnung. Nur mit seinem Schüler nicht. Bitte setze dich zu mir.“ Luc folgte der Aufforderung und nahm auf dem Bärenfell vor dem Kamin platz. „Ich sagte dir schon, dass ich nichts weiter hinzuzufügen habe, also sprich aus was du zu sagen hast.“ Phils Blick ruhte noch eine Weile in dem warmen Feuer des Kamins, bevor er das Wort an seinen Zögling richtete. „Ich kenne dich Luc. Du kannst vielleicht dem General etwas vormachen, aber nicht mir. Ich habe dich gefördert. Zum besten Elitejäger der Garde gemacht. Du kannst mir nicht erzählen, dass du in einem Kampf davon gelaufen bist. Der Luc, den ich kenne, den ich ausgebildet habe, hätte nichts unversucht gelassen, um den Prinzen zu töten. Auch wenn es ihm das Leben gekostet hätte. Er hätte gekämpft, bis zum Ende. Demnach gibt es für mich nur eine Erklärung.“ Angespannt krallten sich Phils knorpelige Finger fest in das braune Leder der Sessellehnen. “Du standest nie vor der Wahl Flucht und Leben oder Kampf und Tod. Also was ist passiert? Raus mit der Sprache Luc!“ Phil hatte so Recht. Ja, hätte es einen Kampf auf Leben und Tod gegeben, er wäre geblieben, bis zum letzten Atemzug. Aber es ging nicht um sein Leben, sondern um seine Seele. Beschämt blickte er in die wütenden Augen seines Mentors. Er konnte darauf einfach nichts erwidern. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Der Härte in Phils Gesicht, wich Milde. „Er hat dich verzaubert. Unter Hypnose gesetzt und deinen Willen gelenkt, nicht wahr? Bei Gott, ich hatte gehofft, dass dein tiefer Hass stark genug sein würde, um ihm zu widerstehen.“ Ungläubig musterte der Schüler seinen Mentor. „Dann wusstest du von seiner Macht? Kannst sie begreifen und erklären?“ Die blaugrauen Augen schweiften zurück in die Flammen. „Cecilia. Du erinnerst sich an sie? Die Frau, der ich einst mein Herz schenkte und die meine Liebe mit Füßen trat?“ „Ja. Einige Zeit lang konntest du von fast nichts anderem mehr sprechen, als von ihr. Ich erinnere mich noch mit Schrecken daran, dass du einmal sagtest, für sie würdest du die Gilde aufgegeben.“ „Nein Luc, nicht nur aufgegeben. Ich hätte die Gilde und all ihre treuen Diener für sie geopfert. Selbst dich. Ja, so verfallen war ich ihr. Cecilia, mein Ein und Alles. Sie war die Schwester des Prinzen.“ „Cecilia war Ivens Schwester?“ Ein Schauer lief über Lucs Rücken. Alleine seinen Namen auszusprechen, weckte Erinnerungen, Empfindungen. „Dann kennst du also seinen Namen“, stellte der Ältere nüchtern fest. „Ja, ich kenne seinen Namen und es hätte geholfen, ihn vorher zu erfahren. Aber aus jedem hohen Vampir, macht die Gilde ja ein unantastbares Geheimnis.“ „Ich bitte dich, Luc. Diese Diskussionen hatten wir schon zu genüge. Es ist zu riskant und würde falsche Ambitionen fördern. Das Gleichgewicht aus den Fugen reißen, wenn es jemand wagen sollte, aus eigenem Antrieb zu handeln. Wir bekämpfen Vampire, aber ihre Reihen sind mit denen der Menschen verflochten und dürfen nicht offengelegt und wahllos zerschlagen werden.“ „Danke, dass du mich eben daran erinnert hast, weshalb ich es tausendfach vorziehe in den Kampf zu ziehen, als an einem fadenscheinigen Verhandlungstisch beizuwohnen.“ Den Rest seines Ärgers unterdrückte der Dunkelblonde. Außer, dass er Phil mit seinen Ansichten kränkte, käme wie immer nichts dabei heraus. „Ich nehme nicht an, dass sein Name beiläufig im Kampf gefallen ist. Wie nah seid ihr euch gekommen?“ Bewusst wich Luc der Frage aus. „Ich wusste nicht, dass Cecilia ein Vampir war.“ Luc war von dieser Tatsache ehrlich betroffen. Erst jetzt wurde ihm klar, welche Qual sein Mentor einst wirklich litt. Er hätte sich dafür Ohrfeigen können, dass er das Ausmaß seiner Verzweiflung damals nicht begriff. Er hätte mehr für ihn da sein sollen. Eine größere Stütze bieten müssen. „Es war ein unglücklicher oder nach heutigem Standpunkt, wohl eher ein glücklicher Zufall, dass sie vor fast zwei Jahren bei einer Routinesäuberung starb. Sie hätte gar nicht dort sein sollen. Ich selbst war nicht dabei, sonst hätte ich ihr Leben schützen können. Sie durch das Blut meiner eigenen Gefährten vor dem Tod bewahren können. Ich war Blind. Für alles. Obgleich ich wusste, dass ich ihr gleich war. Nie machte sie mir Illusionen und doch war ich in einer gefangen. Erst als sie starb, gab sie meine Seele wieder frei. Es war wie ein Neuanfang. Du siehst also, ich kenne die ängstigende Einflussnahme auf unsere Gefühle der hohen Vampire, nur zu gut. Ich hatte mich ganz und gar der Liebe zu ihr verschrieben. Einzig ihr Tod, durch die Hand eines unwissenden Jägers hat mich und die gesamte Gilde vor mehr Schaden bewahrt.“ Luc verlor seine Hemmungen. Gerade vor Phils anklagendem Wesen hatte er Angst gehabt. Ihn zu beschämen, war schlimmer, als vor dem General in Ungnade zu fallen. Zu wissen, dass es nunmehr nicht viele Worte benötigte um sich zu erklären, nahm eine Last von seinen Schultern, deren Gewicht sich nicht ermessbar war. „Ich begreife nicht, wie es geschehen konnte. Ich dachte immer, ich hätte einen unbeugsamen Willen und einen starken Geist. Er gab mir sein Versprechen, gegen mich keinerlei Macht einzusetzen und ich glaubte ihm. Aber auch ohne sein Zutun, wurde ich unweigerlich in seinen Bann gezogen. Wir tranken, sprachen, lachten. Es war erschreckend festzustellen, wie leicht es ihm gelang, mich zu bezaubern. Ich redete mir ein, dass er gelogen hatte. Dass ich seiner Hypnose nicht gewachsen war. Jede Minute versuche ich noch immer eisern an diese Erklärung zu glauben. Aber es hilft nichts. Ändert nichts. Iven sprach die Wahrheit und hielt sich zurück. Mein kläglicher Versuch eine Rechtfertigung zu finden ist nichts als Lüge. Und ich verachte mich für diese Schwäche. Als ich vor ihm stand und den geweihten Dolch auf seine schlafende Gestalt gerichtet hatte, fühlte ich mich verloren. In diesem Moment, als ich zögerte, verkaufte ich meine Seele an den Teufel.“ Phils kühle Hand legte sich sanft auf seine Schulter. „Sei nicht so hart mit dir, Luc. Wenn jemand Schuld daran hat, dann ich. Ich wusste welcher Gefahr ich dich aussetzte. Es war arrogant zu glauben, dass du immun gegen seine Aura wärst, nur weil du mein Zögling bist. Ich hätte es besser wissen sollen. Sie zu töten ist irrsinniger Weise, wie wider die Natur zu handeln.“ Lucs fragendes Gesicht verlangte eine Erklärung. Sein Mentor verwirrte ihn mit seinen Worten nur noch mehr. Mit einem leichten Nicken fuhr sein Meister fort. „Es gibt nur noch wenige von ihnen. Vampire die dem höchsten Adel angehören. In ihnen fließt das mächtigste Blut der Ahnen. Sie besitzen die Gabe unseren Verstand in Wahnsinn und unsere Gefühle ins Chaos zu stürzen. Sie ziehen uns Menschen an, wie das Feuer die Motten. Und erst wenn wir brennen, merken wir, dass es zu spät ist. Sieh es als eine Art von Schutzmechanismus an. Ihre Macht, die in uns den widersinnigen Wunsch wachruft, sie zu schützen, anstatt zu töten, ist naturgegeben. Nur so, konnten sie über Jahrhunderte hinweg überdauern.“ Der junge Jäger weigerte sich den Worten glauben zu schenken. Alles in ihm versuchte aufzubegehren. Nein, so einfach konnte sein Wille doch nicht gebrochen werden. Naturgegeben. Luc schauderte. Was immer es war, es hatte nichts mit der Natur zu tun. Es war dämonisch, unheilvoll und erschreckend. „Aber es ist möglich. Du sagtest, Cecilia wurde von einem Jäger getötet. Also stehen wir nicht automatisch unter ihrem Bann.“ „Nein, nicht vollends. Es kommt auf die Stärke in uns an. Unser Gefühlsleben beeinflusst die Wirkung. Deshalb hatte ich gehofft, dass der Prinz dich nicht berührt. Ich hatte geglaubt, dass dein Hass auf diese Wesen tiefer geht, als jede andere Emotion. Ich habe mich geirrt und es tut mir leid. Irgendetwas an ihm, muss in dir verschlossene Empfindungen wachgerufen haben. Jetzt ist es an dir, in dich zu blicken, deine Schwachstelle zu erkennen und sie auszumerzen.“ Traurig schweiften grüne Augen über die züngelnden Flammen. „Wozu, ich hatte meine Chance und habe sie vertan.“ „Es wird eine neue Gelegenheit geben. Ein Treffen des Prinzen mit dem Grafen von Merloch. Wir werden den Prinzen aus der Ferne liquidieren können. Das Arrangement ist aber nicht ganz koscher. Graf Merloch hat gewisse Schwierigkeiten, sich dem Regime des Prinzen zu beugen. Ein Unfall in seinem Territorium, ohne sich selbst dabei die Hände schmutzig machen zu müssen, käme ihm sehr gelegen.“ „Verstehe, die Gilde wird diesmal also einem Vampir wissentlich einen Gefallen erweisen, um selbst an ihr Ziel zu kommen. Ganz der Maxime folgend 'der Zweck heiligt die Mittel'.“ Luc sprach die Worte voller Verachtung aus. Einen Herrscher auszurotten und damit dem nächsten den Weg zur Spitze zu ebnen, war für ihn blanker Hohn. „Wir schaffen damit das Fundament für einen anderen Vampir. Einen den wir nicht kennen. Der in seiner Herrschaft vielleicht unberechenbarer und grausamer werden kann, als der jetzige. Ich finde nicht, dass wir derart auf die Clans einwirken sollten.“ Ruhig erklärte sich der Oberstleutnant. „Ich verstehe deine Einwände. Aber es wird dauern, bis der Graf die gesamte Gefolgschaft geschlossen unter sich vereinigen kann. Wenn es uns gelingt, dann sind die Clans in erster Linie führerlos und desorientiert. Sie werden sich gegenseitig das Leben schwer machen und die Garde kann ungehindert zuschlagen. Bitte Luc, erkenne die Chance die uns dieses Arrangement liefert.“ Kopfschüttelnd ballte der Jäger seine Fäuste. „Es verstößt gegen meine Moral. Mit einem Vampir Geschäfte zu machen ist entwürdigend. Manchmal frage ich mich, ob der General noch weiß was er tut.“ „Luc!“, rief ihn sein Vorgesetzter zur Ordnung. „Es liegt nicht an dir, die Geschicke der Gilde zu lenken oder die Garde zu befehligen. Anstatt dir den Kopf darüber zu zerbrechen, ob es akzeptabel ist, solltest du dir lieber die einzig wichtige Frage stellen.“ „Die da wäre?“ „Dein Auftrag lautet, das Zielobjekt zu erschießen und danach zu verschwinden, bevor die Häscher des Prinzen dich entdecken und Vergeltung üben können. Du wirst freie Bahn haben, aber nur einen Schuss. Der heilige Pfeil muss sein Ziel treffen. Nun, was ist Luc. Stellst du dich der Herausforderung? Willst du die neue Chance ergreifen?“ Sein Blut pulsierte schneller, schürte die Leidenschaft des Jägers. Ungestümer Tatendrang verlangte nach Handlung. Luc musste nicht überlegen. Er konnte alles wieder in Ordnung bringen. Sein Versagen, seine Gefühle, sein Leben. „Ja, ich nehme an.“ „Und wirst du den heiligen Pfeil abschießen können. Treffsicher in sein Herz?“ „Ja, ich werde.“ Kapitel 6: Markierung --------------------- 6. Markierung Kaum hatten sie die dichten Wälder ein paar Meter hinter sich gelassen, wich sämtliche Schönheit und graue Tristesse formte das Bild. Das Dorf, wenn man es denn so nennen konnte, bot einen fast abstoßenden Anblick. Die Umgebung war trostlos, die Straßen so gut wie verlassen. Lieblose und verfallene Häuser, standen vereinzelt am Wegesrand und formten zusammen mit Hütten und Scheunen, deren Holz vor sich hin faulte, das Bild. Ungeziefer und Ratten machten sich über den Unrat auf den Straßen her. Niemand schien der Schmutz zu stören. Die Augen der verwahrlosten Menschen blickten den Unbekannten furchtsam und hoffnungslos entgegen. Die Luft roch nach Krankheit und Tod. Sehnsüchtig drehte der Jäger seinen Kopf zurück und blickte in den tiefen Wald unweit hinter sich. Wie konnte Schönheit und Verfall nur so nahe beieinander liegen? Die Reiter führten ihre Pferde weiter bis sie an einem runtergekommen Haus ankamen, deren linke Hauswand von einer alten Eiche tangiert wurde. Die Äste des mächtigen Baumes ragten schwer über das Dach. Während Vernon die Pferde zwei Straßen weiter bei einem Bauern für einen geringen Obolus unterstellte, erkundete Luc die Gegebenheiten des Hauses. Es war etwa vier Meter hoch. Hatte zu jeder Seite zwei in den Stein eingelassene Fenster und eine breite Tür, die leicht schief in den Angeln hing. Im Inneren bedeckte eine dicke Staubschicht die tragenden Holzbalken. Außer einer Feuerstelle, einem Tisch und sechs Stühlen, war das Haus leer. Luc klettert auf den Baum, balancierte auf dem kräftigsten Ast Richtung Dachmitte und ließ sich nieder. Das Holzdach war marode und bot durch das etwa faustgroße Loch einen perfekten Blick auf die Tischgruppe. Wenn der Prinz tatsächlich am Kopfende platz nahm, und davon war auszugehen, dann hatte er freies Schussfeld. Der Prinz, Iven. Selbst bei dieser nüchternen Missionsanalyse, begann sein Herz wieder kräftig zu schlagen. Er wollte ihn wiedersehen. Die Erkenntnis schmerzte tief in Luc. Er war gekommen um Iven zu töten, nicht um seine verwerfliche Sehnsucht zu stillen. „Luc!“ Vernons Ruf riss ihn so plötzlich aus seinen Gedanken, dass er beinahe sein Gleichgewicht verloren hätte. „Herrgott, Vernon schreie doch nicht so.“ „Warum so ängstlich? Wir haben noch genügend Zeit bevor die Sonne untergeht. Und die Bewohner hier, scheinen sich um nichts zu scheren. Nicht mal um den Dreck in dem sie leben.“ „Sei nicht so herablassend, mein Freund. Wir suchen uns nicht aus, wohin wir geboren werden.“ „Nein, da hast du sicher recht. Aber was man daraus macht, bleibt jedem selbst überlassen. Soll ich hoch kommen?“ „Ja, aber sei vorsichtig. Der Regen von heute Morgen, macht das Hochklettern zu einer rutschigen Angelegenheit.“ „Geht klar!“ Leicht keuchend fand sich Vernon einen Ast weiter neben Luc ein. „Bedauerlich, dass die meisten Blätter bereits der kalten Jahreszeit gewichen sind. Ansonsten, hätten wir einen sicheren Blickschutz gehabt.“ „Ich hoffe doch, dass der Plan des Grafen weit genug durchdacht ist, um uns missliche Situationen zu ersparen. Zumindest solange, bis der Prinz das Zeitliche gesegnet hat.“ Vernons Stimme nahm einen ernsten Ton an. „Dann sind wir uns also einig. Sie werden uns zum Schuss kommen lassen, aber dass wir entkommen, steht nicht auf der Erfolgsliste, richtig?“ „Nun, der General hatte mehrmals betont, dass außer dem Grafen und dem Prinzen, lediglich je zwei Untergebene anwesend sein werden, aber das halte ich für ein Märchen. Wenn der Graf tatsächlich vorhat, die Position des Prinzen einzunehmen, wieso sollte er es sich dann entgehen lassen, den Mörder zu stellen? Etwas Besseres kann er doch gar nicht machen. Mich demonstrativ vor möglichst vielen Zeugen zu töten, wird die optimale Grundlage bieten, Vertrauen zu sammeln. So wie ich das sehe, ist der Prinz die Hauptmahlzeit und ich die krönende Nachspeise.“ Sorgenvoll blickte Vernon den Jäger an. „Wieso tust du's dann? Ist dir dein Leben gar nichts wert?“ Nachdenklich musterte Luc seinen Freund. „Und du Vernon? Du bist hier, wenngleich es keinen Befehl dazu gab, mir Unterstützung zu leisten. Ist es nicht auch dein Bestreben etwas zu bewegen. Etwas Sinnvolles zu tun?“ „Ja, aber nicht aus den gleichen Gründen wie du. Ich bin hier, weil mir dein Leben sehr wohl etwas bedeutet, Freund.“ Die Schuld Vernon mit in dieses Himmelfahrtskommando zu reißen, lastete schwer auf Lucs Schultern. Ein warmes Gefühl nistete sich in sein Herz. Es tat gut, so einen Freund zu haben. Er wollte etwas sagen, beließ es aber bei einem Seufzen. Vernon umstimmen zu wollen war sinnlos. Er kannte keinen größeren Sturkopf. Wenn der Brünette etwas beschlossen hatte, dann wurde es durchgezogen, Punkt. „Danke.“ Ein breites Grinsen folgte als Antwort. „Nicht dafür. Ich tue nur, was sich für richtig halte. Und wenn wir das hier überleben, gehen wir einen im 'Spielmann' heben. Hab schließlich nach deiner Aktion dort was auszugeben.“ Die letzten Sonnenstrahlen wichen dem Abend. Dem Abend folgte die Finsternis der Nacht. Luc war dankbar für die Schwärze, die sich um ihn legte. Viel länger hätte er in dieser Kälte nicht mehr starr ausharren wollen. Sie hörten zwei Kutschen heranfahren. Bereits zuvor, konnte der Jäger jedoch Schatten nahe dem Haus ausmachen. Schatten die nicht natürlich zu ihrer Umgebung gehörten. „Wie viele“, flüsterte Vernon. „Ich zähle acht. Drei links, drei rechts und zwei vorne.“ „Oh gut, zusammen mit den zu erwartenden Gästen, sind es ja nur vierzehn. Sieben für jeden von uns. Und ich dachte es wird riskant.“ „Psst, sie müssen nicht wissen, dass wir wissen, dass sie da sind.“ Vernon nickte. Die Kutschen hielten an. Als sich die Wagentür öffnete, legte sich ein beklemmendes Gefühl auf die Brust des Jägers. Selbst in dieser Dunkelheit, konnte Luc jeden Gesichtszug des Prinzen ausmachen. Sogleich fühlte er sich wieder auf sonderbare Art verzaubert. Sein Blut pulsierte schneller. Nur mit Mühe konnte er die aufkeimenden Bilder abschütteln. Doch das Gefühl von einer leichten Frühlingsbrise auf seinen Lippen blieb. Sehnsucht, der brennende Drang, ihm näher zu kommen, legte sich unweigerlich auf sein Gemüt. Er schluckte schwer. Ehrfürchtig blickte er auf die gespannte Armbrust. Der heilige Pfeil. Es gab keine mächtigere Waffe um einen hohen Vampir zu töten. Aus der Distanz, im Schutze der Dunkelheit. Beinahe risikolos. Es hatte dem General große Mühe gekostet, den hohen Rat davon zu überzeugen, diesen einzigen Pfeil, für diese Mission zu opfern. Er durfte nicht scheitern. Nicht dieses Mal. Der Raum wurde von mehreren Fackeln in ein warmes Rot und Orange getaucht. Das Adrenalin in Lucs Adern stieg. Er war bereit. „Oh, bitte nimmt platz, mein Prinz. Verzeiht, dass ich keine bessere Unterkunft für unsere Besprechung gewählt habe. Aber es erschien mir sinnvoll unser Treffen vorerst geheim zu halten,“ säuselte der Graf kleinlaut. „Nun, vielleicht solltet ihr mir endlich die Umstände für eure gewichtige Einladung schildern.“ Die volle dunkle Stimme hallte in Lucs Kopf. Seine Entschlossenheit wankte. Seine Hände zitterten leicht. Aus den Augenwinkeln konnte er die sorgenvolle Miene seines Freundes sehen. Nimm dich zusammen und hör auf zu zögern! Du wirst nur einen Vampir töten. Eine Bestie. Eine von vielen. Befreie die Menschheit von diesem Monstrum und dich selbst von ihm. Zielen und schießen, nichts weiter. Luc atmete tief ein und aus. Seine Augen visierten die Brust der Zielperson an. Seine Finger legten sich ruhig auf den Abzug. Er hatte freies Schussfeld. Es war soweit, der Winkel war perfekt. Sein Körper spannte sich, bereit die Bogensehnen freizugeben. Als er den Hebelmechanismus bediente, spürte er im selben Moment einen eisigen Blick, der sich in sein Herz bohrte. Nachtschwarze Augen die ihn fesselten, jegliche Kraft aus ihm saugten. Der Pfeil surrte durch die Luft. Luc war wie vom Blitz getroffen. Sein Atem stockte. Der Pfeil durchdrang Stoff und Fleisch. Die Angst getroffen zu haben, wich dem Schock versagt zu haben. Der Pfeil steckte tief in der linken Schulter des Prinzen. „Luc, verdammt! Wir müssen weg!“ Augenblicklich fuhr der Jäger zusammen. In dem Zimmer unter ihm stand nur noch Iven, der ihn ruhig und geheimnisvoll anblickte. Sie mussten fliehen. Gewandt schwangen sie sich die Äste hinunter. Die ersten beiden Angreifer lauerten schon. Vernon zog sein Schwert und stürzte sich in den Kampf. Luc tat es ihm gleich. Mit bloßen Schwertern wird es schwer werden zu bestehen, schoss ihm noch durch den Kopf, dann reagierte er nur noch. Er parierte Angriffe, attackierte, trieb seinen Gegner in die Enge. Seine Waffe schnitt in Fleisch. Der getroffene Vampir stieß einen Schmerzensschrei aus und taumelte gegen den wuchtigen Baumstamm. Auf der Brust des Vampirs klaffte eine lange tiefe Schnittwunde. Das würde nicht helfen. Nur durch Enthauptung oder Feuer hatten sie eine Chance. Verdammt. Er verfluchte sich dafür, dass er nicht auf den geweihten Dolch zu seinem Schutz bestanden hatte. Gleich ob es untersagt war, zwei sakrale Waffen einem Jäger zugleich anzuvertrauen, er hätte sich einfach nicht abwiegeln lassen dürfen. Zwei weitere Angreifer eilten dem verletzten Vampir zu Hilfe und stürzten sich auf Luc. Er hatte keine Zeit sich jetzt zu ärgern. Gekonnt wich er aus und machte sich seine Gewandtheit zu Nutze. Blut benetzte den Boden. Er hatte einem der Angreifer den Kopf abgeschlagen. Noch bevor der verwundete Vampir, der mühsam an der Eiche sein Gleichgewicht suchte, realisieren konnte was geschah, bohrte sich die Spitze von kaltem Metall nachsetzend in sein Herz. Lautlos sackte der Vampir zu Boden. Er war nicht endgültig tot, aber zumindest kampfunfähig und die Verletzung war heftig genug, um schon bald dem Blutverlust zu erliegen. Rasch wandte sich Luc den anderen beiden Gegnern zu, die von Vernon in Schach gehalten wurden. Aus dem Augenwinkel registrierte der Jäger, dass ein weiterer Vampir schwer blutend am Boden kauerte. Metall klirrte auf Metall. Sein Gegner war stark, aber langsam. Zu langsam für ihn. Sein Schwert durchschlug Fleisch und Sehnen. Dumpf viel der Kopf des Vampirs auf den Boden. Der Erfolg war jedoch von nur kurzer Dauer. Die restlichen Vampire gaben ihre Deckung frei und standen bereit. Wie Raubtiere kreisten sie ihre Beute ein. Luc hörte ein leises Stöhnen von Vernon, der Rücken an Rücken zu ihm stand. „Alles klar?“, fragte er besorgt. „Einer der Mistkerle hat meine noch nicht verheilte Wunde an der Seite erwischt und ich weiß nicht, wie lang es noch meine rechte Schulter macht. Die wurde ganz schön erwischt. Fürchte ich hab ganz schön Blut verloren. Sonst aber alles bestens. Fühle mich nur gerade wie ein gefundenes Fressen.“ Dann stand es schlimm. Vernon beklagte sich sonst nie über eine Verwundung. Wie zur Bestätigung brach sein Freund zusammen und viel auf die Knie. „Vernon!“ Panik erfüllte Lucs Herz. Besorgt versuchte er ihn zu stützen. Er musste ihn hier weg bringen. „Schaffst du es zu den Pferden?“, flüsterte Luc. „Soll das ein Witz sein? Willst du die restliche Meute alleine bezwingen?“ „Außer als Köder bist du mir in deiner Verfassung keine Hilfe. Ich bring dich hier raus. Egal wie.“ Lautes höhnisches Lachen durchschnitt die Nacht. „Na wie niedlich. Und wie willst du das anstellen, Jäger?“ Der Kreis öffnete sich und der Graf durchschritt selbstgefällig die Reihe. „Ich will es dir sagen, gar nicht. Ihr beiden Hübschen werdet eine leckere Abwechslung zum heutigen Geschäft sein. Als Mitternachtsschmaus, so zu sagen. Ich will euch auch zeigen, dass ich nicht unmenschlich bin und befreie deinen kühnen Freund hier, zuerst von seinem Leid.“ Herausfordernd beleckte der Graf seine Fangzähne. „Rühre ihn an und ich töte dich!“ Luc sprach ruhig, aber bedrohlich. Kurz überlegte er, ob es Sinn machen würde, den Grafen als Auftraggeber zu entlarven. Schnell verwarf er jedoch den Gedanken wieder. Außer einem Verbliebenen, zählten alle Vampire die ihn mit gierigen Augen musterten, zu den Gefolgsleuten des Grafen. „Tatsächlich? Nun wie ich sehe, scheinst du dein Handwerk zu verstehen. Ich bin aber nicht so einfach zu erledigen, wie diese armen Kreaturen. Also entweder wir Regeln das ohne großes Aufheben und du ergibst dich, oder ich reiße dich in Stücke.“ Luc wusste, dass er keine Chance hatte. Der Graf gehörte der oberen Clanschicht an. Allein mit einem gewöhnlichen Schwert gegen ihn anzutreten, wäre wie mit einem Zahnstocher gegen einen Löwen zu kämpfen. Dennoch, er würde sich nie ergeben. Nicht in tausend Jahren. Er würde sterben, aber nicht kampflos. „Dann versuche dein Glück, Vampir.“ Die Miene des Grafen zog sich verärgert zusammen. „Du solltest besser Angst vor mir haben.“ „Bedaure, da muss ich wohl euer Ego kränken. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Und erst recht nicht vor einem geringeren Vampir, wie ihr es seid.“ Das saß. Der Graf schäumte sichtlich vor Wut. Inständig hoffte Luc, dass Zorn und Stolz seinen Gegner nachlässig und unaufmerksam werden ließ. „Genug geredet Jäger. Ich bin mir sicher, dass du zumindest den Schmerz fürchtest und davon werde ich dir eine Menge bescheren!“ Eine schwarze Gestalt wirbelte über Lucs Kopf hinweg und kam direkt vor ihm auf. Luc erkannte sofort die Silhouette und war wie gebannt, als schwarze Augen tief in seine blickten. Bevor er sich darin verlor, wandte sich der Prinz von ihm ab, um den Grafen zu taxieren. Das behagliche Gefühl blieb jedoch. Erneut war der Jäger von Ivens Erscheinung gebannt. Seidig wandte sich glänzendes Haar über den stattlichen Rücken des Vampirs und verlor sich spielerisch an der schlanken Taille. Der unverwechselbare Duft von Feuer und Regen zugleich, betörte durch einen sachten Windhauch. Die Aura wirkte düster und erleuchtend im selben Schein. Anziehung, die mühelos gewann und Sehnsucht in Luc weckte. Die kratzige Stimme des Grafen holte den Jäger in die brenzlige Gegenwart zurück. „Ah, verzeiht. Ich hoffe ihr wurdet nicht zu schwer getroffen, mein Prinz. Das Privileg der Bestrafung überlasse ich selbstverständlich euch, wenn ihr es wünscht.“ Der Prinz nickte knapp und wandte sich abermals Luc zu. Er sollte das Schwert führen, sein Werk vollenden. Doch sein Körper war wie taub. Seine Sinne vertrauensvoll dem Charme des Prinzen ergeben. Die Hände des Schwarzhaarigen legten sich auf die Schultern des Jägers. Sanft aber bestimmt, wurde Luc in die Arme des Vampirs gezogen. Sofort wurde er von dessen Wärme eingefangen. Sein Instinkt hätte ihm flieh oder kämpfe befehlen sollen. Stattdessen fühlte er auf unerklärliche Weise wieder diese Vertrautheit. Ivens weiche Lippen kitzelten sein rechtes Ohr. „Lauf.“ Ein Flüstern, welches kribbelnd durch seine Glieder fuhr. Dann verschwand die Wärme und Luc sah wieder klar. Er zerrte Vernon nach oben. „Zu den Pferden und blicke nicht zurück! Das ist ein Befehl!“ Irritiert sah Vernon zu Luc, als auch schon der Kampf begann. Der Prinz rang mit dem Grafen. Die anderen Vampire schienen noch unschlüssig, wie sie sich verhalten sollten. Die Verwirrung war allgegenwärtig. Luc durchbrach mit seinem Schwert die überraschte Reihe von Vampiren. Vernon gehorchte und lief um sein Leben. Er blickte nicht zurück, auch wenn es ihm schwer viel. Er konnte Luc im Kampf keine Hilfe mehr sein, aber er konnte versuchen die Pferde zu erreichen. Luc war erleichtert, als sich Vernon schnell von dem Kampfgetümmel absetzen konnte. Immer mehr Vampire mischten sich in den Kampf mit ein. Sie wurden beide angegriffen. Hartnäckig versuchte er in dem ungleichen Kampf zu bestehen. Sein linker Arm und sein rechter Oberschenkel bluteten inzwischen heftig. Er wusste nicht, wie lange er das noch durchhalten konnte. Wie zur Erlösung gellte ein Schrei durch die Nacht. Der Graf war besiegt. Demonstrativ hielt Iven den abgetrennten Kopf in die Höhe. Die Vampire verbeugten sich nun furchtsam vor ihrem Herrn. Ohne zu zögern nutzte Luc die Chance und rannte Richtung Wald. Sein Bein stach bei jedem Schritt und brannte wie Feuer. Die Blutung an seinem Arm, nahm deutlich zu. Er musste unbedingt die Wunden verbinden. Leise drangen weitere Kampflaute an sein Ohr. Ja, er war sich sicher, dass Iven keinen schonen würde. Sie hatten gezögert, dem Prinzen den erforderlichen Gehorsam versagt und nun sahen sie ihrer Strafe entgegen. Inständig hoffte Luc, dass Iven kein Leid davon tragen würde. Keines außer der Verletzung an seiner linken Schulter. Keuchend ließ sich Luc an den Ufern eines Sees ins Gras fallen. Hoffentlich hatte es Vernon geschafft. Seine Lunge stach. Als er Umhang und Oberbekleidung ablegte, um die Wunde an seinem Arm zu reinigen, legte sich die eisige Kälte der Nacht wie eine Decke aus Schnee auf seine Haut. Das kalte Wasser hatte eine beruhigende Wirkung auf seinen pochenden Arm. Er riss sein Hemd in Streifen und Verband sich selbst so gut es ging. Wieso hatte Iven das getan? Wusste er von dem Hinterhalt und wollte er sich nur an dem Grafen rächen? Oder wollte er sein Leben retten, obwohl er wiederum gekommen war, ihn zu töten? „Du hast mich abermals geschont, Jäger.“ Die Worte schnitten schärfer in seine Gedanken, als ein Messer in Fleisch. Es war, als ob Iven seine Gedanken hören konnte und sie komplettierte. Was sollte er entgegnen? Er wollte ihn töten. Doch in dem Moment, als sich sein Finger um den Abzug der Armbrust legte, da ... Luc schluckte. „Verzeih, ich will dich nicht in Verlegenheit bringen, Erklärungen zu suchen.“ „Was willst du dann?“ Seine Stimme klang vorwurfsvoll. Dabei hatte er gar keinen Grund dazu. Iven hatte sein Leben gerettet. Seines und das von Vernon. Iven trat näher. Wie beiläufig schweifte der Blick des Vampirs über den freien Oberkörper des Dunkelblonden. Schweigend ließ er sich neben dem Jäger ins Gras sinken. Die Nähe des Prinzen, trieb Lucs Blut schneller durch seine Adern. Er konnte wieder diese angenehme Wärme fühlen, die ihn in Sicherheit und Geborgenheit wog. „Das war eben ein ziemliches Massaker. Ich möchte mich vorab dafür entschuldigen was ich tun werde Luc, aber ich habe keine Wahl. Ich brauche ein Alibi.“ Noch bevor der Jäger die Worte begriff, wurde er abermals in die Arme des Vampirs gezogen. Wie in einem Schraubstock fühlten sich seine Glieder gefangen gehalten. Der heiße Atem an seinem Hals, ließ ihn schwindlig werden. Er wusste was folgen würde. „Oh Gott, nein. Alles, aber nicht das!“ Seine Stimme war ein gebrochenes Wispern, doch er wusste, dass Iven sein Flehen gehört hatte und es ignorierte. Wie zwei Speere gruben sich die Fangzähne in seinen Hals. Die gerechte Strafe für dein Unvermögen, sprach seine innere Stimme. Dann wurde er von einem Nebel aus Emotionen eingehüllt, die er nicht verstand. Es war, als ob sich sein Innerstes nach außen kehren würde. Sein Herz setzte für einen Augenblick aus. Der Schmerz an seinem Hals ließ nach und er empfand den Biss wie einen Kuss. Leidenschaftlich, wild und zugleich voller Sanftheit. Er fühlte Verlangen, Gier nach mehr. Ein Lustgefühl, das jenem gleich kam, wenn er des Nachts bei einer Frau lag. Nur intensiver, intimer. Seine Hände krallten sich fordernd und zweifelnd in den Mantelaufschlag des Prinzen, während seine Sinne in der Woge von Behaglichkeit versanken. Benommen wurde er behutsam zu Boden auf seinen abgelegten Umhang gelegt. „Mache dir bitte keine Sorgen. Ich habe nicht getrunken. Siehst du?“ Iven hielt ihm ein weißes Taschentuch entgegen, das etwas mit Blut getränkt war. Luc verstand die Worte, doch konnte er ihren Sinn nicht zuordnen. Er glaubte im Fieber zu liegen. Ungläubig griffen seine Finger nach dem Tuch. Wie versteinert blickte er auf die roten Flecken, die vor seinen Augen verschwammen. „Ich kann nicht bleiben, Luc. Der Morgen naht und mein Weg ist weit.“ Der warme Pelzmantel des Prinzen legte sich um seinen kalten Körper. Seine Augen wurden schwer. Noch einen Blick wollten sie von der Schönheit vor ihm erhaschen, doch bevor er Iven in der Dunkelheit ausmachen konnte, viel er erschöpft in einen tiefen Schlaf. Kapitel 7: Verdacht ------------------- 7. Verdacht Liebe. Sie allein sollte unser Handeln lenken. Ein dunkles Raunen. Flüsternd schlich es sich in sein Bewusstsein. War es gesprochenes Wort oder der Hall eines Traums? Mit einem Pochen in seinem Kopf erwachte er. Leichter Nebel hing noch zwischen den Bäumen fest. Die ersten Sonnenstrahlen tanzten mit den Tautropfen der Gräser und boten ein idyllisches Schauspiel von Sinneseindrücken. Sehnsucht erfüllte sein Innerstes. Tief sog er die frische Morgenluft in seine Lungen. Dann erstarrte er. Die Erinnerungen der letzten Nacht stürzten wie ein Wasserfall auf ihn ein. Lucs Hand wanderte tastend zum Hals. Zwei kleine Narben waren deutlich zu spüren. Sein Spiegelbild im klaren See räumte jeden Zweifel aus. Zwei kleine weiße Punkte prangten an seinem Hals. Iven. Was hast du nur getan? Sein Blick wanderte zu dem weißen Taschentuch mit den roten Flecken. Gedankenversunken hob er es auf. 'Mache dir bitte keine Sorgen. Ich habe nicht getrunken'. Verdammt. Was sollte das? Mit dieser Markierung an seinem Hals würde er sich in der Garde nicht mehr sehen lassen können. Niemand würde ihm glauben, dass er nur gebissen wurde, es aber nicht zu einem gegenseitigen Blutaustausch gekommen war. Wenn sie ihre Kraft nicht gerade von den unter Trance gehaltenen Dienern speisten, dann tranken Vampire entweder um ihren Durst zu stillen, wobei ihr Opfer in diesem Fall kaum eine Überlebenschance besaß, oder sie tranken, weil sie sich einen Gefährten erwählt haben und diesen durch Blutaustausch an sich banden. Bis zu dem Tag an dem der Auserwählte selbst zu einem Wesen der Nacht gewandelt wird. Resigniert krallten sich seine Finger in das feine Spitzentuch. Er selbst konnte ja nicht einmal glauben, dass Iven weder das eine noch das andere tat. Unsicherheit beschlich sein Gemüt. War es einem Vampir überhaupt möglich den Gesetzen der Natur zu trotzen? Standhaft kämpfte Luc die aufkeimende Angst in sich nieder. Da war dieses Gefühl, an das er sich klammern konnte. Das Gefühl, beinahe die Gewissheit, dass es letzte Nacht nicht zu einer Verschmelzung gekommen war. Selbst wenn er sich nur Illusionen machte, die Chancen gering standen, er konnte nicht anders, als zu glauben, dass er nicht gänzlich verloren war. Nicht auszudenken wenn Iven ihn belogen hatte. „Luciel Baldur! Könnt ihr uns hören?!“ Der Ruf schnitt wie Eis durch seine Glieder. Schnell wickelte er sich etwas von dem zerrissenen Hemd um seinen Hals und verbarg die Bissspur. Anschließend hüllte er sich in den Pelzmantel des Prinzen und erwiderte den Ruf. „Ich bin hier!“ Es dauerte nicht lange bis die ersten Suchhunde ihren Erfolg lautstark kundtaten. Freudig wurde er von dem kleinen Suchtrupp in Empfang genommen. „Gott sei dank! Nachdem uns von dem Massaker im Dorf berichtet wurde, hatten wir die Hoffnung schon aufgegeben, euch lebend wieder zu finden. Ich bin froh, dass ihr wohl auf seid.“ Der Anführer erschien sichtlich erleichtert. „Mein Name ist Merek O´Ciel. Ich und meine Jungs sind sofort aufgebrochen, nachdem euer Freund bewusstlos durch die Tore der Kaserne ritt.“ Luc reichte ihm erfreut die Hand entgegen. Dann hatte es Vernon geschafft. Erleichtert atmete der Jäger auf. „Ich kenne euch Merek O´Ciel. Ihr strebt eine große Karriere innerhalb der Garde an.“ Der Braungelockte errötete leicht. „Nun ja, mein derzeitiger Aufstieg ist nur halb so aufregend wie eure Position. Aber zum Elitejäger hat mein Geschick leider nicht gereicht.“ Die mandelförmigen Augen musterten den Jäger. „Ihr seid schwer verwundet, wie ich sehe. Wenn ich euch auf das Pferd helfen dürfte?“ „Habt dank. Auch für euren Einsatz.“ „Ich bitte euch, ich tue nur meine Pflicht. So wie ihr die eure.“ Luc antwortete nicht. Schweigend schwang er sich mit Mereks Hilfe in den Sattel. Die Schuld abermals versagt zu haben, wog schwer auf den Schultern des Jägers. Langsam ritten sie Richtung Kaserne. Luc hatte etwas Schwierigkeiten sich auf dem Pferd zu halten. Dennoch ritt er allein, ohne Hilfe. Seine Wunden schmerzten und er fühlte sich ausgelaugt. Dankbar über das geringe Tempo des Rückritts, suchte er die braunen Augen des Anführers. Dieser verstand und schloss zu ihm auf. Die Stimme des Anführers war leise. „Ihr habt mir etwas zu sagen, Baldur?“ „Bitte nennt mich Luc. Danke, dass ihr mich mein Gesicht wahren lässt. Eure Männer sind über die Verzögerung bestimmt nicht erfreut.“ „Keine Ursache, Luc.“ entgegnete Merek mit einem offenen Lächeln. „Ich weiß, dass ihr nach eurem misslungen Auftrag keinen guten Stand habt. Euer Stolz muss euch in diesen Tagen eine Mauer des Schutzes sein. Lasst meine Männer nur meine Sorge sein und schont eure Kräfte. Wir sind gleich da und ich fürchte der General wird nicht allzu viel Rücksicht auf euren Zustand nehmen.“ Luc nickte. „Wie geht es Vernon?“ O´Ciel zuckte mit den Schultern. „Kann ich euch nicht sagen. Ich weiß nur, dass der General außer sich war, als nur einer von euch zurückkehrte. Er muss solange versucht haben, euren Freund aus seiner Bewusstlosigkeit zu reißen, bis er erfahren hat, was er wissen wollte. Der Prinz lebt und ihr bliebt zurück. Nun, ihr seid mir keinen Bericht schuldig, aber wie habt ihr es geschafft zu entkommen?“ „Ich fürchte ich brauche selbst noch eine Weile, bis ich die Ereignisse von letzter Nacht rekonstruieren kann.“ Das war noch nicht einmal gelogen. Luc versuchte sich fieberhaft an alle Einzelheiten zu erinnern. Doch immer wieder schweiften seine Gedanken zu jenem Augenblick, als er von Iven den tödlichen Kuss erhielt. Merek nickte und gab sich zufrieden. Den restlichen Weg ritten sie schweigend. Luc beschloss es zumindest bei der halben Wahrheit zu belassen. Er wurde von dem Prinzen entdeckt, verfehlte den Schuss und der Graf versuchte daraufhin das Blatt zu seinem Vorteil zu drehen. Sie wurden angegriffen und wären beinahe ins Jenseits befördert worden. Einzig die Wut des Prinzen, der das Falschspiel des Grafen durchschaute und erbarmungslos Rache nahm, bewahrte sie vor dem Tod. Luc musste angestrengt nach Luft ringen, als er seinen Bericht bei dem General ablieferte. Seine Wunden schmerzten und er brauchte dringend ärztliche Versorgung und Ruhe. Dennoch wagte er es nicht, sich zu beklagen. Stolz und aufrecht stand er im Büro des Generals und harrte der Dinge, die kamen. „Nun, so ganz kann ich euch nicht folgen, Luciel Baldur. Wieso sollte der Prinz seinesgleichen derart massakrieren? Sicherlich ist er nicht gerade für seine Gnade bekannt, aber Vampire zu töten, ohne einen triftigen Grund, widerspricht den Grundsätzen des Clancodex. Er ist einer der mächtigsten Herrscher unter ihnen. Ein strategischer Führer, der allzeit in vorausschauender Manie, die Dinge kalkuliert und abwägt. Ich kann mir einen derartigen Aussetzer einfach nicht erklären. Der Prinz hat die Macht, die Gefühle anderer zu beherrschen nicht zuletzt deshalb, weil er ein Meister darin ist, sich zu beherrschen. Den Grafen zu töten und die Unterwerfung dessen Untergebenen anzunehmen, wäre die logische Handlungsweise gewesen. Nicht aber, wie ein Berserker die Mitglieder eines andern Clans abzuschlachten und damit Unruhe und Rebellion zu riskieren.“ Luc steckte in einem ernsten Dilemma. Der General hatte recht. Doch vielmehr, als die Not nun eine passende Erklärung zu finden, beschäftigte Luc die nur allzu passende Darlegung des Generals. Wie ein Puzzleteil fügte sich die Erläuterung in das das Bild von Ivens Handeln. Die Heftigkeit mit der des Prinzen Aussage, er bräuchte ein Alibi, nun untermauert wurde, trieb Luc an den Rand der Verzweiflung. Iven hatte sein Leben gerettet. Ihn einzig zum Schutz vor Anklagen gebissen. Aber warum? Weshalb sollte der Prinz soviel für ihn aufs Spiel setzen? Mühsam unterdrückte Luc den Impuls, sich an den Hals zu fassen. Das ergab doch alles keinen Sinn. Außer Iven trieb seine eigenen Spiele, deren Regeln er nicht durchschaute. Lediglich als Figur manipuliert und von fremden Fäden gelenkt. „Baldur, hört ihr mir überhaupt noch zu?!“ donnerte die Stimme des Generals. Luc schreckte zusammen. „Es steht mir nicht zu, eure Anhörung zu unterbrechen, aber ich bitte euch inständig, lasst Luc erst seine Wunden versorgen.“ Phils Stimme war wie ein Sonnenstrahl inmitten eines Gewitters. Luc hatte nicht einmal gemerkt, dass sein Mentor das Zimmer betrat. Verwirrt blickte er in die ernsten Augen seines Lehrmeisters. „Na schön, Philippe. Weil ihr es seid und ich weiß, wie viel euch euer Ziehsohn bedeutet. Ihr dürft euch entfernen, Luciel Baldur.“ Kaum aus dem Büro des Generals, brauste eine heftige Ohrfeige auf Lucs Wange herab. Regungslos blieb er stehen und empfing schutzlos den wütenden Blick seines Mentors. „Wenn deine Wunden versorgt sind, erwarte ich dich. Sofort ohne Umwege!“ Phil wandte sich ab. „Was ist mit Vernon?“ „Du solltest dir lieber um dich Sorgen machen. Wenn sich bewahrheitet was ich vermute, dann kann dir niemand mehr helfen. Nicht einmal ich.“ Die Worte hingen wie ein Damoklesschwert über Luc. Wie viel wusste Phil? Es war früher Abend als Luc das Lazarett verließ. Gerne hätte er noch nach Vernon gesehen, doch er begnügte sich mich der Auskunft der Schwester, dass es seinem Freund den Umständen entsprechend gut ging und er viel Schlaf brauchte. Mit einem beklemmenden Gefühl in der Brust näherte sich Luc Philippes Gemächern. Die Begrüßung seines Ziehvaters war nüchtern, gefolgt von einem direkten Angriff, noch bevor sich der Dunkelblonde setzen konnte. „Hast du geglaubt ich würde es nicht merken!? Dass dein hilfloser Versuch, die Zeichen zu verbergen, ausreichen würde? Wie konntest du nur? Dich auf einen Vampir einlassen. Dich mit einem vereinigen. Dein Blut freiwillig geben!“ Wie zur Offenbarung riss der Ältere das Seidentuch von Lucs Hals. Die Enttäuschung in den zornigen Augen schmerzte Luc, genauso wie die Anklagen. „Ich tat es nicht freiwillig.“ Kraftlos ließ er sich in die Kissen des Sofas sinken. „Nein, und wie erklärst du mir dann, dass dich einer beißen konnte? Dich. Ein Elitejäger der Garde! Du solltest den Prinzen töten und ihm nicht gefällig werden! Du bist mit Abstand der beste Jäger, den die Garde je hervorgebracht hat. Ich habe dich dazu gemacht. Dich ausgebildet, dir mein Wissen gegeben. Und der Luc, den ich erzogen habe, würde sich nie von einem Vampir beißen lassen, außer es geschieht freiwillig!“ Luc sah betroffen zu Boden. Es war nicht freiwillig, aber er hatte sich auch nicht gewehrt. Phil brauchte keine Worte als Antwort. Die Geste allein war ihm Antwort genug. „Dann ist es also war. Du bist ein Sklave ihrer Macht geworden. Es war der Prinz, habe ich Recht? Ich begreife nicht, wie es einem Vampir gelingen konnte, dich in seinen Bann zu ziehen. So sehr, dass du deine Seele opferst. Du sagtest bereits, dass du seinem Wesen kaum widerstehen kannst, aber dass du in seiner Gegenwart so verloren bist, dass du dich aufgibst.“ Sanft griff Phil nach Lucs kalten Händen. „Bei Gott, Luc. Warum hast du nicht früher etwas gesagt. Mir nicht verständlich gemacht, dass deine Gefühle für ihn so stark sind? Begreifst du nicht, dass du nun, wo du einem Vampir gehörst, eine immense Gefahr für die Gilde bist. Eine die nicht toleriert werden kann, sondern per Gesetz beseitigt wird!“ Tiefe sorgenvolle Falten zeichneten das Gesicht seines Lehrers. Luc fühlte sich immer unbehaglicher. Doch noch konnte er nicht sprechen. Seine Zunge war wie taub, sein Verstand vernebelt. Mit einem Seufzen fuhr Phil fort. „Sag wie lange schon? Geschah es bereits vor dem Maskenball? War alles Lüge, was du mir in unserem letzten Gespräch sagtest? Oder war deine Sehnsucht so groß, dass du danach zu ihm gegangen bist, um den ewigen Bund zu schließen?“ Den Kummer in den blaugrauen Augen zu sehen, quälte Luc. „Ja, es war der Prinz. Aber ich habe mich nicht mit ihm vereinigt.“ Die Worte schienen den Älteren zu beruhigen, auch wenn das Misstrauen deutlich zu spüren war. „Und der Biss Luc? Wie erklärst du mir das? Du stehst nicht unter Trance. Auch lebst du und wurdest nicht durch seinen Blutdurst ausgesaugt. Die weißen Male an deinem Hals sind entstanden, als sich sein Blut mit deinem mischte. Ein Vorgang, den ein Vampir nur willentlich zulässt, um eine Verbindung einzugehen. Bitte sei ehrlich zu mir und zu dir selbst. Gebe zu, dass er dein Blut getrunken und dir gleichzeitig seines gegeben hat, um dich für alle Zeit an sich zu binden.“ Der Ärger in Phils Stimme war gänzlich aufrichtiger Sorge gewichen. Luc kam sich jämmerlich bei seiner Erklärung vor. „Er hat mich gebissen, aber er trank nicht.“ Der Grauhaarige fuhr hoch. „Und das glaubst du? Weshalb dann, hast du ihn nochmals geschont, wenn nicht weil du bereits sein warst? Ich glaubte wirklich, dass dich unser Gespräch zur Besinnung gebracht hätte. Jetzt muss ich erkennen, dass ich dich vielleicht damit sogar in eine falsche Richtung getrieben habe.“ „Nein, Phil. Bitte mach dir keine Vorwürfe. Dich trifft keine Schuld. Ich wollte den Auftrag gewissenhaft ausführen. Der Biss folgte erst danach.“ Geduldig ruhten die blaugrauen Augen des Älteren auf Luc. „Dann erzähle, was geschah. Ohne Lüge, Luc. Nach all den Jahren, in denen ich dir Liebe schenkte, verdiene ich die Wahrheit.“ Mühsam rang der Jäger nach den richtigen Worten. Der Klang in seiner Stimme, war ihm selbst fremd. Verletzlich und schwach. „Du wirst mich für meine Schwäche verachten, so wie ich es tue. Ich habe Angst, Phil. Du glaubst, ich konnte den Prinzen nicht töten, weil ich bereits an ihn gebunden war. Die Wahrheit ist aber, dass es kein Band aus Blut gebraucht hatte, um ihn abermals zu schonen. So sehr ich auch den Auftrag erfüllen, dich mit Stolz und mich mit Ruhm und Frieden belohnen wollte, ich konnte es nicht. Ich fühlte tiefen Hass in mir, als ich auf ihn zielte. All den Gräuel über ihre Untaten, ihre Grausamkeiten. Ich wollte den Pfeil in sein Herz jagen. Wollte, dass es aufhört zu schlagen. Aber in dem Moment als ich schoss, waren da seine Augen dich mich durchbohrten. Sie blickten in mein Innerstes und verschlagen mich. Es war nur ein winziger Augenblick, doch es war zu spät. Ich verfehlte und traf nur die Schulter. Die anderen Vampire griffen uns an. Es waren zwölf neben dem Grafen. Wir hatten keine Chance lebend zu entkommen. Vernon war bereits schwer verwundet und konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten.“ Luc stockte. Blut trieb ihm heiß durch die Adern, als er weiter sprach. „Iven mischte sich ein. Er kam zu mir. Nah, vertraut. Seine sanfte Stimme flüsterte ein einziges Wort in mein Ohr, 'Lauf'. Vernon entkam und ich wenig später auch. Ich lief Richtung Wälder. Iven kämpfte währenddessen mit den Vampiren und verschonte keinen. Als ich im Schutze des Waldes meine Wunden verband, suchte er mich auf. Er sagte, dass es ihm Leid tue, aber er hätte soeben ein ziemliches Massaker angerichtet und dass er dafür ein Alibi bräuchte. Dann fand ich mich schon in seinen Armen wieder. Die kalten Zähne in mein Fleisch gepresst. Das Gefühl mich selbst zu verlieren, die Angst von der Dunkelheit verschluckt zu werden, war noch nie so groß. Gleichzeitig gab er mir das Gefühl von Geborgenheit und Wärme. Die tiefe Sehnsucht in mir schwieg für ein paar Augenblicke. Ich war benommen. Bevor er ging, legte er mir ein Taschentuch mit Blutflecken in die Hand und sagte, ich solle mir keine Sorgen machen. Er hätte nicht getrunken.“ Die Mine seines Mentors war nachdenklich in tiefe Falten gelegt. „Glaubst du es?“ Luc zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Ich zweifle, aber weshalb sollte er mich anlügen? Wenn er mich zu einem von seinesgleichen machen wollte, wieso tat er es nicht? Ich hatte aufgegeben. Es war mir gleich was geschah. Und wenn er mich als Sklave seines Willens machen wollte, wieso verschwand er dann und ließ mich zurück, ohne seinen Lohn einzufordern oder ein Blutband zu knüpfen?“ Ein schweres Schweigen erfüllte das kleine Zimmer. Einzig das leise Knistern des Feuers war zu hören. Nach Minuten, die Luc wie eine Ewigkeit vorkamen, durchbrach Phil die Stille. „Weißt du, dass es für einen Vampir, so mächtig er auch sein mag, im Grunde nicht möglich ist, dem Geschmack von Blut zu widerstehen und dem Hunger nicht nachzugeben? Wie er es vollbracht hat, wird wohl so lange sein Geheimnis bleiben, bis er sich dir offenbart. Die viel wichtiger Frage ist allerdings, was will er?“ Liebe. Es legte sich in sein Bewusstsein. Leicht wie eine Feder, schwer wie Eisen. Er konnte den Verdacht nicht aussprechen. Die Angst damit Wahrheit zu schaffen, mit all ihren Konsequenzen war übermächtig. Sein Verstand kämpfte. Es war auch lächerlich. Nur ein Moment des Kennenlernens. Ein kurzer Zauber der Zweisamkeit. Nichts, was so nachhaltig Wellen schlagen konnte. „Wenn ich das nur wüsste. Vielleicht erhofft er sich eine helfende Hand auf der anderen Seite?“ „Und Luc, würdest du uns verraten?“ Der Jäger war entsetzt über die Direktheit, mit der er gefragt wurde. So, als ob es offensichtlich und nahe liegend wäre, genau das zu tun. „Bei Gott nein! Ihn nicht töten zu können, heißt doch nicht, dass ich andere für sein Leben in den Tod schicken würde. Bitte Phil, du musst mir glauben! Ich würde nie sein Leben über das eines Menschen stellen.“ „Aber indirekt hast du das doch bereits. Ich will dich nicht weiter quälen. Ich weiß, dass du dich bereits genug verdammst und auch, dass die Geheimnisse der Gilde bei dir sicher sind und sich deine Hand niemals gegen Unschuldige richten wird. Aber du musst achtgeben, dass er dein Handeln nicht manipuliert. Lasse dich nicht so blind führen, wie ich mich einst.“ Traurigkeit fing den Jäger nunmehr vollends ein. Der anstehende Verlust, warf seine Schatten bereits bedrohlich über die Gegenwart. „Ich verstehe. Ich kann es drehen und wenden wie ich will, ich bin eine Gefahr für euch.“ Sein Mentor seufzte. „Mit dieser Markierung hat er dich als sein Eigentum gekennzeichnet. Das muss dir klar sein, Luc. Dass der Prinz das Band nicht vollständig besiegelt hat, weiß keiner. Und in deinem eigenen Interesse solltest du es dabei auch belassen. Menschen würden dir die Geschichte genauso wenig glauben, wie Vampire.“ Es war ihm gleich, solange es eine aufrichtige Seele gab, die an ihn glaubte und hinter ihm stand. Unsicherheit schwang in seiner Frage mit. „Und du, Phil?“ Wie zur Bestätigung wurde er von seinem Ziehvater umarmt und auf die Stirn geküsst. „Ich glaube dir. Aber du musst dich entscheiden. Wenn die Gilde etwas davon erfährt, wirst du für Vogelfrei erklärt werden. Solange du ihr angehörst, werden sie dich jagen und vernichten wollen. Wenn du überleben willst, hast du keine andere Wahl, als freiwillig zu gehen. Den Treueschwur als gescheitert zu melden und um Gnade zu bitten. Handle bevor dein Schicksal bekannt wird. Denn das wird es, früher oder später.“ Luc wusste, dass sein Lehrmeister recht hatte. „Dann war's das. Ich werde nie wieder der Garde dienen können.“ „Nicht auf direktem Wege. Dennoch gibt es eine Chance, deinen Leumund reinzuwaschen. Deine Markierung ist aus einem anderen Blickwinkel gesehen ein Geschenk. Du wirst dich nun ungehindert in den Reihen der Vampire bewegen können. Keiner der Blutsauger wird es mehr wagen, Hand an dich zu legen, sobald er die Markierung erkennt. Ihre Instinkte sind feinfühlig genug um zu wissen, dass du dem Prinzen gehörst.“ Die Worte in sein Bewusstsein zu lassen, war Luc zu wider. Er würde niemals einem Vampir gehören. Der Jäger lachte bitter auf. „Das also ist sein Alibi. Verteidigung seines Eigentums.“ Er hatte keine Wahl. Er musste die Chance nutzen, seine Treue der Gilde gegenüber beweisen. „Ich werde also vom Elitejäger zum Spitzel degradiert. Erbärmlich und unbefriedigend. Dennoch füge ich mich. Aber glaubst du, der Prinz wird es sich bieten lassen, dass ich Geheimnisse auskundschafte und weitergebe?“ „Nun, ich denke er wird wissen, dass er deinen beruflichen Werdegang zerstört hat. Vielleicht rechnet er nicht damit, dass es jemand gibt, der weiterhin treu zu dir steht.“ Ja, vielleicht. Luc brauchte keine weiteren Gedanken daran verschwenden. Solange er lebte, würde er Vampire bekämpfen. Wenn dies der einzige Weg war, sinnvoll agieren zu können, dann würde er ihn gehen. Der Jäger stand auf. „Glaubst du es war geplant? Ich meine, wenn er vorhatte, mich zu ihm zu treiben, dann hat alles doch nur allzu gut zusammengepasst und funktioniert.“ „Wenn es so ist, dann solltest du den Grund dafür herausfinden. Möglicherweise bietet sich dann eine Gelegenheit dein Schicksal umzumünzen. Aber nimm dich in Acht. Seinen Ruf hat er nicht umsonst errungen.“ Luc wollte keine weitere Zeit verstreichen lassen. Der Gedanke daran, bereits jetzt so zu handeln, wie Iven es vielleicht wollte, machte ihn wahnsinnig. Er musste die Beweggründe offen legen. Nur dann konnte er einen Ausweg finden. „Dann gehe ich zu ihm.“ „Zwei Dinge noch Luc. Erstens. Ich weiß, dass es dir schwer fällt, aber du musst bald eine Entscheidung bezüglich der Gilde treffen. Vernon hat wirr im Schlaf geredet, aber ich bin mir sicher, dass er mit seinen Ahnungen der Wahrheit sehr nahe ist. Du solltest nicht darauf vertrauen, dass er eure Freundschaft über seine Loyalität stellt. Nicht in dieser Hinsicht. Er wird deine Gefühle nicht verstehen können, sonder sie verachten. Zweitens. Die Markierung schützt dich vor Vampiren, aber halte sie dennoch verborgen, wenn möglich. Viele aus dem hohen Adel machen sich einen Spaß daraus, die Auserwählten eines anderen in ihre Fänge zu bekommen. Sie dürfen dich nicht zwingen, aber sie werden versuchen dich zu verführen und für sich zu gewinnen. Als Prestige und um den Prinzen eine Niederlage zu bescheren, die dieser hinnehmen müsste.“ „Ich vertraue Vernon. Er wird warten bis ich mit ihm gesprochen habe. Was dieses lächerliche Ränkespiel der Vampire angeht, es interessiert mich nicht. Ich habe bereits einem Vampir gestattet mein Gefühlsleben zu beeinflussen. Das wird mir nicht noch einmal passieren. Das schwöre ich.“ Kapitel 8: Wiedersehen ---------------------- 8. Wiedersehen Auf der Suche nach Antworten ritt er direkt zu dem Anwesen des Prinzen. Er konnte nicht sagen warum, doch schon nach kurzer Zeit machte er kehrt und lenkte seinen Schimmel, lediglich einem Impuls folgend, in Richtung Wälder. Der weiße Mondschein erhellte den Weg nur dürftig. Dennoch schreckte ihn die Dunkelheit nicht. Er empfand eher Zuflucht in den Schatten der Bäume. Der silberne See vor ihm zog ihn an wie ein Magnet. Was erhoffte er sich davon, hierher zurück zu kehren? Ohne Antwort folgte er seinem Gefühl und gab sich ganz der mystischen Atmosphäre hin. In die Schönheit der Nacht versunken stieg er von seinem Schimmel ab und gesellte sich zu dem Ufer des schimmernden Sees. Verträumt zogen seine Finger Bahnen durch das kühle Nass. Der Nachthimmel und sein Spiegelbild verzerrten sich. Die sanften Wellen des Wassers hatten eine beruhigende, beinahe hypnotisierende Wirkung auf sein Gemüt. Langsam glätte sich das Bild. Luc war nicht überrascht Ivens Gestalt hinter sich zu erblicken. Es war nicht der See, der ihn lockte, sondern seine Aura. Luc wagte es nicht sich umzudrehen. Die Furcht wieder schwach zu werden, war zu groß. „Warum hast du das getan?“ „Glaube mir, wenn ich die Zeit gehabt hätte, dann hätte ich dich nicht unwissend und schutzlos im Wald zurückgelassen. Aber die Wunde die mir dein heiliger Pfeil beigebracht hatte, war sehr tief. Ich musste sie vor dem Morgengrauen reinigen und versorgen lassen, ansonsten wäre die Gefahr zu groß gewesen, ihr zu erliegen.“ „Das meine ich nicht.“ „Was dann?“ Luc schluckte. Es auszusprechen, machte es real. Nicht mehr bestreitbar. „Warum hast du mein Leben gerettet?“ Im Schein des Sees glaubte Luc ein Lächeln auszumachen. „Warum zerbrichst du dir unnötig deinen Kopf darüber? Es war meine Entscheidung. Belasse es dabei.“ „Das kann ich nicht. Und wenn du nur etwas Anstand besitzt, gibst du mir eine Erklärung.“ Ivens Hand legte sich vertraut auf seine Schulter. Die Wärme, die von dieser Berührung ausging, machte Luc Angst. Er wollte sie nicht spüren, nicht wissen, dass es sie gab. „Legst du wirklich so viel wert auf Liebesbekundungen, Luc? Akzeptiere doch einfach, dass du mir zu wichtig warst, um dich zu verlieren. Ich konnte es schlicht nicht zulassen. Also habe ich dein Leben gerettet.“ „Du hast mein Leben nicht gerettet, sondern ins Chaos gestürzt“, antwortete der Jäger bitter. Eisern bohrten sich seine grünen Augen in die schwarze Unendlichkeit. Hilflos riss er sich schon nach kurzer Zeit wieder los. Der Schwäche entkommen wollend, alleine das Spiegelbild ertragend. „Ich will wissen warum? Weshalb hast du nicht einfach zugelassen, dass sie mich vernichten? Das wäre besser gewesen, als nun auf Ewigkeit als Schoßhund des Prinzen zu gelten. Hast du eine Ahnung, was das für mich als Jäger innerhalb der Gilde bedeutet? Für sie bin ich von einem Vampir gerettet worden, der als Preis für mein Leben die Freiheit meiner Seele gefordert hat. Ich kann unmöglich deine Gefühle der Zuneigung zu mir als glaubhafte Erklärung anführen. Alleine der Versuch würde meinen beruflichen Untergang bedeuten und mein Ansehen mit Hohn und Spott beschmutzen. Und keiner wird glauben, dass es aus reiner Mildtätigkeit des Prinzen geschah. Ich im Übrigen auch nicht. Unser Aufeinandertreffen auf dem Ball. Das viel zu leichte Eindringen in dein Gemach. Dann dein Erwachen, just in dem Augenblick, als mein Dolch trotz Zögern, sein Weg in dein Herz finden sollte. Dein Blick letzte Nacht. Du wusstest von meiner Anwesenheit. Hast abgewartet, auf meine Schwäche gelauert. Und letztendlich dein Biss, der mich bis in alle Ewigkeit an dich binden wird. Dass du es als notwendig erachtet hast, um deine Reputation zu wahren, glaube ich dir sogar. Nicht aber, dass du dich von dem Grafen so leicht hinters Licht führen lassen hast. Die Gelegenheit zu nutzen, um mir dadurch deine Zuneigung oder was auch immer zu beweisen, war einfach viel zu passend. Alles von unserer ersten Begegnung an, erscheint mir wie konstruiert. So als ob ich nur eine Figur in deinem absurden Schachspiel bin.“ „Bist du fertig?“ Ivens Auftreten war die Ruhe selbst. Ausgeglichenheit zu der, der beißende Unterton nicht passen wollte. Luc war sich nicht sicher, ob er Iven ertappt oder gekränkt hatte. Sein Puls beschleunigte sich, als sich Iven neben ihm ins Gras gleiten ließ. „All diese Anschuldigungen und du blickst mich dabei nicht einmal an. Meinst du nicht, dass du dich zu sehr in etwas hineinsteigerst was nicht da ist? Alleine um Ausflüchte zu finden. Du sprichst von Vorsatz. Von Manipulation und letztendlich von Lüge. Warum fällt es dir so schwer zu glauben, dass es einfach so geschah, weil es sein musste? Wenn du einen Grund suchst, der für dich in Worten greifbar ist, dann nenne ihn Schicksal. Vom ersten Augenblick an als ich dich sah, war es für mich wie ein Zauber. Ja, ich wollte dich verführen, aber dass du mein Tod sein würdest wusste ich nicht. Genauso wenig wie ich von deinem erneuten Auftrag, mich bei der Besprechung mit dem Grafen zu liquidieren wusste. Ich habe nicht über die Konsequenzen nachgedacht, als ich ihn und seine Häscher tötete, um dich zu retten. Auch nicht darüber, was die Markierung für dich gesellschaftlich bedeuten würde. Aber wenn du in allem nur Misstrauen sehen willst, ist das dein gutes Recht.“ Die Pause die eintrat wog unangenehm. Luc drehte sich dem Vampir zu, wissentlich, dass er besser auf Abstand gehen sollte. Zweifelnd suchte er die Wahrheit in der undurchschaubaren Miene des Prinzen, fand jedoch nur Verwirrung und das Unvermögen seine eigenen Gefühle zu verstehen. Ivens sanfte Stimme lullte ihn ein. Verführerisch und dunkel, wie der Prinz selbst. „Es hat sich nichts geändert Luc. Du bist Jäger, ich ein Vampir. Wir sind Feinde. Und wenn du es dabei belassen willst, dann akzeptiere ich das.“ Spielerisch fingen Ivens geschickte Finger eine seiner dunkelblonden Haarsträhnen ein. Die liebevolle Geste bannte Luc. Er konnte nicht länger standhaft sein. Zögernd versanken seine grünen Augen in den nachtschwarzen des Prinzen. Schwerelosigkeit überkam ihn. Das Gefühl sich zu verlieren, der Wunsch sich treiben zu lassen, gewann die Oberhand. Der Versuch aufzubegehren scheiterte. Die warme Stimme des Vampirs hielt ihn mühelos fest. „Ich war gezwungen eine kleine Menge von meinem Blut in deine Bisswunde zu mischen. Anders hätte ich keine Markierung schaffen können. Es war eine unbedeutende Menge, die dich niemals an mich binden könnte. Ich habe auch nicht von dir getrunken. Kein Tropfen deines Blutes rinnt durch meine Adern. Es gab weder eine Vereinigung, noch gibt es ein Blutband zwischen uns. Dein Wille allein würde ausreichen, um dich von mir loszusagen. Bevor sich unsere Wege für immer trennen möchte ich aber, dass du weist, dass es für einen Vampir, gleich welchen Standes, schier unmöglich ist dem Blut zu widerstehen, sobald seine Lippen davon benetzt sind. Wenn unser Wesen von etwas tierischem bestimmt ist, dann ist es der unstillbare fordernde Hunger. Einzig der tiefe Wunsche in mir dir nicht zu schaden, dich vielmehr zu schützen, hielt mich davon ab meiner Natur zu gehorchen. Dies in Verbindung mit aufrichtiger Liebe. Sie allein kann unseren Hunger zähmen.“ Liebe. Luc schlug die Hand an seinem Gesicht grob beiseite. „Das Bedürfnis in mir dir glauben zu wollen, ekelt mich geradezu an. Was erwartest du? Das ich es verstehe? Es gutheiße? Dir vertraue?“ Ivens feine Züge zeigten Betroffenheit. „Nein, Luc. Nichts von alledem. Du musst mir nicht einmal glauben. Als Jäger kannst du es vielleicht auch gar nicht. Aber wir Vampire sind mehr als nur die blutrünstigen Bestien, die du in uns sehen magst. Wir können lieben. Vielleicht tiefer und inniger als ihr Menschen. Wenn es nicht so wäre, würde unsere Gier und unser vernichtendes Wesen jeden Geliebten in den Tod reißen.“ Luc stand auf. Er wollte Abstand gewinnen. „Du tust es schon wieder. Alles sieht in deinem Licht so klar und vollkommen aus. Dabei wirfst du selbst doch nichts als Schatten. Du scheinst genau zu wissen, wie du mir etwas anpreisen musst, damit ich nicht widerspreche.“ „Luc, ich will nur, dass du es akzeptierst. Ich habe dein Leben geschützt, weil ich deinen Tod nicht ertragen könnte. Nimm es so hin. Mehr verlange ich nicht.“ Luc ballte seine Hände zu Fäusten. Schmerzhaft krallten sich seine Nägel in das angespannte Fleisch. „Du hast keine Ahnung, was du da von mir verlangst, Iven. Nicht die geringste.“ Ohne weitere Worte abzuwarten, schwang sich der Jäger fluchtartig auf seinen Schimmel und galoppierte davon. Seine Augen brannten. Vampire. Sie waren brutal und blutrünstig. Dass diese gefühllosen Ungeheuer lieben konnten, spottet jeder Vernunft. Einzig Blut war ihre Bestimmung. Leben nehmen um ihr eigenes zu erhalten. Liebe hatte da einfach keinen Platz. Wieso nur fiel es ihm so schwer Iven nicht zu glauben? Vielleicht, weil ihn der Gedanke daran mit Glück erfüllte. Glück, das es so nicht geben durfte. Der Prinz wusste nun, dass er als Jäger keinerlei Einfluss mehr hatte. Ihn aus strategischen Gründen für sich zu gewinnen, machte keinen Sinn mehr. Dennoch kämpfte Iven um seine Zuneigung. Was also, wenn dieser wirklich die Wahrheit sprach? Würde es etwas ändern? Er gab seinem Schimmel die Sporen. Ja, vielleicht sogar alles. Kapitel 9: Intention -------------------- 9. Intention Oh, doch das weiß ich, mein wilder Jäger. Ich kann in dir lesen, wie in einem offenen Buch. Und die Buchstaben erzählen mir, dass ich meinem Ziel sehr nahe bin. Wie sehr ich es bedauere, dass du keine Familie mehr hast, die ich dir nehmen könnte, Luciel Baldur. So werde ich mich mit deiner Heimat begnügen. Ich freue mich auf den Schmerz in deinen grünen Augen, wenn dich die Gilde verstößt. Deine Freunde und Kameraden schneiden werden. Deine Lebensaufgabe im Sand der Verzweiflung verläuft. Hilfe suchend wirst du in meine Arme laufen. Um Geborgenheit und Zuflucht bitten. Und ich werde dir beides schenken. Das und den Glauben an meine Liebe. Du wirst brechen. Erst langsam, dann unweigerlich. Zu guter Letzt deine Prinzipien für mich aufgeben. Freiwillig meinen Kuss der Ewigkeit empfangen. Ich werde dich glückselig in die Wolken erheben. Dir den Zauber der Welt zeigen, nur um dich dann in den Abgrund zu stoßen. Dort werde ich dich schon bald in das Gefängnis des ewigen Leids sperren, so wie du mich einst. Deine einzige Nahrung werden deine Tränen sein. Deine Gesellschaft deine Schmerzensschreie. Verzweifelt wirst du Himmel und Hölle anflehen dich zu erlösen. Aber das einzige was du erhalten wirst, was ich dir gewähren werde, ist ein qualvolles Dahinvegetieren. Dein Herz wird leer sein, wie das meine. Deine Seele von Pein aufgefressen. Die Einsamkeit wird dich verschlingen und immer wieder aufs Neue ausspucken, um dir all die herrlichen Qualen zu kredenzen, die ich erleiden musste. Luciel Baldur. Elitejäger der Garde. Mörder meiner Schwester. Du wirst dir wünschen nie geboren zu sein. Du wirst fühlen, was ich fühle und um Gnade betteln. Erst dann wird dein Tod gerächt sein. Cecilia, meine geliebte Schwester. Kapitel 10: Beschluss und Entschluss ------------------------------------ 10. Beschluss und Entschluss Keuchend stieg er ab und führte seinen Schimmel in die Scheune. Sonst kümmerte er sich gerne selbst um sein Pferd, doch heute war er froh, die Pflege einem Stalljungen anvertrauen zu können. Er war sich nicht sicher, ob er bereits mit Phil sprechen konnte. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn er das Gespräch mied. Phil würde ihm auch nur sagen, was er schon wusste. Dass er sich in Acht nehmen musste. Dass Ivens Geständnis in Anbetracht seiner Taten wahr sein könnte, war eben so möglich, wie ein ausgetüftelter Plan, den er noch nicht zu durchschauen vermochte. Wie dem auch sei. Er konnte nicht leugnen bei dem Gedanken daran, dass Iven wahrhaft Liebe für ihn empfand, glücklich zu sein. Sein Herz wollte ohne Umschweife diesem Glück entgegen laufen. Viel zu lange war es im kalten Eis des Winters eingesperrt und der Frühling mit seiner Unbeschwertheit und Wärme verbannt gewesen. Allein fleischliche Gelüste gestatte er sich. Doch nie war sein Herz dabei. Es hinzugeben, der Gefahr der Enttäuschung auszusetzen, erschien ihm stets als zu groß. Nun festzustellen, dass es einem Vampir scheinbar mühelos gelang sich in sein Herz zu nisten, war wie ein Schlag in sein Gesicht. Jahrelang hatte er sich und der Welt Stärke und Unnahbarkeit vorgegaukelt. Er brauchte niemanden. Liebte seine Unabhängigkeit und kam auch bestens ohne Zweisamkeit zurecht. So war es einfacher seine Gefühle zu kontrollieren, sie unter Verschluss zu halten. Sein Leben der Jagd zu verschreiben. Alles war geordnet und Sinn gerichtet. Doch nun stand er vor einem Scherbenhaufen. Er musste ihn beseitigen. Scherbe für Scherbe. Aber zuerst musste er seinen Rausch ausschlafen. Sein Kopf würde ihm morgen sicher die Quittung für seine Maßlosigkeit präsentieren. Dabei hatte kein Becher seine Verwirrung beseitigen oder die Gefühle betäuben können. Im Gegenteil. Müde fiel er ins Bett. Morgen würde er zuerst nach Vernon sehen. Es war bereits später Mittag als er mit einem pochenden Kopf erwachte. „Oh je, da hast du ganze Arbeit geleistet“, tadelte er sich selbst. Er nahm keine Rücksicht auf die Gegenwehr seines Körpers, als das eisige Wasser an seiner Haut hinab perlte. Selbst schuld. Wärst du nicht so maßlos mit dem Wein gewesen, könntest du jetzt anstatt deinen Kreislauf in Schwung zu bringen, ein warmes Bad nehmen. Nach dem Ankleiden versteckte er den geweihten Dolch mit der verzierten Scheide in seinem Stiefel. Er war froh, dass Phil ihm trotz allem diese Waffe gestern wieder anvertraut hatte. Ohne Worte. Sein Mentor nahm damit einen großen Verstoß auf sich. Das Verschwinden des Dolchs würde sicher nicht lange unbemerkt bleiben. Luc nahm noch eine Kleinigkeit zu sich, um dann seinen Freund aufzusuchen. Vernon wurde das Privileg eines eigenen Krankenzimmers zugesprochen. Der Dunkelblonde war außerordentlich froh über den Umstand, seinen Freund im Vertrauen sprechen zu können. Er klopfte an die Tür. „Herein!“ Vernons Stimme klang bereits wieder kraftvoll. „Hallo, mein Freund. Wie geht es dir?“ „Luc, wie schön dich zu sehen. Mir ist bereits zu Ohren gekommen, dass man dich gefunden und wohlbehalten zurück gebracht hat. Mit geht es bereits ganz gut. Ich weiß nur nicht, wann ich bei all der Bettruhe durchdrehe“, lachte der Brünette. „Setze dich bitte.“ Luc ließ sich auf der Bettkante nieder. Vernon sah gut, wenn auch sehr mitgenommen aus. „Ich bin froh, dass du es geschafft hast. Ich hätte es mir nie verzeihen können, wenn du mit deinem Leben bezahlt hättest.“ „Ach, komm schon, Luc“, Vernon puffte ihn in die Seite, „es war meine Entscheidung dich zu begleiten. Ich wusste welches Risiko ich eingehe. Also bitte keine Schuldgefühle, in Ordnung?“ Luc nickte dankbar. „An was erinnerst du dich noch?“ Vernon überlegte bevor er antwortete. „Im Grunde wieder an alles. Da gibt es nur einiges was ich nicht verstehe.“ Ernst blickte der Brünette seinen Freund an, als er fortfuhr. „Du hättest einfach treffen müssen. Aber bereits beim Zielen haben deine Hände gezittert. Du bist ein verdammt guter Schütze und hattest freie Bahn. Dass dein Pfeil nicht getroffen hat, kann ich mir nur so erklären, dass du nicht sein Herz treffen wolltest.“ Luc fühlte sich ertappt und wagte nichts zu erwidern. „Dann das Einschreiten des Prinzen. Ich weiß nicht, was da zwischen euch ist, Luc. Aber ich habe ihn gesehen. Den Blick, den er dir zuwarf. Das Verlangen in seinen Augen. Er wollte dich.“ Luc schwieg weiter. „Was denn? Nicht eine Erklärung? Willst du wirklich, dass ich mir zusammen mit dem Schal um deinen Hals, mein eigenes Bild male?“ Vernons Augen wurden glasig. Vorsichtig griff er nach dem dünnen Tuch um Lucs Hals. Scharf zog er die Luft ein, als er die Male sah. „Bitte, sag mir, dass das nicht wahr ist! Du bist nicht zu einem der ihren geworden, oder?“ Lucs Worte waren ruhig, obwohl es in ihm brodelte. „Nein, Vernon. Ich gehöre immer noch mir selbst. Siehe es als Bezahlung für unser beider Leben an.“ „Dann hast du dich verkauft. Hättest du mich davor gefragt, dann hätte ich lieber den Tod gewählt, als zuzulassen, dass du dich in die Verdammnis begibst.“ Luc griff sanft nach Vernons Händen. „Du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich nicht vor die Wahl gestellt wurde. Ich hege auch keine Ambitionen ihm und seiner Macht nachzugeben. Im Gegenteil. Ich werde dem ein Ende setzen.“ „Korrigiere mich, wenn ich falsch liege, aber du hattest zweimal die Chance und den Auftrag den Prinzen zu töten. Das letzte Mal hast du ihn geschont. Was war davor auf dem Maskenball? Da hast du auch gezögert, nicht wahr? Warum?“ Luc wusste, dass es sinnlos war seine Gefühle zu erklären. Gefühle die er selbst nicht verstand und für die Vernon niemals Verständnis gehabt hätte. „Sagen wir einfach, ich habe ihn unterschätzt und ich werde meinen Fehler wieder gut machen.“ „Er hat dich gebissen! Dich zu seinem Eigentum gemacht. Wie könntest du dich da gegen ihn auflehnen?“ „So ist es nicht. Vertraue mir, Vernon. Bitte.“ Gerne hätte er mehr gesagt, seinem Freund die ganze Geschichte erzählt. Doch er wusste, dass er damit alles nur noch schlimmer machen würde. Kritisch musterte Vernon den Jäger. „Vertraust du dir denn selbst noch, Luc? Ich kann dieses Wissen nicht für mich behalten, das weißt du. Sobald ich genesen bin, werde ich beim General vorsprechen.“ Das war mehr, als Luc erwarten konnte. „Danke.“ Er stand auf und wandte sich zum Gehen. „Luc, ich will, dass du weißt, dass ich zutiefst von dir enttäuscht bin. Du warst immer mein Vorbild. Und nun fühle ich mich von dir verraten.“ Er musste mit sich kämpfen. Jeder wütende Gefühlsausbruch wäre Luc lieber gewesen, als diese schlichte offene Feststellung, die ihn unendlich schmerzte. „Es tut mir leid, Vernon. Bitte glaube mir. Ich werde nichts unversucht lassen, meinen Fehler wieder gut zu machen.“ „Bitte, belüge mich nicht. Und noch wichtiger, sei ehrlich zu dir selbst. Ich kenne deinen Hass auf die Vampire. Wenn der Prinz es geschafft hat, diesen unerschütterlichen tiefen Groll in dir zum Schweigen zu bringen, dann kämpfst du nicht gegen ihn, sondern in erster Linie gegen dich selbst. Du kannst es leugnen. Aber unsere Wege werden sich trennen. Ich werde für dein Seelenheil beten, Luc. Aber ich werde nie wieder an deiner Seite kämpfen können. Ich werde unsere Freundschaft nicht vergessen, sie aber tief in meinem Herzen verschließen. Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, sind wir Feinde.“ Luc konnte nicht noch einmal in die traurigen Augen seines Freundes blicken. „Verstehe. Lebe wohl, Vernon.“ Er stürmte nach draußen. Die kalte Winterluft besänftigte sein erhitztes Gemüt nur geringfügig. Es tat weh, Vernon nun für immer aus seinem Leben zu wissen. Wenn sie je wieder aufeinander trafen, dann als Feinde. Vernons Genesung würde sicher noch einige Tage in Anspruch nehmen. Dennoch nahte der Tag der Offenbarung unaufhörlich. Seine Verbannung in Schande war nur eine Frage der Zeit. Nein, er konnte sich selbst noch nicht ins Aus setzen. Er würde versuchen, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, bevor er als Verräter bezichtigt, verstoßen und gejagt wurde. Er hatte keine Wahl mehr. Nur einen Ausweg. Er musste Iven töten. Ihn und seine aufkeimenden Gefühle für dieses seelenlose Geschöpf. „Luciel Baldur?“ Luc drehte sich um. „Bitte verzeiht, aber der General verlangt nach euch. Ihr möchtet euch umgehend in seinem Büro einfinden.“ Darauf war Luc nicht vorbereitet. Was könnte er wollen? Noch bevor er den Soldaten fragen konnte, war dieser verschwunden. Es war ihm unbehaglich zumute, als er in das Büro eintrat. Neben dem General Babtiste van Dur, war Phil als Oberstleutnant, der Major Breskeville und Hauptmann Junkens anwesend. Die Zusammenkunft dieser Männer ließ nichts Gutes erahnen. „Bitte setzt euch, Luciel Baldur.“ Die Stimme des Generals klang ernst. „Mir ist es nicht recht, aber nach reichlicher Beratung, sind wir als Gremium der Garde zu dem Beschluss gekommen, euch zu beurlauben. Bitte versteht dies. Ihr habt zweimal versagt. Und um ehrlich zu sein, eure Berichte waren alles andere als nachvollziehbar oder zufrieden stellend. Ich habe große Stücke auf euch gesetzt. Nicht zuletzt, weil Philippe Constenz sich für euch verbürgt hat.“ „Was der General damit sagen möchte“, mischte sich der blonde Hauptmann Junkens ein, „ist, dass ihr der Aufgabe nicht gewachsen seid. Ihr habt das euch entgegengebrachte Vertrauen nicht mit Taten bestätigen können. Und Bemühungen allein reichen nun einmal nicht aus, wie ihr sicher verstehen werdet.“ Der Hauptmann machte sich nicht einmal die Mühe, den Hohn in seiner Stimme zu verbergen. Der General ergriff wieder das Wort. „Wir werden euren bisherigen Dienst in der Garde nicht abwerten, aber momentan sehen wir es für besser an, wenn ihr euch von den Strapazen erholt. In welchem Sinne ihr der Garde zukünftig dienen könnt, wird noch beschlossen werden.“ Am liebsten hätte Luc in die lachenden Gesichter gespuckt. Wie konnten Sie nur so über ihn urteilen? Sie hatten keine Ahnung. Diese hohen Esel dirigierten seit Jahren nur noch, ohne sich der tatsächlichen Gefahr stellen zu müssen. „Die Beurlaubung gilt bis auf weiteres für unbestimmte Zeit. Ihr dürft euch entfernen.“ Luc ging und schluckte den Ärger hinunter. Jedes Wort wäre zu viel gesprochen. Alleine mit Taten konnte er antworteten. Als er auf den Kasernenhof trat, musterten ihn neugierige Blicke. Seine Beurlaubung hatte also bereits die Runde gemacht. Es war fast albern, wie erwachsene Kerle tuschelnd in den Ecken standen. Wie Klatschweiber, die nichts Besseres zu tun hatten, als sich über das Unglück anderer lustig zu machen. Er ging Richtung Stall. Keine Sekunde länger wollte er hier verweilen. „Sieh an, ein Ausritt am frühen Abend. Du willst sicherlich zu deinem Liebsten, um gemeinsam die Sterne anzubeten. Zu etwas anderem bist du ja nicht im Stande. Ein Schandfleck für die Garde!“ Das war zu viel. Er holte aus und schlug den Lästerer zu Boden. Er war beinahe wie im Wahn und musste sich beherrschen innezuhalten, bevor der Andere ernsthaften Schaden davontragen würde. Unter der blutenden Nase und dem blau anschwellenden Augen erkannte er Siegbert, Sohn des Hauptmanns Junkens. „Sieh einer an. Da wittert doch wohl nicht einer seine Chance, meinen Platz einzunehmen? Hat dein Papi das alles arrangiert, um seinem unfähigen Sohn den Weg zu ebnen?“ Luc drückte seinen Ellenbogen schmerzhaft gegen die wohl nun zumindest angeknackste Rippe des Unterlegenen. „So war das doch nicht gemeint, es war nur ein Scherz“, presste der Blonde hervor. Luc wusste genau, wie es gemeint war. „Na, wenn das so ist, dann tut es mir leid, dass ich deine Art von Humor nicht verstehe.“ Angewidert spuckte er in das verzerrte Gesicht unter ihm und stand auf. „Hat mir noch jemand was zu sagen!“ Stille. Keiner rührte sich mehr. Einige drehten sich weg, als ob nie etwas gewesen wäre. Der Jäger zögerte nicht länger. Auf direktem Wege ritt er seinem Schicksal entgegen. Kapitel 11: Xei --------------- 11. Xei Er fühlte sich wie ein wütender kleiner Junge, als er sich dem herrschaftlichen Anwesen näherte. Immer noch ärgerte er sich über die Arroganz, mit der ihn der Hauptmann, wohl aus eigenen Ambitionen heraus, als ungenügend abgestempelt hatte. Der offensichtliche Stempel namens Beurlaubung, würde sicherlich noch längere Zeit für Belustigung innerhalb der Garde sorgen und seine Neider erfreuen. Scharf zog er die kühle Abendluft ein. Sein verletzter Stolz pumpte sein Blut heftig durch die Adern. Er hatte das Gefühl innerlich vor Zorn zu brennen. Er wusste, dass die Autoritären der Garde recht hatten und dieses Wissen, floss wie zähes Öl ins Feuer. Er wollte die Lästerer hinter seinem Rücken zum Schweigen bringen. Die Neider, die ihn mittlerweile als Schoßhund des Prinzen verlachten, sollten an ihren Worten ersticken. Ihn demütig um Verzeihung bitten. Er hatte keine Wahl. Er musste einfach seinen Ruf wieder herstellen und Iven zur Strecke bringen. Nicht zuletzt, um sich selbst aus dem Bann des Prinzen zu befreien. Verdammt, er war schließlich ein Elitejäger! Zweimal an einem Vampir, nur aufgrund dessen Charismas zu scheitern, war mehr als er sich leisten und ertragen konnte. Und dennoch, bei jedem Schritt, den er Richtung Eingang ging, fühlten sich seine Glieder schwerer an. Er musste sich zwingen weiter zu gehen. Gleichzeitig schrie sein ganzer Körper nach der dunklen Gegenwart Ivens. Die Angst wieder zu scheitern, kroch unerbittlich näher. Ja, er hatte den richtigen Vorsatz gefasst. Er musste sich befreien. Reagieren bevor er verstoßen wurde. Seine Reputation, die Ordnung in seinem Leben wieder herstellen. Er wollte endlich wieder in den Spiegel blicken können, ohne sich seiner selbst zu schämen. Er würde dem ein Ende setzen. Heute noch. Das Portal schien ihn erhaben einzuladen und zeitgleich düster eine Warnung auszusprechen. Jede Stufe nach oben, ein Schritt in die Tiefe. Er legte den Schal ab und präsentierte den Wachen am Einlass die Markierung an seinem Hals. Zwei belustigte Augenpaare klebten auf seinem Rücken, als er passierte. Sicher würden sie denke, dass er sehnsüchtig zu seinem Herren läuft, weil er dessen Abwesenheit nicht länger ertragen konnte. Einen Augenblick lang wollte er zurück rennen. Ihnen jeden Knochen einzeln brechen, ihre verdammten Herzen durchstoßen. Wieder schluckte er seinen Zorn runter. Wie recht sie doch hatten. Schließlich war er deshalb hier. Um sich loszusagen. Auch wenn er vermutlich nicht lebend entkommen würde, war alles besser, als dieses Gefühl in ihm. Der lange graue Gang wirkte mit seinen kühlen steinernen Säulen und den großen Rundbögen beruhigend auf sein Gemüt. Grabkammer, glomm es kurz in seinen Gedanken auf. Trostlos und ruhig. Einzig das Klappern seiner Schuhe trübte die Stille. Das und ein Schatten. Er hatte die Anwesenheit des Verfolgers bereits erahnt, als er das Tor passierte. Jetzt war er sich sicher. Seine Muskeln spannten sich. Ruckartig wandte er sich um. „Wie lange wollt ihr mir noch folgen?!“, spie er dem Verfolger herausfordernd entgegen. Ein süffisantes leises Lachen fing Luc ein. Langsam glitt der Schatten hinter einer Säule hervor. Der Anblick, der sich Luc bot, raubte ihm kurzzeitig den Atem. Das erste Wort, welches ihm zur Beschreibung einfiel, war einfach nur strahlend. Langes weißes Haar schimmerte silbern um die Silhouette der schlanken Gestalt. Der weiße bestickte Gehrock und das seidige Hemd erschienen neben dem hellen Antlitz beinahe fahl. Einzig der volle blutrote Mund, in dem markanten, mit hohen Wangenknochen gezeichneten Gesicht, bot einen Kontrast, zu der weißen Erscheinung. Ein verführerischer Farbtupfer in unschuldigem Schein. Wenn es Engel gäbe, würden sie wohl so aussehen. „Bitte verzeiht. Meine Neugier trieb mich an.“ Klar wie Wasser drang die Stimme an sein Ohr. Die Präsenz des Vampirs schien die ganze Umgebung auszufüllen und zu erleuchten. Er gehörte eindeutig zum höheren Adel. Vielleicht war sein Stand nicht minder den Ivens. Auf eine nicht zu definierende Art waren sie sich sogar ähnlich. Und dabei so gegensätzlich wie Tag und Nacht. Er musste auf der Hut sein. Die Warnung seines Mentors fortan als beliebtes Opfer zu gelten, schien sich zu bewahrheiten. Auch wenn er in dem Revier des Prinzen unter dessen Schutz stand, konnte er sich nicht einzig darauf verlassen. „Neugier auf was?“, war seine knappe Antwort. Ein Lächeln, süß versprechend. Der intensive Blick auf seinen Hals trieb ihm unweigerlich einen Schauer über den Rücken. „Nun, ich will es mal so ausdrücken. Ihr wurdet als Eigentum des Prinzen deklariert und Vampire von meinem Stand sehen darin eine gewisse Herausforderung.“ Die Offenheit verblüffte den Jäger. „Verstehe. Ich bin demnach für euch eine laufende Trophäe die es zu gewinnen gilt.“ Luc machte sich nicht die Mühe, seine Abscheu darüber zu verbergen. „Ihr solltet eure Situation nicht als so trübsinnig bewerten.“ Mit anmutigen Bewegungen näherte sich sein Gegenüber. „Immerhin wird es niemand wagen Hand an euch zu legen. Nicht einmal ich.“ Licht das ihn beinahe blendete. „Und erringen kann man einen markierten Menschen bedauerlicherweise nur mit dessen Einwilligung.“ Sanft strichen feingliedrige Finger wie Sonnenstrahlen über seine Wange. „Der Reiz besteht einzig darin herauszufinden, wie man die Beute zum erliegen bringt.“ Das reichte. Reflexartig warf er den Vampir nieder. Fixierte mit der Linken dessen Handgelenke auf dem kalten Steinboden, während sich sein Knie schmerzhaft in die Magengegend des Unterlegenen bohrte. Rasch zog er den geweihten Dolch aus seinem Stiefel, um den Vampir in Schach zu halten. Gekonnt führte er das kühle Metall an die Kehle des Vampirs, bevor dieser zu begreifen schien, wie schnell sich die Situation gewandelt hatte. Drohend bohrten sich seine grünen in die überrascht blickenden grauen Augen unter ihm. „Für mich seid ihr die Beute, Vampir! Wenn ihr also noch unter eures gleichen wandeln wollt, solltet ihr mir fern bleiben“, zischte er. Fasziniert musterten ihn die weichen grauen Augen. „Ein Jäger. Interessant. Iven hatte schon immer die Gabe sich in Schwierigkeiten zu bringen.“ „Und wer seid ihr, dass ihr euch aufspielt, wie einer der tatsächlich etwas zu sagen hat?“ „Ah, ihr interessiert euch also für mich. Das würde ich dann doch mal unter einem guten Anfang verbuchen.“ Der Druck an der Kehle des Vampirs erhöhte sich automatisch. „Keine Sorge. Ich will nur euren Namen wissen, damit ich dem Steinmetz sagen kann, was er in euren Grabstein meißeln soll.“ Der Faszination in dem Blick des Vampirs machte Belustigung platz. „Ich denke nicht, dass ihr es wagen solltet, den Bruder des Prinzen zu töten, Jäger.“ „Eure Überheblichkeit ist widerlich.“ Damit ließ Luc von dem Vampir ab und richtet sich auf. Er hatte keine Zeit für solch einen Disput. Seine Stärke war anderweitig gefragt. Lässig steckte er seinen Dolch in die Scheide in seinem Stiefel zurück. „Euren Namen, ihr habt ihn mir nicht genant. Oder wollt ihr in der Geschichte nur als 'der Bruder des Prinzen' eingehen?“ Die Bewegung war fließend, als sich der Weißhaarige erhob. „Geschichte kümmert mich nicht. Dennoch will ich euch gerne antworten. Man nennt mich Xei. Und ich hoffe doch, dass wir noch etwas Zeit haben uns kennen zu lernen, bevor ihr mich unter die Erde bringt?“ Der spöttische Unterton entging Luc in keinster Weise. „Ich habe besseres zu tun, als mich mit euch zu beschäftigen. Also erspart mir bitte weitere Plauderei.“ Für Luc war die Unterhaltung damit beendet. Für den Vampir nicht. Sanft wurde der Jäger an der Schulter gepackt und am Gehen gehindert. Als Luc registrierte, dass Xei ihn wie weine Woge aus Wasser und Luft einfing, war es bereits zu spät. Zärtlich aber bestimmt, wurde sein Rücken an die Brust des Anderen gedrückt. Die Lippen strichen weich an seinem Ohr, bevor der helle Klang seinen Kopf vollkommen ausfüllte. „Wir können auch gerne tiefer gehende Gespräche führen. Über eure Ängste, euren Schmerz. Gespräche von Sehnsucht und Wehmut. Oder ich zeige euch eine Welt ohne Grenzen. Ich kann euch Freiheit und Liebe schenken, Luciel. Wenn ihr mich lässt.“ Spätestens jetzt glaubt er dem Anderen. Er war Ivens Bruder. Durch und durch die gleiche Macht. Die gleiche Hilflosigkeit die er verspürte. Nur die Anziehungskraft war eine andere. Sie lockte ihn mit Ruhe und Frieden, dem Glanz des Lichts. Er durfte sich nicht ablenken lassen. Iven. Er war sein Ziel, oder vielmehr sein Tod. „Ihr haltet euch für unwiderstehlich, stimmt's?“ Luc blickte direkt in Xeis glänzende Augen. „Nein. Iven hält sich für unwiderstehlich. Und ist es wahrscheinlich auch. Ich halte mich nur für die bessere Wahl, von uns beiden.“ „Dann fällt mir die Entscheidung leicht. Keiner von euch. Ihr dürft euch beide gerne zum Teufel scheren.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, riss er sich aus der Umklammerung und ging. Wissend blickte Xei dem Jäger nach, bis sich dessen Schatten auch nicht mehr von seinen scharfen Vampiraugen ausmachen ließ. Ich wusste, dass du nicht gekommen bist um ein freundliches Tête-à-tête mit Iven abzuhalten, Luciel. Nimm dich in Acht. Von euch beiden ist er mit Abstand der Gefährlichere. Kapitel 12: In der Höhle des Löwen ---------------------------------- 12. In der Höhle des Löwen Zögernd stand er vor der Tür zu Ivens Gemach und schallte sich einen Narren. Was wenn er gar nicht dort war? Er klopfte, doch eine Antwort blieb aus. Gefasst betrat den Raum. Obwohl Iven nicht da war, schien seine Präsenz noch den ganzen Raum zu beleben. Wie der Duft eines Parfums konnte er Ivens Gegenwart spüren. Kurz überlegte er hier zu warten. Hastig schob er den Gedanken beiseite. Nein, unmöglich. Nicht hier. Die Bilder jener Nacht kreisten bereits jetzt wirr in seinem Kopf und er musste klar denken. Irgendjemand würde ihm sicher sagen können wo der Prinz war. Er trat auf den mit Kerzen beleuchteten Gang und ging zu einem der unzähligen Wachposten. Wachposten die es selbst heute, an einem gewöhnlichen Tag, mehr gab als am Abend des Maskenballs. Gleich was Iven ihm erzählte, Luc war sich mittlerweile sicher, dass es nicht das Schicksal alleine war, welches sie zusammen führte. Er wollte gerade seine Frage an die steif stehenden Vampire richten, als ihn von hinten Xeis helle Stimme einfing. „Soll ich euch zu ihm bringen?“ Obwohl Luc wusste was seine Augen sehen würde, raubte ihm das strahlende Antlitz wiederum den Atem. „Bitte.“ Xei lächelte. „Dann folgt mir, Luciel.“ Er war sich klar darüber, dass das Anwesen groß war, dennoch schienen die verschlungenen Gänge und Treppen kein Ende zu nehmen. „Ihr kennt meinen Namen?“, fragte Luc um der unangenehmen Stille Abhilfe zu verschaffen. „Mein Bruder sprach von euch. Er wusste, dass ihr früher oder später den Weg zu ihm finden würdet.“ „Nun, offensichtlich nicht ganz ohne Hilfe“, scherzte Luc. Was tust du da nur? Du plauderst mit einem Vampir und benimmst dich noch dazu äußerst albern. „Für euch, jederzeit gerne.“ Das war nicht die Antwort die Luc gebrauchen konnte. Sie schaffte eine Vertrautheit die nicht sein sollte. „Wir sind gleich im Konferenzsaal angelangt. Der Prinz hatte für heute eine Konsultation mit den hohen Adeligen anberaumt.“ „Und ihr seid nicht dabei?“ Das offene Lachen des Vampirs hatte etwas von der Unbeschwertheit des Frühlings in sich. Lieblich und klar, legte es sich auf die Sinne des Jägers. „Nun, irgendeinen Vorteil muss es ja haben, nicht der Prinz zu sein.“ Luc konnte nicht anders als zu lächeln. Noch nie traf er ein Wesen der Nacht, das ebenso wenig in diese Welt gehörte, wie die Sonne in die Unterwelt. Nur eine Illusion, Luc. Lass dich nicht um den Finger wickeln. Ihre Aura ist ihre stärkste Waffe. Vergiss nicht, dass er unter diesem Schein nicht unschuldiger ist, als irgendeines dieser Ungeheuer. „Wir sind da. Ich werde nachsehen, ob die Konferenz beendet ist. Wenn ihr zuvor noch gestattet.“ Zarte Seide wandte sich um seinen Hals. Die Stickereien waren dieselben, wie auf Xeis Kleidern. „Zu eurem Schutz.“ Kühle Finger glitten sanft wie ein Brise über Lucs Haut. „Eure Male den Adeligen zu präsentierten wäre, wie einem Rudel brünstiger Hirsche eine zarte Hindin schutzlos auszuliefern.“ Lucs grüne Augen funkelten gefährlich. Xei war ihm eindeutig zu nah gekommen. „Euer Gleichnis ist unpassend und überflüssig. Ich bin weder eine zarte Hindin, noch schutzlos“, entgegnete der Jäger gereizt. Der Vampir schloss nun auch die letzten Millimeter zwischen ihnen. Dominant wurde Luc von dessen Körper gegen die kalte Marmorwand gepresst. Augenblicklich schlug Lucs Herz kräftiger gegen seine Brust. Die Nähe des Anderen erregte ihn genauso, wie sie ihm Angst machte. Trotz der dunklen Bedrohung, hatte Xeis Wesen jedoch nichts von dem klaren Strahlen eingebüßt. „Welcher Vergleich gefällt dir dann? Der von hungrigen Wölfen, die sich danach verzehren, das Lamm zu reißen?“ Schlanke Finger tasteten nach seinem Kinn und strichen vorsichtig über seine Lippen. Luc konnte den inneren Kampf in Xei förmlich spüren. Die grauen Augen schimmerten nun wie flüssiges Quecksilber. Toxisch und letal. „Du weißt was wir sind, Jäger. Also nimm dich in Acht und stelle deinen Stolz nicht vor deine Vorsicht.“ Das Verlangen in den grauen Augen verschwand eben so schnell, wie es gekommen war und machten einer Traurigkeit platz, die Luc nicht ergründen konnte. Das laute Pochen holte Luc in die Realität zurück. Verwirrt blickte er Xei nach, der hinter der geöffneten Tür verschwand. Was war das eben? Noch bevor er seine Gedanken ordnen konnte, kehrte der Weißhaarige wieder. Mehrere, in Samt, Spitze und Brokat ausstaffierte Vampire, folgten ihm. Achtlos streiften sie, eifrig diskutierend, an ihm vorbei. „Ihr dürft eintreten“, sprach Xei wieder im höflichen Ton. Luc war überrascht, als er den Saal betrat. Er hatte einen biederen Besprechungsraum mit schweren Holzmöbeln und einem großen Konferenztisch erwartet. Stattdessen säumten bunte Kissen die freistehenden Sessel und Diwane. Diener bemühten sich hastig die größte Unordnung aufzuräumen und die goldenen Kelche zu entfernen. Einige von den bedauernswerten Geschöpfen hatten deutliche Bissspuren an ihren Handgelenken. Luc wurde übel. Sie hielten Menschen wie Tiere und er war drauf und dran selbst vom Jäger zum Opfer zu werden. Er schluckte schwer. Aber deshalb war er hier. Er musste den Schrecken dieser Erkenntnis zum Ansporn seines Tatendrangs machen. „Luc! Schön dich sobald wieder zu sehen.“ Der letzte Diener verschwand und schloss die Tür. Iven thronte wie ein wahrer Herrscher in einem breiten mit blutrotem Samt bezogenen Sessel. Die Beine in schwarzen Stiefel gehüllt, lagen lässig auf dem Schemel davor. „Bitte, setze dich.“ Die ausladende Geste wies auf den Diwan neben ihm. Luc folgte und ließ sich steif auf dem Mobiliar nieder. „Was führt dich zu mir?“ Die tiefe Stimme jagte einen Schauer über Lucs Rücken. Gut, er würde das Spiel mitspielen. Die Eitelkeit des Prinzen ausnutzen. Seine Glieder entspannten sich. „Kannst du dir das nicht denken?“ Sein Blick war verführerisch und verfehlte seine Wirkung auf den Vampir nicht. Iven erhob sich und gesellte sich neben Luc in die bunten Kissen. „Ohne Widerstand, Luc? Wo ist dein Kampfgeist geblieben?“ Gewandt wie eine Katze beugte sich Luc auf sein Gegenüber und begrub begrub dessen Körper unter sich. Unnachgiebig drückten seine Hände Ivens Handgelenke fest in den weichen Stoff. Sein Kopf senkte sich soweit zu dem Vampir herab, dass er dessen warmen Atem auf seinen Wangen spüren konnte. „Sag du es mir. Du hast mir meine Stellung in der Garde genommen. Mein Leben in die Bedeutungslosigkeit geführt und mich zu deinem Sklaven gemacht.“ Wieder zogen ihn Ivens Augen unweigerlich in den Abgrund. Die Nähe des Vampirs belebte jede einzelne Faser seines Körpers. „Ich wäre glücklich, wenn du mir gehören würdest, Luc. Aber ich sagte es bereits. Ich habe nicht einen Tropfen deines Blutes getrunken. Gekostet ja. Aber nicht aufgenommen. Wenn du an mich gebunden bist, dann nicht durch Blut sondern durch“. „Hör auf!“ Lucs Schrei hallte von den Wänden wieder. „Wage es nicht von Gefühlen zu sprechen, von denen du keine Ahnung hast.“ Ivens Gesicht verzog sich. „Du tust mir Unrecht. Nun lass mich schon los. Deine Wunden sind noch nicht vollständig verheilt und ich will dir nicht wehtun.“ „Das hast du schon.“ Luc ließ von dem Prinzen ab. „Gibt es hier auch etwas anderes zu trinken als Blut?“ fragte der Dunkelblonde bitter. „Natürlich.“ Geschmeidig erhob sich der Vampir, um auf einen der Serviertische zuzugehen. Unauffällig suchten währenddessen die Finger des Jägers nach der kleinen Phiole in der Jackentasche, die er in seiner Hand verschwinden ließ. „Trinkst du mit mir? Ich meine Wein kein Blut?“ Iven lächelte. „Wenn es dich glücklich macht.“ Luc stand auf und ging entschlossen auf Iven zu. Immer noch lächelnd reichte dieser ihm einen Becher entgegen. Ignorierend führte die rechte Hand des Jägers den Becher zurück auf den Tisch, während sein Blick den Prinzen einfing. Zögernd wanderte Lucs linke Hand in das seidig schwarze Haar. Er griff bestimmt in den Nacken, um das schöne Gesicht sachte zu sich hinunter zu ziehen. Überrascht ließ der Vampir sich führe und schaffte selbst mehr Nähe, indem er seine Arme um die schlanke Taille des Jägers wandte. Ein Schauer, gefolgt von Verlangen, befiel Luc. Behalte deinen Verstand, ermahnte sich der Jäger. Unbemerkt rieselte das weiße Pulver in den Kelch, während seine zitternden Lippen sanft über die des Vampirs strichen. Die Leidenschaft mit der Iven nun seinen Kuss einforderte, erschreckte ihn. Seine Lippen standen in Feuer und schmeckten den süßen Geschmack von Glück. Ivens Zunge forderte mehr. Herausfordernd führte sie Luc in einen innigen Kampf um Befriedigung. Luc wurde schwindelig. Er hatte erwartet, dass es Iven gelingen würde ihn zu verzaubern. Auch war er darauf vorbereitet gewesen, dass er Sehnsucht verspüren würde, der er nur schwer widerstehen konnte. Nun jedoch, wurde er mit Gefühlen konfrontiert, die ihm so fremd erschienen, dass es ihm Angst machte. Es war mehr als hitzige Leidenschaft und mehr als feurige Lust. Es war vollkommen. Er fühlte sich glücklich, zufrieden und auf eine seltsame Weise frei von aller Last. Mit aller Kraft rief er sich die Schreie seiner sterbenden Mutter in Erinnerung. Er brauchte den Schmerz, um sich nicht zu verlieren. Das Echo war nur schwach, aber es genügte, um sich von dem Kuss zu lösen. Hastig rang er nach Luft. „Bitte gib mir Zeit.“ Ivens Augen waren unergründlich. „Wenn ich etwas habe, dann ist es Zeit und ich schenke dir davon, so viel wie du willst.“ Die warmen Lippen des Prinzen kitzelten an seinem Ohrläppchen. Wie er dieses Gefühl hasste. „Wenn du willst auch die Ewigkeit.“ Lucs Herz stach. Entschlossen griff er nach den beiden Kelchen und reichte einen davon Iven entgegen. „Dann auf einen Neuanfang, Prinz.“ Ohne zögern tranken sie. Luc schloss dabei die Augen. Erst das Klappern des Bechers auf dem Fußboden, ließ ihn seine Augen wieder öffnen. Iven schwankte und starrte fassungslos in das Gesicht des Jägers. Gewandt fing Luc den taumelten Körper auf. „Süße Träume, mein Prinz“, flüsterte der Jäger. Behutsam legte er den stattlichen Körper in die bunten Kissen. Mit einem Ruck zerriss er das schwarze Hemd, um die Brust des Vampirs freizulegen. Sein Herz war schwer. Bedrückende Enge, die ihm das Atmen erschwerte. Wehmütig strichen seine Finger über den makellosen Körper. Du hast dein Ziel fast erreicht. Nun zaudere nicht länger und bringe dein Leben wieder in Ordnung! Als er die Klinge ansetzte, hatte er das widersinnige Empfinden etwas Falsches zu tun. Iven hatte ihm vertraut. Und er würde ihn nun feige im Schlaf ermeucheln. Wenn du gleich deinen Auftrag ausgeführt hättest, dann stündest du jetzt nicht vor diesem Dilemma. Es gibt nichts mehr zu überlegen! Für die Gilde, den Dienst in der Garde, für Phil, für Vernon, für all die Menschen die ihr Leben für Bestien wie ihn lassen mussten. Befreie die Welt von ihm. Übe Gerechtigkeit. Los! Es half nichts. Fieberhaft versuchte sein Verstand sich Willenskraft zuzusprechen. Seine Gedanken Bilder des Grauens aufzubauen, um seinen Hass zu schüren. Doch die Vergangenheit blieb verschwommen. Das Gefühl von eben wich nicht und hinderte ihn daran, den Dolch in das Fleisch zu treiben. Unvermögen, das sich wie eine Geißel um ihn schlang. Luc hatte das Gefühl zu zerbersten. Er sprang auf. Fluchtartig lief durch den Raum und stürzte auf den Balkon, in die eisige Nachtluft. Sein Körper zitterte. Weinend brach er zusammen und sank auf die Knie. „Du bist erbärmlich, Luciel Baldur. Abschaum für die Welt.“ Jedes Wort brannte wie flüssige Lava in seiner Kehle. „Heute Nacht hast du jedes Recht auf Leben verwirkt. Das Andenken deiner Familie beschmutzt.“ Seine rechte Hand schloss sich unnachgiebig um die Klinge des Dolches. Den Schmerz merkte er kaum. Mit Genugtuung folgten seine geröteten Augen den Weg, den sein Blut in die Ritzen des grauen Steins nahm. Ja, ich werde bluten. Soeben habe ich mein eigenes Todesurteil unterschrieben. Meines und das so vieler anderer Unschuldiger. „Ich verdiene schlimmeres als den Tod.“ „Seid nicht so hart mit euch.“ Luc fuhr zusammen. Xei stand ruhig hinter ihm. „Wie lange steht ihr schon da?“ „Lange genug um euren Schmerz zu bedauern.“ Sanft fassten Xeis Hände nach seinen Schultern und richteten ihn auf. Luc wagte es nicht in die grauen Augen zu blicken. „Lasst los, Luciel.“ Die Klinge viel scheppernd auf den Boden und der Klang rüttelte Luc wach. Er wollte weglaufen, doch Xei hielt ihn fest. „Seid vernünftig. Wenn ihr jetzt Hals über Kopf losstürmt, wird es nicht lange dauern, bis die Wachen herausfinden, was soeben geschehen ist.“ „Und was, wenn ich sterben will?“ Tränen bahnten sich hartnäckig ihren Weg und machten ihm die beschämende Tragweite seiner Situation bewusst. Er wollte Xei keine weitere Schwäche zeigen, doch so sehr er sich bemühte, sein Körper gehorchte ihm nicht. Er hatte sämtliche Kontrolle verloren. „Ich glaube nicht, dass ihr das wollt. Ihr seid ein Kämpfer, kein Feigling.“ „Das sehe ich anders.“ Xei sagte nichts weiter. Schweigend bugsierte er den Dunkelblonden zurück in den Saal. „Lasst mich das verbinden.“ Ohne eine Zustimmung abzuwarten, wischte der Weißhaarige das Blut von Lucs Hand und band fürsorglich ein Tuch um die Wunde. Die klare ruhige Präsenz des Vampirs legte sich wohltuend auf Lucs Geist. „Was geschieht jetzt?“, fragte er nachdem sich sein Gemüt vollends beruhigt hatte. Zaghaft wanderten seine grünen Augen zu dem schlafenden Vampir. „Das liegt an euch. Wenn ihr gehen wollt, wird euch Iven sicher ziehen lassen.“ Luc grinste ungläubig. „Ich habe ihn eben betäubt und wollte ihn töten.“ „Ja, wolltet.“ Die Worte waren wie ein Schlag in Lucs Magengrube, auch wenn Xei sie ohne Spott sprach. „Mein Bruder wusste nur zu gut, auf was er sich einlässt. Aber er vertraute darauf, dass ihr ihn nicht hintergehen würdet. Und letztendlich habt ihr das nicht. Zum dritten Mal, Luciel. Ihr hattet wiederholt die Gelegenheit gehabt und euch für, statt gegen ihn entschieden. Er wird sicher wütend über euren hinterlistigen Versuch sein, aber ich kenne Iven. Mehr als verärgert wird er darüber erfreut sein, abermals ein Zeichen eurer Zuneigung und Gunst erhalten zu haben.“ Der Jäger wollte widersprechen, den Worten an Gewicht nehmen. Aber Xei sprach die Wahrheit mit einer Reinheit, die nichts als Verständnis innehatte. Ein stiller Zuspruch, dass nichts Falsches an seinen Entscheidungen haftete. Beinahe naiv. „Werdet ihr mich aufhalten, wenn ich jetzt gehe?“ Lucs Worte klangen flehender als gewollt. „Nein. Wenn ihr gehen wollt, hindere ich euch nicht. Iven sagte ihr seid frei. Demnach steht es euch zu, zu gehen wohin ihr wollt. Aber seid versichert, dass ihr früher oder später wieder zu ihm zurückkehren werdet. Denn letztendlich flieht ihr nicht vor ihm, sondern vor euren Gefühlen und die werden euch überall hin begleiten.“ Naivität, durchzogen mit Weisheit. „Was kann ich tun?“, fragte Luc mehr sich selbst als sein Gegenüber. Umso unerwarteter drang Xeis Äußerung in sein Bewusstsein. „Nichts. Nur die Bindung zu einem anderen Vampir, kann euch von ihm lösen. Euch das intensive Gefühl von Erfüllung geben, welches ihr in Iven gefunden habt, erleben durftet und nicht mehr missen wollt.“ Geschockt sah der Jäger in das sanfte helle Gesicht. „Das wäre wie den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Ich glaube nicht, dass auch nur einer von euch besser ist als der andere. Ihr seid Bestien, allesamt.“ Xei schmunzelte. „Ah, da ist es ja wieder. Das Feuer des Jägers. Bleibt bei eurer Meinung, wenn ihr wollt, Luciel. Aber denkt darüber nach, wenn ich sage, dass nicht jeder so schlecht für euch sein muss, wie der andere. Und auch darüber, dass Liebe in Anbetracht der Ewigkeit, immer einen anderen Stellenwert haben wird als in der Sterblichkeit.“ Der Körper des Prinzen zuckte unruhig. „Er wird sicher bald erwachen. Wenn ihr ihm nicht Rechenschaft ablegen wollt, sollten wir gehen.“ Luc nickte dankbar. Schweigend schritten sie eilig über die Korridore. „Ab hier solltet ihr den Weg alleine finden. Nimmt das, ihr werdet es sicher noch brauchen können.“ Überrascht griff der Jäger nach dem geweihten Dolch, der ihm von Xei entgegen gereicht wurde. „Lebt wohl, Luciel.“ „Luc. Bitte nenne mich Luc.“ Da war sie wieder, diese Unbeschwertheit des Frühlings um Xeis Lippen. Erfrischend wie der junge Morgen. Belebend und wärmend, wie die ersten Sonnenstrahlen nach einer kalten Nacht. Bei all seinem Dilemma und Abneigung für Vampire, konnte der Jäger nicht umhin, diese Schönheit zu bewundern. „Dann lebe wohl, Luc.“ Kaum war Xei verschwunden, fühlte er die Last der Einsamkeit auf seinen Schultern. Er lief weiter Richtung Ausgang. Nenne mich Luc. Was hast du dir nur dabei gedacht?! Gleich was, du wirst nicht zurückkehren. Niemals. Der Prinz regte sich und richtet sich sogleich langsam von seinem Bett auf. „Wieso bin ich hier?“, fragte der Schwarzhaarige ungläubig. „Schön, dass du aus deinem Schlaf erwacht bist. Ich habe dich in dein Gemach gebracht. Ich hoffe du hattest süße Träume, Bruder?“ Der Prinz brauchte einen Augenblick, um sich die letzten Stunden ins Gedächtnis zurückzurufen. „Luc! Ich habe ihn unterschätzt. Wo ist er?“ Xei reichte dem Prinzen einen Kelch zur Erfrischung entgegen. „Nun, du hast ihn zumindest nicht gänzlich falsch eingeschätzt. Ich kam erst, als er sich bereits entschieden hatte. Für dein Leben. Du bist ein hohes Risiko eingegangen. Ich danke Gott, dass er deinen Leichtsinn nicht strafte. Ich denke Luc hat nun mit seinem Gewissen zu kämpfen und wird Abstand suchen.“ Iven lächelte zufrieden. „Dann bin ich meinem Ziel nicht mehr fern. Er wird zurückkommen. Und dann, gehört er mir.“ Interessiert musterte Xei seinen Bruder. „Sag mal, was hast du mit ihm vor? Es ist lange her, dass ich deine Augen so sehr brennen gesehen habe.“ Ernst starrten nachtschwarze Augen in die Leere. „Ich will, dass er Wachs in meinen Händen wird. Er soll sich selbst aufgeben. Mir aus freien Stücken, mit Leib und Seele gehören. Und wenn es so weit ist, werde ich ihn brechen. Sein Herz in tausend Stücke zerschmettern. Er soll voller Verzweiflung und Qual vergehen. So wie ich einst. Sein Leid wird für mich köstlicher sein, als jeder Blutstropfen.“ Xei verstand. „Dann hast du ihn gefunden, den Mörder von Cecilia.“ Feuer loderte nun in den tiefschwarzen Augen auf. „Ja. Ich wusste, dass die Gilde nur ihren besten Elitejäger schicken würde, mich zu töten. Wer wäre nicht der Beste als jener, der bereits meine Schwester ermordete.“ „Iven?“ Xei ließ sich fragend neben dem Schwarzhaarigen auf das mit Seide bezogene Bett nieder. Seine feine Hand legte sich zärtlich auf die Schulter des Prinzen. „Bist du sicher, dass du alles unter Kontrolle hast? Ich kenne dich. Deine Gefühle für ihn bestehen nicht nur aus Rache und Hass. Ich selbst bin von seinem Wesen auf eine berauschende Art fasziniert. Und wir fühlen oft ähnlich, Bruder.“ „Lass deine Finger von ihm“, fauchte der Prinz. Xei wusste, dass er die Drohung ernst nehmen sollte. „Cecilia war meine Schwester, mein Fleisch und Blut. Uns hingegen verbindet nur das Blut unseres Schöpfers. Also bilde dir nicht ein, mich verstehen zu können.“ Xei zog seine Hand zurück. „Nein, und dennoch habe ich Recht. Nimm meinen Rat an, Iven, und hüte dich, nicht dein eigenes Herz zu verlieren.“ „Ich habe keines mehr.“ Die Worte waren nur geflüstert, doch die Bitterkeit in ihnen war lauter zu hören, als jeder Schrei. Xei erhob sich. Trotz des Mitgefühls hatte er noch etwas klar zu stellen. „Was Luc angeht, so tut es mir leid. Du weißt, dass meine Loyalität immer dir, dem Prinzen, gehören wird. Aber du hast ihn gebissen, ihn markiert, ohne sein Blut vollends mit dem deinem zu mischen. Damit hast du ihn zur Jagd für alle hohen Adeligen frei gegeben. Du wusstest, welches Risiko du damit eingehst.“ „Seine Ausbildung und sein Hass auf unsere Art wird ihn schützen. Ich bin der einzige, dem er erliegen wird.“ „Gut, dann brauchst du dir ja keine Sorgen machen, dass auch ich mich nicht zurückhalten werde.“ Iven lachte. Ob aus Stolz oder Spott konnte Xei nicht definieren. „Na schön. Gleiches Recht für alle. Aber mach dir keine Hoffnung. Bereist jetzt ist er mir verfallen. So sehr, dass er all seine Prinzipien verraten hat. Glaubst du allen ernstes, dass ein Elitejäger es zulassen würde, dass er für noch einen weiteren Vampir seine Schwäche entdeckt?“ Xeis dunkelrote Lippen warfen dem Prinzen ein geheimnisvolles Lächeln zu. „Wir werden sehen. Vielleicht zeige ich ihm einfach, dass ich nicht eine Schwäche bin, sonder seine Stärke sein kann.“ Der Prinz reagierte gereizt. „Tu was du nicht lassen kannst, Xei. Aber sei gewarnt. Ich werde nicht zulassen, dass du dich einmischst. Wenn er mir folgt und ich ihn vernichte, dann hast du das zu akzeptieren.“ Wie stets fügte sich der Weißhaarige in die Order seines Bruders. „Natürlich, mein Prinz.“ Mit einer leichten Verbeugung, verließ er das Gemach. Kapitel 13: Blonder Engel ------------------------- 13. Blonder Engel Von Schande getrieben von Schuld gejagt, wanderte der Jäger von einer Stadt zur anderen. Schnell drangen Gerüchte an sein Ohr, dass die Gilde nach ihm suchte. Bislang wurde er nicht wie befürchtet für vogelfrei erklärt. Dafür wurden nun Worte wie Deserteur und Dieb in einem Atemzug mit seinem Namen genannt. Er war ein Geächteter. Nirgends blieb er lange. Ständig war er in Bewegung. Wie eine ruhelose Seele, wanderte er von einem Ort zum nächsten, ständig auf der Flucht. Der Winter hatte längst seine weiße Decke über die Erde gelegt. In der Weihnachtsnacht waren seine Alpträume, wie so oft, die einzige Gesellschaft in seiner Einsamkeit. Träume von dem Massaker in seinem Heimatdorf, begleitet von Tod und Verzweiflung. Träume von Iven, die ihn in den Wahnsinn trieben. Er haderte mit sich. Jeden Tag aufs Neue, unermüdlich gegen seine Gefühle kämpfend. Er versuchte sie zu beschwichtigen, hinter ihr Geheimnis zu kommen. Vergeblich. Sie schwiegen nicht und ihre Existenz blieb für seinen Geist unergründlich. Hartnäckig, ohne Berechtigung, schlugen sie ihre Wellen. Es war gegen alle Vernunft. Wider seines Leids aus Kindestagen. Wider seiner Lebenseinstellung als Jäger. Unnachgiebig hatte die Machtlosigkeit nach ihm gegriffen und nun ließ sie ihn nicht mehr los. Dabei waren es nur wenige Augenblicke gewesen, die sein Herz berührt und zum Beben gebracht hatten. Warum? Die Faszination, die Ausstrahlung, die Anziehung, alles nur Äußerlichkeiten, die ihn gefangen nahmen. Er hatte keine Ahnung, was hinter der Fassade lag. Oberflächlichkeit die nichts über liebenswerte Charaktereigenschaften offen legte. Einzig von dem Tier, der erbarmungslosen Bestie in ihm, wusste er. Sein Herz schien es nicht zu kümmern. Es befragte weder Verstand noch Vernunft. Es gab die Richtung seiner Seele vor, leitete sein Handeln und trieb ihn in Empfindungen vorwärts. Der Kampf den sein Geist führte, sein eigener. Der Feind, sein Spiegelbild. Der Todesstoß der folgen musste, letztendlich einer, der sein eigenes Herz durchbohren würde. Ein Geflecht von Selbstbetrug. Gesponnen in Blindheit, mit den Fäden der Verwirrung. Die Webfehler waren nur zu gegenwärtig. Kleine Laufmaschen, die zu immer größeren Löchern aufrissen. Es war der Abgrund seines Lebens, in dem er sich unweigerlich wieder fand. Einer, der in Ivens schwarzen Augen begann und endete. Nie hatte er geglaubt, dass er im Stande war, so große Sehnsucht zu fühlen. Sein Herz schmerzte auf eine Art, die er weder verstand, noch leugnen konnte. Zeitweise machten ihn seine Emotionen handlungsunfähig und er verkroch sich, wie ein geschlagenes Tier. Instinktiv trieb ihn dann seine Angst, sich endgültig zu verlieren, wieder nach draußen. Er wusste, dass er auf einem schmalen Grad Richtung Irrsinn wanderte. Teilweise suchten ihn selbst Tagträume heim, aus denen er sich kaum lösen konnte. Hinter jedem Schatten, sah er Iven. Hoffte und rief sich wieder zur Vernunft. Oft wollte er dem inneren Drang nachgeben, sein Sehnen stillen. Doch er blieb standhaft. Der Winter verstrich und machte den ersten warmen Sonnenstrahlen platz. Bunte Krokusse kämpften sich vorwitzig empor, um zusammen mit dem Zwitschern der Vögel den Frühling anzukündigen. Lebenslust und Frohsinn erfüllte nunmehr die Straßen. Luc bemühte sich dem bunten Treiben Freude abzugewinnen, doch jeder Tag verstrich so trübe, wie der letzte zuvor. Manchmal glaubte er die Einsamkeit nicht mehr ertragen zu können. Dann ging er in Spelunken, betrank sich und beendete den Abend mit einer wilden Rauferei, in der er sich meist zurückhielt und jeden Schlag als Zeichen seiner Existenz bereitwillig empfing. Die Abscheu für sich selbst, wuchs mit jedem Tag. Und mit ihr die Untätigkeit, sein Leben zu gestalten. So konnte es nicht mehr weiter gehen. Er musste etwas tun. Für sich selbst kämpfen. Sich aus der Resignation frei strampeln. Er alleine war für sein Leben verantwortlich und im Begriff es wegzuwerfen. Es dem Schmerz, mit all seiner Bitterkeit zu überlassen. Lucs Entschluss stand fest. Er würde zurückkehren. Nicht um Iven zu sehen. Auch hatte er nicht vor, bei der Gilde um Vergebung zu bitten, um sein aus den Fugen geratenes Leben wieder in die rechte Bahn zu bringen. Es wäre verlorene Liebesmüh. Alleine der Wunsch das einzig Gute und Reine in seinem Leben wiederzusehen, trieb ihn an. Er wollte zurückkehren, um Sarah rechtzeitig zu ihrem vierzehnten Geburtstag gratulieren zu können. Sarah. Sie war sein Schatz, sein Augapfel. Ihr liebreizendes Wesen, war das Letzte und Wichtigste was ihm geblieben war. Das Kostbarste was er besaß. Immer unter Verschluss gehalten. Vor sich und der Welt. Tief in sich hatte er die zärtlichen Gefühle für sie versiegelt. Weit abseits von seiner Verzweiflung. Nie hatte er sich in seiner Abwesenheit gestattet an sie zu denken. Nichts sollte die Reinheit seiner Erinnerungen an sie beschmutzen. Er rang endgültig die Sorge nieder, Schatten auf ihre Unschuld zu werfen. Er musste nach der Vollkommenheit greifen, um nicht endgültig in der Verdammnis zu vergehen. Der Gedanke, sie bald wieder in seine Arme schließen zu können, erwärmte sein Herz. Sicher würde sie wütend sein, solang nichts von ihm gehört zu haben. Die Vorfreude ihr strahlendes Lächeln mit den großen blauen Augen und den zarten Pfirsichbäckchen wieder zu sehen, erfüllte ihn mit Glück, das er bereits verloren geglaubt hatte. Die Mittagssonne stand hoch am azurblauen Himmel, als er das Kloster auf einer kleinen Hügelerhöhung erreichte. Spielerisch brachen sich die goldenen Sonnenstrahlen zwischen den dunkelgrünen dichten Blätter der Bäume und vollführten im Einklang mit deren Schatten, einen Tanz der Sinnlichkeit, auf dem mit Gras bewachsenen Boden auf. Bewundernd ließ er seinen Geist noch einen Moment in dieser Harmonie verweilen. War es ihre Gegenwart, dass er so einfache Dinge in ihrer idyllischen Pracht wieder schätzen konnte? Er klopfte und wurde sogleich von einer Ordensschwester, deren Gesicht mehrere Lachfalten zierte, in Empfang genommen. „Sie wünschen?“ „Mein Name ist Luciel Baldur. Ich möchte gerne Sarah Robias einen Besuch abstatten. Genauer gesagt, meine herzlichste Gratulation zum Geburtstag aussprechen.“ Die Nonne schüttelte bedrückt den Kopf. „Tut mir leid. Die Mutter Oberin hat ausdrücklich euren Besuch untersagt. Ich kann euch weder anmelden, noch einlassen.“ Luc war wie vor den Kopf gestoßen. „Aber warum? Ich komme seit Jahren und bin ein guter Freund.“ „Hören sie, ich weiß wer ihr seid und es tut mir leid. Aber habt ihr eine Ahnung, wie sehr sich das kleine Ding die Augen nach euch ausgeweint hat? Ihr habt den ganzen Winter lang kein Lebenszeichen von euch gegeben. Kein Besuch, kein Brief, nicht einmal zu unserem heiligen Fest Christi. Sarah hat sich damit abgefunden, dass ihr sie im Stich gelassen habt. Sie nicht mehr liebt. Bitte, belasst es dabei und reißt ihre Wunden nicht erneut auf.“ Mit einer letzten entschuldigenden Geste wandte sich die Schwester ab und wollte die Tür schließen. „Nein ich bitte euch! In Gottes Namen, lasst mich zu ihr. Ich muss sie sehen!“ Bekümmert hielt die Frau inne. „Sarah ist nunmehr im heiratsfähigen Alter. Ihr Vater wird sie sicher bald aus der Obhut des Klosters nehmen und einem Mann versprechen, wenn dies nicht schon veranlasst wurde.“ Luc hatte einen Kloß im Hals. „Aber sie ist doch noch so jung. Sie steht gerade in der Blüte ihres Lebens.“ „Dann seid ihr nicht gekommen um zu werben?“ Luc fühlte sich gekränkt. „Nein. Ich liebe sie, aber ich kam nicht in der Absicht sie fortzureißen oder in den Bund der Ehe zu führen.“ Die Miene der Nonne schien sich aufzuhellen und ließ Luc hoffen. „Nun gut. Ich sehe keine Lüge in euren Augen. Der Herr selbst weiß, dass es manchmal Umwege bedarf, um an sein Glück zu kommen. Ich kann euch nicht einlassen, aber ich werde euch eine Adresse geben, die euch weiter bringt. Habt einen Augenblick Geduld.“ Erleichtert wartet Luc eine Weile vor dem Kloster. Herrn Robias' Absichten, Sarah bereits jetzt zu verheiraten, konnte er nicht gutheißen. Sie war noch viel zu unbedarft für den Bund der Ehe. Der Gedanke daran, sie an einen Mann und in der Verkommenheit der Gesellschaft zu verlieren, schmerzte Luc. Er war sich stets bewusst, dass die Unschuld des Kindes und des unbefleckten Geistes in ihr, nicht für immer bewahrt bleiben würde. Das Leben im Kloster konnte nicht auf immer ihr Schutz sein. Dennoch, es war zu früh. Die Schwester kam zurück und drückte ihm zwinkernd einen Zettel in die Hand. „Es ist eine Wohltätigkeitsveranstaltung und Sarah wird in dem Ensemble die Harfe spielen. Mit ihren langen blonden Locken erinnert das Kind immer an einen Engel, wenn sie die Seiden spielt. Ich bin nur eine Schwester, die ihr bestes Alter überschritten hat. Aber wenn ihr dem Kind Kummer macht, dann werde ich euch persönlich dafür zur Verantwortung ziehen.“ Luc nickte. Es tat gut zu wissen, dass die Schwester sich so besorgt um Sarah kümmerte. „Die Karten sind bereits ausverkauft. Am besten wendet ihr euch an Schwester Dominka. Sagt ihr Schwester Maria schickt euch und ihr dürft hinter der Bühne auf Sarah warten. Der Auftakt ist für sieben Uhr Abends angesetzt.“ „Habt Dank, Schwester Maria. Ich stehe tief in eurer Schuld.“ Luc tat sich schwer die Stunden bis zum Abend abzuwarten. Gerne hätte er Phil oder Vernon einen Besuch abgestattet. Doch außer Vorwürfe hatte er nichts zu erwarten. Womöglich würde er sie sogar in Gewissenskonflikte stürzen. Immerhin war die Gilde mittlerweile über seine Verfehlungen unterrichtet und als Mitglied der Garde hatten sie beide die Pflicht, einen Abtrünnigen der Obrigkeit zu übergeben. Es war besser sich verdeckt zu halten und kein Aufsehen zu erregen. Er hatte keinen Appetit. Dennoch zwang er sich das magere Mahl hinunterzuwürgen. Er zahlte die Zeche und ging zu der Adresse, die ihm Schwester Maria anvertraut hatte. Das Konzert hatte bereits begonnen, als Luc von Schwester Dominka hinter die Bühne geführt wurde. Luc genoss die liebliche Musik, die sich schmeichelnd auf sein Herz legte. Es war lange her, dass er einen Hauch von Frieden verspürt hatte. Sarahs Auftritt erfüllte ihn mit Stolz. Es gab viele hübsche Mädchen auf der Bühne, doch an ihren Liebreiz reichte keines heran. Ja, sie war wie ein Engel, der alle in Entzückung versetzte. Süß und lieblich, wie eine Blume. Eine Kostbarkeit die behütet werden musste. Der Vorhang fiel und der Auftritt wurde mit lautem Beifall quittiert. Plaudernd und aufgeregt drückten sich die Mädchen, wie eine Schar zwitschernder Vögle, an Luc in die Umkleide vorbei. Suchend schweiften seine Augen über die bunte Menge, um den blond gelockten Engel auszumachen. „Luc? Bist du das?“ Erfreut drehte er sich um. Zwei schallende Ohrfeigen waren seine Begrüßung. „Wie kannst du es wagen, mir noch einmal unter die Augen zu treten?!“ Lächelnd schloss er das aufgebrachte Mädchen in seine Arme. „Alles Gute zum Geburtstag, Sarah.“ Der Wut in der jungen Frau wich augenblicklich Freude und die Umarmung wurde erwidert. Dicke Tropfen kullerten über zartrosa Wangen. „Wie konntest du mich nur so im Stich lassen? Ich dachte du hättest mich vergessen.“ Sanft strich Luc über den blonden Schopf. „Ich könnte dich nie vergessen. Du weißt, dass du immer in meinem Herzen bist. Ich musste weg und wusste selbst nicht wohin mich meine Reise trägt. Aber zu deinem Geburtstag konnte ich nicht länger fern bleiben. Nun sei nicht mehr sauer. Wisch dir die Tränen aus deinem hübschen Gesicht, wir haben etwas zu feiern.“ Sarah nickte glücklich. Sie konnte Luc einfach nicht nachtragend sein, dafür hatte sie ihn viel zu gern. Gedankenverloren wartete Luc auf Sarah. In ihrer Gegenwart wusste er wieder, weshalb es sich lohnte, sich seinem Leben jeden Tag aufs Neue zu stellen. Wie konnte er nur die Schönheit der Welt in seiner Verzweiflung vergessen? Den Frohsinn unter Schwermut begraben? Vielleicht hätte er schon viel früher zurückkehren sollen. Laute Schreie rissen ihn plötzlich aus seinen Gedanken hoch. Es waren die Schreie von Panik und von Schmerz. Luc rannte zur Umkleide und stockte. Entsetzen formte das Bild. Fassungslosigkeit die Situation. Eine Schar Vampire machte sich wie in einem Albtraum über die jungen Mädchen her. Gefräßige Habichte, die sich auf hilflose Jungvögel stürzten. „Nein!“ Panisch suchten seine Augen nach Sarah. Sein Körper agierte nur noch. „Sarah!“ Angst und blinde Wut führten ihn. Immer wieder trieb er den geweihten Dolch in einen neuen Gegner, während er sich seinen Weg durch den Raum kämpfte. Angespannt lauschten seine Sinne auf ihre Stimme, auf ein Lebenszeichen. Dann hörte er sie. Ein Schrei, der ihn tief ins Mark fuhr. Ein Vampir hielt Sarah fest in seinen begierigen Armen umklammert. Krallen des Todes, die nach der Beute trachteten. Die Zähne tief in ihr Fleisch gesenkt. „Nein!“ Luc war von dem Schock wie versteinert. Grinsend ließ der gestörte Vampir von Sarah ab. Theatralisch, mit falscher aufgesetzter Miene, ließ er ihren ohnmächtigen Körper achtlos zu Boden sinken. Der Spott stach tief in Lucs Herz. Machtlosigkeit wich Verzweiflung. Verzweiflung strömte zu Hass. Ehe Luc der Raserei in ihm folgen konnte, traf ihn ein heftiger Schlag auf den Kopf. Erbarmungslos umfing ihn Besinnungslosigkeit. Als er mit wackligen Beinen wieder zu sich kam, bemerkte er zunächst, dass sein Gewicht, von den in die Höhe gestreckten Armen gehalten wurde. Seine Schultern brannten und die Fesseln schnitten unnachgiebig in seine Armgelenke. Ein dumpfes Pochen hallte in seinem Kopf schmerzhaft wieder. Nur langsam klärte sich das verschwommene Bild vor seinen Augen. Er war in einem Kerker gefangen. Sarah! Furcht erfüllte sein Herz. „Luc?“ Es war nur ein schwaches Flüstern, aber es reichte um sein Gemüt etwas zu beruhigen. Sie lebte. „Sarah?“ „Ich bin hier.“ Sie trat in der Zelle neben an, an die Gitterstäbe. Ihre Augen waren gerötet. Bevor er etwas sagen konnte, sprudelte es nur so aus der jungen Frau heraus. „Es ist also war. Die Schauergeschichten, mit denen du mich als Kind erschreckt hast sind wahr! Genauso wie meine Alpträume. Es waren diese Wesen, die einst meine Heimat auslöschten, habe ich recht?“ Luc war überfordert. „Du warst noch fast ein Baby, wie kannst du dich da erinnern?“ „Ich weiß nicht, ob ich mich erinnere, aber diese Träume waren immer so real. So, als ob es tatsächlich passierte. Ich war nicht nur Zuschauer, sondern ein Teil davon. Immer fühlte ich, dass da etwas in meiner Vergangenheit war, von dem jeder nur schwieg. Weil ich keine Ruhe gab, erzählte mir Mutter Sofia alle Mythen über diese Wesen, die sie kannte und auch, dass man für ewig verdammt war, wenn man von einem gebissen wurde. Ich werde nicht in die Verdammnis gehen, Luc.“ Sarah schluchzte. „Lieber wähle ich den Freitod und schmore im Fegefeuer, als dass diese Bestien meine Seele verderben!“ Entschlossen griff Sarah nach dem Amulett, welches an einer goldenen Kette um ihren Hals hing. Luc ahnte nichts Gutes. „Was ist das?“ Eine Träne rollte über Sarahs Wange. „Gift. Eine Komposition des Schlafes, deren letzter Ton den Tod einläutet. Es wird mein Blut warm halten und sie werden gar nicht merken, dass ich nicht mehr lebe. Was meinst du, Luc. Kann ich einen von ihnen mit mir in den Tod reißen, wenn er von mir trinkt, während das Gift meine Adern ausfüllt?“ Ja, das würde sie so wohl. Aber bei Gott, er würde alles versuchen, dass es nicht soweit kommen musste. „Mutige kleine Sarah“, flüsterte der Jäger. „Du wirst das nicht tun nicht.“ Lucs Tonfall duldeten keine Widerworte. Sarah schluckte ihre Gegenwehr herunter, doch ihre Augen sprachen Bände. „Nicht, solange nicht alles verloren ist. Versprich es mir!“ Zaghaft nickte der blonde Engel Luc zu. „Wie rührend! Hört auf mich und macht euch besser keine Hoffnungen. Es gibt keinen Ausweg für euch.“ Luc suchte in der Dunkelheit nach der rauen Frauenstimme. Sie trat ins Licht. Eine Frau mittleren Alters, die sicher hübsch gewesen wäre, wenn ihre Gesichtszüge nicht vollkommene Bitternis widerspiegelt hätten. Deutliche Bissmale waren an Hals und Armen erkennbar. Mit mürrischer Miene sperrte sie Lucs Zellentür auf und trat auf ihn zu. „Ihr seid auf der Burg des Herzogs Sephilon und ihr wurdet als Geschenk und Attraktion zu seinem Ehrentag auserwählt. Die Festgesellschaft wird euch einer Meute hungriger Vampiren ausliefern und von ihrem Podium aus euer Leid genießen. Tut mir leid, aber ihr befindet euch in der Hölle.“ Ja, er war in der Hölle. Offensichtlich hatte das Schicksal Spaß daran, ihn von einer in die nächste zu schicken. Ohne Unterlass. Ein Schimmer des Lichts, bezahlt mit Pein. „Aber vielleicht steht ihr ja nicht allein“, fuhr die Frau mit milderem Ton fort. „Ihr habt einen Gönner unter den Gästen. Einer der hohen Herren, schickt euch das als Zeichen seiner Zuneigung.“ Luc glaubte sich zu irren. Aber es gab keinen Zweifel. Die Inschrift auf der Klinge und das Wappen am Griff waren unverkennbar. Es war der geweihte Dolch. Die Frau steckte ihn samt Scheide hinter seinem Rücken in den Gürtel. Sorgfältig legte sie sein Hemd darüber und schob es zurück in die Hose, um jede Spur von der Waffe darunter zu verbergen. „Ich wünsche euch Glück, wirklich.“ „Wer schickt euch?“ Die Frau schüttelte den Kopf. „Kann ich euch nicht sagen. Es war nur ein Mittelsmann, mit dem ich sprach.“ Sie schloss die Tür und ging zu Sarah. „Tut mir leid, aber ihr müsst mit mir kommen. Werdet ihr mir Schwierigkeiten machen?“ Ängstlich krallte sich die Gefangene in die Gitterstäbe. „Luc!?“ „Bitte macht mir keine Szene. Wenn ihr nicht freiwillig mit mir kommt, werde ich einen der Vampire holen müssen. Und glaubt mir, sie würden nicht gerade zimperlich mit euch umgehen.“ „Bitte lasst mich Abschied nehmen“, flehte sie. Barsch griff die Frau nach den schmalen Armen der Blonden. „Nein. Ich habe schon zu viel getan.“ Luc versuchte Sarah zu ermutigen. „Sarah, bitte fürchte dich nicht und habe vertrauen.“ Sie zitterte, aber dennoch war ihre Stimme fest, als sie antwortete. „Ich werde nicht in die Verdammnis gehen. Niemals.“ Grob bugsierte die Frau Sarah nach draußen. Lucs Augen brannten. Inständig hoffte er, dass sein Liebling nicht voreilig handeln würde. Er hatte nun eine Chance, auch wenn sie gering war. Wieder ein Schimmer des Lichts. Welcher Preis würde dafür folgen? Bitterkeit belebte seinen tiefen Hass mit neuem Gefühl. Ungerechtigkeit, die immer nach der Unschuld griff. Vampire die sich immer quälend in sein Leben drängen mussten. Warum Sarah? Gab es kein Erbarmen? Der Gedanke, seine dunkle Welt mit in ihre getragen zu haben, bedrückte sein Herz. Es war Unsinn. Dennoch schwieg die Flut von Vorwürfen nicht. Es war ein Vampir, der ihn aus seinen eigenen Anklagen befreite. Scharf bewerteten die Jägeraugen die hoch gewachsene Gestalt, die seine Kerkertür öffnete. Der Vampir hatte schulterlanges kastanienbraunes Haar, welches streng nach hinten gekämmt und mit einem Band zusammen gebunden war. Mit aufrechtem Gang trat er in die Zelle. Die gebräunte Haut umschmeichelte die bernsteinfarbenen Augen, die den Gefangenen interessiert zu mustern schienen. „Du bist also das Geschenk, das man mir versprochen hat. Du und dieses blonde Püppchen. Ich bin gespannt, ob du halten kannst, was Konos mir bereits angekündigt hat.“ Das war also Sephilon. Das süffisante Grinsen machte Luc rasend. „Bevor ich dich da raus und in den Tod schicke, verrate mir deinen Namen!“ Luc hasste die Hand die sich langsam ihren Weg von seiner Wange, zum Hals und weiter runter zur Brust bahnte. Neugierig beäugte der Vampir das seidene Tuch, welches um Lucs Hals gebunden war. Spielerisch wanderte die Vampirhand wieder nach oben, das Geheimnis zu erkunden. „Warum sollte ich?“, fragte Luc herausfordernd. Verärgert ließ der Herzog von Luc ab. Die bernsteinfarbenen Augen funkelten böse. „Wie du willst, sei widerspenstig solange du noch kannst. Wenn du dann dem Tod gegenüber stehst, solltest du dich aber fragen, ob du zu mir nicht etwas netter hättest sein sollen.“ Luc konnte nicht an sich halten. Die Abscheu war zu groß. „Macht mich los und ich zeige euch, wie nett ich wahrhaftig sein kann!“ Sephilon schien es sichtlich nicht gewohnt zu sein, Gegenwehr zu erhalten. Er war der typische hohe Vampir, der stolz und selbstherrlich die Nacht beherrschte und stets Ergebenheit gewohnt war. Fest griff er nach Lucs Hals. Die langen Fingernägel gruben sich durch den dünnen Stoff schmerzhaft in seine Haut. „Ich bin gespannt zu sehen, ob hinter diesen starken Worten auch Taten oder nur Dummheit steckt!“, zischte ihm der Vampir entgegen. Dann verschwand Sephilon. Luc wollte schon dankbar für die einkehrende Einsamkeit sein, als zwei bewaffnete Vampire die Stille durchbrachen und ihn in Handschellen hinaus auf den Hof schleiften. Er fand sich auf einer Art Kampfplatz wieder. Fackeln leuchteten kreisrund die Manege aus und tauchten die Umgebung in ein goldenes Licht. Seine Handschellen wurden an einem Balken auf Brusthöhe befestigt. „Willkommen!“, rief eine Stimme von dem mit bunten Tüchern ausgeschmücktem Podium herunter. Luc erkannte sofort den Vampir, der Sarahs unschuldiges Blut raubte. Neben ihm saß Sephilon und einigen anderen Vampire dahinter, die der Jäger auf die Entfernung und in dem spärlichen Licht nicht ausmachen konnte. „Wir haben da etwas, dass du bestimmt gerne zurück haben möchtest.“ Sarahs Schrei schnitt in seine Ohren. Sie wurde auf der anderen Seite von zwei Vampiren ins Freie gezerrt und auf einem kleinen Podest an einen Marterpfahl gebunden. Langsam, wie bei einem grausamen Ritual, wurden Holzscheite um den Pfahl gelegt, bis sich allmählich ein Scheiterhaufen um die junge Frau erhob. Blaue Augen weiteten sich zusehends in Schrecken. Die Vampire schienen ihre Angst förmlich in sich einzusaugen. Furcht griff nach seinem Herz. Fest und unnachgiebig. Er durfte sie einfach nicht verlieren. Die Hilflosigkeit verfluchend, zerrte er vergeblich an seinen Handschellen. „Nur nicht so ungeduldig. Du kannst sie haben, aber du solltest dich beeilen, wenn du nicht willst, dass sie von einem Vampir ausgesaugt oder wie eine Hexe verbrannt wird. Lasst das Schauspiel zu Sephilons Ehren beginnen!“ Sarah zitterte am ganzen Leib. Ihre schönen himmelblauen Augen waren von Panik erfüllt. Sie hatte immer Angst vor Feuer gehabt. Ihre Angst hilflos mit ansehen zu müssen, machte Luc rasend. „Sarah, ich werde nicht zulassen, dass dir etwas geschieht, hörst du?!“ Verzweifelt unterdrückte sie ein Schluchzen und blickte in seine Richtung. „Vertraust du mir?“ Sie nickte. „Ja, ich vertraue dir.“ Eine Fackel wurde gebracht. Furchtsam rang die junge Frau nach Atem. Das Gesicht mit Grauen erfüllt. Erstarrt hing ihr Blick am Feuerschein der Fackel. Luc wusste, dass sie jeden Moment wahnsinnig vor Angst werden würde. „Sieh mich an! Sarah, sie mich an!“ Es kostet sie enorme Selbstbeherrschung doch sie zwang sich dazu, in Lucs grüne Augen zu blicken. Grün und leuchtend wie Jade. Beruhigende wie ein tiefer Waldsee. Noch einmal wollte sie seine Liebe sehen, daran in Glück festhalten. „Ich liebe dich, mein Engel.“ Sie lächelte, als das Feuer entfacht wurde. Kaum in Brand gesetzt öffneten sich links und rechts neben dem Jäger zwei Tore und je zwei Vampire wurden mit Seilen in Zaum gehalten, nach draußen gebracht. Sie hatten einen wilden Ausdruck in ihren Augen. Einzig der Hunger schien sie zu beherrschen. Während sich ein Bediensteter anschickte, seine Handschellen zu lösen, sauste vom Podium aus, ein Schwert herunter und blieb wenige Meter neben dem Jäger im Sand stecken. Gleichzeitig wurden die Seile der vier Vampire losgelassen. Angespannt nahm der Jäger einen tiefen Atemzug. Er schenkte Sarah einen letzten liebevollen Blick, dann eilte er zu dem Schwert. Seine linke Hand fuhr auf den Rücken, nach dem Dolch unter seinem Hemd greifend, während seine rechte nach dem Schwert fasste. Gewappnet wandte er sich um. Gerade rechtzeitig um einem der angreifenden Vampire den Bauch aufzuschlitzen. Mit einem Dolchstoß in den Hals setzte er nach. Ein Gegner weniger. Die anderen Vampire kreisten ihn nun ein. Tiere die ihre Beute anvisierten. Dann griffen sie an. Ihre scharfen Krallen gruben sich schmerzhaft in sein Fleisch. Er ignorierte die Wunden und eilte sich, seine Feinde zum Erliegen zu bringen. Er war wie im Rausch. Sarah, er musste sie befreien und er hatte nicht viel Zeit. Wie von selbst erwies ihm sein Körper den Dienst des Kampfes. Blut benetzt sein Gesicht, als er die Fratze einer Bestie vom Scheitel trennte. Einen Augenblick später bohrte sich sein Dolch unnachgiebig in die Brust eines anderen Vampirs. „Woher hat er diese Waffe!“, donnerte Konos vom Podium herunter. Er wollte eingreifen. Sein vermasseltes Schauspiel unterbrechen. Doch Sephilon wiegelte ab. „Nein, ich will sehen was er kann. Schicke unsere zwei Besten und David.“ „Gut, es ist euer Geschenk.“ Konos gab sofort Anweisung dem Wunsch des Herzogs zu entsprechen und zwei der besten Kämpfer und David zum Kampfplatz zu schicken. Luc schickte sich währenddessen an, auch den letzten Vampir mit dem geweihten Dolch in die Hölle zu befördern. Keuchend eilte er zu Sarah. Das Feuer stand bereits sehr hoch und die junge Frau hustete stark. Ohne zu zögern sprang er durch dich Flammen und befreite sie von den Fesseln. Er ignorierte den beißenden Schmerz an seinen Beinen abermals, als er seinen Engel durch die Flammen trug. Sanft legte er sie zu Boden und beugte sich über sie. „Alles in Ordnung?“, fragte er besorgt. Sie lächelte leicht. „Ja, ich habe ganz fest an deinen Mut gedacht und habe versucht tapfer zu sein.“ „Du hast nicht einmal geschrien“, flüsterte Luc ihr zu und strich liebevoll über das blonde Haar. Tränen sammelten sich in den blauen Augen. „Nein.“ Ihre stimme Klang gebrochen. „Ich liebe Dich Luc, schon immer.“ Schluchzend klammerte sie sich an seine starke Brust. „Bring uns hier weg. Mach, dass dieser Albtraum aufhört!“, flehte sie verzweifelt. Beruhigend strich er über ihre nassen Wangen. „Scht, es wir alles wieder gut.“ Lucs hasserfüllter Blick wanderte nach oben zu den Vampiren. Er richtet sich auf, bereit für ihre Freiheit alles zu geben. Abermals wurden die Tore geöffnet. Die Muskeln des Jägers spannten sich, bereit erneut den Kampf aufzunehmen. Zwei mit Schwertern bewaffnete Vampire traten ihm entgegen. Beide Vampire hatten eine ganz andere Präsenz, als seine Gegner zuvor. Es waren keine hungrige Tiere, sondern durch und durch kaltblütige Killer. Luc stellte sich vor Sarah. Es würde schwer werden, beide zur selben Zeit in Schach zu halten. Der Vampir zu seiner Rechten bedachte ihn mit einem eisigen Lächeln, während der andere hitzig den Kampf suchte und auch zuerst angriff. Die Wucht mit der beide Klingen aufeinander trafen, betäubte seinen Arm. Gewandt griff er mit seiner Linken an, um den Dolch abermals in totes Fleisch zu versenken, doch der hitzige Vampir war geschickt und kassierte lediglich eine harmlose Wunde. Von hinten sauste derweilen die Klinge des nüchternen Angreifers bedrohlich auf ihn herab. Mit einer Rolle entging er dem Schlag und platzierte im Gegenzug sein Schwert mit voller Längsseite auf dem Rücken des Vampirs. Dunkelrotes Blut tränkte das beige Hemd seines Gegners. Kalt funkelten die verblüfften Augen. Luc wollte nachsetzen, doch er wurde von dem anderen Vampir aufgehalten und in ein wildes Kräftemessen gezwungen. Sein Körper vibriert bei jedem Schlag. Doch er hielt stand. Leichtfüßig wich er jedem Angriff aus oder parierte zu seinem Vorteil. Rasch erkannte er die Schwachstellen seines Gegners und nutzte sie aus. Gerade schnell genug, um sich vollends auf den bereits verletzten Vampir konzentrieren zu können, rammte er erbarmungslos seinen Dolch in das Herz seines Gegners. Augenblicklich sackte dieser zu Boden. Behände wich der Jäger den Attacken des kühlen Vampirs aus und platzierte seine Angriffe gekonnt gefährlich. Der Vampir war zäh, doch Luc hatte ihm bereits mehrere Wunden versetzt. Einige davon mit dem geweihten Dolch, so dass sie nicht so schnell heilen konnten, wie gewöhnliche Verletzungen. Ein letzter erlösender Stoß und der Vampir sank röchelnd zu Boden. Luc rang schwer nach Atem. Was würde nun noch auf ihn zukommen? „Aaah!“ Sarahs schriller Schrei gellte durch die Nacht. Luc fuhr herum. Ein junger Vampir, mehr Kind als Jüngling, hatte seine Zähne in ihren Hals gegraben. Als er dem Jäger entgegen blickte, ließ er augenblicklich von ihr ab. Luc war bestürzt, dass er nicht achtsam genug war. Gleichzeit schockierte ihn der Knabe zutiefst. Er war vielleicht gerade zehn, als er gewandelt wurde. Seine Augen verrieten auch kein höheres, in der Unsterblichkeit gelebtes Alter. Er war vollkommen Kind. „Ich will sie zur Freundin“, tat er mit einer Unbefangenheit kund, die Luc erschaudern ließ. Dann wollte dieser Vampirjunge eben seine Sarah, seinen Schatz, zu wandeln. Sein Herz stach, als er Sarah gebrochen am Boden sitzen sah. Seine Augen brannten, verwischten das Bild eines blonden Engels, dem man die Flügel gestutzt hatte. Sie wusste, dass der Junge nicht nur von ihr getrunken, sondern sie auch ein Stück in seine Welt gestoßen hatte. Langsam ging Luc näher. Sarah hatte ihr Gesicht in ihre zitternden Händen vergraben und weinte bitterlich. Beschwichtigend, als ob er nichts Schlimmes getan hätte, erklärte sich der Junge. „Ich werde gut zu ihr sein, ich verspreche es.“ Pure Unschuld, gepaart mit der Grausamkeit eines Vampirs. „So wie ich zu dir“, flüsterte der Jäger kalt und holte aus. „Nur das Beste, was ich zu bieten habe!“ Dumpf schlug der Kopf im Sand auf. Es kümmerte Luc nicht. Er fühlte weder Schuld noch Hass. Einzig Traurigkeit und die Gewissheit was folgend würde blieben. Schweigend kniete er sich zu seinem Herz. Traurig nahmen blaue Augen Abschied. „Sie haben mich vergiftet“, waren ihre letzten geflüsterten Worte. Dann blickte ihn Sarah ausdruckslos an. Jegliches Leben war aus ihren Himmelsaugen gewichen, bevor sie geschlossen wurden. Luc küsste ihre Stirn. „Ich liebe dich auf ewig, mein Engel.“ Er wehrte sich nicht, als er von zwei Bediensteten in die Höhe gezerrt wurde. „Sie ist ohnmächtig“, stellte einer der Diener gleichgültig fest. Sarah wurde weggetragen, während Luc die Waffen abgenommen und die Hände auf den Rücken gebunden wurden. Sie brachten ihn in einen Saal, in dem ein großes Bankett aufgebaut war. Schätzungsweise acht Vampire saßen an dem großen Tisch. Neugierige Köpfe die ihn anstarrten. Strahlende Präsenzen, jede auf eine ganz besondere Art. Unter anderen Umständen wäre Luc sicher berauscht von der Schönheit gewesen, die ihn umgab. Doch er konnte nur an Sarah denken und war blind und taub für alles um ihn herum. So nahm er lediglich dunkle Schemen war, die an ihm vorüberzogen, als er fordernd weiter in den Saal getrieben wurde. Am Kopfende des Tisches saß der Herzog Sephilon, der mit einer herrischen Geste auf den rechten Stuhl neben sich wies. Ehe es sich Luc versah, wurde er von einem Diener in den zugewiesenen Stuhl gepresst und seine Handgelenke gefesselt. Der Herzog ergriff sogleich das Wort. „Nun, ich denke das Schauspiel war für uns alle etwas unerwartet“, sprach er in die Runde. „Für diese Leistung sollte unser Gast mit einem Festmahl belohnt werden. Woher habt ihr nur diesen überaus mächtigen Dolch?“ Luc starrte auf die Waffe, die vor sein Gesicht gehalten wurde, schwieg aber. „Ihr wollt also mal wieder ein Geheimnis für euch behalten. Nicht einmal seinen Namen wollte er mir bislang preisgeben“, verkündete er den Gästen. „Nachdem du nun aber überlebt hast“, wandte sich der Vampir wieder an Luc „werde ich dich den Widerspenstigen nennen.“ „Tut, was ihr nicht lassen könnt“, gab Luc trocken zurück. „Na also, der Name passt!“ Schallendes Gelächter erfüllte den Raum. In Luc zog sich alles zusammen, als er Ivens Stimme unter dem Gewirr ausmachte. Er wollte in die Runde blicken, um sich zu überzeugen, doch sein Kopf wurde plötzlich ruckartig in die Höhe gezerrt. Bernsteinfarben Augen funkelten ihn begierig an. „Euch beide, ein liebendes Paar, in dieser ausweglosen Situation zu sehen, war wahrhaftig delikat. Du leidest köstlich mein Freund“, raunte Sephilon in sei Ohr. „Und ich will mehr davon.“ Mit einem Schlag ins Gesicht ließ er von Luc ab. „Bringt uns seine Geliebte!“ Ein Diener brachte die noch immer regungslose junge Frau und legte sie in die Mitte des Tisches. Luc musste sich beherrschen nicht den Verstand zu verlieren. Sie hier liegen zu sehen war unerträglich. „Weißt du, du hast da eben meinen kleinen Liebling David, nicht sehr gut behandelt und ich gedenke dir zu zeigen, wie es sich anfühlen kann, wenn man seinen Liebling verliert.“ „Er war noch ein Kind“, sagte Luc um Zeit zu gewinnen. Mühevoll versuchte er unbemerkt seine Fesseln zu lösen. „Ja und du hast ihn auf dem Gewissen!“, fauchte der Herzog. Lucs Augen hatten währenddessen Iven gefunden. Er konnte den Blick in den tiefschwarzen Augen, die ihn musterten, nicht definieren. „Nicht ich habe seine Verdammnis gewählt, sondern ihr“, wandte Luc ein. „Tatsächlich. Dann trennte das Schwert also von alleine seinen unschuldigen Kopf von den Schultern?“, fragte der Vampir gehässig. So sehr er sich bemühte, er konnte nicht länger ignorieren, dass Sarah direkt vor ihm lag. Die Worte des Herzogs nahm Luc nur noch vage wahr. Er hatte nicht die Stärke weiter zu protestieren. Der Kampf mit seiner Selbstbeherrschung verlangte ihm alle Kraft ab. „Also mein Widerspenstiger, was hältst du von unserem Festmahl?“ Spöttisches Lachen hallte in Lucs Kopf wieder. Er hatte gewusst was folgen würde. Dennoch traf ihn das Grauen mit unerwarteter Gewissheit. „Bedient euch, meine Gäste. Ich bin mir sicher, dass sie ausgezeichnet mundet. Und das Leid ihres geliebten Kämpfers hier, wird uns den Geschmack versüßen.“ Luc drehte sich der Magen um. Übelkeit kroch unerbittlich in ihm hoch. Er musste all seine Stärke und Standhaftigkeit aufbringen, um sich nicht zu übergeben. Sei tapfer, wie sie es war, rief er sich selbst zu. Der Herzog ließ es sich nicht nehmen, zuerst ihr zartes Fleisch zu schänden und ihr Blut begierig in sich aufzusaugen. Unwillkürlich versuchte Luc Ivens Augen noch einmal einzufangen. Es gelang, als dieser eben Sarahs linken Arm an seinen Lippen führte. Wieder einmal wusste der Jäger nicht warum er so handelte. Gerade jetzt, hätte es ihm egal sein sollen. Doch es war wie ein Impuls der ihn dazu trieb, Iven einen mahnenden Blick zuzuwerfen. Einen der keine Anklage, sondern nur Warnung in sich hatte. Der Prinz schien zu verstehen und hielt sich zurück. Als Luc seine Augen von den schwarzen Höhlen abwandte, wollte er nur schreien. Zu sehen, wie diese Bestien Sarahs schönen Körper entstellten, wie Ratten an ihr hingen, machte ihn krank. Der Ekel nagte unerbittlich in jeder Zelle seines Körpers. Gänsehaut stellte sich wie spitze Nadeln auf seiner Haut auf. Frösteln durchzog seinen Leib. Eis, das ihn erstarren ließ. Schauderhaftes Grauen, peinigend und zerreißend. Mit Freuden hätte er sich jeder anderen Qual hingegen, nur um diesen Horror nicht ertragen zu müssen. Es war Grausamkeit, die über seine Vorstellungskraft hinausging. Der Herzog würgte und Luc wusste, dass er sich nun befreien konnte. Geschickt schaffte er es, sich seinen Fesseln endgültig zu entledigen. Er stand auf, froh dass ihm seine Beine den Dienst nicht versagten und beugte sich nun seinerseits zu dem verkrampften Herzog herunter. „Was denn Freund, schmeckt euch der gute Tropfen etwa nicht?“, fragte Luc voller Abscheu. „Was zur Hölle?“, stieß Sephilon hervor. „Ja, die Hölle. Sie war mein Engel und nun ist sie der eure. Euer Todesengel.“ Luc griff nach dem geweihten Dolch, der auf dem Tisch lag und durchtrennte die Halsschlagader des Vampirs. Genüsslich folgte er dem roten Strom, der sich auf Tisch und Boden ausbreitete. Entsetzen zeichnete die Gesichter der anderen Vampire die mühevoll nach Luft rangen und von Krämpfen geschüttelt wurden. Einige von ihnen versuchten zu fliehen, doch Luc blieb ruhig. Kaltblütig verrichtete er seine Arbeit. Kurz hatte er die Befürchtung, dass sich Iven einmischen würde und er mit seiner Warnung eben einen großen Fehler begangen hatte, doch der Prinz ließ ihn gewähren. Erst als Luc auch den letzten Vampir für immer in Jenseits geschickt hatte und selbst kraftlos auf den Boden sank, mischte er sich ein. „Du kannst nicht hier bleiben. Wir müssen gehen“, flüsterte er behutsam. Luc nickte und stand mühsam auf. Als er Sarah noch einmal geschunden und leblos auf dem Tisch liegen sah, konnte er nicht mehr an sich halten. Seine Selbstbeherrschung verlor sich, seine Kraft entwich und er brach zusammen. Immer wieder entleerte er seinen Magen, so lange, bis es bereits schmerzte. Zitternd rang er nach Fassung. Er wollte in seinem Schmerz vergehen, in der Trauer versinken. Iven reichte ihm ein Taschentuch und richtet ihn gegen seinen Willen wieder auf. „Wo ist dein Kampfgeist, Jäger? Reiß dich zusammen!“ Die Worte wirkten. Er musste stark sein, trauern konnte er später. „Ich gehe nicht ohne sie.“ Missbilligung zeichnete sich deutlich auf Ivens Gesicht ab. Dennoch kam er der Aufforderung nach und legte den Leichnam der jungen Frau über seine Schulter. Ein harscher Blick ermahnte Luc zur Eile. Führungslos folgte er dem Vampir. Kapitel 14: Nachtgeschichte --------------------------- 14. Nachtgeschichte Ohne Aufsehen zu erregen gelangten sie zu der Kutsche des Prinzen. „Der Dolch war von dir, habe ich recht?“, fragte der Jäger beinahe tonlos. „Ja. Verzeih, dass ich nicht mehr für dich tun konnte. Es war Zufall, dass ich sah, wie sie dich in den Kerker brachten. Leider zu spät, um dich aus der Gefangenschaft zu befreien.“ Luc hinterfragte Besagtes nicht weiter. Viel zu sehr waren seine Gedanken mit dem Kummer beschäftigt. Arglos stieg er zu dem Vampir in das Wageninnere. Sogleich trieb der Kutscher das Gespann unerbittlich durch die schwarze Nacht. Lucs Miene war während der Fahrt wie versteinert. Keinerlei Emotion war auf seinem Gesicht abzulesen. Einzig die Behutsamkeit, mit der er Sarahs Körper wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe hielt, verriet etwas über seinen Gemütszustand. Stumm musterte der Vampir seinen Gegenüber, der starr aus der Kutsche blickte und in seiner eigenen Welt versunken schien. Schwarze Fetzen zogen nicht nur als Schatten an den stumpfen grünen Augen vorbei, sondern formten auch das Bild seiner Gedanken. Düsternis die ihn jäh aufbegehren ließ. „Anhalten!“ Die plötzliche Aufforderung ließ den Vampir leicht zusammen zucken. Augenblicklich brachte der Kutscher die Pferde zum Stehen. „Wir sind in der Nähe von Bregen, habe ich recht?“ „Nun, zumindest das, was davon übrig geblieben ist. Das Dorf ist seit Jahren verlassen und das Land liegt brach“, gab der Prinz sachlich wieder. „Bitte können wir Richtung Süden zu den Hügeln, oberhalb des Dorfes fahren?“ „Hältst du das für klug? Sephilons Gefolgsleute werden dich sicher bereits suchen und wir sind noch nicht allzu weit von seiner Burg entfernt.“ „Bitte.“ Widerwillig wies Iven seinen Diener an, der den Wagen sogleich in die gewünschte Richtung lenkte. „Danke.“ Es war ernst gemeint und dennoch bargen seine Worte keinerlei Gefühl in sich. Sanft drückte Luc Sarahs Gesicht an seine Schulter und strich über das blonde Haar. „Siehst du mein Engel, Gott hat dir vergeben und nimmt dich bei sich auf.“ Iven verstand nicht im Mindesten die Bedeutung der Worte. Er wagte aber auch nicht zu fragen. Unterhalb der Hügel angelangt, stieg der Dunkelblonde wortlos aus und ging, Sarahs schmalen Körper fest an sich gedrückt, zur höchsten Erhebung. „Hier wirst du deinen Frieden finden, mein Herzblatt.“ Es war nur ein Flüstern, doch blieb Gesprochenes den Ohren des Vampirs nicht verborgen. Mit einer Handbewegung wies er seinen Kutscher an, eine Schaufel aus dem Gepäck zu holen. Anstatt die Räder der Kutsche von Morast zu befreien, sollte sie heute einer anderen Aufgabe zugeführt werden. Leise trat Iven hinter Luc. Sein Blick wanderte über die fünf Gräber, dessen Inschrift ihn kurz schreckte. Baldur. Luc legte währenddessen den reglosen Körper der jungen Frau auf das Gras und griff ohne zu zögern nach der Schaufel, um den Boden zu bearbeiten. Ungläubig verfolgte Iven jeder Bewegung, bis er nicht mehr an sich halten konnte. „Es geht mich nichts an, aber solltest du sie nicht bei ihrer eigenen Familie bestatten?“ Zornig funkelten Lucs grüne Augen. „Du hast Recht, es geht dich nichts an!“ Die Antwort war wie das Fauchen eines gereizten Tieres. Der Prinz ließ den Jäger geduldig gewähren. Gefasst, als ob es alltäglich wäre, einen geliebten Menschen unter die Erde zu bringen, arbeitete Luc an der Aushebung des Grabes. Die ausdruckslose Miene änderte sich erst, als er einen Streifen seines Hemdes abriss, um damit zwei Holzstücke zu fixieren. Mit einem Stoß jagte er das Kreuz in die weiche Erde. Kurzzeitig war der volle Schmerz in seinem Gesicht erkennbar. Flüsternd entwichen gebrochene Worte des Abschieds. Dann verschwand die Emotion. Der Jäger erhob sich und drückte Iven im Gehen die Schaufel in die Hand. „Wir können weiter“, sprach er kühl. Verwundert sah Iven dem Dunkelblonden nach. „Solltest du nicht trauern?“ Die Stimme des Jägers war eisig. „Macht sie das wieder lebendig? Was ist nun, ich dachte die Zeit drängt?“ Offensichtlich hatte Luc nicht vor, sich eine Blöße zu geben. „Wie du willst.“ Mit knappen Worten an den Kutscher, gesellte sich der Prinz zu Luc in das Wageninnere. „Die Nacht ist für mich zu weit vorangeschritten, als dass ich es zurück zu meinem Anwesen schaffen würde. Ich nächtige daher auf einem Landsitz nördlichen des Waldrandes. Es steht dir frei mir Gesellschaft zu leisten oder deine eigenen Wege zu gehen.“ „Wie großzügig, dass du mir soviel Freiraum zugestehst“, warf Luc ihm gehässig entgegen. Durchdringend musterte der Prinz den Dunkelblonden. Um eine Auseinandersetzung zu vermeiden, unterließ er es eine Antwort zu geben. Schweigend fuhren sie eine Weile, bis die Kutsche hielt. Der Landsitz entpuppte sich als eine kleine Villa, die alleine mitten im Wald stand. Als Luc darauf zuging, schweiften seine Augen wehmütig über das Bild. Die große Veranda war von wildem Efeu überwuchert. Romantisch schlängelten sich die immergrünen Ranken an den weißen Säulen entlang. Anschmiegsam warfen sie eine schützende Decke aus dichten Blättern, die im Mondschein sanft schimmerte. Efeu. Es war, als ob sie ihm erst gestern einen geflochten Efeukranz um den Hals gelegt hatte und ihm mit ihrem strahlenden Lächeln verkündete 'wenn ich wilder Efeu wäre, dann könnte ich mich ewig an dich hängen und wir wären für immer zusammen'. In Luc verkrampfte sich alles und er blieb stehen. „Willst du nicht wenigstens bei mir verweilen bis der Tag anbricht?“, fragte Iven besorgt. „Wenn du jetzt alleine durch den Wald streifst, ist das Risiko groß, dass sie dich kriegen.“ Luc hörte die Stimme, doch nahm er die Worte nicht wirklich wahr. Wie hypnotisiert ging er zu den Ranken, die neckisch an der verzierten Hausfassade empor kletterten und griff nach einem der dunkelgrünen Blätter. Sehnsucht und Schmerz formten sich zu einem Bild. Nie wieder würde sie ihm einen Kranz flechten können. Ihn strahlend ansehen. Ihr Lächeln war auf ewig verloren. Seine Faust donnerte mit soviel Wucht gegen die steinerne Wand, dass seine Knöchel aufplatzen. Die Wut wich und machte einer endlosen Leere platz. Einzig Verzweiflung schien noch in ihm übrig zu sein. Als sich Ivens Hand auf seine Schulter legte, konnte er ein Schluchzen nicht unterdrücken. „Sie war meine Schwester.“ Iven erschauderte über die Worte, die nur leise über die Lippen des Dunkelblonden kamen. Einmal ausgesprochen war es für Luc so, als ob er der Realität Einzug in sein Herz gewährte. Sarah, seine Schwester. Sie war tot. Und er hatte nichts tun können, um sie vor diesem grausamen Schicksal zu bewahren. Hilflos hatte sein Körper die Wirklichkeit gewähren lassen müssen. Mit ihr war nun das letzte bisschen Sinn aus seinem Leben gewichen. Die Sonne war dem Tage entrissen. Und mit ihr die Wärme und alle Kraft entschwunden. Die Last der Trauer wog zu schwer. Er verlor den Boden unter den Füßen und brach zusammen. Sein Herz fühlte sich erdrückt. Es tat so unendlich weh. Seine Schreie gellten durch die Nacht. Pein die Stille durchbrach. Niemals würde er sich das verzeihen können. Er wollte es nicht, aber Tropfen für Tropfen benetzten seine Tränen den Boden unter sich. Hilfe suchend krallten sich seine Finger in das Gestrüpp. Der Schmerz in seinem Inneren schien übermächtig zu werden, ihn Stück für Stück aufzufressen. Genauso wie die Grausamkeit des Lebens seine Wurzeln verfaulen ließ. Er war allein. Endgültig. „Du solltest nicht alleine trauern.“ Ivens Stimme klang gütig. Starke Arme umfingen den bebenden Körper und versuchten Trost zu spenden. Die Geborgenheit in Ivens Armen bändigte den Schmerz in Luc etwas. Die eisige Kälte in seinem Inneren wich der Wärme die ihn umschloss. Sanft wurde er hochgehoben und in die Villa getragen. Die Fürsorge die von dieser Geste ausging, ließen seine Zweifel endgültig verstummen. In der Gewissheit Halt zu finden, gab er sich seiner Trauer hin. Das war nun die grausame Krönung. Ein Jäger, der alle Familienangehörigen an Vampire verloren hatte, fand Trost bei eben so einer Bestie. Sein Stolz begehrte auf. So tief durfte er nicht gesunken sein. Seine Versuche, sich aus der einfühlsamen Umarmung zu befreien, ignorierte Iven jedoch ebenso, wie seine Beschimpfungen. Nachsichtig erduldete der Prinz jedes rebellieren und schenkte nur Zärtlichkeit zur Antwort. Erschöpft gab der Jäger irgendwann nach. Wozu noch Stolz wahren, wo er doch alle Würde im Kummer versenkt hatte. Er ließ sich von den Wellen schlucken, dankbar in dem Sturm der Verzweiflung gehalten und zu werden. Erst als sich Luc gänzlich beruhigt hatte, keine Träne mehr ihren Weg nach draußen fand, wurde er aus der Umklammerung entlassen. Wie von selbst bahnten sich Lucs Worte ihren Weg. Er musste einfach sprechen. „Ich war gerade zehn, als es geschah. Mein Vater war ein mutiger und stolzer Mann. Er begehrte gegen die Machenschaften des Lehnsherrn auf. Doch er hatte sich als Dorfführer nicht mit einem Menschen, sondern empfindlich mit einem Vampir angelegt. Sie fielen des Nachts über die Bürger her. Keiner ob, Mann, Frau oder Kind, wurde verschont. Mein Vater befahl mir in den Wald zu laufen, doch als ich loslief, hörte ich die hilflosen Schreie meiner kleinen Schwester und ich rannte zurück nach oben in die Stube. Kaum angekommen, konnte ich nicht mehr flüchten. Die Vampire besetzen unser Haus und meine Familie wurde zusammengetrieben. Ich versteckte mich mit dem Baby im Arm und betete, dass wir unentdeckt blieben. Aus meinem Versteck heraus musste ich dann mit ansehen, wie der Anführer der Meute zuerst mein älteren Bruder und dann die beiden sechsjährigen Zwillinge tötete. Die Schreie meiner Mutter waren unerträglich. Erst als ihr toter Körper zu Boden fiel und das Flehen meines Vaters damit verstummte, enthauptete der Schlächter auch ihn. Sarah gab keinen Laut von sich, so als ob sie wusste, dass unser beider Leben davon abhing. Ich harrte bis zum Morgengrauen aus und betete immer wieder, dass alles nur ein böser Traum sei. Aber es war kein Traum. Mit den ersten Sonnenstrahlen, waren die Vampire verschwunden. Doch das Blut blieb. Albtraum der zur Wirklichkeit wurde. Das Heim, das mein Vater für uns errichtet hatte, war nichts weiter mehr als ein Grab. Ich lief in die Wälder, die kleine Sarah fest an mich gedrückt, bis mich ein Mitglied der Garde fand. Sie nahmen mich in der Gilde auf und lehrten mich alles was ich als Jäger wissen musste. Sarah wurde auf mein Drängen hin, in eine Adoptionsfamilie gegeben. Ich wollte ihr den Kummer und den Schmerz ersparen, den ich erleiden musste. Sie sollte ein normales Leben führen. Im Kreise einer Familie, die sie liebte und behütete. So hat sie nie von ihrer Vergangenheit erfahren.“ Sein kaltes Herz hätte Genugtuung, sein Geist Zufriedenheit spüren sollen. Das Schicksal hatte ihm unverhofft eine Situation beschert, die er so nie hätte erschaffen können. Der gleiche Verlust. Eins zu eins. Doch das erhoffte Hochgefühl blieb aus. Das Sehnen nach Rache schrie weiter stumm in seinem Inneren. Er musste nachsetzen. Vielleicht noch tiefer in die Wunde des Jägers stechen, um Befriedigung zu erfahren. „Dein Schmerz und dein Hass muss in dem Augenblick, als deine Schwester auf dem Tisch lag, unerträglich gewesen sein. Dennoch hast du mich gewarnt. Wieder einmal mein Leben über deine Prioritäten und Prinzipien gestellt.“ Verletzt blickten grüne Augen in schwarze. „Muss du das tun? Dies gerade jetzt zur Sprache bringen? Ich fühle mich wie ein Verräter, dass ich dich nicht ebenso sterben lassen habe. Also hör auf, mich an diese Schande zu erinnern!“ Ja, es war wie Salz in die Wunde zu streuen. Ein Fingernagel, der an offenem Fleisch kratzte. „Es tut mir leid. Aber kannst du nicht verstehen, dass auch ich Gewissheit brauche? Nach so langer Zeit, in der ich kein Lebenszeichen von dir erhielt? Ich hoffe Luc. Und ich will wissen, wie weit meine Hoffnung gehen darf.“ Luc wollte das Thema zur Seite schieben. Er hatte bereits genug mit sich zu kämpfen. Doch er wusste, dass Iven keine Ruhe geben würde. Er wollte die Worte mit Bedacht wählen, doch waren sie viel zu sehr mit Emotionen behangen. „Der Gedanke daran dich auch zu verlieren, war mir in diesem Augenblick unerträglich. Ich hatte das Gefühl, dass meine Seele sterben würde, wenn ich das letzte bisschen Liebe aus meinem Leben reiße. Nicht ohne Grund bin ich fort gegangen. Mein Herz einem Vampir zu schenken wäre für mich so, als ob ich das Andenken meiner Familie mit Füßen trete.“ Er hatte sein Herz in der Hand und musste nur zugreifen. Erst sanft, dann unnachgiebig, bis es zerquetscht wurde. Feinfühlig ließ der Schwarzhaarige seine Hand über Kopf und Wange des Jägers streichen. „Bleibe bei mir, Luc. Du hast alles verloren. Deine Familie, deine Stellung in der Garde, die Geborgenheit der Gilde, deine Freunde, die dich nunmehr als Deserteur jagen und jetzt deine Schwester. Ich kann dir alles bieten. Deine innere Leere füllen. Dich auf Händen tragen und dir eine neue Welt zeigen.“ Es klang so einladend. Verführerisch wie süßer Honig, der den schalen Geschmack von Bitterkeit und Galle zu vertreiben vermochte. Lucs Augen wurden wieder glasig. „Genau deshalb fürchtete ich deine Nähe so. Ich weiß nicht, ob dir bewusst ist, wie viel ich bereits für dich geopfert habe. Verlange nicht auch noch mein letztes bisschen Selbstachtung. Ich kann unmöglich meinen Gefühlen nachgeben und dir folgen.“ Nein, noch würde er es nicht. Aber schon bald. Er konnte schon die Blutstropfen an seiner Hand hinab perlen sehen. Ein Rinnsal der schon bald seinen Rachedurst stillen würde. Ein betörendes Lächeln legte sich auf die edlen Züge des Prinzen. Sanfte Worte besiegelten Lucs Schicksal. „Dann lass mich zumindest heute Nacht für dich da sein.“ Verlockung. Süß für sein Herz. Bitter für seine Seele. Sein Körper zur Untätigkeit verbannt. Sein Geist als Zaungast geladen. Die dunkle Stimme des Vampirs rief ihn in den Abgrund. Unweigerlich. Er wollte folgen. Er wollte trotzen. Sich entzweireißen. Für die Liebe. Für den Hass. Samtige Lippen raubten den letzten Widerstand. Der Jäger fiel und er hoffte, dass er den Aufprall überleben würde. Hilflos schien sich Luc von seinem Leid tragen zu lassen, direkt in seine Arme, so wie er es wollte. Er kannte den Schmerz nur zu gut, den der Jäger nun erleiden musste. Doch seine Qual zu sehen, brachte ihm nicht die erhoffte Befriedigung. Im Gegenteil. Er fühlte bedauern, wenn er in die schmerzerfüllten grünen Augen blickte. Seine Arme schlossen sich nicht zur Gefangenschaft um den Jäger, sondern zum Trost. Seine Lippen wollten nicht erobern, sondern lieben. Woher kamen nur diese fehlgeleiteten Gefühle? Vielleicht war es nur seine Erinnerung, die Schatten der Vergangenheit, die ihn durch ihre Verletzlichkeit schwach werden ließen. Bestimmt sogar. Sein Hass war viel zu tief, sein Wunsch nach Rache zu groß, als dass sich seine Gefühle so sehr wandeln konnten. Er würde die Situation für sich ausnutzen und Luc endgültig, wie geplant, für sich gewinnen. Nur um ihn letztendlich auf ewig an sich zu binden. Bald. Freiwillig, in vollem Bewusstsein. Die Gefühle die er momentan für den Dunkelblonden hegte, waren nur von fleischlicher Natur. Sie würden vergehen, sobald er sich Befriedigung verschafft hatte. Er ließ es geschehen und gab seinem Verlangen, der stillen Begierde in sich nach. Er würde den wehrlosen Körper unter sich ganz und gar erobern. Jedes Geheimnis plündern. Seine Spuren ziehen und ihn mit seiner Leidenschaft versengen. Er würde jeden Moment genießen und tief in sich einsaugen. Seine Lust stillen. Morgen dann, durfte sein Verstand wieder sein Tun lenken und ihn an seinen Schwur der Rache erinnern. Sein Verstand warnte ihn, lehnte sich mit aller Vernunft gegen sein Handeln auf. Doch sein Herz wollte nicht gehorchen und seine Seele war bereits in der Schwärze der Nacht verloren. Hilflos klammerte er sich an den Fels namens Iven. Suchte Zuflucht und Schutz in seiner Stärke. Sein Innerstes begehrte nach Frieden und der Freiheit, das zu tun was er wollte, gleich den Konsequenzen. Zitternd ließ sich sein Körper auf der Woge des Verlangens treiben. Er vergaß die ihm auferlegte Grenzen, ignorierte jede Vernunft. Er wollte spüren, dass er noch lebte, sein Herz nicht tot war. Sein Körper brannte vor Leidenschaft, die sich Stück für Stück in sein Herz fraß und die Leere mit Wärme füllte. Er bebte vor Verzückung, als seine Haut ganz und gar mit Ivens Liebkosungen bedeckt wurde. Gefühlvoll wie Federstriche, versengend wie züngelnden Flammen. Glühend wurde er schwebend den Wolken entgegen getrieben. Dem Himmel in der Hölle der Lust. Er wollte mehr davon. Mehr von der Freiheit sich gedankenlos hinzugeben. Nur Erfüllung spüren. Den Schmerz mit dem Feuer der Begierde betäuben. Seine Sehnsucht stillen. Morgen dann, durfte er reumütig vor Scham vergehen und sich seinen Prinzipien wieder gewahr werden. Kapitel 15: Flucht ------------------ 15. Flucht Geborgen nahm er den angenehmen Duft von Ivens Haaren auf. Seine Haut genoss die Nähe des Anderen. Er spürte Wärme, in der er für immer verweilen wollte. Wehmütig schlug er seine grünen Augen auf und ließ noch einmal die Schönheit auf sich wirken. Liebevoll strich er über das schlafende Gesicht. Seine Hand glitt hinab und verweilte auf der makellosen Brust des Vampirs. Aufmerksam folgte er dem intensiven Gefühl des gleichmäßigen Herzschlags. Er schämte sich jede Grenze überschritten zu haben. Doch war es das gewesen, was er wollte und er hatte nicht die Kraft aufbringen können zu widerstehen. Er musste gehen. Wenn er länger blieb, war er für immer verloren und auf ewig an die Dunkelheit gebunden. Er zog seine Hand zurück. Ein leichtes Ziehen der Wunde ließ ihn tadelnd seine Knöchel in Augenschein nehmen. Immer noch konnte er Ivens feuchte Zunge darauf spüren. Zart nahm sie jeden Tropfen auf und trieb ihn mit jeder Berührung in den Wahnsinn. Fest kniff Luc seine Augen zusammen. Er war viel zu sorglos gewesen. Ivens Zärtlichkeiten hatten ihn so sehr betört, dass er selbst die Vereinigung im Blute zugelassen hätte. Der Jäger wusste, dass es nichts mit Glück zu tun hatte, jetzt noch menschlich zu sein. Wut gesellte sich zu seiner Scham. Nie hätte er gedacht so vollkommen die Kontrolle zu verlieren. Er hatte sich von dem Prinzen führen lassen und wäre letzte Nacht jeden Weg mit ihm gegangen. Dankbar die Situation nicht ausgenutzt zu haben, hauchte er einen Kuss auf die sanften Lippen des Schlafenden. Er musste einen Schlussstrich ziehen. Alles hinter sich lassen und von vorne beginnen. Als er raus in das Tageslicht trat, war es, als ob er aus einem Traum erwacht wäre. Traurigkeit fing ihn ein. Er wusste, dass er das Richtige tat. Seine Bestimmung war es Vampire zu jagen, nicht sie zu lieben. Doch was wollte sein Herz? Unermüdlich schlug es verlangend gegen seine Brust. Er war zu weit gegangen, um seine Gefühle länger zu verleugnen. Die Emotion die sich um Iven drehten, hätte er mit so vielen Worten beschreiben können. Doch nichts würde sie fassbar machen. Es war mehr als nur Anziehungskraft, die unbändige Sehnsucht in ihm schürte, sobald er sich von Iven entferne. Es war das Gefühl angekommen zu sein. Einen Teil von sich gefunden zu haben, der bislang fehlte. Einzig Liebe konnte es treffen. Er hatte sich hingegeben. Seinen Körper der Hitze der Leidenschaft ausgesetzt. Er wollte es geschehen lassen, seinem Herz die Freiheit schenken, lieben zu können, wen es begehrte. Doch was würde dann folgen? Nach seinem Körper? Seinem Herz? Würde er dem Prinzen folgen, wäre seine Seele früher oder später unweigerlich in der Verdammnis verloren. Bereits jetzt klammerte sie sich an den Frieden, der sich um ihn legte, sobald er Ivens Gegenwart verspürte. Frieden ausgerechnet bei einem Vampir. Er brauchte Iven nicht wirklich, um sich zu verdammen. Er rannte. Nicht weil er sich eilen musste, sondern weil er sich der lächerlichen Hoffnung hingab, so auch vor seinen Gefühlen flüchten zu können. Einzig auf seinen Atem konzertiert, jagte er über die saftigen Wiesen. Der warme Frühlingsduft hing süß in der Luft. Immer hastiger sog er ihn in seine Lungen. Schweiß perlte von seiner Stirn. Ein frischer Windhauch erfreute ab und an seinen Körper. Seine Waden schmerzten bereits, doch er ignorierte es. Stur blickten seine Augen nach vorne. Er wollte alles hinter sich lassen. Die Erinnerung an seine Vergangenheit. Den Schmerz. Den Hass. Die Einsamkeit. Die Verzweiflung. Den Kampf. Den Verlust. Die Liebe. Nichts sollte bleiben und doch war jede Emotion, jedes Erlebnis und sei es noch so grausam, ein Teil von ihm. Er konnte nicht einfach alles verbannen. Er musste es ertragen, wie stets. Erschöpft ließ er sich in das hohe Gras fallen. Hart hämmerte sein Herz gegen seine Brust, den Takt des Lebens angebend. Er lauschte der Kraft und versank sehnsüchtig in dem Blau des Himmels. Sarah. Wie er sie vermisste. Das letzte Glück, verloren an die Dunkelheit. Tränen bahnten sich ihren Weg. Er weinte nicht um seinen Schmerz, sondern um ihren Verlust. Nie würde sie die Sonne wieder sehen, den kalten Schnee des Winters fühlen, andere Menschen mit ihrem Lächeln erfreuen, in den Armen eines Mannes glücklich werden können oder Kindern das Leben schenken. Es war nicht gerecht, dass ihr die Zukunft versagt blieb. Sie war zu jung, um zu gehen. Nun musste er für sie beide leben. In sanftem Violett begrüßte ihn die Morgenröte, bevor sich die Sonne erhaben am Horizont erhob. Luc hatte nicht viel geschlafen. Quälende Träume und wirre Gedanken hielten ihn viel zu sehr gefangen, als dass er Ruhe finden konnte. Er war den ganzen Tag durchgelaufen, bis sich gegen Abend ein reisender Händler erbarmte und ihn auf seinem Fuhrwagen mit zur nächsten Stadt nahm. Die wenigen Münzen die er bei sich trug, reichten gerade für einen frischen Krug Milch, etwas Brot und Käse, sowie einer unbequemen Nacht auf dem Speicher des Gasthauses. Der junge Morgen weckte nun mühelos seine Lebensgeister. Dankbar nahm er die Schüssel Wasser und ein Stück Seife entgegen, die ihm die Wirtsfrau mit einem mütterlichen, „so kann man euch ja nicht auf die Straße lassen“, brachte. Erfrischt und mit einer knappen Wegbeschreibung in der Hand, schickte er sich an, seinem Leben eine neue Aufgabe zuzuordnen. Unschlüssig stand er vor der Kaserne. Er hatte keinerlei Empfehlungen vorzuweisen. Er konnte sich kaum damit vorstellen, dass er über Jahre hinweg für die Jagd auf Vampire ausgebildet wurde. Sie würden ihn für verrückt halten und die Gilde wäre gezwungen nach dieser Preisgabe, endgültig Attentäter auf ihn ansetzen. Vielleicht hatte Luc die Grenze vom Geächteten zum Vogelfreien auch schon überschritten. Eigenmächtiges Handeln unterlag strengster Bestrafung. Die Ermordung des Grafen Sephilon, begleitet von einer stattlichen Anzahl anderer Vampire, hatte sicher bereits die Runde gemacht. Der General würde keine Mühe haben, die Fragmente aus dem zweimaligen Versagen seines besten Elitejägers, Vernons Berichtserstattung und dem nun verübten Massaker, welchem ausgerechnet der Prinz nicht zum Opfer gefallen war, zu einem Bild zusammenzufügen. Luc machte sich keine Illusionen mehr. Die Tür der Garde würde für ihn nun für immer verschlossen bleiben. Einzig den Tod hatte er zu erwarten, wenn er es wagen sollte sie zu öffnen. Aber er musste seinen Lebensunterhalt bestreiten und er hatte es satt von einem Ort zum nächsten zu ziehen. Er war kein Pilger, sondern ein Kämpfer. Er wollte schützen und beherrschte das Kriegshandwerk. Als Mitglied der Stadtwache hatte er die Möglichkeit beides zu vereinen. „Hey, was haltet ihr hier Maulaffen feil?! Verschwindet gefälligst! Bettler habe hier nichts zu suchen!“ Der blonde Mann der Luc entgegen trat, war in einer stattlichen Uniform aus rot und orange gekleidet. Entschlossen ruhte dessen Hand auf dem Knauf des Schwertes, welches mit einem Gürtel um die Hüfte befestigt war und in einer verzierten Scheide steckte. „Verzeiht der Herr, ich wusste nicht recht, bei wem ich mich melden soll. Ich will um eine Posten in eurem Regiment ersuchen.“ Der Blonde lachte spitz auf. „Glaubt ihr etwa, dass jeder dahergelaufene einen ehrenwerten Posten in der Stadtwache bekleiden darf? Schert euch zum Teufel!“ Luc hätte sich entschuldigen und von neuem ansetzen sollen. Doch die arrogante Art, mit der der Blonde an ihm abfällig vorbei stolzierte, war zu viel. „Ich denke nicht, dass ihr das zu entscheiden habt. Also führt mich zu eurem Befehlshaber.“ Die stahlblauen Augen des Soldaten verengten sich zu Schlitzen. „Woher nimmt ihr euch das Recht heraus, so mit mir zu sprechen? Ihr wollt zum Kommandanten, dann versucht an mir vorbei zu kommen!“ Nur zu gerne nahm Luc die Herausforderung an. Er zog sein Schwert gerade rechtzeitig, um den ersten Schlag abzufangen. Weitere Hiebe folgten, die Luc leichtfüßig abtat. Sein Gegner war gut, kämpfte aber längst nicht in seiner Klasse. Er würde das Duell schnell für sich entscheiden können. Ein paar Sekunden später hatte er den Blonden auch schon entwaffnet und die Spitze seiner Kling auf dessen Brust gesetzt. „Wenn ihr dann nun so freundlich wärt.“ Luc deutete mit einer Geste an, den Weg zu weisen. Zähneknirschend tat der Geschlagene wie versprochen und führte Luc zum Kommandanten. Zufrieden schob der Jäger sein Schwert zurück und folgte ihm. „Geht ab hier allein. Folgt dem Gang bis ihr ans Ende gelangt. Und wartet bis er euch Einlass gewährt, ansonsten wirft er euch gleich wieder im hohen Bogen hinaus.“ Die Warnung hätte der Soldat nicht äußern müssen. „Danke.“ Der Blonde ging nicht darauf ein und verschwand ohne Worte. „Wartet bitte! Nennt mir euren Namen.“ „Wozu?!“, rief der Blonde, ohne sich umzudrehen oder stehen zu bleiben. 'Wozu?', schoss es Luc durch den Kopf. Na der machte ihm Spaß. Er brauchte eine Referenz und der Sieg in diesem Kampf war eine. Der Soldat war jedoch verschwunden, bevor er sich erklären konnte. Kurz überlegte er ihm nachzugehen, unterließ sein Vorhaben aber dann. Der Blonde wäre sicher viel zu hochmütig gewesen, um sich von ihm vorzuführen zulassen. Luc klopfte und wartete ungeduldig auf eine Antwort. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Schon glaubte er, dass der Andere ihn nur zum Narren gehalten hatte, als eine kräftige Stimme „Ja!“ rief. Dann mal los. Du hast nichts und kannst zugleich alles bieten. Du musst dich nur gut verkaufen. Entschlossen trat Luc in das muffige Büro. „Ihr wünscht?“ Ein kantiges, mit dichtem grauem Bart umrahmtes Gesicht, musterte ihn intensiv. Kommandant der Stadtwache Esgard Mancius, prangte in schwarzen Lettern auf dem goldenen Schild des Schreibtisches. „Mein Name ist Luciel Baldur und ich ersuche euch um eine Anstellung.“ „Euer Name ist mir nicht bekannt. Ich kann mich nicht entsinnen, ein Werbungsschreiben von euch erhalten zu haben.“ „Nein, ich habe mich nicht angekündigt.“ Der Blick des Kommandanten wurde eindringlicher. „Soweit ich es erkennen kann, tragt ihr auch keine Unterlagen bei euch. Welche Referenzen habt ihr? Empfehlungsschreiben, Zeugnisse? Bei wem habt ihr gelernt und gedient?“ Luc wurde unsicher. „Ich habe nichts. Meine Vergangenheit hat mich viel gelehrt, aber ich bin hier um sie hinter mich zu lassen. Stellt mich auf die Probe, wenn ihr es wünscht. Aber eure Fragen kann ich nicht beantworten.“ Die Faust des Bärtigen donnerte laut auf den Tisch. „Wer von meinen Männer hat euch zu mir gelassen und mir diese Zeitverschwendung beschert?!“ Das war's. Er würde in die nächste Stadt reisen und weiter suchen müssen. „Unsere Klingen haben sich zu schnell gekreuzt, als dass wir und einander vorgestellt hätten. Bitte verzeiht die Störung.“ Luc wandte sich zum Gehen. Ein raues Lachen ließ ihn innehalten. „Ihr gefällt mir Baldur. Ihr hättet mich um eine Gegenüberstellung ersuchen können. Dass ihr es nicht tatet, zeigt mir, dass Kameradschaftsgeist in euch steckt. Ich kann keine Eigenbrötler gebrauchen. Setzt euch.“ Luc kam der Aufforderung erleichtert nach. „Ihr habt Schneid, euch ohne Papiere zu bewerben. Aber eure Vergangenheit soll mich nicht interessieren. Was ich wissen will ist, was euren Charakter ausmacht. Weshalb ihr der Stadtwache beitreten wollt und warum ihr glaubt geeignet zu sein.“ „Ich habe in meinem Leben viel verloren und ich spreche nicht von materiellen Gütern. Ich will Menschen davor bewahren, dieses Leid erfahren zu müssen. Ich habe gelernt das Schwert zu führen. Den Bogen zu spannen und zu treffen. Mit Fäusten gegen scharfe Waffen zu bestehen. Leise wie ein Schatten und geschwind wie der Wind zu sein. Ich kann stark wie Feuer reagieren und zugleich einfühlsam wie Wasser agieren. Ich lese in gegnerischen Handlungsweisen, weiß sie zu verstehen und in Vorteile ummünzen. Mein Verstand ist scharf und meine Auffassungsgabe lässt mich Zusammenhänge taktisch begreifen und neue Dinge schnell erlernen. Aber meine Fähigkeiten sind verschwendet, wenn ich sie nicht in den Dienst des mir am höchsten Guts stellen kann. Der Gerechtigkeit und dem Wunsch Unschuld zu bewahren.“ Der Bärtige nickte zufrieden. „Ihr werdet vier Wochen auf die Probe gestellt. Ich werde euch viel abverlangen und an manchen Aufgaben werdet ihr scheitern. Seid ihr in meinen Augen unfähig und nur ein großer Redner, werdet ihr auf allen Vieren vom Hof nach draußen kriechen. Seid ihr es hingegen Wert ein Teil unserer Gemeinschaft zu sein, dann reiche ich euch gerne meine Hand und heiße euch willkommen.“ „Ich danke euch für diese Chance.“ Ein Klopfen auf die Schulter folgte, das Luc sehr an Phils Wärme erinnerte. „Folgt mir, ich stelle euch der Truppe vor.“ Der straff organisierte Tagesplan ließ trübe Gedanken kaum zu. Keine Aufgabe, die der Kommandant ihm stellte, war Luc zu schwer. Im Fechten blickten bald viele seiner Kameraden zu ihm auf. So wurde es leicht, schnell ein Teil der Gruppe zu sein. Nur der Blonde schien ihn von ihrer ersten Begegnung an nicht leiden können. Ständig ging er Luc aus dem Weg und sprach außer Befehle, die dessen Stellung als Gruppenführer mit sich brachten, kein Wort mit ihm. Die ersten drei Wochen waren bereits vergangen und viele der Männer zog es am Sonntag nach Hause zu Ihren Familien. Neckisch wurde Luc in die Seite gestoßen. „Hey Luc, willst du nicht auch mal was anderes sehen? Der Kommandant hat dich ganz schön ran genommen. Ein bisschen Abwechslung wird dir sicher gut tun.“ Luc mochte den kleinen Utz sehr gerne. Das mit Sommersprossen übersäte Gesicht strahlte stets vor Lebensfreude. „Ich wüsste nicht, wohin ich gehen sollte, Utz. Eine Familie habe ich nicht mehr.“ „Ach komm schon“, grub der Rothaarige weiter, „du wirst doch wohl ein Mädchen haben, bei deinem Aussehen.“ Luc schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, ich muss dich enttäuschen.“ „Mach mir nichts vor. Auch wenn du den Kühlen gibst, ich sehe wie du jeden Abend in den Nachthimmel schaust. So als ob du genau weißt, dass deine Liebe da draußen auf dich wartet und dich ruft.“ Lucs Herz krampfte. „Ich sagte schon, ich wüsste nicht wohin ich gehen sollte. Hab viel Spaß bei deinen Lieben.“ Auffordert tätschelte Luc die Schulter des Kleineren. „Gut, ich gehe. Aber lass dir eins gesagt sein. Du trägst viel Trauer und Schmerz in dir. Wenn du jemanden gefunden hast, der dein Herz zum Lachen bringt, dann kämpfe um dieses Glück, so wie du hier kämpfst. Und bis dahin könntest du dich zumindest mal mit einer anderen Frau ablenken und in ihrem Schoß Freude suchen.“ Es sollte aufmunternd klingen, doch Luc empfand nur Wehmut. „Ich würde sie nicht finden, die Freude. Aber hab Dank für deine offene Art.“ „Wie du meinst. Hauptsache du lässt dich nicht unterkriegen. Bis denn!“ Zwinkernd verließ Utz mit den gepackten Sachen den Schlafraum. Leere umfing Luc und die Einsamkeit griff nach ihm. Seufzend ging er Richtung Stall. Das Wetter war zu schön um drinnen zu verweilen. Er würde ausreiten und die Wärme der Sonne genießen. Eine schlanke Gestalt lehnte mit verschränkten Armen vor dem Stall und versperrte den Eingang. Das blonde Haar glänzte leicht golden in der Sonne. „Wie es scheint, hast du niemanden der sich über dein Kommen freuen würde.“ Luc wusste wirklich nicht, was für ein Problem Gerald mit ihm hatte. So nachtragend konnte man als gestandener Mann doch wirklich nicht sein. „Damit bin ich wohl nicht allein“, konterte Luc. Eisig wurde der Jäger von stahlblauen Augen durchbohrt. „Was ist, willst du mich mit deinen Blicken aufspießen? Vielleicht solltest du es besser mit einer Klinge versuchen. Wenn nicht, dann geh beiseite.“ „Du hast nicht bitte gesagt.“ Luc trat dicht vor den Blonden. Diesem war die Nähe sichtlich unangenehm. „Würde es dich denn zufrieden stellen? Ist es nicht vielmehr dein Wunsch, dass ich mich vor deine Füße werfe und zu dir aufblicke, wie alle es tun?“ Leichte Röte schlich sich in Geralds Gesicht und betonte die hohen Wangenknochen. Ein leichtes Zucken huschte über die schmalen Lippen. Luc rief sich zur Vernunft. Die Situation durfte nicht eskalieren. Er wollte bleiben und den Gruppenführer zum Kampf zu fordern, wäre sicher nicht folgenlos. Auch wenn es ihm zu wider war, er musste einlenken. „Bitte.“ Es klang ohne Spott, schlicht und einfach. Überraschenderweise trat Gerald zur Seite. „Du solltest nicht zu weit reiten, Baldur. Heute Nachmittag wird ein Unwetter aufziehen.“ Das waren die vielleicht ersten Worte, die ohne Befehl und freundlich an Luc gerichtet waren. Zum Dank schenkte er dem Blonden ein offenes Lächeln. „Ich sehe keine einzige Wolke.“ „Nein, aber selbst wenn der Himmel schwarz davon wäre, würdest du keinen Rat von mir annehmen.“ Der Vorwurf irritierte Luc. „Wie kommst du darauf?“ „Du scheinst meine Position in keinster Weise zu respektieren. Ich sehe die Belustigung in deinen Augen, wenn ich dir etwas auftrage. Jeden meiner Befehle führst du mit Verachtung aus. Und zu allem Überfluss wagst du es, mich in Frage zu stellen.“ Luc wollte widersprechen, doch Geralds harsche Handbewegung gebot ihm zu schweigen. „Doch, genau das tust du. Nicht offen vor versammelter Mannschaft. Du bist viel zu schlau, als dass du mir dadurch einen Grund geben würdest, dich beim Kommandanten in Misskredit zu bringen. Hinter meinem Rücken wagst du es den anderen deine Fechttechniken zu zeigen, deine taktische Vorgehensweise meiner entgegen zu stellen. Du magst in vielem besser sein als ich, aber dennoch solltest du dir darüber im Klaren sein, dass ich mir meine Stellung hier hart erarbeitet und gefestigt habe. Mir gebührt dein Respekt, gleich was du vorher warst.“ Gerald hatte recht. Nur zu gerne, hatte er den Lehrmeister gegeben. „Es tut mir leid. Ich wollte deine Autorität nicht in Frage stellen. Aber deine Arroganz macht es mir nicht einfach, mich demütig zu fügen. Meine Belehrungen sollten dich nicht kränken, sondern den anderen helfen. Ich werde mich zukünftig zurückhalten.“ Die Kälte in den stahlblauen Augen wich. „Nun, lassen wir es auf einen Versuch ankommen.“ Die angebotene Hand nahm Luc nur zu gerne entgegen. „Willst du mich begleiten?“ „Ich denke nicht, dass ich darauf erpicht bin, nass zu werden.“ Luc zwinkerte, als er sich zu einem der gesattelten Pferde wandte. „Dann ist unser Gruppenführer also aus Zucker?“ Gerald sprang zur Seite, als Luc auf einer braunen Stute nach draußen galoppierte. Er genoss das Gefühl von Freiheit, als er die Stute über den Kasernenhof Richtung Wälder jagte. Es dauerte nicht lange bis er das Donnern von Hufen hinter sich hörte. Luc brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer ihm folgte. Als die ersten Bäume die Reiter in Empfang nahmen, hatte Gerald ihn eingeholt. „Hast du auch ein Ziel!“, rief ihm der Blonde zu. „Nein, nur die Schönheit Natur!“ Sie ritten quer durch den Wald, dann über Felder an einem Bach entlang. Die Sonne brannte heiß herunter und Luc sehnte sich nach dem schützenden Schatten der Bäume. Er wurde langsamer und stieg schließlich ab, um seinem Pferd eine Pause und sich einen Schluck Wasser zu gönnen. Ein böiger Wind trocknete den Schweiß auf seinem Körper. „Wir sollten allmählich umkehren.“ Gerald hatte jede Steifheit verloren und auch sein hochmütiges Gehabe kam Luc nicht mehr lästig, sondern interessant vor. „Ach ja, ich vergaß, das orakelte Gewitter.“ „Ich kenne die Wetterverhältnisse in dieser Gegend. Orakelt habe ich alleine, dass du meinen Ratschlag nicht annehmen wirst.“ „Ich hatte bereits einen deiner Ratschläge befolgt und war dankbar dafür.“ Ein Anflug von Wärme huschte über das markante Gesicht des Blonden. Gerald ließ sich neben Luc ins Gras sinken. „Was führte dich zu uns?“ Luc war sich nicht sicher, ob er Gerald an seiner Vergangenheit teilhaben lassen wollte. Er mochte ihn auf eine gewisse Art leiden und hoffte auf eine größere Verbundenheit. Dennoch wusste Luc nicht, ob er dem kühlen Blonden trauen konnte. „Da gibt es viele Gründe. Der größte unter ihnen ist, dass ich eine Aufgabe brauche, die mich erfüllt.“ „Und, hast du sie gefunden?“ „Ich will dir deine Position nicht streitig machen, falls du darauf hinaus willst.“ Das warme Lächeln überraschte Luc. „Du kannst gut in Menschen lesen. Aber blicke nicht zu tief.“ „Wieder ein Rat?“, neckte Luc. „Nein, eine Warnung.“ Ein donnern durchbrach die Stille, die folgte. Dicke Tropfen fielen auf die Erde und kündigten als Vorboten das nahende Gewitter an. „Wir haben zu lange gewartete.“ „Ja, wir sollten zurückreiten.“ „Dafür bleibt keine Zeit, wir müssen Unterschlupf suchen, bevor sich das Gewitter entlädt und und die Pferde durchgehen.“ Luc wagte nicht zu widersprechen. Gerald hatte mit seiner Vorhersage bereits recht behalten. Er setzte sich auf. „Und wo?“ „Am Ende des Waldrandes gab es eine Höhle.“ Gerald stieg in den Sattel und gab die Richtung vor. Stechend prasselte kaltes Nass auf die Reiter nieder, während sich die Farbe des Himmel endgültig in drückendes Sturmgrau legte. Dem größten Unwetter entkommend, erreichend sie bis auf die Haut durchnässt, die Höhle. Der Unterschlupf war nicht sehr groß, aber auch die Pferde fanden zwischen den hohen Felswänden Platz. Die Höhle schien bereits zuvor Wanderer beherbergt zu haben. Die benutzte Feuerstelle war noch nicht bis zum letzten Scheit abgebrannt gewesen, als das Feuer gelöscht wurde. Luc schickte sich an das Feuer in Gang zu bringen, während sich der Blonde seinen nassen Sachen entledigte. Er war gut gebaut und Luc ertappte sich dabei, wie sein Blick langsam über den zur Schau gestellten Körper glitt. Es war nicht wie sonst. Kein vergleichender Blick unter Männern, sondern ein interessiertes einsaugen der Attraktivität. Die Scham brannte in seinen Adern. Sicher lag es an jener Frühlingsnacht, dass er Männer nunmehr in einem anderen Licht wahrnahm. Gerald legte sich neben das Feuer und ließ die Wärme auf sich wirken. „Was denkst du, wie lange das Gewitter anhalten wird?“, fragte Luc um dem unangenehmen Schweigen zu entgehen. „Lange genug um nicht in den nassen Sachen auszuharren.“ Als Luc die nassen Kleider ablegte, spürte er Geralds Blicke auf seiner nackten Haut. Sie waren gleich den seinen, was die Situation nur prekärer machte. Schweigend legte er sich auf die andere Seite und wünschte sich die Feuerstelle größer. Die Hand die nach seinem Hals griff, machte ihm bewusst, dass der Abstand zwischen ihnen nicht nennenswert war. „Was ist mit deinem Tuch? Legst du es nie ab?“ Iven kam Luc wieder in den Sinn. Intensiv blickte er in die stahlblauen Augen um schwarze zu vergessen. „Nein, es ist ein Andenken. Ein Teil von mir.“ Der Blonde zog seine Hand vom Hals zurück und führte sie an Lucs feuchte Haarspitzen. Spielerisch griff er von einer Strähne zur nächsten. „Du bist reichlich sonderbar, Luciel. Auf eine bezaubernde Art.“ Lucs Herz schlug schneller. Gerald versuchte ihn eindeutig zu umschmeicheln. Er reagierte zu spät, als die Haarspitzen frei gelassen und die Finger zärtlich über sein Schlüsselbein strichen. Gänsehaut befiel ihn. Ob er sich noch einmal einem Mann hingeben sollte? Luc schauderte. Es verstoß gegen jede Moral. Die Gewissensberuhigung, dass die körperliche Vereinigung mit einem Vampir etwas anderes war und ohnehin keine ethischen Regeln in sich hatte, konnte er hier nicht anführen. Nicht einmal unter den Mantel der Liebe konnte er seine aufkeimende Lust legen. „Dir scheint kalt zu sein. Willst du nicht näher kommen? Die Hitze in mir, wird uns beide wärmen.“ Verlangen spiegelte sich in den stahlblauen Augen. Ja, er wollte es. Wärme spüren und seine ständig quälenden Gedanken vergessen. „Ich verbrenne mich gerne und sollte besser Abstand halten.“ Wenn er seine Gefühle je wieder beherrschen wollte, musste er zuerst seinen Körper kontrollieren. Luc setzte sich auf, um weniger Angriffsfläche zu bieten. Er hatte genug mit sich zu kämpfen. Seine Moral würde er nicht auch noch auf das Schlachtfeld schicken. Die eisige Kälte kehrte wieder in Geralds Wesen zurück. Ob er von Beginn an, von ihm angetan war? Die Zeit verging ohne, dass sich einer von ihnen regte. Gerald hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen, während Luc still ins Feuer sah. Er war sich nur zu gut bewusst, den Blonden gekränkt zu haben. Wie sehr, würde die Zeit zeigen. Das Donnern verstummte und die letzten Regentropfen vielen schwer vom Himmel. Allmählich kehrte die Sonne zurück und vertrieb die letzten grauen Wolken. Luc schickte sich an seine Sachen zu holen. Als er nach ihnen langte, berührte er ungewollt Geralds Hand. „Vorsicht, du könntest dich verbrennen.“ Luc vermochte nicht zu deutend, ob die Worte neckisch, verletzt oder bedrohlich klingen sollten. Vielleicht von allem etwas. Er hielt es für klüger zu schweige und zog sich an. Die Anspannung zwischen ihnen war deutlich zu spüren und mehr als unangenehm. Gerald saß zuerst im Sattel und ritt los ohne auf Luc zu warten. Hastig versuchte der Jäger den Blonden einzuholen. Er konnte den Tag nicht so stehen lassen. „Gerald!“ Er gab seiner Stute die Sporen. „Bitte warte!“ Der Blonde schien gar nicht daran zu denken. Immer unbarmherziger trieb er seinen Rappen an und vergrößerte den Abstand. Erst als die Kaserne in der Dämmerung in Sicht kam, gelang es Luc den Gruppenführer einzuholen. „Meinst du nicht, wir sollten darüber reden?“ Beißende Arroganz schlug Luc entgegen. „Ich habe nicht vor, Worte an dich zu verschwenden!“ „Schön, dann sind wir also wieder da, wo wir vorher waren.“ Ohne darauf einzugehen schickte sich der Blonde an Abstand zu gewinnen. Es tat Luc leid, dass der Ausritt so enden musste. Als er in der Kaserne ankam und erschöpft von seiner Stute abstieg, hielt im Gerald seine Zügel entgegen. „Kümmere dich darum.“ Automatisch griff Luc nach dem Leder und ärgerte sich sogleich. „Dir ist hoffentlich klar, dass ich heute nicht im Dienst stehe und deine Befehle ins Leere laufen.“ Gerald lachte spöttisch. „Dann sieh es als eine Bitte an.“ Der Blonde wandte sich ab, als ob die Sache für ihn damit erledigt wäre. „Du hast mich aber nicht gebeten!“, rief Luc ihm trotzig, aber sinnlos hinterher. Verärgert versorgte er die Pferde und schluckte seine Wut. Gerald war ein widerlicher Bastard. Was an ihm, fand er vorhin nur attraktiv? Kapitel 16: Freundschaft ------------------------ 16. Freundschaft In den nächsten Wochen machte Gerald keinen Hehl mehr aus seinem Zorn. Wo es ging schikanierte er Luc. Dennoch fühlte sich der Jäger bei der Stadtwache wohl und er konnte es kaum erwarten, seinen offiziellen Dienst anzutreten. Die Nachricht, dass er wie alle Anwerber zuerst eine Ausbildungszeit durchlaufen musste und fürs erste nur als Helfer den Dienst mitgestalten konnte, warf ihn in seiner Euphorie zurück. Geduldig folgte er und wurde mit dem Versprechen des Kommandanten, noch vor Jahresende seine Uniform zu erhalten, belohnt. Hin und wieder gab sich Luc einen Ruck und ging auf Gerald zu. Ein ums andere Mal wurde er bitter enttäuscht. Selbst an Sonntagen, an denen die Kaserne meist verlassen war, befand es der Blonde für nötig, aus allem ein theatralisches Schauspiel zu machen. Irgendwann war Luc die Gehässigkeit die ihm entgegenschlug leid und er gab auf. „Sag mal, was genau hast du verbrochen?“, wollte der Rothaarige wissen, als sie beide ungestört im Schlafsaal waren. Fragende blickte Luc in das neugierige mit Sommersprossen übersäte Gesicht. „Was meinst du, Utz?“ „Ich kenne Gerald fast mein ganzes Leben lang und weiß auch, dass er ziemlich unangenehm werden kann. Aber in deiner Gegenwart scheint seine Boshaftigkeit keine Grenzen zu kennen. Er nutzt jede Gelegenheit, um dich bloß zu stellen. Er scheint es regelrecht zu genießen, dir seine Macht zu demonstrieren.“ Luc grinste. „Wenn du es für Macht hältst, mich den Kasernenhof fegen zu lassen oder mir jeden Nachtdienst aufzuhalsen, der möglich ist, hast du wohl recht.“ „Und was ist mit den sinnfreien Bestrafungen, wie dich stundenlang mit Steinen beladen, wie ein Jahrmarktspony im Kreis laufen zu lassen?“ Bei dem Vergleich musste Luc los prusten. „Sah ich wirklich so lächerlich aus?“ Utz puffte ihn freundschaftlich in die Seite. „Schlimmer. Aber ich meine es ernst.“ „Ich habe nichts gegen körperliche Ertüchtigung. Der Herbst bricht bald an und der Winter ist nicht mehr fern. Wenn ich erst einmal den offiziellen Rang einer Stadtwache innehabe, wird er mich nicht mehr so leicht demütigen können. Also mache dir bitte keinen Kopf.“ Utzs blaue Augen musterten ihn kritisch, während sich die Stirn in leichte Falten legte. Kurz glaubte Luc Sorge in dem runden Gesicht zu lesen. „Er hat dir Avancen gemacht, oder?“ Luc errötete bei der Direktheit dieser Frage. „Wie meinst du“, „Wie kommst du darauf?“ „Noch bevor ich Gerald hier begegnet bin, waren wir quasi seit der Kindheit Nachbarn. Ich erinnere mich noch gut daran, wie er als Jüngling sehr von meinem älteren Cousin angetan war. Er gab es nie zu und mein Cousin tat es als Bewunderung ab. Aber die Blicke die Gerald ihm zuwarf, waren so wie die meinen, wenn ich Mädchen nachschaute. Verträumt und sehnsüchtig.“ „Du kannst wohl kaum behaupten, dass er mich verträumt anschaut“, spottete Luc um der Ernsthaftigkeit dieser Unterredung zu entgehen. „Nein, eher so, als ob er dich auf der Stelle zu Boden werfen möchte. Allein um dir zu zeigen, dass er der Stärkere von euch beiden ist.“ Utz machte sich definitiv Sorgen um ihn. Dennoch war dieses Gespräch äußerst unangenehm und es wäre Luc lieber gewesen, wenn sein Freund nicht so ein waches Auge auf ihn geworfen hätte. „Seit er ein Mann ist, verbirgt Gerald alles hinter Arroganz und stolzem Gehabe. Darunter liegt aber nicht etwa ein sensibles, sondern ein brutales Wesen. Er hat dich nicht angegangen, weil er wusste, dass du zu stark für ihn wärst, verstehst du?“ Der Schock fuhr tief in Lucs Glieder. Gerald mochte ein unangenehmer Zeitgenosse sein, aber die Unterstellung, die in der Aussage mitschwang, ging doch zu weit. „Ich schätze dich sehr, Utz, aber das kann ich nicht glauben. Bist du dir darüber im Klaren, welche Vorwürfe du indirekt erhebst?“ Der Blick des Rothaarigen war fest, als er fortfuhr. „Glaube mir, wenn ich dir sage, dass sie nicht aus der Luft gegriffen sind. Aber einer Stadtwache etwas nachzuweisen, noch dazu bei so einem Vergehen, ist schwierig und stößt nur zu gerne auf taube Ohren.“ Luc war immer noch ungläubig. Doch nach und nach formte sich das Bild, welches er von Gerald hatte, neu. „Ich danke dir für deine Offenheit. Das Gesagte muss ich aber erst verarbeiten. Ich hatte gedacht, dass ein weicher Kern unter der harten Schale zu finden ist. Die kurze verbrachte Zeit mit ihm, zeigte mir nichts von seiner verkommen Art. Im Gegenteil. Ich bedauerte, dass unser Kennenlernen so misslich endete.“ „Ich sollte diesen Sonntag vielleicht nicht gehen.“ Luc schüttelte den Kopf. „Unsinn. Deine Frau wartet auf dich. Gerald hat mir bis jetzt keinen ernsthaften Schaden zugefügt und wird es auch zukünftig nicht. Sagtest du nicht selbst, dass ich zu stark für ihn wäre? Mache dir bitte keine Sorgen und gehe. Ich bin schon mit ganz anderem fertig geworden.“ Seufzend packte Utz seine Sachen zusammen. „Das glaube ich dir. Dennoch habe ich ein ungutes Gefühl.“ „Ich auch. Wenn ich recht darüber nachdenke, könnte es Hunger sein.“ Die Besorgnis wich aus dem Gesicht seines Freundes. „Gut, gehen wir was essen, bevor ich aufbreche.“ Als Utz nach dem Frühstück zusammen mit den anderen wie jeden Sonntag nach Hause aufbrach, erfüllte Luc bedrückende Einsamkeit. Wie immer. 'Blicke nicht zu tief', ausgerechnet heute kam ihm Geralds Warnung in den Sinn. Utz hatte ihn schon ganz konfus mit seinen Sorgen gemacht. Nachdenklich ging er in die Bibliothek. Das Wetter war schlecht und so konnte er ebenso gut ein Buch lesen. Luc entschied sich für etwas Lehrreiches zur Stadtgeschichte. Sein Wissen aufzubessern würde sicher nicht schaden. Eine Tasse Tee sollte ihm die schwere Kost erleichtern. Die große Küche war genauso verlassen wie der Rest der Kaserne. Der Kessel pfiff und Luc goss die Kräuter auf. Der Geruch war wohltuend und legte sich warm auf seine Sinne. Während er nach Honig suchte, glaubte er einen Schatten vor einem der Fenster gesehen zu haben. Umsichtig ging nach draußen um sich zu vergewissern. Nichts. Wahrscheinlich spielten ihm seine Gedanken einen Streich. Als er wieder in die Küche trat, stand ihm Gerald gegenüber. „Stadtgeschichte. Was Besseres hast du wohl nicht gefunden?“ Lässig legte der Blonde das Buch zurück auf den Tisch. „Was dagegen, wenn ich mir etwas von dem Wasser nehme?“ Luc reizte die mögliche Herausforderung und er wollte sich nicht um den ersten bissigen Kommentar der ihm auf der Zunge lag drücken, als er auf den Blonden zuging. „Ja. Wenn es abgekühlt ist, kannst du es meinetwegen wieder aufkochen. Darin bist du ja gut, im Warm machen.“ Utz hatte recht. Jetzt wo er wusste, wonach er in den stahlblauen Augen suchen musste, fand er Antworten. Neben Stolz, waren es Gier und Rücksichtslosigkeit. Ehe er reagieren konnte, wurde er von Gerald an die nächste Wand gepresst. Hart drückten sich die Lenden des Anderen an die seinen, während ihm durch die Nähe warmer Atem entgegen schlug. Das Gesicht seines Gegenübers war von verlangender Lust geprägt. Stechend fanden sich stahlblaue Augen in grünen wieder, bevor sie sich abwandten und begehrlich seine Lippen betrachteten. Sein Herz schlug intuitiv schneller, während sich seine Muskeln spannten und die Situation mit einem Schlag beenden wollten. Den plötzlich aufgezwungen Kuss quittierte er jedoch einzig mit einem Biss in das weiche Fleisch. Er schmeckte Blut. Augenblicklich wich Gerald zurück und fasste sich an die offene Lippe. Die Überraschung in dem Blonden hielt nur kurz an und verbarg sich sogleich unter Arroganz. „Ich komme dann wieder, wenn das Wasser kalt ist.“ Fassungslos ruhten Lucs Augen solange auf dem Rücken des Blonden, bis dieser hinter der Tür verschwand. „Verdammt, was sollte das?!“ Seine Frage kam zu spät um Beachtung zu finden. Kopfschüttelnd rief er sich zu Ordnung. Ob es ihm passte oder nicht, er sollte achtsamer in Geralds Gegenwart sein. Er sah ihn nicht wirklich als Bedrohung, aber die gezeigte Unberechenbarkeit, machte ihn zu einer ernstzunehmenden Gefahr. Langsam schlürfte er den Tee und macht sich an das erste Kapitel. Er kam zur zäh voran und hatte Schwierigkeiten sich zu konzentrieren. Seine Augen schmerzten und die Buchstaben verschwammen. Vielleicht sollte er doch in die Bibliothek zurückgehen. Dort war der Lichteinfall durch die großen Fenster etwas besser. Mit einem Satz trank er den Rest der nur noch lauwarmen Flüssigkeit runter und stand auf. Schwindel ergriff ihn. Seltsam, er fühlte sich gar nicht krank. Beim ersten Schritt hatte er das Empfinden zu wanken. Beim zweiten Schritt fiel er. Unfähig aufzustehen, versuchte er vergeblich einen klaren Gedanken zu fassen. Das Schallen von Absätzen ließ ihn aufhorchen. Seine Augen suchten nach Antworten, doch Die Dunkelheit zog ihn unaufhaltsam in die Bewusstlosigkeit. Als er die Ohnmacht abschüttelte, brannten seine Glieder. Langsam wurde er sich seiner Lage gewahr. Er stand mit den Armen nach oben gefesselt, in der Mitte eines nur spärlich beleuchteten Raumes. Das Tageslicht wurde durch dicke Vorhänge ausgesperrt und machte stattdessen einigen wenigen Kerzen platz. Sein Oberkörper war entblößt und er konnte die eisigen Blicke von einer anderen Person im Raum auf sich spüren. „Ich sagte ja, ich komme wieder, wenn das Wasser kalt ist.“ Langsam kroch Angst in Luc empor. Er hatte Gerald unterschätzt oder vielmehr ihm nicht soviel Hinterlist zugetraut. Krampfhaft sammelte er sich. Er würde dem Blonden keine Schwäche zeigen. „Es war noch lauwarm. Du solltest besser an deinem Zeitplan arbeiten.“ Harsch griff Gerald in das dunkelblonde Haar und zwang Luc somit direkt in die stahlblauen Augen zu sehen. „Vorsicht, Baldur. Du bist gerade nicht in der Position dich zu wehren. Mich zu reizen, wäre äußerst unklug.“ Luc gab ein abfälliges Grinsen zur Antwort. „Dann soll ich dich also fürchten? Verzeih, aber bei einem Mann, der feige zu Betäubungsmitteln greifen muss, um sich zu behaupten, fällt mir das nur schwer.“ „Dann werde ich dir dabei behilflich sein!“ Gerald trat hinter ihm. Ein leises Surren folgte, dann ein Schlag, der sich als schmerzhafter Striemen auf seinem Rücken abzeichnete. Erschrocken zog Luc die Luft mit einem Stöhnen ein. Bei dem nächsten Schlag war er vorbereitete. Er tat Gerald nicht mehr den Gefallen, sich den Schmerz anmerken zu lassen. Nicht beim Zweiten, nicht beim Dritten. Fest Griff die Hand des Blonden nach seinem Kinn. Ekel durchzog seinen wehrlosen Körper, als Geralds feuchte Zunge über sein Gesicht glitt. Dann machte sich die Hand des Blonden an seinem Hals zu schaffen. „Wollen wir doch mal sehen, welches Geheimnis du verbirgst.“ „Nein!“ Luc keuchte auf. Zu spät. Das weiße Tuch fiel zu Boden und kalte Finger tasteten nach seinen Narben. „Dann ist es also wahr. Du bist der Geliebter des Prinzen.“ Entsetzen befiel Luc. Woher wusste Gerald von Iven? „Na, hast du mir nichts zu sagen? So etwas wie, ich solle die Finger von dir lassen, weil sonst dein Prinz kommt und mir jeden einzelnen Tropfen Blut raubt?“ „Selbst dein erbärmliches Leben würde ich vor Vampiren beschützen,“ spie Luc aus. Gerald lachte schallend. „Ganz der Jäger was. Dabei hat die Garde dich doch verstoßen und als vogelfrei deklariert.“ Lucs Augen weiteten sich. Er hatte es befürchtet. Aber wie kam Gerald an all die Informationen? „Was hast du damit zu schaffen?“ „Oh, im Grunde nichts. Außer einen Halbbruder, der mich darüber aufgeklärt hat, wer und was du bist.“ Wieder das unbarmherzige Surren. „Und dann noch einen Vater. Der bei deiner Auslieferung vielleicht auch mal an seinen Bastard denkt, der es nur in den Dienst einer Stadtwache geschafft hat.“ Fünf. Er musste all seine Beherrschung aufbringen. „Wessen Sohn?“, keuchte er schwer. „Hauptmann Junkens. Und mein Halbbruder Siegbert, lässt dir schöne Grüße ausrichten.“ Stur blickte Luc in den goldenen Schein einer Kerze, um auch die nächsten Schläge zu schlucken. Das Surren verstummte und wurde durch ein bedrohliches Raunen ersetzt. „Eine Schande, einen so schönen Körper zu verunstalten.“ Die Spuren, die Geralds kühle Finger über seine Brust zogen, ließen Luc erschaudern. „Aber ich will mich ja nicht anstecken und werde mich wohl mit deiner süßen Stimme amüsieren müssen.“ „Tu, was du nicht lassen kannst. Aber renne später nicht zu Papi, wenn du nicht bekommst, was du willst!“ Zorn funkelte in den stahlblauen Augen auf. „Ich bewundere deinen Mut, Luciel. Im Augenblick ist er nur völlig sinnlos. Die Garde hat bereits ihre Gefolgsleute nach dir ausgesandt. Kurz vor Sonnenuntergang werden sie dich zu deiner sicheren Hinrichtung eskortieren. Bis dahin...“ Wieder harte Lippen die fordernd nach seinen verlangten. Wieder ein wehrender Biss, Blut auf seiner Zunge. „...werde ich meinen Spaß mit dir haben.“ Spielerisch leckte sich der Blonde über die offene Wunde an der Unterlippe. „Und da du die eine Art eben abgelehnt hast, werde ich mich mit der anderen begnügen.“ Gleich wie oft die Peitsche seinen Rücken streifte, ihm Tränen in die Augen trieb, so kam der Schmerz doch nicht an jenem in seinem Herzen ran. Er dachte an Sarah. Flüsterte ihr zu, dass er bald bei ihr sein würde. Dann viel er in die Dunkelheit und sah Iven vor sich. Er war nicht Richter oder Henker. Aber seine Schuld. Schuld, die schwer auf seinem Gewissen lag und ihn jeden Schlag demütig ertragen ließ. Er hatte es nicht besseres verdient. Die Ohnmacht erbarmte sich und schluckte sein Bewusstsein mit stiller Schwärze. Ein Schwall Wasser holte ihn zurück in das düstere Zimmer. „Willst du mir nicht wenigstens einen Laut schenken? Vielleicht bin ich gnädig mit dir.“ Luc kämpfte mit seinen Sinnen. Sein Rücken brannte, als ob er in Feuer stehen würde. „Ich verdiene keine Gnade.“ Kraftlos fiel er zu Boden, als seine Fesseln unerwartet gelöst wurden. „Selbst die Möglichkeit dich zu strafen und zu verdammen nimmst du mir, indem du es selbst tust!“ Sehnsüchtig beugte sich der Blonde zu dem Jäger und strich sanft über dessen Hals. „Ich hätte dich vor ihm finden müssen.“ Dann verschwand er und Luc glitt dankbar in die Schwärze der Bewusstlosigkeit zurück. Unruhig zuckten seine Augenlider. Als er sie aufschlug, nahm er die Umgebung nur unscharf wahr. Er wollte sich aufrichten, aber seine Glieder gehorchten nicht. Der Versuch sich umzublicken scheiterte, genauso wie der aufzustehen. Benommen starrte er auf den Boden und überlegte fieberhaft, wie er sich befreien konnte. Je wacher sein Geist wurde, desto intensiver spüre er das Brennen auf seinem zerschundenen Rücken. Dumpfe Stimmen drangen an sein Ohr. „Ich hatte euch später erwartet. Seid ihr etwa allein? Hat man euch nicht gesagt, wen ihr abführen sollt?“ „Nun führt mich schon zu dem Gefangenen.“ „Wie ihr wollt.“ Diese Stimme. Irgendwie kam sie Luc bekannt vor. Ein Schlüssel klapperte im Schloss, gefolgt von Schritten. Der Lichteinfall verschaffte ihm ein deutlicheres Bild. Zwei Schatten standen hinter ihm. „Da habt ihr ja ganze Arbeit geleistet.“ Lucs Herz machte einen Hüpfer, als er die tadelnde Stimme, als die von Vernon erkannte. Wieso war er hier? Bitterkeit befiel ihn. Musste der General ausgerechnet Vernon schicken, um ihn zum Galgen zu führen? Schritte näherten sich. „Seid achtsam. Er könnte wach sein.“ „Für mich sieht es nicht so aus, als ob er sich noch großartig wehren könnte.“ Der Brünette beugte sich nach unten, um den Gefangenen in Augenschein zu nehmen. „Großer Gott, musstet ihr ihn so zurichten?“ „Ihr seid wohl sehr zimperlich. Ich dachte er sei ein Geächteter und jede Strafe hätte er mehr als verdient.“ Eine Decke fiel unweit von Lucs Kopf zu Boden. Als sie von Vernon aufgehoben und über ihn gelegt wurde, unterdrückte er ein Keuchen. „Mir ist nicht bekannt, was ihm zur Last gelegt wird. Aber über die Bestrafung wird das Gremium der Gilde in einem fairen Prozess entscheiden.“ Sachte wurde er umgedreht. Traurig sah er in das bronzene Gesicht seines Freundes. Das Entsetzen mit dem Luc gemustert wurde, verriet ihm, dass Vernon wohl nicht über seinen Auftrag aufgeklärt wurde. Vorsichtig half ihm Vernon dabei sich aufzurichten. Er schwankte dennoch und versuchte vergebens sein Gleichgewicht zu finden. Mit einem sorgenvollen Blick bugsierte Vernon ihn sogleich zu der nächsten Wand, an die er sich dankbar anlehnte. Geistesgegenwärtig richtet sich der Soldat wieder an den Gruppenführer. „Wo sind seine Sachen?“ „Im Schlafquartier der Truppe.“ „Dann führt mich hin und gebt ihm was zum Trinken.“ „Herje, ihr seid wirklich empfindlich. Euer Verräter ist hart im nehmen und wird darauf verzichten können“, tönte die hochmütige Stimme von Gerald. „Sein Leben ist mir unterstellt. Auf was er verzichten kann und auf was nicht, entscheide nunmehr ich. Wenn ihr euch dann bequemen wollt!“ Die Autorität in Vernons Auftreten ließ keinen Widerspruch zu. „Schön, ich führe euch zum Schlafquartier und kümmere mich auf eure nette Bitte hin, dann um sein leibliches Wohl.“ Mit einem letzten Blick, den Luc nicht zu deuten vermochte, verließ Vernon mit Gerald den Raum. Kraftlos glitt Luc an der Wand herab. Sicher war es reine Taktik des Generals gewesen, Vernon zu schicken. Gegen ihn würde er sich nicht wehren. Soweit ihm das gegenwärtig überhaupt möglich war. So schmerzlich die Erkenntnis war, von seinem Freund ausgeliefert zu werden, so fand er doch einen gewissen Trost darin, die letzten Stunden in dessen Gegenwart erleben zu dürfen. Wieder klappernden Schlüssel. Mit einem Becher in der Hand blieb Gerald vor ihm stehen. Er schien es sichtlich zu genießen, dass Luc zu ihm aufblicken musste. Mit einem höhnischen Grinsen reichte er dem Dunkelblonden den Becher. Als Luc danach griff, versagte sein Arm an der noch fühlenden Taubheit, woraufhin sich unter dem Zittern der Inhalt des Bechers auf den Boden ergoss. Mit einem spöttischen Grinsen beugte sich Gerald zu dem Gefangenen. „Armer Luciel. Immer noch unfähig zu handeln. Hilflos wie ein kleines Kind. Wenn du lieb zu mir bist, bringe ich dir vielleicht noch einen Becher.“ Revanche. Der Gedanke brannte mehr in Luc als sein Rücken. Er würde durch diesen Bastard dem sicheren Tod übergeben werden. Aber er würde dem Blonden ein Andenken hinterlassen. „Bitte,“ ehrfürchtig flehten seine grünen Augen, „nenne mir deinen Preis.“ Siegessicher verzogen sich Geralds Lippen, als sie sich den seinen näherten. „Diesmal mit mehr Leidenschaft“, hauchte der Blonde als er zum Kuss ansetzte. Es kostete Überwindung, die er nur zu gerne aufbrachte. Vorsichtig strichen seine Lippen über Geralds Mundwinkel, nur um sich dann ruckartig auf dessen Wange wieder zu finden. Seine Zähne schlugen in Fleisch und seine Zunge schmeckte den bitteren Geschmack von Blut. Der Blonde schrie augenblicklich auf. „War, dass genug Leidenschaft für dich?“ Luc konnte nicht anders als schadenfroh zu lachen. „Das wirst du mir büßen!“, brüllte der Blonde. In völliger Rage zog er sein Schwert, um zum Schlag anzusetzen. „Steckt es weg! Oder ihr macht Bekanntschaft mit meiner Klinge.“ Wütend drehte Gerald sich um. „Er hat mich gebissen. Wie eines dieser Tiere!“ Vernon schien die Rechtfertigung nicht zu interessieren. Ohne weiter darauf einzugehen, ging er auf Luc zu, um ihn in die Höhe zu helfen. Stolz stellte sich der Blonde beiden in den Weg. „Nicht so schnell. Ich verlange Genugtuung!“ „Wenn ihr so leichtsinnig seid, jemanden zu provozieren, der nichts zu verlieren hat, verdient ihr es nicht anders. Außerdem hattet ihr eure Genugtuung bereits mehr als genug. Jetzt tretet beiseite.“ Zornfunkelnd zog sich der Hauptmann zurück, nicht ohne Luc vorher noch einen hasserfüllten Blick zuzuwerfen. Auf dem Kasernenhof angelangt, konnte der Jäger seine Stärke nicht mehr bewahren. Der Schmerz war zu groß und seine Füße wollten sein Gewicht nicht mehr tragen. Erschöpft brach er zusammen und wurde nur von Vernons Armen vor dem Fall bewahrt. „Luc? Hörst du mich?“ Ja, er konnte die Stimme seines Freundes hören. Zur Antwort fehlte ihm die Kraft. Wie gerne hätte er mit ihm gesprochen. Über alte Zeiten, über die Geschehnisse der letzten Monate, über seine Verzweiflung und sein Bedauern in jeder Hinsicht versagt zu haben. Als Sohn, als Bruder, als Schüler, als Jäger und als Freund. Er wollte sich entschuldigen, ohne Vergebung zu erwarten. Ein Wunsch, der von Ohnmacht geschluckt wurde. Warmherzige schmale blaue Augen waren das erste, was er sah. Er dachte an Sarah, doch ihre waren es nicht. „Ihr seid wach!“ Freudig tupfte ihm die rothaarige Frau die Stirn mit einem kühlen Tuch ab. „Ich kenne euch doch.“ Lucs Hals fühlte sich rau und trocken an. „Babette. Ihr kennt mit aus dem 'Spielmann'. Vernon hat euch zu mir gebracht.“ Unter Schmerzen setzte sich Luc auf. „Bitte überstürzt nichts. Ich habe eure Wunden versorgt, soweit es mir möglich war. Aber ihr braucht dringend Schonung.“ „Nicht da wo ich hingehe.“ Die Mimik der Rothaarigen drückte Unverständnis aus. „Ihr werdet nirgends hingehen, bevor ihr nicht genesen seid. Und jetzt nimmt einen Teller Suppe zu euch. Ihr habt eine Stärkung bitter nötig.“ Babette führte ihn zu einem Tisch. Müde ließ sich Luc auf den Holzstuhl sinken. Die hübsche Frau servierte einen Teller klarer heißer Brühe, angereichert mit allerlei Gemüse und etwas Fleisch. Ein angenehmer Geruch stieg Luc in die Nase. Sogleich meldete sich sein Magen und verlangte nach Nahrung. „Wieso bin ich bei euch?“ „Ich werde euch keine Fragen beantworten, bevor ihr den Teller nicht restlos geleert habt.“ „Danke für eure Fürsorge.“ Nach und nach leerte sich der Teller. Luc hätte schwören können, in seinem Leben noch nichts so schmackhaftes zu sich genommen zu haben. „Ich sollte gar nicht hier sein“, sagte Luc, nachdem er den letzten Bissen geschluckt hatte. „Nein.“ Vernon erschien, mit einem kleinem Bündel in der Hand, in der Tür. „Um genau zu sein solltest du vor zwei Tagen abgeurteilt und dem Henker übergeben werden.“ Luc schluckte. Er wusste nur zu gut, was sein Freund für ihn aufs Spiel setzte. Mit einem liebevollen Kuss begrüßte Vernon seine Liebste und reichte ihr das Bündel, dessen Inhalt sie sorgfältig auf dem Bett ausbreitete. „Wenn ihr gestattet. Ich würde eure Verbände gerne neu legen.“ Luc folgte der Aufforderung und setzte sich neben sie. Während sie sanft zu Werke ging, sah Luc seinen Freund ernst an. Babette trug eine Salbe auf die Wunden auf, die seine geschundene Haut beruhigen sollte. Luc ignorierte die Reizung die dadurch entstand und konzentrierte sich auf das kühle Gefühl das folgte. „Das hättest du nicht tun sollen,“ wandte er sich an seinen Freund. Vernon winkte ab. „Bedanke dich bei Phil. Er hat das ganze arrangiert.“ Luc zuckte zusammen und wurde sogleich von der jungen Frau ermahnt. „Haltet still! Ich muss den Verband noch befestigen.“ „Phil?“ Ein warmes Gefühl fing ihn ein. Einfühlsam beendete die Babette ihr Werk. „So, meine Arbeit ist vorerst getan. Es ist Mittagszeit und ich muss zurück in die Wirtschaft. Wenn ihr mich entschuldigt?“ „Ich danke euch. Es freut mich, dass ihr zu einander gefunden habt.“ „Keine Ursache. Ich hatte so gesehen, ja noch etwas gut zu machen.“ Mit einem Zwinkern in den blauen Augen schloss sie die Tür. Gespannt wartete Luc auf Vernons weiteren Bericht. „Ja, Phil. Er kam mit einem wichtigen Eilauftrag, wie er es nannte, zu mir. Ich sollte einen Abtrünnigen in Haft nehmen. Er sagte es ginge um Leben und Tod und ich sollte mich bedeckt halten und eilen. Die Nacht durchreiten, wenn es sein musste.“ „Dann war es keine offizielle Order?“ „Ja und nein. Phil schickte mich in seiner Eigenschaft als Oberstleutnant. Somit stellte ich keine Fragen. Weder weshalb ich alleine reiste, noch um wen oder um was es ging. Im Nachhinein war mir klar, dass er mich schickte, um dich vor den beauftragten Überstellern wegzubringen.“ Die Freude über Phils Hilfestellung überwog nicht die Schuld, Vernons Konflikt verursacht zu haben. „Es tut mir leid, dass er dich in solch eine Lage gebracht hat. Aber es ist noch nicht zu spät. Bring mich zur Garde, bevor dir ernsthafte Konsequenzen drohen.“ Traurige braune Augen taxierten grüne. „Denkst du von mir wirklich, dass ich das könnte? Dich dem Tod ausliefern?“ Luc wollte darüber keine Grundsatzdiskussion führen. Er kannte Vernons Standpunkt und akzeptierte ihn, so wie er es immer tat. „Du hast es selbst gesagt. Wenn wir uns das nächste Mal begegnen sind wir Feinde.“ „Als Gegner, Mann gegen Mann, ja. Aber nicht so.“ Luc stand auf, als ob er seinen Worten damit mehr Kraft verleihen konnte. „Ich werde nicht zulassen, dass ich dich auch noch ins Unglück stürze. Gerald ist der Bastard von Hauptmann Junkens. Er hat dich gesehen und wird sicher nichts unversucht lassen, dich als Verräter zu überführen.“ „Mach dir darüber keine Gedanken. Gerade weil er der Bastard des Hauptmanns ist, wird er es nicht wagen herum zu erzählen, dass er dich dem Falschen übergeben hat. Mir ist nichts nachzuweisen. Phil hat mir für jenen Tag bereits ein stichhaltiges Alibi verschafft.“ Luc ließ nicht locker. Sein Gewissen musste bereits zu viel tragen. „Und was ist mit deiner Verpflichtung? Deiner Treue zur Gilde? Ich kenne dich besser als Phil und weiß nur zu gut, welche Konflikte dir diese Entscheidung beschert.“ Nachdenklich ging Vernon zum Fenster und ließ seinen Blick über das munter Treiben der Straßen wandern. „Mein Wissen über dein Aufenthalt quält mich. Es ist nicht so, dass ich Lüge. Aber mein Schweigen gegenüber meinen Vorgesetzten ist nicht besser oder von geringerer Schuld.“ Entschlossen streifte sich Luc sein Hemd über. „Dann sollten wir keinen weiteren Aufschub provozieren.“ Harsch drehte sich Vernon um. „Verdammt nochmal Luc! Ich kann es nicht! Gleich wie sehr ich gegen meinen Eid verstoße, mein Gewissen würde es nicht ertragen dich auszuliefern. Ich könnte es mir nie verzeihen, meine Loyalität als Soldat über die des Freundes gestellt zu haben. Ich war enttäuscht von dir, weil ich stets zu dir aufgeblickt habe. Wütend darüber, dass du dich hast so leicht verleiten lassen. Ich hasste die Schwäche, die ich in dir erkennen musste und verfluchte meine einstige Bewunderung für dich. Aber als ich dich da liegen sah, gab es keinen Frust oder Groll mehr, nur den Wunsch, diesen blonden Mistkerl zur Hölle zu schicken, der dir das angetan hat.“ Langsam ging Luc auf den Größeren zu. Die feuchten Augen seines Freundes berührten ihn zutiefst. „Luc, ich weiß nicht, wie sehr du bereits von diesem Vampir abhängig bist. Ich will es im Grunde auch nicht wissen.“ Luc hatte Vernon noch nie so ernst gesehen. Gebannt folgten seine grünen Augen der schenkenden Geste seines Freundes. Gefasst reichte der Soldat dem Jäger den geweihten Dolch entgegen. „Ich bitte dich, das hier als Unterpfand unserer Freundschaft anzunehmen und versprich mir, dass du ihn benutzen wirst, bevor er deine Seele verschlingt.“ Dankbar griff Luc nach der Waffe. „Ich verspreche es und danke dir.“ Vernon nickte knapp. „Wie hast du ihn gefunden?“ Das alte Grinsen kehrte auf das gebräunte Gesicht zurück und vertrieb die ernsten Falten. „Ich bitte dich. Als ob ich nicht genau wüsste, wo du so eine Waffe verstecken würdest.“ Luc schlug Vernon freundschaftlich auf die Schulter. „Lange habe ich geglaubt, alles verloren zu haben. Danke, dass du mich eines besseren belehrt hast.“ Kapitel 17: Blutsbürder ----------------------- 17. Blutsbrüder Schweren Herzens verließ der Jäger Babettes Zuflucht. Er hatte bereits zulange dort verweilt. Dennoch gab sie ihm in all den Wochen nie das Gefühl zur Last zu fallen, obgleich Luc wusste, dass es so war. Sie hatte selbst nicht viel zum Leben, teilte aber alles so bereitwillig und mit soviel Wärme, dass Luc sogar die Kälte in seinem Herzen zeitweilig vergaß. Er bewunderte den Stolz der rothaarigen Frau, nicht die kleinste Bezahlung anzunehmen. 'Der Dank des Freundes ist mehr wert als das, was du mir in Silberlingen bezahlen könntest', hatte er nicht nur einmal zu hören bekommen. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen, einige Taler zurückzulassen. Schweigend und ohne Abschied machte er sich auf, wiederum einen Neuanfang zu begehen. Hastig besorgte sich nur das Nötigste, um für die nächsten zwei Tage über die Runden zu kommen. Froh nicht länger ein Teil des munteren Getümmels zu sein, verließ er den Marktplatz mit neuer Habe und neuer Gesellschaft. Das erstandene Pferd hatte seine besten Zeit bereits gesehen, würde aber den Dienst erfüllen. Befreit jagte er mit dem Rappen über die Felder. Er liebte den Herbst mit seinen warmen Farben, den peitschendem Wind und dem Geruch nach Regen. Wie die Schmetterlinge des Frühlings tanzten die bunten Blätter mit der aufkommenden Brise. Dicke graue Wolken schoben sich vor die orange Herbstsonne, die im Begriff war, dem Abend den Vortritt zu lassen. Mit einem Feuerwerk von glühendem Rot verabschiedete sich die Dämmerung und wurde von Schwarz geschluckt. Als der Jäger in der Dunkelheit die Stadttore passierte, legte sich ein ungutes Gefühl um seine Magengegend. Auf sein Anliegen hin, dass er lediglich eine Herberge für die Nacht suchte, musterten ihn die Wachposten kritisch und warfen ihm sogleich warnende Worte entgegen. „Ihr solltet euch vielleicht einen anderen Ort zum Nächtigen aussuchen, Fremder. In der Stadt herrschte am frühen Abend ein ziemlicher Tumult, der blutig endete. Einige bewaffnete Männer sind wohl aneinander geraten und immer noch auf freiem Fuße. Vor diesem Hintergrund wird euch heute Nacht kein Gasthaus noch Unterkunft bieten. Die Bürger hier waren schon immer misstrauisch und klingende Münze allein wird nicht ausreichen, um Unterschlupf zu finden.“ „Gewährt ihr mir dennoch Einlass um mein Glück zu versuchen? Die nächste Stadt ist weit und die Nacht bereits zu weit fortgeschritten, als dass ich weiter reisen könnte.“ „Gut, aber begeht nicht den Fehler auf den Straßen herumzulungern, oder ihr verbringt die Nacht im Kerker.“ Mit einem knappen Nicken bedankte sich der Jäger und passierte. Es war lange her, dass er ein Haus Gottes aufgesucht hatte. Seine Füße trugen ihn jedoch wie von selbst zu der gotischen Kirche, deren mächtige Türme bereits in aller Ferne auszumachen waren. Helles Kerzenlicht strahlte durch die prächtige Rosette des Hauptportals und tauchte die hohen sakralen Fenster an den Kirchenseiten in einen warmen Schein. Mit schallenden Schritten betrat der Jäger ehrfürchtig das steinerne Gebäude. Ein Hauch von Weihrauch hing in der Luft, der seine Sinne sogleich warm umschmeichelte. Den Blick nach oben gerichtete, ging er zu der Mitte des Hauptschiffs und ließ die filigrane Baukunst auf sich wirken. Angetan wanderten seine Augen über das mächtige Kreuzrippengewölbe. Verspielte Harmonie, die zum Bestaunen einlud. Langsam schweiften seine Augen Richtung Altar ab und erschraken. Ein schwaches silbernes Licht schimmerte zu den Füßen des Altars. Anziehend und unschuldig wirkte die Gestalt die fast reglos davor lag. Ein gefallener Engel. Besser konnte er das Bild des Verletzten, der schwer atmend auf dem kalten Steinboden ruhte nicht beschreiben. Ein Bild von Trauer und Schönheit zugleich. Hilflos und dennoch Stolz seinem Schicksal entgegenblickend. Gebannt nähert sich der Dunkelblonde. „Xei, bist du das?“ Der angesprochene drehte Luc seinen Kopf zu. Luc erschauderte über dessen Anblick. Die Wangen des Vampirs waren vollends eingefallen, das Gesicht von Schmerz gezeichnet. Wie dünnes Pergament spannte sich die sonst so seidige Haut fast transparent über den zerbrechlich wirkenden Körper. Die weißen Kleider waren Blutbefleckt und in Brusthöhe prangte ein großes Loch von zerstoßenem Fleisch. Der Jäger in ihm wusste sofort, dass diese Wunde von einem Pflock stammen musste. Aber wieso schloss sie sich nicht? Xei müsste mächtig genug sein, um eine Wunde, die von einem gewöhnlichen Holzpflock verursacht wurde, heilen zu können. Fragend blickte er in Xeis müde Augen, die in tiefem Quecksilber leuchteten. Luc fröstelte. Er hatte diese Augenfarbe und den unstillbaren Hunger darin, bereits einmal bei dem Weißhaarigen gesehen. Der Jäger war sich unschlüssig, ob er tatsächlich das Risiko eingehen sollte, sich dem Vampir zu nähern. Vielleicht, und das war das Nächstliegende, brauchte der Vampir frisches Blut zu seiner Heilung. Aber warum zog er sich dann in eine Kirche zurück und suchte sich nicht im Schutze der Dunkelheit ein Opfer? Anstatt seinem Schicksal entgegen zu wirken, lag Xei demütig auf dem kalten Steinboden des Sakralbaus. Ein heiliger Ort, der seine Kräfte nur noch schneller aufzehren würde. „Bitte“, Xeis Stimme klang flehend, „bring mich zu Iven.“ Der Vampir keuchte angestrengt auf. „Nur er kann mir helfen.“ Luc wusste nicht warum, aber die Traurigkeit in Xeis Augen berührte ihn aufs Tiefste. Er ignorierte die Gier in den silbernen Augen und konzentrierte sich ganz auf die fast menschliche Emotion. Er kniete sich zu dem Verletzten und begutachtete die Wunde. Aus der Nähe sah sie schlimmer aus als erwartet. Ein Mensch hätte sicher längst das zeitliche gesegnet. „Ich dachte immer, ein Pflock könnte euch hohen Vampiren nichts anhaben.“ Xei lächelte bitter. Die sonst so dunkelroten vollen Lippen bildeten nur noch zwei fast weise Streifen. „Im Grunde hast du recht. Nur fehlt mir etwas Wichtiges, um diese Stärke inne zu haben.“ Luc antwortet ruhig „Blut.“ Xei schloss die Augen und keuchte abermals schwer auf. „Wirst du mich hier meinem Schicksal überlassen, Jäger?“ Ja, genau das sollte er tun. Doch sein Herz befahl ihm etwas anderes. Es wollte Xei beschützen. Ihm eine Chance geben. Er empfand ein Gefühl für diesen Vampir, das es so nicht geben durfte. Aufrichtiges Mitgefühl. Hypnose, protestierte sein Verstand. Doch es machte keinen Sinn. Xei lag im Sterben, unfähig sich selbst zu helfen. Die Augen des Vampirs versuchten nicht ihn zu fesseln, geschweige denn ihn zu kontrollieren. Was immer es war, das ihn dazu trieb, Xei auf sein Pferd zu legen und ihn im strengen Galopp zu Iven zu bringen, es hatte nichts mit Suggestion zu tun. Einzig sein Wunsch Xei zu helfen, trieb ihn an. Der eisige Wind peitschte Luc ins Gesicht. Sein Körper fror in der Kälte der Nacht. Dennoch bereute er nicht einen Augenblick lang, Xei in seinen Mantel gehüllt zu haben. Schwach lehnte der schlanke Körper des Weißhaarigen an seiner Brust. Hätte Luc ihn nicht fest in seiner Umklammerung gehalten, wäre dieser sicher vom Pferd gefallen. „Wieso hast du nicht versucht von meinem Blut zu trinken?“ Luc war sich nicht sicher ob der Vampir seine Frage überhaupt wahrnahm. Dennoch musste er sie stellen. Sein Blut oder das eines anderen Menschen zu nehmen, wäre sicher risikoloser gewesen, als den langen Weg zu Iven zu wählen. „Es ist zu kostbar.“ Wie ein leiser Hauch drangen die Worte des Weißhaarigen an sein Ohr. Luc verstand den Sinn des besagten nicht. Seit wann scherten sich Vampire um die Leben die sie nahmen? Und seit wann kümmerte es ihn, ob einer dieser Kreaturen starb oder nicht? Luc wollte anhalten. Die Last von Xeis Leben von sich nehmen. Doch der Wunsch ihn in Sicherheit zu bringen war größer. Xei war in seinen Armen nicht mehr nur ein Vampir. Er wirkte einzig wie ein schutzbedürftiges Kind. Zerbrechlich und schwach. Sein lieblicher Duft verdrängte mühelos die Kälte der Herbstnacht. Selbst jetzt, wo jegliche Kraft aus dem Körper des Weißhaarigen wich, strahlte seine Gestalt, rein und klar wie ein Kristall. Luc verschloss seine Gedanken. Er hatte sich entschieden Xei zu helfen. Über die Beweggründe und die Konsequenzen konnte er später grübeln. Und so sehr er wusste, dass es falsch war was er tat, so sehr hatte er auch das Gefühl, das Richtige zu tun. Eisern trieb er den Rappen zur Eile an. Dem Ziel unentwegt näher. Eine Hatz gegen die Zeit. Nach Stunden erhaschten seine Jägeraugen erleichtert die Silhouette des Anwesens. „Bitte nicht durch die Tore. Die Bediensteten dürfen mich in diesem Zustand nicht sehen.“ Xeis Stimme war sehr schwach. Sein Körper zitterte, als ob es ihm all seine Kraft gekostet hatte, die Worte auszusprechen. „Gut, ich weiß einen anderen Weg.“ Luc lenkte seinen Rappen Richtung Wälder. Er hoffte den Geheimgang in der Dunkelheit schnell wieder zu finden. Es gelang ihm rascher als erwartet. Als er abstieg, war Xei bereits bewusstlos. Behutsam strich Luc über dessen fahles Gesicht. „Halte durch. Wir haben es gleich geschafft.“ Mühsam trug er den reglosen Körper durch die dunklen Gänge. Er wusste, dass er sich beeilen musste. Dennoch ließ er Achtsamkeit walten, um keinen Sturz zu riskieren. Erlöst stand er vor dem geheimen Zugang zu Ivens Gemach. Seine Kehle schnürte sich zu. Seine Hand zitterte, als er die Tür öffnete. Erfolgreich hatte er den Gedanken daran Iven wiederzusehen verdrängt. Jetzt kroch die Angst in ihm hoch und nagte unerbittlich an seinem Willen. Was wenn er diesmal nicht mehr aus dem Bann des Prinzen entfliehen konnte? Wärme und Vorfreude, für die er sich verfluchte, leisteten der Furcht Gesellschaft. Xeis leises Stöhnen trieb sein Handeln voran. Er hatte sich bereits entschieden. Nun musste er mit den Folgen leben und sich seinen Gefühlen erneut stellen. Das Zimmer war leer. Vorsichtig legte er den Bewusstlosen auf das große Bett und eilte nach draußen. Barsch wandte sich dem erst besten Wachposten zu und verlangte nach dem Prinzen. Die Antwort war höflich, zeitgleich machte sich der positionierte Vampir aber nicht die Mühe, den Groll in der Stimme zu unterdrücken. „Im roten Salon des Westflügels, in dem der Prinz stets politische Entscheidungen zu treffen pflegt.“ Luc ignorierte den Hinweis, dass der Prinz nicht gestört werden wollte und lief in den Westflügel. Auch ohne weitere Hilfe war der rote Salon schnell ausgemacht. Die beiden protestierenden Wachposten, die sich ihm in den Weg stellten, überrumpelte der Jäger kurzerhand. Ohne anzuklopfen stürmte er in den Salon. Erbost sprang der Prinz von seinem Sessel auf, während die ganz in grün gekleidete Dame zu seiner Rechten, irritiert auf den Ruhestörer blickte. Luc beachtete sie nicht weiter und bahnte sich seinen Weg zu Iven, der sein Erstaunen nicht verbergen konnte. Bei dem Blick in die schwarzen Augen des Prinzen krampft sich in Luc alles zusammen. Bevor Iven das Wort erhob, verringerte Luc den Abstand zwischen ihnen auf wenige Millimeter. Ein Kribbeln durchzog seinen Körper, als sich die Nähe des Vampirs auf ihn legte. „Xei braucht dich“, flüsterte er ihm entgegen. Iven nickte wissend. „Verzeiht die Störung. Aber meine Anwesenheit wird anderweitig benötigt“, wandte sich der Prinz an die Vampirin. „Ihr wollt unsere Unterredung unterbrechen?“ Die Stimme der überaus schönen Frau klang für Lucs Empfinden einige Nuancen zu schrill. „Nein, ich fürchte wir werden sie gänzlich vertagen müssen.“ „Das kann nicht euer Ernst sein. Mein Prinz, ich komme von weit her und die Sache bedarf einer äußerst dringlichen Klärung. Ich kann und werde mich nicht hinhalten lassen!“ „Bedaure, aber ich habe entschieden.“ Iven griff nach Lucs Schulter und forderte ihn stumm auf, die Richtung zu weisen. Voller Selbstbeherrschung verbarg Luc ein Zucken, als er die Wärme der Berührung spürte. Sein Herz bebte vor Sehnsucht. „Wenn ihr jetzt geht, dann wird mein Gatte dies nicht einfach hinnehmen. Ich hoffe euch sind die Konsequenzen klar, die ihr damit zu verantworten habt!“, durchschnitt der schrille Klang der Vampirin den Raum. „Ich hoffe doch ihr wisst, dass man mir nicht droht.“ Die Stimme des Prinzen war gefährlich ruhig und versprechend. Luc fühlte die Gefahr die von dessen Aura ausging. Iven war durch und durch Herrscher und Gebieter. Ängstlich wich die Frau zurück und beugte ihr Haupt zur Ehrerbietung. „Verzeiht die Unbedachtheit, mein Gebieter.“ Die Hand des Prinzen drängte den Jäger nach draußen. „In deinem Gemach.“ Iven nickte. Im Fackelschein glaubte Luc Besorgnis auf dessen Miene auszumachen. Im Gemach des Prinzen angelangt schloss Luc die Tür, während der Vampir bereits zu der reglosen Gestalt auf dem Bett zueilte. „Xei!“ Tastend machten Ivens Finger die Größe und Tiefe der Wunde aus. Beinahe flehend legte sich seine Hand an den schmalen Hals des Verletzten. Erleichtert konnte sie einen schwachen Puls ausmachen. „Diesmal war es mehr als knapp. Er wäre gestorben, wenn du ihn nicht zu mir gebracht hättest.“ Luc war erstaunt über die ehrliche Sorge und Dankbarkeit in Ivens Stimme. „Wieso hat er nicht einfach getrunken?“ Die Stirn des Schwarzhaarigen legte sich in Falten. „Er ist anders, Luc.“ Ja, dessen war sich der Jäger sicher. Nur inwiefern anders offenbarte sich ihm nicht. „Kannst du mich hören, Xei?“ Ein leises Stöhnen, mehr brauchte der Prinz nicht als Antwort. Ohne zu zögern, zog er mit einer Klinge über seinen Hals und verursachte einen tiefen Schnitt. Behutsam stützen seine Arme Xeis Körper und führten die blassen Lippen an die Wunde. Wie von allein reagierte Xei nun. Zärtlich, wie zu einem Kuss, legte der Weißhaarige seine Lippen auf den dargebotenen Hals und sog die Lebensquelle begierig in sich auf. Ivens Körper wurde von sichtlichen Schauern gejagt, während sich Xeis Adern wieder mit Kraft füllten. Langsam schloss sich die Wunde auf der Brust. Die fahle Haut gewann wieder ihren bezaubernden elfenbeinfarbigen Schimmer. Ungestüm griffen Xeis Hände in die glänzenden schwarzen Haare, um den Prinzen vollends an sich zu drücken. Der innigen Umarmung bereitwillig folgend, gab Iven nach. Luc hatte das Gefühl, noch nie ein Bild so vollkommener Liebe und Hingabe erblickt zu haben. Er war verzaubert von der Schönheit, die die Verschmelzung von Nachtfirmament und Mondschein formte. Energie die intensiv den ganzen Raum belebte. Ivens Atem ging stoßartig, von Verlangen gezeichnet, während Xei lüsternd mehr als nur das Blut in sich aufzunehmen schien. Leidenschaftlich und verschlingend wie die unbarmherzige See, wog er den von Entzückung bebenden Körper des Prinzen im Einklang mit seinem Herzschlag. Die Intimität der Situation berührte Luc peinlich. Er fühlte sich wie ein Voyeur, der zwei Liebende bei ihrem Akt beobachtet. Die Erotik des Anblicks machte sich beschämend in seinem Körper bemerkbar. Er wollte gehen, doch er konnte seine Augen nicht abwenden. Viel zu sehr war er von der Sinnlichkeit des Schauspiels gefangen. Er war berauscht, wie von einem schweren süßen Wein. Plötzlich bäumte sich Iven auf und riss sich von Xei los. Erschöpft sank der Prinz zu Boden und rang nach Fassung. Xeis Körper hingegen strahlte wie das Leben selbst, gleich einer weißen Rose, die von der Sonne geküsst ihre Knospe öffnet, um in voller Pracht zu erblühen. Luc hatte Xei noch nie in so vollkommen gesehen. Anmut die ihn nicht mehr nur beeindruckte, sondern die ihn rührte. „Iven?“ Die Stimme des Weißhaarigen klang wieder wie klares Wasser. Der Prinz richtet sich auf und legte seine Hand liebevoll auf Xeis Wange. „Ich bin hier.“ Zufrieden schmiegte sich Xeis Gesicht in die sanfte Hand seines Bruders. „Danke.“ Ruckartig zog der Prinz seine Hand zurück, nur um sie im selben Augenblick auf Xei niedersausen zu lassen. Das Klatschen des Schlages holte Luc wieder vollends in die Realität zurück. Schuldbewusst griff Xei an die gerötet Stelle in seinem Gesicht. „Ich hätte dich verloren, wenn Luc dich nicht zu mir gebracht hätte!“, donnerte Ivens vorwurfsvolle Stimme wütend. „Mein Risiko“, war die schlichte Antwort Xeis. „Ein unnötiges!“ Traurig senkte der Weißhaarige seinen Kopf. „Willst du mir wieder eine Predigt halten, Bruder?“ Aggressiv griff der Prinz nach Xeis Hemdkragen und zwang ihn somit, direkt in seine Augen zu blicken. „Sieh mich an, wenn ich mit dir Rede! Wenn es etwas bringen würde, dann würde ich solange predigen und dich anschreien, bis ich meine Stimme verliere!“ Die Wut des Prinzen verbarg sich ebenso schnell, wie sie aufgekommen war. Innig legten sich Ivens Lippen auf die dunkelroten Xeis und schenkten Zärtlichkeit. Abermals wurde Luc von einem Schauer erfasst. Gefolgt von einem Stich in seinem Herzen. War es Eifersucht? Er sollte nicht mehr hier sein. Nicht länger dieser prekären Situation beiwohnen. Dennoch blieb er. Hoffte auf Antworten. Den Kuss nur langsam lösend, entfernte sich der Prinz aus der direkten Nähe des Weißhaarigen. „Wenn du diese Welt verlässt“, raunte Ivens dunkle Stimme, „verliere ich mein Licht. Das einzige was mich vor dem Wahnsinn bewahrt.“ Schuldbewusst nickte Xei. „Bitte verzeih. Ich werde zukünftig achtsamer sein. Aber meine Lebensweise werde ich nicht ändern. Auch nicht für dich.“ „Ich weiß.“ Die Stimme des Schwarzhaarigen klang gekränkt, aber nicht minder kräftig als zuvor. „Du solltest gehen und dir Ruhe gönnen.“ „Wie du wünschst.“ Ohne weitere Worte erhob sich Xei und verließ das Zimmer. Schweigend öffnete Iven die Balkontür und trat in die kühle Nacht. Intuitiv folgte Luc ihm. Kaum in die Nacht getreten, strahlte Iven für ihn eine noch stärkere Präsenz aus. Zu sehen, wie sich die dunkle Gestalt mühelos von dem Nachthimmel abhob, kam einem düsteren Engel mit schwarzem Schein gleich. Sachte spielte ein Windhauch mit den glänzenden Haarsträhnen. Ein unwirklicher Anblick. Die Pracht der Sterne in den Schatten stellend. Die volle Stimme erinnerte Luc daran, dass er nicht einer Illusion beiwohnte. „Es war für dich sicher keine leichte Entscheidung, Xei zu mir zu bringen. Du hättest ihn sterben lassen können. Stattdessen bist du zu mir gekommen, obwohl du mich sicher nicht wieder sehen wolltest. Warum hast du es getan, Luc?“ Der Jäger schluckte. Unbehagen umfing ihn. Nicht des Beweggrundes wegen, sondern durch die momentane Auswirkung auf sein Gefühlsleben. Er hätte nicht kommen dürfen. Eisern versuchte er standhaft zu bleiben. Von Vergangenem zu sprechen, um der jetzigen Situation zu entkommen. „Ich weiß es nicht. Diesmal habe ich meiner Schwäche für dich keine Vorwürfe zu machen. Es war nicht die Sehnsucht die mich trieb, sondern schlicht seine Schutzbedürftigkeit. Als er in dieser Kirche lag, war es für mich, als ob ich einen gefallenen Engel zu meinen Füßen liegen sah. Irgendetwas an ihm weckte in mir den Wunsch, ihm helfen zu wollen. Ich sah Unschuld und Reinheit. Nicht aber einen grausamen Vampir. Sag du mir was es war. Die Macht der Hypnose? Euer einnehmendes Wesen?“ Ivens feine Gesichtszüge verrieten ein Lächeln. Zu schön für seine Jägerwelt. „In einer Kirche also. Ja, das passt. Sicher hatte er dem Tode nahe nach Vergebung gesucht und Erlösung erbeten.“ „Ich dachte euch Vampiren sei die Kirche und alles was damit zusammenhängt zu wider. Das Heiliges euch schwächt und sich quälend auf euren Geist legt.“ „Ja, im Großen und Ganzen, mag das sein. Aber nicht für Xei. Seine einzig wahre Heimat war stets die Kirche. Dass er in ihr Schutz suchte, entspricht seinem Wesen.“ Lucs Miene blickte Iven skeptisch entgegen. „Du glaubst mir nicht. Dann lass es mich erklären oder vielmehr erzählen.“ Sich auf die Brüstung lehnend, wanderte Ivens Blick gegen den schwarzen Himmel, dessen voller Mond silbern auf die Erde strahlte. Luc folgte dem Blick. Doch das Bild welches er sah, formte sich in seiner Wahrnehmung nicht zum Nachthimmel, der seine weiße Göttin stolz präsentierte, sondern zu Iven und Xei. Einig und dennoch jeder ganz und gar anders. Schön und berauschend. Wieso nur, waren seine Gedanken so wirr? War es wieder Ivens Nähe, die ihn in den Abgrund rief? Unaufhaltsam. Leise flüsternd. Zögernd trat er zu dem Vampir und setzte sich auf die Brüstung. „Xei hatte sich in seinem menschlichen Leben dafür entschieden, sein Tun einzig Gott und der Kirche zu widmen. Er war Priester und verlass das Wort Gottes so, als ob es sein eigenes wäre. Nicht, dass er sich diese Größe angemaßt hätte, aber seine Seele war gänzlich eins mit seinem Glauben. Jeder Sünder konnte seinen Trost erbeten und erhalten. Er verurteilte niemanden. Nicht einmal den größten Abschaum. Gewalt, Lüge und Sünde waren ihm fern, obgleich er ständig davon umgeben war. Der Vampir der uns erschaffen hatte, war damals hingerissen von seiner offenen Schönheit. Er wollte aus ihm einen Engel der Nacht machen. Nicht zuletzt reizte es ihn, ein so reines Wesen in seine unheilige Welt zu führen. Aber er hatte nicht mit Xeis starkem Willen und Glauben gerechnet. Kaum zum Vampir gewandelt, lehnte sich Xei gegen seinen Schöpfer auf. Er trank weder Blut, noch tötete er. Er verachtete alles, was das Leben eines Vampirs ausmachte. Doch ohne Blut sterben wir, Luc.“ Gebannt lauschte der Dunkelblonde Ivens Worten. Die Zusammenhänge ergaben Sinn und Aufschluss. „Unser Schöpfer war nicht besonders geduldig. So tat er das, was ihm am sinnvollsten erschien. Er sperrte Xei unterhalb einer Krypta zusammen mit einem gefesselten Menschen ein. Er ließ die Tür zumauern und überließ Xei seinem Schicksal. Er hatte die Wahl. Entweder er trank, dann würde er überleben. Oder er weigerte sich weiterhin, dem Hunger in sich nachzugeben, dann würde er qualvoll sterben. Die Nächte vergingen und Xei blieb standhaft. Unser Schöpfer verlor seine Geduld und musste handeln. Die Enttäuschung darüber eine falsche Wahl getroffen zu haben, um sein Erbe einst zu übergeben, zwang ihn dazu eine Alternative zu suchen.“ „Dich“, warf Luc verstehend ein. Schwarze Augen taxierten Lucs neugierigen Blick. „Ja mich, Luc. Ich war bereits verdorben, als ich zum Vampir gewandelt wurde. Ich hatte Blut an meinen Händen kleben und bereute keine meiner Taten. Ich sah es stets als nötig an, um zu überleben und somit war es mir Rechtfertigung genug. Genau der Charakter der einen perfekten Vampir zieren sollte. Kaum erschaffen, erzählte mir mein Schöpfer von seiner Miesere mit Xei, um mein Gefühlsleben zu erforschen. Meine Reaktion war das, was er sich wünschte. Verdammung und Spott für ungleich schwache Naivität. Als nach der Wandlung in mir dann das erste Mal der unbändige Hunger nach Blut erwachte, wurde ich eines besseren belehrt. Es war mir unbegreiflich, wie ein Vampir diesem Drang widerstehen konnte. Ich hielt mich stets für Stark und musste nun meine Unzulänglichkeit erkennen. Bittere Erkenntnis, die von nun an meine Natur ausmachte. Ich drängte meinen Schöpfer darauf nach Xei zu sehen. Ich wollte meine Neugier befriedigen. Sehen, ob er tatsächlich zu solcher Stärke fähig war. Wissen, ob er sich wahrhaftig lieber dem Tod hingegeben hatte als zu trinken. Doch mein Schöpfer winkte damit ab, dass es nun gleich sei, da aus Xei nie ein würdiger Vampir für sein Erbe geworden wäre und er nun bereits für Ersatz gesorgt hatte. Mich jedoch quälte der Gedanke, selbst nur ein Spielball oder zweite Wahl zu sein. Es war mir stets zu wider mich unterzuordnen und ich konnte und wollte nicht gehorchen. Zudem wuchs mit jeder Stunde mein Interesse auf das Wesen, welches einem Engel gleichen sollte und dem Blut freiwillig entsagte. Zartheit die mehr Kraft in sich bürgen sollte als Grausamkeit. Meinem Drang stillend ging ich zur Krypta, befreite die verriegelte Tür von den Steinen und öffnete sie. Der Anblick der sich mir bot, war mehr als ich erwartet hatte. Ich war verzaubert. Die nach Hilfe schreiende Frau ignorierte ich vollends. Xei hatte sie nicht angerührt. Stattdessen krümmte er sich vor Schmerzen und war, trotz der eingefallen Haut und des blutleeren Gesichts, wunderschön und strahlend. Ich beugte mich zu ihm und war gefangen von seinen silbern schimmernden Augen. Noch bevor ich etwas sagen konnte, flüstert er mir zu, dass er kein unschuldiges Blut trinken würde. Keine Bitte nach Hilfe, kein Flehen nach Befreiung. Nur unnachgiebiges Festhalten an Unbeflecktheit. Er strahlte selbst im Augenblick des Todes, solch eine Stärke und Faszination aus, dass ich ihn nicht sterben lassen konnte. Ich wollte ihn schützen, ihm den Schmerz nehmen. Seine Befangenheit unterbinden wollend, fragte ich ihn, ob er das Blut der Frau trinken würde, wenn sie eine Sünderin wäre. Eine die ihre eigenen Kinder dem Tod übergeben hatte. Seine Antwort war schlicht, dass es nur Gott obliegt zu urteilen. Für ihn sei ihr Blut und Leben so kostbar wie jedes andere.“ Iven machte eine kurze Pause bevor er fortfuhr. „Nun, was soll ich sagen. Ich liebte ihn, vom ersten Augenblick an. In uns floss das Blut des gleichen Schöpfers. Ich wollte, dass er lebte. Die Ewigkeit mit mir teilte. Also ließ ich ihm keine Wahl. Er war wehrlos, sein Leib schwach und dem Tode nahe. So hatte ich leichtes Spiel. Ich zwang ihn mein Blut zu trinken. Allein seine Reflexe trieben ihn dazu, meinem Willen zu folgen und mein Blut in sich aufzunehmen. Nach den ersten paar Tropfen erwachte wieder Leben, in dem fast toten Körper. Xei krallte sich wie ein Ertrinkender an mich und wurde durch mein Blut Welle für Welle zurück ins Leben gespült. Für mich war es reine Ekstase, als er von mir trank. Eine Empfindung die ich zuvor noch nie gefühlt hatte. Es war Innigkeit in jeder Hinsicht. Er war mein und ich sein.“ Luc war berührt von den Gefühlen, die Ivens Erzählung in sich bargen. Ob er wollte oder nicht. Er sah Vampire in einem leicht veränderten Licht. Sie konnten fühlen und lieben. Und diese Erkenntnis passte nicht zu seinem bisherigen Bild von grausamen Bestien. „Von da an war und bin ich seine einzige Lebensquelle, wenn du so willst. Seine Einstellung hat sich nicht geändert. Er würde niemals trinken. Mit einer Ausnahme.“ „Die da wäre?“ „Liebe, Luc. Er würde nie Blut trinken, um sein Leben zu erhalten. Aber würde er einen Gefährten finden, der sich in Liebe freiwillig mit ihm einigen will, dann würde er nicht zögern, diesen Menschen zu einem von uns zu machen.“ „Dann würde er einen weiteren Vampir erschaffen, der durch menschliches Blut lebt? Ein Gläubiger der Dämonen bereitwillig die Tür zur Unschuld öffnen würde. Das ist doch Paradox.“ „Nenne es Paradox oder meinetwegen Blasphemie. Für ihn wäre es richtig. Xei kennt und glaubt nur an die Liebe als Lebensgrund. Sie ist für ihn die Grundlage von allem. Und jedes Lebewesen hat in seinen Augen das Anrecht auf eigene Entscheidungen. Und die Beurteilung darüber obliegt alleine Gott. So würde es ihn nicht kümmern einen weiteren Mörder, was wir für dich sind, zu erschaffen. Wenn es aus Liebe geschieht, ist es für ihn nichts Falsches. Alles im Leben braucht in seiner Philosophie ein Gleichgewicht und hat seine Daseinsberechtigung. Gut und Böse. Leben und Tod.“ Auf irrsinnige Weise klang es für Luc logisch. Dennoch war er sich nicht sicher, ob Xei tatsächlich weniger grausam als Iven war. Immerhin erkannte Iven sein Unrecht, während Xei alles einem göttlichen Gericht überließ, anstatt sich selbst ein Urteil zu bilden. „Mein Schöpfer war nicht sonderlich angetan davon, dass ich Xei befreit und ins Leben zurückgeholt habe. Er verurteilte mein Handeln und versuchte mich wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Aber wie gesagt, ich war und bin gerne mein eigener Herr. Also tat ich das, was in meiner Natur lag.“ „Du hast ihn getötet.“ „Ja. Vielleicht zu früh. Sein Wissen starb mit ihm und ich glaubte alles zu kennen, was nötig war. Ein Irrglaube. Dennoch avancierte ich schnell zum geachteten Vampir, der schließlich zum Prinzen erwählt wurde.“ „Geachtet oder gefürchtet?“ Der Jäger wusste nur zu gut von dem brutalem und erbarmungslosem Regime des Prinzen. Seine Macht ging weit über die Grenzen des hiesigen Herrschaftsgebietes hinaus. Die anderen Herrscher waren vielmehr Schachfiguren, die zwar auf dem Brett standen, doch gelenkt wurden sie von ihm. Von Iven. Der Vampir lachte. Dunkel und einnehmend. Seine Augen spiegelten Verstehen wieder, doch eine Antwort blieb er dem Jäger schuldig. Da war es wieder, dieses vertraute Gefühl. Gleichzeitig erschien ihm Iven so verdorben und gefährlich, wie schon lange nicht mehr. Lächelnd trat der Vampir auf ihn zu, so als ob er seine Bedenken beschwichtigen wollte. „Willst du wieder weiter ziehen? Oder bleiben?“ Es klang nicht wirklich wie eine Frage, eher wie eine Aufforderung. Eine die durch dessen Nähe an Kraft gewann. „Dann würdest du mich gehen lassen?“ Leichte Falten legen sich auf das ebenmäßige Gesicht seines Gegenübers. Sanftes Schwarz, das direkt in intensives Grün blickte. Der Jäger glaubt sich zu verlieren. „Was würde es mir nützen dich einzusperren?“ Samtig strichen warme Lippen über Lucs Wange. „Ich will dich Luc. Ganz und gar. Mit Leib und Seele. Nicht als mein Gefangener.“ Dann wirst du mich nie bekommen, wollte er sagen. Doch es wäre eine Lüge gewesen. Eine Lüge die leicht ausgesprochen sein könnte. Aber er hatte es satt. Seit fast einem Jahr, belog er sich selbst. Ständig auf der Flucht. Dabei hatte er hier beides. Wahrheit und die Zuflucht die er suchte. Er wollte wieder dieses Glück spüren, wie in jener Frühlingsnacht. Er konnte sich und seine Überzeugung nicht aufgeben. Doch diesmal wollte er seinem Sehnen nachgeben. Sich selbst etwas Wahrheit zugestehen. In Liebe aufgehen. Er würde bleiben. Seinem Herz Ruhe schenken. Den Frieden, den sein Seele in diesem Augenblick fühlte, auskosten. Eine Weile. Geduldig ruhten Ivens nachtschwarze Augen auf ihm. Leuchtenden mit dem Glanz der Sterne, versprachen sie Unendlichkeit und Erfüllung. „Ich“, Luc schluckte. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben würde er in vollem Bewusstsein etwas tun, was er wollte. Etwas, das nicht von seinem Gewissen oder Pflichtgefühl diktiert wurde. Es war ihm gleich, welche Nebenwirkungen er zu erleiden hatte. Er quälte sich. So oder so. „Ich bleibe.“ Wie von einem wärmenden Mantel wurde Luc von Ivens Armen umschlossen. Seine Lippen kosteten die Süße des Lebens. Er konnte nicht sagen, ob er richtig entschieden hatte. Doch in diesem Augenblick schallte er sich einen Narren, dass er das Glück so lange von sich gestoßen hatte. Er ließ sich fallen, ganz in dem Wissen, dass es der Tod sein würde, der ihn auffängt. Seine Sinne schwanden. Sachte wurde er von einer Woge der Geborgenheit getragen. Er spürte weiche Kissen und kalte Seide unter sich. Heißer Atem der ihm entgegenschlug, nur um sich dann in seiner Mundhöhle zu verlieren. Seine Brust genoss die zärtlichen Liebkosungen von Ivens Händen. Hitzig trieb das Blut in seinen Adern. Wenn er sich nicht ganz verlieren wollte, musste er das hier jetzt beenden. Widerwillig löst sich der Dunkelblonde keuchend von seinem dunklen Geliebten und erhob sich. Er wollte sich nicht zum Vorwurf machen, nur seinem Körper gehorcht zu haben, obwohl sein Innerstes noch nicht bereit dazu war. „Ich brauche Zeit.“ Fieberhaft suchte Luc nach weiteren Worten, um sich zu erklären, doch Iven schlang von hinten seine Arme um die schmale Taille des Dunkelblonden und raunte Worte des Verständnisses in dessen Ohr. „So viel du willst, nur verlass mich nicht.“ Von Gefühlen übermannt griff Luc nach Ivens Armen und drückte sie fest an sich. Er konnte nicht antworten, ohne seine Seele für ewig aufzugeben. Als sich der Sturm der Emotionen legte, gab er die Wärme der Umarmung wieder frei. „Wo kann ich nächtigen?“, trat er die Flucht nach vorne an. „Hier. Ich sagte dir, dass ich dir deine Freiheit nicht nehmen möchte. Von hier aus kannst du jederzeit gehen, wohin du willst. Ohne gesehen zu werden oder um Erlaubnis zu bitten. Ich werde eines der anderen Zimmer beziehen.“ Luc nickte. Iven hatte ihm damit nicht nur Freiheit zugesprochen, sondern auch die Möglichkeit offen gelassen, wieder durch den Geheimgang fliehen zu können. Dieser Umstand bestärkten Luc in seiner Entscheidung bei dem Vampir zu bleiben. Eine trügerische Sicherheit, der er sich nur zu gerne hingab. Ob es lediglich Berechnung des Prinzen war? Natürlich war es das. Iven hatte ihm nur zu gut erklärt, was seiner Natur entsprach und was nicht. Noch einmal forderte der Prinz Lucs bebende Lippen ein, dann zog er sich ohne weiteres Drängen zurück. Als Iven die Tür hinter sich zu zog, fiel der Dunkelblonde erschöpft in die Kissen. Die Leidenschaft lag noch schwer auf seinen Lippen, als er die Augen schloss und in einen tiefen Schlaf sank. ~ So, nun melde ich mich doch mal zu Wort ^^ Danke an alle, die sich bisher die Mühe gemacht haben, ein Feedback zu hinterlassen! Ich hoffe das neue Kapitel mit Blick auf die Vergangenheit unserer zwei Vampiren gefällt ^^? Wünsche euch schöne Ostertage! LG, Teedy ~ Kapitel 18: Das Gemälde ----------------------- 18. Das Gemälde Es war bereits nach Mittag, als er die blinzelnden Sonnenstrahlen nicht mehr ignorieren konnte und aus einem tiefen und erholsamen Schlaf erwachte. Luc konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal so gut genächtigt hatte. Keine wirren Träume, kein beklemmendes Gefühl beim Aufstehen. Nach dem morgendlichen Bad legte er seine Gewänder an und verließ das Gemach um seine Umgebung zu erkunden. Er hatte geglaubt in dem Anwesen nunmehr nicht mehr als eine handvoll Diener vorzufinden. Er hatte sich geirrt. Der Prinz schien sehr viel Wert auf Sauberkeit und Ordnung zu legen. Überall wurde geputzt, gebohnert und Staub gewischt. Auch im Garten hatten die Bediensteten alle Hände voll zu tun, den Rasen in Ordnung zu halten und die Pflanzen allmählich Winterfest zu machen. Der Jäger genoss kurzzeitig das hell leuchtende Orange der Nachmittagssonne und den milden Herbstwind auf seiner Haut, bevor er entschlossen wieder nach innen ging. Wenn er nun schon einmal bei einem Vampir weilte, dann wollte er sich diesen Umstand auch zu nutze machen. Sicher würde der Prinz über eine stattliche Anzahl von lehrreicher Lektüre verfügen. Suchend wandte sich Luc an einen Jüngling, der seinen Weg kreuzte und noch nicht allzu viele Lenzen gesehen haben musste. „Bitte, könnt ihr mir den Weg zur Bibliothek weisen?“ Der Angesprochene blickte ihn mit großen dunkelgrünen Augen an. „Ja, natürlich mein Herr. Ihr müsst nur diesen Gang folgen, euch bei der Gabelung links halten und dann die Treppe zum Eckturm nehmen.“ Lucs Augen folgten der weisenden Hand des Jünglings und blieben traurig an dessen Handgelenken hängen. Mehrere tiefe Bisswunden entstellten die sonst so feine Haut. „Habt dank.“ Bekümmert über das Schicksal des jungen Mannes folgte er der gewiesenen Richtung. Wie lange würde es dauern, bis er selbst Teil der Tagesgesellschaft war, die über ihren Herren wachte, nur um zum Dank als Mahlzeit herhalten zu müssen? Luc schauderte. Nein, soweit würde es nicht kommen. Tief in sich war da etwas, das ihm Vertrauen zu flüsterte. Er würde für Iven niemals nur eine Nahrungsquelle oder ein beiläufiger Zeitvertreib sein. Und wenn es dazu kommen sollte, würde er es unterbinden und als Jäger seine Wege gehen. Als er sich dem Eckturm näherte und die hohen Stufen zur Bibliothek nahm, flackerte in dem Jäger ein Hoffnungsschimmer auf, endlich Anhaltspunkte über den Mörder seiner Familie zu finden. Das in ihm eingebrannte Bild vergegenwärtigte sich vor seinem geistigen Auge. Ein silberner Ring, mit zwei Raben, die in ihren Krallen einen tiefschwarzen Onyx hielten, der mit zwei leichten weißen Linien ein durchzogenes X innehatte. Über Monate hinweg hatte Luc jeden Heraldiker zu Rate gezogen, den er finden konnte. Doch jede Spur verlief im Sande. Die Hoffnung der Ring könnte ein Hinweis auf ein Familienwappen sein schwand. Phil tadelte ihn einst, er solle nicht nach Gespenstern jagen. Womöglich gab es diesen Ring nicht nur einmal oder sein Träger hatte ihn längst abgelegt. Dennoch, es war das einzige Wissen, das er hatte. Abermals versuchte sich Luc, wie schon so viele Male zuvor, an den Vampir zu erinnern, der seine Familie dem Tod übergeben hatte. Doch es half nichts. Wie immer. Die Gestalt war in einem weiten schwarzen Umhang gehüllt gewesen. Der Kopf unter einer Kapuze verborgen, wie der Tod selbst. Die Stimme in den Schreien seiner Mutter untergegangen. Lediglich der Ring blieb in seiner Erinnerung. Manifestiert als einziger Hinweis. Der Geruch von Papier hüllte ihn sogleich ein, als er die Tür der Bibliothek öffnete. Bücher verschiedenster Größe, ordneten sich in farbigen Einbänden, in den hohen Regalen. Einige der Werke waren in Sprachen verfasst, die dem Jäger gänzlich unbekannt waren. Andächtig streiften seine Hände über das in Leder gebundene Wissen. Es würde Tage, wenn nicht Wochen dauern, alle Schriften zu studieren. Strebsam machte er sich an die Arbeit und trug den ersten ausgewählten Stapel zu einem kleinen Mosaiktisch, der neben dem Lesesessel stand. Seine Augen waren schwer. Wie viele er von den dicken Büchern gewälzt hatte, wusste Luc nicht. Die Stapel türmten sich reihenweise neben ihm. Ein Buch so enttäuschend, wie das andere. Die Dämmerung war längst angebrochen und er verspürte Hunger. Iven war sicher schon wach. Dass der Prinz nicht gleich nach ihm suchen ließ, zeigte Luc abermals, dass Iven ihm die Freiheit zugestand, die er gestern versprochen hatte. Seinen Magen nicht länger ignorierend, legte Luc das frustrierende Buch beiseite und verließ die Bibliothek. Als er die Stufen nach unten ging war er sich sicher, eben Ivens Stimme gehört zu haben. Luc ging zu dem schmalen goldenen Lichtstrahl, der durch den offenen Spalt der Türe unterhalb der Treppe fiel. Es gab keine Zweifel. Ivens volle dunkle Stimme drang aus dem Zimmer. „Schon bald wird dein Tod gerächt sein.“ Luc war sich unschlüssig ob er stören sollte. Distanziert warf er zunächst einen Blick durch den offenen Türspalt. Warmer Kerzenschein erhellte den Raum. Iven stand mit dem Rücken zur Tür vor einem großen Gemälde. In einer Geste prostete er dem Bildnis zu, so als ob er eben mit diesem gesprochen hatte. Dem Dunkelblonden war die Situation unangenehm und er wollte sich mit Klopfen bemerkbar machen. Bevor seine Knöchel die Privatsphäre stören konnten, trat ein Schatten aus der anderen Ecke des Zimmers ins Licht. Luc hielt augenblicklich inne, als er Xei erkannte. Die Atmosphäre hatte ohnehin etwas Intimes an sich und Luc konnte darauf verzichten, nochmals nur als Zaungast zu gelten. Der weißhaarige Vampir trat hinter Iven. Liebevoll schlangen sich seine Arme um die schlanke Taille des Prinzen, während sich sein Kopf an dessen breite Schulter schmiegte. Ein Kribbeln durchzog den Körper des Jägers. Wieder war er angetan von dem Anblick dieser Harmonie. Seine Augen wollten, aber konnten sich nicht von der Sinnlichkeit abwenden. So folgten seine Ohren der Unterhaltung. „Wieso quälst du dich so?“ Iven schien die Umarmung sichtlich zu genießen, schwieg aber. „Du scheinst fast am Ziel zu sein.“ „Ja“, war Ivens knappe Antwort, so als ob er nicht sonderlich erpicht auf eine Unterredung wäre. „Bist du dir sicher, dass du das noch willst? Luc vernichten meine ich?“ Bei seinem Namen fuhr Luc zusammen. Was hatte das zu bedeuten? Angespannt lauschte der Jäger weiter. „Du hast Luc da, wo du ihn haben wolltest. Er ist hier, bei dir, aus freien Stücken. Er vertraut dir und ist im Begriff seine Liebe für dich zuzulassen. Nur noch etwas Zeit und er ist ganz Wachs in deinen Händen. Hilflos deinem Willen bis in alle Ewigkeit ausgeliefert. Aber die Frage ist, ob du nicht aufhören solltest nach Rache zu trachten. Ich sehe wie du leidest, Iven. Mehr als sonst. Es ist nicht mehr nur der Schmerz über Cecilias Tod, der dich begleitet. Gestehe dir deine Gefühle ein, Bruder. Du liebst Luc wirklich. Aus tiefstem Herzen. Bei all deinen Bemühungen hast du nicht nur sein Herz gewonnen, sonder auch deines verloren. Und jetzt quälst du dich. Ich hatte dich gewarnt. Nun stehst du selbst vor dem Abgrund, in den du ihn stoßen wolltest. Ich bitte dich, lass diese Liebe einfach leben! Hör auf damit, dich selbst zu verdammen und sei dankbar für die Chance, wahre Liebe erleben und spüren zu dürfen. Vergiss den Schmerz und den Gram. Befreie dich daraus. Du kannst Cecilia nicht wieder zu dir zurückbringen, aber du kannst versuchen dein Glück festzuhalten.“ „Genug!“ Ivens Ausruf schallte durch den Raum. Erzürnt drehte sich der Prinz zu Xei um. „Deine predigenden Liebesworte sind bei mir restlos verschwendet. Wie könnte ich mir je vergeben, wenn ich ihren Tod nicht räche? Du verlangst von mir, dass ich ihren Mörder verschone, ihn in mein Herz lasse? Jede Emotion, die ich mir für Luc eingestehe oder schlimmer noch zulasse, wäre ein Zugeständnis sie aus meinem Herzen für ihren Mörder zu verbannen. Ein einziger Tanz auf ihrem Grab!“ Aufgebracht schritt der Prinz durch das Zimmer, um seinen leeren Becher auf einem Beistelltisch lautstark abzustellen. Den Blick den er Luc damit auf das Gemälde frei gab, ließ den entsetzen Jäger das letzte Puzzleteil finden, um zu verstehen was eben geschah. Es war ein Portrait von einer Frau, die ihm noch recht gut im Gedächtnis war. Eine äußerst schöne und anmutige Vampirin, die ihm in einem Kampf auf Leben und Tod mehr abverlangte, als jeder andere Gegner zuvor. Ihr langes schwarzes Haar fiel üppig über ihre schmalen Schultern. Sie ähnelte Iven, wenn auch nicht so sehr, dass ihm die Familienbande sofort aufgefallen wäre. Wenn das Cecilia war, dann hatte er nicht nur Ivens Schwester sondern auch Philippes Liebste getötet. Nun wusste er, weshalb er von der Garde auf Iven angesetzt wurde. Wer wäre besser geeignet gewesen, als jener Jäger, der bereits erfolgreich das weibliche Gegenstück des Prinzen vernichtet hatte? Wie ein windiges Kartenhaus stürzte alles um den Dunkelblonden herum ein. Tränen brannten in seinen Augen. Er wollte gehen. Sich aus dem Geflecht von Lügen und Emotionen befreien. Doch der Schock saß zu tief. Reglos stand er wie angewurzelt da. Unfähig zu irgendeiner Reaktion. Xeis Worte klangen gegen Ivens impulsiver Stimme beinahe leise. Besänftigend flossen sie wie kühles Wasser über brennendes Feuer. „Sie ist tot, Iven. Aber du lebst. Schicke dich nicht selbst von einer Hölle in die nächste. Dein Herz war lange genug versteinert, deine Seele tot. Aber jetzt spüre ich, dass du wieder lebst und fühlst. Ich flehe dich an, lass es zu. Verschone Luc und hör auf, ihn und dich weiter ins Unglück zu stürzen!“ „Sagst du das, weil du dich um mich oder um ihn sorgst?“, fragte der Prinz beißend. Traurig blickten graue in schwarze Augen. Zögernd griff Xei nach Ivens Händen. „Ich wünsche mit, dass dein Leid aufhört und du Frieden findest. Aber ja, ich werde ihn vor dir beschützen, wenn es sein muss.“ „Du würdest dich gegen mich richten? Soviel bedeutet er dir?“ Zum ersten Mal hatte Ivens Stimme in Lucs Ohren ihr volles Timbre verloren und klang brüchig. „Warum ermutigst du mich dann dazu, meine Gefühle zuzulassen?“ Behutsam schloss Xei das schöne Gesicht vor ihm in seine Hände. „Du solltest wissen, dass ich mich letztendlich immer für dein Wohl entscheiden würde.“ „Dessen bist du dir gewiss?“ Wie zur Bekräftigung legte der Weißhaarige seine Lippen liebevoll auf die des Prinzen. „Lass den Hass ruhen, bitte.“ Ivens Lippen verzogen sich zu einem bittersüßen Lächeln. „Deutlicher hättest du mir nicht antworten können.“ ~ Hallo zusammen! Ja, ich weiß, das Kapi ist kurz und das Ende gemein ^^ Ich hoffe ihr hattet dennoch Freude beim Lesen und seid gespannt, wie es weiter geht. Liebe Grüße, Teedy ~ Kapitel 19: Onyx ---------------- 19. Onyx Luc konnte nicht länger verharren. Jedes Wort war zu viel. Er stürzte nach draußen in die Dunkelheit. Kalter Regen prasselte in spitzen Nadeln auf seine erhitzte Haut, während ihn seine Füße wankend durch den Vorgarten trugen. Alles Lüge. Und er wusste es. Von Anfang an. Hätte er nur von Beginn an auf seine gottverdammte Intuition gehört. Der warnenden Stimme in sich nachgegeben. Stattdessen hatte er sich bereitwillig immer weiter in den Abgrund führen lassen. Die Erkenntnis, dass Phil ihn nicht minder benutzt hatte wie Iven, brannte wie Feuer in ihm. Wieso hatte ihn sein Mentor blindlings solcher Gefahr ausgeliefert? Nicht ein Wort der Warnung. Stattdessen sinnlose Beteuerungen, er solle sich in Acht nehmen. Gott, warum hatte Phil ihm nicht einfach die Wahrheit gesagt? Sein Mentor hätte ahnen können, dass der Prinz nichts unversucht lassen würde, seine Rache zu bekommen. Und nun fand er sich in ihr wieder. Gnadenlos von dem Strudel der Vergeltung in die Tiefe gezogen. Keuchend rang der Dunkelblonde nach Fassung und stützte sich Halt suchend auf dem steinernen Rand des großen Brunnens ab. Wie zwei Dämonen thronten die beiden Wasserspeier in der Mitte. Ihre Fratzen schienen ihn zu verlachen. Und recht hatten sie. Wie konnte er nur an die Liebe eines Vampirs glauben? Unbarmherzig schnitt der eisige Wind in sein Gesicht, vermischte Salz mit perlenden Regentropfen. Der dünne Stoff seines Hemdes klebte mittlerweile wie eine zweite Haut an ihm. Er hatte das Gefühl erdrückt zu werden. Rache. Ja, sie war perfekt gelungen. Er wurde benutzt und bis aufs tiefste verletzt. Und das von einem Vampir. Gegen all seine Vorurteile und Prinzipien. Trotz seiner Vergangenheit und seinem bodenlosen Hass war es Iven gelungen, sich in sein Herz zu nisten. Und nun hatte er das Gefühl, dass es ihm bei lebendigem Leib aus der Brust gerissen wurde. „Luc, was tust du hier draußen?“ Ivens Stimme ließ den Dunkelblonden zusammenfahren. „Ein Sturm zieht auf. Du solltest besser rein kommen.“ Fürsorglich, beinahe voller Liebe waren die Worte gesprochen. Verzweifelt hielt er sich die Ohren zu. Lüge, nichts als Lüge. „Luc?“ Bestimmt legten sich Ivens Hände auf seine Schultern. „Alles in Ordnung?“ Nein, nichts war in Ordnung. Iven hatte in betrogen. Seine Gefühle missbraucht. Einzig der Rache wegen. Zärtlich wurden seine Hände umschlossen und nach unten geführt. Raunend bahnte sich Ivens dunkle Stimme ihren Weg. „Was immer es ist. Lass uns reingehen und es innen besprechen.“ Aufgebracht drehte sich der Jäger um „Es gibt nichts zu sagen. Außer, dass du gewonnen hast!“ Schmerzverzerrt und anklagend fixierte er Ivens Antlitz. „Falls du vorhattest, mein Herz in Scherben zu legen, dann kann ich dich nur beglückwünschen. Du hast dein Ziel erreicht. Nimm die Fetzen die davon noch übrig sind und werde glücklich! Es tut mir nur leid, dass ich dir meinen Schmerz nicht für die Ewigkeit schenken kann, wie du es wohl geplant hattest!“ Ein Blitzen durchzuckte die kühl blickenden Augen des Prinzen. „Ich verstehe nicht“, setzte der Vampir an. Zorn loderte in Luc auf. Er hatte sich lange genug täuschen und irreführen lassen. Mit bebender Stimme fuhr er den Betrüger an. „Tust du doch! Mach dir nicht die Mühe dein grausames Schauspiel noch länger aufrecht zu erhalten. All deine Worte, deine Berührungen, deine vorgegaukelten Gefühle. Alles Lügen! Und ich war der Narr der sie geglaubt hat!“ Luc erwartet eine Erwiderung. Doch jegliche Reaktion blieb aus. Die Reglosigkeit mit der ihn sein Gegenüber ansah, machte ihn rasend und kraftlos zu gleich. Er hatte so sehr gehofft, dass Iven ihm einen Vorsatz zum Kampf liefern würde. Dann hätte er sich in blinder Wut auf ihn stürzen und die Last der Schuld auf seinem Gewissen verdrängen können. So blieb nur Ernüchterung. Resigniert fing sich seine bebende Stimme wieder. „So verletzt ich auch bin, im Grunde kann ich dir nicht einmal einen Vorwurf machen. Nur zu gut kenne ich den Rachedurst, der unbarmherzig in einem brennen kann. Der einen nicht mehr schlafen lässt und jeden Tag aufs Neue weiter auffrisst.“ Luc wandte sich ab. Länger konnte er Ivens Anblick und dessen Kälte nicht ertragen. Ein bitteres Lächeln umspielte die Lippen des Jägers. “Du hast wahrhaft gut gespielt, Iven. Die Pointe deiner Posse, hast du dir nur eben selbst verdorben.“ Er musste sich dazu zwingen, um sein letztes bisschen Stolz aufzubringen. Doch er wollte nicht gebrochen, sondern erhobenen Hauptes gehen. Dem Schmerz trotzend, die Schwäche übergehend, trugen ihn seine Beine Richtung Tor. „Warte.“ Luc hielt inne. Hoffend und zweifelnd, mit Vernunft an der Macht. „Nein, Iven. Bitte tu das nicht. Versuche mich nicht davon zu überzeugen, dass du Liebe empfunden hast. Ich würde es dir doch nicht glauben und du würdest dich nur lächerlich machen.“ Still lauschte der Jäger dem Regen, der prasselnd zur Erde fiel. Wieder hoffte er auf eine Reaktion. Und wieder blieb sie aus. Er wusste, dass Iven ihn noch immer ansah. Wie Dolche spürte er die Augen in seinem Rücken. Seine Hände krampften sich zu Fäusten. Wieso sagte Iven nichts? War er ihm so gleichgültig? Nein. Er war schlicht der Mörder seiner Schwester und Luc verstand nur zu gut, wie es in Iven aussehen musste. Er verdiente seinen Hass. Wie konnte er nur auf etwas anderes hoffen? Er rang mit sich, wollte seine Worte mit Bedacht wählen, doch seine Lippen sprachen, noch ehe sich sein Verstand einmischen konnte. Ein letztes Mal herrschte sein Herz über seinen Geist. „Iven, auch wenn es dir nichts bedeuten wird...“ Ein zögerndes Wenden seines Kopfes. Ein letzter fester Blick in vernichtendes Schwarz. „...es tut mir leid.“ Er wollte rennen. Iven so schnell wie möglich hinter sich lassen. Doch er war kein Feigling. Niemals. Langsam entfernte er sich, bei jedem Schritt sich selbst ermahnend, nicht zurück zu blicken, nicht fortzueilen. Als er durch das schmiedeeiserne Tor ging, fühlte er, wie seine Welt endgültig zusammenbrach. Die kleine Welt in der er hoffte, Glück und Geborgenheit zu finden, lag in Schutt und Asche. 'Es tut mir leid'. Stunden waren vergangen und noch immer hallten die Worte in den Ohren des Prinzen wieder. Es sollte ihn einen Dreck scheren. Leid tun. Luc hatte keine Ahnung wie leid es ihm tun sollte! Sich nicht mehr beherrschen wollend, zerschlug der Prinz wütend und hemmungslos ein Mobiliar nach dem anderen. Holz zersplitterte, Stoff zerfetzte, Porzellan zersprang, Er hatte es selbst vermasselt. So kurz vor dem Ziel. Eine Unaufmerksamkeit und sein ganzer Plan war zunichte. Luc würde leiden, ja. Aber nur ein gottverdammtes menschliches Leben lang. Der Ewigkeit entronnen. Lediglich als Liebeskummer manifestiert. Wie lächerlich im Vergleich zu seinem Schmerz! Zorn erfüllt schlug seine Faust in das Spiegelbild vor ihm. Er konnte seinen Anblick jetzt nicht ertragen. Er wollte nicht sehen, wie seine Augen erleichtert blickten. Von Sehnsucht und Liebe sprachen. Tief schnitten die Scherben in seine makellose Haut. Mühevoll unterdrückte er das Wimmern seiner Seele. Nein, er würde keine Tränen vergießen. Niemals. Erschöpft sank er in die Knie. Er fühlte sich elend. Sein Herz predigte Vergebung. Führte als Zeugen die Erleichterung über Lucs entkommen an. Die Trauer über seinen Verlust. Den Schmerz des Verrats. „Iven? Großer Gott, was ist passiert?“ Fassungslos schweiften graue Augen über die Zerstörung die sich ihnen boten. Vorsichtig trat der Vampir näher. Xei wusste, dass Iven stets die Selbstbeherrschung in Person sein konnte. Doch wenn der Prinz die Fesseln der Disziplin ablegte, war er unberechenbar. Zaghaft kniete er sich zu seinem Bruder nieder. Iven unterdrückte den Impuls um sich zu schlagen und ließ sich stattdessen in Xeis tröstende Arme ziehen. Er hatte nicht die Kraft zu sprechen. Lediglich ein Flüstern kam über seine Lippen. „Ich habe ihn verloren. Nun kann ich weder meinen Hass, noch meine Liebe stillen.“ Traurig hauchte Xei einen Kuss auf die Stirn seines Bruders. „Ich hatte dich gewarnt. Aber dein Stolz wollte mir kein Gehör schenken.“ Scharfe Nägel krallten sich in Xeis Arme. „Ich sollte seinen Körper in Stücke reißen, sein Herz zerquetschen und seine Seele vernichten! Stattdessen bin ich erleichtert, dass er meiner Rache entkommen ist, bevor sie Vollendung finden konnte. Ich habe versagt und es ist mir gleich. Ich will ihn nur zurück!“ Ein leicht wässriger Schleier legte sich in die schwarzen Augen. „Cecilia wird mir das nie verzeihen können. Ebenso wenig wie ich. Ich habe ihr Andenken mit Schande befleckt. Wie kann ich mich je wieder selbst achten?“ „Iven!“ Scharf zog Xei die Luft ein. Nie hatte er bei dem Schwarzhaarigen solch einen Gefühlsausbruch erlebt. Er wirkte verletzt, beinahe hilflos und gänzlich überfordert. „Bitte beruhige dich. Sie ist tot und nichts wird sie dir je wieder bringen. Ob du nun weiter nach Rache trachtest, oder nicht. Es ist gleich. Hör endlich auf, dich ihretwegen zu verdammen und erinnere dich an deine Stärke, die Macht die du innehast. Du bist der Prinz. Du alleine entscheidest, ganz nach deinem Willen. Als Herrscher, nicht als Büßer. Und wenn du ihn liebst, dann sei es so.“ Ivens Gesichtszüge verhärteten sich, von einem Moment zum anderen. Schwäche fiel und Stärke kehrte unvermittelt wieder. Nichts zeugte mehr von dem eben schutzlos präsentierten Gefühl. Erhaben richtete sich der Prinz auf. Eisern, autoritär und überlegen. „Finde ihn. Und bring ihn mir zurück.“ Die fordernde Bitte annehmend, nickte der Weißhaarige stumm. Nun hatte er sich selbst in jene Situation manövriert, die er eigentlich vermeiden wollte. Schweren Herzens machte er sich auf, seine Liebe in die Arme eines Anderen zu führen. Seine hoffende Liebe opfernd, für die bestehende. So sehr er sich auch bemühte, er konnte Iven nicht hassen. Iven hatte ihn tief verletzt. Ihn benutzt und betrogen. Doch er war selbst nicht unschuldig am Ausmaß dieser Misere? Hatte ihn sein Instinkt nicht stets gewarnt? Dennoch war er bereitwillig blind und taub gefolgt. Zudem konnte er nur zu gut Ivens Schmerz nachfühlen. Mitgefühl, das seine Wut schwächte, den verletzten Stolz als unbedeutend darstellte. Die Leichtigkeit mit der Iven ihm weiß machte, er würde ihn lieben, ließ Luc erschaudern. Wie viel Kraft musste es dem Vampir gekostet haben, den Mörder seiner Schwester gefühlvoll anzulächeln? Ihn in seine Arme zu ziehen. Berührungen der Leidenschaft, Küsse der Liebe zu schenken. Luc wurde übel. Alles nur Maskerade. Genauso, wie alles begann. Wenn er nicht so wahnsinnig verletzt gewesen wäre, würde er diese Stärke bewundern. So aber, blieben nur Enttäuschung und eine unsagbare Leere. Sie reichte nicht, um Hass zu schüren. Und auch nicht, um seine Liebe in sich zu saugen und verschwinden zu lassen. Wie konnte er nur so naiv sein? Zu glauben ein Vampir könne lieben. Einfach lächerlich. Drei Nächte war es nun her und er fühlte sich noch kein Stück besser. Doch heute würde er zumindest wieder nach vorne gehen. Phil. Er würde ihn zu Rede stellen, gleich was ihn erwarten würde. Lucs Verstand sah mittlerweile wieder klar. Er wurde benutzt. Jeglicher Versuch dies abstreiten zu wollen, schlug fehl. Einzig das Wissen, dass Phil auf seine Art sicher nur das Richtige wollte, machte es ertragbar. Doch sein Herz pochte immer noch anklagend gegen seine Brust. Auch wenn er es niemals wagen würde, seinen Mentor zu verurteilen, so musst er ihm doch zumindest seine Enttäuschung kundtun. Dicke Wolken verdeckten den Mond und machten ein unbemerktes Eindringen in die Kaserne der Garde leichter als sonst üblich. Wehmütig schlich er an dem Gemeinschaftsraum der Garde vorbei. Das Lachen seiner ehemaligen Kameraden klang wie Musik in seinen Ohren. Wie gerne hätte er sich zu ihnen gesellt. Doch was außer Spott und den Tod hatte er zu erwarten? Leise ging er weiter Richtung Schlafsäle. Nur noch über das Dach des Mittelsaals, um von den Wachposten davor nicht entdeckt zu werden, dann nach hinten zu den Quartieren der Befehlshaber. Fast lautlos kletterte er über die Zinnen und sprang auf der anderen Seite angelangt in das feuchte Gras. Konzentriert lauschte er, ob die Wachposten etwas bemerkt hatten. Nichts. Vorsichtig lugte er um die Ecke. Die beiden Soldaten standen still, den Blick geradeaus gerichtet. Gleich würden sie ihre Runde gehen, dann musste er vorbei eilen und er wäre am Ziel. Die Uhr schlug und die beiden Männer drehten ihre übliche Runde. Luc gab sein Versteck auf und eilte zu dem Kreuzgang auf der anderen Seite. Keuchend verschwand er in der Schwärze des Ganges unter dem Rundbogen. Eng presste er seinen Körper an den kalten Stein der Säule. Er zählte. Bei Zwölf musste er zum nächsten Haus. Wenn er zu schnell oder zu langsam im Takt war, würde er entdeckt werden. Zehn. Seine Muskeln spannten sich. Elf. Er war bereit. Zwölf. Jetzt – alles oder nichts. Plötzlich wurde er zurück gerissen. Ein Arm schlang sich eisern um seine Brust, während eine kühle Hand sein Aufstöhnen unterdrückte. Die Dunkelheit schluckte ihre Silhouetten, als die Wachposten ihre Runde zurück drehten. Luc wollte sich aus der Umklammerung befreien. Sein Blick wanderte nach einer Schwachstelle suchend, zu der Hand um seiner Brust. Ein Schock durchzog seine Glieder und er hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Es war unmöglich und dennoch so klar und deutlich, dass seine Augen nicht irren konnten. Zwei silberne Raben, deren Krallen einen schwarzen Onyx hielten. „Wir müssen hier weg, bevor der Aufruhr los bricht.“ Es war Xeis Stimme, die sich leise in sein Bewusstsein schlich. Aber wie konnte das sein? Luc hatte keine Zeit mehr darüber nach zu denken. Mit lautem Galopp ritt ein Trupp Soldaten auf den Kasernenhof. Sogleich wurden neugierig die verschlossenen Türen geöffnete. „Es war eine Falle!“ polterte einer der Reiter. „Dann haben wir einen Verräter in unsern Reihen“, donnerte der General zurück, während er hastig aus seinem Quartier auf die Truppe zuging. Ein lauter Tumult brach aus. Luc war viel zu sehr in seinen Gedanken gefangen, um klar denken zu können. Die Umgebung verschwamm, die Laute verstummten. Ohne sein zu Tun, bugsierte Xei sie beide ungesehen aus der Kaserne. Erst als sie an einer Waldlichtung ankamen und im Schutz der Schatten verschwanden, wurde Luc von Xei zu Rede gestellt. „Herje, Jäger was ist los mit dir?! Du warst eben wie versteinert, fast wie ein verschrecktes Kind.“ Der Nebel seines Geistes lichtete sich nur langsam. Ja, wie ein Kind, so fühlte sich Luc. Er war wieder zehn, kauerte mit Sarah im Arm in seinem Versteckt. Sah das Blut seiner Brüder. Hörte die Schreie seiner Mutter. Grausam brannte sich das Bild in sein Gedächtnis. Der Ring an der Hand des Schlächters, der den Kopf seines Vaters von den dessen Schultern trennte. „Luc?“ Xeis Stimme. Klar wie Wasser. Sein Anblick, der eines Engels. Unschuldig und rein. Nein, er konnte nicht der Mörder seiner Familie sein. Außer Iven hatte ihn mit seiner Geschichte belogen. So, wie mit allem. Er musste die Wahrheit aufdecken, Gewissheit erlangen. „Bitte verzeih. Ich war kurz wie betäubt. Das hätte nicht passieren dürfen. Der Wunsch nicht mehr weglaufen zu müssen, war für einen Moment nur übermächtig.“ Xei nickte, als sei ihm dies Erklärung genug. „Solang du noch flüchten kannst, ist nicht alles verloren.“ Sanft, als ob sie ihn beruhigen wollten, legten sich die Worte des Vampirs auf sein Gemüt. Jetzt erst wagt es der Jäger, in die ruhigen grauen Augen des Vampirs zu blicken. „Wieso warst du da?“ Die Frage klang zögerlicher als sie sollte. „Ich suche dich seit jener Nacht. Deinen Spuren zu folgen war nicht einfach. Als ich heute Nacht sah, welche Richtung du einschlugst war mir klar, wohin dich dein Weg führte. Nun, ich hatte nicht gerade das Bedürfnis mich in die Mitte der Garde zu begeben, also zog ich mich zurück und wohnte ungewollt einem Kampf bei, der allem Anschein nach anders geplant war. Als sich der Trupp zurückzog, wusste ich, dass du bei ihrer Ankunft kaum mehr unauffällig durch die Dunkelheit streifen konntest. Also bin ich dir gefolgt, um dich zu warnen. Und dies nicht zu spät, wie mir scheint.“ Ein aufrichtiges Lächeln fing Luc ein. Er musste es wissen. „Darf ich dich etwas fragen Xei?“ „Wenn du wissen willst, ob Iven mich schickt dann“. „Nein.“ Barsch unterbrach der Dunkelblonde den Vampir. Er wollt nichts von Iven wissen. Nicht hören, ob er etwas zu sagen hatte. Keinen neuen Lügen glauben schenken. Neugierig legte sich der weiße Schopf leicht schräg. „Nun, was liegt dir dann auf dem Herzen?“ Luc sammelte sich bevor er sprach. „In jener Nacht, als ich dich in der Kirche fand, erzählte mir Iven eine Geschichte, genauer gesagt, sprach er über dich. Im Grunde könnte und sollte ich alle Worte die er je zu mir sprach als Lüge abtun, aber bei dir macht es einfach keinen Sinn. Ich finde keine Logik darin, weshalb er mir in Bezug auf dich eine konstruierte Vergangenheit als Wahrheit verkaufen soll. Deshalb möchte ich wissen ob es wahr ist. Hast du stets dem Blut entsagt?“ Xei trat näher. Der Jäger wich intuitiv zurück, bis er mit dem Rücken an einen Baum stieß und damit weiteres Ausweichen zunichte machte. Luc musste sich beherrschen, um nicht wieder auf den silbernen Ring zu starren, der sich nun langsam seinem Gesicht näherte. „Ja, das habe ich. Ich habe nie menschliches Blut getrunken.“ Wie eine zarte Schneeflocke kitzelten Xeis Fingerspitzen an Lucs Wange. „Aber wenn ich einen Gefährten finden würde der“. Fest griff Luc nach der Hand. Er wollte diese zarte Berührung nicht länger spüren. „Bitte nicht.“ Betroffen zog sich Xei zurück. „Es tut mit leid. Ich wollte dir nicht zu nahe kommen oder dir meine Gefühle aufdrängen.“ Wieder war es so, als ob Luc das reinste und strahlendste Geschöpf betrachtete, dass die Erde je hervor gebracht hatte. Zweifel lehnten sich auf, der Drang nach Gewissheit wuchs. „Blut trinken ist das eine. Aber du bist nicht minder ein Vampir, als Iven. Wie steht es mit dem töten Xei? Hast du je ein Leben beendet?“ Innerlich hoffte Luc, dass Xei antworten würde, dass er so rein war, wie er ihn jetzt hier in diesem Augenblick sah. Auch wenn es hieß den Mörder vielleicht niemals zu finden, so begrub er doch lieber seine Hoffnung, als sich dem Unausweichlichen stellen zu müssen. Die Angst Xei nicht töten zu können war schlicht zu groß. Wehmütig blickte der Weißhaarige in den Sternenhimmel. „Warum ist es von Belang für dich? Warum all die seltsamen Fragen?“ Er musste Klarheit erlangen, gleich wie. „Wie sollte ich dir mein Herz anvertrauen, wenn es anders wäre?“ Xeis blutrote Lippen zeichneten ein Lächeln, welches Luc nicht zu deuten vermochte. „Lass es, Luc. Iven spielt bei weitem besser. Zudem steht dir Hinterlist nicht.“ Das Herz des Dunkelblonden schlug deutlich schneller. Er war zu ungeschickt gewesen. Sein Instinkt mahnte zur Vorsicht. Die Bedrohung in Xeis Aura schwang fast schwerelos in der friedlichen Ausstrahlung mit. Hatte er es eben nicht selbst gesagt? Xei war ein Vampir, genauso wie Iven. Und wenn Xei es wollte, war er in seiner Gegenwart nicht mehr als ein hilfloses Tier, dass der Vampir mit einem Satz reißen konnte. Die Sanftheit in den grauen Augen wog ihn schließlich wieder in trügerischer Sicherheit. „Luc, du brauchst keine schönen Worte, um von mir die Wahrheit zu erfahren. Dein Wesen alleine genügt.“ Xeis Blick schweifte nachdenklich zum Nachthimmel zurück, nur um sich nach kurzer Zeit wieder auf den Jäger zu heften. Lucs grüne Augen wurden mit Wärme eingefangen. Er fühlte sich wie hypnotisiert, obgleich er wusste, dass Xei seine Macht nicht einsetzte. Wie ein Strom riss ihn die klare Stimme mit. „Ja, auch ich habe Blut an meinen Händen. Und es brauchte nicht erst das Tier in mir, um diese Sünde zu begehen. Ich war Jung. Naiv und verliebt. Dann kam die Eifersucht. Ich habe sie beendet. Die Liebe und die Eifersucht. Selbst im Angesicht des Todes lächelte mir meine Geliebte entgegen und schallte mich einen Narren, dass ich ihre Liebe somit nur für die Ewigkeit besiegelt habe. Die Worte meines Nebenbuhlers waren schlicht eine Feststellung, die mein Leben veränderte. Er sagte, er verliert sein Leben und gewinnt die Liebe. Seine Frage nachdem was mir bleibt, traf mich tief und ist immer noch ein lebhaftes Echo in meinen Ohren. Die Schuld zerriss mich und schenkte mir gleichzeitig Erleuchtung. Von da an glaubte ich den einzig wahren Grund unserer Existenz gefunden zu haben. Liebe. Selbstlos und aufopfernd. Ich ging schließlich dort hin, wo sie am meisten gebraucht und erwartet wurde. Ich fand Frieden im Kreise der Kirche und Vergebung in meinen Gebeten. Seither würde ich lieber sterben, alle Qualen der Welt erleiden, als noch einmal aus Selbstsucht zu töten. Ich habe mir verziehen, aber immer noch sehe ich das Blut an meinen Händen kleben. Genauso wie der Schatten meiner Charakterschwäche fortwährend wie ein Damoklesschwert über mir schwebt.“ Luc schluckte. Es war soviel mehr, als er erwartet hatte. „Weiß Iven davon?“ Xei zuckte leicht mit den Schultern. „Nein. Wozu auch? Er würde meinen Schmerz darüber nicht verstehen. Zudem sieht er in mir nur all zu gern das, was er selbst nicht sein kann. Makellosigkeit und Unschuld.“ Ja, so wie er auch stets auf Luc wirkte. Er glaubte Xei, ohne Zweifel. Er konnte nicht der Mörder seiner Familie sein. Aber dieser Ring. „Würdest du mir etwas von dir geben, wenn ich dich darum bitte?“ Xei bejahte ohne zu zögern. „Was immer dich glücklich macht.“ „Der Ring an deinem Finger. Die Hand die mich wohl eben vor dem Tod bewahrt hat.“ Traurig senkte Xei den Kopf. „Nun, das hatte ich nicht erwartet. Du willst ein materielles Unterpfand meiner Liebe? Dann mache ich keinen Hehl daraus, dass dieser Ring für mich von hohem emotionalem Wert ist. Bevor du ihn annimmst, solltest du aber wissen, dass du mit diesem Ring vielmehr von Iven als von mir bei dir tragen wirst.“ Zärtlich legte Xei das Schmuckstück in Lucs Hand. Zwei feine weiße Linien durchkreuzten das tiefe Schwarz des Steins. Es gab keine Zweifel. Er hatte ihn gefunden. „Wie meinst du das?“, hakte der Jäger nach. „Cecilia ließ ihn einst als Geschenk für ihren Bruder anfertigen. Nach ihrem Tod ertrug Iven die Erinnerung daran nicht und gab ihn in meine Obhut. Als Zeichen des Vertrauens und der Verbundenheit.“ Iven. Luc wurde schwindelig. Wie sich der Kreis doch schloss. „Bist du dir sicher, dass du ihn dennoch willst?“ Luc kämpfte mit seiner Fassung. So grausam konnte das Schicksal doch gar nicht sein. Er hatte sein Ziel gefunden, doch würde er es je treffen können? „Nein, er ist für dich sicher von größerem Wert. Ich wollte nur ein Andenken. Jetzt bin ich mir nicht sicher, ob ich deine Nähe überhaupt missen möchte.“ 'Nur ein anderer Vampir kann dich aus seinem Bann befreien'. Laut hämmerten Xeis vergangene Worte und deren Erkenntnis in seinem Schädel. Ja, er brauchte Xei. Mehr als irgendetwas sonst. Zitternd schob er den Ring zurück auf den Finger des Vampirs. „Bitte sag mir ehrlich, ob ich auf Ivens Liebe hoffen kann.“ Schmerz durchzog das helle Antlitz. „Ich hoffe du weißt, dass mich deine Frage nicht nur kränkt, sondern auch überaus verletzt. Du sagst mir, dass du meine Gegenwart schätzt und willst von mir gleichzeitig wissen, ob du dir Ivens Liebe gewiss sein kannst?“ Luc schwieg. Wieder war er zu ungeschickt gewesen. „Ja, es war sein Wunsch, dass ich dir folge. Genauso, wie bereits die Monate zuvor. Nur diesmal sollte ich nicht über dich wachen, sondern dich zu ihm zurückbringen. Iven kann seine Gefühle für dich weder ordnen noch verstehen. Aber letztendlich ist es gleich. Er liebt dich mehr, als er dich hassen sollte. Und seine Gefühle, wenn sie denn da sind, gehen stets tief.“ Flehend krallten sich Lucs Hände in Xeis Mantelaufschlag. „Und was wenn ich dir sage, dass ich diese Liebe niemals zulassen möchte, auch wenn ich mich nach ihm verzehre? Du hast einst angedeutet, dass du die bessere Wahl von euch beiden wärst. Ich habe nicht die Kraft mich alleine zu entscheiden oder zu widerstehen. Hilf mir dabei!“ Zärtlich zog der Vampir den Dunkelblonden nunmehr vollends in seine Arme. Behutsam legten sich seidige Lippen auf die des Jägers. Es war wie Licht in der Dunkelheit, das Luc sanft mit Wärme erfüllte. Er fühlte sich sicher und geborgen. Seufzend erwiderte er den Kuss. Ja, alleine könnte er sein Vorhaben niemals in die Tat umsetzten. Alleine Ivens Gegenwart würde ihn vor Liebesschmerz taub machen. Seine Rache brauchte eine tragende Kraft. Eine, wie sie besser nicht sein könnte. Er hatte einen Trumpf. Xeis Liebe war sogleich Heilung für ihn, wie Gift für Iven. Er würde dem Mörder seiner Familie gegenübertreten. Sein verfluchtes Spiel umkehren. Sein Herz brechen. Rache üben. Und wenn er dabei bis zum Äußersten gehen musste. Die geglaubte Liebe zerfloss in dem Strom der Verzweiflung, der in Hass mündete. ~ Hallo ihr Lieben! Also das Kapi hat es in sich. Ich hoffe ich habe euch mit der Gefühlsachterbahn der einzelnen Charaktere nicht überfordert ^^ Das Kapi bringt sehr viel Aufschluss und setzt einen Wendepunkt für die Story. Ich bin gespannt, ob es euch begeistern konnte. Liebe Grüße, Teedy ~ Kapitel 20: Hassliebe --------------------- 20. Hassliebe Sanft löste sich Xei aus dem Kuss. „Ich würde Iven verraten, wenn ich weiter gehen würde.“ Xei verhielt sich genau so, wie Luc es erwartet hatte. Ergebenheit, gleich wie hoch der Preis war. Intensiv musterte Luc den Vampir. „Dann gibst du lieber nach, anstatt zu kämpfen?“ Xei wich seinem Blick aus. „Es ist kompliziert.“ „Anscheinend“, antwortete der Jäger schneidend. Verärgert wandte er sich aus der Umarmung und setzte nach. „Wie du willst. Dann ertrage den Anblick, wenn ich mich in seine Arme werfe und verlange nicht von mir, dass ich Rücksicht auf dich nehme!“ „Luc bitte, du verstehst das nicht.“ „Doch ich verstehe sehr gut. Er ist dein Herr, du nur der Diener. Reden wir weiter, wenn du mit ihm auf Augenhöhe bist.“ Luc wusste, dass er Xei mit seinen Worten getroffen hatte. Er kannte nunmehr Xeis Schwäche – Eifersucht. Und er würde sie sich zu Nutze machen, um Iven zu vernichten. „Was ist nun? Wolltest du mich nicht zu deinem Gebieter bringen?“, fragte der Jäger gehässig. Xei schwieg, folgte Luc aber. Ein zarter Hauch von Mitgefühl hüllte Luc ein, als er in das betrübte Gesicht seiner Begleitung blickte. Xeis innerer Kampf war für Luc fast spürbar. Dennoch, er durfte sich keine Schwäche erlauben, wenn er gegen Iven bestehen wollte. Mitleid oder Rücksichtnahme hatten nunmehr keinen Platz in seinem Leben. Unbarmherzig würde er Xei dorthin treiben, wo er ihn haben wollte. Alleine um sich an dem Mörder seiner Familie rächen zu können. Sein Hass auf diesen und der Durst nach Vergeltung war vielleicht größer als je zuvor. Der Umstand, dass er ausgerechnet in Ivens Nähe bisher am schwächsten war, widerte den Jäger an. Er hatte sein Herz einem Vampir geschenkt. Sich den größten Fehler erlaubt. Jetzt musste er die Zeche dafür zahlen. Er würde jede Emotion für den Prinzen in den letzten Winkel seines Unterbewusstseins verbannen. Seinem Herz nicht länger erlauben Gefühle der Zuneigung zu hegen. Einzig der Drang nach Rache sollte nunmehr sein Wesen erfüllen und sein Handeln bestimmen. All die Jahre durch die Suche gezähmt, schlugen nun die Wellen aus Verbitterung und Hass, in einem Sturm der Zerstörungswut über ihm zusammen. Iven glaubte mit ihm spielen zu können. Nun würde sich bald herausstellen, wer der bessere Spieler war. Er war gewappnet, immerhin hatte er den besten Lehrmeister in Intriganz gehabt. Er würde seine Hiebe gezielt setzen. Wunden in die offengelegten Schwächen schlagen. Sie fuhren schweigend in der beorderten Kutsche. Luc würdigte Xei nicht eines Blickes mehr. Starr richtete er sein Blick nach draußen. Ein ungutes Ziehen in der Magengegend überkam den Dunkelblonden, als er in der Ferne die schemenhaften Umrisse von Ivens Anwesen ausmachte. Gleich würde sich zeigen, ob sein Hass wahrhaft so dominant war, dass er alle anderen Gefühle zurückstellen konnte. Er musste mit Bedacht vorgehen. Seine erste Handlung würde darin bestehen, Iven seine vermeintliche Liebe zu suggerieren. Er würde ihn reumütig um Verzeihung bitten und seine Liebe mit einem leidenschaftlichen Kuss untermauern. Er musste Iven von seiner Hingabe überzeugen. Gleichzeitig würde er damit das Feuer in Xei schüren. Er sollte mit eigenen Augen sehen, was er freiwillig für Iven opferte. Die Kutsche hielt an. Luc war vollkommen ruhig. Xei öffnete die Türe und trat hinaus in die Nacht. Die angebotene Hand wies Luc ebenso kühl zurück, wie er Xeis Lächeln ignorierte. Als er zum Eingang sah erkannte er Iven, der sich ihm Stufe für Stufe langsam näherte. Sein Gang war geschmeidig und raubtierhaft. Trotz der dunklen Erscheinung schien er in der Schwärze der Nacht zu strahlen. Erhaben und als Zierde der Finsternis. Hass und Liebe zugleich forderten Lucs Aufmerksamkeit. Er musste beides kontrollieren. Das Blut brannte in seinen Adern, als er seinem Feind entschlossen entgegen ging. Beherrscht verbarg er seine Emotionen und erwiderte fest Ivens intensiven Blick. Erst als sie sich gegenüber standen, senkte er seine Augen demütig zu Boden. „Ich bitte dich, verzeih mir.“ Sanft glitt die Hand des Prinzen unter sein Kinn. Luc ermahnte sich nichts als Liebe in seinen Ausdruck zu legen. „Ich wünschte ich könnte es nicht“, raunte ihm die volle Stimme entgegen. Es war einfacher als erhofft. Getrieben von dem Drang es schnell hinter sich zu bringen, legte der Jäger seine Lippen stürmisch auf die des Vampirs. Leidenschaftlich forderte dieser mehr als nur einen Kuss ein. Bereitwillig gab Luc nach. Einzig das Wissen, dass diese Intimität von Xei beobachtet, jede Regung verfolgt wurde, gab ihm die Kraft, seine innere Abneigung beiseite zu schieben. Nichts war mehr von der erotischen Ausstrahlung geblieben, die ihn bisher mühelos einfing. Luc sah nur noch die Bestie, die ihm so viel Leid beschert hatte. Als Iven verlangend seine Arme um die Taille des Dunkelblonden schlang und den letzten Abstand zunichte machte, keimten in Luc Erinnerung der gemeinsamen Nacht auf. Bereitwillig hätte er jede Folter lieber ertragen, als noch einmal in diesen Bildern gefangen zu sein. Die Vergangenheit so lebhaft wieder spüren zu müssen, kostete ihn mehr Selbstbeherrschung, als er im Stande war aufzubringen. Die Sehnsucht kam, obwohl es sie nicht geben sollte. Mehr als Iven, hasst er sich selbst in diesem Moment. Standhaft befreite sich Luc aus der Liebkosung. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich bleiben sollte.“ Verständnisvoll lächelte Iven ihn an. „Wenn du gehen willst, werde ich dich nicht zurückhalten. Aber wenn ich deine Nähe ertragen kann, kannst du es mir dann nicht gleich tun?“ Iven hatte recht und leistet damit unwissentlich einen Beitrag zu Lucs Entschlossenheit. Der Prinz hatte es geschafft, ihn in ein Geflecht von Lügen zu verstricken. Gleichzeitig hatte Iven dabei seine eigenen Gefühle so unter Kontrolle gehabt, dass sie stets nur seinem scharfen Verstand gehorchten. Bis jetzt. Wenn er gleiches mit gleichem vergelten wollte, dann musste auch er diese Stärke aufbringen. Falsche Worte kamen mühelos über seine Lippen. „Mir ist klar, dass es für dich unter der Last der Vergangenheit viel schwieriger ist, diese Liebe anzunehmen und zuzulassen. Gleichwohl ist mein Vertrauen erschüttert. Du hast mit mir gespielt, versucht mich zu manipulieren. Und es ist dir nur zu gut gelungen. Wie kann ich sicher sein, dass du nicht beschlossen hast, mich in trügerischer Sicherheit zu wiegen, nur um am Ende doch deine Rache einzufordern? Eine die mich mehr verletzen würde, als jeder Schwerthieb es könnte.“ Ein Anflug von Betroffenheit legte sich auf Ivens feine Gesichtszüge. Dennoch war sich Luc sicher, dass der Prinz längst nichts bereute. Wie könnte der Vampir auch? Erbarmungslos und gefühlskalt wie er war. „Du verlangst Beweise und du tust Recht daran. Aber bei all meiner Macht kann auch ich meine Gefühle nicht mit Greifbarem belegen. Ich kann nicht mehr tun, als dir sagen, dass es mir ernst mit meiner Liebe ist und versuchen dir dies mit meinen Taten fortan zu beteuern. Gleich der Vergangenheit. Ich habe versucht all meine Gefühle zu unterbinden und bin gescheitert. Mein Leben ist leer ohne dich. Gib mir eine Möglichkeit meinen Fehler wieder gut zu machen und dich zu überzeugen. Es wird keine Lügen oder Verheimlichungen mehr geben. Nichts als Wahrheit will ich dir geben.“ Die Worte waren mehr, als er erwartet hatte. Sie schlichen sich sanft in sein Innerstes, dorthin wo sie nichts zu suchen hatten. Mehr aus Verletzlichkeit als aus Berechnung, erwiderte der Jäger mit Vorwürfen auf das Geständnis. „Du hast mich bereits einmal mit Worten umgarnt. Worte, die dir immer leicht über deine Lippen kamen.“ Ein zunächst nicht deutbarer Ausdruck legte sich auf die ernste Mine des Vampirs. Erhabenheit, die sich in Ergebenheit zurück stellte. Bittend griffen Ivens Hände nach denen des Jägers. Fassungslos folgten grüne Augen dem Tun des Prinzen. Dieser sank zu Boden. Kniend mit zögerndem Blick, sah Iven zu Luc auf. Zum ersten Mal spiegelten die tiefschwarzen Augen Empfindsamkeit. „Ich lege dir zu Füßen was ich habe. Schenke mir noch einmal dein Vertrauen. Ich bitte dich.“ Beschämt schloss Iven seine Augen und schmiegte seine Wange an Lucs Handrücken. Der Jäger konnte diesen Anblick nicht ertragen. Er war gekommen, das Schwert zu führen, die Schlacht zu schlagen. Und nun wurde er bereits binnen weniger Augenblicke von seinem Feind aufgespießt. Verletzlichkeit, schärfer geführt, wie jeder andere Angriff zuvor. „Ich bitte dich steh auf! Diese Erniedrigung passt nicht zu dir und ich ertrage sie nicht!“ Bestimmt zog er der Prinzen wieder nach oben und verfluchte das rührselige Schwarz, das verschwommen glitzerte. Sein Herz schlug heftig gegen seine Brust. Wehklagend über dieses Eingeständnis von Schwäche. Wie glücklich hätte er sein können, gäbe es die Vergangenheit nicht. Unbeirrt blickte er ihr entgegen, entschieden die Emotionen niederzuringen. Alles andere auszublendend. Er hatte den Prinzen da, wo er ihn haben wollte. Reumütig und voller Hoffnung. Er musste weiter gehen, seinen Stand festigen. Zaghaft glitt die Hand des Jägers in das volle seidige Haar des Vampirs. Seine Lippen strichen fast über dessen Ohr, als er leise antwortete. „Ich denke ich kann mich auf Xeis Worte verlassen und bleibe.“ Lucs wachen Augen entging nicht der vernichtende Blick, der nun Xei zugeworfen wurde. Sein Herz frohlockte über den nun doch errungenen Sieg. Zufrieden ging er an Iven vorbei zur Treppe. Es dauerte eine Weile, bis ihm der Prinz folgte, doch kaum im Inneren des Anwesens angelangt, schloss Iven zu ihm auf. „Willst du mein Gemach oder eines der Gästezimmer beziehen?“ Herausfordernd funkelte Luc den Vampir an. „Das hängt davon ab, ob du mich heute Nacht bei dir haben möchtest.“ Die Begierde stand Iven deutlich ins Gesicht geschrieben. Der Prinz schien keinerlei Anstalten mehr zu machen, seine Gefühle zu verbergen. „Bist du dir sicher, dass du soweit bist? Eben sprachst du noch von verlorenem Vertrauen.“ Luc kannte die Antwort bereits als er fragte, „Warum klingen deine Worte so bitter, wo du doch Freude über meine offensichtliche Einladung empfinden solltest?“ Ivens dunkle Augen verengten sich. „Offensichtlich ist, dass ich es Xei verdanke, dass du bleibst.“ Es war keine Frage und dennoch bekräftigte Luc die Feststellung. „Ja, aber ich weiß nicht worauf du hinaus willst. Es klingt für mich so, als ob du seine Einmischung missbilligst. Dabei kam er auf deinen Befehl hin zu mir.“ „Es war kein Befehl, sondern eine Bitte. Und ich missbillige nicht das Ergebnis, sondern den schalen Beigeschmack dabei. Es kränkt mich, dass du ihm anscheinend mehr vertraust als mir und mehr Wert auf seine Äußerungen legst als auf die meinen.“ Ivens Gebaren ließ keinen Zweifel daran, dass es nicht nur um Stolz und Ehre sondern auch um Macht ging. Luc fühlte, dass er mit dieser Provokation den Wunden Punkt des Prinzen traf. „Wundert dich das?“, trieb er Ivens Mutmaßung auf die Spitze. Die Wehmut, die sich nun in den schwarzen Augen widerspiegelte, war wie Balsam auf Lucs Seele. „Nein, aber es schmerzt.“ Offenheit, die den Jäger ein gemeines Lächeln unterdrücken ließ. Die Kränkung ging tiefer als er dachte. Er würde weiter graben. „Bitte verzeih. Es ist nur so, dass sein einfühlsames Wesen die Gabe hat, mich völlig zu bezaubern. In seiner reinen Art kann ich keine Hinterlist finden und wenn er von Liebe spricht, dann sehe ich das wundervollste Geschöpf unter Gottes Himmel. Du sagtest selbst, wie angetan du von ihm warst, es immer noch bist. Mache mir bitte nicht zum Vorwurf, dass auch ich seinem Strahlen erliege. Seine Worte klinge für mich wie die eines Engels, auch wenn sie es nicht sind. Ich glaubte ihm und tue es noch. Und wenn es sein Verdienst war, dass ich mich erneut allen Widrigkeiten stelle, um bei dir zu sein, dann schuldest du ihm Dank und keinen Groll.“ Der Jäger wusste, dass er genau das Gegenteil von dem was er predigte erreichte. Mittlerweile kannte er Iven gut genug, um einschätzen können, wann dieser Gefühle zu ließ und wann er einfach nur Prinz war und lediglich zeigte, was andere sehen sollten. Bestätigend nickte der Prinz. „Nun gut, belassen wir es dabei.“ Genau das würde Iven sicher nicht tun. Schon bald würden sich Schwarz und Weiß wie bei einem Schachspiel gegenüber stehen. Eine Partie, die keiner von beiden gewinnen konnte, da sie nur auf Niedergang ausgelegt war. „Danke“, hauchte Luc in einem Kuss. Dann schmiegte er sich gefühlvoll an die Brust des Prinzen, dankbar für den Stoff, der seine Haut vor einer direkten Berührung schützte. „Du hast vielleicht recht. Ich sollte mein Sehnen nicht vorschnell mit körperlicher Gier stillen. Ich beziehe eines der Gästezimmer und werde meinem Herz die Zeit gewähren, die es braucht, um vollkommen, ohne Zweifel dir zu gehören.“ Damit hatte er nicht nur Ivens Verlangen geweckt und im selben Moment zurück gestoßen, sondern auch die Freiheit zur Interpretation gelassen, weshalb sein Herz noch nicht vollkommen ihm gehörte und zweifelte. Ganz Prinz akzeptierte der Vampir Lucs Wunsch und geleitete ihn in sein vorübergehendes Gemach. Als Luc müde in die weichen Bettlaken sank, war sein Kopf wirr. Solange hatte er gesucht. Und nun endlich, nach soviel Jahren, hatte er den Mörder seiner Familie gefunden. Er konnte Rache nehmen, auf eine Art, wie sie süßer nicht sein konnte. Er würde mehr tun, als eine ruhelose Seele in die Hölle schicken. Er würde sie zuvor brechen. Sie in die Verdammnis stürzen. Iven jede Hoffnung, jedes Lebensgefühl nehmen. Er sollte wissen, wie sich grauenvolle Leere anfühlte. So unerträglich, dass man sich selbst nach dem Fegefeuer sehnt, um den Schmerz zu betäuben. Er würde den Wahnsinn kennen lernen, der einen in die Tiefe reißt und nichts zurück lässt als Kälte. Doch warum konnte er seine Position nicht genießen? Sollte er nicht ein wenig Genugtuung darüber verspüren, dass nunmehr Iven der Betrogene sein wird? Der Prinz war für seine Verhältnisse bereits tief gesunken, alleine für ihn und es brauchte nicht mehr viel für den endgültigen Schlund der Rache. Seine Suche hatte ein Ende und das Ziel war zum Greifen nah. Dennoch war da dieses Gefühl, dass er sich in ein endloses Martyrium stürzen würde. Lucs Finger krallten sich tief in seine Handballen. Er konnte es einfach nicht abstreiten. Seine Liebe für Iven war Realität. Und gleich wie groß der Hass auf Iven nun war, sie verschwand nicht mit der Erkenntnis seiner Schuld. Sie krampfte fest an seiner Seele, die nur in den Himmel der Zweisamkeit steigen wollte. Eine Träne ätze sich langsam ihren Weg über seine Wange. Er würde nie wieder Glück spüren können. Jedes Streben darauf, verbrannt in der Hitze der Rachsucht. Ja, mein Prinz, ich werde dein Herz entzweireißen, so wie meines. Deine Seele meiner Hoffnungslosigkeit zum Geschenk machen. ~ Ich liebe die letzten beiden Sätze einfach ^.- Ich hoffe ihr hattet wieder Freude beim Lesen! Liebe Grüße, Teedy ~ Kapitel 21: Eifersucht ---------------------- 21. Eifersucht Kummer trübte den silbernen Glanz seiner Augen. Er spürte es wieder. Dieses brennende Gefühl von verzehrender Eifersucht. Es keimte nur langsam, vorerst in Reinheit von Liebe zurückgestellte. Dennoch belebte das schleichende Gefühl seine Erinnerungen wieder. Verschwommen kratzten sie an seinem Verstand. Das Bild des Kusses wollte einfach nicht von seinem Geist weichen. Er wusste, dass Luc ihn verletzen wollte. Doch darauf kam es nicht an. Einzig die Handlung und das was sie in ihm weckte, waren von Belang. Sein Herz bebte. Er war unbeachtet, zurückgestellt. Von beiden. Seine Seele weinte still, während sein Innerstes vor Schmerz schrie. Alles konnte er ertragen, nur nicht dieses Gefühl. Ein Schleier legte sich auf sein Bewusstsein. Ein unweigerlicher Vorbote seiner schwindenden Sinne. Der Blutdurst in ihm war bereits zu lange ungestillt. Sein Körper zitterte und unterstrich die psychische Qual mit körperlicher Marter. Es war wie einst. Das gleiche Gefühl. Er konnte sie einfach nicht leiden. Noch nie. Dabei hatte er gar keinen Grund für seinen Groll. Außer der, dass sie Iven so überaus wichtig war. Seit einigen Tagen wurde diese Feindseligkeit für Cecilia nun unentwegt von Iven geschürt. Bei jeder Begegnung gab es Berührungen der Zärtlichkeit zwischen den beiden. Worte der Liebe und Gesten der Zuneigung. Xei hasste Ivens Hand auf ihrer Haut, die spielenden Finger zwischen ihren schwarzen Haaren, die sanften Blicke, die alleine ihr gehörten, die stummen Worte, die nur sie lautlos zu verstehen schien. Angewidert wandte er sich von dem erneuten Bild der Vertrautheit ab. Schweigend kehrte er den beiden den Rücken. Sein Gehen würde ohnehin nicht auffallen. Nicht ihm. Mit sich hadernd und sehnsuchtsvoll in die Nacht blickend, blieb er auf der großen Terrasse des Festsaals stehen. Seine Gedanken schweiften zurück zu den einstigen Nächten, in denen er glücklich war. Er hatte sich Ivens Liebe immer gewiss sein können. Nun gab es nur noch Zweifel. Die letzten Wochen quälten ihn. Je mehr Wärme Iven seiner Schwester schenkte, desto weniger verblieb ihm davon. Kälte die immer mehr zu Eis gefror. Die intimen Momente, in denen der Prinz ihm seine Gunst und damit das für ihn lebenswichtige Blut schenkte, hatten nur noch nüchterne Pflichterfüllung in sich. Ivens ganzes Wesen war ihm gegenüber distanziert und unnahbar. Die Stimme barsch und die Worte schneidend. Selbst die Augen des Prinzen schienen nur noch Verachtung für ihn übrig zu haben. Blicke die ihn schmerzten. Was war nur vorgefallen, dass Iven sämtliches Gefühl für ihn verloren hatte? Sein Magen krampfte. Leichter Schwindel legte sich auf seine Sinne. Er brauchte Blut. Bereits seit drei Nächten hatte er dem Verlangen entsagt. Er konnte Ivens Kälte einfach nicht ertragen. Der Prinz unterließ es zwar, seine Macht direkt zu präsentieren und ihm seine Abhängigkeit davon demütigend aufzuzeigen. Gleichwohl war sich Xei seiner Situation nur zu gut bewusst. Gab es eine größere Erniedrigung, als auf Gedeih und Verderb, auf das Wohlwollen eines anderen angewiesen zu sein? Er brauchte Ivens Blut. Und er erbat es, jede Nacht. Ergebenheit, die Xei bislang nicht beleidigte. Hingabe und Hörigkeit in Verbindung mit Liebe war nie etwas, dessen er sich geschämt hatte. Doch nun tat er es. Er konnte Iven nicht mehr um diese Gefälligkeit ersuchen. Nicht seitdem sich blanker Hohn in jeder Gesten für ihn manifestiert hatte. Die Mimik des Prinzen sprach von Geringschätzung und der spöttische Glanz in verdammenden Augen war ihm unerträglich. Ja, er war schwach, ohne ihn. Nicht lebensfähig. Dennoch hatte auch er seinen Stolz. Er würde nicht mehr bitten. Jede körperliche Qual war ertragbarer als diese Missachtung. Sogleich zeigte ihm sein Leib die Konsequenzen des Starrsinns auf. Sein Rachen brannte, während sein Magen unentwegt krampfte. Seinen Muskeln zuckten unkontrolliert. Reißender Schmerz legte sich auf seine Glieder und zwang ihn in die Knie. Das Atmen viel schwer und die Lunge schien bersten zu wollen. Erschöpft brach er auf dem kalten Marmor der Terrasse zusammen. Stumm das Leid ertragend. Er würde nicht fragen. Sein Bruder wusste von seiner Abstinenz. Wenn er Iven noch irgendetwas bedeutete, dann würde er von alleine kommen und dem Durst ein Ende setzen. Wenn nicht, dann konnte ihn die Verdammnis so oft zerkauen und wieder ausspucken, bis sie genug davon hatte. Ohne Liebe konnte er genauso gut vergehen und sich dem Tod überlassen. Der Schmerz flaute wieder ab. Bei dem Versuch sich aufzurichten, versagten jedoch entkräftet seine Beine. Er wankte, wurde aber unerwartet durch schmale Arme von dem Sturz bewahrt. „Xei?“ Er mochte ihre Stimme nicht. Genauso wie er nichts an ihr leiden konnte. „Was willst du?“, stöhnte der Weißhaarige geschwächt. Bevor Cecilia zur Antwort ansetzte, half sie Xei dabei, wieder aufrecht stehen zu können. „Hör auf dich von meinem Bruder so quälen zu lassen.“ Bitter entkam dem Angesprochenen ein Lachen. „Mich quält der Hunger, nicht er.“ „Das meine ich nicht. Ich spreche von deinem stummen Hass auf mich.“ Fest blickte Xei in das schwarz umrahmte Gesicht der Vampirin. „Muss ich dich fürchten, Xei?“ „In meinem Zustand? Wohl kaum. Selbst wenn ich im Vollbesitz meiner Kräfte wäre, würde ich nie die Hand gegen dich erheben. Wie könnte ich auch, wo du ihm doch das Liebste auf Erden bist.“ Die Worte auszusprechen tat weh. Gerne hätte er eine andere Wahrheit geglaubt. „Cecilia, du kennst jeden seiner Gedankengänge. Warum ist er seit Wochen so unnahbar für mich?“ „Verweigerst du deshalb sein Blut?“ Den neuerlichen Schmerz niederkämpfend, verzog der Weißhaarige seine mittlerweile blassen Lippen zu einem schmalen Strich. „Ich verweigere es nicht, ich bitte nur nicht mehr darum. Nicht solange er mir weiter mit dieser Kälte entgegentritt. Ich begreife einfach nicht, was ich Falsches getan habe, um seinen kalten Zorn so sehr auf mich zu ziehen.“ „Armer Xei.“ Die dunklen Augen sprachen aufrichtiges Mitgefühl. „Du lässt dich von ihm viel zu leicht beeinflussen und lenken. Weißt du wirklich nicht, weshalb er mich seit Nächten mit Zärtlichkeiten überschüttet und dir zugleich alles an Wärme entzieht?“ Fast tonlos gab der Vampir zurück, „vielleicht ist er meiner einfach überdrüssig.“ Süßes Lachen durchdrang die Nacht. „Nein Xei, sicher nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Dieses Mädchen aus dem Kloster, die junge Frau mit den olivefarbenen Augen und den braunen Locken. Sie ist Iven ein Dorn im Auge. Sie und deine Gefühle für sie. Er hat Angst dich an sie zu verlieren, sobald sie endgültig zur Frau herangewachsen ist.“ Diesmal war es Xei der lachte. „Ich habe seit Nächten keinen Gedanken an sie verschwendete. Und Iven fürchtet nichts. Schon gar nicht Verlust.“ „Du irrst. Verlust ist das einzige was er fürchtet. Die Grenze seiner Kontrolle. Er wollte dich reizen. Deine Gedanken und Aufmerksamkeit einzig auf sich ziehen. Ein gelungenes Unterfangen, wie du eben selbst offenbart hast. Verstehe mich nicht falsch. Ich sage dir das nicht, um dir einen Dienst zu erweisen. Ich denke ich kann dich im gleichen Maße leiden wie du mich. Aber ich sorge mich um meinen Bruder. Er hat deine Finsternis herausgefordert, wissend, dass sie vernichtend sein kann. Doch sein Hochmut lässt ihn die Gefahr nicht erkennen, die er damit geschaffen hat. Er glaubt dich in allem zu kontrollieren, doch bin ich mir dabei nicht so sicher. Du magst jetzt hilflos erscheinen, aber was kommt danach. Was kommt nach dem hungrigen Vampir, dem provozierten Tier?“ „Du glaubst mein und sein Gefühlsleben zu kennen? Weshalb lässt du dich dann so von ihm benutzen? Als hübsche Puppe vorgeführt zu werden, nur um mich zu verletzen. Hast du keinen Stolz? Sehnt sich dein eigenes Herz so sehr nach seiner Liebe, dass dir der Umstand gleich ist, durch dem du sie erlangst?“ Das Schwarz der Augen blitzte erzürnt auf. „Ich hatte recht. Du bist alles andere als wehrlos. Du führst Worte, gefährlicher als ein Schwert. Ich kann und ich werde mit dir nicht über die Beziehung zu meinem Bruder diskutieren. Meine einzige Antwort soll meine Gegenfrage sein. Weshalb lässt du dich so von ihm führen?“ Der Schwäche nah, sich der wieder aufbegehrenden physischen Pein hinzugeben, schluckte er hart. Sein Herz schlug unerbittlich fordernd gegen seine Brust. Es verlangte nach Blut und sehnte sich nach Liebe. „Du bedeutest ihm viel, Xei. Mehr als mir lieb ist und mehr als er zu schätzen weiß. Beende deine Qual und stille deinen Hunger. Er wartet nur auf den ersten Schritt von dir. Er wollte für dich wieder alles sein, was du brauchst. Er will nicht mehr, als sich dessen wieder gewahr werden. Tue ihm den Gefallen und schenke dir selbst Frieden.“ „Du sprichst davon, als ob es nichts wäre, sich vollkommen in die Hörigkeit zu begeben.“ „Ist es nicht dein Verständnis von Liebe? Hingabe, bis zuletzt? Den Lohn dafür, seine Zuneigung, hat er dir versagt, um jedes andere Gefühl in dir zum Schweigen zu bringen. Er will dich, vollends. Folge seinem Ruf, wie du es immer tatest. Ich hoffe, dass mein Bruder genug von seiner Demonstration hat. Denn andernfalls weiß ich, dass du dem ein Ende setzen würdest. Eines, das in Blut münden würde.“ „Langsam begreife ich, weshalb eure Vertrautheit so umfassend ist. Du scheinst tief in Herzen lesen zu können.“ „Nein, sei versichert, dass es mehr als nur Schein ist. Ich hasse dich, gleichsam wie du mich. Meine Eifersucht ist nicht minder denn deiner. Aber ich weiß, wann ich verloren habe und auch, wann es sich lohnt zu kämpfen und wann nicht. Deine Eifersucht hingegen ist todbringend.“ Wie recht sie damit hatte. Mit allem. ~ Hallo zusammen! Diesmal kürzer, dafür früher ^^ Ich hoffe der Blick in die Vergangenheit ist gelungen und macht neugierig auf die Zukunft ^.- Wünsche euch eine schöne Restwoche! Liebe Grüße, Teedy ~ Kapitel 22: Macht ----------------- 22. Macht Geduldig wartete er in dem beschaulichen Lesezimmer des Prinzen. An dessen Gemach zu klopfen wagte er nicht. Werder wollte er seinen Bruder verstimmen, noch etwas sehen, was ihn mit Schmerz erfüllen würde. Im Grunde glaubte er nicht, dass sich Luc Iven erneut so schnell hingeben würde. Aber das Risiko den Störenfried zu geben war zu hoch. Müde folgte er dem Spiel der Flammen im Kamin. Er fühlte sich schwach und ausgelaugt. Inständig hoffte er, dass Iven an ihn und seine Abhängigkeit denken würde. Er brauchte Blut. Jede weitere Stunde erfüllte ihn mit körperlichem Schmerz, den er gut zu verbergen wusste, der aber dennoch allmählich die Oberhand gewann. Wenn die Qual nicht bereits so gegenwärtig wäre, könnte er in dem mit warmen Schaffell überzogenen Sessel einschlafen und Erholung suchen. Eine, die er dringend brauchte, um wieder klare Gedanken fassen zu können, bevor ihn das Chaos seiner Emotionen endgültig in den Abgrund führte. Erneut griff seine Hand an den Bauch. Er hatte das Gefühl von innen heraus verzehrt zu werden. Körperlicher Schmerz, der dem in seinem Herzen gleich kam. Mühevoll kämpfte er den neuerlichen Krampfanfall nieder. Keuchend rang er nach Luft und suchte in den orangen Flamen einen Fixpunkt, um sich zu beruhigen. „Xei?“ Hoffnung erfüllte den Weißhaarigen. Tapfer schob er den Schmerz beiseite. „Iven. Ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest.“ Der Prinz trat auf ihn zu. Im Schein des Feuers wirkte er auf Xei genauso verführerisch wie Furcht einflößend. „Luc meinte er bräuchte Zeit, um seine Zweifel zu zerstreuen.“ Ivens Augen funkelten gefährlich. „Ich bin froh, dass ihr nunmehr zueinander gefunden habt.“ Erneut befielen den Weißhaarigen Krämpfe. Unter großer Anstrengung verbarg er seinen Schmerz. „Tatsächlich.“ Wieder diese Bedrohung. Diesmal in Ivens Aura. Oder war es nur sein Verstand, der von Pein umnebelt nicht mehr klar sah? „Du musst sehr geschwächt von der Reise sein. Du kamst nicht ein Mal von deiner Suche wieder, um dich zu stärken. Deine Augen schimmern bereits silbern. Ich hoffe ich habe dich nicht zu lange warten lassen.“ Einladend legte Iven seinen Hals frei und öffnete die Arme. Ja, er hatte zu lange auf Blut verzichten müssen. Doch der Wunsch Luc zu finden war mächtiger gewesen als der Durst. Als Xei aufstand, versagten seine Beine. Mühelos fing Iven ihn auf. „Du hättest nach mir schicken sollen.“ Xei schüttelte den Kopf. „Nein. Ich wollte nicht stören.“ „Und dies obwohl du dir sicher warst, dass zwischen Luc und mir nichts geschehen würde. Denn anderenfalls hättest du keinen Grund gehabt, hier auf mich zu warten.“ Der anklagende Unterton besorgte Xei. Zweifelnd suchten seine silbernen Augen nach Antworten und versagten an Ivens Schönheit. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten oder an etwas anderes denken, als den süßen Geschmack von Blut in sich einzusaugen. Liebevoll strich seine fahle Hand über das makellose Gesicht des Prinzen. Dann verschwand sie in dessen Nacken und er grub seine Zähne begierig in den angebotenen Hals. Verlangend drückte er sich an den dargebotenen Körper. Heftig schlug sein Herz gegen das seines Bruders. Er genoss die Vertrautheit und das pulsierende Gefühl, das seinen ganzen Leib nun warm durchströmte. Langsam füllten sich seine Adern mit Leben, sein Körper mit Kraft. Verlockend kam er der Erfüllung seiner Sehnsucht näher. Plötzlich wurde er mit einem Schlag aus der Umarmung verbannt. Schmerzhaft prallte er durch die Wucht des Angriffs an die hinter ihm liegende Wand. Schwer rang er erschrocken nach Atem. Seine Augen waren noch blind vor Verlangen. Nur langsam viel der Schleier der Lust und gab der Enttäuschung Raum, die sich sogleich mit qualvollem Hunger bemerkbar machte. Bevor er verstand was geschehen war, wurde er unbarmherzig am Hals gepackt und gegen die Wand gedrückt. „Was habt ihr zusammen getrieben? Deine süßen Worte haben Luc vollkommen betört und vereinnahmt. Was ist das zwischen euch?!“ Ivens Stimme schnitt tief in Xeis Bewusstsein. Nun verstand er. „Nichts. Ich habe ihn dir gebracht, so wie du es wolltest. Wenn ich etwas anderes im Sinn gehabt hätte, dann wäre ich mit ihm wohl kaum zurückgekehrt.“ Der Zorn in Ivens schwarzen Höhlen machte Xei Angst. Gleich was er sagte, Iven hatte sein Urteil längst gefällt und er würde es rücksichtslos vollstrecken. „Und du erwartest, dass ich dir das glaube? Hast du mir nicht selbst offenbart, wie viel dir an ihm liegt? Dass du versuchen würdest, ihn für dich zu gewinnen. Dass du dich für ihn, gegen mich wenden würdest?!“ Xei schluckte. Ivens verletzter Stolz wurde ihm nur allzu gut bewusst. „Du verdrehst die Tatsachen, Bruder. Ich hatte nur auf mein Recht bestanden, um ihn zu werben, wie jeder andere hohe Adelige. Luc liegt mir am Herzen, ja. Aber ich hätte mich nur gegen dich gewendet, um ihn vor dir zu beschützen, nicht um dir zu schaden.“ Der Blick des Prinzen blieb vernichtend. „Bei all deinen Ausflüchten hast du es offensichtlich versäumt wahrzunehmen, dass es mir nicht mehr um Rache, sondern um Liebe ging! Wohlgemerkt, weil du mich dazu gebracht hast, meine Gefühle für ihn zuzulassen. Und nun hintergehst du mich, verdrehst ihm den Kopf und entziehst ihn mir!“ Xei versuchte sich aus Ivens unnachgiebigem Griff zu befreien. Erfolglos. „Das ist nicht wahr. Dein Wohl war immer meine oberste Priorität. Und wenn du von deinem Stolz nicht so verblendet wärst, würdest du es sehen!“ Taub für Xeis Verteidigung raunte der Prinz gefährlich, „du bist anmaßend. Ich hatte dich gewarnt. Komm mir nicht in die Quere“. Der Druck an seinem Hals ließ nach und er sackte zu Boden. Gleich darauf wurde er von zwei Wachen gepackt und grob in die Höhe gerissen. Xei keuchte auf. Es gab kein Entkommen mehr. Er musste die Willkür ertragen, die nun folgte. „Was hast du vor mit mir?“ Trotz der Furcht vor Ivens Grausamkeit, gab er sich nicht die Blöße Schwäche zu zeigen. Fest hielt er dem eisigen Blick des Prinzen stand. Er wagte einen letzten Versuch. „Bei all deinem Zorn, hegst du keine Gefühle mehr für mich?“ Seine Stimme klang flehender als er wollte. Der Gedanke daran, Ivens Zuneigung für immer verloren zu haben, erfüllte ihn mit Panik. Wie sollte er ohne dessen Liebe leben? Kurz schlich sich milde in die schwarzen Augen. Dann legten sich die kalten Lippen des Herrschers hart auf die seinen. Der Kuss hatte nichts Gefühlvolles an sich. Er schmeckte bitter und hinterließ ein Gefühl der Machtlosigkeit. „Keine Sorge, ich werde dich nicht töten oder von mir stoßen. Du wirst von mir soviel Blut erhalten, dass es zum Sterben nicht reicht, zum Leben aber nicht genug sein wird. Solange, bis du dich an deine Treue erinnerst. Sperrt ihn weg!“ Ruckartig wurde er nach draußen gezerrt. Das Urteil war grausamer als der Tod. So, wie es Iven stets war. Die Nächte vergingen, ohne dass Luc Xei zu Gesicht bekam. Seit ihrer Ankunft schien der Weißhaarige erfolgreich seine Gegenwart zu meiden. Lange konnte Luc Iven nicht mehr hinhalten. Zudem hatte er das Gefühl in seinen Vorsätzen immer schwächer zu werden, der Wankelmut zu verfallen. Sein Hass bröckelte, während die Sehnsucht nach Erfüllung gierte. Er brauchte Xei. Als Gegenspieler, als Schein in der Düsternis, als Trumpf. Der Jäger in ihm musste zum nächsten Schlag ausholen, bevor er sich selbst einen Strich durch die Rechnung machte und Mitgefühl und Liebe die Dominanz erlangten. Unbemerkt verfolgte er wachsam jeden Schritt des Prinzen. Doch dieser schien keine Anstalten zu machen Xei aufzusuchen. Argwohn beschlich den Jäger. Irgendetwas stimmte nicht. Brauchte Xei nicht Ivens Blut zum Leben? „Was suchst du, Luc?“ Der Angesprochene drehte sich erschrocken um. Er war nicht umsichtig genug gewesen. Sorge hatte seine Vorsicht getrübt. Nun war es einerlei. Iven hatte ihm Wahrheit zugesichert. Wie viel würde sich nun zeigen. „Ich suche Xei. Bereits seit Nächten hat er sich nicht blicken lassen.“ Ein Lächeln, mehr kalt als warm, umspielte die feinen Züge des Prinzen. „Genügt dir meine Gesellschaft nicht?“ Die Worte sollten betroffen und liebevoll klingen. Doch Luc erkannte den beißenden Unterton. Xeis Abwesenheit war sicher kein Zufall. Iven wusste genau wo Xei war. Und auch, warum dieser ihn nicht aufsuchte. „Ich hatte mich nur gewundert. In der Nacht, in der er mich überzeugte zurückzukehren, hatte ich das Gefühl, dass auch ihm daran gelegen wäre.“ Ein kurzes Funkeln in den schwarzen Augen bestätigte Luc die Vermutung. Hatte er es etwa bereits geschafft, Iven gegen Xei aufzubringen? So sehr, dass der Prinz sie trennte? „Du solltest deine Zeit nicht damit vergeuden ihn zu suchen. Er kommt einer Schuldigkeit nach und wird sicherlich noch eine Weile fern bleiben.“ „Dann hast du ihn fort geschickt?“ Misstrauisch beäugte der Dunkelblonde den Vampir. „Ohne deine Gunst, kann er nicht lange leben. Also verzeih, dass ich dir nicht glaube.“ „Wer sagt, dass ich ihm weiterhin meine Gunst gewähre? Vielleicht habe ich ja aufgehört, sein Leben zu bewahren“, entgegnete Iven ruhig. Luc stutze. Besagtes konnte unmöglich den Tatsachen entsprechen. Er musste hinter die Beweggründe des Prinzen kommen. „Was soll das, Iven? Hattest du mir nicht Wahrheit versichert? Und nun lässt du mich eine Lüge nach der nächsten glauben.“ „Ist es denn von Belang? Du sagtest selbst, dass du ihm vertraust und deshalb bleibst. Es ist demnach gleichgültig, ob ich Wort halte.“ Er hatte es also bereits geschafft Iven zu kränken. Zu viel vielleicht. Noch durfte er Xei nicht an Ivens Stolz verlieren. „Du machst es dir zu einfach, Iven. Wieso bist du so aufgebracht?“ „Das fragst du noch? Seit Nächten hältst du mich hin. Selbst meine Nähe scheint dir zuwider zu sein. Bei jeder Annäherung gehst du auf Distanz. Deine Küsse, sofern du sie mir zugestehst, schmecken schal. Dein Blick für mich ist leer. Deine Zuneigung erkaltet.“ Er musste reagieren. Ivens Zweifel zerstreuen. „Es ist nun mal nicht einfach für mich. Ich habe alles verloren und sogar meine Berufung für dich geopfert. Mein Herz klagt mich jeden Tag aufs Neue an, dass ich mein eigenes Blut verrate, indem ich mich für dich entschieden habe. Jeden Tag verbringe ich bei dir, in der Dunkelheit. Ich ertrage den Anblick von den Bestien, die meine Familie auf dem Gewissen haben. Stumm erleide ich ihre Anwesenheit, obwohl ich Jahre damit zugebracht habe Vampire zu töten. Ich sehe Diener mit Bisswunden, die bereitwillig deinem Willen folgen, dir in völliger Selbstaufgabe zu Diensten sind. Ständig frage ich mich, ob ich auch so enden werde. Ob mein Schicksal, trotz meiner Stärke, nicht schon längst besiegelt ist. Ich sehe deine Häscher, wie sie vor Sonnenaufgang mit Blut an den Händen wiederkehren. Sie machen sich einen Spaß daraus, mir ihre blutigen Zähne zu präsentieren. Blut von Unschuldigen, die ich vielleicht hätte retten können. Alles an diesem Ort beschert mir Qualen!“ Bittend griff Lucs Hand nach Iven. „Xeis helles Wesen hat mich beschwichtigt. Mir dabei geholfen, mehr als nur Ungeheuer in euch zu sehen. Jetzt wo er fort ist, bin ich mir nicht sicher, ob meine Seele dieses Opfer für dich noch länger erträgt. Ich leide Iven, freiwillig. Wegen dir, um uns eine Chance zu geben. Verlange nicht auch noch, dass ich mich alleine in dieser Dunkelheit zu recht finde.“ Er fühlte sich schmutzig. Wäre Besagtes doch nichts als Lüge und niemals ausgesprochen gewesen. Einzig Ivens Reaktion bestätigte Luc richtig gehandelt zu haben. Traurig schloss der Vampir den Dunkelblonden in seine Arme. „Bitte verzeih mir. Vergib meinen Egoismus. Ich habe nur meinen Schmerz gesehen und nicht auf deinen geachtet. Es ist neu für mich, meine Bedürfnisse zurückzustellen.“ „Ist es dir so unerträglich, Xei bei mir zu wissen?“ Geduldig wartete der Jäger auf eine Antwort. Der Prinz schien sich genau zu überlegen, was er preisgeben wollte und was nicht. „Ja, aber noch mehr, dass er es im Gegensatz zu mir vermag, dir die Dunkelheit zu nehmen, von der du sprichst. Ihr scheint euch mühelos nah zu sein.“ Die verletzlich klingenden Worte bekräftigten Lucs Sorge um Xei. Vielleicht hatte er des Prinzen Ehrgefühl unterschätzt. „Was hast du getan, Iven?“ „Wir hatten einen Disput, dessen Resultat meine Konsequenz war. Ich habe ihn in den Kerker sperren lassen. Wenn es dein Wunsch ist, dann trachte ich nicht länger nach Bestrafung. Ich werde ihn frei lassen, aber nicht heute.“ Luc verstand den Aufschub nicht. „Weshalb nicht gleich?“ „Ich habe meine Gründe. Morgen, bevor die Sonne untergeht. Finde dich mit meinem Beschluss ab.“ So war das also. Iven gab nach, ohne dabei gefällig zu sein. Der Prinz schenkte Xei die Freiheit, wann und wie er es wollte. Luc hatte sich zu sicher gefühlt. Iven war längst nicht bereit dazu, für seine Liebe Opfer einzugehen. Viel zu sehr hielt der Prinz an seiner Autorität fest und präsentierte seine Macht. Womöglich war es ein Fehler gewesen, sich so lange zu zieren. Anstatt mit Scheu hätte er Iven mit Leidenschaft einfangen müssen. Er würde seine Vorgehensweise ändern. Etwas tun, das Iven einfach aus seiner Reserve locken musste. „Dann sehen wir uns morgen.“ Luc ging ohne weiteres. Ivens Härte verdiente keine weitere Zuwendung. Die ersten Sonnenstrahlen lachten vorwitzig am Morgenhimmel, als Luc der strahlenden Schönheit kurzfristig Adieu sagte und sich in die dunklen Gewölbe aufmachte, die zu den Kerkern führten. Bedächtig ging er durch die von Fackelschein rußgeschwärzten Gänge. Er würde sich Ivens Anordnung widersetzen und vielleicht noch einen Schritt weiter gehen. Ein junger stämmiger Mann versperrte Luc den Weg, als er den Eingang zu den Verliesen erreichte. „Bringt mich zu Xeis Zelle und sperrt auf.“ Unsicher blickte ihn der Wachmann an. „Ich weiß nichts von einem Besucher. Bitte verzeiht Herr, aber es ist strengstens untersagt Unbefugten Zutritt zu verschaffen.“ Luc lachte schallend. „Nun, ich bin gütig und verzeihe sicher. Ich bezweifle aber, dass der Prinz meine Milde teilt. Ich komme in seinem Auftrag.“ Röte schlich sich in das kantige Gesicht seines Gegenübers. „Bedaure. Mir ist euer Stand hier wohl bekannt. Aber ich habe meine Anweisungen und ich weiß nichts von einem Befehl, euch zu Xei zu lassen.“ „Schon einmal nach draußen geblickt? Es ist Morgen. Der Prinz pflegt zu dieser Stunde zu schlafen und schickt daher mich. Aber bitte, wenn ihr meinen Worten keine glauben schenken wollt, dann weckt ihn und erkundigt euch.“ Der Mann blieb stur. „Nun, das werde ich, heute Abend.“ „Dann ist es zu spät. Es hat seine Gründe, weshalb er mich zu dieser Stunde schickt. Ich rate euch mir Folge zu leisten oder ihr werdet es bitter bereuen.“ Ein Hauch Furcht legte sich in die hellbraunen Augen. „Bitte glaubt mir, dass ich gerne tun würde, was ihr verlangt. Aber jeder könnte mir diese Worte als Wahrheit verkaufen. Nie würde ich es wagen des Prinzen Ruhe deswegen zu stören.“ Luc seufzte. „Ihr wisst wer ich bin. Auch was ich bin?“ Der Wachmann nickte. „Und warum glaubt ihr, dass ich, als ein Elitejäger der Garde, davor zurückschrecken würde, euch, einen einfachen Wachmann, zu töten, wenn ich etwas im Schilde führen würde? Wenn ich Xei gegen den Willen des Prinzen befreien wollte, wäre er längst nicht mehr hinter Gittern. Zudem, wo sollte ich schon mit ihm hin? Es ist Tag und die Sonne ist ein größerer Aufpasser als ihr es seid. Wäre es anders, würdet ihr wohl kaum alleine die Verantwortung tragen. Denkt ihr nicht?“ Das Gesicht des jungen Mannes hellte sich merklich auf. „Nun gut, ich bringe euch zu ihm.“ Xei schien der einzige Gefangene dieser Tage zu sein. Einzig durch diese eine Tür brach sich ein feiner Lichtstrahl von warmem Kerzenlicht. Die Schlüssel klapperten und mit lautem Knarzen wurde die massive Eichentür zu dem modrigen Verlies geöffnet. Luc erschrak über Xeis Anblick. „Lasst uns allein.“ Schweigend zog sich der junge Mann zurück. Langsam trat Luc näher. Der weißhaarige Vampir kauerte auf dem klammen Boden des Kerkers und schien durch den Jäger hindurch zu sehen. Seine Haut glich empfindlichem Organza. Sein Gesicht war eingefallen und beinahe farblos. Die Augen starrten gerötet ins Nichts, wodurch der silberne Schimmer in ihnen nur noch unheimlicher wirkte. Die zitternden Hände wurden von Fesseln an der Wand gehalten und boten die einzige Stütze, die den ausgelaugten und zerbrechlichen Körper festhielt. Der hilflose Anblick schmerzte Luc. Genau wie damals in der Kirche hatte er den Wunsch dem Weißhaarigen zu helfen, dessen Leid zu lindern. Sachte kniete er sich zu ihm. Wie ein erschrockenes Tier löste sich Xei plötzlich aus seiner Apathie und zuckte zurück. „Ich bin es. Luc.“ Außer Hunger sprachen Xeis Augen Wahnsinn. Wirr huschten sie von einer Richtung in die nächste. Luc war sich nicht sicher, ob Xei noch bei Verstand war. „Sieh mich an. Ich bin hier.“ Statt mit einer Regung antwortete Xei mit einem durchdringenden Schmerzensschrei. Der Körper des Weißhaarigen bebte und er zog sich, soweit es die Ketten zuließen, wie eine Kugel zusammen. Mitleidig schloss Luc den Gefangenen in seine Arme. Vorsichtig ließ er seine Hand über das feine Haar streichen. Allmählich schien der Schmerz zu weichen und Xei beruhigte sich. „Was hat er dir nur angetan?“ Der Wahnsinn in Xeis quecksilbernen Augen verschwand und machte nunmehr einer unsagbaren Traurigkeit platz. Die Worte des Vampirs klangen matt. „Luc. Wieso bist du hier? Du solltest ihm nicht zürnen.“ „So wie du meinst du? Ich habe keine Furcht vor ihm.“ „Das solltest du aber. Auch wenn er dich liebt, so bietet dir dies keinen Schutz vor seiner Grausamkeit.“ Xei unterdrückte einen neuen Aufschrei, doch das gepresste Stöhnen verlieh dessen Worten nur allzu gut Gestalt. „Sorge dich nicht um mich. Ich habe nicht vor, deine Erfahrung zu teilen. Wie lange kannst du leben ohne“, Luc stockte. „Ohne Blut meinst du? Hm, Leben würde ich das hier nicht nennen.“ Xei keuchte schwer bevor er fortfuhr. „Eher überleben. Existieren in einem ewigen dahinvegetieren.“ Der Kopf des Vampirs deutete schwach auf einen Kelch, der unweit neben ihm stand. Luc begriff. Iven gab Xei nur soviel Blut wie dieser brauchte, um nicht zu sterben. „Ich verstehe das nicht. Als ich dich damals geschwächt und dem Tode nahe zu ihm brachte, hatte ich das Gefühl, dass seine Sorge und Liebe für dich unendlich ist. Wie kann er dich da seit Tagen diese Folter erleiden lassen? Es ertragen, dich so zu sehen?“ Schwach setzte Xei zum Sprechen an. Jedes Wort schien ihm Schmerzen zu bereiten. „Dass er mein Leid befehligt hat, heißt nicht, dass er es ertragen kann mich so zu sehen. Er schickt mir stets nur diesen Kelch. Mehr nicht.“ „Dann ist er feige“, spie Luc aus. „Nein, nur zu Stolz. Sein Stolz war es, der mich verurteilte und sein Stolz ist es, der ihn mir fern hält. Er würde sich nie eingestehen, dass er zu hart war. Mitleid ist nichts, was er sich gerne erlaubt. Mitgefühl in Erbarmungslosigkeit nicht existent.“ Luc wollte kühl sein Vorhaben durchziehen, doch er fühlte sich schuldig. Ein Vergehen zu planen war das eine, das Ausmaß davon in vollem Schrecken zu erleben, das andere. Wie bereits früher wurde sein Beschützerinstinkt von Xei wach gerufen. Jede Faser in ihm wollte den Weißhaarigen nur in Sicherheit wissen. Eindringlich rief er sich zu Räson. Er durfte sich nicht von der Sanftmut beherrschen lassen. Er verstand nur zu gut, dass sich Iven vor dieser Schwäche schützen wollte. Zärtlich strichen seine Finger über Xeis fast transparente Haut. Bei jeder Berührung zuckte der Vampir zusammen. Er würde beides tun. Xei helfen und seine Rache vorantreiben. „Ich werde dich befreien, dein Leid lindern.“ Trotz des Schleiers, der den Geist des Vampirs mit Irrsinn umhüllte, schien dieser die Bedeutung hinter den Worten des Jägers zu begreifen. „Nein, bitte tu das nicht. Weder führt dich dein Herz auf diesen Weg, noch kann ich dieses Geschenk in der Hilflosigkeit annehmen.“ „Es ist mein Herz und die Hilflosigkeit ist es, die ich beenden möchte.“ „Dann erhöre mein Flehen, wenn nicht meine Bitte. Ich kann den Hunger in mir nicht bezwingen. Nicht in diesem Zustand. Wenn sich der Geschmack von Blut jetzt auf meine Lippen legt, würde ich mich auf dich stürzen und töten.“ Luc schüttelte den Kopf. „Nein, das glaube ich nicht. Iven hat mir bereits bewiesen, dass ihr den Hunger kontrollieren könnt. Er hat mich gebissen, ohne mich auszusaugen oder zu wandeln. Selbst das Knüpfen eines Blutbandes hatte er beim Schaffen der Male kontrolliert verhindert. Er sagte, dass nur die Liebe euch zähmen kann. Du bist nicht weniger stark als er. Ich vertraue deiner Liebe, Xei, und gehe das Risiko ein.“ Tränen rollten über Xeis eingefallene Wangen. „Ja, ich liebe dich, Luc. Und dennoch, ich leide lieber bis ans Ende der Welt, als dich in Gefahr zu bringen.“ Die Gefühle des Anderen trafen Luc tief. Sie berührten sein Herz und verdrängten kurz den Hass. Er musste sich beherrschen, sein Ziel klar vor Augen behalten und entsprechend agieren. Hier ging es einzig um Auflehnung, der Demonstration von Stärke. „Ich fürchte die Gefahr nicht. Ich habe mich entschieden.“ Wieder umarmte der Jäger den zitternden Körper. Doch diesmal schmiegte er seinen Kopf auf Xeis Schulter, so dass sein Hals dem Vampir schutzlos präsentiert wurde. „Nein!“, stöhnte Xei auf. „Ich vertraue dir.“ Zur Bekräftigung drückte Luc den Kopf des Vampirs an seinen Hals. Er konnte spüren, wie sich alles in Xei aufbäumte. Der Vampir kämpfte. Jede Faser schien sich zu spannen und wehren zu wollen. Erfolglos. Das Tier gewann. Die scharfen Zähne des Vampirs gruben sich in seinen Hals. Der Biss raubte Luc den Atem. Nach dem Schmerz fing ihn eine Woge aus Verlangen ein. Er war darauf vorbereitet gewesen, bereit den Kampf aufzunehmen und sich nicht von den Emotionen mitreißen zu lassen. Intensiv dachte er konzentriert an Ivens Augen. Schwarz wie der Onyx des Rings. Zwei Raben, als Boten des Todes. Die aufflackernde Leidenschaft wurde sogleich von seinem Hass weggewischt. Schwindel überkam ihn und er hatte das Gefühl zu fallen. Schwerelos der Vollkommenheit entgegen zu treiben. Er durfte dem nicht nachgeben. Süß lockte die Erfüllung. Er musste standhaft bleiben, die Situation kontrollieren. Daran denken, weshalb er so weit ging. Iven. Ein kleines Opfer seiner Selbst, für dessen Vernichtung. Dunkelheit ergriff ihn und sein Geist verstummte. „Luc?“ Sorgenvoll musterte der Vampir den Dunkelblonden, der bewusstlos auf seinem Schoß zusammengesunken war. „Wärter!“ Ein junger stämmiger Mann öffnete die Tür der Zelle. „Mach mich los, bevor ich die Beherrschung verliere und nicht nur die Fesseln sprenge, sondern auch deine Wenigkeit zerreiße!“ Zitternd trat der Mann näher. Sein entsetztes Gesicht war von Furcht gebannt. „Der Prinz wird mir das niemals verzeihen. Möge Gott meiner gnädig sein.“ „Du tust gut daran, um seine Gnade zu bitten, denn der Prinz wird sie dir gewiss nicht gewähren.“ Der Wärter schluckte hart. „Mach mich los und ich sorge dafür, dass dir kein Leid geschieht.“ Panisch huschten die hellbraunen Augen über den ohnmächtigen Körper des Jägers. „Gut, schlimmer kann ich es ja wohl kaum mehr machen.“ Der junge Mann schickte sich an die Fesseln zu lösen. Als er Xeis Haut dabei berührte schreckte er zurück, als ob er sich verbrannt hätte. „Was ist?“ Durchdringend blickte Xei in das kantige Gesicht. „Nichts, Herr. Bitte starrt mich nicht so an. Ich habe das Gefühl meine Seele in euren Augen zu verlieren.“ „Ich habe kein Interesse an deiner Seele, aber an meiner Freiheit.“ Nickend fuhr der Wächter fort. Die fallenden Ketten waren wie Musik in Xeis Ohren. Behutsam richtete er sich mit Luc im Arm auf. Neugierig musterte die Dienerschaft in den Korridoren die weiße Gestalt, als diese mit dem Jäger im Arm, zu dessen Gemach schritt. Die folgenden Augen sprachen still von Ehrfurcht von Bewunderung. In Lucs Räumlichkeiten angelangt, bettete der Vampir den reglosen Körper sachte zu Ruhe. „Schlafe mein Liebster. Du musst wieder zu Kräften kommen.“ Ein gehauchter Kuss ließ Luc leise seufzen. „Ich werde über dich wachen.“ Die Sichel des Mondes läutet die Nacht endgültig ein. Lucs Erschöpfung war der Stärke gewichen. Sein Körper war wieder bei Kräften, sein Geist hingegen immer noch in Morpheus Reich gefangen. Xei konnte nicht mehr länger zuwarten. „Luc, hörst du mich?“ Leicht gaben die Augenlider grüne Seen preis. „Xei?“ Lucs Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „Ich muss zu Iven, um ihn zu unterrichten, bevor er es auf eine andere Art erfährt.“ Lucs Rachen war trocken und brannte. Sein Inneres bat nach mehr Ruhe und seine Sinne verlangten nach Führung. Verwirrt suchte er Antworten in glänzendem Kristall. Hatte er nicht eben Xeis Stimme gehört? Das Fließen von klarem Wasser? Der Schein wich und die Schwärze forderte ihn zurück. Schwarz wie die Nacht. Der Onyx. Iven. Im zarten Mondschein wirkte die dunkle Silhouette, die in der Mitte des imposanten Gartens stand, anmutig und edel. Nichts zeugte von der Grausamkeit, die in der Schönheit wohnte. „Iven!“ Der angesprochene drehte sich überrascht um. Die erwartete Wut blieb aus. Stattdessen sprachen die feinen Gesichtszüge Erstaunen und Neugier, bevor sie hinter einer gelassenen Maske verschwanden. „Anscheinend hat Luc es vorgezogen sich mir zu widersetzen.“ Die Worte klangen schlicht, ohne Schärfe. Xei schloss die Distanz zu dem Prinzen. „Ich bitte dich, vergib seinen Ungehorsam. Wenn du Vergeltung brauchst, dann übe sie an mir.“ Liebevoll glitten Ivens Finger über Xeis Wange. Es war, als ob es nie etwas anderes als Wärme zwischen ihnen gegeben hätte. Worte die nichts als Zuneigung kundtaten, wurden in die Stille der Nacht getragen. „Dazu müsste ich meine Hand gegen das Göttliche selbst erheben. Der Schein des Mondes, der Glanz der Sterne, alles verfällt neben dir. Dein Haar schimmert wie Perlmutt, deine Erscheinung gleicht einem hellen Opal. In den Diamanten deiner Augen wage ich mich zu verlieren. Beinahe erfüllt mich Ehrfurcht sie zu bestaunen. Dein Strahlen vertreibt jede Finsternis in mir, während mein Geist dir huldigen möchte. Eingefangen von dem Rubinrot deiner Lippen. Lass einen Dämon von dem Himmel kosten.“ Sanft näherten sich fordernde Lippen den ergebenen. Heißer Atem schlug Xei entgegen, der besänftigend seine Haut umschmeichelte. Der Kuss der folgte war gefühlvoll und leidenschaftlich zu gleich. Die Fassung des Weißhaarigen schwand in der entgegengebrachten Zuneigung. Er hatte mir Anklagen und Zorn gerechnet. Sein Handeln war auf Bitten, sein Verstand auf Verteidigung eingestellt. Die Erleichterung, die nun sein Herz umfing, war wohltuend, die geschenkte Zärtlichkeit berauschend. Gerne hätte er diesen Moment festgehalten. Langsam löste sich Iven aus dem Eingeständnis von Liebe. „Ich hätte nicht gedacht, dass Luc so weit gehen würde. Und auch nicht, dass du je mit dem Zauber menschlichen Blutes erfüllt sein würdest.“ Eine Perle stahl sich aus den Diamanten. „Ich wollte es nicht. Niemals.“ „Und Luc?“ Glück und Schmerz spiegelten sich auf Xeis Gesicht. „Ich bin mir nicht sicher. Er wollte meine Qual lindern und handelte ohne mein Einverständnis. Wissentlich, dass ich seinem Angebot nicht widerstehen konnte. Seine Beweggründe jedoch bleiben mir verborgen. Ich hoffe auf seine Liebe, Iven. Alles andere wäre eine Lüge. Doch glaube ich nicht daran. Warum er also dieses Risiko einging, von mir getötet, gebunden oder gewandelt zu werden, verstehe ich nicht. Und noch weniger, warum er seine Überzeugung opferte. Zum Glück nur diese. Sein Vertrauen in mich war unerschütterlich, grenzend an Besessenheit. Ich hätte soviel in ihm zerstören können. Die Erleichterung darüber, dass ich der Versuchung widerstand, stellte sich in mir jedoch in der Erkenntnis zurück, seine eigene Vernichtung in ihm gesehen zu haben. Ich bin mir nicht sicher, was ich in dem Augenblick des Blutrausches wahrgenommen habe, aber es war alles andere als harmlos.“ Ernsthaftigkeit legte sich in Ivens nachtschwarze Augen. „Nun, ich werde es herausfinden.“ Angst griff nach Xeis Herz. „Bitte!“ „Weshalb sorgst du dich, Xei?“ Die Unschuld in der Aura des Prinzen war grotesk. „Ich kenne deine Gnadenlosigkeit, die am meisten dann um sich greift, wenn du fühlst. Bei allem was du tust, flehe ich dich an, deine Emotionen nicht über deinen sonst so klaren Verstand zu stellen. Handle nicht wieder im Affekt, sonst würdest du es am Ende nur bereuen.“ Unmerklich neigte der schwarzhaarige Vampir seinen Kopf zur Seite. „Wie kommst du nur darauf, dass ich so etwas wie Reue überhaupt empfinden könnte?“ „Meine Antwort darauf würde mich wieder in Eisen legen, also verlange bitte keine“, gab Xei fast tonlos zurück. „Ich bestehe auf eine“, raunte der Prinz fordernd. Der Weißhaarige schluckte. Widerwillig fügte er sich. „Keine Gnade zu zeigen und grausam zu handeln, heißt nicht, dass du selbiges in ihrer Wirkung erträgst. Verlangst du wirklich von mir, dass ich weiter aushole? Dir deine Schwäche, was dieses Gefühl für dich darstellt, vor Augen führe?“ Die Wärme wich. Sehnlich wünschte sich Xei nichts gesagt zu haben. Die Sanftheit in Ivens Ausdruck war verschwunden. Den Ärger im Inneren seines Bruders konnte er nur zu gut erahnen. Er hielt dem durchdringenden Blick des Prinzen nicht länger stand, doch abwenden konnte er sich nicht. Die Macht die ihn fesselte war erbarmungslos. „Wenn du in diesem Moment nicht so bezaubernd wärst, würde ich dir zeigen, wie sehr ich dieses Gefühl verachte und wie wahrhaft grausam ich sein kann.“ Kalt griff Ivens Hand um seinen schmalen Hals. Genau wie Nächte zuvor. Unnachgiebig, dem Zorn verfallen. „Bezaubernd durch das Blut von jenem den ich liebe!“ Die Hand verschwand so schnell, wie sie gekommen war und hinterließ ein brennendes Gefühl. „Geh mir aus den Augen! Deinen Anblick ertrage ich wirklich nicht mehr.“ Ohne weitere Widerworte trat Xei gefasst den Rückzug an. ~ Hallo ihr Lieben! Diesmal hat es leider ein bisschen länger gedauert. Ich hoffe das Kapi entschädigt aber fürs Warten ^.- Grüße, Teedy ~ Kapitel 23: Herausforderung --------------------------- 23. Herausforderung Als er die Augen aufschlug, war er zufrieden und verzweifelt zugleich. Er hatte erreicht was er wollte. Eine Herausforderung an die Macht des Prinzen, die dieser nicht ablehnen konnte. Xei trank sein Blut und Iven würde wissen, dass er es ihm freiwillig gab. Gegen des Prinzen Order, als Opfer, dessen Gewicht an Zuneigung viel größer war, als alles was Iven bisher für ihn erbracht hatte. Bald würde sich zeigen, wie viel Iven im Gegenzug bereit war aufzugeben, um diese Bekundung von Verbundenheit als unbedeutend darzustellen. Der Beigeschmack von tief empfundener Abscheu über sich selbst, klebte jedoch wie Pech an seinem Triumph. Menschen starben unschuldig durch jene Tat, die er mutwillig gesucht und herausgefordert hatte. Er hatte seine reine Seele einem Vampir, einem Ungeheuer, gleich wie wundervoll es in seinen Auge auch sein mochte, angeboten. Er hätte an diesem Risiko zu Grunde gehen können. Der Tod wäre in Anbetracht der ewigen Gebundenheit an einen Vampir oder der eigenen Wandlung noch gnädig gewesen. Die Erleichterung, den Leichtsinn in Übermut geschlagen zu haben, stellte sich dennoch nicht ein. Er fühlte sich beschmutzt. Ein Teil seiner Seele war nun für immer gebrandmarkt. War Rache diese Schande wirklich wert? Trauer bahnte sich ihren Weg. Hastig scheuchte er die Emotionen weg und griff nach seinem Schwert. Er würde Ablenkung in seiner Wut, in seinem tiefen Hass auf Iven suchen. Es war sein Verschulden, dass er soweit gehen musste. Schwärze umfing ihn, als er in die kühle Nachtluft trat. Die Dunkelheit reizte sein Gemüt noch mehr. Der silberne Schein des weißen Mondes war ihm zu wider. Der romantische Glanz der Sterne, Kitsch in einer unheilvollen Welt. Er hatte es satt. Alles. Wie im Wahn schlug er mit der Klinge gegen den dicken Baumstamm der knochigen Eiche. Wild wirbelte er herum und malträtierte die schroffe Rinde von allen Seiten. Wieder und wieder. Seine Aggression schien jedoch kein bisschen zu schwinden. Die Anspannung stieg mit jedem Schlag, anstatt zu verebben. „Das ist sinnlos!“, stöhnte er bitter auf. Enttäuscht keine Befriedigung zu finden, hielt er inne. Sein Herz pochte kräftig gegen seine Brust, doch das Gefühl zu Leben war verloren. „Dann versuche es mit einem Gegner der sich wehrt!“ Diese dunkle Stimme. In Luc zog sich alles zusammen. Warum ausgerechnet jetzt? Er war noch nicht bereit für eine erneute Konfrontation. „Was ist Jäger, zögerst du?“ Der Spott stichelte. Der Zorn wuchs ins Unermessliche. Nichts würde er lieber tun, als es jetzt zu beenden. So wie er es längst hätte tun sollen. So viele Gelegenheiten und alle hatte er verstreichen lassen. Für Gefühle die es nie hätte geben dürfen. Die Disziplin des Jägers macht der Raserei des Opfers platz. Luc schrie auf, als er ohne Vorwarnung den ersten Schlag ausführte. Der Prinz parierte, wenngleich er von der Heftigkeit des Angriffs überrascht schien. „So wütend, Luc?“ Die Klingen klirrten. „Dabei wäre es an mir zu toben. Hast du überhaupt eine Ahnung, welches Wagnis du eingegangen bist? Was wenn Xei nicht soviel Stärke hätte aufbringen können?!“ Die Wucht mit der Iven seine Angriffe geschickt führte, verlangte dem Jäger alles an Kampfkunst ab. Agil bewegte er sich zwischen den Hieben und suchte aufmerksam nach einer Schwachstelle in der Deckung seines Gegners. „Hier liegt der Unterschied zwischen euch. Du machst es an Stärke fest, Xei an Liebe, der ich vertraute!“ Er traf, wenn auch nicht mit Stahl. „Darum geht es also? Du wolltest mir wehtun, so wie ich dir? Mich hintergehen und demütigen, damit wir uns in nichts nach stehen?“ Ja, genau das. Nur auf eine andere Art, als Iven annahm. Zielsicher trieb er den Vampir in die Enge. Iven mochte durch sein Wesen stärker und schneller sein. Doch in einem fairen Duell konnte der Jäger die körperliche Unterlegenheit des Menschen mit Erfahrung und Geschick aufwiegen. Gewandt und treffsicher schnitt seine Waffe in den Stoff des schwarzen Gehrocks. Die weiße Spitze darunter färbte sich rot. Iven stöhnte auf. Seine linke Hand griff unwillkürlich zur Brust. Lucs Augen flammten auf. Wenn er gewollt hätte, wäre es mehr als nur ein tiefer Schnitt gewesen. „Du scheinst meine Fähigkeiten zu unterschätzen, Vampir!“ „Anscheinend.“ Iven löste sich auf seiner devoten Haltung und schlug zurück. Freudig empfing der Dunkelblonde die Angriffe und parierte sie. „Was ist nun, willst du mir nicht antworten?!“, schleuderte Iven ihm erbost entgegen. Lucs Arm war kurz von der Heftigkeit des Schlages taub, den er eben noch abfangen konnte. Mit einer Drehung entging er dem nächsten Hieb, den Schwung nutzend, um in die Lücke in der Deckung seines Gegners zu stechen. Er traf glänzenden Stahl. Keine der Klingen wollte nachgeben. Eisern hielten beide Kontrahenten stand. „Es war so klar, dass dein Ego es nicht ertragen kann und du für jeden anderen Blickwinkel durch deine eigene Herrlichkeit verblendet bist.“ Iven keuchte. „Warum hast du es dann getan, wenn nicht um mich zu verletzen?“ Lucs Sinne waren aufs Schärfste gespannt, als er in den nächsten Angriff ging. Gefühl und kühle Berechnung führten seinen Arm. Fließend und eins mit seinem Schwert vollführte er den Schlag. „Weil ich nicht einer deiner Hörigen bin und dir keine Rechenschaft ablegen muss!“ Dumpf schlug Ivens Waffe im Gras auf. Der Sieg stärkte sein Selbstvertrauen. Er war nicht machtlos gegen den Prinzen. Triumphierend tänzelte die Spitze seiner Klinge vor Ivens Gesicht. „Merk es dir.“ Lucs Gesicht war vor Anstrengung gerötete. Er hatte ihn wieder gefunden, den Willen zu kämpfen, den Sinn seines Tuns. Er schluckte die restliche Wut und gab der Besonnenheit wieder platz. Ivens volle Stimme erklang währenddessen lachend und schien den Jäger auf eine ganz andere Art zu entwaffnen. „Gut, du hast gewonnen. Ich erwarte keine Folgsamkeit oder dergleichen mehr. Nun nimm deine Waffe runter und lass uns Frieden schließen.“ Es war reiner Hohn für sein Herz. Niemals würde er ruhen. Dennoch senkte er sein Schwert, um sein Schauspiel fortzusetzen. Als Iven näher trat, wünschte er sich für einen Augenblick, dass er alles hinter sich lassen könnte. Die anziehende Aura des Prinzen fing ihn ein und er hatte wie so oft das Bedürfnis einfach nachzugeben. Er fühlte die sanfte Hand, die in seinen Nacken wanderte und seinen Kopf zu dem des Vampirs zog. Jede noch so kleine Berührung brannte sich als Sehnsucht in seine Haut. Samtige Lippen kitzelten an seinem Ohrläppchen und jagten prickelnde Schauer über den angespannten Rücken. Ivens warmer Atem ließ ihn schwindelig werden. „Man droht mir nicht. Merk du dir das.“ Der Schauer wurde nun größer, verlor an Wohlgefühl und gewann an Angst, während die feuchte Zunge des Vampirs provokativ über seine Halsschlagader strich. Die Geste verfehlte ihre Wirkung nicht. Lucs Augen weiteten sich und die Beklemmung in seiner Brust nahm zu, verschnürt mit Hilflosigkeit. Sein Instinkt ermahnte ihn zu Flucht, bevor es zu spät war. Als sich der Prinz wieder zurückzog, blieb die Gefahr. Wie ein Mantel schien sie sich um den Jäger zu legen. Schwer und beengend. Er musste sich daraus befreien, die Oberhand gewinnen. „Du kannst es nicht ertragen die Kontrolle zu verlieren, oder?“ Kurz war er sich nicht sicher, ob Iven seine Worte im Gehen gehört hatte, doch der Prinz hielt nach einigen Schritten inne. Die wendende Kopfbewegung erinnerte Luc bis ins Detail an ein Raubtier. „Wenn du mit meiner Autorität konkurrieren willst, dann tue es. Rebelliere oder belehre mich. Aber erwarte nicht, dass ich zahm werde. Falls du jedoch einen Schoßhund vorziehst, dann geh zurück zu Xei!“ Das eindringliche Fauchen ging Luc selbst in der Entfernung durch Mark und Bein. Lange noch starrten seine grünen Augen der schwarzen Gestalt nach, bis nichts mehr, außer die einsame Nacht, zu sehen war. Er hatte das Tier nicht gereizt um nun zurückzuschrecken. Er würde die Herausforderung annehmen. Mit dem Feuer tanzen, bis er darin verbrannte. ~ So, das wars für heute. Der letzte Satz weist bereits auf das nächste Kapi hin, auf das ich mich sehr freue ^.- Danke für eure lieben Kommis und die Favo-Einträge! Lasst es euch gut gehen! Bis bald, Teedy ~ Kapitel 24: Feuer ----------------- 24. Feuer Auch wenn die Flamme der Leidenschaft eine andere war, so musste er die Wärme die sie bürgte, doch nutzen und sie mit dem Wind der Vergeltung in die gewünschte Richtung treiben. Er würde Iven in sengender Hitze an sich binden. Das Feuer schüren, solange es noch glühte. Jeder Schritt, mit dem er sich dem Roten Salon und damit Iven näherte, war wie ein Hammerschlag, der das Eisen formte. Er musste sein Herz verschließen, den Schrei seiner Seele überhören, den Widerwillen ablegen. Klare Gedanken wurden von Rauch getrübt, sein Verstand erstickt. Wuchtig öffnete er die Tür des Salons und trat ein. Empört blickten ihm die Gesichter der entsetzten Vampirdelegation entgegen. Er ignorierte sie, genauso wie seine Befangenheit. Zielstrebig ging er festen Schrittes auf den Prinzen zu. Gierig saugten seine grünen Augen jede bezaubernde Geste, jede verführerische Regung des Vampirs auf. Er ließ die Schönheit und Anziehungskraft ungehindert auf sich wirken. Sein Verlangen pulsierte entfesselt in seinen Adern. Sein Körper würde dem Begehren folgen, Befriedigung suchen und seinen Feind entmachten. Anreizend beugte sich der Dunkelblonde über den Diwan des Prinzen, jede Distanz verbannend. „Schick sie weg“, hauchte seine Stimme fordernd. Unglaube und Begierde zeichneten das anmutige Gesicht des Vampirs. Ohne seine nachtschwarzen Augen von den lodernden des Jägers abzuwenden, kam der Prinz der Aufforderung nach. „Lasst uns allein!“ Proteste wurden hinter murrenden Äußerungen versteckt. Dennoch war das Wort des Prinzen Gesetz und die Versammlung löste sich auf. Luc konnte die eisigen Blicke der Vampire auf seiner Haut spüren, als sich der Salon nach und nach leerte. Die erste Dominanz war gelegt. Er würde die Oberhand behalten, die Nacht lenken und ihre Wirkung beeinflussen. Den Versuch des Prinzen, die angespannte Atmosphäre mit Worten zu durchdringen, erstickte Luc mit einem ungestümen Kuss. Überlegen drückte er dabei Ivens Handgelenke in den weichen Bezug des Mobiliars. Er würde ihm keinen Freiraum lassen, die Möglichkeit nach Spielraum für eigene Vorherrschaft unterbinden. Der Kuss wurde stürmischer. Zügellos glitt seine Zunge in die feuchte Höhle und lockte reizvoll Verzückung hervor. Ein Stöhnen entfuhr dem Prinzen. Der angespannte Körper bäumte sich unter dem Jäger auf, nach mehr Nähe verlangend. Dirigierend führte Luc die Handgelenke des Vampirs zusammen und fixierte sie festen Griffes über dem seidig schwarzen Haar. Ungehindert wanderte seine freie Hand von Hals, über Schlüsselbein, weiter abwärts, dem störenden Stoff des Hemdes entgegen. Geschickt lösten seine Finger die Schnürung des Satinbandes und entblößten die Makellosigkeit, die darunter lag. Angetan schenkte er der zarten Haut sanfte Berührungen. Unendlich langsam wanderten seine Finger weiter, zeichneten die Umrisse der angespannten Muskeln nach. Es war liebevoll, zu gefühlsbetont. Mit einem Satz zerriss der Jäger die weiße Seide vollends. Wild bohrten sich seine Nägel in das bloße Fleisch und entlockten dem Verführten ein raues Keuchen hervor. Heiße Lippen leisteten den Krallen Gesellschaft. Ungestüm kosteten sie von der kühlen Haut, die an Hitze gewann. Spielten neckisch und fordernd mit Erregung. Der wehrlose Oberkörper des Prinzen bebte. „Luc!“ Heißer verlangte die dunkle Stimme nach Gehör. Er konnte ihren Klang nicht ertragen. Mit einem heftigen Kuss drängte er sie zurück und zwang die Zunge des Vampirs in einen wilden Kampf um Stärke. Der Kontrolle wieder gewiss, wanderte die suchende Hand tiefer nach unten, die Grenze von Stoff ausmachend und ignorierend. Der Schutz verbarg nicht die Lust, die unter ihm nach Befriedigung schrie. Eigenes Verlangen mischte sich mit Genugtuung. Mit flammenden Augen suchte er auf Ivens Miene einen weiteren Beweis der geschürten Begierde. Loderndes Grün traf auf zögernde Schwärze, die ihn fragend musterte, seine Seele enthüllte. Der Blick ging zu tief, die Hand zauderte, das Feuer schluckte zu viel Kälte. Eisig griff Hass nach ihm. Sein Herz schrie nach Erlösung. Sein Verstand diktierte Gefühle. Sein Körper zitterte. Nicht mehr vor Begehrlichkeit, sondern vor Unvermögen. Gefangen in sich selbst, unfähig, Vergangenheitsschmerz und Zukunftswunsch zu entkommen. Kaum schwand die Kraft, verflog die Überlegenheit. Ruhig wand sich der Prinz unter Lucs Unterwerfung empor, während dieser steif nach Fassung rang. Den Kampf in dem Jäger erkennend, ergriff Iven das Wort. „Fällt es dir so schwer, Sklave deiner Gefühle zu sein? So sehr, dass du mich bändigen willst, in dem Glauben, sie dir somit zu unterwerfen?“ Leer starrte Luc ins Nichts. Unnachgiebig drang die dunkle Stimme in sein Bewusstsein. Konnten die Worte nicht Lüge sein, wie so vieles zuvor? „Ich verstehe. Dann muss ich dich wieder um Verzeihung bitten. Ich hatte dich zu sehr gefordert. Bitte hör auf gegen dich zu kämpfen, nur um mir etwas zu beweisen. Ich weiß, dass du stark bist. Wäre es anders, hätte ich mir die Provokation nach unserem Kampf sparen können. Ich hatte nicht vor, dich damit in die Ecke zu treiben.“ Er musste anders vorgehen. Die Wahrheit als Waffe führen. Das Beste aus der Situation sammeln und zu einer neuen Möglichkeit bündeln. „Doch tatest du es. Es wird immer so sein, dass zuerst deine Macht kommt. Wie kann ich da meine Gefühle in vollem Umfang zulassen? Ich hatte gehofft, meine Emotionen beherrschen zu können, wenn ich die Situation kontrolliere. Ich wollte ein Stück Sicherheit. Die Gewissheit, dass auch du für mich hilflos und hingebend sein kannst. Deine Schwäche meiner gleich kommt, um somit ein Beweis der Ebenbürtigkeit zu erhalten. Die Wahrheit ist aber, dass du dich nie unterordnen wirst. Nie werden sich unsere Herzen auf einer Ebene begegnen.“ Sanftheit legte sich in die schwarzen Augen. „Du scheinst dir nicht bewusst zu sein, was ich alles für dich opfern würde.“ „Ja, vielleicht. Doch nur, weil es nichts gibt, was dir wirklich etwas bedeutet.“ Der Schmerz, welcher der Sanftheit wich, musste für heute Belohnung genug sein. Der Jäger richtete sich auf. „Solange mich mein Herz gefangen hält, werde ich mich damit abfinden müssen.“ Er hatte darauf keine Erwiderung erwartete. Der Prinz würde seine Schwäche nicht offen präsentieren. Dennoch sah er sie. Klar und lockend. Schweigend erhob er sich, kehrte Iven den Rücken und verließ den Roten Salon. Erleichtert entkommen zu sein, stürzte er in die kalte Nachtluft. Er konnte sich nicht mehr beherrschen, die Emotionen wogen schlicht zu schwer. Stumme Tränen starben auf seinen Wangen, während seine zitternden Finger krampfhaft in den fest verschränkten Armen nach Halt suchten. Wankend führten ihn seine Beine vorwärts. Der helle Mond leuchtet den Weg. Xei. Er bedeutet dir mehr, als du ertragen kannst. Habe ich recht? Ein Lächeln schlich sich verzogen auf die Lippen des Jägers. Er würde nicht mehr auf ein Opfer warten, sondern es sich nehmen. Iven das Licht stehlen. Ihm nichts als Schatten lassen. Die Leidenschaft der zwei Liebenden verzehrte ihn. Ihre Flammen waren sein Verderben. Er hätte der Neugier nicht nachgeben dürfen. Der innere Drang nach Erkenntnis, die er bereits verinnerlicht, aber nicht anerkannt hatte, rief ihn jedoch zu laut. Nun hatte er den Beweis gesehen. In aller Deutlichkeit. Seine Hoffnung war töricht gewesen. Das Sehnen, nach der Wirklichkeit des Wunsches, vermessen. Er musste endlich aufhören, an Illusionen festzuhalten. Die milde Tat des Jägers für sein Leben, war nicht mehr als Gnade. Lucs Opfer seines Selbst, lediglich ein Akt der Rebellion. Eine, die nicht einmal ihm galt. Beides geschah ohne Gefühl des Herzens. Zumindest nicht jenem, das er zum Leben brauchte. Traurig versuchte er Gesehenes zu verdrängen, angestrengt die Besessenheit in sich zu unterdrücken. Es half nichts. Bilder verschwammen, aber das Gefühl im Fegefeuer zu brennen blieb. Die kurze Verbundenheit im Blute beseelte seine Liebe mit mehr Sehnsucht, als er erleiden konnte. Die Qual des Hungers war ertragbarer gewesen als das Wissen, die eine Liebe entzogen zu bekommen, während die andere unerreichbar sein würde. Verschmäht von beiden, isoliert in stiller Einsamkeit. Die Sinnlosigkeit fesselte ihn. Er musste ihr gehorchen, bevor die Eifersucht ihre Ketten brach. Er würde dem Brand folgen, zur Flamme werden, Licht sein wie immer. Hoffnung zur Asche verfallen lassen. Geläutert der Hölle entkommen und in ihr vergehen. ~ Hallo ihr Lieben! Ich bin mal auf eure Reaktionen gespannt und freue mich besonders auf das nächste Kapitel ^.- Habt ein schönes Wochenende! Liebe Grüße, Teedy ~ Kapitel 25: Gottesruf --------------------- 25. Gottesruf Andächtig kniete die helle Gestalt im Kerzenschein auf der Gebetsbank, den Blick ehrfürchtig zu dem Kruzifix über dem Altar gerichtet. Sein Geist war vollkommen im Gebet verloren. Flüsternd trug er Perle für Perle seine Bitten sanft in das Gotteshaus. Wortgefüge, die aus tiefster Seele hoffend dargelegt wurden. Er harrte dem Morgengrauen entgegen, das erlösende Licht der Sonne willkommen heißend. „Du betest den Rosenkranz?“ Erschrocken hielten die Finger inne und das Flüstern verstummte. Zweifelnd, nicht einer Illusion verfallen zu sein, neigte er seinen Kopf zur Seite. Der Anblick ließ seinen Herzschlag für einen Moment aussetzen. „Iven! Du hast dich auf heiligen Boden begeben? Freiwillig?“ Der dunkle Schatten ließ sich neben Xei auf der Bank nieder. „Ja, ich gehe für dich freiwillig in die Hölle.“ „Wozu?“, fragte der Weißhaarige bitter. „Ich bin gänzlich überflüssig. In deinem Leben genauso wie in seinem.“ Die Beherrschung nicht aufgeben wollend, krallten seine Finger fester in die Gebetskette. Er hatte sich bereits entschieden. Er wollte seinen Frieden. „Es hat sich nichts geändert, Xei. Immer noch bist du mein Licht, ohne das ich nicht sein möchte.“ Wärme umfing sein Herz, Hoffnung seine Seele. Beides würde nur von kurzer Dauer sein. „Du kommst zu spät, Bruder. Ich habe mich für die Sonne entschieden. Gestehe mir die Güte ein, alleine meinen Frieden zu machen. Ich möchte im Einklang mit mir aus dem Leben treten.“ Dunkles Lachen brach sich als unheilvolles Echo an den steinernen Wänden des Sakralbaus. „Du weißt, dass ich nie gütig bin. Genauso wenig wie sich dir der Allmächtige zeigen wird, werde ich von deiner Seite weichen. Du begehrst der Sonne Licht? Dann folge deiner Sonne der Finsternis und lass mich nicht länger an diesem Ort um deine Gegenwart ersuchen.“ „Du willst mich dem Tod entziehen und tausende dafür erleiden lassen. Jede Nacht würde ich an seiner Liebe zu dir sterben.“ Besänftigend strichen die Fingerspitzen des Prinzen liebevoll über Xeis Wange und Kinn. „Dann sterbe für ihn und lebe für mich. Verwelke an seiner verschmähten Liebe und erblühe durch meine fordernde. Vergehe vor jeder Morgendämmerung, um im Schatten des Zwielichts für mich zu erwachen.“ „Kennst du keine Grenzen? Als Teufel in einer Kirche zu erscheinen. Du verführst mich vor seinem Angesicht zur Sünde an der Liebe selbst!“ Ein verdammendes Lächeln schlug Xei entgegen. Anziehend, einnehmend, besitzergreifend. „Verzichte auf weiteres Hadern. Richte dich auf gefallener Engel. Es gibt einen Ort, an dem deine Schwingen gebraucht werden.“ „Es ist wie damals, oder? Dein Wille lässt mir keine andere Wahl. Wieder entreißt du mich heiligen Wänden, um mich in die Gruft der Ewigkeit zu führen.“ Immer noch lächelnd, richtete sich der Prinz auf. „Ist es nicht das, was du willst und immer wolltest? Auf deinen Dogmen der Liebe entscheidungsfrei geführt zu werden?“ „Hm, du bist nicht mein Gott, nur sein Spiegelbild. Auch in dieser Hinsicht hat sich nichts geändert.“ „Dann sieh mich an und erkenne das Licht der Liebe.“ Widerstandslos wurde er nach oben gezogen. Der Kuss der folgte, mündete in Blut. Schändlich gab er sich der Versuchung hin. Tropfen für Tropfen, Kuss für Kuss. Nicht hier! Dem Appell seines Gewissens gehorchend, wand er sich mit aller Macht aus der Kraft, die ihn am Leben hielt. Keuchend fuhr er sich mit dem Handrücken über die feuchten Lippen. „Du entehrst das Haus Gottes!“ Die schwarzen Augen funkelten belustigt und herausfordernd. „Dann solltest du mir in meines folgen, bevor ich mich vergesse und jeden Stein mit meinem Verlangen entweihe.“ „Iven!“ Entschlossen griff Iven nach Xeis immer noch klammernden Hand. Die Zärtlichkeit des Prinzen befehligte. Ergeben öffneten sich die bittenden Finger und gaben den Rosenkranz frei. Perle für Perle glitt zu Boden, dumpf die Entscheidung bekundend. Wieder würde er in die Verdammnis folgen. Festhaltend, an dem Schatten seiner Utopie. ~ Ja, das Kapitel ist recht kurz, aber für mich persönlich nicht minder stark. Ich hoffe euch gefällt es so gut wie mir ^.- Schöne Pfingsten und liebe Grüße, Teedy ~ Kapitel 26: Betrug ------------------ ~ So, nach einer kleinen Urlaubspause geht es weiter ^.- Ich hoffe ihr habt Freude mit dem Kapi! Liebe Grüße, Teedy ~ 26. Betrug Winter. Die Zeit der Besinnung hält Einzug. Leise legt sich die weiße Decke auf die Erde, formt Ruhe und Frieden. Eisige Nächte weisen den Weg zum Feuer. Wärme scheitert an Resignation. Die Sehnsucht ist unerfüllt, in Kälte zurück gestellt. Traurigkeit erstarrt in der Stille. Nie war die Einsamkeit größer, der Schmerz tiefer. Winter. Zeit des Todes. Während sich der Prinz in vornehmer Zurückhaltung übte und Luc sichtlich die Zeit gewähren wollte, die der Jäger verlangte, war Xeis geschaffene Distanz beinahe unhöflich. Der Vampir verlor kein Wort über den intimen Moment des Blutkusses. Ein dem Anstand gebotenes Zunicken, wenn sie sich auf den Korridoren des Anwesen begegneten, war das einzig, was der Weißhaarige an Kontakt zugestand. Luc konnte es drehen und wenden wie er wollte. Die selbst auferlegte Nichtbeachtung des Prinzen schmerzte genauso wie jene, die er durch Xeis Verhalten selbst spürte. Während sein Verstand den einen Abstand zu schätzen wusste, arbeitete er beharrlich an einem Weg zur Gewinnung von Xeis Nähe. Er musste wieder beginnen seine Empfindungen zu kontrollieren und seine Aufmerksamkeit auf das Ziel richten. Nach stummen Nächten der Verschlossenheit hatte er sie gefunden, die Kommunikation, die das bedrückte Schweigen zwischen ihnen durchbrach und die zarte Vertrautheit zurückbrachte. „Ich glaube nicht, dass meine Hände für solches Feingefühl geschaffen sind.“ „Seit wann gibst du so schnell auf?“, tadelte der Weißhaarige. „Wirklich, Xei. Deine Mühe ist umsonst. Meine Stärke liegt im Kampf, nicht im Musizieren“, seufzte Luc. Bereits den halben Abend versuchte Xei ihm den wundervollen Klang des Cembalos näher zu bringen. Nun, die Musik erfüllte Luc durchaus mit Freude. Seine Finger weigerten sich jedoch strikt, der Schnelligkeit seiner Gedanken zu folgen. Die sonst so ausgeprägten Sinne des Jägers scheiterten an der Feinfühligkeit, die es für den Klang der Noten brauchte. Luc hatte gehofft, durch die zusammen verbrachte Zeit wieder eine Beziehung zu Xei aufbauen zu können und dass Iven im Gegenzug die gemeinsamen Lehrstunden mit diesem missbilligen würde. Alleine deshalb ließ er sich auf das Experiment ein. Nach der gewonnen Annäherung, verflüchtigte sich jedoch sein Wunsch nach Vertrautheit und ein einziger Gedanke blieb über. Er wollte Iven reizen, dessen Eifersucht schüren. Der Prinz dachte jedoch gar nicht daran, mehr in der Situation zu sehen, als das was sie war. Belustigung. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend legten sich leichte Falten um die nachtschwarzen Augen, während die Lippen verräterisch zuckten. „Dir fehlt es an Geduld, das ist alles. Als du das erste Mal einen Degen in der Hand hattest, bist du sicher auch oft gestrauchelt, bevor du einen Schlag Erfolg versprechend führen konntest.“ Xei war ein hartnäckigerer Lehrer als erwartet. „Das lässt sich nun wirklich nicht vergleichen“, wendete Luc ein. Der Vampir wirkte leicht verärgert. „Es geht hier ums Prinzip. Kein Erfolg stellt sich ohne Anstrengung ein. Langsam glaube ich, dass du gar keine Lust hast, den Flügel spielen zu lernen.“ Stimmt, die hatte er nicht. Bereits seit Stunden tat er es alleine, um bei Iven den Eindruck zu erwecken, ausgeschlossen zu sein. Stattdessen saß dieser gleichgültig in einem Sessel gegenüber, scheinbar in ein Buch vertieft. Die Schadenfreude war dennoch zu offensichtlich, als dass Luc sie weiter übergehen konnte. „Der Herr findet es wohl amüsant?“, stellte der Jäger trocken fest. Unschuldig blickte Iven zum ersten Mal an diesem Abend auf. „Nun, entweder bist du ein unfähiger Schüler oder Xei ein ungenügender Lehrer. Beides läuft auf Zeitverschwendung hinaus. Vielleicht sollte ich an seiner statt treten und dich anleiten.“ Xei überging die Anspielung gelassen. Luc hatte hingegen eine Menge dazu zu sagen. Die Worte des Prinzen klangen nur zu gut nach Vielschichtigkeit, um sie schweigend hinzunehmen. Eilig hinterfragten seine Gedanken den tieferen Sinn des Gesagten. Seine Lippen formten sich zu einer schlagfertigen Antwort, die sich prompt unter einem lauten Poltern verlor. Gehetzt stürmte ein Diener, den Luc sogleich als Dargon ausmachte, in den Raum. Unterwürfig kniete er von dem Prinzen und rang mühsam nach Atem. „Bitte verzeiht die Störung, mein Prinz. Meine Männer haben einen Soldaten der Garde gefangen genommen.“ Lucs Herz verspürte einen Stich. Davor hatte er sich immer gefürchtet. „Wir haben ihn bei der vorgetäuschten Übergabe gestellt. Der Hinterhalt flog auf, als die Dokumente übergeben werden sollte. Es kam zum Kampf. Er ist der einzige Überlebende. Seinem Auftreten nach zu urteilen, war er der Anführer der Truppe. Diese Dinge trug er bei sich.“ Dargon breitete ein Bündel mit Habseligkeit vor dem Prinzen aus. „Und das Schreiben?“ Furchtsam schüttelte der Diener seinen Kopf. „Nein. Der Gefangene hatte den Brief vernichtet, bevor wir ihn sicherstellen konnten.“ Ivens Augen funkelten erbost. Mit zitternder Stimme fuhr Dargon fort. „Ich habe ihn in den Kerker bringen lassen. Wenn er etwas weiß, dann wird er es uns vor Morgengrauen verraten.“ „Und wenn nicht?“ Es war keine Frage, eher eine Feststellung, der Bedrohung mitschwang. „Du weißt, dass mir die Informationen, die durch dein Versagen verloren gingen, äußerst wichtig waren. Mein Einfluss verringert sich und den Schlüssel zum politischen Aufschwung hast du nun leichtfertig entschwinden lasse.“ Dargon wirkte unsicher. „Ich füge mich eurem Befehl. Wie er auch lauten mag.“ „Einer von euch beiden wird morgen die Sonne sehen, je nachdem was ich bekommen und was nicht.“ Panik zeichnete nun Dargons Gesicht. „Ich flehe euch an, richtet nicht so hart über mich. Stets war ich ergeben und nur selten erfolglos. Bitte überdenkt euren Beschluss.“ Der Prinz richtete sich auf. „Du hast recht, ich sollte neu entscheiden. Du hast versagt, also warum bis zum Morgen warten?“ Mit einer raschen Bewegung wurde Dargons Kopf unnatürlich nach hinten umgedreht. Hass stieg in Luc auf. Nicht, dass er Dargons Tod bedauerte, aber die Kaltblütigkeit mit der Iven gegen seinen Diener handelte, ließ ihn wieder an seine Familie denken. Die Erinnerung bekämpfend, stand Luc auf um zu gehen. Selbst wenn er wollte, er konnte dem Gefangen nicht helfen. Solange er hier bei Iven war, musste er dessen Taten dulden und ertragen. Nicht mehr in dem verpflichtenden Dienst der Garde zu stehen, machte es einfacher, seine eigenen Interessen egoistisch zu verfolgen. Er musste stark sein. Seine Emotion verschließen, bis er zum entscheidenden Schlag ausholen konnte. Mit einem letzten Blick auf den toten Vampir wollte sich der Jäger noch einmal vor Augen führen, gegen welchen Tyrannen er zu kämpfen hatte. Im selben Augenblick wünschte Luc sich, er hätte es nicht getan. Der Leichnam verschwamm vor seinen Augen. Stattdessen zog etwas anders seine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Luc ging zu dem offenen Bündel. Die silberne Schnalle eines Lederarmbands glänzte fatal. Wie hypnotisiert griff Luc nach dem Schmuckstück. Er kannte es nur zu gut. Der Jäger wollte standhaft bleiben, doch er konnte es nicht. Der Preis war zu hoch, als dass er ihn hätte zahlen können. „Bitte, lass mich den Gefangenen sehen.“ Iven trat hinter den Dunkelblonden. Mitleidig legten sich seine Arme auf dessen Schultern. „Du kennst ihn, habe ich recht?“ Luc brauchte all seine Selbstbeherrschung, um nicht unüberlegt zu handeln. „Ich möchte sicher gehen.“ Die Hände auf seinen Schultern verschwanden. „Ich hoffe dir ist klar, dass ich keine Gnade walten lassen kann. Erspare dir besser die Wahrheit.“ Die Augen des Jägers brannten. Die Furcht vor der Wahrheit durfte ihn nicht abhalten. „Nein, die Ungewissheit wäre eine größere Qual. Ich bitte dich.“ Stumm wurde Luc von schwarzen Höhlen taxiert. Er hatte das Gefühl in einen Abgrund zu blicken. Bevor er sich verlor, rissen sich seine Augen los und fanden dankbar Xeis gütiges Gesicht. „Wie du willst.“ Die Worte schnitten abrupt in seine Gedanken. Er hatte sich nicht erlaubt zu hoffen. Das Erstaunen auf den Zügen des weißhaarigen Vampirs, spiegelte sein eigenes wieder. Schweigend gingen sie die dunklen Gänge des Kellergewölbes entlang. Das Brennen in dem Magen des Jägers wurde mit jedem Schritt unangenehmer. Er hoffte auf Erbarmen. Betete um Beistand. Flehte stumm nach einem Ausweg. Eine Wache sperrte auf Geheiß des Prinzen sogleich die Kerkertür auf. Luc stockte. Die Angst vor der Gewissheit lähmte seine Beine. Erst als ihn Iven mit einem stummen Blick aufforderte einzutreten, rührte er sich. Es wurde Luc schwer ums Herz, als er erkannte, wen die Häscher des Prinzen gefangen genommen hatten. Vernon. Es durfte einfach nicht sein. Luc unterdrückte das Zittern seiner Hände. Verdrängte die brennende Säure in seinen Augen. Konnte das Schicksal wirklich so grausam sein, ihm jedes geliebte Leben zu entreißen? Die sehnigen Arme seines Freundes waren kopfüber straff in Handschellen befestigt, die von der Decke hingen. Blutige Striemen bedeckten den nackten Rücken. Ohne Ivens warnenden Blick wahrzunehmen, ging er zu dem Gefangenen. Das Gesicht seines Freundes war von Schlägen geschwollen, die Lippen aufgeplatzt. „Vernon?“ fragte er, unsicher, ob sein Freund bei Bewusstsein war. Langsam wandte der Angesprochene Luc seinen Kopf zu. „Luc. Dann weiß ich nun, welchem Vampir ich ins Netz gegangen bin. Ich hatte gehofft, dass du mit der Freiheit, die ich dir schenkte, besonnener umgehen würdest.“ Die Enttäuschung in Vernons Stimme traf den Jäger. „Es tut mir leid, alter Freund. Ich werde alles versuchen um“. „Mach dir nicht die Mühe. Du schuldest mir nichts.“ Traurig strich Luc über Vernons braunen Schopf. „Wie kommst du nur darauf, dass ich alleine der Schuld wegen handeln würde?“ „Ist ja alles sehr rührselig“, unterbrach sie ein schlaksiger Vampir mit schütterem hellblondem Haar, der wichtig mit der Peitsche in seiner Hand wedelte, „aber wenn es euch ein Trost ist, dann erfreut euch an dem Gedanken, dass uns unser hübscher Gast nicht so schnell verlassen wird. Genauer gesagt, wird er uns bis in alle Ewigkeit Gesellschaft leisten.“ Die Panik in Vernons Augen verriet Luc, was geplant war und auch, dass Vernon längst in sein Schicksal eingeweiht war. Fragend suchte Luc in Ivens Miene nach Antworten. Ausdruckslos schenkten sie ihm lediglich ein knappes Nicken. „Wenn er nicht freiwillig oder durch Folter geständig ist, werden wir ihn wandeln. Der Hunger wird uns letztendlich jedes Geheimnis verraten.“ Luc schauderte. Er wusste, dass es für seinen Freund nichts Schlimmeres geben konnte. Dennoch würde Vernon schweigen, die Pflicht des Soldaten erfüllen, gleich den Konsequenzen. Solange, wie es dessen Kraft erlaubte. Wie ein Raubtier schlich sich Iven an Luc vorbei, um den Gefangen zu mustern. „Nun Soldat, ihr habt eure letzte Chance. Weiht uns in die Pläne des Generals ein oder werdet ein Geschöpf der Nacht und erzählt es uns dann.“ Angewidert spuckte Vernon dem Prinzen ins Gesicht. „Ich werde nie begreifen, warum ein achtbarer Jäger wie Luc seine Selbst für euch aufgeben konnte. Macht mit mir was ihr wollt, aber ich schweige!“ Während der Prinz beiläufig sein Gesicht mit einem Tuch abwischte, wies er den hellblonden Vampir mit einer Geste an, die Androhung umzusetzen. „Nein!“, schrie Luc, als Vernon auch schon von den Klauen des hellblonden Vampirs gepackt wurde. Fest griff der Jäger nach Ivens Arm, als dieser aus dem Kerker treten wollte. „Ich flehe dich an, gebiete dem Einhalt.“ Iven wand sich aus dem fordernden Griff. „Ich kann nicht, Luc. Auch nicht für dich. Wenn er nicht geständig ist, muss er sterben. Ich würde mein Gesicht verlieren, wenn ich anders entscheide.“ Das genügte. „Dann sei es so!“ Die Entschlossenheit in seiner Stimme ließ Iven und auch den schlaksige Vampir innehalten. „Gewähre ihm die Ehre im Kampf zu sterben. In einem Kampf gegen mich, auf Leben und Tod.“ „Das ist lächerlich.“ „Hast du nicht eben selbst gehört, dass er nicht sprechen wird? Ihr werdet nichts von ihm erfahren und sobald er zu einem von euch wird, würde ich nichts unversucht lassen, ihm augenblicklich seinen Frieden zu schenken. Gleich ob ich mich dafür gegen dich wenden müsste. Ich würde nicht zögern, dieses Opfer einzugehen. Wenn du dem Zweikampf zustimmst, hast du zumindest die Chance mich nicht zu verlieren und meine Bitte zu erfüllen, ohne deinem Ansehen zu schaden.“ Abschätzend wanderten schwarze Augen über Lucs Körper und blieben am eisigen Grün hängen. „Dann verlangst du im Grunde ja doch, dass ich auf mir wichtige Informationen verzichte.“ Luc trat näher und senkte seine Stimme. „Er hat mein Leben gerettet. Gegen all seine Ehre und dem abgeleisteten Schwur der Gilde zuwider. Ohne ihn, wäre ich nicht hier, sondern unter der Erde. Ich lasse dir dein Gesicht. Ich will nur die Gnade, ihn vor dem Schicksal als Vampir bewahren zu können.“ „Woher soll ich wissen, dass du nicht soweit gehen würdest, dein Leben für seines zu opfern, indem du freiwillig verlierst? Er scheint dir ja sehr am Herzen zu liegen.“ Luc schüttelte abwehrenden den Kopf. Die nächsten Worte konnten nur von Ivens Ohren vernommen werden. „Ich kenne dich. Wenn ich sterbe, würdest du ihn nicht ziehen lassen, sondern wandeln, um deinen Willen und Genugtuung zu bekommen. Denn ohne mich, wärst du frei von deiner Zusage und nicht mehr an dein Wort gebunden. Glaube mir, mein Wunsch ist es, ihm einen ehrenvollen Tod zu ermöglichen. Nichts weiter. Bitte.“ Tief wurde Luc von nachtschwarzen Augen durchbohrt. Es war als ob der Prinz auf dem Grund seiner Seele nach der Wahrheit suchte. Der Blick schmerzte und die scharfe Stimme schlug Wunden. „Du hast mein Vertrauen. Wage es nicht zu unterliegen.“ Die unangenehme Intensität wich und machte der sanften Vertrautheit platz. „Ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun sollte.“ „Nein“, versicherte Luc. Wie zur Besiegelung legte der Prinz seine Lippen gefühlvoll auf die des Jägers. „Dann hast du mein Wort, Luciel Baldur. Solange du im Zweikampf überlebst, geschieht ihm nichts.“ Es war ein zweischneidiges Schwert, doch der Jäger würde es zu führen wissen. Ernst wandte sich Luc wieder seinem Freund zu, um die Handschellen zu lösen. Der Protest den der schlaksige Vampir abgab, drang ebenso wenig in Lucs Bewusstsein, wie Ivens Zurechtweisung des Dieners. Erschöpft fiel Vernon in seine Arme. „Was hast du nur getan? Ein Zweikampf zwischen uns auf Leben und Tod? Dein Prinz hat recht. Es ist lächerlich. Ich möchte dich nicht töten, Luc.“ „Nein, ich dich auch nicht. Aber ich werde dich nicht der Verdammnis aussetzen. Ich werde deiner Seele den Frieden gewähren den sie verdient. Und du wirst Kämpfen mein Freund. Um dein Leben. Für die Gilde. Für die Ehre.“ Vernons leises Lachen klang herb. „Dann kann ich mein einstiges Versprechen doch wahr machen. Feinde, bei unserer nächsten Begegnung.“ Ein Schatten legte sich über die knienden Männer. „Soldat, ihr habt Zeit euch bis Morgen zu erholen. Luc?“ Die dunkle Aufforderung des Prinzen ließ sein Herz kurz aussetzen. Immer wieder trieb ihn Iven an die Grenze seiner Selbstbeherrschung. Luc stand auf. Jede weitere Unterhaltung würde Vernon verletzen, ihn selbst schwächen und Iven zu viel über seine Gefühle verraten. Schweigend folgte er dem Herrscher. Er tat kein Auge zu. Sein Körper zitterte fortwährend vor Kälte. Nach Wärme suchend, zog er die Decke fester um sich. Es half nichts. Die Kälte kam von Innen, strahlte nach Außen und hielt ihn steif gefangen. Sein Geist formte trostlose Bilder von Gräbern, durchbrochen von schillerndem Blutrot. Der Schmerz machte taub, die Erinnerung hoffnungslos. Entschlossen trat der Jäger in die trübe weiße Nacht. Vorwitzige Schneeflocken tanzten spielerisch vor seinen Augen. Er fühlte sich von ihnen verlacht. Der kalte Wind schien in kräftigen Böen prophetisch seinen Namen zu rufen und die Endgültigkeit anzukündigen. Die leblose Erde unter ihm war lauernd, voller Vorfreude ihn bald begrüßen zu dürfen. Mit einem beengenden Gefühl in der Brust machte er das Szenario aus. Mehrere aufgestellten Fackeln zeichneten den Kreis für das anstehende Duell. Dunkle Fratzen umringten den Schauplatz und starrten ihm neugierig entgegen. Sie schienen nur auf sein Scheitern zu warten, sich an dem Leid ergötzen zu wollen. Der Prinz schritt aus der Gruppe von Vampiren und reichte ihm ein Schwert entgegen. „Denke an dein Wort.“ Eine zugetragene Ermahnung, die nicht ganz den sorgenvollen Zweifel darin verbergen konnte. Luc atmete tief durch, als er nach der Waffe griff. Dieser Kampf würde so ganz anders werden, wie all die anderen, die er je bestritten hatte. „Denke du an deines.“ Eine kühne Erwiderung, die starre Entschlossenheit kundtat. Vorahnung schlich sich zu spät in die dunklen Augen des Vampirs. Lucs Lippen zeichneten einen Hauch von Lächeln als Bestätigung. Die Menge wurde unruhig und Luc wusste, dass es kein Zurück mehr gab. Die Schwermut mit der er seinem Freund entgegensah wurde erwidert. Dass es ausgerechnet Xei war, der Vernon die Waffe entgegen reichte, passte in Lucs perfiden Plan von Macht und Niedergang beinahe perfekt. Der Brünette schien nicht minder entschlossen, den Kampf führen zu wollen, wie er selbst. Beide sehnten ein rasches Ende herbei. „Ich werde dich zu deiner Familie schicken, Luc.“ Vernons Worte klebten mit Schmerz und Schuld belastet auf seiner Seele. Die Zeit war gekommen, Lebewohl zu sagen. „Und ich dich zu deiner Geliebten, mein Freund.“ Luc stürmte los. Er war sich sicher, dass Vernon die Bedeutung seiner Worte verstanden hatte. Stahl prallte auf Stahl. Sein Gegner schien verwirrt und unsicher. Luc schlug einen Angriff nach dem nächsten. Er zwang Vernon mit seinem Tempo regelrecht zur Aktion. Rücksichtslos ritzte er Wunden in das ungeschützte Fleisch. Die Bitte, in dem Gesicht seines Freundes, quittierte der Jäger mit Unnachgiebigkeit. „Wenn du leben willst, solltest du mehr tun, als mir nur auszuweichen oder zu parieren!“ Der Kampf in dem Brünetten war für Luc fast greifbar. Verhalten waren dessen Angriffe, zögerlich die Stiche der Klinge. „Was ist? Hast du nicht mehr zu bieten! Wenn ich dich jetzt bei einer so jämmerlichen Gegenwehr töte, hätte es nicht mehr Ehre inne, als sich von ihnen wandeln zu lassen. Kämpfe endlich!“ Vernon schien sich zu fangen. Doch die sonstige Kraft seines Freundes blieb aus. Luc hielt sich hingegen nicht zurück. Aggressiv forderte er seinen Gegner. Schlag für Schlag, die Grenze von Schonung weiter ausreizend. „Ich schicke dich zu ihr! Ob du es mir nun einfach machen willst oder nicht!“ Im Schein des Feuers glänzten die Augen des Brünetten trübe. „Wie du willst.“ Ein Flüstern, getragen vom Wind. Der Hauch des Todes, der alles beenden würde. Ein tiefer Schnitt in das Handgelenk des Jägers folgte. Lucs Aufschrei wurde von schepperndem Stahl untermalt. Schillernde Tropfen färbten den Schnee rot, während weiße Flocken das einsame Schwert auf dem Boden umtanzten. Untrüglich weilte die Spitze der Klinge des Soldaten auf Brust des Jägers. Luc schloss die Lider. Er konnte den Kummer in den braunen Augen nicht ertragen. „Zögere nicht, um der Freundschaft willen“, bat er leise. Vernons gequälter Schrei ging ihm durch Mark und Bein. Er wusste, dass der Soldat seine Pflicht erfüllen würde. Ein Surren folgt. Ein Schatten schlang sich um ihn und verhüllte die endgültige Realität. Für einen kurzen Augenblick verlor er den Boden unter den Füßen und jedes Gefühl. Das warme Kribbeln, das ihn kühl umschloss, ließ ihn seine Augen wieder öffnen. Die neu geformte Wirklichkeit stach in sein Herz. Ivens Gesichtsausdruck hatte eine Intensität inne, die liebend und verdammend zugleich war. Er hatte gesiegt. Das Risiko, sein Leben einzusetzen, war leichtfertig hoch gewesen, der Gewinn von Leben und Macht nun unsagbar kostbar. „Gebt dem Soldaten ein Pferd“, befahl der Prinz kalt. Ein Raunen ging durch die Menge, doch niemand getraute sich aufzubegehren. Die Umarmung lösend, wandte sich der Prinz dem Sieger zu. „Solltet ihr mir noch einmal unter die Augen treten, werde ich euch in die Hölle schicken, Soldat. Seht es als Versprechen, nicht als Drohung an und reitet so schnell, wie euch der Wind zu tragen vermag.“ „Gewährt ihr mir noch meine Habe und den Abschied?“, fragte der Soldat kühn. Luc war sich sicher, dass Vernon die Frage den Kopf kosten würde. Der Prinz schien den Brünetten mit bloßen Händen zerreißen zu wollen. „Ihr habt obsiegt. Lasst euch eure Sachen von Luc geben und dann verschwindet.“ Luc konnte nicht umhin, Ivens Handeln als Beweis seiner Zuneigung für ihn anzuerkennen. Schweigend verließen die beiden Männer den Platz. Das Bohren von eisigem Schwarz, brannte mehr in Lucs Rücken, als es eine Klinge je vermocht hätte. Erleichterung die gegenwärtig war, fand keinen Weg in sein Innerstes. Das Atmen schien unmöglich, jeder Luftzug wie schleichendes Gift, das ihn betäubte, wie jede Regung lähmte. Erst als sie im Inneren des repräsentativen Foyers waren, gestattet Luc sich, seinem Freund ein Lächeln zuzuwerfen, bevor er ihm das Bündel mit den Habseligkeiten übergab. „Willst du dich wirklich für alle Zeit im Reich der Toten aufhalten? Komm mit mir, Luc. Ich finde einen Weg, dein Ansehen bei der Garde wieder herzustellen.“ Traurig winkte der Dunkelblonde ab. “Ich kann nicht.“ Luc stockte. Er musste sich Vernon anvertrauen. Der Last an Gewicht nehmen. „Ich habe ihn gefunden, den Mörder meiner Familie.“ „Wer?“, fragte Vernon erstaunt. „Sagen wir, das Schicksal hat mir das zurückgegeben, was ich verdient habe. Es ist der Vampir, wegen dem ich mich selbst verraten habe. Ich habe meinen Eid der Gilde gegenüber gebrochen, meine Stellung in der Garde geopfert, meinen Mentor betrogen und meinen besten Freund von mir gestoßen. Meine Prinzipien aufgegeben und die Ehre meiner Familie beschmutzt. Alles wegen dieser absurden Liebe zu ihm. Und nun ist er mein größter Feind.“ Die braunen Augen seines Freundes blitzten auf. „Iven? Dann wirst du nun versuchen ihn zu vernichten? Willst das zerstören, wofür du soviel geopfert hast?“ Vernons Mimik war von aufrichtigem Mitgefühl gezeichnet. „Ja, ich werde meinen Schwur nach Rache erfüllen. Ich hätte meinen Gefühlen nie nachgeben dürfen. Ich hatte die Chance diese Schwäche auszumerzen und habe sie verschenkt. Mehr als nur einmal, auf Kosten von anderen Leben. Es ist meine gerechte Strafe, jetzt vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Jeder Splitter davon schneidet berechtigt in mein Herz. Doch gleich wie sehr es schmerzt, nichts kann die Verzweiflung in mir übertönen. Sie peinigt mich, raubt mir den Schlaf und nimmt mir die Luft zum Atmen. Ich lebe nicht mehr, existiere nur noch in einem ewigen Kampf mit mir selbst. Einzig die Hoffnung auf Genugtuung erhält mich aufrecht. Nicht für mich. Mir kann sie keine Befriedigung mehr verschaffen, aber für jene, die ich zu früh verloren habe, gehe ich weiter. In meine eigene Verdammnis.“ Fest wurde Luc an die Brust seines Freundes gedrückt. Die Wärme war Balsam für seine Seele. Wie sehr wünschte er sich jene Zeiten zurück, die er einst für schwierig hielt. Langsam löste er sich aus der Geste. Die Gefahr zu brechen war zu groß. „Finde dein Glück und halte es für uns beide fest mein Freund, denn ich bin verloren.“ „Das ist kein Abschied für immer. Deine Seele brennt und wird zu Asche zerfallen. Ich werde da sein, wenn das letzte bisschen zu Boden rieselt und die Schönheit und Stärke bewundern mit der du wieder als Phönix aufsteigst, wie immer.“ Luc wünschte sich, er könnte Vernons Zuversicht teilen. „Nicht dieses mal mein Freund. Lebe wohl.“ Ein letzter Händedruck. Stark, Kraft spendend. „Luc, gleich was du tust, ich werde in Gedanken bei dir sein.Wiedersehen, alter Freund.“ Der Dunkelblonde wagt nicht seinem Freund hinterher zu blicken. Der Schmerz über den Verlust wäre zu groß, die Hoffnung auf ein Innehalten vermessen und fehl am Platz. Es folgten Leere und Einsamkeit. Der freie Fall ins Ungewisse. Ein entsetzter Ausdruck wollte nicht von den hellen, feinen Zügen weichen. Der Falsche Ort zur falschen Zeit. Schimmernde Augen die Wahrheit fanden, ohne sie gesucht zu haben. Zögernd gab der Schatten die Deckung des Lichts preis. Zulange hatte er an der Tür verweilt. Zuviel gehört um es schweigend hinzunehmen. Er fühlte eine starke Aura. Hell und Klar. Er war nicht mehr allein. Er wusste, dass Xei direkt hinter ihm stand. Er musste sich sammeln. Nichts durfte von seinen Emotionen zeugen. Laute Schritte durchbrachen die Stille. Dunkel und unheilvoll war die Präsenz, die das Licht vertrieb und die Finsternis in anziehender Magie erstrahlen ließ. Iven schien innerlich vor Zorn zu brennen. „Lass uns allein!“, befahl der Prinz dem weißhaarigen Vampir, der schweren Herzens das Feld räumte. Luc wusste was nun folgen würde. Eine Ohrfeige, lächerlich. Das freiheitsentziehende Pressen an die Wand, bekannt. Der starre herrische Griff um seinen Hals, unbedeutend. „Du hast mich betrogen! Du hattest nie vor, zu gewinnen. Wozu auch! Du wusstest, dass ich deinen Tod nie zulassen würde!“ Noch nie hatte Luc den Vampir so voller impulsiver Emotionen gesehen. Es gab kein Korsett mehr, das den Prinzen zügelte. Die Haut des Jägers brannte. Er hatte das Gefühl in Ivens Hitze zu vergehen. Die Luft schwand. „Du tust mir weh.“ Ein kläglicher Versuch, Iven zur Besinnung zu bringen. Das Feuer blieb, der Griff verweilte ungerührt hart. „Du hat mich belogen und der Lächerlichkeit preisgegeben!“ Es reichte. Er würde sich nicht so dominieren lassen. „Aus dir spricht Zorn, sonst nichts!“ Gewaltsam befreite sich der Jäger aus der Gefangenschaft. Blut rann an als Ergebnis seines Widerstandes an Ivens Mundwinkel entlang. Die nachtschwarzen Augen funkelten erbost, während sich der Vampir das Blut von den Lippen wischte. „Ja, Zorn darüber, dass ich meine Autorität vor meiner Gefolgschaft für dich in den Schatten stellen musste!“ „Hör schon auf, mir dein Zugeständnis als Machtverlust präsentieren zu wollen! Nach eigenen Aussagen hast du Graf Merloch getötet, um mich zu retten. Auch als ich den Herzog Sephilon ins Jenseits schickte, hast du mich gewähren lassen. Ein Entschluss, der dir politisch sicher jede Menge Probleme eingebracht hatte. Und nun machst du bei einem unbedeutenden Menschen einen solchen Aufstand? Verzeih, dass ich dir nicht folgen kann!“ „Er war nicht unbedeutend. Er ist ein Mitglied der Garde und trägt damit mir wichtiges Wissen in sich.“ „Er ist nur ein geringerer Soldat. Sein Stand hatte ihm niemals Geheimnisse der ehrwürdigen Gilde eingebracht. Selbst das Wissen über taktische Manöver der Garde, hat er nur zu einem geringfügigen Teil in sich. Eine Tatsache die dir sicherlich bewusst ist. Es gibt nichts, was dich an seinem Überleben tatsächlich kümmern müsste.“ „Das habe immer noch ich zu entscheiden!“ Luc lachte gehässig auf. „Du gibst den Herrscher und machst dich doch zum Kind!“ „Nun gehst du zu weit. Reize mich nicht noch mehr, Luc, ich warne dich.“ Das durchdringende Raunen wäre auch ohne Inhalt Drohung genug gewesen. Unerschrocken ignorierte er es. „Ich gehe so weit, wie es mich verlangt. Ich liebe meine Freiheit und ich werde sie nicht mit heuchlerischer Zurückhaltung beengen, nur weil du mir drohst! Beweise deine Erhabenheit, Prinz und höre dir an was ich zu sagen habe oder fürchtest du Worte?“ Den vernichtenden Blick von schwarzen Flammen außer Acht lassend, sprach der Jäger unbeirrt weiter. „Es kümmert dich; nicht weil es dein Ansehen schaden würde oder weil von Vernon tatsächlich eine Gefahr für dich ausgeht. Selbst die vertane Chance auf neues Wissen zur Machterhaltung ist nicht der Grund deines Zorns. Nein, du bist so aufbrausend, weil du auf ihn eifersüchtig bist.“ Das Feuer verschwand hinter einer kalten Maske. „Das ist absurd.“ „Ist es das? Selbst dann, wenn ich dir sage, dass meine Freundschaft zu ihm so groß ist, dass ich mit Freuden gestorben wäre, um sein Leben zu schützen? Auch wenn du es anders sehen magst. Ich hatte mich nicht darauf verlassen, dass du eingreifst. Wie hätte ich auch, nachdem ich bei Xei gesehen habe, wie weit deine Güte für jene die du liebst geht. Alleine soweit wie es deine Macht gebietet und dein Stolz erträgt!“ Betroffenheit durchdrang nunmehr den starren Schutz. „Dann weiß ich jetzt ja, was du von mir hältst. Sag mir noch eines. Wieso bist noch bei mir, wenn ich in deinen Augen nichts als ein machtbesessenes Ungeheuer bin?“ Er musste lügen. Falsche Empfindungen als Wahrheit verkaufen. „Ich hasse dich dafür, dass du Vernons Tod durch meine Hand genossen hättest. Dennoch liebe ich dich genug um tiefer zu blicken. Hinter deiner Hartherzigkeit liegt nichts als die Verletzlichkeit deiner Seele, die ebenso nach Liebe schreit, wie die meine.“ Der bittere Beigeschmack der Erkenntnis haftete an seinen Worten. Er belog sich selbst in Gedanken, nicht den Prinzen in Worten. Sehnsucht stach tief in seinem Herzen. Wies den Hass in die Schranken. Mit sich ringend fuhr er fort. „Ich habe mich längst für dich als mein Schicksal entschieden, mit allen Konsequenzen. Das heißt aber nicht, dass ich alles stumm ertrage und deinem Willen unterordne. Du sagtest es selbst; rebelliere oder lehne dich gegen mich auf. Beides habe ich heute mit Sicherheit nicht zum letzten Mal getan. Mein Wesen war stets gelehrig und folgsam, aber niemals unterwürfig. Entweder bist du bereit diesen Teil an mir zu akzeptieren oder du schickst mich fort. Denn ändern werde ich mich nicht. Ich habe bereits zu viel aufgegeben, um bei dir zu sein.“ Iven kam näher und mit ihm das Gefühl verloren zu sein. Ertrunken im Kummer, verbrannt vor Hass, verhungert vor Sehnsucht. „Wie könnte ich wollen, dass du diese ungestüme Leidenschaft ablegst? Sie ist dein Feuer und ich liebe es genauso, wie den Rest von dir. Niemand hat behauptet, dass es leicht sein würde. Wir wussten beide, dass es uns Schwierigkeiten in mehr als einer Hinsicht verschafft. Für dich als Mensch und Jäger, und für mich als Vampir und Herrscher. Ich fürchte wir werden uns gegenseitig noch oft auf die Probe stellen.“ Hilfe suchend schweiften seine Augen auf den Boden. Wieso konnten seine Gefühle nicht einfach schweigen? Nur einen Augenblick, den Kampf um Intensität ruhen lassen? Er brauchte einen klaren Kopf. Entschlossen wichen die grünen Augen, den schwarzen nicht mehr aus. „Ich habe noch nie eine Herausforderung abgelehnt.“ Eine leichte Berührung wanderte von seinem Hals zum Nacken. Jeder Schlag wäre Luc lieber gewesen, als diese zärtliche Geste auf seiner Haut zu spüren. „Ich hoffe dir ist klar, dass diese Streitigkeiten zwischen uns, mein Verlangen nach dir nur steigert.“ Er wollte die Worte nicht hören. Nicht mit diesem heißen und liebevollen Klang in der Stimme. „Wozu ist es wichtig, dass ich es weiß?“ Ein entwaffnendes Lächeln, verhasst wie die Fratzen der Hölle, bändigte sein Gemüt. Er fühlte sich ausgeliefert, als eine Frühlingsbrise seine Lippen verführte. Unbeschwert und zart zog sie Luc grausam in die Tiefe. „Du bist der Jäger, Luc. Ich denke nicht, dass es einer Erklärung bedarf.“ Nein, er verstand es auch so. Die unausgesprochene Warnung des Tieres machte dem Jäger jedoch keine Sorgen. Im Gegenteil. Sie klärte sein Bild, erfüllte ihn mit Zuversicht. Bald würde er Iven da haben, wo er wollte. Vor Begierde nach ihm vergehend. Einzig der Wunsch, ihn besitzen zu wollen, sollte die Gedanken des Prinzen ausfüllen und dessen Handeln leiten. Erst dann konnte er seinem Feind wahrhaften Schmerz durch Verrat zufügen. Seinem eigenen Leiden ein Ende setzen. Kapitel 27: Jahreswende ----------------------- 27. Jahreswende Andächtig setzte sich der Dunkelblonde auf einen der Felsen nieder. Er wagte es nicht näher zu treten. Die Sehnsucht sich reglos in den eisigen Schnee neben sie zu legen war zu groß. So sehr er sich bemühte, so konnten seine Augen doch nicht lange auf dem Anblick verharren. Er hasste diesen Tag. Jedes Jahr aufs Neue. Immer ein Stückchen mehr. Die Einsamkeit war stets unerträglich, die Zukunft trüb. Abermals wandte er seinen Blick ab. So sehr er sich auch bemühte, der Anblick der Gräber blieb unerträglich. Hilfe suchend versuchte er das beruhigende Bild des umliegenden Waldes in sich aufzunehmen. Fahles Licht brach sich zwischen knochigen Ästen und schimmerte golden zu Boden. Die Weite der unten liegenden Landschaft verschmolz mit dem weißen Schein des Schnees und dem sanften Sonnenlicht. Der Schnee knirschte. Schritt für Schritt näherte sich ein Schatten, vertrieb das glitzernde Weiß um ihn herum und tauchte es in Grau. „Ich wusste, dass ich dich hier treffe.“ Sehnsüchtig verweilte der Blick des Dunkelblonden in der Ferne. Der Sonne entgegen gerichtet, die sich ungestüm durch die dicke Wolkendecke brach. „Wo sollte ich an meinem Geburtstag auch sonst sein, wenn nicht bei meiner Familie.“ „Es tut mir so leid, dass du auch Sarah verloren hast. Ich wünschte ich hätte für dich da sein können.“ „Gräme dich nicht, Phil. Der lähmende Schmerz ist vorbei und ich trage sie immer in meinem Herzen.“ „Sie war zu jung.“ „Ja.“ Der Grauhaarige kannte seinen einstigen Schüler gut genug, um nicht weitere Wunden zu schlagen. Gleich wie stark sich Luc gab, ihren Verlust vollkommen anzuerkennen, viel diesem genauso schwer, wie darüber zu sprechen. Bedachtsam behielt Phil weitere Fragen für sich. „Darf ich mich zu dir setzen?“, fragte Phil höflich. „Gerne“, erwiderte Luc mit einem Lächeln. „Ich bin froh, dass du wohl auf bist. Vernon hat mir von eurer Begegnung berichtet. Ist es wahr? Du hast den Mörder deiner Familie gefunden?“ „Interessiert dich das wirklich? Oder willst du nicht lieber wissen, ob es Iven ist, nach dessen Leben ich nun trachte?“ Die Stimme des Grauhaarigen wurde sanfter. „Ich wollte es nicht direkt ansprechen. Dein Leid über diese Erkenntnis, muss unvorstellbar sein.“ Traurig sah Luc in das mitfühlende Gesicht seines Mentors. „Glaubst du es ist Schicksal, dass ich in der Nacht zur Jahreswende geboren bin? Als Zeichen, dass ich mich immer wieder von Altem abwenden und dem Neuen zuwenden muss, um weiter zu leben? Immer wenn ich denke, die Verzweiflung und der Schmerz in mir, kann nicht mehr größer werden, dann greift die bittere Wahrheit nach mir und belehrt mich eines besseren.“ Tröstend legte sich die Hand des Älteren ruhig auf die verkrampfte des Jägers. „Es tut mir so unendlich leid. Ich wünschte, ich könnte dir die Last nehmen.“ Die Anteilnahme war wie ein Ventil. Er konnte den reißenden Strom der Gefühle nicht länger zurück halten. Salz legte sich in seine Augen. „Ich möchte sterben, Phil. Dieses Leben nicht länger ertragen. Meine Seele ist entzwei gerissen. Von Gefühlen die so stark sind, dass ich daran täglich zerberste. Von Leere, die mich ausgelaugt und hoffnungslos im Schatten zurück lässt. Wenn ich mich entschließe zu kämpfen, gehe ich nicht dem Leben entgegen, sondern scheitere am Scheideweg von Liebe und Hass. Wenn ich aufgebe meinen Emotionen zu folgen, dann Falle ich endlos ins Nichts und dieses Gefühl erscheint mir dann noch unerträglicher.“ „Wenn es so ist, dann bejahe ich deine Frage. Sieh es als Bote des Schicksals an. Löse dich von Vergangenem und wende dich dem Kommenden zu.“ „Aber mit welchem Ziel?! Ich darf nicht lieben und meine Sehnsucht nach Rache, scheint mich aufzufressen, bevor ich auch nur einen Schritt gehen kann. Jeder verschlingende Biss davon gräbt sich tief in mein Herz, welches sich einfach nur nach Wärme sehnt. Ich bin gefangen von Wunsch und Schwur, von Schuld und Sühne.“ Er fühlte sich befreit. Empfindungen auszusprechen machte sie greifbarer, einfacher zu verstehen. „Es sind Ketten, die du dir selbst angelegt hast. Den Schlüssel sie zu lösen, hast nur du allein. Treibt dich Vergeltung, dann übe sie. Lindere dein Gewissen. Aber zahle nicht mit ewiger Selbstgeißelung dafür.“ Die Worte seines Lehrmeisters waren so wahr und unerreichbar zugleich. Luc erhob sich, der wachsenden Kraft bewusst. „Ich könnte bis ans Ende der Welt reisen. Das Blut meiner Familie würde doch in meinen Adern fließen. All die Jahre als Jäger habe ich letztendlich gekämpft, um Rache zu nehmen. Nun stehe ich vor meinem Ziel und habe Angst den Eid zu erfüllen.“ Nachdenklich musterte der Lehrmeister seinen Schüler. „Du hast nicht vor, Iven einfach zu töten.“ „Nein. Ich will auch sein verdammtes Herz mit Leid erfüllt wissen, bevor ich es durchstoße.“ „Genug, Luc. Du sprichst von dem was du willst, nicht davon was du solltest oder möchtest. Dein Geist weiß längst wohin er dich trägt. Folge deiner Stimme und versuche nicht weiter dein Seelenleben zu erkunden. Nimm es so an, wie es ist. Ohne Fragen. Handle nach deiner inneren Führung.“ Energisch vertrieb die Stärke die Schwäche. Mut gesellte sich dazu. „Phil, versprich mir, dass du meine Seele erretten wirst, wenn sie in der Verdammnis schmort.“ Scharf zog der Grauhaarige die kühle Luft ein. „Du willst wirklich die letzte Grenze überschreiten?“ „Nun befragst du ja doch meinen Verstand und erwartest Erklärungen. Ich werde sein Licht einfangen. Es zu meinem machen. Als Opfer dafür, wird meine Selbstaufgabe nötig sein.“ Warmherzig wurde Luc von der Umarmung seines Ziehvaters umfangen. „Auch wenn mich mein Kummer verschlingen wird, so genügt ein Wort nach Erlösung von dir. In Liebe verspreche ich es dir.“ Gewissheit die er brauchte, der letzte Halt den er suchte. „Danke.“ Die Vertrautheit des Vaters wich und machte dem Bund der Freundschaft platz. Kameradschaftlich klopfte Phil auf seine Schulter. „Lass uns gehen. Dieser Ort liegt zu schwer auf deiner Seele.“ „Nein, ich möchte noch nicht zurück und mich dem Unausweichlichem stellen. Und ziellos durch schlafende Landschaft zu wandern, bekommt meinem Gemüt nicht.“ „Ich dachte da mehr an eine Taverne?“ Zwinkert forderten blaugraue Augen zu gehen auf. Luc war leicht von der Einladung überrumpelt. „Du willst mit mir einen Trinken gehen?“ „Wieso nicht. Ich kann mich an keinen Morgen nach der Jahreswende erinnern, an dem du je nüchtern warst.“ Herzhaftes Lachen erwärmte den Jäger. „Hältst du das für eine gute Idee? Wenn dich ein Mitglied er Gilde mit mir sieht, wirst selbst du ernsthafte Schwierigkeiten bekommen.“ Ernst schlich sich unter die Unbefangenheit. „Ich werde dich heute nicht alleine lassen. Die Sorge um unser Sehen überlasse mir.“ „Ich weiß nicht was ich sagen soll. Gerade heute bedeutet mir deine Gesellschaft ungemein viel.“ „Nun, dann lass uns schon gehen. Zeige deinem alten Meister, wie trinkfest die Jugend ist.“ Die Stunden vergingen wie im Flug. Die Gespräche waren erheiternd, auch wenn es Phil nicht lassen konnte, dann und wann Weisheit von sich zu geben, die Luc sehr an seine Lehrzeit erinnerte. Nach einem deftigen Mahl reichte Phil ihm ein in Leinen gewickeltes Geschenk. „Das soll ich dir von Vernon und Babette geben. Er sagte mit dem Stoff würdest du einen Teil von ihm bei dir tragen und mit der Stickerei, die diesem Leben einhaucht, einen Teil von ihr.“ Luc öffnete das Leinen. Ein weißes Halstuch aus feiner Seide schimmerte ihm zart entgegen, verziert mit filigranem Dekor aus kräftigem Rot. Luc war gerührt. Babette musste sicher Stunden damit verbracht haben, es zu fertigen. Andächtig legte er das Tuch um seinen Hals. Wie eine Liebkosung wandte sich der kühle Stoff geschmeidig um seine Haut. „Ich werde es ihn ehren halten.“ Phil nickte. „Mein Geschenk lässt sich nicht verpacken. Es ist alt und neu. Bekannt und vielleicht auch schon offenkundig. Nicht fassbar und doch etwas was dich stützen wird.“ „Seit wann so poetisch?“, witzelte Luc. Verlegen griff sich sein Mentor in das graue Haar. „Schön, lassen wir das. Selbst mit gelöster Zunge, bin ich nicht gut darin.“ Neugierig musterte Luc das in Falten gelegte Gesicht des Älteren. „Luc, ich liebe dich wie einen Sohn. Gleich was du tun wirst, ich werde immer für dich da sein und dich niemals von mir stoßen. Ich nehme dich bedingungslos, mit allem was zu dir gehört, an.“ Phils Worte brannten auf seiner Seele und trieben Röte auf seine Wangen. „Das ist das Kostbarste überhaupt, was mir je geschenkt wurde. Deine Worte sind wie Heilung für mein krankes Selbst. Als ich durch Zufall erfahren habe, dass ich es einst war, der Ivens Schwester und damit deine Liebste Cecilia getötet hatte, zweifelte ich an deiner Treue zu mir. Die Zweifel gingen so weit, dass ich mich fragte, ob du nicht eigenen Intentionen hattest, mir das zu verschweigen.“ „Im Prinzip ja. Ich hielt dich einfach für zu perfekt, als dass ich sehen wollte, dass auch du scheitern könntest. Ich sah in dir meine zweite Chance. So wie es Eltern nur zu gerne tun. Dein Geständnis, über deine Gefühle dem Prinzen gegenüber, haben mich erschüttert, aber nicht meinen Glauben an dich zum Wanken gebracht. Ich war mir sicher, dass du dich ihm erwehren könntest. Es war mein Hochmut, der dir zu wenig Wahrheit zukommen ließ. Vergib mir mein Unvermögen.“ „Nein, es gibt nichts zu vergeben. Ich danke dir für deine Liebe.“ Becher für Becher schwand ein Teil seiner klaren Sinne und machte den temperamentvollen platz. Die Stimmung wurde ausgelassener und Luc genoss die unbeschwerte Zeit. Es war bereits später Abend, als sich sein Mentor geschlagen gab. „Ich werde eben doch nicht jünger“, lachte Phil schallend. Luc hielt das offene Lachen in seiner Erinnerung fest. Ein Stückchen Glück, das seinem Kummer Trost spendete. Der Abschied war sowohl fröhlich als auch traurig. Dankbar, ohne große Worte gehen zu können, ritt der Jäger beschwingt in die Schwärze der Nacht. Dem Licht entgegen. Kapitel 28: Zwei Herzen ----------------------- 28. Zwei Herzen Wie schwarzer Samt hing die Finsternis in den Bäumen fest. Die dünne Sichel des Mondes bot kaum Licht, die Sterne funkelten trübe. Im strammen Galopp jagte der Dunkelblonde durch die Kastanienallee, die den Weg zum Schloss des Prinzen wies. Erst als er das Tor passierte, zügelte er sein rasantes Tempo. Benommen stieg er ab und übergab seinen Schimmel dankbar der Obhut eines Pferdeknechts. Sein Gleichgewichtssinn ließ zu wünschen übrig. Trotz des wankenden Gangs, zeugte nichts mehr von Unsicherheit oder Zweifeln, obgleich ihn beides begleitete. Jede Stufe war symbolisch für eine Hürde, die er nehmen musste. Ein kalter Schauer lief über seinen Rücken, als er zum Eingang blickte und sein Ziel erkannte. Beinahe schwerelos schien ihm die weiße Gestalt entgegen zu schweben. Mühelos erhellte sie die finstere Nacht. „Ich hatte gehofft, dass du nicht zurückkehren würdest.“ Die klare Stimme drang engelsgleich in sein schummriges Bewusstsein. Sein Geist suchte nach der Bedeutung des Besagten und verlor sich an der Berauschtheit seiner Sinne. Fragend legte Luc seinen Kopf leicht schief. „Wie meinst du das?“ „Lass uns innen weiter reden“, wandte Xei ab. Luc schwankte, als er die letzten Stufen zu schnell nahm. Stützend legte sich Xeis Arm um seine Hüfte. „Du bist betrunken.“ Der Vorwurf war nicht zu überhören. „Das ist meine Sache und hat dich nicht zu kümmern.“ „Wie du meinst.“ Schweigend geleitete ihn der Vampir auf sein Zimmer. Luc hatte definitiv zu viel von der berauschenden Flüssigkeit zu sich genommen. Um die Trunkenheit abzuschütteln, tauchte er seinen Kopf tief in das kalte Nass der Waschschüssel. Sein Geist wurde merklich belebt. Klare Tropfen rannen über sein Gesicht und wischten die Verworrenheit seines Verstandes fort. Seufzend tupfte er mit einem Baumwolltuch die letzten Perlen von seiner Haut. „Also, weshalb hast du gehofft, dass ich fern bleibe?“ Eingehend musterten graue Augen ihren Gegenüber, bevor die dunkelroten Lippen zum Sprechen ansetzten. „Du tanzt mit dem Tod. Iven wird dich vernichten.“ Ein Schauer legte sich auf Lucs Haut. Die Intensität der Worte stach in sein Herz. Bitteres Lachen entfuhr dem Jäger. „Warst du es nicht, der mich zurück zu ihm geführt hat. Mich jetzt zu warnen ist etwas spät, findest du nicht?“ Ruhig fuhr der Vampir fort. „Ich habe gehört, was du deinem Freund anvertraust hast.“ Ein Zucken durchfuhr seine Glieder. Der Nebel der Benommenheit war nun endgültig verschwunden. Sein Geheimnis war enthüllt. Fest blickte Luc in die traurigen Augen seines Gegenübers. „Was wirst du nun tun?“ „Ich kann Iven nicht belügen. Das Schweigen wiegt bereits zu schwer. Ich bitte dich geh, bevor es zu spät ist.“ „Zu spät für was, Xei? Ich empfinde mein Leben nicht mehr als lebenswert, sondern als trostlos. Iven hat mich bereits vor Jahren vernichtet und der Hoffnungslosigkeit übergeben. Es ist nur noch mein Schatten der ihn jagt, mein Echo das nach Vergeltung ruft.“ Xei schien seine Worte mit bedacht zu wählen. Mit Engelszungen sprach der Vampir weiter. „Nein, ich sehe noch Leidenschaft in dir. Du bist mehr als eine leere Hülle. Ich weiß, dass du fühlst und sehe wie du leidest. Gebe dich nicht auf, sondern trage dein Schicksal und suche den Neubeginn. Lerne zu schätzen was du hast und verlange nicht mehr nach Verlorenem oder Unerreichbaren.“ „Spricht da der Priester aus dir? Wenn ja, dann ist es vergeudete Liebesmüh. Ich bin nicht undankbar, aber müde. Ich kann mein Schicksal nicht mehr als Last tragen. Ich will handeln, anstatt flüchten. Meinen Frieden machen.“ Energisch wie von Sturm getragen, richtete sich der Weißhaarige auf. „Deinen Frieden machen in der Erfüllung von Rache?!“ Die Frage klang anklagend. Ihr Tadel hallte scharf in Lucs Kopf wider. „Du stimmst mich traurig, Luc. Ich hätte dich für klüger und vernünftiger gehalten.“ Der Jäger fühlte sich vor ein Gericht gestellt. Abgeurteilt von höherer Weisheit. Die Einsicht kam ohne sich durchzusetzen. „Ich bin nur ein Mensch, Xei. Und wie jeder andere, scheitere ich nur zu gerne an meinen Schwächen und lasse mich zu Fehlern verleiten. Es ist, als ob in mir zwei Herzen schlagen. Das eine liebend und voller Trauer. Sehnsüchtig nach Wärme suchend. Das andere hassend und voller Zorn. Schreiend nach Rache. Was außer Leere würde mir bleiben, wenn ich beide ignoriere und gehe?“ „Ich hatte nicht erwartet, dass du mit dir selbst so kompromisslos bist. Bist du dir bewusst, dass du mit dieser Sichtweise deinen eigenen Gefühlen die Endgültigkeit auferlegt hast? Ich bitte dich, komme zur Besinnung. Ergründe die Vielschichtigkeit deiner Emotionen und erkenne ihre Bedeutung. Es gibt nicht nur Weiß und Schwarz. Glück ist selten billig. Für Werte wie Liebe oder Frieden braucht es mehr als nur halbherzige Versuche. Iven konnte dir vergeben. Deine Seele ist soviel reiner als die seine. Dennoch sah er das Licht und hat sich entschieden daran festzuhalten, gleich den Schatten. Kannst du es ihm nicht gleich tun und verzeihen?“ Lucs Gesicht war wild verzerrt. Xei war sich für einen Augenblick nicht sicher, ob er zu tiefe Wunden geschlagen hatte. Mitleidig ging er auf den Jäger zu. Die versöhnende Hand wies Luc kalt ab. „Für was hältst du dich nur? Glaubst du etwa, dass Liebe alleine ausreicht, um mir den Schmerz zu nehmen? Denkst du, sie hat die Macht mir die Kindheit wieder zurückzugeben? All die Jahre in der Einsamkeit, der Desillusionierung? Ich habe seit meinem zehnten Lebensjahr nie mehr die Geborgenheit einer Familie erleben dürfen! Stattdessen quälen mich Nacht für Nacht Albträume. Meine Eltern, meine Brüder, sie sterben vor meinen Augen, immer wieder. Einzig der Kampf, die Hoffnung auf Rache hielt mich aufrecht. Wie könnte ich mich dieser Liebe zu ihm hingeben, wenn er alles verkörpert, was meine Seele verkümmern ließ?“ Es war nur ein Flüstern, das der weißhaarige Vampir von sich gab. „Bitte entschuldige. Ich hätte dich nicht derart Maßregeln sollen. Es war anmaßend, seinen Verlust mit deinem zu vergleichen. Dennoch bleibe ich dabei. Liebe ist der einzige Grund für den es sich lohnt zu kämpfen und zu leben. Sie ist alles und sie zu verleugnen, birgt den größten Schmerz in sich.“ Abfällig unterbrach der Jäger die klare Stimme. „Es reicht! Geh in die Kirche und predige da von der Liebe und ihrer Macht. Bei mir fallen deine Worte auf fruchtlosem Boden.“ „Dann sag mir was du fühlst. Ehrlich und ohne Schnörkel. Was ist es, das dich treibt?“ „Angst.“ Stille erfüllte den Raum. Ein leichter Schleier ließ den Glanz der grauen Augen trübe werden. „Dann bringst du mich tatsächlich zum Schweigen. Ich gebe dir Zeit bis zur nächsten Mitternacht. Dann Rede ich mit meinem Bruder.“ Luc fuhr auf. Dieses Eingeständnis von Güte war lächerlich. „Dann gehe gleich zu ihm und belaste dein Gewissen nicht länger! Meine Entscheidung steht fest und heuchlerische Stunden der Nachsicht werden daran nichts ändern. Ich werde nicht gehen.“ Schmerz durchbrach den trüben Blick. Instinktiv wusste der Jäger, dass die Zeit gekommen war, Xei vollends für sich zu gewinnen. Er würde Iven ins Schach setzen. Gefühlvoll fuhr er in seinen Worten fort. „Nicht alleine. Ich würde mich selbst nicht vorwärts tragen können. Die Dunkelheit, die mir mit jedem Schritt folgen würde, wäre wie mein eigenes Grab.“ Mit Zuversicht unterlegte Erkenntnis brachte das Strahlen des Vampirs wieder zum Vorschein. Die Warme Präsenz belebte den in Kälte gefangenen Körper des Jägers. „Dann gibt es mehr in dir als Endgültigkeit. Ich hatte nicht mehr zu hoffen gewagt. Ein Wort von dir Luc und ich lasse hinter mir was mich bindet. Doch bist du dir sicher, dass mehr als überstürzte Verzweiflung aus dir spricht und du mich an deiner Seite haben möchtest?“ Luc zögerte. „Erwarte keine Antwort, ich bitte dich. Der Wunsch ist so unerreichbar fern, wie die Sonne selbst.“ Die Sanftmut, die sich auf Lucs Wangen legte, war gleich den ersten Morgenstrahlen. Der Kuss, welcher seine Lippen zärtlich einfing, belebende Glut, die sein Innerstes frohlocken ließ. Der süße Geschmack klebte vor Schuld. „Iven ist deine Liebe und dein Untergang zugleich. Vor beidem bewahre ich dich nur zu gerne. Wenn ich für dich die Sonne in der Düsternis sein darf, dann schenke ich dir Wärme und Kraft aus dem Tiefsten meines Herzens. Ich fordere nichts, solange ich auf alles hoffen darf. Lass mich dein Weg aus der Angst sein.“ Betroffen senkte der Dunkelblonde seinen Blick. „Du kannst nicht ohne Iven leben. Er ist die Quelle deines Lebens.“ „Nein, du hast recht. Ohne sein Blut, kann ich nur wenige Tage überleben. Wenn du es also tatsächlich in Erwägung ziehst, mit mir wegzugehen, dann bleibt dir keine Wahl, als an seiner statt zu treten und mich fortan als dein einziges Licht anzuerkennen.“ Nun war Unweigerliches ausgesprochen. Der Schock der Realität ins Auge sehen zu müssen, verwischte sich jedoch in Xeis fließenden Worten und der Schrecken verschwamm in dessen sanfter Aura. „Ich würde dich glücklich machen, oder?“ Das anmutige Gesicht zeichnete ein blendendes Lächeln. „Mehr als das, Luc. Doch bedenke die unweigerlichen Folgen. Du wirst dem Tag Lebewohl sagen und dich von Blut, von fremden Leben, nähren müssen.“ Die Worte wogen schwer auf der Seele des Jägers, gleichsam einem Stein, der unerbittlich in die Tiefe eines Sees sank und nie wieder geborgen werden konnte. „Warum? Kannst du mir nicht genügen, so wie Iven dir zuvor? Du hattest diesem Hunger stets widerstehen können. Ich sehe keinen Grund, weshalb ich nachgeben sollte. Lass es ein Bund der Ewigkeit nur zwischen uns werden.“ Xei seufzte. „Denkst du nicht, dass jeder Vampir so leben würde, wenn es so einfach wäre? Es ist mein ehrfürchtiger Gottesglaube, der mich jede Versuchung standhalten lässt. Die Hingabe, mein Leid als Passion zu ertragen und die Erfüllung in der Askese zu finden. Eine Lebensweise die du nicht teilst und auch nicht leben könntest.“ Luc wollte die Wahrheit nicht weiter kommentieren. „Wird Iven nicht nach unser beider Leben trachten, wenn du mich wandelst?“ Klares Wasser, vereinigt zu einem reißenden Strom, spülte die Bedenken fort. „Du sagtest es einst selbst. Ich bin nicht weniger stark als Iven. Wenn es sich nicht umgehen lässt, kann und werde ich für uns beide kämpfen, auch bis zum Äußersten. Aber ich muss wissen, ob die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit dir, mein Verrat und das Opfer wert ist. Ob es aufrichtige Liebe ist, an die ich glauben und mich binden kann.“ „Du sprichst so offen über deine Gefühle. Die Versuchung dein Ultimatum mit Berechnung abzuwarten ist groß.“ „Täusche dich nicht, Luc. Auch eine vermeintliche Schwäche kann große Stärke in sich bürgen. Seit jeher bin ich an Iven gebunden. Ich sagte ich opfere für die Liebe. Wenn nicht für deine, dann für seine.“ Die Worte waren wie ein scharfer Schnitt in seinen Geist. Damit hatte er nicht gerechnet. Der sanfte Schein des Lichts, konnte versengender sein, als die schluckende Finsternis. „Deine Art zu lieben ist grausam, weißt du das?“ „Ich war stets offen zu dir und du kennst die Schatten meiner Vergangenheit. Nie habe ich behauptet zu sein, was ich anmute. Mein Wesen ist verletzlich, auf die eine und die andere Art. Entscheide dich, Luc. Für Licht oder Dunkelheit.“ Xeis harter Blick jagte dem Dunkelblonden kurzzeitig ein Frösteln über den Rücken. Luc hatte verstanden. Er hatte eine Wahl zu treffen. „Und du sagst ich sei kompromisslos.“ „Meine Kompromisse sind die Zugeständnisse an die Makel der Liebe. Sie ist nicht wundervoll, Luc. Sie kann grausamer sein und mehr Leid zufügen als jedes andere Gefühl. Dennoch nehme ich sie konsequent an, mit allem.“ Die Aura des Vampirs war immer noch mit kühler Schonungslosigkeit unterlegt, als dieser das Gemach verließ. Die eisige Gefahr schlich sich wie sanftes Gift durch Lucs Adern. Das Gefühl ignorierend, legte sich ein selbstsicheres Lächeln auf die Lippen des Jägers. Er hatte sich bereits entschieden. Du glaubst ich stehe mit dem Rücken an der Wand. Dabei habe ich erst begonnen meinem Vorhaben Gestalt zu geben, ihm Seele einzuhauchen. Deine Seele, mein heller Schein. Ich nehme sie mir, so wie ich dir meine gebe. Mein Opfer wird groß sein, der Sieg jedoch gewiss. Angst. Sie war da. Schon immer. Genauso, wie er die Liebe verlor. Schon immer. ~ Hallo ihr Lieben! Mit diesem Kapi geht es quasi in die Endphase. Klingt irgendwie deprimierend und dennoch freue ich mehr sehr darauf ^^ Luc hat aber noch einiges vor sich und auch die beiden Vampire werden so ihre liebe Not haben. Ich hoffe ihr seid gespannt auf mehr ^.- Bis bald und liebe Grüße, Teedy ~ Kapitel 29: Vom sein und werden ------------------------------- 29. Vom sein und werden Erschöpft brach er auf der Brust des Prinzen zusammen. Sein Atem ging schnell, seine Adern durchströmte Leben und das süße Blut brachte ihn zum Glühen. Nur langsam verflog die Hitze der geteilten Leidenschaft, während die geschenkte Kraft weiter in ihm schwang und mit jedem Pulsschlag sein Dasein bestimmte. Sanfte Finger fanden sich spielend in seinem schneeweißen Haar wieder und hinterließen Stich für Strich einen wohligen Schauer, der lockend von Glück sprach. Geborgen schmiegte sich Xei enger an den warmen Körper des Prinzen und lauschte dem gleichmäßigen Herzton, der die liebevolle Melodie gegenwärtig einzig für ihn zu spielen schien. Gerne hätte er diesen Moment für die Ewigkeit festgehalten. Erbarmungslos schlug die entfernte Kirchenuhr Mitternacht. Mit jedem hellen Glockenschlag verspürte er einen dumpfen Hieb in seinem Innersten. Hoffend ertrug er die Stiche in seiner Brust. Bittend wartete er auf ein Zeichen. Sein Herz zauderte. Doch im Grunde war es einerlei. Es würde brechen, so oder so. Ivens Liebe war unberechenbar und hatte ihm mehr als nur einmal Leid und Qual beschert. Heute war jedoch einer jener Nächte, an dem aller Schmerz vergessen war und sein Bruder ihm weitaus mehr als die Pflicht hat zukommen lassen. Jede geschenkte Geste spiegelte nichts als Zärtlichkeit wieder. Tiefe Vertrautheit in jeder Regung festgehalten, manifestiert über Jahre hinweg. Heute war es mehr als Blut, das ihm Leben einhauchte. Es war Liebe, die ihn vollkommen erfasste. Jede seiner Zellen war von Ivens Wärme erfüllt, jede Faser mit Zuneigung bedeckt. Seine Seele fühlte sich in Innigkeit umarmt, in Geborgenheit gewogen. Er spürte Glück, das ihn restlos gefangen nahm. Die Glocken verstummten. Der Umstand selbst so voller Gefühl zu sein, machte es ungleich schwerer, die bittere Wahrheit auszusprechen. Widerwillig beugte sich Xei hoch und vermisste sogleich die Geborgenheit. „Ich muss ein Anliegen mit dir bereden, Bruder.“ Der klägliche Versuch etwas Förmlichkeit in seine Worte zu legen, scheiterte an Ivens liebevollem Lächeln, welches sich schwer auf sein Herz legte. „Es ist lange her, dass ich dich so ernst gesehen habe. Was ist es, das dich bedrückt?“ „Es geht um“, er stockte. Er würde Iven zutiefst verletzen. Die Wärme wieder in Eis wandeln. Luc verraten und dessen Todesurteil unterschreiben. Wie zur Flucht erhob er sich vollends. Vor der gläsernen Balkontür hielt er inne. Sehnsüchtig legte sich seine Hand auf die kalte Scheibe. Der Blick in den Himmel half nicht. Es gab keinen Ausweg. Sein Herz konnte nur einer Liebe folgen und Luc hatte sich entschieden. Mit trüben Augen wandte er sich wieder dem geduldigen Prinzen zu. „Es geht um Luc.“ Ein Klopfen zerstörte den Mut und Befangenheit legte sich auf seine Zunge. Fragend neigte Iven seinen Kopf unmerklich zur Seite. Dankbar das Unvermeidliche aufschieben zu können, nickte Xei zustimmend. „Herein“, bat der Prinz. Xeis Herz setzte aus, als der Jäger das Gemach des Prinzen betrat. „Luc, was führt dich zu mir?“ Grüne Augen tangierten wie beiläufig den weißhaarigen Vampir. „Ich bin mir nicht sicher, inwieweit dich Xei bereits unterrichtet hat.“ Xei schluckte schwer. Fordernde Fragen hallten gellend in seinem Geist wieder, unterlegt mit der Sorge vor dem Kommenden. Beherrscht schwieg er still. „Nun, augenscheinlich kamst du ihm jetzt zuvor.“ „Dann will ich es kurz machen.“ Die innerliche Anspannung war Xei unerträglich. Sein Herz krampfte. Furchtsam harrte es der Ungewissheit entgegen. „Ich gedenke meinen gestrigen Geburtstag nachzufeiern. In den kommenden Tagen wird es auf den anstehenden Neujahresbällen reichlich Gelegenheit dazu geben. Ich würde gerne einen solchen Ball in euer beider Gesellschaft besuchen.“ Ivens Überraschung überspielte Xeis Erleichterung. Fragend trat Iven auf den Dunkelblonden zu. „Luc, wieso hast du nichts gesagt?“ „Der Tag stimmt mich meist traurig. Mir stand nicht der Sinn nach Vergnügen.“ Sachte hauchte Iven einen Kuss auf die Stirn des Jägers. „Dann werden wir das nachholen.“ Mit einem gezwungen Lächeln, zog sich Luc zurück, dem Umstand sicher, dass Xei ihm alsbald folgen würde. „War es das, was du mit mir bereden wolltest?“ Er hasste Lüge. „Nicht direkt, aber nachdem Luc sich erklärt hat, möchte ich es dabei belassen.“ Xei entging das Misstrauen in Ivens Augen nicht. Sein Bruder kannte ihn viel zu gut, um nicht zu wissen, dass er sich ausschwieg. Um dem drohenden Verhör zu entkommen, wandte sich Xei zum Gehen. „Wenn du mich entschuldigen würdest.“ Mit einem knappen Nicken griff er zur Türklinke und hielt abrupt inne, als er Ivens Hände auf seinen Schultern spürte. „In all den Jahren, Xei, gab es keine Nacht, in der du meine Nähe früher als nötig verlassen hast.“ „Ich fühle mich nicht wohl“, gab er mit entschuldigendem Blick kund. „Und das obwohl wir eben noch von süßem Glück gekostet haben?“ Die Worte forschten weiter, während Ivens Augen bohrend nach Antworten suchten. Unerbittlich grub sich das Schwarz in sein Innerstes. Der Schwäche nah, wich er dem eindringlichen Stechen aus. „Ich bitte dich, sieh mich nicht so an. Du wusstest auf welchen Weg du mich führst. Der Kummer ist im Moment schlicht zu groß und dein Argwohn mindert die Last nicht.“ Dankbar, dass die Hände von seinen Schultern abließen, atmete Xei befreit durch. „Jeden Trost, den ich dir im Augenblick schenken könnte, würdest du von dir weisen.“ „Weil es keiner wäre“, gab Xei bitter zurück. „Dann geh, wenn es dein Wunsch ist, nicht länger in meiner Gegenwart zu verweilen.“ Sein Bruder hatte die Wahrheit gefunden, wenn auch nur zum Teil. Er behielt recht. Es dauerte nur einen Moment, bis Xei das Gemach des Prinzen verließ und sich ihre Blicke in dem warmen Feuerschein der Gänge trafen. Ohne Umschweife ergriff Xei die Initiative. „Kann ich das als Antwort deuten oder wolltest du nur Zeit gewinnen?“ „Es ist lange her, dass ich am Meer war. Ich vermisse die Unendlichkeit der weiten See.“ „Dann bist du dir sicher?“ „Wenn du es bist, ja.“ Kapitel 30: Irrweg ------------------ 30. Irrweg Mit aufgesetzter Miene betrat er den Eingang zum Festsaal. Wie schon die ausladenden Gärten davor, so repräsentierte auch das Innere des Lustschlosses Reichtum und Wohlstand, die in jedem Winkel des prunkvollen Anwesens spürbar war und beinahe erdrückend wirkte. Luc war immer noch nicht zum Feiern zumute, doch bestand Iven mit Nachdruck darauf, ihm seinen Wunsch nach einem Ballbesuch zu erfüllen. Der Jäger folgte dem Anstand, nicht zuletzt um den Prinzen bei Laune zu halten. Begleitete ihn das düstere Misstrauen in den schwarzen Augen doch seit geraumen Nächten auf Schritt und Tritt. Mit gespielter Fröhlichkeit ließ er seinen Blick über die Gesellschaft schweifen. Einige der ausstaffierten Persönlichkeiten kamen Luc bekannt vor. Sicher hatte Iven eine Festlichkeit gewählt, an dem Vertreter mit Rang und Namen anwesend waren. Luc hoffte inständig, dass ihm eine Konfrontation aus seiner Vergangenheit erspart blieb. Auf einen Würdenträger der Gilde zu stoßen, hätte fatale Folgen. Seinen Schutz außer Acht lassend, schwieg er sich jedoch aus und unterließ eine Nachfrage über die geladenen Gäste. Ein Name alleine könnte verheerend sein und eine ganze Kette an Geheimnissen der Gilde offen legen. Er trug ohnehin eine große Schuldigkeit mit sich. Auf weitere Bürde konnte er gut und gerne verzichten. Seine beiden Begleiter schienen die Festgesellschaft ausnahmslos zu bereichern. Neugierige Augen blieben fast schon unhöflich schmachtend an deren Schönheit haften. Es war wohl mehr Ehrfurcht als Diskretion, die verhinderte, dass sie fortlaufend in Gespräche verwickelt wurden. Der Prinz schien in der Ausgelassenheit des Abends und der Bewunderung, die man ihm sichtlich entgegenbrachte, aufzublühen. Schmerzhaft wurde Luc an ihre erste verhängnisvolle Begegnung erinnert. Es herrschte die gleiche Pracht um ihn herum, geblendet von seiner Präsenz. Iven wirkte auf ihn wie damals, zauberhaft und anziehend. Von der Magie dieser charismatischen Komposition erfasst, fühlte er sich hilflos in Bann geschlagen. Mit jeder Minute wurden sein Hass und seine Abneigung weiter fortgetrieben. Allein Ivens Nähe durchströmte seine Adern mit lockendem Glück. Hoffnungsvoll mischte sich Sehnsucht mit Verlangen. Sein Herz gierte nach Erfüllung. Mit jedem weiteren Schlag eindringlicher, heftiger. Sein Verstand hallte als klägliches Echo im Nebel, verloren in Wünschen, die es nicht geben durfte. Hilfe suchend warf er sich in Xeis Arme. Liebevoll hießen sie ihn willkommen, luden zum Verweilen in der Beschwingtheit der Musik ein. Takt für Takt, jeder Schritt dem Verderben näher. Schon bald würden sie gemeinsam auf ewig tanzen. Xei sagte nichts. Seine blutroten Lippen formten ein Lächeln und der silbrige Glanz in den warmen Augen sprach stumm von dem Glück der Zukunft. Luc bekam keine Luft mehr. „Bitte entschuldige mich für einen Augenblick.“ Zustimmend ließ Xei den Dunkelblonden los. An schwatzenden Gästen vorbei, eilte der Jäger in die Stille der Nacht. Er wollte alleine sein. Zur Ruhe kommen. Er fühlte sich verloren. Er suchte gewollt die Herausforderung, sich in den verschlungen Wegen des Irrgartens zurechtzufinden. Doch die mannshohen Hecken dachten gar nicht daran, ihn aus ihren Klauen zu entlassen. Weg für Weg schien er sich nur noch weiter zu verirren. Jede Abzweigung führte tiefer, umschloss ihn mit mehr Dunkelheit. Wieder gelangte er an eine Eibenwand. Er suchte das Ziel mittlerweile zu lange. Die Zeit schwand, wie er sie verlor. Verstört kehrte er der Sackgasse den Rücken zu, um einen neuen Pfad zu nehmen. Die Absicht, seine Gedanken beim lustvollen Wandeln einfach schweifen zu lassen, entpuppte sich schmerzlich als eine Suche nach sich selbst, die er nie hätte beginnen dürfen. Jeder Schritt glich einem Blick in die Verworrenheit seiner Gefühle. Er hasste, er liebte. Er hoffte, er zweifelte. Das Ziel vor Augen, der Abgrund davor. Er sah die eigene Zerbrechlichkeit, angefüllt mit wilder Aggression. Er wollte zerstören, sich unter den Trümmern seines Tuns begraben. Vergessen, Leere umarmen. Leise Schritte im Schnee folgten ihm. Das Knirschen verursachte eine Gänsehaut. Er wollte dem Störenfried entgegen treten, doch seine Einsamkeit aufzugeben widerstrebt ihm. Der Schatten der sich ihm näherte, fragte jedoch nicht nach Gesellschaft. Er nahm sie sich. Gereizt drehte sich Luc um. Stahlblaue Augen nahmen ihn in Empfang und ruhten gelassen auf seinem Körper. „Ich hätte nicht gedacht, dich noch einmal wieder zu sehen, Luciel.“ Lucs Rücken brannte. Abscheu legte sich auf seine Lippen. Geralds Körperhaltung verriet dem Jäger nur zu gut, dass dieser auf Konfrontation aus war. Luc trug keine Waffen bei sich. Nachlässigkeit die ihm scheinbar zur Gewohnheit wurde. Verbissen spannte er sich. Er würde seinem Gegenüber keinen Respekt heucheln, um die Furcht zu verbergen, sondern die Bedrohung mit offenen Armen willkommen heißen. „Hübsches Andenken, das du da mit dir trägst.“ Luc wies mit einer Geste auf die Narbe an Geralds Wange. Der Blick des Blonden war eisiger als die herrschende Winternacht. „Dumm von dir, mich daran zu erinnern.“ Jedem Wort folgte ein Schritt, der die Distanz zwischen ihnen verringerte. Ein kaltes Lächeln legte sich auf die schmalen Lippen, während die Hand des Blonden spielerisch glänzendes Metall zum Vorschein brachte. „Du wirst mutiger. Diesmal ganz ohne Gift?“ Lucs grüne Augen flammten auf. Seine Unsicherheit schmolz im Feuer der Vergeltung. Gerald hatte ihn erniedrigt, ihn in Hilflosigkeit gekettet und seinem Körper Unterlegenheit aufgezwungen. Begierig wartet der Jäger auf den Angriff, um selbst zuzuschlagen. „Diesmal Luciel, will ich, dass du dich wehrst. Ich werde deinen Körper unter meinem begraben und dir die Sinne rauben.“ Angst kroch zäh in sein Bewusstsein. Der irre Ausdruck ihn den stahlblauen Augen untermalte die Drohung. Gerald wollte ihn nicht töten, sondern gefügig machen. Überfordert wich Luc nun doch einen Schritt zurück. Das fiese Grinsen des Blonden wurde breiter. Augenblicklich stürmte er auf Luc zu und riss ihn sogleich zu Boden. Sie rangen heftig miteinander. Der kalte Stahl in seinem Genick, zeigte Luc schließlich seine Grenzen auf. Er schmeckte Schnee, während sein Körper fest von Gerald auf dem Boden gehalten und seine Arme in die weiße Decke gepresst wurden. Vom Nacken aus wanderte die Klinge langsam Richtung Hals. Gerald schien seine Position in vollen Zügen auszukosten. Unnachgiebig drückte die Schneide gegen Lucs Kehle und zwang ihn im Hohlkreuz nach oben. „Siehst du, wieder wurde ich von deinem Stolz unterschätzt.“ Luc verdrehte die Augen, um direkt in die von Gerald zu blicken. „Dann mache meinem Leben schon ein Ende!“ Feucht leckte die Zunge des Blonden an seinem Ohrläppchen. Ekel kroch in Luc empor. „Hast du mir nicht zugehört, mein Lieber? Oder verdrängst du die Wahrheit? Ich werde dich mir nehmen. Hier und jetzt.“ Nun kam sie doch, die Panik. „Woher willst du wissen, dass ich meinem Hals nicht lieber deiner Klinge darbiete als meinen Körper dir?!“ Kaltes Lachen verspottete ihn. „Du würdest dich nicht selbst töten. In dir ist viel zu viel Feuer, als dass du dich freiwillig zum erliegen bringst.“ Schmerzvoll drückte sich Geralds Knie in sein Rückgrat und ließ ihn aufkeuchen. Im selben Augenblick wurde sein rechter Arm dem Schnee entrissen, auf den Rücken gedreht und mit Geralds unnachgiebigem Knie fixiert. Luc zuckte und bezahlte mit einem Schnitt an seinem Hals. Feuchte Seide klebte sogleich an seiner Haut. Automatisch hielt er inne. Sein linker Arm gesellte sich gezwungen zu seinem rechten. Stoff schnitt in seine Handgelenke. Vergebens bäumte er sich auf, um der Fesselung zu entgehen. Zu spät erkannte Luc, dass Gerald durchaus vorhatte, seine Drohung in die Tat umzusetzen. „Dir ist es ernst“, stellte der Jäger mit Schrecken fest. „Ah, du scheinst endlich zu begreifen.“ Die Klinge entfernte sich von seinem Hals, während mit einem Ruck der wärmende Umhang von seinen Schultern gerissen wurde. Mühelos durchtrennte Geralds Dolch die cremefarbene Weste und teilte sodann das seidene Hemd. Kühle Finger zogen brennende Bahnen auf der nackten Haut seines entblößten Rückens. „Hör auf.“ Es war nicht mehr als ein Flüstern. „Aber ich habe doch eben erst begonnen. Versuche es mit bitten. Vielleicht erhöre ich es.“ Resignation griff nach Luc. Ätzend glitt die verlangende Zunge über die Narben. Luc biss sich die Unterlippe blutig. Er würde seinem Peiniger keinen Laut schenken. Nicht einen. Grob wurde er umgedreht. Das Grinsen über ihm war widerlich, genau wie die Finger, die sich auf seinem Körper schamlos ihren Weg suchten. „Sträube dich so viel wie du willst, Luciel, es wird dir nichts bringen. Ich werde deine süße Stimme hören. Zitternd und winselnd wie bei einer Jungfrau.“ Hass schrie, seine Gedanken tobten. Er würde sich nicht so demütigen lassen. Raserei verschlang die Resignation. Er würde Gerald zur Hölle schicken. Sein verkommenes Herz dem Tod übergeben. Jähzorn gab dem Jäger die Kraft, sich aus der unterlegenen Position zu winden. Er war im Rausch der Aggression gefangen. Fesselnder Stoff zerriss an der Kraft von Wut. Wie im Wahn stürzte sich der Jäger auf seinen Peiniger. Fleisch deformierte an Zorn. Er versagte sich keinen Schlag, im Gegenteil. Hemmungslos gab er der Zerstörung Raum. Er überhörte die lauten Schreie, das entschuldigende Bitten, das leise Röcheln. Der Schnee färbte sich rot. Das hübsche Gesicht unter ihm krönte entstellt das Bild. Äußerliche Hässlichkeit, die der inneren nunmehr gleich kam. Triumphierend hielt der Jäger den Dolch in seiner Hand. „Zu viel Feuer also. Dann brenne in ihm. Und in dem der Hölle.“ Erbarmungslos durchschlug die Klinge das Herz des Blonden. Starr hingen stahlblaue Augen an ihrem Peiniger fest. Der ungläubige Ausdruck verstarb. Die Stimme schwieg. Der Nebel wich. Wärme legte sich auf seine Hand. Unter Schock stand Luc auf. Grauen grub sich in sein Bewusstsein. Entsetzen brachte Besinnung. Er war angewidert. Angewidert über sich selbst. Er taumelte und fiel zurück in den Schnee. Übelkeit durchzog seinen Körper. Er hatte einen Menschen getötet. Alleine weil er seine Emotionen nicht zu beherrschen wusste. Er hatte dem Anstand ins Gesicht gespuckt, das Mitgefühl mit Füßen getreten. Wie tief war er nur gesunken? Wie orientierungslos seinem eigenen Chaos ausgeliefert? Er wollte eben nicht Gerald töten, sondern seine eigenen Gefühle der Taubheit übergeben. Er wollte sich Hass beweisen, um an der Liebe nicht zu Grunde zu gehen. Als Ergebnis hatte er ein Menschenleben beendet. Die kalte Luft in seiner Lunge brannte. Die Abscheu über sein Handeln, trieb ihm Tränen in die Augen. Was war nur aus ihm geworden? Was hatte Iven aus ihm gemacht? Sein Wimmern wurde von Stolz geschluckt. Er würde nicht brechen. Niemals. Luc richtete sich auf. Er musste der Wahrheit ins Gesicht sehen. Der Schreck über den Anblick des Leichnams trieb zur Flucht. Er blieb. Schuld zog ihn zu Boden. „Das wollte ich nicht. Niemals. Hättest du doch nicht nach meinem Feuer gegriffen.“ Zitternd schlossen seine Hände die aufgerissenen Augen. Er würde sie nie vergessen. „Bitte vergib mir, denn ich kann es nicht.“ „Luc?!“ Das also, war die grausame Antwort des Schicksals. Der Jäger erhob sich und blickte ihm entschlossen entgegen. Der Fürst der Verdammnis blickte zurück. „Großer Gott, was ist geschehen?“ „Nein!“, wiegelte Luc energisch ab. „Tu das nicht. Sprich nicht von Gott. Nicht du!“ Verständnislos gruben sich tiefschwarze Augen in grüne. Ohne eine Antwort darin zu finden, ging Iven an dem Jäger vorbei, um das Ausmaß der Tragödie zu begutachten. „Wie konntest du das tun?“ Wieder rannen Tränen, diesmal aus Verzweiflung. Wärme die er nicht wollte, umschloss ihn und wog ihn in Geborgenheit. „Bitte lass mich frei“, flehte er. Mit einem traurigen Ausdruck zog sich Iven zurück. Freiheit. Wieso konnte er sie so einfach und dennoch so unmöglich erreichen? „Lass uns gehen, bevor man uns entdeckt und dich zur Rechenschaft zieht.“ „Vielleicht will ich das ja. Mich dem Urteil unterwerfen und in Sühne abgelten.“ „In diesem Fall interessiert mich dein Wille nicht. Du folgst mir freiwillig oder in Zwang.“ Es war stets der Zwang. Zwang der Pflicht, Zwang der Liebe, Zwang der Rache. Ein Resümee der Gefangenschaft. Jede Fessel mit ihrer eigenen Grausamkeit. Seine Seele war befleckt, hilflos und entblößt. Schweigend trat Luc zu dem Schatten. Ivens Mantel legte sich auf seine kalte Haut. Es schien dem Prinzen ein leichtes den Ausgang aus dem Irrgarten zu finden, wobei dessen Augen nicht einmal den Spuren im Schnee folgen mussten. Eine strahlende Silhouette wartete am Eingang des Labyrinths. Helligkeit in der Finsternis. Licht, das er heute nicht sah. Xei stellte keine Fragen, obgleich die grauen Augen nach Erklärungen brannten. Als sie in der Kutsche die Heimfahrt antraten, griff Luc in Gedanken versunken nach seinem Halstuch. Unschöne Blutspuren überlagerten die roten Ornamente und durchbrachen das reine Weiß des hauchdünnen Stoffes. Es war Iven, der die Stille nicht länger herrschen lassen wollte. „Die Narben auf deinem Rücken, stammten sie von dem blonden Mann?“ Lucs grüne Augen weiteten sich. Bilder hafteten auf seinem Geist. „Ja“, mehr wollte und konnte er nicht sagen. Ivens Hand schmiegte sich sanft an sein Gesicht und forderte Zuwendung. Unsicher folgte der Jäger und sah Iven direkt an. „Es wird dir kein Trost sein, aber sei dir gewiss, dass er durch mich nicht die gleiche Barmherzigkeit erfahren hätte.“ „Barmherzigkeit? Du hast recht, es ist mir kein Trost. Das Gegenteil ist der Fall. Du siehst, dass ich leide und sprichst mir den Schmerz ab, weil deiner unerträglicher wäre? Wenn es etwas auf dieser Welt gibt, was ich dir an Gefühl wünsche, dann ist es Sensibilität!“ Aufgebracht beugte er sich aus der Kutsche. „Haltet an!“ Der Kutscher gehorchte umgehen dem Befehl. Der Jäger stieg aus, den flehenden Ausdruck in Xeis Gesicht ignorierend. „Luc, was soll das werden?“, raunte die dunkle Stimme des Prinzen. „Nach was sieht es denn für deine scharfen Vampiraugen aus? Ich laufe!“ Schwungvoll ließ der Jäger die Tür zu fallen. „Wenn du zur Abwechslung aber mal an den Beweggründen interessiert bist, dann lautet meine Antwort schlicht, dass ich euer beider Gegenwart heute nicht länger ertrage!“ Hastigen Schrittes entfernte er sich und verschwand in der Finsternis. Er wollte alleine sein. Nicht nur innerlich, sondern auch gänzlich für sich. Kapitel 31: Abschied -------------------- 31. Abschied Ziellos lief er durch dich Nacht. Sein Körper war schwer, sein Geist müde. Eisiger Wind verbannte Tränen aus den Augen. Tränen der Schuld. Er kannte sich selbst nicht mehr. Verloren in Angst, die ihn einschloss und immer mehr erdrückte. Angst vor Liebe. Seine Tat, Verzweiflung. Der Anlass, eine offene Tür für die tobende Wut in ihm. Immer diente er dem Schutz, bewahrte Unschuld. Nun hatte er selbst willkürlich gerichtet. In keinem Verhältnis stehend zum Motiv. Stahlblaue Augen verfolgten ihn. Verzerrte Lippen klagten ihn an. Er hatte seine eigene Moral im Blut ertränkt. Nun gab es nichts mehr, was ihn noch von einem Vampir unterschied. Schlimmer noch. Er tötete nicht aus Lebensdrang, sondern aus Todeswunsch. Er blieb stehen. Seine Füße hatten ihn zu dem Ufer eines kristallklaren Sees getragen. Altbekannt. Verflucht, jene schicksalhafte Wendung seines Lebens. Fortan führte ihn der Weg allein dem Tod seiner Selbst entgegen. Erinnerungen verlangten nach Aufmerksamkeit. Ohnmacht verbannte sie. Gleichgültig strich er Ivens wärmenden Mantel von seiner Haut. Er bekam wieder Luft. Schritt für Schritt übergab er seinen Körper dem eisigen Nass. Kleine Nadeln stachen in seine Haut. Er ging weiter. Nadeln wurden zu sägenden Messern. Sein Körper schrie, so wie seine Seele schreien wollte. Kein Laut drang nach außen. Kälte wich blankem Schmerz. Er sollte vergehen, sich der Taubheit seiner Glieder unterwerfen. Die Leere in ihm wollte weiter treiben, im Nichts versinken. Gebannt in Eis den ewigen Schlaf finden. Noch nicht, wisperte eine Stimme in seinem Kopf. Dein Ziel! Entfernt und noch nie so nah. Noch nicht verloren, der Wille ungebrochen. Er trat zurück. Entschloss sich dem Leben zu stellen. Seine Beine brannten. Glühend, schmerzend bei jedem Schritt. Fast taub trugen sie ihn gehorsam zum Ufer. Noch stehst du nur am Rand. Die Tiefe vor dir. Fallen wirst du. Aber nicht freiwillig. Kämpfe! So wie je. Die Stimme hallte. Laut, unnachgiebig, den Körper am Leben haltend. Du wirst von Schuld zerfressen sein. Stück für Stück. Immer ein Teil mehr von dir. Die Buße zu recht tragen. Noch mehr von der Last auf dich laden. Licht ins Dunkel ziehen. Egoistisch, unbarmherzig. Einzig für deinen Schmerz. Für den seinen. Verführerisch, hoffnungsvoll, hüllte ihn die Stimme in Illusion. Du hast nichts mehr zur verlieren. Lass es geschehen. Gebe deine Seele. Gebe sie jetzt. Unrein und blutbefleckt wie sie nun ist. Es gibt nichts mehr zu wahren, einzig zu opfern. Er wandte sich von dem See ab. Versagte der Trauer. Widerstand Resignation. Er hatte keine Zeit sich zu bemitleiden. Er musste handeln, bevor er brach. Er nahm Schuld auf sich. Jetzt musste er sie mit sich führen. Mit ihr leben. Sich der Sünde ganz verschreiben. In alle Ewigkeit. Der Jäger zitterte wie Espenlaub, als er kurz vor Tagesanbruch die mächtigen Tore des erhabenen Anwesens passierte. Warnend nicht näher zu kommen, begrüßten ihn die Boten des Todes. Schwarze Gefieder, scharfe Schnäbel, schrilles Krächzen. Er ließ sich nicht abhalten. Die Raben aufscheuchend, wankte er matt Richtung Ziel. „Luc!“ Xeis Stimme bahnte sich unfassbar klar ihren Weg durch seinen geschunden Geist. Könnte er doch nur einfach an diesem Klang von Reinheit festhalten. Der Melodie lauschen und sich von ihren Schwingen tragen lassen. Sein Blick verschwamm. Die Kraft entwich. Schwindel zog ihn unaufhaltsam in die Tiefe. Sorgenvoll eilte der Weißhaarige auf ihn zu. Luc war froh, von Xeis Armen aufgefangen zu werden. Es war nicht das, was er sich ersehnte, doch mehr als alles, was er brauchte. Ivens Geborgenheit hätte ihn in Verzweiflung geschlossen, Angst mit neuer Macht beseelt. Xeis geschenkte Sicherheit, wog ihn hingegen in Zuversicht. Erschöpft hörte er auf zu kämpfen. Er brauchte seine Kraft für den nächsten Akt. Als er in warme Decken gehüllt erwachte, war der Tag beinahe verstrichen. Unsicher legte er die Trunkenheit des Schlafes ab und ging nach draußen. Er brauchte frische Luft und das Sehnen nach Freiheit zog ihn gebannt ins Tageslicht. Es reichte noch für ein melancholisches bewundern des späten Nachmittagshimmels. Milchig grau türmten sich dicke Wolken am Horizont. Die Luft roch nach Schnee. Klar und fein. Wenn er sich doch von ihr reinwaschen lassen könnte. Sie das haftende Aroma des Todes in lieblicher Brise davontragen würde. Des Lebens müde, setzte er sich auf eine mit Moos bewachsene Steinbank. Gedankenlos im Nichts versunken verweilte er reglos mit starrem Blick. Die Kälte der aufziehenden Nacht war ihm gleich. Er spürte sie kaum, war seine eigene doch alles beherrschend. Still, mit schwerem Atem, blieb er, bis auch die letzten Sonnenstrahlen am Horizont verschwanden. Mit der Dunkelheit verlangte sein Geist nach Aufmerksamkeit. Eindringlich verlangte er nach Ruhe, Frieden im Nachgeben. Angespannt erhob sich der Jäger. Er durfte nicht in Erschöpfung verfallen. Er musste die Mattheit ablegen und unbeirrt seinem Vorsatz folgen. Stark sein und weiterkämpfen. Zielstrebig ging er Xeis Gemach entgegen. Jedes längere Zuwarten war eine erneute Herausforderung, die ihn an seine Grenzen trieb. Sie brauchten bald eine Gelegenheit zur Verwirklichung. Die Schwäche in ihm schrie bereits zu laut. Anklagend, warnend. Als er die Tür zu Xeis Räumlichkeiten öffnete, verstummte der Schrei. Die ruhig Aura des Vampirs legte sich sanft auf sein Gemüt. Langsam näherte er sich dem Schlafenden und betrachtete das trügerische Bild. Ein lieblicher Engel. Rührselig anzusehen. Unschuldig strahlend. Bald wird er das einzige Licht sein, das dir bleiben wird. Eines, das du nicht lieben, allenfalls bestaunen kannst. Sachte rührte sich der Vampir. Die Anmut wirkte auf Luc hypnotisierend. Der Himmel könnte kein schöneres Bild malen. Vollendung in Perfektion, die ihn in ihrer Schlichtheit bezauberte. Angetan schenkten Lucs Lippen ein Lächeln der Bewunderung. Liebevoll erwiderten blutrote Lippen die Begrüßung mit einem Kuss. Jede kleinste Geste der Zärtlichkeit genießend, löste sich Luc nur langsam aus dem frevelhaften Kuss. Es war so einfach. „Was ist gestern geschehen, dass du so außer dir warst?“ Luc wich dem intensiven Blick aus. Er durfte nicht daran denken. Sich nicht von seinem Ziel abbringen lassen. „Lass uns nicht davon sprechen. Ich kann meine Entschlusskraft nicht länger auf die Probe stellen. Ich bitte dich, keinen Aufschub mehr.“ „Gerne würde ich deine Bitte erfüllen. Aber das hier, ist weder der richtige Ort, noch der rechte Zeitpunkt.“ „Ich fordere jetzt den Bund von dir! Du gabst mir die Sicherheit. Nun lass deinen Worten Taten folgen. Oder habe ich mich in dir getäuscht und es ist immer noch Iven der dich dominiert?“ Wie um Stärke zu demonstrieren, erhob sich der Vampir vollends. Sanfte Erhabenheit, mit Demut unterlegt, sah ihm ernst entgegen. „Er ist immer mein Gebieter gewesen. Und ja, auch jetzt halten mich meine Gefühle für ihn gefangen. Vergib mein Unvermögen, aber ich kann dich nicht in seiner Gegenwart wandeln. Seine Nähe wiegt zu schwer auf meiner Seele. Ich kann Jahrzehnte der Verbundenheit und Liebe nicht in wenigen Tagen abstreifen.“ Widerwillig verstand Luc. „Dann lass uns soweit reisen, bis du es vermagst.“ „Gut, ich werde einen Vorwand finden. Willst du mir nun sagen, was dich so bekümmert? Iven verlor kein Wort über letzte Nacht.“ „Nein. Noch kann ich nicht darüber sprechen.“ Ein weiterer Kuss folgte, haschend nach seiner Aufmerksamkeit. Das Festhalten in Täuschung gelang mühelos. „Ist es unfair, wenn ich mich ausgeschlossen fühle?“ „Du wirst bald meine Seele dein nennen können. Ist da ein Geheimnisse wirklich von Bedeutung?“ Sicher war es das. Alleine deshalb, weil Iven eingeweiht war, während Xei außen vor blieb. Der Anreiz dies zu ändern war bedacht gelegt. Spielend lenkte er in die gewünschte Richtung. Der Vampir würde der gelegten Fährte des Jägers folgen. „Dann werde ich keine weitere Zeit mehr verschwenden. Wenn du mir den Freiraum gestattest mich zuvor zu sammeln?“ Luc nickte und verließ das Gemach. Als er die Tür schloss, hielt er nach einer Stütze suchend, kurz inne. Wieder brannten seine Augen, während bittende Finger Halt an den verschlungenen Holzschnitzereien der Wandvertäfelung suchten. Sein Kopf pochte heftig. Eile dich, Xei. Ich ersticke in seiner Gegenwart. An meinem Hass, an seiner Liebe. Der Rote Salon. Er war nicht oft hier und meist eher unfreiwillig. Weltliche Besitzansprüche, Macht die keine war und Politik die auf Geringfügigkeit errichtet wurde. Er war hier gänzlich fehl am Platz. Schon immer. „Du willst freiwillig gehen?“ Iven machte sich nicht die Mühe sein Erstaunen zu verbergen. „Seit wann kümmern dich politische Angelegenheiten? Die Position des Vermittlers würde dich sicher gut bekleiden, aber sie steht dir nicht. Deine Neutralität basiert auf Unwissenheit und Ablehnung, nicht auf Reflexion und Objektivität. Was bewegt dich zu diesem Schritt?“ „Dann will ich dir die Umstände aufzeigen und hoffe, dass du nicht vorschnell urteilst. Dir ist sicher nicht entgangen, dass Luc verkümmert. Es ist der Ort, Iven. Das Umfeld. Der Umstand zwischen uns Vampiren zu leben, obwohl er seit Jahren nichts anderes tat, als uns zu jagen und zu töten. Seine Fragen nach Recht, das Trachten nach Unrecht. Es macht ihn ruhelos. Ich will ihm zeigen, dass hinter triebhaften Gebaren und Vorurteilen, gesellschaftlicher Anspruch und ein Abhängigkeitsverhältnis steht. Wer wäre besser dazu geeignet, ihm ohne Vorbehalte die Zusammenhänge zwischen dem Geben und Nehmen der Clans und der Gilde aufzuzeigen? Ich wünsche mir, dass er uns mit anderen Augen sieht.“ Nachdenklich musterte Iven sein Gegenüber. „Das ist eine Menge Wissen, das du preisgeben möchtest. Einzig um seine Sichtweise ändern zu wollen. Denkst du wirklich, dass politische Verflechtung dazu im Stande sind ihm die Befangenheit zu nehmen, wenn es meine Liebe nicht vermag?“ Der Kummer in der Miene seines Bruder verletzte ihn, obgleich er Beweis seiner Überzeugungskraft war. „Vielleicht braucht er diese Gewissheit, um die Liebe anzuerkennen. Gefühle sind leichter zu akzeptieren, wenn der Verstand nicht rebelliert.“ „Was du sagst macht Sinn. Eine Erklärung bleibst du mir allerdings schuldig.“ Xei war auf der Hut. Das Misstrauen in dem Prinzen, suchte scharfsinnig nach der Lüge. „Ja, Bruder?“ „Weshalb sollte ich wollen, dass ausgerechnet du an seiner Seite stehst, wenn er erkennt, dass wir hälftig an die Interessen der Gilde gebunden sind? Das Grausamkeit nicht gänzlich aus uns erwächst, sondern durch Menschenhand ebenso hervorgebracht wird? Du strahlst in seinen Augen wie das wundervollste Geschöpf unter Gottes Himmel. Dich als Propheten zu senden, wird seiner Faszination für dich nur noch mehr bestätigen. Eure Vertrautheit bereichern und schließlich deine Zuneigung einfordern. Ich kenne deine Liebe, Xei. Sie ist aufopfernd, hingebungsvoll bis zuletzt. Aber nicht anspruchslos. Du wirst nach seiner Zuwendung begehren. Zartes Gefühl in Besessenheit ausleben.“ Iven war der Wahrheit so nahe. Ahnung, die nur auf einen Fehler von ihm wartete, um anstatt mit Worten, in gnadenlosen Taten zu antworten. „Dein Wissen über meine Gefühle ist erschreckend. Doch wer sollte mich sonst kennen, wenn nicht du, Bruder? Ja, mich reizt die Versuchung. Doch das ist nicht der Punkt. Vertraust du Luc? Lässt du ihn mit mir gehen oder fürchtest du, dass ich deinen Platz einnehmen könnte?“ Eine Herausforderung, kitzelnd an der Macht. Iven würde sich nie Zweifel eingestehen. Schwäche verdrängen. Auch er kannte seinen Bruder. Nur zu gut. „Dann gehe. Ich hoffe du bist bei dem Schlichtungsversuch genauso wortgewandt, wie jetzt.“ Da war sie, die Hand die alle Fäden hielt. Iven ließ ihn gehen, in dem Wissen, dass es er es selbst war, der das Risiko gebilligt hatte. Das Schwerste von allem würde nun folgen. Sein Herz zauderte. „Schenkst du mir deine Gunst?“ „In Anbetracht der Tatsache, dass du drei Nächte von mir sein wirst, sollte ich das wohl.“ Xei trat näher. Unsicherheit begleitete ihn, weniger über das Versagen seiner Bitte, als über das Versagen seiner Selbst. Vorsichtig berührte er Ivens Hand, die seine Geste sogleich fest verschloss. Der Blick der schwarzen Augen war besitzergreifend. Glänzend wie blanker Stahl und tief wie die Nacht. Xei ahnte was folgen würde. Enteignung seines Willens. Knechtschaft seiner Gefühle. Unfrei an Zwang gebunden. Abhängigkeit demonstriert in jeder vorhanden Form. Einzig, um ihn unter Kontrolle zu halten und fesselnd an sich zu binden. Blut und Lust mischten sich. Durst und Verlagen regierten gemeinsam. Er war unterworfen. Berauscht von Ivens Schönheit, von seinem Geschmack. Er sehnte sich nach mehr Wärme, dabei brannte er bereits in der Hitze der Leidenschaft. Jede Faser, jede Zelle. Hörig, flehend. Stöhnend und seufzend wurde er der Befriedigung entgegen getrieben. Sein Körper tobte vor Berauschtheit. Lebenskraft durchströmte ihn. Erfüllung führte in Glückseligkeit. Erschöpfung forderte ihren Tribut. Iven den seinen. Er gönnte keinen Augenblick der Ruhe. Fordernd beanspruchte er blutrote Lippen abermals für sich. Heute würde es keine Zeit der sanften Geborgenheit geben. Alleine zügellose Lust beherrschte die Innigkeit. Er hielt an ihr fest, so wie sie ihn nicht freigeben wollte. Das letzte Mal. Schmerzlich, mit jeder vergehenden Minute bereits jetzt vermissend. Berührungen brannte sich wie Narben in seiner Haut, während sein Herz über die aufgerissenen Wunde des folgenden Verlustes weinte. Kalte Asche, die der Brand zurück ließ. Er schloss die Augen. Macht war demonstriert. Abhängigkeit ausgekostet und vollführt. Ergebenheit geschenkt. Die Zeit drängte. Die Liebe wartete. Jeder Moment in Stille verweilend, einer der quälte. Keine Zweifel, aber Reue. Kummer der strafte. Ein letztes Spiel der Lippen. Abschied. Schmerzvoll. Endgültig. Perlend in die Stille. Ein Wiedersehen absehbar. In Liebe entzweit, bald in Zorn vereint. Zaghaft öffnete er seine Augen. Der letzte Anblick wurde ihm von Gefühl versagt und verschwamm. Zitternd glitten seine Finger durch schwarze Seide, um ein letztes Mal Vertrautheit zu spüren. Seine Lippen zuckten. Der Atem blieb trocken in seinem Rachen stecken. Zaudernd, Vergangenheit im sanften Schlaf zurückzulassen, erhob er sich und ging entschieden der wachen Zukunft entgegen. Sein Herz zersprang. Lebe wohl, Bruder. Du wirst mir nie verzeihen. Nicht den Verrat des Vertrauens und nicht den Bruch der Treue. Tue was ich nicht kann. Trachte nach mir, und strafe meinen naiven Wunsch nach Liebe. ~ Hallo zusammen! Wir nähern uns dem Finale ... Im nächsten Kapi geht es um Hoffnung. Von wem, auf was und welchen Einfluss sie nimmt, mal sehen ^.- Ich freue mich auf jeden Fall auf einen kleinen Blickwinkelwechsel. Nachdem es mittlerweile doch einige geworden sind: Vielen lieben Dank für eure Favos! Liebe Grüße, eure Teedy ~ Kapitel 32: Hoffnung -------------------- 32. Hoffnung Das Gesicht der hellen Gestalt war wild verzerrt, als sie die Tür zum Gemach des Prinzen schloss und starr davor verweilte. Leicht unsicher ging der Jäger den langen Gang auf den Schemen im Fackelschein zu. Die veränderte Aura des Vampirs besorgte ihn. Die sonst so gleichmäßige ruhige Ausstrahlung war gänzlich gewichen. Bei jedem Schritt in Xeis Richtung hatte er das Gefühl einem Fremden gegenüber zu treten. Xei schien seine Gegenwart nicht einmal wahr zu nehmen. In kräftigem Sturmgrau fixierten die Augen des Vampirs einen imaginären Punkt auf dem roten Teppich an. „Xei?“ Leicht erschrocken zuckte der Angesprochene zusammen. Kurz glaubte Luc tiefe Furchen von nackter Verbitterung in dessen Mimik zu erkennen. Als Xei ihm entgegensah, zeugte jedoch nichts von den eben erahnten Empfindungen. Wie stets war es ebenmäßiges Porzellan, das ihm weiß schimmernd mit blutroten Lippen anblickte. „Lass uns gehen.“ Das geschenkte Lächeln des Weißhaarigen wirkte gequält. Schweigend folgte Luc der Aufforderung. Als sie auf den Hof traten, ging Xei zielstrebig auf eine gepackte Kutsche zu. „Dann ist alles geklärt? Ich dachte du würdest mehr Zeit brauchen, um alles zu arrangieren“, stellte Luc überrumpelt fest. „Derartige Anweisungen zu erteilen ist nichts, was mich vor eine sonderlich große Aufgabe stellt. Zudem war es dein Wunsch, der zu Eile trieb.“ „Das meine ich nicht. Ich spreche von Iven. Es ging schneller als ich erwartet habe.“ Abrupt hielt Xei inne und musterte den Jäger intensiv. Zum ersten Mal fühlte sich Luc in dessen Nähe mehr als unbehaglich zumute. „Ich erkenne Wehmut in dir. Erspare mir die Mutmaßung, dass du einem fehlenden Abschied hinterher trauerst und steige in die Kutsche.“ Es war wie das unbarmherzig surren einer Peitsche im Wind. Nie hatte er Xei so gereizt erlebt. Die Missstimmung nicht weiter schüren wollend, tat er wie geheißen. Stille Minuten, die Luc wie eine Ewigkeit vorkamen, vergingen. Einzig das laute Pferdegetrappel und das rasante Donnern der Räder auf dem unmäßigen Steinboden vertrieb die schwere Ruhe. Wieder und wieder suchte er in seinem Gegenüber eine Erklärung für die spürbare Veränderung. Er blieb ergebnislos. Xeis Blick verweilte ungerührt in der schwarzen Nacht. Der Teilnahmslosigkeit überdrüssig, brach der Jäger das kalte Schweigen. „Ahnt Iven etwas?“ Ein Zucken der Augenwinkel durchbrach die eiserne Beherrschung. Nun erkannte Luc den Wandel in Xei. Während er in dem düsteren Grau seines Gegenübers fest hing, formte sich ein grausames Bild von Illusion und Wirklichkeit vor seinem geistigen Auge. Ein schutzloser Engel, dessen trauriger Blick im Himmel weilte, während die heiligen Mauern des mächtigen Gotteshauses um ihn herum einstürzten. Jeder Stein, Ausmaß einer viel umfassenderen Zerstörung. Er sah Xei brechen. Porzellan auf Gesicht zersprang. „Ich sehe gerade wie du brichst und es zerreißt mir das Herz, dich so zu erleben.“ Ein nachsichtiges Lächeln schlich sich auf die Züge des Vampirs. „Du brauchst mir nicht schmeicheln oder Mitgefühl kundtun. Weder begreifst du was Iven für mich war, noch verstehst du mein Opfer wirklich oder trägst es als Last auf deiner Seele. Belasse es also bei den Gegebenheiten und kümmere dich nicht um mich.“ Die Worte schmerzten. „Wie kannst du nur so etwas sagen?“ „Verzeih wenn ich zu barsch war. Mein Herz brach, als ich Iven im Schlaf verließ. Ich habe mehr als sein Vertrauen verraten. Gestehe mir etwas Zeit zu, um wieder klare Gedanken fassen zu können, bevor ich einen Neubeginn mit dir begehe.“ Luc konnte es nicht dabei belassen. Viel zu sehr wühlten ihn Xeis Worte auf. Es war sein Gewissen das quälte und Erkenntnis die Beachtung finden wollte. „Du tust mir unrecht. Ich erkenne sehr wohl, was Iven für dich war.“ Lucs Erklärung nicht hören wollend, wandte Xei seinen Kopf wieder ab. Die abweisende Geste ignorierend, sprach der Dunkelblonde entschieden weiter. „Aber du liegst richtig damit, dass ich es nicht bereue, dich von ihm geführt zu haben. Hat dir niemand gesagt, dass du Göttlichkeit nicht auf Erden finden würdest?“ Ein leiser Hauch von Lachen entfloh den vollen Lippen. „Siehst du, meine Lebensart ist dir fremd und was du meinst zu erkennen, sind nur die Ansätze meiner in Thesen gemauerten Hoffnungen.“ Beschwichtigend legte Luc seine Hand auf die verkrampfte von Xei. „Dann lass mich daran teilhaben. Ich will keine Mauern des Unverständnisses zwischen uns. Du warst mir heute in wenigen Augenblicken so fremd wie noch nie zuvor. In deiner Gegenwart hatte ich immer das geborgene Gefühl von Vertrautheit. Bitte lass nicht zu, dass uns mehr voneinander trennt als notwendig. Nicht gerade jetzt, wo ich dir näher sein will und werde, wie jemals zuvor irgendjemanden in meinem Leben. Führe mich in deine Welt und erkläre mir ihr Mysterium.“ Die Traurigkeit kehrte unvermittelt in das schöne Gesicht vor ihm zurück. Wortlos schien es bizarr von Offenkundigem zu sprechen. „Es ist die Liebe Luc. Sie ist der Weg zu Gott und für mich der Inbegriff von Allmacht und Frieden. Sie führt mich und leitet mein Wesen in der Hoffnung auf das höchste Glück.“ „Dann findest du nicht nur Liebe in Gott, sondern auch Gott in der Liebe?“ „Du beginnst du verstehen.“ Ein Schauer durchzuckte Lucs Körper. Die bislang unterschätzte Gefahr dieses Fanatismus wurde ihm schlagartig bewusst. „Es macht mir Angst zu wissen, was du in mir siehst. Dabei kann ich deinen Ansprüchen doch niemals genügen. An mir ist nichts Göttliches, Xei. Nicht einmal ein Funke davon.“ „Du bist meiner Wahrheit so nah und gleich so fern. Du siehst sie vor dir und erkennst sie nicht. Aber ich will nicht weiter über mein Empfinden debattieren oder dich mit meiner Überzeugung belehren. Nimm die schlichte Tatsache an, dass du meine brennende Flamme der Liebe bist und Sorge dich nicht um Makel. Ich erkenne deine ebenso gut, wie ich Ivens kannte. Wie könnte ich sonst mit dir gehen, wenn es nicht Liebe wäre, die meinen Verstand besänftigt und mein Herz duldsam für dich schlagen lässt?“ Unsicher suchte er abermals das unruhige Grau. Was er fand, war gleißendes Silber. Ein Schimmer nur, doch überlagerte dieser alles. „Ich habe dich nie gefürchtet. Bis jetzt. Iven mochte diese Leere nach göttlicher Sehnsucht zu füllen verstanden haben, ich werde nur scheitern.“ Wieder dieses gehauchte Lachen. Wind, der sachte Wellen in einem klaren See zog. „Aber ich liebe dich doch schon und du bist nicht Iven. Bitte, belasse es dabei.“ Kritisch versuchte der Jäger in dem liebevollen Gesicht zu lesen. Xei behielt recht. Er begriff nur die Ansätze, nicht mehr. Und was er sah, war nicht die Pforte des Himmels, sondern der Abgrund der Hölle. „Wie konntest du das dulden!“ Aufgebracht wandte sich der Brünette gegen den Älteren. Er war sein Vorgesetzter, doch heute war ihm die Ergebenheit gleich. Sein Respekt scheiterte an Unverständnis des Berichteten. Sein Freund würde sich ganz einem Vampir verschreiben. Seine Seele bereitwillig zur Hölle schicken. Selbstaufgabe allein wegen eines Schwurs nach Rache. Vergangenheit die sein Grab sein würde. Seelenlos und nie zur Ruhe gebettet. Wie konnte Phil diesen Entschluss nur tolerieren? Wo war die Liebe des Ziehvaters, die dieses Unglück zu verhindern suchen sollte? Der Grauhaarig wirkte kraftlos und müde. Er hatte nicht nur Luc, sondern auch sich selbst aufgegeben. „Ich hätte es ihm nicht ausreden können.“ Unsinn. Feige Ausflüchte. Immer weniger konnte Vernon seine Beherrschung bewahren. „Das glaubst du doch selbst nicht! Schon immer hast du Luc deinen Willen aufgezwungen. Weshalb hast du diesmal gezögert? Bist du so altersschwach, dass dir sein Leben nichts mehr wert erscheint?“ Traurig warf das Gesicht des Älteren noch mehr Falten. „Nein, wie kannst du so etwas nur annehmen? Sein Leben ist mir mehr wert als alles andere. Hätte ich früher mehr an ihn, anstatt an mich gedacht, dann wäre ihm vielleicht einiges erspart geblieben. Mein Zutun hat sein Leben nicht erleichtert, sondern es erschwert.“ Vernon blieb hart. „Deine Untätigkeit jetzt versöhnt die Sache nicht. Aber wenn du nicht handeln willst, dann tue ich es, alter Mann.“ Entschlossen griff der Soldat nach seinem Schwert. Gleich was er verlieren könnte, er würde nicht abwarten, bis jede Chance vertan war. „Was hast du vor? “ „Du sprachst davon, dass Luc dem Prinzen das Licht nehmen möchte. Ich habe da so eine Ahnung, was er damit meint. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.“ „Ich bitte dich, Vernon. Überlege es dir. Luc hat seinen Entschluss gefasst. Und unter all dem Schmerz, der Liebe und dem Hass, war es für ihn nicht einfach einen Ausweg zu finden. Meinst du nicht, dass er auch dein Vertrauen verdient? Lass ihn seine Wege gehen, die er selbst gewählt hat. Akzeptiere seine Entscheidung.“ Vernon ballte die Fäuste. „Das kann nicht! Er geht seinen Weg im Nebel der Verzweiflung. Es ist nicht mehr sein starker Charakter der ihn führt, sondern seine kranke Seele. Wie kann ich da still bleiben und abwarten bis nichts mehr von seinem Selbst übrig ist? Er will zu einem Vampir werden? Dann soll er mir das ins Gesicht sagen!“ Außer sich eilte der Soldat Richtung Stall. Phils begleitende Bittrufe nach Vernunft stießen bei ihm auf taube Ohren. Er hatte sich bereits zu lange raus gehalten. Zielstrebig trieb er seine Stute voran. Die Erinnerung war beinahe noch greifbar. Der helle Schein, die strahlenden Gestalt. Schön wie die Sonne selbst und rein wie blütenweißer Schnee. Die Präsenz des weißhaarigen Vampirs war so machtvoll wie die des Prinzen selbst. Sein Herz bangte mit jeder Faser nicht zu spät zu kommen. Jeder Schlag, eine Sekunde die alles entscheiden könnte. Wild entschlossen galoppierte er durch die Alle der schneebedeckten Kastanien. Im fahlen Mondschein warfen die Geäste bedrohlich wirkende Fratzen auf die Erde. Schatten die seine Furcht schürten. Abrupt zog er an den Zügeln und zwang sein Pferd zum Anhalten. Durch den knirschenden Schnee ging er die letzten Schritte Richtung schmiedeeisernes Tor zu Fuß. Die verschlungen Ornamenten des Zutritts waren mit weißen Puder und glitzernden Zapfen bezogen. Die Silhouette des Schlosses dahinter wirkte in der klaren Winternacht romantisch und verwunschen. Ein verfluchter Ort, der nur den Anschein von Schönheit formte. Einladend, mit dem Versprechen von Verdammnis. Die schaudernde Gänsehaut des Soldaten galt nicht mehr länger der Kälte des Winters. Zwei Wachen, augenscheinlich Vampire, versperrten ihm sogleich den Zugang. Inständig hoffte Vernon, dass ihm Einlass gewährt wurde. „Nennt mir Name und den Grund eures Besuches!“ Die scharfe Stimme des stämmigen Vampirs ließ keine Nachsicht erwarten. „Mein Name ist Vernon Pytrell. Ich bitte um eine Audienz bei Luciel Baldur. Mein Anliegen ist privater Natur.“ Argwöhnisch beäugten ihn kalte Augen, bis sich der Schmächtigere von beiden zu Wort meldete. Die tiefe Stimme wollte dabei nicht recht zu dem unscheinbaren Auftreten passen. „Ich kenne euch. Das letzte Mal als ich euch hier sah, hat man euch des Herrschaftsgebietes verwiesen. Eure Rückkehr beschert euch den sicheren Tod.“ „Wenn das so ist,“ mischte sich der andere Vampir ein, „wird man euch gerne willkommen heißen. Als Gefangener, nicht als Gast. Ihr seid festgenommen, Vernon Pytrell und ich rate euch keinen Widerstand zu leisten.“ Vernon hatte nicht vor sich zu wehren. Er musste zu Luc und dies schien der nächstliegende und schnellste Weg zu sein. Widerstandslos erduldete er das folgende Prozedere. Seine Waffen wurden ihm abgenommen und die Hände stramm auf den Rücken gebunden. Der Vampir mit der tiefen Stimme trieb ihn geradewegs ins Schloss. Die steinernen Stufen zu dem mächtigen Portals zu nehmen, hatte etwas von dem Gefühl in sich, seiner Hinrichtung entgegen zu gehen. Er schluckte. Hoffentlich hatte er nicht zu viel auf eine Karte gesetzt. Nach einigen Abzweigungen in den verschlungenen Gängen, wurde er barsch in einen prunkvollen Saal gestoßen. Überrumpelt verlor er das Gleichgewicht und stolperte vorwärts. Kaum gefangen, folgte ein schmerzlicher Stoß zu Boden. Als er aufsah wurde er von zwei unbarmherzigen schwarzen Augen in Empfang genommen. „Mein Prinz, bitte verzeiht die Störung. Dieser Mann hier, Vernon Pytrell, ersuchte vor den Toren um eine Audienz bei Luciel Baldur. Wenn meine Erinnerung mich nicht trübt, so wurde er durch euch bei Betreten des Herrschaftsgebietes zum Tode verurteilt. Ich ersuche euch untertänigst um Anweisung, was mit ihm geschehen soll.“ Mit einer herrischen Geste wies der Prinz den Wachmann an beiseite zu treten. Abschätzend wanderte der unheilvolle Blick über den Soldaten zu seinen Füßen. „Man sollte meinen, dass die Garde fähigere Männer in ihren Dienst erhebt. Meine Worte waren unmissverständlich. Was treibt euch zu mir, Soldat? Todessehnsucht?“ Standhaft kämpften braune Augen mit der Vernichtung, die ihnen entgegen schlug. „Ich muss mit Luc reden. Bitte, gewährt mir nur einen Augenblick und verfügt dann nach belieben über mein Leben.“ Die Schwärze stach. Die Macht seines Gegenübers, die sich in jeder kleinsten Geste abzeichnete, ängstigte Vernon. Und er hatte selten Angst, allenfalls Respekt. „Lasst uns allein!“, befahl der Prinz mit dunkler Stimme, die Vernon ins Mark fuhr. Als sich die Tür schloss, erhob sich der Prinz. Herausfordernd tat es ihm der der Brünette gleich und rechnete jeden Moment damit, niedergeschlagen zu werden. Die bedrohliche Art, mit der der Prinz Vernon umkreiste, ließ keinen Zweifel mehr an der unheilvollen Natur des Schwarzhaarigen. Ein Raubtier, das mit seiner Beute spielte. „Was ist es, was ihr Luc mitteilen wollt. Welche Dringlichkeit lässt euch so leichtsinnig dieses Risiko eingehen?“ Schlichte, sachliche Fragen. Doch alles klang nach Drohung. „Es war kein Leichtsinn, sondern Entschlossenheit. Meine Worte sind für ihn alleine bestimmt.“ Der Prinz kam näher. Ein Schauer durchzog den Brünetten. Seine Haut kribbelte in der Gegenwart des Vampirs. Der angenehme Geruch fing ihn ebenso verführerisch ein, wie die Hand an seinem Kinn. Tiefschwarze Höhlen blickten ungehindert in seine schutzlose Seele. Vernon hatte das Gefühl sich in der Unendlichkeit zu verlieren. Die Schönheit die ihn bannte war zerstörerisch. Der Soldat kämpfte mit der Fassung. Angriff, der Weg nach vorne. „Es muss wahrhaft wundervoll sein, durch Hypnose spielend den eigenen Willen zu bekommen.“ Der tiefgehende Blick verschwand. Ein umwerfendes Lächeln fesselte nun. „Ihr macht es euch zu einfach, Soldat. Ich habe lediglich versucht in euch zu lesen. Was ihr offenbart verdankt ihr eurer Schwäche, nicht meiner Hypnose. Oder fühlt ihr euch in Trance?“ Blut schoss zu schnell in den Kopf. Peinlich berührt wandte er sein Gesicht ab. Nein, er war nicht in Trance. Dennoch schien sich seine Wahrnehmung nur auf den Prinzen zu richten. Alles andere verschwamm in dessen Aura. Sein Bewusstsein war da und dennoch eingeschränkt. Seine ganze Aufmerksamkeit der Faszination verfallen. Kurz wünschte er sich, er würde wieder in Ketten gelegt im Kerker stehen, seine Sinne allein auf Überlebenswille getrimmt, wach und scharf. Entschieden nicht weiter auszuweichen, hefteten sich seine Augen wieder auf den Prinzen. Er wollte zum Sprechen ansetzen, doch die Nähe des Vampirs war zu gegenwärtig. Eine Diskussion über Sein und Schein überflüssig. Spielerisch strichen fremde Finger über seine stummen Lippen. „Es ist alleine meine Anziehungskraft die euch angreifbar macht. Euch Grenzen der Unzulänglichkeit aufzeigt.“ Die Demütigung ging tief und die Annäherung ließ ihn abermals erschaudern. Er sollte aufbegehren. Doch es ging nicht um seinen Stolz. Er hatte einen anderen Kampf zu führen. Abweisend drehte er lediglich seinen Kopf aus der reizvollen Berührung. Wie von selbst trugen ihn seine Beine Richtung Distanz. Dem Prinzen schien es nicht zu kümmern. Trocken grub sich der dunkle Klang dessen Stimme wieder in den Soldaten. „Luc ist nicht hier. Zumindest momentan nicht. Aller Voraussicht nach wird er Morgen zurückkehren. Ich bin mir allerdings noch unschlüssig, ob ich euer Leben so lange schonen soll. Also gebt mir einen Grund für den Aufschub und wählt eure Worte mit bedacht.“ Angst umfing ihn. Vielleicht war er schon zu spät. Sein Mund war trocken, seine Zunge schwer. „Ging Luc alleine?“ Die Miene des Vampirs blieb ausdruckslos. „Nein. Luc begleitet Xei auf einer Reise.“ Fest legte sich die Angst um ihn. Noch gab es Zeit für Hoffnung. „Ist Xei der weißhaarige Vampir, der mir das Schwert zum Duell reichte?“ Keine Emotion. Lediglich ein Funkeln im tiefschwarzen Nachthimmel. „Ja, warum ist es von Belang?“ Die Angst zog sich zu, schnürte ihn in Panik ein. Gegenwart wies tragisch auf die Zukunft. Die Sorge versagt zu haben, bevor er etwas für seinen Freund tun konnte, war besitzergreifend und grausam zu tragen. Abermals legten sich lauernde Augen intensiv auf seine Haut. In einer geschwinden Bewegung fassten kühle Finger nach seinem Hals. Klauen des Todes, die Wahrheit verlangten. „Redet!“ Er hatte keine Wahl. Er würde Lucs Absichten offen legen müssen, um ihn zu schützen. Noch war nicht alles verloren. Die Wahrscheinlichkeit über Lucs Verdammung als Wesen der Nacht nicht Gewissheit. „Es ist nur eine Vermutung“, brachte der Brünette mühsam hervor, „aber sie legte sich so schwer auf mein Herz, dass ich kommen musste, gleich den Gefahren. Luc wird sich von Xei wandeln lassen.“ Die Hand verschwand. Kaltes brennen blieb. „Das ist lächerlich. Er würde niemals diesen Schritt gehen. Nicht ohne mich. Einzig für uns.“ Erleichtert fasste er an seinen Hals. „So überzeugt? Dann habt ihr keine Ahnung“, warf er dem Prinzen fast spöttisch entgegen. „Es geht nicht um eure Liebe zu Luc, sondern um eure Liebe zu Xei. Es ist das Licht, nachdem Luc trachtet. Er will es euch nehmen. Ein doppelter Schlag, gemeinsam geführt. Ihre Seelen werden auf Ewigkeit aneinander gebunden sein. Für immer euch entzogen. Ihr verliert eure Liebe in Luc und das Licht in Xei, Herz und Seele. Es ist die Einsamkeit und die Dunkelheit die euch bleiben sollen. Trostlosigkeit in Verzweiflung. Schmerz in der Leere.“ Volles Lachen brachte Vernon aus der Fassung. „Ihr amüsiert mich, Soldat. Ihr sprecht als wüsstet ihr über Lucs Gedankengänge, Gefühle und Seelenleben Bescheid. Dabei wählt ihr Worte von Empfindungen, die ich in der Vergangenheit hegte. Wünsche, die ich Luc einst aus Rache erfüllen wollte. Ich glaube euch kein Wort. Xei würde mich nie auf solch schändliche Weise verraten und ich sehe Lucs Beweggründe nicht in eurer lächerlichen Fiktion.“ „Nun wundert es mich nicht mehr, dass es Luc so leicht gefallen war, euch, einen Meister der Emotionen, so zu hintergehen. Eure Schwäche ist nur mehr als deutlich. Ihr seid durch und durch selbstgefällig. Geblendet von eurer eigenen Macht. Ihr habt soviel Stolz, dass ihr nicht merkt, dass ihr genau daran zu Grunde geht. Ihr liebt Luc und deshalb muss er es euch gleich tun? Ihr vertraut Xei und werdet demnach nicht verraten? Blickt hinter eure Arroganz und sagt mir wer jetzt unzulänglich ist, Prinz?!“ Bedrohung kreiste ihn ein, trieb ihn in eine Ecke. Die kalte Wand an seinem Rücken machte ein Entkommen unmöglich. „Ihr seid entweder wahnsinnig mutig, so mit mir zu reden, oder wahnsinnig einfältig!“ Die Hitze die Vernon entgegen schlug, schien ihn mühelos aufzuzehren. „Tötet mich, wenn euch die Wahrheit so sehr grämt, aber ich flehe euch an, in aller Freundschaft die ich für Luc empfinde, handelt und unterbindet es!“ Gelassenheit folgte. Wie ein Vorhang verbarg sie die Entrüstung des Prinzen. Selbstbeherrschung die dem Brünetten wieder Freiraum schenkte. Die Worte waren ruhig, beinahe emotionslos gesprochen. „Das Motiv? Gebt mir eine Grundlage, nicht nur Thesen.“ Traurig schüttelte der Brünette den Kopf. „Liegt es denn nicht auf der Hand? Ich hätte Luc ziehen lassen, gleich wohin er euch gefolgt wäre, solange es Liebe war, die ihn leitete. Jetzt ist es Hass. Hass der seinen Verstand untergräbt und ihn auf Irrwege führt.“ Ein kurzer Anflug von Betroffenheit zeigte sich, die augenblicklich unter Erhabenheit verborgen wurde. Der Prinz schien seine Haltung mit aller Macht aufrecht erhalte zu wollen. „Dann habe ich ihn mit meinem Falschspiel schlimmer verletzt als ich dachte. Schmücktet ihr deshalb eure Rede vorhin mit so viel Grausamkeit des Gefühls aus? Wolltet ihr mir meine eigene Findigkeit entgegen rechnen? Meinem Vorbild gemäß taktisch jeden Schlag in offene Wunden platzieren? Wenn ja, dann Gratulation an euren Auftraggeber. Die Worte, die er hat ausrichten lassen, trafen. Es enttäuscht einzig, dass Luc nicht allein dazu im Stande war, mir diesen Schmerz entgegen zutragen. Ich hoffe ihm ist bewusst, dass er euch zwischen uns gestellt hat. Ein Opfer, das er bereuen könnte. Verweilt hier bis morgen, wenn ihr wollt. Redet mit ihm und macht ihm begreiflich, dass ich seine Revanche bedingungslos annehme. Ich war mir nicht bewusst so viel in ihm zerstört zu haben, dass er so weit gehen musste um Genugtuung zu erlangen. Ich liebe ihn. Und ich verzeihe. Ich verlange auch keine Erklärung hierüber. Wenn er mir Leid zufügen möchte, um meinen Verrat zu vergelten, dann würde es reichen mir diese Liebe zu entziehen, für die ich über meinen Schatten gesprungen bin. Ein Lügengeflecht zu spinnen, wie ich es tat, war unnötig.“ Nun war der Soldat betroffen. Der Prinz war in seinen Augen der Inbegriff von Stärke und Größe. Die dargebotene Disziplin verriet kein Gefühl, doch die gesprochenen Worte waren nackt. Direkt, ohne Heimlichkeit. Der Schmerz und die Hilflosigkeit an jedem Wort haftend. „Bei Gott, ihr liebt ihn wahrhaftig. So sehr, dass ihr mit aller Macht an der Liebe festhaltet. Aber ihr missversteht. Nicht die Liebe ist der Schöpfer seiner Tat und auch nicht der Wegweiser für die unweigerliche Zukunft. Ich spreche nicht von dem Hass, den ihr in dem Manne wachgerufen habt, sondern von dem, der seit Kindesbeinen an ihn Luc wuchert. Geboren durch Angst.“ Diesmal war es Vernon der sich dem Prinzen näherte. Als er weiter sprach, wollte sich seine Hand tröstend auf die Schulter des Vampirs legen. Fesseln auf seinem Rücken unterbanden die abwegige Geste. „Euer Charakter lässt euch vorschnell die falschen Schlüsse ziehen. Es geht nicht um euer Falschspiel, von dem ich auch gar nichts weiß. Ich eifere nicht nach. Weder bin ich gekommen, um versteckte Botschaften zu übergeben, noch um euch eine Finte zu stellen. Ich bin einzig als Freund hier, in keiner anderen Eigenschaft. Weder auf Lucs Gesuch, noch auf seinen Wunsch hin. Lediglich die Sorge treibt mich. Ihr habt Luc einst alles genommen. Seine Familie dem Tod übergeben. Das Kind zu dem Jäger gemacht, der er heute ist.“ Erkenntnis huschte über den scharfen Blick des Vampirs. „Bregen.“ Aus dem Munde des Prinzen gesprochen, klang es wie ein Fluch. „Ein unbedeutendes Dorf. Eine unbedeutende Machtdemonstration. Eine von vielen. Der Name war für mich in Vergessenheit geraten, bis zur jener Nacht. Ich hätte Luc besser zu hören sollen. Vielleicht wären mir dann Parallelen aufgefallen. Aber wie gesagt, es war unbedeutend. Belanglos sich an Unwichtigem festzuhalten, das vergangen war. Ohne Zeugen, keine Tat. Ohne Kläger, keine Schuld. Ohne Richter, kein Urteil. Ich entsinne mich an nichts, außer an dem Kalkül zur Erhaltung meiner Macht.“ Der Vorhang fiel, die Maske brach. Schuld und bedauern tauchten Anmut in Zerbrechlichkeit. Kummer und Pein schienen wechselseitig nach Aufmerksamkeit zu schreien. Die glanzvolle Würde in trübe Verletzlichkeit zu reißen. Vernon musste sich zur Besinnung rufen. Seine Gefühle seinem Verstand unterordnen. Der Prinz hatte eben in Worten ausgedrückt, was er längst wusste. Er war ein despotischer Herrscher. Erbarmungslos, ohne Rücksicht. Dennoch rührte ihn der Schwarzhaarige. In diesem Moment konnte er Lucs Schwäche für den Vampir vielleicht das erste Mal verstehen. Bei aller Verkommenheit, allem was abstoßend und verabscheuungswürdig war, gab es dieses Gefühl von Bewunderung. Trotz der Hässlichkeit, konnte Vernon der Schönheit nicht widerstehen. Er wollte sie bewahren, sich schützend um sie legen und dabei nur in ihrer Gegenwart verweilen. Anziehung die ihn blind ins Verderben führte. Wie schwer mussten diese Gefühle nur mit Liebe wiegen? „Lucs Handeln ergibt einen stimmigen Sinn. Dinge die ich bislang hinterfragt und nicht ergründen konnte, waren im Grunde so offensichtlich, dass ich mich einen Narren schelten lassen muss, dass ich die Hinweise nicht gesehen habe. Die Möglichkeit, dass Xei mich tatsächlich so sehr verraten könnte, besteht in Anbetracht seiner Ideologie durchaus. Er tat es mir offen kund. Seine Gefühle für Luc waren für mich nie ein Geheimnis. Wenn eure Vorahnung stimmt und Luc vorhat sich wandeln zu lassen, dann wird Xei dies in Liebe nur zu gerne geschehen lassen. Einen Aufschub könnt ihr euch allenfalls von Lucs Wankelmut erhoffen.“ Trauer legte sich als Siegel der Angst um sein kämpfendes Herz. „Nein, die Entscheidung wiegt zu schwer, als dass Luc sie mit Zweifel getroffen hätte. Selbst wenn er mit sich hadert, so wird dies für ihn nur einen Grund mehr darstellen, sein Vorhaben schnell umzusetzen.“ „Ihr scheint ihn gut zu kennen, Soldat.“ Vernon schluckte. „Sein Gefühlsleben kenne ich als Freund. Ich weiß wie es in ihm aussieht. Welche Schrecken und Sehnsüchte seine ständigen Begleiter waren. Seine Handlungsweise kenne ich als Kamerad. Wir haben die gleiche Ausbildung durchlaufen. Ich weiß wie er denkt und handelt. Konsequent und kompromisslos gegenüber seinen eigenen Gefühlen. Einzig dem kranken Hass war er stets verfallen. Es war das einzige Gefühl, dass ihm bei seinem Weg als Elitejäger nicht im Weg stand, sondern ihn förderte. Gezielt unterstützt von der Garde selbst. Stets aufrechterhalten von der Angst wieder ein hilfloses Kind zu sein. Die Ironie daran ist, dass die Liebe, welche ihr in ihm wachgerufen habt, stärker war, als sein geschürter Hass und nun wird er letztendlich doch wieder daran scheitern. Liebe erwachsen durch den Schöpfer von Hass und somit zum Tode verurteilt.“ Unerwartet wurden die Fesseln des Brünetten gelöst. „Ihr dürft gehen, Vernon Pytrell.“ Schockiert wandte sich der Soldat dem Vampir zu. „Ist das alles? Wollt ihr nichts unternehmen?“ „Ich sehe in Xei ebenso wenig Zurückhaltung wie ihr Unsicherheit in Luc.“ „Dann wollt ihr aufgeben? Noch ist es nicht gewiss. Wo ist eure Entschlossenheit, Prinz? Wollt ihr nicht um eure Liebe kämpfen? Ist es eurer Natur nicht zu wider abzuwarten, anstatt das Geschehen nach eurem Willen zu gestalten?“ Abweisend kehrte ihm der Schwarzhaarig den Rücken zu. „Versucht nicht weiter in mich zu dringen. Ich möchte vergessen und rate euch selbiges zu tun.“ Wie von selbst legte sich die Hand des Soldaten bittend auf die Schulter des Vampirs. „Ich flehe euch an, handelt! Vergessenheit kann nicht euer Segen sein.“ „Nein, nicht der meine. Aber der ihre. Geht, bevor ich es mir anders überlege!“ Der drohende Unterton in der Aufforderung war Vernon gleich. Er war gekommen, Luc zu helfen, nicht um klein bei zu geben. Entschlossen wurde sein Griff fester. Dirigierend zwang er den Prinzen ihm entgegen zu sehen. „Ohne eure Hilfe weiß ich nicht wo ich sie finden soll. Bleibt untätig, wenn eure Liebe nur geheuchelt war. Ich hatte nicht erwartet, dass euch Gefühle etwas wert wären, aber verlangt selbiges nicht von mir!“ Ehe er es sich versah, wurde er mit großer Wucht einige Meter zurück geschleudert. Unvorbereitet empfingen seine Glieder den schmerzvollen Aufprall. Kaum war die erste Woge verebbt, spürte er ein Gewicht auf sich. Unnachgiebig wurde sein Körper durch den des Vampirs auf den Boden gedrückt. Feuer und Eis zeichneten das ebenmäßige Gesicht. „Ihr hab nicht die geringste Ahnung von meinen Gefühlen! Euer Freund hat gut kalkuliert. Ich werde Xei töten, sobald er mir noch einmal unter die Augen tritt. Gleich meiner Hoffnungslosigkeit, werde ich mir mein eigenes Licht, die Luft zum Atmen nehmen. Aber die Ewigkeit ist mein Schicksal und ich habe nicht vor mir diese Bürde früher aufzuerlegen als nötig.“ „Habt ihr ihn denn nicht längst verloren? Sie beide?“ Der Schmerz der sich nun in den tiefschwarzen Augen abzeichnete, war unerwartet und herzzerreißend. Kurz glaubte Vernon den Prinzen brechen zu sehen. „Warum seid ihr selbst so grausam zu euch? Genügt es nicht, dass die Umwelt es ist?“ „Vorsicht Soldat, ihr entwickelt Mitgefühl für eine Bestie“, hauchte der Vampir. Ja, es war fehl am Platz. Dennoch bedauerte er den Schwarzhaarigen. „Was ist mit Luc? Wollt ihr auch ihn vernichten?“ Das Lächeln in dem edlen Antlitz war tieftraurig. „Ich dachte, das hätte ich längst.“ Wieder verschwanden Emotionen hinter einer starren Maske aus Stolz. Würdevoll richtete sich der Vampir auf. Einzig das kaum merkliche Flattern der sonst vollen Stimme, zeugte noch von Gemütsregungen. “Wir haben uns bereits beide aneinander gerächt. Noch bevor es einen Grund dazu gab. Wenn Xei nicht mehr ist, gibt es nichts, was wir uns einander noch nehmen könnten, außer uns selbst und auch das ist lediglich nur noch ein Akt der Lösung, für einen Verlust den wir bereits tragen.“ Die Geduld verlierend und die Intimität der Situation festhalten wollend, stand der Brünette auf. Noch nie war er in seinem Leben von soviel Gefühl umfangen gewesen. Undurchsichtig und Verworren. Die Direktheit, mit der Iven über sein Empfinden offen sprach, fesselte ihn auf bizarre Weise. Vernon war fasziniert von der Gegensätzlichkeit von Wärme und Kälte. So viel Emotion, gefangen in Gefühllosigkeit. Lebenskraft und Totenstarre. „Verzichtet auf eure Rache an Xei, wenn er euch so viel bedeutet.“ Leises Lachen, fast lieblich klingend, unbarmherzig schneidend, drang schonungslos in seinen Geist. „Angst lässt uns wie die Liebe die seltsamsten Dinge tun. Ich fürchte Machtlosigkeit. Lucs Rache führt sie mir nur allzu deutlich vor Augen. Tanzend im Schein des Verrats. Ich dulde keine Schwäche. Die Konsequenz daraus ist für mich unweigerlich.“ „Werde ich auch eurem Vergeltungsdrang zum Opfer fallen?“ „Ja, die Versuchung liegt nah. Mein Wunsch Luc weiteren Schmerz zufügen zu wollen, hält sich gegenwärtig aber in Grenzen. Mein eigener ist im Moment zu groß, als dass ich dem Zorn verfallen könnte. Die Ewigkeit kennt auch keine Endgültigkeit. Würde ich den nächsten Schlag führen, so käme ein erneuter Angriff von ihm. Unendliche Wiederholung ohne Grenzen. Als einziger Ausweg der Tod. Ich habe nicht vor, mich selbst der Erbärmlichkeit hinzugeben, auch wenn mein Innerstes geradezu danach schreit.“ Der Worte klangen bereits nach Akzeptanz des Verdachts. Vernon wagte es dennoch seine Hoffnung frei zu lassen. Er konnte nicht akzeptiere, dass er seinen Freund schon verloren haben soll. „Gibt es irgendetwas, das euch dazu bewegen könnte, mir zu helfen Luc zu finden? Einen Versuch zu wagen, selbst noch Einfluss zu nehmen? Ihr leidet bereits jetzt für etwas, das in euren Augen unausweichlich ist. Macht es für euren Schmerz da wirklich einen Unterschied, ob ihr euer Urteil früher oder später vollstreckt?“ Der Prinz ging schweigend aus dem Raum. Verzweiflung durchzog den Brünetten. Bitte vergib mir, Luc. Ich habe alles versucht. Gäbe es nur einen Anhaltspunkt, würde ich nicht eher ruhen, bis ich jede Anstrengung unternommen habe, um dir zuvor zu kommen. Niedergeschlagen ging der Soldat der kalten Nacht entgegen. Der klare Sternenhimmel ließ ihn melancholisch werden. Das wird es also sein, was du nun auf ewig am Firmament sehen wirst. Nie wieder dein geliebtes Blau. Weit und fern. Beruhigend wie die unendliche See. Vernon zuckte bei seinen Gedanken zusammen. Es war so klar, nahe liegend. Hoffnungsvoll rannte er zu den Stufen Richtung Portal zurück. Als er nach oben zum Eingang blickte, blieb er überrascht stehen. Geschmeidig näherte sich eine dunkle Silhouette. „Es gibt nur zwei Orte, die für Xei in Frage kommen würden, um den ewigen Bund zu schließen. Der seiner Geburt und der seiner Wiederauferstehung.“ Kräftig schlug das Herz des Brünetten gegen seine Brust. „Liegt einer davon am Meer?“ Der Prinz nickte. „Ja. Wir werden bis zur nächsten Mitternacht durchreisen müssen, um dorthin zu gelangen.“ „Dann geht ihr mit?“ „Sollte eure dankende Feststellung nicht eher lauten, ihr nehmt mich mit?“ Freude schlich sich in die braunen Augen. Es war nur ein Schimmer, aber er genügte um sich mit aller Macht daran zu klammern. Noch war die Hoffnung nicht gestorben. Kapitel 33: Und so gab ich meine Seele -------------------------------------- 33. Und so gab ich meine Seele Sehnsüchtig starrte er in die weite See. Das schillernde Blau des Ozeans leuchtete im Lichteinfall der Sonne tief und unendlich. Reine Schönheit, allumfassend. Der salzige Geruch legte sich wohltuend auf seine Sinne. Sachter Wind suchte sich einen Weg unter die wärmende Kleidung und umschmeichelte seine geschundene Seele. Langsam lief er durch den kalten Sand, dem kühlen Nass entgegen. Kitzelnd legten sich die feinen Körner über seine nackten Füße. Schäumende Gischt begrüßten sie und umspielten neckisch die Zehen. Jedes Einsinken in den weichen Sandboden glich einem leichten Hinabziehen in die Hölle, die schon bald folgen würde. Iven. Er war für sein Herz Gott und Teufel in einer Person. Die Liebe zu ihm, als stille Sehnsucht von Glück, führte ihn weitab von Rache auf einen Pfad der Hoffnung, trotzend allen Widrigkeiten. Der Hass auf ihn, in Gestalt des Todes, erhielt ihn am Leben, ließ ihn jeden Schicksalsschlag tapfer ertragen. Nun war es Zerstörung die ihn leitete. Seine eigene und die seines Dämons. Xei würde ihn wandeln, ihn zu einem Vampir machen. Dennoch war es wiederum Iven der sein Schöpfer war. Die bittere Erkenntnis, stets in Schicksal an ihn gebunden gewesen zu sein, durchbohrte seine Gedanken. Jeder Schritt nach vorne, von ihm getrieben. Jeder zurück, ihm entgegen. Wohin er sich auch drehte, er haftet wie ein Schatten an ihm. Kurzzeitig zum Licht erstrahlt. Letztendlich tödliche Schwärze in Qual vernichtend. Er wollte Rache. Sie war die einzige Flamme die noch in ihm brannte, die brennen durfte. Mit aller Kraft ereiferte er sich, in ihr alles andere Gefühl zu versengen. Ein Funken Hoffnung, seine Schuldigkeit abzubüßen. Die Sonne sank am Horizont und der blutrote Himmel wies prophetisch auf die Zukunft. Seine Seele war längst nicht mehr unbefleckt. Der Akt der Verdammnis würde nur noch eine Bestätigung für die Verkommenheit sein, die bereits ihn ihm schlummerte. Immer war er gescheitert. Sich nun endgültig in Schande fallen zu lassen, weckte fast einen Anreiz zur Befreiung. Die letzten Strahlen küsste sein Gesicht zum Abschied. Dunkelheit, die nun für immer bleiben würde, formte das Bild. „Bist du dir wirklich sicher?“ Eine helle Stimme durchdrang die Finsternis. Xei. Er hätte keine bessere Wahl treffen können. Ivens Licht, nun das seine. Einzig tragend durch das Nichts, in Schwärze gebannt. „Rufe nicht die Zweifel in mir wach, ich bitte dich. Zögere nicht länger, sondern tue es!“ Kaum ausgesprochen, wurde er eingefangen. Sanft wie von Wolken in weißen Nebel gehüllt. Helligkeit, die ihm Frieden versprach. Eine Lüge. Im Schein der Vollkommenheit präsentiert, die Grausamkeit verschleiert. Silberne Augen blickten einzig in Liebe auf den Grund seiner schutzlos dargelegten Seele. Blutrote Lippen liebkosten zärtlich die seinen. Langsam knüpften sie ein Band vorbehaltlosen Vertrauens. Sanft mit jeder Berührung, mit jedem Hauch, ein Stückchen mehr. In Harmonie getaucht schwand alles, außer das Gefühl von Geborgenheit. Wie das Streicheln einer Feder wanderten die Lippen weiter. Kitzelnd über die Wange, kribbelnd über den Hals. Der Schmerz der folgte wurde von ihm bereitwillig empfangen. Seine Arme schlossen sich Halt suchend um die weiße Gestalt. Leben wich aus ihm, wurde in Süße ausgesaugt. Schwäche ließ ihn zittern, Ekstase beben. Er verlor jedes Gleichgewicht, jedes Gefühl für seine Glieder. Einzig Wärme spürte er, die ihm seine eigene nahm. Liebevoll wurde sein hilfloser Körper an den des Vampirs gedrückt. Beistand den er dringend brauchte. Liebe die ihn einfing, ausfüllte. Die Verzweiflung verweilte so nah und gleich so fern. Verbannt durch die Leidenschaft, die ihn durchströmte. Erschöpfung legte sich auf seinen Leib und trieb ihn an den Rand der Bewusstlosigkeit. Die Realität verzerrt sich, die Vergangenheit mahnte nicht mehr, die Zukunft schwieg still. Einzig dieser Moment war wahrhaftig. Untrügliches Heil, das in Licht erstrahlte. Weiß schimmernde Haut legte sich lockend auf seinen Mund. Lebenswille, der Vernunft abgelegt hatte, gierte nach Existenz. Der erste Tropfen benetzten seine Lippen verhängnisvoll. Hunger, der nach Befriedigung verlangte, bahnte sich seinen Weg. Ein letztes Aufbegehren seines Selbst. Er konnte ablehnen. Es jetzt für immer beenden. Sterben. Seine Seele schrie. Vergebens. Er gab sie hin. Blut durchströmte seine Adern. Erfüllte ihn mit Kraft. Spülte das Leben entgegen. Erregung, die energisch in ihm pochte. Fordernd, wild nach Erlösung durstete. Befriedigung stillte das gewaltige Verlangen. Im Rausch der Leidenschaft gefangene Sinne. Verzerrt und klar, taub und pulsierend. Eine Flut aus Emotionen trug durch die Wirrungen seiner Psyche. Erhob in Wonne über den Horizont des Todes. Seine Selbst für immer verschmolzen. Vereint in Liebe, gebunden durch Hass. Der Schleier des Deliriums fiel. Im Fegefeuer geläutert sah er wieder klar. Die erste Erinnerung an die Menschlichkeit hallte in seinem Kopf. Und so gab ich meine Seele, hoffnungsvoll Frieden zu finden. ~ Hallo ich Lieben! Also ich bin mal auf eure Reaktionen gespannt. Viel passiert ist in dem Kapitel an sich nicht und dennoch verändert es alles. Unerwartet war der Schritt für die meisten wohl nicht. Wohin der Weg weiter führt ist auch das Spannendere ^.- In diesem Sinne bis bald, eure Teedy ~ Kapitel 34: Unterweisung ------------------------ 34. Unterweisung Eilig jagte die Kutsche durch die Finsternis. Vernon war unbehaglich zumute. Die Nähe des Prinzen machte ihn nervös. Das Schweigen war unangenehm, das Atmen störend. Unsicher hefteten sich seine Augen in das dunkle Nichts, das verschwommen an ihnen vorbei zog. Nach einer gewissen Zeit kam er sich lächerlich vor. „Wohin fahren wir?“ Eine Frage die er hätte längst stellen sollen. „Zu der Stätte von Xeis Wiederauferstehung.“ „Wie meint ihr das? Die Andeutungen von Geburt und Auferstehung verwirrt mich. Welche Bedeutung kommt ihnen zu, dass sie für sein Wesen so aussagekräftig sind?“ Das Gesicht des Vampirs war ernst auf das des Soldaten gerichtet. „Xei ist durch und durch außergewöhnlich. Sein Handeln ist geprägt von seiner Einstellung zum Leben. Zumindest in Anbetracht seiner Ideologie gibt es wohl kein vergleichbares Geschöpf der Nacht. Liebe stellt für Xei die einzig wahre Maxime da, in jeder Hinsicht. Der Ort der Geburt, ist schlicht der Ort, an dem ihm durch die Liebe seiner Mutter das Leben geschenkt wurde. Die Wiederauferstehung ist schwieriger in Worte zu fassen. Ich möchte nicht zu weit ausholen oder Zusammenhänge erklären, die für euch nicht von Bedeutung sind. Vor seiner Wandlung widmete Xei sein Leben dem Göttlichen. Im Kreis der Kirche, befreit von allem Weltlichen und einzig die Liebe Gottes, für ihn Ursprung von allem, verkündend, fand er Zuflucht und später das Leben wieder. Er nannte mir gegenüber den Entschluss, sich gänzlich der Selbstlosigkeit zu öffnen und der Abhängigkeit zu folgen, seine Wiederauferstehung. Reingewaschen durch Erkenntnis. Erfüllend in Hingabe. Geführt durch Liebe.“ „Ein gläubiger Vampir? Das kommt mir Gotteslästerung gleich.“ Die Belustigung in den schwarzen Augen überzog sein Gegenüber mit umwerfender Attraktivität. Gebannt versank Vernon gänzlich in der Aura des Anderen. Was nur war es, das ihn so sehr anzog? Peinlich berührt über das sehnsüchtige Gefühl, wandte er seinen Blick wieder nach draußen. Er musste den Prinzen eine ganze Weile angestarrt haben. Zeit die ihm der Vampir offen gewährte hatte. Sanftes Lila färbte den Horizont. Die Sonne würde bald den Tag mit ihren hellen Strahlen einläuten. Fragend blickte der Soldat zu dem Vampir. „Nun, die Aussicht werde ich euch leider nehmen müssen. Vielleicht wollt ihr euch zu dem Kutscher gesellen?“ Der Anreiz den Prinzen im Schlaf hemmungslos beäugen zu können, trieb dem Brünetten die Schamesröte auf die Wangen. Fluchtartig drängte Vernon den Kutscher zum Anhalten. Kaum zum Stillstand gekommen, stürzte er aus der Kutsche, um der Verlockung zu entkommen. „Ihr habt recht, die frische Luft wird mir sicher besser bekommen“, gab er trocken zu und gesellte sich überhastet auf den Kutschbock. Die verwunderten Augen, die jede seiner Gesten bis zuletzt ausmachten, hafteten überdeutlich an seinem Körper. Er fühlte sich schmachvoll entblößt und hilflos. Gedankenversunken zog die Landschaft an ihnen vorbei. Die Eiseskälte der Nacht verflog mit jedem Sonnenstrahl. Die Gegend die sie bereisten, wurde nur wenig von der winterlichen Schneedecke geschmückt. Je höher die Sonne wanderte, desto vager wurde die Hoffnung, Luc vor dessen selbst gewählten Schicksal bewahren zu können. Immer wieder spielte er in Gedanken das Aufeinandertreffen durch. Jede Vorstellung so wenig fassbar wie die zuvor. Es fehlte schlicht der Glauben auf ein gutes Ende. Seine Glieder waren allmählich steif. Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten. Die Plaudereien mit dem Kutscher verkürzten die Zeit, waren aber belanglos. Eine kurze Rast nutzten der Kutscher zum Wechseln der Pferde und der Soldat um seinen Bewegungsdrang zu stillen. Wachsam behielt er die Kutsche dabei stets im Auge. Der Prinz ging ein großes Risiko ein, bei Tageslicht, nur im Schutze der abgedunkelten Kabine zu reisen. Abhängig alleine von Vernons Aufmerksamkeit und der des in Diensten stehenden Kutschers, war er vertrauensvoll der Willkür ausgeliefert. Nun wurde Vernon klar, weshalb der Prinz es bisher unterlassen hatte, einen Ortsnamen zu nennen. Sie fuhren weiter und Vernon konnte das Meer bereits erahnen. Die Luft roch leicht salzig und Möwen kreisten ab und an über die Klippen in der Ferne. Als sich die Sonne verabschiedete, drängte der Soldat den Kutscher zum Halt und stieg ab. Ehrfürchtig blieb er am Rand der imposanten Klippe stehen. Sehnsüchtig wanderten seine Augen über das Naturschauspiel, welches sich ihm bot. Das weite Meer wirkte in glitzerndes Silber und Gold getaucht atemberaubend schön. Die schäumende Gischt der See umarmte die sanften Wellen wie zu einem Kuss, während ihr weicher Klang romantisch zum Träumen einlud. Gerne hätte er diesen Augenblick mit Babette geteilt. Gefühlvolle Zweisamkeit mit seiner Liebsten ausgekostet. Der letzte goldene Hauch verschwand und Silber wandelte sich in tiefes Anthrazit, bis der Himmel schließlich sanft in Schwarz hinüber glitt und das Idyll der Nacht überließ. „Gerne hätte ich den Anblick mit euch geteilt.“ Die dunkle Stimme ließ den Brünetten zusammenfahren. Der Frieden um ihn verschwand und machte erneut Erregung platz. Spannung beherrschte seinen eben noch gelassenen Körper. Als der Prinz neben ihn trat, stieg die Hitze in ihm, mühelos die Kälte des Abends vertreibend. „Mir bleibt nur der Anblick der Sterne und der helle Schein des Mondes.“ Vernon drehte sich dem Vampir zu. Kaum seine Augen vom Nachthimmel abgewandt, fanden sie sich auch schon in der Miniatur davon wieder. Bezaubernd wie alles an dem Schwarzhaarigen. Formvollendete Züge, die anmutig kokettierten. Jede Bewegung war fließend und voller Kraft. Begehren keimte in dem Soldaten. Verzerrte Realität, die ihn gefangen nahm. Seine Lippen waren schneller als sein Verstand. „Wie macht ihr das nur?“ Fragend neigte sich der Schopf des Vampirs unmerklich zur Seite. Vernon kam sich überaus dumm und tölpelhaft vor. Verlegen suchte er Erklärungen. „Die Garde trimmt jeden Anwärter von Beginn an darauf, euch Vampiren in Kraft und Stärke ebenbürtig zu sein. Dabei ist es Feinheit und Liebreiz aus denen ihr die viel größere Macht über uns gewinnt. Ich sollte euch gegenüber nichts als Abscheu empfinde, doch suche ich vergebens danach.“ „Verzeiht, ich hatte nicht vor euch betören. Auch wenn ich Aufmerksamkeit genieße, so geschah es bislang nicht willentlich.“ „Bei Gott, ich hoffe niemals eurem Willen in Form von Zuneigung ausgesetzt zu sein“, entgegnete der Soldat beschwörend. Wieder dachte Vernon an seinen Freund. Die Hilflosigkeit in diesem musste überwältigend gewesen sein. Schuldbewusst rügte sich der Brünette dafür, seine Vorurteile über die Treue gestellt zu haben. Er hatte dem verpflichtenden Dienst der Freundschaft den Vorzug gegeben. Ein Fehler der fatal auf seinem Gewissen lag. Vielleicht wäre Luc nicht so verloren gewesen, wenn er von Beginn an eine Hand gehabt hätte, die ihn festhielt, gleich in welche Richtung er getrieben wurde. „Das Ziel ist nicht mehr fern, aber ich brauche eine Stärkung, bevor wir weiter reisen“, riss ihn der Schwarzhaarige aus seinen Gedanken. „Gut, lasst uns in eine Taverne gehen. Mein Magen wird sich sicher auch über eine Stärkung freuen.“ Ein amüsiertes Lächeln schlug dem Soldaten entgegen. Die Erkenntnis über Gesagtes ließ ihn erschaudern. Wie kam er nur auf den absurden Gedanken, dass der Prinz mit ihm zusammen ein Mahl einnehmen würde? Der Vampir brauchte Blut, nichts weiter. So einfach; kostbarer als alles. Der erwartete Spott blieb aus. „Geht nur, aber verweilt nicht zu lange. Ich werde derweilen meine Wege gehen.“ Damit wandte sich der Vampir ab. Vernon hatte augenblicklich keinen Appetit mehr. Lustlos stocherte er in dem aufgetischten Eintopf herum. Das Bier schmeckte schal. Vernünftig seinem Körper einen Dienst zu erweisen, nahm er dennoch ein paar Brocken zu sich und spülte sie mit dem bitteren Geschmack des Gerstensaftes herunter. Eiligen Schrittes näherte er sich der Kutsche. Er wollte keine Zeit mehr verlieren und endlich Gewissheit erlangen. Ungeduldig wartete er auf die Wiederkehr des Prinzen. Jede Minute zog sich endlos dahin, schaffte zu viel Raum für Sorge. „Wir sind auf der richtigen Fährte.“ Erschrocken fuhr der Soldat herum. Er hatte den Vampir nicht kommen hören. „Xei wurde letzte Nacht hier gesichtet. Die Beschreibung lässt keine Zweifel zu.“ Beiläufig fuhr ein Taschentuch tupfend über die roten Lippen des Vampirs. „Dann sollten wir keine Zeit mehr verschwenden“, stellte Vernon verstimmt fest. Während die Pferde weiter durch die Nacht jagten, wurde das Donnern der Räder von dem durch Regen aufgeweichten Boden geschluckt. Nachdenklich musterte Vernon den Vampir. „Empfindet ihr nie Reue oder Schuld?“ „Weil ich mich nähre?“ „Weil ihr tötet, Nacht für Nacht!“, klagte der Soldat an. „In dieser Hinsicht hat unser Schöpfer in mir sicherlich seine beste Wahl getroffen, genauso wie in Xei seine schlechteste.“ „Wegen seines Glaubens? Ich hatte mich schon gefragt, wie er töten kann, um seine eigenen Existenz zu erhalten, wenn seine Seele doch Gott so sehr dienen möchte. Aber es ist wohl kaum die Liebe, die ihn am Leben hält.“ Die zynische Mimik des Brünetten quittiert der Prinz mit einem süffisanten Lächeln. „Nun, bisher, war sie es. Meine Liebe, Nacht für Nacht. Xei hat nie das Blut eines Menschen getrunken, mit einer Ausnahme.“ Überrascht unterbrach Vernon den Vampir. „Ihr könnt ohne menschliches Blut leben? Alleine durch die Hingabe eines Liebenden von eurer eigenen Art? Wieso tut ihr es dann nicht?“ „Xei kann es. Ich kenne keinen anderen Vampir, der dem Drang nach Hunger widerstehen kann. Ja, unser gegenseitiges Blut reicht zum Überleben. Wir tauschen es aus der Not heraus, wenn keine Wahl bleibt. Oder wir tun es, um eine Intimität zu erzeugen, die unsagbar ist. Auch geben wir diesem Akt nach, um Lust zu kreieren, die jede andere Leidenschaft in den Schatten stellt. Doch der Hunger bleibt und unsere Natur verlangt stets nach mehr. Wenn der Zauber abfällt, der Bann loslässt und die Intimität schwindet, bleibt nur er über und regiert. Qualvoll, bis er gestillt wird. Die Gier ist verzehrend. Daher sehe ich die Chance rechtzeitig zu kommen als bereits vergeben an. Luc hatte einen folgenschweren Fehler begangen, indem er Xei bereits einmal sein Blut freiwillig gab. Er hat dem Tier in Xei damit Freiraum gegeben. Nun ist es bei Xei wie bei einem Verhungernden. Trotzt Übelkeit würde er alles Verschlingen um Nahrung zu erlangen. Alleine Instinkt getrieben. Mein Bruder ist nun die dritte Nacht in Folge ohne Blut. Jetzt, da ich nicht da bin, um seine Qual zu stillen, bin ich mir nicht sicher, wie viel von seiner Stärke geblieben ist. Die Verlockung gab es immer, genau wie seinen Widerstand. Doch nun ruft nicht der Hunger allein, sondern sein Herz. Es verlangt Blut wie Liebe und die kleinste Einladung verspricht Erlösung.“ Betroffen ballte der Soldat seine Fäuste. „Luc hat ihm freiwillig Blut gegeben? Warum und wie hat er es überlebt? Diese Schande für was? Ihr stellt mich immer wieder vor neue Rätseln, Prinz.“ „Es geschah um mich zu kränken. Eine Machtdemonstration, die mich so sehr traf, wie er es wohl beabsichtigt hatte. Ich fühlte mich von beiden Hintergangen. Beinahe wie ein betrogener Liebhaber. Vorgeführt und gedemütigt.“ Die Offenheit mit der der Prinz abermals zu ihm sprach, umschmeichelte Vernon. Begierig dieser Vertrautheit mehr Raum zu geben, lauscht er jedem Wort. „Ja, Luc hat es überlebt. Xei hat ihn weder getötet noch gewandelt. Selbst der Eigensucht, ein Blutband zu knüpfen, widerstand er. Du warst der Wahrheit vorher sehr nahe. Unsere eigentliche Macht erwächst nicht aus der physischen Überlegenheit, sondern aus der psychischen. Liebe ist die einzige Kette, die das Tier in uns halten kann. Dabei muss es nicht unbedingt die Liebe zwischen zwei Liebenden sein. Es gibt so viele Arten, wie sie sich äußern kann. Als Familienbande, als Leidenschaft, als Nächstenliebe oder Freundesliebe. Gleich wie, sie ist alleine abhängig von der Stärke des Gefühls.“ Mit dem vertraulichen Du, hatte der Vampir endgültig Intimität geschaffen, die bereits die ganze Zeit über mitschwang. Dies machte es für Vernon einfacher in die Unterhaltung einzusteigen. Die Förmlichkeit war stets ein Aufblicken, ein umsichtiges Achtgeben gewesen. „Was ist mit der Feindesliebe, Iven?“ Den Namen auszusprechen fiel schwer und schaffte einmal überwunden Erleichterung. „Kann sie nicht dein Gemüt besänftigen? Einen Ausweg bieten?“ Betrübt spiegelten schwarze Seen Verletzlichkeit wieder. „Wie könnte sie das. Meine Enttäuschung, mein Verlust ist zu groß, als dass ich jene Art zu lieben überhaupt in Betracht ziehen könnte. Meine Rücksichtslosigkeit zeichnete stets meinen Charakter. Feindesliebe ist von mir wohl so weit entfernt, wie der Himmel von der Hölle.“ „Verstehe.“ Vernon war sich nicht sicher, ob er den Umstand, Ivens Brutalität so deutlich vor sich zu sehen, begrüßen oder verwünschen sollte. Sein Verstand zeichnete Bilder der Vernunft. Grundeinstellungen und Prinzipien, seit Jahren mit bitterer Erfahrung untermauert. Doch sein Herz wollte sie weg stoßen. Sehnsüchtig hegte es den Wunsch, Iven ohne Makel zu betrachten. Dabei hatte es doch gar keinen Platz für einen Vampir. „In der Nacht, als das Treffen mit dem Grafen statt fand, hattest du Luc gebissen. Liege ich damit richtig, dass du wie Xei, ihn damals nicht mit einem Blutband an dich gebunden hast, sondern dass er dir stets freiwillig folgte?“ „Hatte er dir das nicht gesagt?“ „Nein, er bat mich lediglich um mein Vertrauen. Ich denke auch nicht, dass ich ihm geglaubt hätte, gleich welcher Beteuerung.“ „Und nun tust du es?“ Vernon schluckte. Er musste endlich klare Verhältnisse schaffen. „Ich fühle mich selbst gefangen in einer Welt, die es meiner Ansicht nach gar nicht geben sollte. Mein Herz habe ich längst mit Freuden meiner Liebsten geschenkt. Ihre Kraft durchströmt mich, Tag für Tag. Meine Gedanken sind bei ihr, in jedem Atemzug. Immer begleitet sie mich. Die Liebe zu ihr leitet mich und bürgt mich in Geborgenheit. Sie ist alles was ich mir je vom Leben erhofft habe und es gibt nichts nach was ich trachten sollte. Ich habe längst erhalten was begehrenswert wäre. Glück und Liebe vereint. Dennoch bin ich seit gestern mit Sehnsucht erfüllt die ich nicht verstehe. Emotionen überwältigen mich und schleichen sich bis in den kleinsten Winkel meines Körpers. Selbst Worte des Gefühls, die ich vorher nie nach außen getragen hätte, überkommen mich nun. Mein Geist fühlt sich durch dich in Gefangenschaft genommen und mein Herz ist im Begriff zu folgen. Ich fühle mich nackt in deiner Gegenwart. Vollkommen ausgeliefert und nach dieser Hilflosigkeit verlangend. Es ist grausam dich zu betrachten, dennoch kann ich meinen Blick nicht abwenden.“ Schwarze Augen verweilten sanft auf den seinen, als sich der Vampir leicht vor beugte. Die Nähe war Vernon unerträglich. Erbarmungslos legte sich Ivens fesselnde Kraft auf sein Innerstes und zog ihn unaufhörlich in die Tiefe. Die Hand die sich zärtlich auf sein Knie legte, erweckte Fantasien, für die er sich den Tod wünschte. Er wollte die geschaffene Berührung festhalten, sie ohne Stoff auf nackter Haut fühlen. „Was wenn ich deine Sehsucht stillen würde? Könntest du dich mir hingeben, Vernon?“ Entsetzen erfasste ihn. „Wie könnte ich es nicht? Welchen Weg muss ich gehen, um dir zu entkommen?“ Wann genau war in Ivens Gegenwart nur alles aus den Fugen geraten? So sehr, dass er diese absurde Unterhaltung führen musste. Wie konnte der Vampir so etwas überhaupt in Betracht ziehen? Hier ging es doch um Luc. Eben. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. „Wolltest du nicht den Kreislauf von Rache durchbrechen? Stattdessen ziehst du mich, entgegen deiner Beschwichtigung, doch mit hinein. Ruchlos führst du mich, spielend meine eigene Schwäche erkennend, in deinen Abgrund. Einzig um Luc schaden zu wollen. Es ist sein Schmerz, der mir meinen beschert, habe ich recht?“ Der belustigende Glanz in Ivens Augen kränkte Vernon. Er hätte niemals so viel Schwäche zeigen dürfen. Wie zu Bestätigung grub sich die belehrende Stimme des Prinzen verletzend in seinen Geist. „Lerne zwischen den Zeilen zu lesen. Ich sagte, dass die Versuchung besteht. Auch wusstest du nur zu gut, dass ich bis ins Detail der Raffinesse zugetan bin. Mit jeder verstreichenden Minute offenbarst du mir einladend neue Schwächen, die ich meiner Natur entsprechend nicht ausschlage, sondern genüsslich auskoste. Hast du etwa geglaubt, du könntest dich auf das Schlachtfeld begeben, ohne Schaden davon zu tragen? Du hast dich zwischen uns gestellt, schon vergessen? Die Position des Schützers bewahrt dich nicht vor meinen Angriffen.“ Kühl zog sich der Vampir wieder zurück. Dennoch war der Abstand für Vernon zu gering, um sich sicherer zu fühlen. Er hatte sich wahrhaft zum Narren halten lassen. Er fühlte sich wie ein Zuschauer, obgleich er die Handlung selbst vorantrieb. Blind darauf vertrauend, etwas ändern zu können. Nur zu gern glaubte er an die Sanftheit vor dem Grauen. Suggestion ohne Tiefblick. Einzig weil die Hölle engelsgleich entgegen lächeln würde. „Gestatte mir nur eine Wahrheit zu. Ist es die Kraft der Hypnose oder bin ich deinem Wesen tatsächlich aus freien Stücken so sehr verfallen, dass ich mich blind führen lasse?“ „Nun sind wir an dem Punkt angelangt, an dem wir bereits einmal waren, Soldat.“ Die erbarmungslosen Augen schlossen sich kurzzeitig, nur um anschließend milde zu leuchten. „Gut, ich will dir deine Frage deutlicher beantworten. Hypnose ist eine Fähigkeit, die ich nicht allzu oft gebrauche. Meinem Charakter entspricht das Unterjochen, das Treiben in Irrgänge und das Auskosten von dem Winden in Sackgassen. Dem Induzieren der von mir gewünschten Richtung, fehlt in der Passivität der Hypnose gänzlich der Reiz. Dennoch kann ich dir etwas von deiner Befangenheit nehmen, obgleich es für dein Ehrgefühl kein Trost sein wird. Jene Gabe, die es uns ermöglicht euch Menschen so sehr aus der Fassung zu bringen, liegt in unserer Natur. Manifestiert über Zeitalter hinweg. Wir verleiten euch zu Bewunderung, um der Hatz zu entgehen. Je nach Ahnenblut mehr oder minder erfolgreich. Hast du dich nie gefragt, wie wir über all die Jahrhunderte überdauern konnten? Trotz eures Wissens, eurer stetig wachsenden Macht über uns? Wir leben, weil ihr uns nicht auslöschen könnt. Unfähigkeit menschlicher Psyche. Eure Emotionen sind unser Schutz.“ Vernon schluckte. Jahrelange Ausbildung und dennoch wurde er in Unwissenheit gelassen. Naivität die leicht zu lenken war. Ahnungslosigkeit die nicht aufbegehrte. Ivens Lektion lehrte ihn mehr als jeder Unterricht zuvor. „Du öffnest meinem Verstand Türen, die dieser noch nicht wagt endgültig zu durchschreiten. Die Wahrheit die dahinter liegt in vollem Umfang zu erkennen, würde alles zerstören, woran ich glaube. Doch auch ohne Weitblick ist es offensichtlich. Es endet immer im politischen Machtspiel, habe ich recht? Eure Kontrolle über uns, unsere über euch. Wie viel lenkt ihr Vampire innerhalb der Gilde? Wie viele Herzen sind dir zugetan?“ Ivens dunkles Lachen erschreckte Vernon. Er hätte nicht fragen sollen. „So einfach ist es nicht. Ich sagte doch, dass die Natur unser Schutz ist, nicht unsere Waffe. Mit Verführung gewinnt man keinen politischen Einfluss. Dafür haben zu viele Taktiker und Anspruchsinhaber ihre Hände im Spiel, als dass ich sie alle unter Kontrolle halten könnte. Ein umnebelter Geist mag zuweilen hilfreich sein, aber er erschafft keine Substanz. Manipulation wird in allen Schichten der Herrschaft betrieben. Von der Gilde ebenso, wie von den Vampirclans. Wir nehmen uns beide nichts. Deiner Ahnung, dass es Abhängigkeit gibt, habe ich nichts hinzuzufügen. Sie ist existent, auf beiden Seiten. Nun habe ich dir mehr Wahrheit zugestanden als verlangt war. Kannst du sie auch tragen, Vernon?“ „Nicht darüber sollte ich mir Gedanken machen. Ich kam um Luc zu retten. Nicht um meine Loyalität in Frage zu stellen. Es ist das Band der Freundschaft, das mich führt. Nicht der Dienst des Soldaten.“ „Wie du meinst. Es obliegt nicht mir, deinen Geist zu erhellen.“ Dankbar, dass Iven das Thema ruhen ließ, schloss Vernon die Augen. Hartnäckig verscheuchte er die wirren Worte von eben. Ob die Gilde nun von den Machenschaften der Vampire unterworfen war oder andersherum. Es war nicht wichtig. Nicht jetzt. Er wollte nur seinen Freund in Sicherheit wissen. Das Gefühl der Hoffnung war immer noch da. Er würde daran festhalten. Bis zuletzt. Und bei seinem Weg würde er besser auf den Schatten achten, der ihm folgte. Der Schatten, der ihn beobachtete. Der Schatten, der ihn auskundschaftete. Von Außen und Innen. Es war unerträglich. Es war verführerisch. Kapitel 35: Verspielt --------------------- 35. Verspielt Klappernde Hufe näherten sich einer Reihe von Gebäuden, die sich auf der Erhöhung der imposanten Landschaft abzeichneten. Bei näherem Betrachten war es ein stattliches Herrenhaus, dessen Gut von mehreren schmucken kleinen Häusern bebaut war. Je Höher die Kutsche gezogen wurde, desto atemberaubender wurde der Blick auf den weiten Ozean unter ihnen. Gerne hätte Vernon diesen Anblick bei Tageslicht genossen. Dennoch strahlte das Idyll im fahlen Mondschein der Mitternacht eine ergreifende Faszination aus. Oder lag es nur an der Gesellschaft? Eine, die bald an der Intimität der engen Kutsche verlieren würde. Ein samtiges Schimmern in den tintenschwarzen Vampiraugen bekräftigte Vernon seine Vermutung. “Wir sind gleich dort“, stellte er mit leicht fragendem Unterton fest, ohne dabei den Blick von der Tiefe vor ihm lösen zu können. Ein unmerkliches Nicken bestätigte den Brünetten. „Und wo genau sind wir?“, hakte Vernon nach. „Ich meine, hier wirkt alles sehr nach einem bewirtschafteten Landbesitz, nicht nach einer Ortschaft.“ „Wir befahren das Gut der Marquise del Rosso. Sie ist Gebieterin über den hiesigen Landstrich und ihren wachen Augen entgeht nichts. Ihr Einfluss ist weitreichend und sie wird uns sagen können, wo Xei seine Unterkunft hat.“ Dann war diese Vampirin also mehr als eine Herrin über Grund und Boden. „Sie hat politischen Einfluss“, gab Vernon leise von sich. „Durchaus.“ Die dunkle Stimme ließ den Soldaten zusammenzucken. Vernon war sich nicht bewusst gewesen, seine Überlegung ausgesprochen zu haben. Wieder fühlte er sich recht unbeholfen. Ausweichend suchten seine Augen Ablenkung in dem schwer drückenden Bild der Nacht. Ein warmer Schein erhellte die Düsternis und die Umgebung bekam Kontur. Der geschlungene, steinige Weg, wurde von Fackeln am Wegesrand gesäumt. Pferdeschnauben in der Nähe durchbrach die stille Nacht und schwarze aneinander gereihte Pfähle warfen Schatten auf den Boden. Es dauerte eine Weile, bis Vernon klar war, dass er nichts weiter als das verzerrte Spiel des Eingangstors wahrnahm. Neugierig spähte er hinter die Eisenstäben und ärgert sich sogleich über den dürftigen Blick aus dem Kutscheninneren. Hinter den Toren schien reges Treiben zu herrschen und auch Stimmengewirr konnte er nun deutlicher wahrnehmen. Als die Kutsche hinter den Eingangstoren zu stehen kam, mischten sich Neugier und Zweifel in dem Soldaten. Angespannt versuchte er ein genaueres Bild der Umgebung auszumachen. Die vielen umstehenden Kutschen ließen auf eine größere Veranstaltung schließen. Bunte Gestalten huschten im diffusen Licht über den üppigen Vorgarten, der in idyllischer Harmonie zeitlos von Vergangenheit in Moderne erzählte. „Sieht so aus, als ob die Marquise einen Ball abhält“, stellte Iven emotionslos fest. „Dann sollte ich besser aussteigen und von hier fort gehen. Ich habe nicht das Bedürfnis einer freudigen Festgesellschaft von Vampiren beizuwohnen und jede Annäherung war bereits zu viel.“ „Ich verstehe dich, doch dafür ist es zu spät. Bereits als wir die Auffahrt nahmen, wurden wir inspiziert und sicher als ungeladen gemeldet. Die Torheit jetzt kehrt zu machen, kannst du dir nicht mehr leisten. Du wirst mich zumindest bis vor den Einlass begleiten.“ „Wozu?“ „Fragst du mich das ernsthaft? Ist der Unterschied zwischen Elitejäger und Soldat wirklich so groß?“, fragte Iven belächelnd. „Hier draußen vor den Toren zu verweilen, während die Umgebung von Vampiren nur so wimmelt, wäre äußerst unklug und dein sicheres Todesurteil. Sobald die Wachposten gesehen haben, in wessen Begleitung du bist, wird dir das Schutz bieten.“ Seine Arglosigkeit beschämend wissend, nickte der Soldat. „Verstehe.“ Als sie ausstiegen, wurde der Prinz sogleich ergeben von einem eifrigen Diener in Empfang genommen. „Es ist uns eine Ehre, euch begrüßen zu dürfen, mein Prinz. Wir hatten keine Ahnung von eurer hohen Aufwartung heute Nacht. Die Marquise wird außerordentlich erfreut über euren Besuch sein.“ Der Diener war Vernon mit seiner schmierigen Art zu wider. In der schlichten grauschwarzen Aufmachung und dem streng nach hinten gebundenen schwarzen Haar, glich er einem Aal, der sich ehrfürchtig im Sandboden wand. Überhaupt schien sich jeder Vampir um sie herum in Demut klein zu halten. War Iven in seinen eigenen Reihen so sehr geachtet? Oder viel mehr gefürchtet? Mit einem flauen Gefühl im Bauch ging Vernon neben Iven her. Die kalten, begierigen Blicke der Vampire um sie herum, spürte er für seinen Geschmack zu deutlich in seinem Rücken. Zweifelnd, ob er nicht doch besser der Festgesellschaft folgen und an der Seite des Prinzen verweilen sollte, suchte er die tiefschwarzen Augen. Der warme Glanz versprach Schutz. Blind darauf vertrauend blieb Vernon vor dem Einlass stehen, während Iven ein paar Worte mit dem Vampir am Empfang wechselte. Vernon schluckte trocken, als sich Iven wieder ihm zudrehte. „Ich werde nicht all zu lange zu verweilen.“ Mit einem knappen Nicken verabschiedete sich Iven. Das Gefühl von Schutz blieb. Als der Prinz im Inneren verschwand, änderte sich die Haltung der umstehenden Vampiren schlagartig. Vernons Instinkte mahnten ihn zur Vorsicht. Er spürte die Bedrohung, obgleich keiner der Vampire versucht schien, ihm Beachtung zu schenken. Im Gegenteil. Das offene Übergehen sprach nur eine Sprache, Respekt. Das Warten missfiel ihm schnell. Die Situation hatte viel zu sehr etwas von einem Diener, der auf seinen Herren wartete. Auch wenn er den Gedanken standhaft verscheuchte, so war doch genau dies die Wirklichkeit. Seine Unversehrtheit verdankte er der Achtung vor dem Eigentum des Prinzen. Nichts weiter. Entschieden nicht länger in dieser beschämenden Situation zu verharren, ging er an antiken Statuen vorbei, welche die schwungvolle Treppe tangierten und dem Anwesen mit seiner schneeweißen Fassade einen Hauch von Zeitlosigkeit verliehen. Angespannt nahm er die Stufen nach oben. Das goldene Licht der Gesellschaft lockte an dem nickenden Portier vorbei. Kurz suchten seine Finger Kraft in einer umschließenden Faust. Er würde sich unter Raubtiere mischen, allein um dem Gefühl eines Haustieres zu entgehen. Im Grunde war es lächerlich. Er war Opfer seines Stolzes und das was er im Begriff war zu tun, wohl nur ein Ausflucht ohne Zuflucht. Die Wärme, die sich kaum im Inneren angekommen, auf seine kalten Glieder legte, war wohltuend und vertrieb die unangenehmen Gedanken. Schweigend führte ihn ein Diener zu dem Festsaal, der im farbenreichen Glanz erstrahlte. Lautes Gemurmel, unterlegt mit lieblicher Streichmusik, bestimmte die Gesellschaft. Erkundend schweiften seine braunen Augen über den imposanten Saal und die in prächtiger Garderobe präsentierten Gäste. Noch bevor er sich einen Überblick über die intensiven Farbeindrücke und dem blendenden Glanz verschafft hatte, galt seine Aufmerksamkeit zwei Damen, die offensichtlich einen stillen Kampf um Beachtung austrugen. Enttäuscht zogen sie von dannen, während der Verehrte alleine zurück blieb. Ein Stich durchzog seine Brust und was Vernon sah, verschlug ihm den Atem. Luc war immer eine stattliche Erscheinung gewesen. Doch nun haftete ein goldener Schimmer, einem Heiligenschein gleich, an seinem Freund. Das dunkelblonde Haar leuchtete bezaubernd wie der junge Morgen. Die grünen Augen fesselten als glühende Smaragde, die zum Leben erweckt wurden, während die von Goldfäden umsäumt Wimpern in verwunschene Wälder führten. Die Haut betörte in schillernder Seide und verführte zum Berühren. Jede kleinste Regung strahlte Lebenskraft aus. Energie, die beinahe greifbar war. Lucs ganze Präsenz sprach von Zauber der unweigerlich anzog. Fokussiert näherte sich Vernon seinem Freund. „Luc?“ Neugierig drehte sich der Angesprochene um. Die malerischen Gesichtszüge entgleisten. „Vernon?“ Immer noch fassungslos umkreist der Brünette seinen Freund. Es war ihm, als ob der die Wahrheit wie ein Schwamm in sich aufsaugen musste, um sie zu begreifen. Der Anblick war schlicht zu träumerisch. Ein lebendig gewordener Alptraum. „Du hast wirklich,“ seine Stimme brach ab. Er kam zu spät. Alptraum der bitter in der Realität verwurzelt war. Schmerz durchzog ihn. Lucs unbefangenes Lächeln zeugt in keinster Weise von dem nun lebenden Ungeheuer in diesem. Wie konnte Luc ihm nur so freimütig entgegenblicken, wo doch sein ganzes Herz vor Gram über das Schicksal seines Freundes verging? Trug er denn keine Schuld in sich? Wo war sein Anstand? Sein einstiger Kampfgeist? Vernon ballte wütend die Fäuste. Der Drang in ihm, die falsche Lieblichkeit aus dem schönen Gesicht zu schlagen, schien übermächtig zu werden. „Wie kommst du hier her?“ Entgeistert starrte Vernon die goldene Erscheinung an. Soll das etwa alles sein? Keine Entschuldigung? Keine Rechtfertigung? Wo war das geschätzte Wesen seines Freundes? Sein Körper bebte. Der Atem stockte. Die Fäuste zitterten. Er würde Luc wieder zur Besinnung bringen. Jetzt, auf der Stelle. Besänftigend legten sich von hinten sanfte Hände auf Schultern des Soldaten. Der Zorn verebbte augenblicklich. „Er kam mit mir. Und ich folgte dir, um deine fehlende Gegenwart an meiner Seite zu unterbinden.“ Luc erschauderte. Nicht nur Ivens Antlitz ließ ihn stocken, sonder auch die Geste die ihm schmerzhaft präsentiert wurde. Vertrautheit zwischen seinem besten Freund und dem Mann den er hasste und liebte. Mehr als das Entsetzen seine Wandlung vorschnell preisgegeben zu haben, erschütterte ihn die Empfindungen, von denen er nun gefangen genommen wurde. Der Umstand, Vernon in den Händen des Todes zu sehen, sollte ihn alarmieren. Stattdessen schien das Tier in ihm nach etwas ganz anderem zu trachten. „Du scheinst schnell anderweitig Trost und Zerstreuung gefunden zu haben, Prinz.“ Bittere und anklagende Worte. „Das sollte dein Herz, nun da es sich entschieden hat, ja nicht mehr kümmern, Luciel.“ Süße und richtende Erwiderung. Ja, Iven zeigte ihm seinen eben nur allzu großen Fauxpas auf. Es sollte keine Gefühle mehr für ihn haben. Nichts außer Hass. So weit von Rache getrieben, dass er nun als Vampir vor dem Prinzen stand. Wie konnte da Eifersucht überhaupt Platz finden? Die Art wie sich Ivens Lippen dem Ohr seines Freundes näherten, versetzte ihm einen Stich. Er wollte diese vertraute Geste nicht sehen, keinem weiteren Gefühl von Bedeutungslosigkeit ausgesetzt sein. Den Schmerz nicht länger tatenlos ertragen. „Wir sollten gehen, noch bevor ich Xei sichte.“ Das Flüstern an seinem Ohr und der sachte Hauch an seinem Hals, ließ Vernon erschaudern. „Ich verliere allmählich die Beherrschung und dies hier, ist weder der passende Ort, noch der rechte Zeitpunkt.“ Vernon verstand. Ein weiterer Blick auf seinen Freund verursachte ein Zittern, das verzweifelt nach Halt suchte. Wie konnte Schönheit nur so grausam sein? Wahrheit die Zeit so gefällig in Lüge strafen? Hilflosigkeit überkam ihn und fand sogleich Zuflucht in Geborgenheit. Dankbar nahm er Ivens Stütze an, die sich um seine Hüfte legte. Widerstandslos ließ er sich, von der warmen Geste umschlossen, aus dem Festsaal führen. Ein Weg aus dem gegenwärtigen Alptraum. Er hatte seinen Freund an die Dunkelheit verloren. Seine Augen brannten. In Luc tobte es. „Hast du mir nichts weiter zu sagen?!“ Der Ruf verlor sich in Missachtung. Es gab keinen Blick zurück. Seine fordernde Frage blieb ebenso unbeachtete, wie die verzweifelte Bitte darin. Mit aller Macht versuchte Luc sich zu beherrschen. Er würde Iven nicht nachgehen, keinem Gefühl erliegen. Sein Herz bebte dennoch. Mit welchen Versprechungen führte er Vernon weg? Welche Zuneigung, die ihm entzogen und seinem Freund geschenkt wurde, fesselte? Angestrengt kniff er seine Augen zusammen. Sinnlos, das Bild blieb, genau wie der Schmerz. Iven konnte nicht einfach gehen. Seine Arme liebevoll um Vernon gelegt. Kein Blick zurück. Kein Wort der Enttäuschung von den Lippen, die einst Liebe versprachen. Er stand als Vampir vor dem Prinzen und sein Schöpfer sollte Iven kein Geheimnis sein. Dennoch wandte sich dieser ungerührt ab. Ohne eine einzige Bemerkung. Weder in Mimik noch in Gestik. Keine Regung, so als ob es ihm gleichgültig wäre. Vielleicht immer schon war. Es brannte. Feuer, das ihn mit züngelnden Flammen versengte. Er brach zusammen. Soviel geopfert. Umsonst. Er wollte verletzen, schaden. Iven vernichten. Dabei hatte er nur sich selbst gegeißelt, zerstört. Sich aufgegeben. Bevor er sich gänzlich der Jämmerlichkeit übergeben konnte, richteten ihn liebevolle Arme behutsam auf. Die besorgten Augen der weiße Silhouette blickten in seine tote Seele. „Was ist passiert?“ Er hatte keine Tränen mehr, die lindern konnten. Starr sah er durch fragendes Silber hindurch. Er hatte sich verloren. Traurig musterte Xei den Dunkelblonden. „Ich wusste, dass du es bereuen würdest. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass dich die Erkenntnis bereits nach wenigen Stunden einfangen würde. Die Veränderung, die nach der Wandlung von statten geht, ist meist zu groß, um klare Gedanken zu erlauben. Luc, sieh mich an.“ Die klare Stimme drang in sein Bewusstsein. Licht in der Dunkelheit, das nach Aufmerksamkeit verlangte. „Es war umsonst“, flüsterte Luc. Verletzt wich Xei ein Stück zurück. Das Strahlen verfinsterte sich. „Sag mir nicht, dass du von Iven sprichst.“ „Obgleich ich es tue. Das Kind beim Namen nenne, den Todesboten verschweige. Es war immer er. Von Anbeginn. Nur das Ende sehe ich nicht. Vertan an der Hoffnung. Gescheitert an Hass. Gestorben an Liebe.“ Schatten verhüllten endgültig das helle Antlitz vor ihm. „Ich glaubte an deine Liebe, Luc. Mit jeder Faser.“ Das Licht verschwand. Der Schein der Kerzen, der Prunk des Saals, die Pracht der bunten Gestalten, das Lachen der Fremden, die erquickende Musik. Nichts durchdrang mehr die Leere, die sich auf ihn legte. Die letzte Glut der Wärme verstarb. Er war verbrannt. Er war allein. Vergangen in Asche. Verloren in Leere. Eingesperrt in Hoffnungslosigkeit. Kapitel 36: Fehltritt --------------------- 36. Fehltritt Schweigend stieg er zu Iven in die Kutsche. Wirr kreisten Gedanken in seinem leeren Kopf. Luc hatte nicht nur seine Menschlichkeit verloren, sondern sich selbst. Das eben war nicht mehr der Freund, den er aufrichtig liebte. Sein Wesen war verbannt, unter schönem Schein begraben. „Es war seine erste Nacht als Vampir.“ Vernon schluckte. Der warme Hauch an seinem Gesicht erinnert ihn daran, dass Iven neben ihm saß und dass dessen Arm immer noch auf seiner Schulter ruhte. „Woher weißt du das? Ich dachte, du hättest Xei auf dem Ball nicht gesehen.“ „Das nicht, nein. Aber einige Gäste sprachen von der Einführung eines frisch Gewandelten in den Kreis der Clans. Solche Themen werden nicht bei jedem neuen Vampir lamentiert. Bei einem Zögling eines hohen Adeligen trifft dies aber sehr wohl auf Interesse. Wie stets geht es dabei um Prestige und Macht. Aber auch ohne diese Informationen konnte ich es erkennen. Seine Aura war rein, so wie es nur in der ersten Nacht sein kann. Seine Unbeholfenheit, sich in der neuen Welt zurechtzufinden, zeugte von lieblicher Natürlichkeit, die erst ansatzweise unter Anmut verborgen war. Die Sinne ändern sich als Vampir. Es braucht Zeit, um sich ihnen gewahr zu werden. Zeit und Blut zur Stärkung.“ Blut. Luc wird Blut trinken müssen. Unschuldiges Leben nehmen, für das er so viele Jahre gekämpft hatte. Immer war ihm das Wohl anderer wichtiger gewesen als sein eigenes. Er hatte sein Leben dem Schutz verschrieben. Immer alles gegeben, nichts als Gegenleistung verlangt. Nun war er selbst zu jenem geworden, was er so sehr hasste. Er hatte seine Seele für immer verloren. Es war Mitgefühl für dieses Unglück, das den Tränen Raum gab. Die ersten Tränen Boten von soviel mehr Emotion, die nicht mehr verborgen gehalten werden konnten. Unerwartete wurde sein Kopf behutsam an die Schulter des Prinzen gedrückt. Gerne nahm er den Beistand an. „Weine für ihn, Vernon. Für uns beide. Ich kann es nicht.“ Der Damm brach, Schluchzen folgte. Von Trauer geschüttelt, von Teilnahme getragen. Befangenheit auslebend, dankbar Zuflucht gewährt zu bekommen. Seine Ehre hätte sich für diesen schändlichen Gefühlsaufbruch mehr als erbärmlich gebrandmarkt fühlen sollen. Doch kümmerte es ihn nicht. Iven ließ nicht den geringsten Zweifel daran, dass es weder Hohn noch Verachtung für Schwäche gab. Einzig Anteilnahme konnte Vernon in dem Vampir ausmachen, deren Aufrichtigkeit er vollends vertraute. Als die Kutsche hielt, hatte sich Vernons Gemüt beruhigt. Ohne Worte gab Iven ihn aus seiner Umarmung frei. „Wo sind wir?“, begleitete Vernons Frage den Vampir, als dieser ausstieg. „Dies hier ist eines meiner Herrschaftssitze, welche ich vornehmlich für politische Zusammenkünfte nutze. Ich bin nach wie vor an die Nacht gebunden und sie wird nicht mehr lange wehren. Eile treibt uns nicht mehr, also werde ich hier nächtigen. Es steht dir frei mir zu folgen.“ Er sollte ablehnen und auf dem schnellsten Weg nach Hause gehen. Zu seiner Liebsten Babette und zu dem Schutz in der Gemeinschaft der Gilde. Doch er war müde und noch längst nicht bereit für die Wirklichkeit. Es gab soviel, das er erst verarbeiten musste und noch wollte er nicht aufgeben. Auch wenn Luc nicht mehr Mensch war, so blieb er doch sein Freund. Das beängstigende Gefühl in ihm mahnte immer noch zur Fürsorge. Nein, er konnte sich noch nicht zurückziehen. Wenn Luc je Halt bedurft hatte, dann jetzt. „Ich folge meiner Intuition, nicht euch, Prinz.“ Iven nickte, als ob er verstand. Mit einer stummen Geste forderte Iven den Soldaten auf einzutreten. Stille beherrschte das leere Anwesen. Die Dunkelheit machte es Vernon schwer die Umgebung auszumachen. Nach der genommenen Wendeltreppe versuchte er sich mühsam in den finsteren Gängen zu orientieren, während Iven wie ein Schatten leise in der Schwärze verschwand. Angestrengt lauschte er nach einer Regung. Ohne Ergebnis. „Iven?“ Suchend drehte er sich um. „Verdammt wenigstens dem Mondlicht hätte man Einlass gewähren können“, fluchte er vor sich hin. Entschlossen ging er den Gang entlang. Der Tritt ins Leere ließ ihn straucheln. Er war nicht überrascht, von Iven aufgefangen zu werden. Peinlich berührt über die kurze Nähe in der Finsternis, schlug sein Herz schneller. „Danke“, gab er knapp von sich, froh darüber, dass Iven die unangenehme Situation nicht weiter kommentierte. Vorsichtig, um nicht nochmals den Halt zu verlieren, ging er die wenigen Stufen nach unten. Der Vampir schien seinen Begleiter diesmal nicht aus den Augen zu lassen. Vernon schluckte. Er wusste genau, dass das Glitzern in der Finsternis ihm galt. Es war nicht unangenehm, aber verfänglich, die Aufmerksamkeit auf sich zu spüren. Erst als sie in eines der Gemächer eintraten wurde das Schweigen durch den Prinzen gebrochen, während dieser die schweren Brokatvorhänge zur Seite schob. „Soll es bei der Höflichkeit bleiben oder galt sie einzig um den Standpunkt zu definieren?“ Fahles Mondlicht erhellte den Raum. Im bleichen Schein gewann die dunkle Silhouette des Vampirs wieder an Kraft. Ein silberner Schimmer legte sich auf Ivens strahlende Dunkelheit, die Vernon magisch anzog. Er sah Stärke der sich beugen wollte. Geheimnisse die zu erhaschen lockten. Ein Mysterium das ihn langsam zu umgarnen schien. Sein Herz war von Trauer belegt, dennoch stahl sich Sehnsucht hinein. Bedrückt über diesen Zustand sah er in die andere Richtung, bevor der den Mut zur Antwort aufbrachte. „Ich denke nicht, dass ich zurückfallen könnte. Dazu habe ich bereits zu viel von mir offen gelegt. Die wenigen Stunden an deiner Seite haben genügt, um mir jedes Gefühl zu entlocken, was ich in mir trage. Was könnte Höflichkeit da noch an Distanz schaffen?“ Ein antwortendes Lächeln fing ihn ein und bezauberte. „Keine. Weder entzieht sie dich mir, noch hätte sie dir Schutz geboten.“ Die Worte wirkten unheilvoll und bannend. Der sanfte Luftzug, der sich bei Ivens Vorübergehen, auf ihn legte, weckte den Drang zur Flucht und das Verlangen nach Nähe. „Sagte ich schon, dass ich deine Überheblichkeit unausstehlich finde?“, gab er brüsk von sich. Der intensive Blick, mit dem ihn der Prinz bedachte, ging unter die Haut. Ein leichtes Brennen machte sich auf seinen Wangen als stumme Antwort in Wärme bemerkbar. „Du findest sie alles andere als unausstehlich. Anziehend trifft es besser, oder täusche ich mich?“ Die weiter schwindende Distanz legte sich als nervöses Kribbeln in seine Magengegend. Sich zur Vernunft rufend, tat er das nächst Beste. Er wich wenige Schritte zurück. „Wenn du dann gestattest.“ Entschlossen wies er zu der Tür und verstärkte seine Aufforderung im Ablegen des Mantels und des Wams. Sicher würde sich sein Gemüt beruhigen, sobald ihn die Aura des Prinzen nicht mehr einfing. „Die Nacht ist meine Ruhe und ich habe nicht mehr viel davon.“ Anstatt der Aufforderung zu folgen, trat Iven hinter ihm. Gleichsam einem Schatten, legte sich die Präsenz des Vampirs auf seine Haut. Ein dunkles Flüstern schwang sanft in sein Bewusstsein. „Dann willst du, dass ich gehe?“ Sein Herz setzte aus. Ein Ziehen in der Körpermitte umklammerte ihn. Eine Antwort blieb er schuldig. Noch bevor die Wirkung des schauerlichen Klangs nachließ, wurde seine Brust von starken Armen umschlungen. Ohne Umschweife machten sich feine Hände an seinem Hemd zu schaffen und öffneten spielerisch den ersten Knopf. Er war wie erstarrt. Einzig sein Atem vermochte es, die Brust schneller zu hebe und zu senken, während sich die Luft trocken in seinem Mund sammelte. Ein Kitzeln erfasste seinen Nacken mit meinem warmen Hauch. „Ich deute das als Nein.“ Unfähig sich zu regen, folgten seine Augen dem Tun der geschickten Finger. Der nächste Knopf gab Haut frei. Ein wohliger Schauer, ausgehend von dem Körper des Vampirs an seinem Rücken, durchbrach die Starre. Das Unvermögen sich der Situation zu entziehen, hielt ihn dennoch steif gefangen. Seine Augen blickten zu Boden. Außer Stande die eigene Reglosigkeit zu ertragen, versanken sie im Strahl des Mondes. Der letzte Knopf wurde freigelassen und sanfte Hände berührten seine Brust. Behutsam zogen sie Bahnen auf der bronzenen Haut und erkundeten jede feine Linie. Gleichsam wie Seide, die seine Haut anschmiegsam in Entzückung versetzte, wanderten sie von dem umgarnenden Spiel Richtung Hüfte, nur um an seinen empfindlichen Seiten langsam zurück nach oben zu fahren. Verlangen ergriff in der entgegengebrachten Zärtlichkeit endgültig Besitz von ihm. Stoff glitt sanft an seinen Armen hinab, während heiße Küsse in seinen Nacken gehaucht wurden. Dem Schwindel verfallen, schloss der die Augen. Das hier war nicht richtig. Als ob Iven seine Gedanken erahnen konnte, wurde der Griff um Brust und Taille entschiedener. Vernon war gefangen in erwartungsvoller Leidenschaft. Sehnsucht die er bislang nicht kannte, verführte ihn mühelos der schändlichen Verlockung nachzugeben. Dominant wurde er umgedreht. Schutzlos blickte er dem Feuer ins Angesicht. Alles verschwamm in der einnehmenden Schwärze. Der Glanz verführte zum Bruch jeder Grenze. Der hilflose Versuch von Protest starb auf seinen Lippen den Tod durch andere. Lippen die seine verbrannten, duldeten keine Widerspruch. Samtig, mit dem Geschmack von süßer Sünde, verwöhnten sie das empfindliche Fleisch und reizten feucht in der Tiefe. Sein Verstand schmolz dahin. Er fiel, aufgefangen von kühlen Laken, die seine Haut umschmeichelten. Der leidenschaftliche Kuss wurde einzig für neuen Atem unterbrochen, während Ivens Hände reizend über sein angespanntes Muskelspiel glitten. Jede Schwachstelle des Körpers erkundend, zeichneten sie alles beherrschende Erregung. Kurz nur, keimte ein erneuter Anflug von Aufbegehren in dem Soldaten. Standhaft durchdrang er verschlingendes Schwarz. Er kannte die Antwort, wollte aber einen Beweis dafür. Wenn er sich schon so sehr gegen sich selbst wandte, um sich selbst gefügig zu sein, dann wollte er zumindest die Gewissheit erhalten, zuvor sicher gewarnt worden zu sein. „Es ist nicht mehr als Vergeltung.“ Keine Frage, eine Feststellung der letzten Vernunft in ihm. Die Wahrheit in Ivens tiefem Blick freimütig bezeugt. Weiche Lippen folgten, die jedes weitere Wort in Leidenschaft erstickten. Ergeben gab Vernon nach. Seine Sinne schwanden und waren dabei noch nie so präsent. Intensität die ihn überlegen ausraubte und nichts als Verlangen übrig ließ. Zu genüge von der Kapitulation gekostet, entfernte sich der Mund des Vampirs. Ein unerwartetes Raunen schlug Vernon entgegen. „Nicht für mich.“ Die Worte des Geständnisses formten sich in seinem Bewusstsein schemenhaft weiter zur Frage. Der Sinn entschwand jedoch in dem Gefühl, das unweigerlich die Oberhand gewann. Glühende Lippen liebkosten seinen Hals und erforschten provokativ jedes Detail. Er zuckte, bevor er sich in einem Zittern verlor. Die Gefahr von dem Tier gerissen zu werden, reizte ihn über die Maßen. Erregung, die Befriedigung in Lust einforderte, beherrschte seinen Körper. Neckisch spielte der Vampir mit seiner Macht. Sanfte Bisse präsentierten ihre Herrschaft und verteilten sich langsam über Vernons glühende Haut. Hemmungslos trieben sie ihn an den Rand des Wahnsinns. Begehrlich bäumte sich sein Körper auf und wurde sogleich von dem Prinzen dominant zurück gedrückt. Ein wildes Spiel der Zungen entbrannte, das er keuchend verlor. Der Stoff seiner Hose wich dem Willen des Vampirs. Nun war er endgültig nackt. Aufs Letzte entblößt. Der Willkür ausgeliefert. Scham stieg ihm zu schnell ins Gesicht. Die Angst nun doch verstoßen zu werden, zeichneten seine Gesichtszüge, während sein Leib heftig vor Erregung bebte. Das Funkeln in den Augen des Vampirs kostete jede Regung davon aus. Mit einem alles vernichtenden Lächeln wurde die Verführung auf die Spitze getrieben. Hilflos zuckte sein Körper bei der reizvollen Berührung, die sich auf seine empfindsamste Stelle legte, zusammen. Grausam kroch die tiefe Stimme des Prinzen in seinen Kopf, während die Lust in ihm einzig auf Erlösung pochte. „Würdest du bitten, für das was ich dir geben kann?“ Vernon stöhnte auf. Das war es also. Demütigung bis zur Selbstaufgabe. Ja, er würde bitten, nach Befriedigung flehen. Aber nicht allein. Den Vampir zu Gänze überraschend, kehrte er die Positionen. Heißblütig begrub er Iven unter sich. Ungestüm zerrissen seine Hände den verbergenden Stoff. Fasziniert von dem vollkommenen Spiel von Sanftmut und Stärke wanderten seine Lippen angetan über den weißen Marmor unter ihm. Fest hielten seine Hände dabei die des Prinzen in den Laken gefangen. Er genoss die neu gewonnene Sicherheit und gab dem Begehren von Stimulierung nach. Er spielte mit den empfindsamsten Stellen der makellosen Brust, so wie es der Vampir zuvor tat. Hauchend, küssend, knabbernd. Von dem warmen Geruch der Haut berauscht, verlor sich seine Zunge kostend auf Genuss versprechender Anmut. Ein Stöhnen bestätigte ihn. Iven wollte mehr. Genau wie er selbst. Er gab dessen Hände frei, um seine zu gebrauchen. Bezaubert von dem Anblick verinnerlichten sie jede Kontur der dargebotenen Perfektion. Nach mehr verlangend näherten sie sich Knopf für Knopf der Männlichkeit. Sein kurzzeitiges Zaudern wurde zunichte gemacht, bevor es an Macht gewann. Abermals wurde er von starken Armen eingefangen, die ihn mühelos nach oben delegierten. Sogleich fühlten sich seine Lippen in gebieterischer Gefangenschaft genommen, der er sich bereitwillig auslieferte. Kaum frei gelassen fand er sich, hart auf den Bauch gepresst, unter dem Prinzen wieder. Sein auflehnender Wille verlor gegen die mit Kraft und Zärtlichkeit ausgeübte Zähmung. Betörend erkundete eine spielende Hand seine Schenkel. Qualvoll wanderte sie höher, seinen Stolz erniedrigend, die Lust erhebend. Unbändig trieb ihn Iven an seine eigene Zügellosigkeit. Ein pikantes Prickeln erfasste erneut seinen Hals. Scharf und gefährlich. Seine Sinne endgültig raubend. „Deine Antwort?“ Er biss sich auf die Zunge. Keuchend der Lust ergeben. Die Gefahr im Nacken. Er war unterlegen. In jeder Hinsicht. Ausgeliefert und der Verzückung verfallen. Hingabe in Unterwerfung. Der Körper des Vampirs drückte sich fordernd an den seinen. Ein Schauer aus Eis, der Verzehr im Feuer. Sein Leib lechzte nach mehr. Er wollte vergehen. Für ihn, durch ihn. Der barsche Befehl pochte auf sein schmähliches Geständnis. „Jetzt!“ Der letzte Widerstand schwand. Es war nur noch seine Stimme die gefordert war. Der Rest bereits von Herrschaft unterjocht. „Bitte.“ Inferno, das ihn verschlang. Kraftvoll in Irrgänge treibend. Schmerz in Süße erlebend. Hilfloses winden in Sackgassen. Keinen Ausweg findend. Der ausgeübten Gewalt hörig. Sein Wille gebrochen, in Wonne erhoben. Verstand in Manie gekettet. Kapitel 37: Und so gab ich mein Herz ------------------------------------ 37. Und so gab ich mein Herz Etwas in ihm brach. Es tat weh. Er war hilflos den eigenen Gefühlen ausgeliefert. Dabei sah er doch seine Stärke darin. Die Bestätigung seines Glaubens, den Sinn seines Lebens. Zuflucht suchend trieb ihn sein Schmerz an den einzigen Ort, den er je als seine Heimat bezeichnen konnte. Kaum die Schwelle überschritten, kämpfte er, um nicht alle Kraft zu verlieren. Sein Körper fühlte sich in der Allmacht schwer, sein Verstand stumpf. Hier zu verweilen war ein Wagnis für seine Konstitution. Aber hier ging es nicht um seine Physis. Es war sein Herz, das ihn trieb und nach Geborgenheit und Schutz verlangte. Die kleine Kirche war menschenleer. Über die Jahre hinweg hatte sie nichts von ihrer vertrauten Schönheit eingebüßt. Weißes Gestein formte die runden Bögen des Gewölbes der Kapelle und vermittelten Obhut und Sicherheit. Ehrfürchtig schritt er in die mit Kerzenschein erhellte Nische der Halbkuppel und verweilte einen Augenblick still vor dem schlichten Altar. Demütig neigte er sein Haupt und sank in die Knie. Der Vampir zögerte kurz, bevor er dem Kreuz entgegenblickte. Nun habe ich also doch wieder meinen Weg zu dir gefunden. Dabei wollte ich diesen Ort um nichts auf der Welt noch einmal mit meiner Anwesenheit entehren. Es ist die Ausweglosigkeit, die mich zu dir führt. Mahnend, dass nichts endlich bleibt, bestaune ich dein Haus, deine Nähe spürend. Ich trage dir als Sünder meine stille Bitte nach Erlösung zu Füßen. Hoffend, dass mein Flehen erhört wird. Ich war nicht untätig. Ich suchte nach deiner Liebe im Dasein der Schatten. Mein Glaube war unerschütterlich. Ich wusste, dass mir Offenbarung nicht geschenkt, sondern nur von dir gewährt werden konnte. So viele Jahre blieb ich der Verzweiflung standhaft. Darauf vertrauend, ein Zeichen zu erhalten. Du hattest dich erbarmt. Es wurde mir zu Teil. Ich habe sie gefunden, die Vollkommenheit der Liebe. Sie durchströmt mich, erwärmt mein Herz und trägt meinen Körper schwerelos in ihrer Kraft. Es war ein langer steiniger Weg, dessen scharfen Kanten mich erst noch schneiden werden. Ich fürchte die Marter nicht, aber das Unvermögen meinem Peiniger gegenüber zu treten. Ich opferte eine zugängliche Hoffnung, um mich ganz einer anderen, einer aussichtslosen, verschreiben zu können. Ein befehlendes Herz, für ein zweifelndes. Eine Liebessucht, für den Liebeswunsch. Mit jeder Faser meines Körpers möchte ich mich dieser neu gewonnen Liebe hingeben. Aufopfern, um die Glückseligkeit gänzlich zu verdienen. Das Glück in meinem Inneren teilen, es zu seinem machen. Ein Sehnen, das mir verwehrt bleibt. Weltliches Heiligtum, das den göttlichen Anspruch bricht. Ich wurde von dir zurückgewiesen, bevor ich mich zum Geschenk machen konnte. Deine Arme schließen sich um mich, während deine Augen in der Ferne ruhen. Ich begehrte eine Fiktion, die Erfüllung danach, in reiner Berechnung von dir isoliert. Du hast meine Utopie in deinem Hass erstickt. Kein Gefühl für mich übergelassen. Würdest du nur etwas von mir fordern, ich würde es dir geben. Freudig jedes Martyrium durchleben. Einzig deine Zurückweisung kann ich nicht ertragen. Vertrautest du mir in dem Glauben, dass meine Liebe rein und unschuldig sei? Dass ich ihr gutmütig und ergeben folge, ohne Erwartung an den Lohn? Wenn ja, dann hast du zu viel an mich geglaubt. Immer war ich auf der Suche nach Vollkommenheit. Geleitet von Schuld. Geführt von Sehnsucht, selbst geliebt zu werden. Vorbehaltlos und wahrhaftig. Meine Hingabe fungierte stets nur als Schutz, vor dem was darunter liegt. Eine kranke Seele, verkommen an unerfüllter Liebe. Geschändet von unschuldigem Blut, geschlagen im wilden Zorn. Eifersucht als Leidenschaft, vernichtend für mich selbst, tödlich für meine Liebe. Noch schütze ich dich vor ihr. Noch habe ich Kraft festzuhalten. An uns. An meiner Illusion von Zweisamkeit. Meinem Streben nach dem Himmel. Du bist in Blut an mich gebunden, so wie ich in Liebe an dich. Tiefer als jedes andere Gefühl gehend. Gepriesen als mein Weg aus der Agonie. Das Göttliche dennoch nie erreichend. Führt mich dein Hass, den du als Fundament unserer Vereinigung gelegt hast, doch direkt in die Hölle. Mein Herz wird umsonst entzwei springen, an dem Blutvergießen, das du von mir verlangst. Ja, ich erkenne dein Kalkül. Immer sah ich es und glaubte stets an mehr. Hoffnung, die du mir nun nahmst. So sei es denn. Ich werde ihn führen, den Todesstoß, für dein Heil. Meines auf ewig im abtrünnigen Kampf zerschlagen. Vergeblich werde ich nach Vergebung flehen, nach Absolution, die mir nicht gewährt werden wird. Nur um dir erfolglos zu dienen, wissend immer unzureichend zu sein. Meine Vergangenheit verweilt belanglos, die Zukunft in deine Hände gelegt. In der Gegenwart hast du mich bereits jetzt in die Verdammnis gejagt. Du zeichnest meinen Weg, den ins Verderben. Bedingungslos werde ich ihn gehen. Für dich. Mit jedem Schritt, deiner Liebe bittend entgegen. Blut für meine Hände. Verrat für meine Seele. Dein Hass, der meine. Erlösung wird nie mein Dank sein. Erfüllung nur im Schmerz erfolgen. Weißt du es zu schätzen, Luc? Wenigstens dies? „Kann ich euch helfen, mein Sohn?“ Die sorgenvollen Worte eines Priesters durchbrachen den quälenden Gedankengang des Weißhaarigen. Die Beichte wäre schändlich. Das Gebet töricht. „Nein, habt dank. Mir ist nicht mehr zu helfen. Gott hat mich verlassen. Und es ist der Teufel der mich ruft.“ Und so gab ich mein Herz, hoffnungsvoll Frieden zu erlangen. Kapitel 38: Nebenwirkung ------------------------ 38. Nebenwirkung Als er erwachte, brannte nur ein Verlangen in ihm. Blut. Es war mächtiger als jedes Bedürfnis, was je verspürt hatte. Fordernd pulsierte das ungestüme Begehren in seinen Adern. Dem Herzschlag gleich, trieb es zur Jagd. Das war es also, was ihn fortan ausfüllen würde. Ein Drang dem er nicht folgen wollte, aber musste. Alleine das kurze Aufflackern seiner Gedanken, sich keine Nahrung zu gewähren, versetzte ihn in Panik. Jede Faser seines Körpers schrie hysterisch vor der Angst, die Befriedigung des Blutdurstes verwehrt zu bekommen. Er brauchte Nahrung. Nahrung. So schnell hatte sich sein Denken gewandelt. Genau wie sein Körper. Die Heftigkeit, mit der sein Leib auf Blut pochte, war unerwartet. Gier schien ihn zu verschlingen, dabei hatte er doch eben erst die neue Nacht begrüßt. Matt und verwirrt erhob er sich aus den weichen Kissen. Von Blut beherrschte Gedankenströme ließen keinen klaren Geist zu. Er wusste nicht mehr, wie er den Weg zur Unterkunft allein zurückgegangen war. Allein. Der Schrecken ließ ihn zusammenfahren und klärte den Schleier der dominierenden Gier. Die Erinnerung kam und jagte seinen Verstand durch Grauen in Hilflosigkeit. Von Furcht gepackt stürmte er mit donnernden Schritten über die Diele. Aufgebracht schlug er jede Tür des herrschaftlichen Anwesens auf. Er brauchte Führung, mehr als alles andere. Mit jedem leeren Raum gewann die Unsicherheit an Kraft. Jede neue Tür, ein Stich von Verzweiflung in seinem Innersten. Das Hoffen blieb vergebens, genau wie die Suche. Er fand Xei nicht. Ernüchternd blieb er mit zitternden Gliedern stehen. Der Blick von der geschwungenen Empore nach unten, glich dem in den Abgrund seines Lebens. Er war allein. Vollkommen. Hilflosigkeit hielt ihn fest in ihren Klauen. Angst raubte ihm den Verstand. Er brauchte Blut. Er wollte Blut. Er wollte Leben. Dasein im Schatten. Getrieben von Instinkt lief er nach draußen. Ungestüm trugen ihn seine zitternden Beine in belebte Straßen, dem Ruf nach einer Lebensquelle folgend. Der triebhafte Drang wurde unwillkürlich von Überreizung geschluckt. Die Welt wirkte fremd auf ihn. Sinneseindrücke strömten schonungslos auf ihn ein. Er war gefangen zwischen Grauschattierungen und grellen Farben. Die Stille war noch nie so fassbar, Töne erst jetzt voller Klang. Die zugetragenen Gerüche ließen ihn Bilder erahnen, noch bevor er sie sah. Scharf, bis ins Detail gezeichnet. Realität die zu viel für ihn war. Überfordert von den Eindrücken der Umwelt, flüchtete er in eine verwaiste Gasse. Sein verworrener Geist beruhigte sich. Er war nicht länger wichtig, einzig störend. Sein Herz schlug kräftiger gegen seine Brust. Es wollte Blut. Seine Wahrnehmung klärte sich. Der Hunger begehrte. Diktierte Sucht. Er war noch nicht bereit dazu. Morden für seine Existenz? Ihm wurde schlecht. Gewissen peinigte. Verstand verlachte. Du wähltest. Nun füge dich! Nicht dem Tod, sondern dem Leben. Ein Umriss regte sich in der Ferne. Den Geruch hatte er längst wahrgenommen. Sein Magen krampfte sich augenblicklich zusammen. Vor Übelkeit, vor Durst. Wie von selbst trugen ihn seine Füße Richtung Schatten. Das Bild der Silhouette kläre sich. Die grünen Augen des Vampirs sahen Verwahrlosung, Gebrechlichkeit des Alters. Es würde ein barmherziger Tod sein. Einer, der sich mit jedem Schritt weiter kalt um den alten Mann legte. Das mit Runzeln übersäte Gesicht blickte ihn fragend an. Die offene Ahnungslosigkeit weckte sein Mitleid, bezwang kurz den von seinem Körper bereits gefassten Entschluss. „Seht ihr den Tod nicht, wenn er vor euch steht?“ Die himmelblauen Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sarah. „Lauft!“ Stolpernd suchte der Mann das Weite. Unfähig sich zu kontrollieren, brach der Vampir auf dem kalten Stein zusammen. Er kämpfte. Ein Krieg von Leben und Tod. Sein Schluchzen der Verzweiflung mischte sich mit dem Stöhnen von Triebsucht. Zitternd griffen seine Hände schützend an die Stirn. Sein Kopf dröhnte. Eine laute unnachgiebige Stimme. Das Donnern schlug nur einen Takt – Blut. Instinkt der befriedigt werden wollte. Ethik hatte kein Gesetz mehr. Einzig der Hunger war Wirklichkeit. Wahrhaftigkeit, die ihn befehlende durch seine Existenz trieb. Grausam und unbarmherzig. Brennend sog er die eisige Winterluft ein. Sein lautloser Schrei starb an Unfähigkeit. Das folgende Wimmern machte es nicht besser. Er war erbärmlich. Zu schwach, um fremdes Leben über seines zu stellen. Er würde sich dem Tier ergeben. Einzig, um sich nicht aufzugeben, seine Selbst zu erhalten. Der verzerrende Schleier seines Gewissens klärte sich. Der Zwang der Natur ließ ihn aufstehen, dem Leben im Tod entgegen treten. Das verzehrende Verlangen den Hunger zu stillen, trieb ihn rücksichtslos vorwärts. Er würde jagen. Unschuld blind reißen. Sein Körper gierte. Seine Sinne lechzten. Besessenheit bahnte sich den Weg und wurde jäh durchbrochen. Mit verschwommenem Blick sah er in die kaltschwarze Nacht. Ein Licht durchdrang unwirklich die Finsternis, in der er sich befand. Sanfte Wärme umfing ihn und der Hunger zügelte sich in der Gegenwart des hellen Scheins. Klarheit legte sich bei dem vertrauten Anblick auf seinen Geist. „Xei? Du bist zurück. Ich dachte du hättest mich für immer verlassen.“ Überwältigt sankt der junge Vampir erneut zu Boden. Tränen die eben noch in Schrecken gefangen waren, suchten sich ihren Weg in die Freiheit. Der erhoffte Trost blieb aus. Keine Stärke die ihn stützte. Keine Hand die ihn führen würde. Teilnahmslos schlug ihm lediglich die Kälte seines Gegenübers entgegen. Er hatte Xei zu sehr verletzt. Sich bei ihm genauso verrechnet wie bei Iven. Gut, dann würde er sich alleine zurechtfinden müssen. Seine Seele war verkommen, wozu brauchte sie einen Lichtfleck? Ein Hoffnungsschimmer in der Hoffnungslosigkeit war ohnehin nur absurd und gänzlich überflüssig. Gänzlich sinnlos, wie alles. Er stand auf. Entschieden ging er nach vorne. Er gestattete sich keinen Blick zurück. Wozu auch nach etwas sehnen, das unerreichbar war? Er war stark. Immer kämpfte er. Er würde nach Leben trachten. Nichts Neues. Nur eine andere Form. Die Kehrseite von bisherigem. „Warte, Luc.“ Sein Herz krampfte, hoffte inbrünstig gegen alle Vernunft. „Ich will mich nicht aus Eitelkeit aus der Verpflichtung stehlen.“ Nun hatte er sie doch, die Stütze die er brauchte, um dieses Leben zu führen. Dennoch konnte Xei ihn nicht unbeschadet durch das Leid tragen. Lucs Stimme klang traurig, als er bedrückte Gedanken in die Freiheit entließ. „Letztendlich muss ich es selbst tun. Aber es wäre ein Trost für mich, dich an meiner Seite zu wissen. Ich werde nicht wählen. Es ist feige, aber ich überlasse die Wahl dem Schicksal. Meine Beute wird der erste Mensch sein, der meinen Weg kreuzt.“ Unerwartet wurde er in Xeis Arme gezogen und fest an dessen Körper gedrückt. „Hast du etwa geglaubt, ich lasse dich diesen Schritt alleine gehen?“, fragte Xei bestürzt. „Ich meinte mit Verpflichtung nicht die Bürde des Hungers. Ich sprach von Iven.“ Ungläubig suchten grüne Augen in silbernen nach Erkenntnis. „Ich verstehe nicht.“ Die Liebe mit der Xei seine Lippen einforderte, riss sämtliches Gefühl aus Luc. Er verlor sich kurze Zeit in Ruhe und Geborgenheit. Ein Flüstern holte ihn zurück. „Ich schenkte dir meine Liebe, Luc. Und mit ihr alles was ich habe. Ich werde Iven gegenüber treten. Deinen Hass an ihm üben.“ Reue kam zu spät. Die fordernde Gier nach Blut kehrte wieder. „Ich bin nicht weniger grausam als er, habe ich recht?“ Xei schwieg darauf. „Du brauchst Stärkung. Der Hunger ist in den ersten Nächten alles beherrschend.“ „Ich habe Angst.“ „Dafür ist es zu spät.“ Xei hatte recht. Es war zu spät für Angst. Und zu spät für Reue. Er konnte das Blut an seinen Händen bereits sehen. Das Bild schreckte ihn nicht. Es beruhigte. Gedanken zu fassen, war der erste Schritt. Schweren Herzens folgte er dem inneren Ruf in sich. Er wagte es nicht, um die Frau zu weinen. Seine Tränen wären verlogen gewesen. In Lethargie festgehalten, drückte er immer noch ihren leblosen Körper an den seinen. Stumm wog er den reglosen Leib im Einklang mit seinem Herzschlag. Jeder Schlag des Lebens einzig fühlend durch ihren Tod. Warum hatte er das getan? Für was! Sein Schicksal war Iven gleichgültig. Schon immer. Er hatte einen Schatten gejagt, nur um sich selbst zu einem zu machen. Zu einem Ungeheuer. „Luc, wir müssen gehen, bevor uns jemand entdeckt.“ Die helle Stimme fand sich als Hauch in seinem Nacken wieder. Sie führte aus der Starre. Traurig, mit Ekel vor sich selbst, bettete er die erkaltet Frau ihn das Stroh der Scheune. Sie hatte keine Angst vor ihm gehabt. Fasziniert von ihm, ließ sie sich spielend in seine Arme ziehen. Keine Fragen, kein Argwohn. Er allein war es gewesen der zauderte. Der Weg zurück abgeschnitten von liebenden Armen, die ihn bei seinem Tun bestärkend festhielten. In diesem Moment fühlte er sich als Schatten in Xeis Licht. Xei war die Stärke in seinem Rücken, die ihm die Kraft gab zu tun, was er musste. Der tödliche Biss der folgte, zeigte ihm eine neue Welt. Er labte sich an ihrem lieblichen Blut, saugte Leben begierig in sich auf. Ekstase, wie er sie noch nie zuvor erlebt hatte, hüllte ihn vollends ein. Sein innerer Schmerz verflog und machte Befriedigung platz. Beschämt sah er in die glasigen Augen seines Schöpfers. Sie spiegelten nichts außer Liebe und Luc war dankbar dafür. „Du hast für mich geweint.“ Ein sanftes Lächeln legte sich engelsgleich auf Xeis Lippen. „Ja.“ Stumm folgte er seinem Schöpfer. Er unterdrückte den Impuls auf die Tat zurück zu blicken. Wenn er nicht dem Wahnsinn verfallen wollte, musste er ihren Anblick vergessen. Kaum war der Hunger besänftigt, erkannte er die Schönheit der Welt. Reizvoll und entzückend. Details die bislang in Blindheit untergegangen waren. Er bestaunte alles, als ob er es zum ersten Mal sah. Der Schein der Fackeln am Wegesrand war genauso faszinierend, wie die funkelnden Sterne im betörenden Mondschein. Gerüche ließen ihn Entfernungen genauso bewusst werden, wie sie Richtungen zu jedem Ziel wiesen. Mimik und Gestik der Menschen schienen ihm ganze Geschichten zu erzählen. Ihre Ängste und Träume waren für ihn fast greifbar, so als ob er in ihren offenen Geistern lesen konnte. Die bunten Farben der Kleider erquickten sein Herz, während sich Stoffe alleine durch Beäugen wie Berührungen auf seine Haut legten. Er sah Dinge nicht mehr nur; er fühlte sie. „Und ich glaubte, ihr könntet nichts fühlen. Dabei ist es soviel mehr, als ein Mensch dazu im Stande ist.“ „Hättest du es denn geglaubt?“ Als die beiden Vampire zu ihrer Unterkunft zurückkehrten, spürte Luc, dass Xei litt. Bevor er seine Frage formulieren konnte, ergriff Xei das Wort. „Der geweihte Dolch, das letzte Fragment deiner Vergangenheit, gibst du ihn mir?“ „Dann willst du meinen Wunsch erfüllen, obwohl er auf einer Lüge basiert? Ist deine Liebe zu mir so unerschütterlich, dass du dennoch diesen Weg gehen möchtest?“ „Hast du je daran gezweifelt? Mein Weg war immer die Liebe. Ich folge ihr, gleich wohin sie mich führt. Bis zum Ende. Ganz deinem Willen. Ich werde die Hand sein, die dein Urteil vollstreckt.“ Wenigstens dies. Er würde weder Ivens Seele, noch sein Herz bekommen. Aber das Leben des Prinzen würde seiner Rache zum Opfer fallen. Er würde es zerstören, bis auf den letzten Stein. Und diesmal würde ihn zumindest sein eigenes Zögern nicht aufhalten. „Was ist mit deiner Liebe zu ihm?“ „Lass es, Luc. Mein Schmerz darüber kümmert dich nicht wirklich. Wenn ich mein Herz nicht entzweireißen will, kann ich nur einer Liebe folgen. Ich habe gewählt und folge bedingungslos.“ Dann war es gewiss und bald endgültig. „Du brauchst Stärkung, habe ich recht?“ Verständnisvoll zeichneten Xeis blutrote Lippen ein Lächeln in dem traurigen Gesicht. „Ich warte bis du bereit dazu bist.“ „Das bin ich und diesmal hat es nichts mit Iven zu tun. Ich erkläre mich alleine für dich dazu bereit.“ Der Einladung folgende, zeichneten feine Finger Linie auf seinem Hals. Als sich Xeis warmer Atem auf seine Haut legte, durchzog ihn eisiges Frösteln. Er spürte, dass der andere Vampir zögerte. Beschwichtigend glitt seine Hand über das seidig weiße Haar und führte sanft zum Begehrten. „Diesmal ist es an dir, keine Rücksicht zu nehmen.“ Der Biss raubte ihm den Atem. Es war so ganz anders, wie die Nacht zuvor. Ein einziger ungetrübter Rausch in Erregung. Seine Kraft verlor sich und er spürte Xeis kraftvolles Herz gegen seines schlagen. Die von Xei geraubte Energie belebte ihn in dessen Aura gleichsam wieder, während er die fremden zugetragenen Emotionen spürte und sich die seinen mit diesen Gefühlen vermischten. Sie waren eins, umhüllt von einer sanften Woge des Friedens. Gänzlich in Ruhe gehüllt verweilte er in Xeis Armen, bis sich sein Körper von der Erschöpfung erholte. „Ist es das, was Iven jede Nacht fühlte, in der er dir sein Blut gab?“, fragte er interessiert. „Nein nicht ganz. Iven ist nicht mein Schöpfer und ich bin nicht der seinige, obgleich dasselbe Ahnenblut in unseren Adern fließt. Es ist eine andere Verbindung zwischen uns, die nicht weniger stark, doch zwiespältig ist. Sein Blut zu trinken, ist stets ein wechselseitiger Kampf von Anziehung und Abstoßung. Zwei Magnete die zusammen gehören wollen, aber nicht lange aneinander verweilen können, ohne sich gegenseitig zurückzuwerfen.“ Das vertraute Bild von einst kam Luc in den Sinn. Die innige Verschmelzung von Licht und Schatten, die an Schönheit und Kraft in jenem Augenblick überwältigend wirkte. „Und in den kurzen Momenten in denen ihr aneinander festhaltet?“ „Vollkommenheit.“ Luc wagte nicht weiter auf das Thema einzugehen. In all der Zeit hatte er in Xeis Augen noch nie solchen Schmerz gesehen wie bei diesem einen ausgesprochenen Wort. Pein die er zu verantworten hatte. Seine Lippen zuckten unmerklich und wollten Reue kundtun. Bevor sein Gewissen Worte formen konnten, erlangt jedoch die Rücksichtslosigkeit die Oberhand zurück. Er hatte sich bereits entschieden. Jetzt diesen Beschluss zu betrauern, wäre verlogen und lächerlich. Sein entschuldigender Blick suchte dennoch nach grauen Augen, die ihm gütig entgegensahen. Es ist dir gleich und ich habe mich damit abgefunden, schienen sie zu sprechen. Und recht hatten sie. Schuld war nur noch ein unbedeutendes Überbleibsel seiner Menschlichkeit. Reue ein abstraktes Konstrukt, das von Erinnerungen lebte. Er war befreit, von seiner reinen Seele. Kapitel 39: Nachwirkung ----------------------- Hallo zusammen, nach einer für meine Verhältnisse etwas längeren Pause wird „Blutschuld“ in regelmäßigeren Abständen fortgesetzt. Ich wünsche weiterhin viel Lesevergnügen! Liebe Grüße Teedy ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 39. Nachwirkung Er konnte seine Haut noch so lange wund scheuern, sie mit heißem Wasser peinigen, die letzte Nacht blieb haften. Einzig Ivens Geruch verschwand unter seiner rücksichtslosen Behandlung. Von seiner Haut, nicht aus seinem Geist. Er zitterte. Sein Spiegelbild im Wasser war anklagend. Er war verdorben. Wie konnte er nur seine Ehre verlieren? Seine Liebste an den Rausch des Moments verraten? Sich der Erbärmlichkeit in voller Schande hingeben? Er wollte Iven für diese Schmach hassen. Doch er war bereits viel zu sehr damit beschäftigt sich selbst zu verachten. Der Zorn in ihm bebte. Er wurde gewarnt. Mehr als einmal. Überaus deutlich. Er hatte es ignorierte. Folgte willens. Die Verfehlung war schlimm genug. Doch mehr als sein Gewissen plagten ihn seine verletzten Empfindungen. Das Wissen, einzig der Rache gedient zu haben, schmerzte. Dabei sollte er sich einzig schämen. Für Babette, für Luc, für sich. Nahrung die er zu sich nahm, suchte ihren Weg nach draußen. Die Übelkeit kam nicht des Geschmackes wegen. Alleine Ekel über sich selbst, die Abscheu für seine Schwäche, waren schuld daran. Was hatte er nur getan? Überreizt ging er in das Gemach der Schande zurück. Als er die Tür öffnete, blieb er stockend stehen. Der schwere süße Geruch verursachte ihm abermals Übelkeit und haftete wie ein kaltes Tuch aus Verzweiflung auf seiner Haut. Standhaft versuchte er seinen Magen zu beherrschen, während sein Geist lustvoll in Erinnerungen schwelgte. Wie von selbst trugen ihn seine Beine in Ivens Nähe. Ein einziger dünner Lichtschimmer brach sich sanft durch die dicken Brokatvorhänge und schluckte dennoch mühelos den zuvor herrschenden warmen Kerzenschein. Musternd verweilte Vernons Blick auf dem Vampir. Der Prinz wirkte im ruhigen Schlaf verletzlich und hilflos. Was wenn er einfach der Sonne Einlass gewähren würde? Ein Gefallen für Luc. Vergeltung, die sein Freund nicht üben konnte. Vernichtung, die längst hätte vollzogen sein müssen. Ein Dienst für sich selbst. Rache für die letzte Nacht. Tod des Gewissens. Angezogen wie von Feuer in eisiger Winternacht trat er dichter an den Schlafenden. Er hatte sich nicht nur daran erwärmt, sondern verbrannt. Und nun verharrte er wie ein Erfrierender davor, bittend, dass die Kälte abfallen würde. „Welche dunklen Sehnsüchte hast du nur in mir geweckt?“ Tränen trieben in seinen braunen Augen. Die Schwäche in ihm lockte, die Stärke vor ihm zog an. Wehmütig strich seine zaghafte Hand über das seidige Haar. Seine Lippen schmeckten Samt. Er kannte die Liebe und sie war es nicht, die ihm diese Leidenschaft bescherte. Konnte die Natur wirklich so grausam sein, dass sie solche Geschöpfe hervorbrachte? Wieso nur mussten seine Sinne an ihm versagen, wie an noch keinem anderen Vampir zuvor? Ausgerechnet an ihm. Das Wesen, das seinen besten Freund auf tragische Weise ins Unglück stürzte. Er war gekommen Luc zu helfen und nun würde er seinem Freund auch Schmerz zufügen. Auf eine Art, wie sie tückischer nicht sein konnte. Verräter. Sein Kopf pochte. Kraftlos ließ sich er sich neben dem Vampir nieder. Er war wie betäubt. Schon bald würden sich ihre Wege trennen. Bis es soweit war, wollte er die Schuld auskosten. Sie in jeden Winkel seines Gedächtnisses brennen. Sich an erfüllter Sehnsucht laben. Gestik und Mimik der Vollkommenheit erfassen und sie tief in sich verschließen. „Du hast dein einstiges Versprechen gehalten, Prinz. Du hast mich in die Hölle geschickt.“ Die schwarzen Spiegle der Nacht öffneten sich und boten einen verführerischen Kontrast zu der weiß schimmernden Haut. Ob Hölle oder nicht, Vernon sah dem Himmel entgegen. „Verweilst du schon lange an meiner Seite, Vernon?“ Die Bitterkeit in dem bronzenen Gesicht war nur ein Schatten des gewaltigen Gefühls davon. „Viel zu lange. Jede Sekunde in deiner Gegenwart war zu viel.“ Milde lächelnd erhob sich der Vampir. „Du bereust, bedauerst aber nichts.“   Zustimmend schluckte er hart. Er fühlte die erdrückende Verantwortung seines Schuldbewusstseins. Seine Moral verurteilte die Tat aufs Tiefste, während er die Handlung nicht beklagen konnte. Die ungeschönte Wahrheit mit der ihn Iven bewertete, trieb abermals Verzweiflung und Wut durch seine Adern. Reichte es Iven nicht, dass er bereits letzte Nacht dessen Untergebener war? Musste der Vampir ihn willentlich so weiter quälen? Dabei hatte er eben die Macht gehabt, sich aus dieser Situation zu befreien. Der auflodernde Zorn ließ ihn beben. „Die Ignoranz, mit der du mir dein Leben bereitwillig anvertraut und ausgeliefert hast, macht mich wahnsinnig! Ich hätte dich samt deiner Überheblichkeit dem Sonnenlicht übergeben sollen!“ „Warum tatest du es dann nicht?“ Süße Stimme, herbe Worte. Gedanken ätzten sich ihren Weg. Erbärmlich. Nutzlos verstrichen. Schändlich versagt. Das kurze Aufbegehren kratze an seinem Stolz. Stolz der nun lächerlich geworden war. Sein Gegner spielte in einer anderen Liga. Einsichtig widerstand er der Herausforderung. Er würde sich nicht auf so ein Kräftemessen einlassen. Nichts geschah ohne des Prinzen Kalkül. Eine Lektion, die er binnen Stunden in süßer Bitternis erlernt hatte. Widerwillig folgte er der Besonnenheit. „Woher wusstest du, dass ich es nicht tun würde? Sind meine Gefühle für dich wirklich so ein offenes Buch? Wenn ja, dann erkläre sie mir! Ich verstehe sie nicht.“ Seine Verwirrung weiter schürend, legte sich ein Hauch von einem Kuss auf seine Lippen. Gefühle der letzten Nacht krochen lebhaft in Vernon hoch. Beißend an seiner Würde, reißend an seinem Stolz. Ivens Stimme nahm ihn gefangen. Bekanntes Gefühl. Behaglicher Schauer. „Die Leidenschaft die ich dir gab, verfliegt nicht binnen Stunden. Sie klebt an dir, wie ein Fluch.“ Ja, wie jede einzelne Berührung, die er immer noch gegenwärtig spürte und ihn machtvoll in den Wahnsinn trieb. Resigniert wagte er einen Blick in verdammendes Schwarz. „Dann hast du mehr getan, als mir nur gestern deine Macht aufzuzwingen.“ „Ich habe nichts erzwungen, Vernon. Nichts, was nicht deinem Begehren entsprach.“ Die Worte stachen. Abermals nackte Erkenntnis, die seinen Verstand strafte. „Und nun? Wirst du mich Luc als Trophäe vorführen?“ Iven stand auf. Vernon war dankbar für den Abstand, den er somit gewann. Einen, den er selbst nicht im Stande war zu schaffen. Zu groß war die Anziehung, zu überwältigend das Gefühl von Sehnsucht. „Nein nicht direkt. Luc wird selbst in dir lesen können, ohne dass ich dem etwas hinzufügen müsste.“ Wieder diese Selbstgefälligkeit. „Wie kannst du dir nur so sicher sein, dass ich bleibe?“ Herzloses Lachen schlug ihm entgegen, das ihm die Grausamkeit der Situation schonungslos aufzeigte. „Du tust es doch noch. Ob nun wegen mir, wegen ihm oder einzig, um nicht wegzulaufen. Es ist einerlei. Das Resultat ist für mich von Belang.“ „Genau wie letzte Nacht, habe ich recht?“ Ein sanfter Ausdruck legte sich auf das schöne Gesicht des Vampirs. Beinahe konnte es als Mitgefühl interpretiert werden. „Du hattest die Kaltschnäuzigkeit die Gewissheit bereits gestern beim Namen zu nennen. Ohne Skrupel warst du ihr ergeben. Und jetzt hoffst du auf Zuneigung, die über meine Interessen hinausgeht? Dein Verstand sollte dich besser leiten, Soldat. Gestriges Verlangen ist für mich nichts Neues. Genauso wenig wie die Befriedigung zu finden. Beides altbekannt und hunderte Male zuvor in vollen Zügen ausgereizt und gekostet. Willst du wirklich weitere Deutlichkeit, um deinen Kopf klar zu bekommen?“ Nein es reichte. Der Schmerz war auch so groß genug. Die Hoffnung auf Gefühl in blanken Worten zerschmettert. Es war berechnend. Er war unbedeutend. Lediglich Mittel zum Zweck. Ausgenutzt und Beschmutzt. An den Rand des Selbsthasses getrieben. Der Stoß würde gewiss folgen. Für Luc. Gegen Luc. Dankbar allein, konnte er in der nicht empfundenen Liebe sein. „Wie ist es bei Luc? Kannst du auch ihn wie gebrauchte Kleidung ablegen? Oder willst du ihm bis in alle Ewigkeit weiteren Schmerz zufügen, alleine um deine Macht zu behaupten? Erbärmlichkeit die zum Himmel schreit!“ Das kalte Funkeln in den Augen des Prinzen drohte ihm. Wie Eis bohrte sich der Blick in den Soldaten. „Deine Dreistigkeit wird dich früher oder später noch den Kopf kosten.“ „Denkst du wirklich, dass ich noch Respekt vor dir hätte? Nicht nur ich habe mich entblößt, Iven. Ob nun von dir hunderte Male zuvor erfahren oder nicht. Ich habe dich kennen gelernt. Dich in Emotionen erlebt. Gestern sprachst du noch freimütig von deinen Gefühlen. Einzig die Sorge erkannt zu werden, lässt dich jetzt hart und unzugänglich werden.“ Vernon hatte nach dieser Anmaßung einen Ausbruch erwartet. Kalte Tobsucht oder vernichtenden Jähzorn, der ihn eisern in seine Schranken weisen würde. Das Gegenteil war der Fall. Es war wie gestern. Der Prinz wirkte verletzlich. Hatte Liebe doch soviel Einfluss auf dessen Gemüt? Das sanfte Zucken der Mundwinkel bejahte die unausgesprochene Frage. „Du siehst mich an, als ob du mich bedauerst. Dabei sollte Furcht deine Augen zeichnen. Die Wut deine Zunge führen, nicht Verständnis. Deine Erkenntnis sticht tief. Von Unbedeutsamkeit so vorgeführt zu werden, zeigt mir die Grenzen meiner Autorität auf. Verloren an der Schwäche der Liebe. Nein, wenn ich dieses Gefühl für Luc wie Kleidung ablegen könnte, würde ich nackt in Eis gehen. Wenn es meine Haut wäre, würde ich sie in Fetzen abziehen. Wenn es Blut wäre, würde ich es bis zum letzten Tropfen vergießen. Alles was es greifbarer macht, würde ich lieber hinnehmen. Aber ein Gefühl ist nicht fassbar. Ich kann es nicht bändigen, gleich welche Macht ich auch ausübe. Es entschwindet meinem Willen, nur um vor meinem Geist zu tanzen.“ Da war sie wieder, die Vertrautheit. Ohnmächtig hing er an Ivens Lippen, wie die Nacht zuvor. "Ich brauche Stärkung bevor ich Xei aufsuche. Wie steht es nun Soldat. Wirst du mich begleiten. Zeuge des Unvermeidbaren sein?" "Wenn ich Luc überzeugen kann, würdest du dann von der Zerstörung ablassen?" Belustigt schweiften tiefschwarze Augen über seinen Körper. Er fühlte sich gemustert. Bis ins kleinste Detail studiert. Gereizt. "Überzeugen, von was?" Vernon schluckte trocken. Mühsam versuchte er sich nicht von den schwarzen Blicken ablenken zu lassen. "Von dem Irrglauben abzukommen. Euer sinnloser Kampf, dein Schmerz, dich gegen Xei zu wenden und ihn in Rage und aus Stolz zu töten. Unsinn ohne Substanz. Dieser Kampf wird Luc nicht glücklich machen. Vergangenes nicht ungeschehen. Im Gegenteil. Mag sein, dass sich Lucs Wesen mit jedem Schicksalsschlag, mit jedem Schritt in deine Nähe, verhärtet hat. Aber dennoch kenne ich ihn. Hinter all der Lügen, seinem Betrug und der Selbstaufgabe, steht nur sein Unvermögen, dich selbst richten zu können. Luc war bei all seinem Schmerz nie grausam.“ „Dann ist es also nicht grausam, dass er Xei benutzt, um mir zu schaden? Blicke hinter deine Loyalität, Vernon. Seine Rachsucht vernichtet gnadenlos und wird alles zarte Gefühl in meinem Bruder zerstören. Bewusst und willentlich. Mein Werk wird nur das seinige beenden.“ Trotzig schüttelte Vernon seinen braunen Schopf. „Nein, ich bin mir sicher, dass er niemals Gefühle mit Füßen treten wollte oder dieses Ende wirklich will. Verstehst du denn nicht? Er steht mit dem Rücken zur Wand und sah keinen anderen Ausweg, als diesen Irrsinn zu beginnen. Dich sein Leid spüren zu lassen ist ein Hilfeschrei. Der Ruf nach einer Hand, die ihn aus diesem Unglück führt. Der Wunsch nach Liebe, die ihn aus dem Hass entlässt. Nicht mehr." „Deine Worte klingen schön. Zu gerne würde ich an ihnen festhalten. Doch hast du sämtliche Hässlichkeit aus ihnen verbannt. Mich. Gleich ob Luc einlenkt, er hat den Weg geebnet. Und gleich welchen Weg ich stets ging, ich ging ihn für mich. Mir geht es hierbei nicht um Lucs Glück oder Unglück. Nicht einmal um seine Vergeltung. Wenn er Rache will, kann er sie an mir haben. Aber dieser Weg ist nicht der seine, sondern der meine. Es sind meine Abdrücke, die Spuren im Staub hinterlassen werden. Ich stehe nicht zwischen den Fronten, falls du das glaubst. Mein Leid über die Schuld, Xeis Leben selbst ein Ende zu setzen, wäre für mich tragbar. Reue ist ein Gefühl, das ich nie sonderlich begriffen habe. Mir geht es um Kontrolle. Nicht um die Liebe, die mir Luc verweigert. Es sind Demütigung und Verrat, die ich nicht hinnehme kann. Welche Essenz Luc daraus zieht, ist für mich im Moment nicht von Belang. Meine wird der Tod sein. Willentlich selbst geschaffen. Nicht aus Liebe oder verletztem Gefühl. Einzig aus Egoismus. Gebieter über mich selbst." „Du bist fanatisch. Besessen von Selbstsucht. Dabei gehen deine Gefühle für Luc doch so tief. Wie kannst du deine Eigenliebe über die Liebe zu ihm stellen? Und Xei? Der Kummer in deinen Worten straft dich bereits jetzt. Du trauerst um seinen Verlust und dennoch wirst du ihn herbeiführen, alleine für dein Wertgefühl?“ „Was bleibt mir übrig, als mich selbst zu lieben und zu achten, wenn es niemand sonst tut?“ „Aber“, er wollte widersprechen. Doch er konnte weder Xeis noch Lucs Liebe als Gegenargument anführen. Beide hatten sie ihn verraten. Der eine aus Liebe, der andere aus Hass. Er schluckte die letzten Gedanken. Er würde bleiben. Zeuge der Tragödie werden, die nicht besser war als eine Posse. Er würde seinem Freund Halt bieten, wenn dieser an seinem Lachen erstickte. Iven schien einen Entschluss längst erkannt zu haben. Der Gesichtsausdruck des Prinzen war viel sagend, aber für Vernon unverständlich. Er glaubte einen kurzen Blick in Ivens Gefühlsleben erhalten zu haben und dennoch war es einzig unergründlich. Ein Sumpf in dem auch er sich verloren hatte und nun Stück für Stück darin weiter einsank. Der Vampir ging, Stärke für das bevorstehende Szenario zu sammeln. Der Soldat verfluchte untätiges Warten auf unausweichliches Geschehen. Atemzug für Atemzug, schwerer, trockener, endgültiger. Kapitel 40: Vollstreckung ------------------------- 40. Vollstreckung Sie standen vor einer schmucken weißen Villa. Knochige Bäume ragten im blassen Mondschein bedrohlich in die Höhe. Die kahlen Geäste warfen als Schatten unheilvolle Fratzengebilde auf den kargen Winterboden. Ein weißer Hauch der Kälte entströmte seinen Lippen. Mühevoll verbarg er das unruhige Zucken seiner Hände. Die Furcht auf das bevor stehende Szenario, legte sich krampfend auf seine Körpermitte. Die Hand, die seine Schulter umschloss, ließ den Soldaten unvermittelt zusammenzucken. „Was fürchtest du, Vernon?“ „Alles. Ich habe Angst davor, was meine Augen sehen werden.“ „Ein sterbender Vampir sollte nichts sein, was dein Gemüt erschrecken könnte, oder?“ Schweigend ging der dunkle Vampir an Vernon vorbei und verschmolz mit den Schatten der Fratzen. Ein kurzes Zaudern legte sich abermals auf seine Glieder, bevor er Iven folgte. „Nein, das sollte es nicht“, hauchte er in dunstigen Wolken. Nichts deutete im Inneren der Villa auf Leben hin. Stille wog schwer zwischen den hohen und dunklen holzvertäfelten Wänden und schaffte, zusammen mit dem scheinbar alles in sich verschluckenden schwarzen Marmorboden, eine bedrückende Atmosphäre. Die wenigen eingelassenen Fenster, sperrten hinter dicken dunkelroten Vorhängen verborgen, auch das letzte Mondlicht aus. Einzig das dämmrige Licht des edlen Kronleuchters, der in der Mitte der Empfangshalle von der Decke hing, zeugte von etwas andrem als tote Finsternis. Der warme Schein der Kerzen legte sich kegelförmig auf die Mitte der Halle und golden schimmernd auf das dunkel glänzende Holz der einladenden Wendeltreppe, die zu einer offenen, fast völlig im Schatten daliegenden, Galerie führte. Fragend musterte der Soldat den Prinzen. Mit einem leichten Nicken deutete Iven zu seiner Linken. „Ich kann Xeis Gegenwart spüren.“ Vernon schluckte. Dann war es soweit. „Wenn du dich um Luc kümmern möchtest, dann gehe nach oben.“ Ohne weiteres ging der Vampir zu der bereits angedeuteten Richtung und verschwand hinter der mit filigranen Schnitzereien versehenden Flügeltür. Ein letzter Ruf nach Vernunft blieb in seinem Hals stecken. Es wäre sinnlos. Schluckend wanderte sein Blick zu der Empore. Die Gewissheit, seinen Freund abermals als Geschöpf der Nacht erblicken zu müssen, wiegte schwer auf seiner Seele. Angestrengt schob er das letzte Zaudern beiseite und ging mit bangem Herzen die knarzenden Stufen nach oben. Auf der Galerie angelangt, setzte sein Atem kurzzeitig aus. Die Wahrheit schreckte ihn zum zweiten Mal. „Luc!“ „Bist du gekommen mich zu richten, Freund?“ Betrübt verzog Vernon das Gesicht. „Nein, ich wollte dein Vorhaben, dich in die Verdammnis zu begeben, verhindern. Doch ich komme zu spät.“ „Dann solltest du gehen. Ich verdiene deine Sorge nicht länger.“ Ruhig schritt der dunkelblonde Vampir an dem Soldaten vorbei. „Warte Luc! Das hier wird dir keine Befriedigung verschaffen. Iven hat in deinem vorgezeichneten Weg längst seine eigene Richtung eingeschlagen. Es wird kein Heil sein, das dir bleibt, sondern bittere Enttäuschung.“ Traurig wandte Luc seinen Kopf um. „Hier geht es doch längst nicht mehr um mein Heil. Ich will nur, dass er leidet. Er soll sterben oder sein Licht selbst vernichten, so wie ich das meine. Durch ihn, für ihn. Ich mache mir keine Illusionen mehr. Ich werde meine Rache nicht bekommen. Dazu müsste ich tun, was ich nicht kann und ihn selbst dem Tod übergeben und nicht feige in den Kampf treiben. Aber er soll in meinem Hass brennen. Auch wenn es die Flammen der Liebe sind, die ihn verzehren werden.“ Die lauten Schritte auf dem blanken Marmor ließen den weißhaarigen Vampir endgültig das Buch der Bücher beiseite legen. Er hatte Ivens Nähe bereits zuvor verspürt. Nun erfüllte die machtvolle Präsenz das ganze Lesezimmer und schaffte eine vertraute wie bedrohliche Atmosphäre. Das sachte Knistern des Kaminfeuers hing wie brennendes Laub in der Luft, angereichert von dem stockenden Geruch eines nahenden Gewitters. „Du weißt weshalb ich gekommen bin.“ Die Schwermut nur geringfügig überspielend, richtet sich Xei auf und starrte direkt in die schwarzen Augen des Prinzen. „Genau wie du weißt, weshalb ich dich erwarte.“ Stumm sprachen Blicke von Enttäuschung und Reue. Ein letztes Mal formten blutrote Lippen Worte, bevor Taten folgen sollten. „Ich liebe dich.“ „Ich weiß.“ „Dann gibt es nichts mehr zu sagen.“ „Nein.“ Er wandte den Kopf verletzt zu Boden. Die schmerzerfüllte Schwärze traf ihn tief. Er war geschlagen, bevor er selbst zum tödlichen Stich ausgeholt hatte. Entschlossen, dieser zerstörerischen Emotion endlich entkommen zu können, umschlossen seine Finger den geweihten Dolch, den er nicht länger verborgen hielt. Die Furcht den ersten Schritt zu tun, verlor sich in der schemenhaften Wahrnehmung seiner Augenwinkel. Dankbar, nicht den ersten Schritt gehen zu müssen, lächelte er seinem sich geschwind nähernden Rivalen entgegen. Der Schatten griff an und das Licht schlug zurück. Betroffen trat er direkt zu seinem Freund. Der Kummer schien Luc bereits jetzt vollends zu beherrschen. Seine Bedenken, dem Vampir zu nahe zu kommen, schob er beiseite. Er konnte Luc nicht helfen, aber zumindest mit einer Umarmung Trost spenden. Ohne zögern, zog er Luc zu sich. Überrascht ließ es der Vampir schweigend geschehen. Nur langsam löste Vernon die freundschaftliche Geste auf. „Du und Iven, ihr seid euch so nah, und gleich so fern. Luc, falls er Xei tötet, dann als Herrscher, nicht als Liebender. Es wird seine Genugtuung sein, nicht die deine.“ Die grünen Augen des Vampirs verengten sich zu funkelnden Schlitzen, die in dem dämmrigen Licht schweigend von Bedrohung sprachen. „Du scheinst ihn ziemlich gut kennen gelernt zu haben. Erschreckend dabei ist, dass dich sein Gefühlsleben scheinbar kümmert.“ Abweisend hob Vernon die Hände. „Nein. Aber ich verstehe es. Er hat schlicht Angst. Genau wie du. Wie Xei. Ihr dreht euch im Kreis.“ Ein Poltern, ausgelöst von zwei unerbittlich miteinander ringenden Silhouetten, durchdrang die Vorhalle. Während Luc das Treiben nicht weiter zu beachten schien, folgte der Soldat gebannt dem Kampfgeschehen, während seine Finger angestrengt und nach Halt suchend die Brüstung umklammerten. Die fordernde Stimme in seinem Nacken riss ihn jäh zu dem nach Beachtung verlangenden Vampir neben sich zurück. „Angst? Wie nah seid ihr euch gekommen, dass du von so einem umfassenden Gefühl in ihm sprechen kannst? Eines, welches er dir sicherlich nicht auf einem silbernen Tablett serviert hat.“ Bevor Vernon darauf antworten konnte, ließ ein Aufschrei des Prinzen beide zusammenzucken. Blut benetzte den Boden. Mit aufgerissenen Augen fasste sich Iven an die Brust. Lucs scharfe Vampiraugen erkannten, dass der Herrscher verwundet, aber noch lange nicht besiegt war. Sie sahen dies und mehr. Sorge in braunen Augen. "Vernon?" Bestimmt fasste Luc nach Vernons Schulter. Grob forderte er die Aufmerksamkeit seines Freundes zurück, der nur widerwillig nachgab. Angesicht in Angesicht. Es war keine Täuschung. Misstrauen erfüllte Lucs Herz und unterwarf die Freundschaft den Zweifeln. "Du sorgst dich um ihn?!" Die Stimme des jungen Vampirs glich einem verletzten Fauchen. Die Furcht verschwand umgehend aus den braunen Augen, geflissentlich verborgen in gespielter Beschwichtigung. "Nein, warum sollte ich?" Hartnäckig verlangte Lucs Herz nach der Wahrheit, die Lüge in seinem Freund deutlich erkennend. "Ich sehe ihn in dir." Nüchtern feststellende Erkenntnis, die Wahrheit ans Licht zerrte. Er wurde betrogen. Schuldigkeit legte sich sichtbar auf die bittenden Züge seines bekümmernden Freundes. "Es tut mir leid, Luc. Ich verstehe dich nun." Es tat weh. Der durchdringende Schmerzensschrei unter ihnen, hätte sein eigener sein können. Xei lag von dem Prinzen unterworfen auf dem schwarzen Marmor der Diele. Blitzender Stahl zeigte die Niederlage auf und kündigte, gefährlich auf den Weißhaarigen gerichtet, den Todesstoß an. „Sieh mich an!", forderte Luc eindringlich, den Blick bestürzt nach unten gerichtet. Graue Augen nicht wahrnehmend, einzig auf schwarze fixiert. Er sah Bestätigung. Eine die es nicht bedurft hatte. Eifersucht vergiftete sein Blut. Ätzend trieb sie in seinen Adern. Eine neue Not. Erfahrung, die ihn abermals die Hölle auf Erden erleiden ließ. Die auferlegte Taubheit seiner Gefühle schützte nicht mehr. Blanker Schmerz durchdrang ihn. Sein Herz glaubte zerspringen zu müssen. Sein Herz brach. Zersplitterte in kleine Teile von Enttäuschung. Entließ Scherben von vertaner Hoffnung. Dabei hatte er so fest geglaubt. An jedem kleinen Schimmer eisern festgehalten. Er war dem Tode nahe. Sein Henker weilte über ihm. Er würde sterben. Einzig für ihn. Und es kümmerte nicht. Kein Bedauern, keine Angst vor seinem Verscheiden. Einzig Hass, in der Eifersucht der Liebe gebunden, spiegelte sich auf der Mimik seines Geliebten. Gefühle die nicht für ihn bestimmt waren. Kein einziges davon. Kein Funke für ihn bleibend. Der Vertrauensbruch kam, bevor es Treue gab. Über alles hatte er an die Liebe geglaubt. Naiv. "Luc, braucht deine Führung. Ohne sie ist er verloren. Ich gebe dich frei, Xei. Sei sein Licht, so wie du meines warst." Die gesprochenen Worte seines Nebenbuhlers legten sich nur langsam in sein taubes Bewusstsein. Der Todesengel wich von ihm. Das Werkzeug milde beiseite gelegt. Wozu? Weshalb Erbarmen? Er hatte keinen Lebensgrund mehr. Er wäre gestorben, für Luc. Aus reiner Liebe. Wahrhaftig, hingebungsvoll ihr ganz ergeben. Doch Luc wollte sie nicht. Beachtete sie nicht. Nichts was blieb. Bestätigt sah er in grüne Seen, die immer noch in schwarzer Nacht weilten. Vertrautheit, die mit jedem von Lucs Schritten zu Iven an Kraft gewann. Offener Schmerz legte sich auf Lucs trauriges Gesicht. Die Bitterkeit darin verschwand, in Sehnsucht gebannt. Jede Gestik, jede Mimik seines Geliebten nicht für ihn bestimmt. Einzig Iven entgegen tragend. Liebeskummer herrschte, anstatt Todesangst. Er blieb außen vor. Ausgeschlossen, verbannt. Nichtbeachtung, die jedes Gefühl in ihm mit Belustigung strafte. Alles Zarte im Zorn versengte, als giftiger Nebel die Seele verschlang. Sein Geist verzerrte sich, sein Herz tobte. Eifersucht erlangte die Oberhand, als rasendes Fieber nach Beendigung schreiend. Die Besessenheit forderte kalt ihren Tribut. Dem Wahn ergeben griff er nach dem Dolch. Sein Leib erhob sich im blinden Rausch, mitgerissen von dem Strom der Manie. Wenn nicht ein liebendes Herz, dann ein totes. Die Bewegung entging dem Prinzen nicht, genauso wenig wie die kalte Entschlossenheit, die ihn alarmierte. Xeis silberner Blick wies zu der offene Tür in die Unberechenbarkeit. Eisern mit Wahnsinn unterlegt. „Luc!“ Ein Warnruf der zu spät erfolgte. Die Tat einzig durch Handlung noch abwendbar. Kein Zögern. Gewissheit die Realität wurde. Sein Herz war durchbohrt. Endlich war das Gefühl fassbar. „Nein!“ Xei keuchte erschrocken auf. Fassungslos starrte er der grausam geschaffenen Realität ins Auge. Er konnte sie fühlen, die Wahrheit die sein Herz abermals zerriss. Blut lief warm über seinen Handrücken. Starr folgte er dem roten Rinnsal. „Bitte nicht.“ Sein gebrochenes Flüstern hallte dröhnend in seinem Kopf wider. Sanft wurde seine zitternde Hand umschlossen und die steifen Finger behutsam von dem Griff gelöst. Das milde Schwarz in dem liebevollen Gesicht reflektierte Vergebung. Absolution die er nicht verdiente. Sein Bruder sank auf die Knie. Die schweren Atemzüge ließen keine Zweifel zu. Der ausgeführte Stoß war tödlich. „Warum?“ Lucs Flüstern ließ Xei verzweifelt beiseite treten. Die Frage galt nicht ihm. Er war unwichtig. Genau wie zuvor. Herzlos der Gleichgültigkeit übergeben. Kapitel 41: Und so gab ich mein Leben ------------------------------------- 41. Und so gab ich mein Leben Standhaft widersetze ich mich dem Schmerz, der die Oberhand zu gewinnen versucht. Noch gibt es Leben in mir. Stärke, die nicht besiegt ist. Deine Umarmung spendet mir die nötige Kraft. Gibt es doch noch Zuneigung? Natürlich. Flehend suche ich nach der Ruhe in deinen grünen Augen. Ein letztes Mal will ich deine ungetrübte Liebe auskosten. Ich wünschte, du hättest mich immer so angesehen. „Warum?“ Der liebevolle Glanz in ihnen verschwindet in Unsicherheit. „Ich wusste, dass es dazu kommen würde. Ich kenne und verstehe deine Gefühle, nunmehr da es keine Geheimnisse gibt. Genauso wie ich Xeis Gefühle kenne.“ Der Schmerz in meiner Brust weicht Taubheit. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit. „Dein Entschluss so weit zu gehen, einzig getrieben von dem Wunsch nach Rache. In Blutschuld gebunden. Ich benutzte Vernon, um deine Gefühl für mich noch einmal offen zu legen. Ich wollte ihrer gewiss sein. Einen Augenblick davon nur für mich haben.“ Intensiv und nackt. Aus deinem Schmerz geboren. Egoistisch wie ich nun einmal bin. Verzeihst du mir, wenn ich nicht mehr bin? „Ich legte den Grundstein für deinen Wankelmut. Dein Hass von Liebe gezähmt und vernichtet. Xeis Hass hingegen durch Liebe geboren und geschürt. Seine Eifersucht war dein Todesurteil, mit meiner Unterschrift darunter.“ Kälte greift nach mir. Schwärze, die mir das Spüren deiner Gegenwart nimmt. Noch nicht, ich habe noch soviel zu sagen. Worte die dich nicht erreichen. Ich habe alles verloren. Mein Leben der Wertlosigkeit zugeführt. Einsamkeit war mein Heim geworden. Gewählt, um der Schwäche zu entkommen. Sinnhaftigkeit in der Herrschaft gesucht. Unerbittlich. Jedes Ziel aus den Augen verlierend. Verschwendet an den Blick in die Vergangenheit, die Zukunft blind zurückweisend. Ich bin ein Dämon, unterjocht von meinem eigenen. Einzig begehrend nach dem Feuer, das mich wach hält. Mich nicht in Untätigkeit verharren lässt. Aufgesaugt von Machtgier, ausgespuckt als windendes Tier, kriechend in Trostlosigkeit, dem Nichts entgegen. Handlung zog an mir vorbei, geführt in der Monotonie der Gewohnheit. Mein Tun Zweck gerichtet, ohne Grundlage zur Erfüllung. Leer und ausgebrannt. Es gibt nicht mehr viel, was ich dir geben kann. Zuwenig meiner Selbst ist geblieben. Zuviel an der Kontrolle zu Grunde gegangen. Gebrochener Stolz, zusammengefügt in Erbarmungslosigkeit. Dabei hatte ich alles, für einen kurzen Augenblick. In jener Nacht. Ein einziges Mal, unser beider Geist entsagt, die Herzen geöffnet. In Liebe gegenseitig anblickend. Einmal und nie mehr. Immer auf den verschlungen Pfaden unserer Gefühle getragen, nie mehr auf einer Höhe. Dabei ist es so simpel. Ich brauche keine Luft zum Atmen, ohne dich. Kein Blut, um meinen Körper am Leben zu erhalten. Kein Gefühl, außer das eine. Sinnlos, unbedeutend war mein Dasein ohne dich. So, wie stets zuvor. Ich habe meine Seele selbst zerstört, mein Herz selbst zerquetscht. Mein Innerstes war ruhelos, unerfüllt. Immer kämpfend nach Befreiung, suchend nach Heilung. Sehe ich da etwa Trauer in deinem Blick? „Bitte nicht.“ Ich sah schon zu viel davon in dir. Beklage mein Verscheiden nicht. Ich bin es nicht wert. Jede Träne wäre unnötig vergossen. „Es ist besser so.“ Geborgenheit die ich loslassen muss. Ich bescherte dir nur Leid und Qual. Entriss dir stets das Glück und schenkte dir den Schmerz. Jede Hoffnung verschlingend durch das Ungeheuer in mir. Meine Seele hat dich schon immer in den Abgrund geführt. Noch immer tut sie es, zerrend an Stärke, die ich längst dir vermacht habe. Mein Herz ist zu schwach dich festzuhalten. Kraftlos, an der verlorenen Liebe zu dir. Einzig meine Existenz kann ich dir noch geben. Als letztes Zeichen meiner Gefühle für dich. Meine Liebe deiner Rache schenkend. Mein letzter Gruß haucht aus. „Ich liebe dich.“ Und so gab ich mein Leben, hoffnungsvoll Frieden zu erfahren. Kapitel 42: Der letzte Wille ---------------------------- 42. Der letzte Wille Ich war Richter und wurde zum Zeugen. Zeuge in Hilflosigkeit. Ich habe die Tat beobachtet, die mein Herz in tausend Stücke zerschlug. Mein Hass verblüht an der Liebe, die du mir im Schmerz schenktest. Dein Opfer für mich, eines das keines war. Du wusstest, was du tust, nicht war? Nun lässt du mich also allein. Endgültig hast du alles aus meinem Leben gerissen, was ich liebte. Immer warst du mein Schatten, der sich um meine Seele schlang. Mit deinem Verlust verdunkelt sich nun alles um mich. Unerträglich, leer und einsam. Die letzte mögliche Flamme in mir, in Gestalt der Genugtuung, von deiner Liebe erstickt. Die Luft zum Atmen fehlt. Ich weine um dich. War es das, was du wolltest? Ich war Täter und wurde zum Richter. Richter im Affekt. Ich sah was ich sehen sollte und die Eifersucht keimte. Mein Opfer umsonst, im Angesicht deines Einflusses auf ihn. Deine Botschaft empfangen, um meine Liebe verletzt zum Tode zu verurteilen. Du wusstest, was ich tun würde, nicht war? Nun habe ich einen Teil von mir verloren. Selbst im Wahn genommen. Unvollständig werde ich fortan durch die Nächte wandeln. Schwankend aus dem Gleichgewicht gebracht. Deine Führung bereits jetzt vermissend. Ich erkenne meine Abhängigkeit von dir, nackt wie nie zuvor. Alleine auf mich gestellt, muss ich selbst die Stütze sein, die du immer für mich warst. Ich werde sein Licht sein, tragend durch die Verzweiflung. War es das, was du wolltest? Ich war Zeuge und wurde zum Täter. Täter in Passivität. Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort, gesehen und erkannt. Mein Wille wurde dein Opfer, verführt vom Freund zum Verräter. Deinen Näherboden geboten, für die Saat die du streutest. Du wusstest, wie du mich lenken musstest, nicht war? Nun erkenne ich den Sinn deiner Worte. Du hast kein Geheimnis um den Tod gemacht. Dennoch warst du eines, bis zum Ende von mir nicht verstanden. Der Blick in deinen Abgrund, einer der mich haltlos in die Tiefe zog. Ein Fall bis zur meiner eigenen Verdorbenheit. Du bist der einzige, der bekam was er verlangte. Kontrolle. Deine bleibenden Spuren im Staub. War es das, was du wolltest; dein letzter Wille? Kapitel 43: Phönix ------------------ 43. Phönix Respektvoll näherte sich der Brünette dem jungen Vampir, der immer noch auf dem Boden kauerte. Lucs Arme wogen den toten Körper des Prinzen liebevoll im Arm. Eine Geste, die wortlos von Gefühlen erzählte. Vernon stockte kurz, als er zu dem weißhaarigen Vampir aufschloss. Bittend legte sich dessen ruhige Hand auf seinen Oberarm. Fragend sah der Soldat in das helle Gesicht. Die klaren Kristalle in die er blickte, waren von einem Tränenschleier verhangen. „Gebt ihm Zeit, um Abschied zu nehmen.“ Es war nur ein sachter Hauch, dennoch fanden die feinen Worte mühelos einen Weg in Vernons Gehör. „Ich will ihn nicht fortreißen, nur Trost spenden und ihm eine Stütze sein.“ Die Hand um seinen Arm wurde fordernder. „Nicht jetzt. Geht mit mir nach draußen.“ Schwermütig folgte Vernon dem Vampir, wenngleich er Luc lieber in seine Arme geschlossen hätte. Es war nicht seine Trauer, dennoch hatte er das Gefühl in ihren Ausläufen zu ersticken. Der Wunsch nach Aussprache wurde übermächtig und durchdrang zäh den Nebel der Verwirrung, der so klar wie farbloser Wind seinen Geist in einem klebrigen Spinnennetz der Schuld gefangen hielt. Als sie in die eisige Nacht traten, konnte er nicht mehr an sich halten. Schärfer als gewollt stellte er den Vampir zu Rede. „Glaubt ihr nicht, dass er eine Stütze braucht? Oder habt ihr Sorge, dass ihr Luc noch mehr verlieren werdet, wenn ich es bin, der ihn auffängt?“ Ohne darauf einzugehen gab der Weißhaarige ruhig Antwort. „Es gibt so viel, was ungesagt blieb. So viel und dabei so wenig, In ein paar Worten ausgesprochen. Luc könnte sich nie seine eigenen Gefühle selbst vergegenwärtigen, wenn er zeitgleich von anderen umfangen wird. Er hat diese Liebe immer abgelehnt. Nun Trost von jemanden zu erhalten, noch bevor er sich seine Gefühle und die damit verbundene Trauer eingesteht, wäre wiederum nur Verweigerung.“ Stumm musterte der Brünette den Vampir, dessen Aura sich seltsam beruhigend auf sein Gemüt legte. Es war Neugier die seine Frage formte. „Habt ihr Iven geliebt?“ „Zu viel.“ Den Schmerz in dem schönen Gesicht zu sehen, war wie Glas beim Zerspringen zu beobachten. Bedrückt schüttelte Vernon seinen Kopf. „Dann verstehe ich euer Tun noch weniger. Bevor euch die Eifersucht einfing, wolltet ihr Iven töten. Warum? Und weshalb dann Luc? Ihr hattet ihn doch. Er war eure Schöpfung, nicht die seine.“ Das bittere Lächeln auf den blutroten Lippen seines Gegenübers stach. „Nein, es war immer die seine. Ich war nur der Schlüssel, so wie ihr, Vernon, die Tür. Einzig um Luc die Wahrheit zu zeigen. Gefühle, denen Iven selbst nie soviel Macht eingeräumt hätte.“ „Macht oder Kontrolle?“ Der Vampir lachte leise, während sich eine schillernde Träne die Wange hinab stahl. „Iven hatte euch wohl sehr viel offenbart.“ „Alles. Ich verstand es nur nicht.“ Die Augen des Weißhaarigen wurden klarer und gewannen an Kraft. „Kehrt zurück Soldat. Euer Trost wird keiner sein.“ „Nein, wie könnte ich“, protestierte Vernon. „Ich kam um Luc vor der Wandlung zu bewahren und habe versagt. Ich werde ihn jetzt nicht als Freund aufgeben und erst recht nicht in dieser Trauer und Verzweiflung alleine lassen. Gleich was er nun ist, ich will für ihn da sein.“ Die Bedrohung, die nun von dem näher kommenden Vampir ausging, war genauso erschreckend wie das strahlende Licht, welches die Silhouette begleitete. Gleißend und blendend. Ehrfürchtig trat der Soldat zurück. Ehe er es sich versah, wurde er an beiden Schultern grob gepackt. Ein Blitz durchzuckte ihn, bei dem Anblick des zornigen Silbers. „Es gebe diese Art von Trauer in Luc nicht, wenn ihr euch besser hättet beherrschen können! Euer Kommen hat Luc nicht vor der Verdammnis bewahrt, sondern ihn noch tiefer in ihr verschlossen!“ Die anklagenden und für ihn so wahren Worte des Vampirs schmerzten, genau wie das traurige Mienenspiel vor ihm. Unerwartet wurden seine Schultern wieder frei gelassen. Vernon war erleichtert, dass der Vampir von selbst seinen stechenden Blick abwandte. „Versteht mich nicht falsch. Ich kannte Ivens Charisma nur zu gut. Dennoch könnt ihr nicht ernsthaft davon ausgehen, dass gerade ihr Luc nun Trost seien könntet. Auch wenn es meine Hand war, die die Waffe führte, so gabt ihr den Impuls dazu. Ihr habt euren Freund betrogen. Ohne Liebe nehme ich an. Spendet Trost. Sucht Vergebung. Gebt Erklärungen. Beteuert eure Freundschaft. Aber nicht jetzt. Ihr würdet für ihn alles nur noch schlimmer machen.“ Er wollte die Worte des Vampirs von sich weisen, doch sie drangen zu tief in sein Herz. „Dann werdet ihr es also sein, der Luc auffängt? Obliegt eure Zukunft auch des Prinzen Erbe?“ Bitternis gepaart mit Zuversicht antwortete ihm. „Ich hatte stets nur eine Zukunft, weil Iven sie mir gewährte. Sein Vermächtnis ist alles was ich je erhofft habe. Liebe. Eine an der ich festhalten werde. Mit allem was ich habe, werde ich Luc durch die Dunkelheit leiten. Mein Liebe wird stark genug sein, um ihm die Schönheit des Lebens zu zeigen. Kämpfen wird er alleine müssen. Etwas, in das ich blindes Vertrauen habe.“ Soviel Glaube, alleine aus Einfalt. Beinahe abfällig bewertete Vernon den Weißhaarigen. „Ihr seid zu treuherzig, Vampir. Ich kenne Luc. Er hatte nie vorgehabt, sein Dasein in der Ewigkeit als Vampir zu fristen. Es war Mittel zum Zweck, dass er sich hat wandeln lassen. Ein Zweck der genau wie das Ziel nun verloren ging. Er wird dieses Leben nicht länger führen wollen. Keine Nacht.“ „Vielleicht. Aber sagt mir, ob Luc je etwas anderes tat als zu kämpfen? Gegen den Tod, gegen Vampire, gegen das Schicksal, gegen die Liebe, gegen sich Selbst. Und zumindest der letzte Kampf davon, war auch nicht gewollt. Dennoch schlug er ihn. Luc wird nicht freiwillig aufgeben. Sein ganzes Sein ist auf Überlebenswille ausgerichtet. Er wird wieder aufstehen, nach vorne blicken und einen Fuß vor den anderen in die Zukunft setzen.“ „Was für eine Zukunft denn? Er wird Blut trinken müssen! Das Blut Unschuldiger, deren Tod seine Seele belasten werden. Wie soll er damit fertig werden? Er wird an der Schuld zu Grunde gehen und einzig nach Erlösung flehen. Glaubt ihr ernsthaft, eure alles spendende Liebe würde als Balsam hierfür ausreichen? Eine Liebe die er ja nicht einmal erwidert!“ Die Worte waren ausgesprochen, bevor er sich deren Tragweite bewusst war. Furcht, vielleicht zu weit gegangen zu sein, beschlich den Soldaten. Scharf verfolgte er jede Regung des Vampirs, doch dieser blieb ruhig. Ein mildes Lächeln war die einzige Veränderung. „Ihr verkennt seine Stärke. Luc mag leiden. Schuld empfinden. Dennoch ist sein Lebenswille die Energie die ihn durchströmt. Vom ersten Augenblick an als ich ihn sah, wusste ich es. Er ist in allem lebensbejahend. Bereit Schmerz zu tragen, um dadurch an sich selbst zu wachsen. Er fühlt mit, ohne taub zu werden. Reue geißelt ihn, legt ihn aber nicht in Ketten. Alles in ihm begehrt stets nach Zukunft, immer mit einem Blick in der Vergangenheit haftend. Geradezu perfekt, um in der Ewigkeit nicht dem Wahnsinn zu verfallen. Alleine deshalb, weil er sich seinem eigenen bereitwillig jeder Zeit entgegen stellt. Er nahm bereits ein Leben für das seine. Und er wird es wieder tun. Mit der gleichen Anteilnahme und dem gleichen Antrieb.“ „Das ist nicht war“, gab Vernon tonlos zurück. Dennoch wusste er es. Erinnerung, die lautstark Beachtung verlangte, gewann an Kraft. 'Deine Seele brennt und wird zu Asche zerfallen. Ich werde da sein, wenn das letzte bisschen zu Boden rieselt und die Schönheit und Stärke bewundern, mit der du wieder als Phönix aufsteigst, wie immer.' Seine Worte. Und war Luc nicht zu neuem Glanz erstrahlt? Golden, sich die Sonne selbst schenkend. Schönheit die schmerzte. Erschüttert sank er zu Boden. „Ich hätte nicht zu weit blicken sollen. Nicht ohne dabei wegzusehen.“ „Für euch ist hier kein Platz mehr. Tut Luc und euch selbst einen Gefallen und geht.“ Die Worte waren schlicht. Ohne Wertung. Klar und rein. Dennoch vernichtend. „Ihr sagt dies nicht, um mich los zu werden?“ „Ändert mein Wunsch denn etwas an den Gegebenheiten?“ Nein. Er konnte keinen Trost schenken, der mit Verrat behangen war. Seine Stütze wäre keine, weil er seinem Freund nicht zu diesem Leben zusprechen konnte. Er hatte keine Hoffnung zu bieten. Sinnlos suchten seine Finger in der kalten schwarzen Luft nach Kraft. Einzig das Gefühl von Leere blieb in seiner krampfenden Faust über. Resigniert wagte er einen letzten Blick in das grausam schöne Gesicht. „Dann muss es eure Liebe alleine sein. Gebt Acht auf ihn.“ Mit weichen Gliedern richtete sich der Soldat wieder auf. Als er ging, waren seine Schritte schwankend. Sein Gemüt schwer. Er konnte nichts tun. Seine Freundschaft versagte an Vorurteilen, an Versuchung und nun an Unfähigkeit. Kapitel 44: Bis zuletzt ----------------------- 44. Bis zuletzt Es war still. Dunkel. Ein leichter goldener Schein brach sich an den Schatten. Fest klammerte er sich an die Finsternis, so als ob er sie zum Leben bräuchte. Wie konntest du nur? Hat es dir nicht genügt, dass du meine Seele in die Verdammnis gejagt hast? Musstest du ihr nun zeigen, wie verloren sie ist? Wie sehr ihr jedes Licht in meiner zerklüfteten Welt fehlt? Wie sehr mich das deine erblinden ließ? Ich wollte nur, dass es endet – alles. Und jetzt? Ich werde niemals Frieden finden, weil du ihn mir vermachtest. Dein Geschenk an mich trägt nichts als Grausamkeit in sich. Ich will es nicht! Zitternd krallten sich Finger in den nassen, blutroten Stoff. „Stolzer Prinz und jetzt sieh dich an!“ Farblose Tropfen verwischten die roten Spuren auf weißer Haut. „Ich hasse dich.“ Vom ersten Augenblick an. Ich hasste die Intensität, mit der du mich anblicktest. Die Wärme von kaltem Schwarz. Dein bannendes Wesen, deine verführerischen Gesten. Den Klang deiner dunklen Stimme, die sanft von Geborgenheit erzählte. Die Macht, die deine Worte über mich hatten. Das Gefühl mich von ihnen treiben zu lassen. Die Hilflosigkeit in deiner Gegenwart. Die Anziehung, die mich blind verführte. Ich hasste deine Nähe. Jeden feurigen Kuss. Jede sanfte Berührung. Deine einfühlsame Zärtlichkeit. Deine brennende Leidenschaft. Die vertraute Wärme bei dir. Die schluckende Einsamkeit, wenn ich von dir war. Die beißende Sehnsucht, die mich nie losließ. Jeden vergeudeten Gedanken an dich. Jeden quälenden Moment, in dem es mich nach dir verlangte. Ich hasste das Gefühl, mich selbst zu verlieren. Das Wissen, die Vollkommenheit in deinem verkommenen Wesen gefunden zu haben. Die Erkenntnis, alles für dich aufzugeben. Jeden törichten Wunsch nach Zweisamkeit. Ich hasste deine Täuschung. Deine spielende Manipulation. Die Verzweiflung, die ich durch dich empfand. Den Schmerz, den du mich erleiden ließest. Die Grausamkeit unter deiner Anmut. Die Qual in meinem Herzen. Die Narben auf meiner Seele, die deine Handschrift tragen. Ich hasste die Wahrheit der Vergangenheit. Die trostlose Gegenwart. Die verlorene Zukunft. Ich hasste meinen inneren Kampf gegen dich. Die Zerrissenheit meines Selbst. Ich hasste den Hass auf dich. Alles. Einfach alles. Und mehr als alles, dass du in mir ein stärkeres Gefühl als den Hass hervorgebracht hast. „Ich liebe dich.“ Und ich hasse es, dir das nie gesagt zu habe. Bis zuletzt. Nun hast du mir wirklich alles genommen. Mehr, als ich je hätte selbst opfern können. Mein Atem, er geht tatsächlich noch. Dabei gibt es nichts was er noch zusammenhalten könnte. Ein zerrissener Geist, ein zerschlagenes Herz und eine zersplitterte Seele. Wozu noch Leben? Wozu dieses sanfte Gefühl von Glück? Warum diese leise Dankbarkeit in mir, wenn ich mich doch selbst verfluche? Dich verfluche und dabei - Nein, ich habe nichts mehr, was ich noch für diesen absurden Wunsch geben könnte. Nichts, für diesen letzten Augenblick. Er starb mit dir, stirbt in mir. Bleibt ewig. Der Schein ließ los. Er brauchte nicht weiter festzuhalten. Sein Herz würde immer in Finsternis getaucht sein. Bleibend, als ein Teil von ihm. Wie stets. Diesmal achtend, willkommen heißend. Die Liebe in sich tragend, den Hass von sich weisend. Nun durfte er lieben. Es gab nichts, was er dafür opfern musste. Er hatte nichts mehr. Nichts, nur dieses Gefühl. Endlich. Erfüllung, in Leere. Er trat nach draußen. Last viel von ihm ab, während er eine neue in sich trug. Sie wog schwer, zog in die Tiefe, als ob er immer noch in einen Abgrund fallen würde. Ob er je endgültig angelangen würde? Wie Glas am Boden zerschellen würde? Sich vollends wie glitzernder Staub vom Wind verwehen lassen könnte? Keine Erinnerung - ein Wunsch; dennoch dieses Festhalten. War es nun seine eigene Hand oder die der Dunkelheit? Schutz oder Fluch? Vielleicht beides – vielleicht hatte er es gefunden. Das Gleichgewicht, um welches er stets kämpfte und nun so verwirrend davon eingefangen, auch wieder verlieren wollte. Nur noch einmal für einen kurzen Augenblick. Einen Herzschlag lang. Hilflos verschwamm das bittende Gefühl in Salz. Eine Bewegung, mehr Licht als Schatten, fing seinen verlorenen Blick auf. Verwundert sah Luc in das helle Gesicht von Xei. Es war liebevoll, ohne Groll. Die ihm entgegen gereichte Hand nahm Luc mit Erstaunen an. „Du bleibst bei mir?“, fragte er zögernd. „Immer.“ „Aus Pflicht?“ „Weder aus Pflicht, noch des Blutes wegen. Einzig aus Liebe.“ Eine Weile schwieg er; genoss nur die Wärme, die seine Hand umschlossen hielt. „Dann begrüßt mich also ein Engel an der Pforte zur Hölle.“ „Hast du daran gezweifelt?“ Luc überlegte kurz. „Ich bin mir nicht sicher. Meine Gedanken hatten mich nicht so weit getragen. Der Ausgang sollte ein anderer sein.“ Schwer nach Atem ringend, um die Beherrschung nicht zu verlieren, fügte Luc hinzu, „wieder gibt er die Richtung meines Lebens vor. Wieder sind meine Gefühle in Gefangenschaft genommen.“ Warmherzig umschlossen ihn Xeis Arme. Eine Umarmung die Luc dankend annahm. „Dann lass sie frei.“ Die Beklemmung in ihm wollte genau das. Aber er hatte Angst. „Dann bezwingen sie mich.“ Mit dem Klang von sanftem Wasser sprachen ihm liebevolle Lippen aufmunternd zu. „Ich bin bei dir. Falle, so weit wie dich dein Innerstes treibt. Meine Hand wird dich nicht loslassen.“ Betroffenheit schob sich unter seinen Schmerz. „Ich verdiene deine Liebe nicht. Ich habe dich nur benutzt. Wir lebten in einer Lüge. Ich in seiner, dann er in meiner. Doch betrogen haben wir uns einzig selbst, auf deine Kosten.“ Behutsam verschlossen Xeis zarte Lippen jedes weitere Wort mit meinem gefühlvollen Kuss. Er schmeckte nach Vertrauen und Wärme, war nicht verlangend, einzig gebend. „Kümmere dich nicht um mich. Sein Geschenk an dich war mein Licht. Und seines an mich, alleine für dich zu strahlen. Das genügt mir. Lass los, Luc.“ Er ließ los. Der freie Fall ins Nichts folgte. Emotionen schüttelten seinen Leib, Gefühle peinigten seine Seele. Der durchlebte Verlust, geschluckt von der Dunkelheit. Leere, die ihn ausfüllte. Stille, die ihn anschrie. Finsternis, die ihn blendete. Kälte, die ihn verbrannte. Ja, er hatte geliebt. Seine Angst. Seinen Hass. Seinen Schmerz. Er liebte den Tod, er liebte die Schuld, er liebte die Zerstörung. Alles an ihm. Kompromisslos. Dazu verdammt, sich so selbst zu hassen. Bis zuletzt. Liebe war das einzige was blieb. Alles was er je wollte. „Bitte, lass mich nie wieder los.“ „Nein, Luc. Nie mehr.“ Die Ewigkeit rief nach den sanften Schwingen des Lichts, um das bittende Herz dem Horizont entgegen zu tragen. Behutsam umschlossen sie die Hoffnung. Ein Lächeln besiegelte. Er würde sie in der immerwährenden Verdammnis bewahren, die Liebe in den Himmel führen. Die Göttlichkeit willkommen heißen, den Frieden in der Hölle auskosten. Bis zuletzt. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Nachwort: Hallo liebe Leser, erst mal ein herzliches Danke, dass ihr bis zuletzt drangeblieben seid ^.- Ich hab mich über jeden neuen Favoriteneintrag sehr gefreut und ein besonderer Dank gilt allen fleißigen Reviewschreibern! Auch wenn es nie Ziel war, besonders viele Kommentare zu erhalten, so ist doch gerade das Feedback immer ein Lohn für das Herz gewesen und schaffte Motivation „Blutschuld“ zu Ende zu führen. Ich bin natürlich auch jetzt gerne noch für Kritik, Anmerkungen, Eindrücke oder Lob offen und freue mich darüber ^^ Für jene die keine Enden ohne einen neuen Anfang mögen, und ja zu denen gehöre ich auch ^^, wird es aller Voraussicht nach mit „Blutband“ weitergehen. Ich weiß derzeit noch nicht, wann ich das erste Kapitel online gebe. Falls ihr eine kurze Info dazu möchtet, dann lasst es mich wissen, ich gebe dann gerne Bescheid. Euch allen eine gute Zeit! Liebe Grüße Teedy __________________ 16.09.2013 Hallo liebe Leser! Für alle, die gerne die Fortsetzung zu Blutschuld verfolgen wollen, Blutband – Er war gebunden in Blut und Liebe ist ab sofort online, allerdings NICHT auf animexx. Bei Interesse findet ihr die neuen Kapitel unter www.fanfiktion.de – Freie Arbeiten – Prosa – Kategorie Fantasy – Unterkategorie Dunkle Fantasy oder ihr folgt einfach diesem Link: http://www.fanfiktion.de/u/Grau Über Lob, Kritik, Anregungen etc. freue ich mich natürlich und kann derzeit noch bei animexx per ENS oder auf fanfiktion.de auch als anonymes Review (sprich es braucht keine Anmeldung) erfolgen. Bei Fragen, fragen ;-) Ansonsten wünsche ich viel Freude beim Lesen! Liebe Grüße Teedy/Grau Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)