Kira gegen den Rest der Welt von Riyuri ================================================================================ Kapitel 10: Ripped Out ---------------------- Nervös zog ich das Cappy weiter in mein Gesicht. Meine Haare hatte ich mit dem Gummi zusammengebunden und darunter gesteckt, die letzten Strähnen einfach nach oben geschoben. Meine Klamotten, die Gott sei Dank dieses Mal relativ männlich aussahen, verschleierten super meine mädchenhafte Figur. Hauptsache, mich erkannte keiner. Ab und zu liefen mir ein paar zwielichtige Gestalten über den Weg und jedes Mal zuckte ich erschrocken zusammen, wegen dem unguten Gefühl, es könnten doch Polizisten sein. Tatsächlich wusste ich aber nicht einmal Bescheid, ob überhaupt Polizisten auf die Suche nach mir geschickt wurden. Aber Vorsicht ist ja bekanntermaßen die Mutter der Porzellankiste. Folglich streifte ich durch die menschenüberfüllten Straßen – ohne Anhaltspunkte über mein Ziel. Besser gesagt, was ich suchte wusste ich, nur nicht, wo ich danach zu suchen hatte. Ein wenig fühlte ich mich wie auf der Suche nach der bekannten Nadel im Heuhaufen. Jedoch waren die Größenverhältnisse ein ganz klein wenig verschieden, denn meine Nadel war ein Einfamilienhaus und der Heuhaufen entsprach ganz Japan. …Na gut, ein bisschen genauer wusste ich schon Bescheid: Dieses Haus musste sich irgendwo in der Kantô-Region befinden. Aber dennoch war mein Suchen ein von vornherein aussichtloses Vorhaben. Schließlich wäre es wirklich viel zu großer Zufall, wenn plötzlich das Haus direkt vor mir stünd-… …Hä? Mittlerweile war ich schon ein paar Mal abgebogen und ohne es zu merken hatten sich die vollgestopften Wege in ein gemütliches Wohngebiet verwandelt. Drei Schritte weiter vor mir auf der rechten Seite erhob sich eine einfach gestaltete Wand mir orangem Anstrich. Ein schlichter Zaun umhab es und machte einen auf seltsame Weise neugierig über die dort lebenden Personen und ihre Lebensweise. Nicht, dass ich nicht schon längst wusste, wer dort wohnte: Frau und Herr Yagami, zusammen mit der Tochter Sayu Yagami und ihrem Sohn, den landesweit besten Schüler, Light Yagami. Durch die gegebenen Umstände sollten zurzeit allerdings nur Frau und Tochter daheim sein. Oder sagen wir so: Schlecht, wenn dem nicht so ist. Aber theoretisch – und eigentlich auch praktisch – war Light inhaftiert und sein Vater freiwillig ebenfalls in einer Zelle. Also beide zu meinem Vorteil handlungsunfähig. Aufrechten Ganges trat ich durch das Tor. Ich schluckte. Jetzt durfte nichts mehr schief gehen… Oh man! Ich war ja so was von blöd! Nichts durfte schief gehen und ich lief hier noch mit Cappy und als Junge verkleidet rum…! Schnell stopfte ich die Kopfbedeckung in die Tasche, knöpfte meine Jacke auf, richtete mein rotes Haar etwas und drückte auf den Klingelknopf. Glück war nicht genug, wenn das hier tatsächlich das Haus der Yagamis war. In der Ferne hörte ich Schritte, die sich immer weiter auf mich zu bewegten. Als sie aufhörten, mischte sich ein anderes Geräusch in die Stille, als ob jemand mit allen Mitteln die Stille zu verhindern versuchte. Es war ein Klicken, gefolgt von noch einem weiteren, dann öffnete sich die Tür ruckartig ein kleines Stückchen. Eine Frau mit kinnlangem braunem Haar lugte durch den Spalt hindurch und wirkte scheinbar überrascht, dass ein junges Mädchen vor ihr stand. Kurz danach wurde die Sperre zwischen uns ganz aufgemacht und ich bekam so auch den Rest von der Person zu Gesicht. Sie war eine schon ältere Frau, passen zum Alter ihres Mannes und des Sohnes, deren Haare matt und strähnig nach unten hingen, als hätten sie schon seit Ewigkeiten kein Wasser mehr gesehen. Unter den Augen befanden sich dunkle Ringe, ihr ganzes Gesicht schien förmlich nach Erschöpfung zu schreien. Auch ihre Kleidung ließ darauf schließen, dass sie seit einer ganzen Weile nicht mehr ganz so viel Wert auf Aussehen und Hygiene legte: Knapp unterhalb des Kragens prangte ein dicker Kaffeefleck. Tortz dieser fürchterlichen Erscheinung bemühte Frau Yagami sich zu einem Lächeln, dass besser zu einem unschuldigen kleinen Grundschulmädchen gepasst hätte, als zu er Gestalt vor mir. „Ja bitte?“ Sie schien etwas zu zögern, entschied sich aber dann schließlich doch, mir höflich entgegenzukommen. „Ähm… Light hatte sich ein Buch von mir ausgeliehen, er wollte es mir heute zurückgeben. Ist er da?“ Lights Mutter schüttelte den Kopf, sichtlich bemüht, noch immer freundlich zu bleiben. „Nein, tut mir Leid. Um welches Buch handelt es sich denn?“ Beinahe unterbrach ich sie mitten im Satz, so hastig wollte ich zum Ende kommen. Ich zwang mich zu einem Lächeln, ohne ihre Frage großartig weiter zu beachten. Meine Neugierde wurde geweckt und ich wollte unbedingt mehr über das „Wissen“ herausfinden, welches ihr zuteil wurde, selbst wenn es sich nur als eine Lüge entpuppen sollte. „Wo ist er denn? Kommt er heute noch wieder?“ Ich konnte ihr die Nervosität förmlich von der Stirn ablesen. Erneut zögerte sie bei ihrer Antwort, diesmal noch länger als zuvor. „Tut mir furchtbar Leid. Er meinte, er hätte noch etwas sehr Wichtiges zu erledigen und ist gleich aus dem Haus.“ Gespielt enttäuscht fummelte ich an den Knöpfen meiner Jacke herum. Es dauerte zwar einen Moment, aber schließlich biss sie an. Weiter geht’s im Text! „Ist es wichtig, dieses Buch? Wenn du möchtest, könntest du dich danach auch im Regal umgucken.“ „Ja, danke! Das wäre sehr nett.“ Erleichtert seufzte ich aus und trat einen Schritt in die Wohnung. Beinahe vergaß ich, mich meiner Schuhe zu entledigen, jedoch fiel es mir noch rechtzeitig ein, als ich die anderen Paare am Boden bemerkte. Man konnte nicht direkt sagen, dass ein absolutes Chaos herrschte, für normale Verhältnisse jedoch konnte man ruhig die Beschreibung „Bombe eingeschlagen“ ohne weiteres Nachdenken durchlassen. Auf dem Tisch standen eine Menge gebrauchter Reisschalen und gebrauchter Stäbchen, allerdings konnte ich weit und breit nicht Zusätzliches erkennen, weshalb ich darauf schloss, dass Frau Yagami schlichtweg keine Lust und oder Zeit zum Kochen hatte – außer für Reis. Schweigend führte mich die zweifache Mutter die Stufen herauf ins Zimmer ihres Sohnes – und mir fiel ein heftiger Kontrast zum Rest des Hauses ins Auge. Alles stand an seinem angemessenen Platz, der Schreibtisch war tip top aufgeräumt und sogar das Bett sah aus wie frisch gemacht. Als würde hier niemand wohnen und als hätte dies auch nie jemand zuvor getan. Ich begab mich direkt zum Bücherregal auf der linken Seite des Zimmers und war heilfroh, als mich Frau Yagami unter dem Vorwand, noch etwas Wichtiges zu tun zu haben, allein zurückließ. So konnte ich wenigstens ungestört suchen – selbstverständlich nicht nach meinem angeblich verliehenen Buch. Schweigend untersuchte ich jedes einzelne Buch. Vor meinem inneren Auge lief eine Live Übertragung auf einem Monitor ab, auf welcher ich klar und deutlich zu sehen war: Von hinten, wie ich die gesamte Regallänge immer wieder ablief. Eine Person, die diese Übertragung sehen würde und ohne dabei mein Wissen besäße, hätte mich für vollkommen bekloppt abgestempelt. Immerhin würde ich das Death Note hier nicht finden… Dieser Gedanke war mir häufig, ja sogar ununterbrochen präsent. Aber warum auch nicht? Schließlich war ich nicht auf der Suche nach diesem unscheinbaren, unheilbringenden Notizbuch – jedenfalls nicht direkt. Hoffentlich würde mein Plan aufgehen…! Ich seufzte. Es war wirklich zum Verzweifeln! Schon zwei Drittel hatte ich abgesucht, aber nichts gefunden – irgendwie klar, wenn man Murphys Gesetz zur Hand nimmt. Voller äußerst großen Tatendrangs zog ich den nächsten Wälzer aus seinem Versteck. Es hatte einen gelben Einband, was mir sofort „Langenscheidt“ in Erinnerung rief. Und tatsächlich: Was ich da in den Händen hielt war nichts anderes als ein Wörterbuch. Zwar nicht Deutsch-Irgendwas, sondern Japanisch-Englisch, aber Mensch, wen juckt’s?! Endlich! Nach gefühlten dreizehn Stunden hielt ich das für mich im Moment am Wertvollste in den Händen – und wer hätte es gedacht, es war sogar ausnahmsweise mal ein Buch! Ungeduldig schlug ich den Einband auf und anschließend fing ich damit an, Seite für Seite durchzublättern, so, wie ich es auch bei all den anderen Schmökern getan hatte. Unterschied war nur, dass dies hundertprozentig das richtige Buch war und ich mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit noch etwas anderes darin finden würde als nur bedruckte Seiten. Einen Schnipsel. Das war alles, was ich brauchte. „Vielen Dank noch mal!“ Ehrwürdig beugte ich mich hinunter, danach fiel direkt die Tür ins Schloss. Letztendlich hatte ich mir einfach irgendein Buch mit dem Titel „Tätern auf der Spur“ gekrallt und hatte es als meins ausgegeben – mal ganz davon abgesehen, dass ich kaum Auswahl hatte, weil alles andere entweder „Gericht“, „Gesetz“ oder „Lehr-“ im Namen beinhaltete, klang es noch am Interessantesten. Kaum hatte ich einen Fuß vom Grundstück getan, ließ ich den Schmöker im Rucksack verschwinden und entnahm diesem stattdessen ein kleines Zettelchen. Glücklich starrte ich es an. Es sah wirklich nach nichts Besonderem aus: Ein linierter Zettel, der anscheinend aus einem Schulblock ausgerissen worden ist und auf dem auf der linken Seite ein paar Namen notiert worden sind. Nichts Unnormales, wenn da nicht noch die Tatsache bestehen würde, dass alle dieser Personen noch am selben Tag direkt nacheinander verstorben waren. Ein Stück aus dem Death Note… …und meine Rettung. Zwei Dinge die man eigentlich nicht in einem Atemzug nennen kann und sollte. Dennoch blieb es wahr. Mithilfe dieses Stückchens könnte sich meine ganze Geschichte hoffentlich zum Guten wenden. Während ich den Zettel noch in der Hosentasche verschwinden ließ, holte ich schon mein Cappy hervor, welches mir schon so viele Dienste geleistet hatte – Na gut, genau genommen hat es mir bisher nur als Verkleidung gedient und das auch nur ein einziges Mal: Heute. Und das sollte es jetzt auch mal wieder tun. Mit vollendeter Verkleidung ließ ich mich im Stadtpark auf einer Bank nieder. Zufrieden betrachtete ich das Stückchen Papier in meiner Handfläche. An dieses heranzukommen war leider nur der leichteste Teil meines Gesamtplans. Okay, nicht ganz. Denn der zweite Teil war wirklich noch einfacher: Warten. Nicht mehr und nicht weniger. Angeblich hielten die Schlaftabletten für etwa fünf Stunden. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass seitdem etwa vier Stunden vergangen waren. Folglich hatte ich noch eine gute Stunde für mentale Vorbereitung – und ein klein wenig zu Essen. Knurrend ging ich durch die mir nur zu gut bekannten Straßen des alltäglichen Leben Japans. An die Nahrung hatte ich mich schon vor meiner Ankunft gewöhnt. Höchstens mit Nori – den getrockneten Algenblättern – hatte ich meine Probleme gehabt. Die schmeckten einfach widerlich! Seit ich mich jedoch als Akio in Japan befand, hatte ich auch mit diesen keine Schwierigkeiten mehr. Jedoch schreckten mich meine Erinnerungen daran immer wieder ab, weshalb ich es möglichst vermied, Algen zu probieren. Zur Feier des Tages gönnte ich mir eine leckere Nudelsuppe – ohne Nori. Die dünnen Nudeln schwammen in der Brühe herum und umhüllten das Gemüse wie die Gitterstäbe eines Käfigs. Statt dieses jedoch davon zu befreien, erstach ich es immer wieder gedankenverloren von Neuem. Mein Magen knurrte, aber irgendwie brachte ich keinen Bissen herunter. Mir war schlecht. Meine Zeit rann dahin wie Sand durch ein Sieb. Die nächste Erkundigung nach der Uhrzeit teilte mir einen Reststand von einer Viertelstunde mit. Als wäre es aus Feuer, brannte mir der Zettel die Hosentasche durch. Jedenfalls fühlte es sich so an. Wie schwere Tonnen drückte es mich herunter. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Mein Ziel hatte ich klar vor Augen. Den Gegenstand, mit dem ich es vollbringen würde, hatte ich in der Tasche. Fehlte etwas? Ach herrje, ich hab unterwegs meinen Mut verloren! Auf die Schnelle bekam ich dafür leider keinen Ersatz. Man, Akio! Augen zu und durch! Es würde ja nur dein gesamtes Leben und das danach verändern, mehr nicht. Richtig gehört. Das Leben nach dem Tod - …oder was auch immer. Ich würde den Zettel aus dem Death Note benutzen, den Namen hineinschreiben von einer ganz bestimmten Person, und damit wäre ich so etwas ähnliches wie verflucht. Weder Himmel noch Hölle würde mich nach dem Tod erwarten. Mich würde nur von Herzen interessieren, was stattdessen. Jedenfalls eins stand fest: Ich war gerade auf dem gleichen Pfad wie Kira. Wenn mein Plan vollendet war, dann wäre ich ein Mörder. Nur ein mieser Mörder, der sich nicht einmal selbst die Hände schmutzig machen wollte. War es überhaupt mein wahres Ziel, das alles durchzuziehen? Schließlich gab es auch noch Kathrin, die in diesem „Plan“ kein Stückchen Erwähnung findet. Sie musste doch ebenfalls irgendeine Rolle spielen. Wenn man es objektiv betrachtete, war Akio eine Mischung aus Kathrin und Kira. Na, passte doch; beides fing mit K an. Kathrin war auf irgendeine Art hierher geraten, möglicherweise dieselbe wie ich. Nur ich Idiot musste mir sofort einen Grund suchen, den ich mir kurzerhand als großes Ziel in den Kopf gehämmert hatte. Vielleicht war das gar nicht vorgesehen. Vielleicht sollte ich das Geschehen nicht verändern. Vielleicht sollte ich es wieder geradebiegen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)