Courage von Yurippe ================================================================================ Prolog: -------- Wenn es eine Sache gab, in der Eleanor Foster gut war, dann war es die Kunst, sich unsichtbar zu machen. Natürlich handelte es sich dabei nicht um tatsächliche Unsichtbarkeit, denn diese war höhere Magie, sondern darum, sich so unbemerkbar wie möglich zu machen. Vielleicht war das der Grund dafür, dass sie sich trotz ihres großen Schrankkoffers und der darauf befestigten Katzentransportbox unbehelligt durch den Bahnhof King's Cross bewegen konnte. Oder es lag daran, dass die vielen Muggle, die an ihr vorbeirauschten, einfach nur zu beschäftigt und zu sehr in ihre eigenen Gedanken vertieft waren, um ihr Beachtung zu schenken. Eleanor manövrierte ihr schweres Gepäck auf die Wand zwischen den Bahnsteigen neun und zehn zu, wo sie stehen blieb und sich aufmerksam umsah. Als sie sicher war, dass niemand sie beobachtete, machte sie drei energische Schritte und passierte die Barriere. Gleis 9 ¾ war noch recht leer und nur einige wenige Schüler und ihre Eltern waren schon dabei, ihre Habseligkeiten in den Hogwartsexpress zu laden. Es war noch eine gute Stunde bis zur planmäßigen Abfahrt, also verfrachtete Eleanor in aller Ruhe ihren Koffer in ein leeres Abteil und ließ ihre Katze aus der Transportbox, die sich im Abteil umsah und dann nach Ende der Inspektion Eleanor, die sich in der Zwischenzeit umgezogen und nun Platz genommen hatte, auf den Schoß sprang. Die schnurrende Katze streichelnd öffnete Eleanor „Das Standardbuch der Zaubersprüche“ und las darin, bis die ansteigende Geräuschkulisse die Ankunft der anderen Schüler signalisierte. Mehrmals steckte jemand den Kopf in ihr Abteil und ging dann weiter, weil es schon besetzt war. Etwa eine halbe Stunde später, als die Anfahrtszeit immer näher gerückt war, standen schließlich zwei kleine Mädchen unschlüssig vor der Tür und blickten zu Eleanor, offensichtlich nicht sicher, ob sie sie ansprechen sollten. „Kann ich euch helfen?“, fragte Eleanor, die die beiden als Erstklässler einschätzte. „Ähm...“ murmelte das kleinere der beiden Mädchen, ein blondes Mädchen mit rosigen Wangen, sichtlich eingeschüchtert. „Wir haben uns gefragt, ob wir vielleicht hier sitzen dürfen“, schaltete sich das größere, dunkelhaarige Mädchen ein. „Alles andere ist schon voll.“ Eleanor gestikulierte in Richtung der leeren Sitze gegenüber von ihr. „Sicher.“ Die beiden Mädchen schleppten ihr Gepäck ins Abteil und versuchten wenig erfolgreich, die riesigen Koffer auf die Gepäckablagen zu hieven, bis Eleanor sich ihrer erbarmte und sie zu ihrem Bestimmungsort schweben ließ. Die Erstklässler setzten sich, schienen jedoch zu eingeschüchtert, um sich zu unterhalten, und so waren die einzigen Geräusche für eine Weile das Schnurren von Eleanor's Katze, der gelegentliche Ruf ihrer beiden Eulen und die gedämpften Stimmen der anderen Schüler, die von außen hereindrangen. Gerade als Eleanor sich Kapitel 3 ihres Buches widmete, bremste der Zug jedoch abrupt und Teile ihres Gepäcks stürzten herab. Die Katze krallte sich in die Knie ihrer Besitzerin, um nicht herumgeschleudert zu werden, und die beiden jüngeren Mädchen umklammerten ihre Eulenkäfige. „Passiert so etwas öfter?“, erkundigte sich die kleinere der beiden. Eleanor schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. „Nein. Wir sollten nicht anhalten, bevor wir in Hogsmeade ankommen. Irgendetwas muss passiert sein.“ „Was sollen wir machen?“, fragte das größere Mädchen, als der Zug sich nach einigen Minuten immer noch nicht bewegt hatte. Als Eleanor gerade aufstehen wollte, um einen Blick in den Gang zu werfen, wurde die Tür des Abteils unsanft geöffnet und zwei furchteinflößende Gestalten marschierten herein. „Name?“, wandte sich einer von ihnen ohne irgendwelche Grußworte an sie. „Foster, Eleanor“, antwortete sie. Der andere Mann prüfte ein Stück Pergament, das wohl eine Liste der Hogwarts-Schüler war. Als er sie gefunden zu haben schien, nickte er der ersten Figur zu, die daraufhin blaffte: „Blutstatus?“ „Reinblut“, erwiderte sie und versuchte, überzeugend zu klingen, auch wenn sie sich immer unsicherer fühlte. Der Prüfer schien zufrieden mit ihrer Auskunft zu sein und wandte sich nun den jüngeren Mädchen zu. Als er von ihnen Namen und Blutstatus erfahren hatte – beide waren „Halbblüter“ -, wandte er sich wieder Eleanor zu. „Was weißt du über Harry Potter?“ „Nicht mehr als die anderen Hogwarts-Schüler, vermute ich“, antwortete sie vorsichtig. Was sollte diese Befragung? Die zwei Männer, von denen Eleanor nun ziemlich überzeugt war, dass sie entweder Todesser oder zumindest Schergen des „neuen“ Ministeriums waren, waren aber noch nicht zufrieden. „In welcher Beziehung stehst du zum Unerwünschten Nummer Eins?“ Eleanor schluckte schwer. „Ich bin eine Ravenclaw und einen Jahrgang unter Potter, also haben wir nicht wirklich etwas miteinander zu tun.“ Tatsächlich hatte sie noch niemals auch nur ein Wort zu dem Gryffindor gesagt. Dem ersten Vernehmenden schien diese Antwort zu genügen, doch der zweite hob seine Hand, um zu signalisieren, dass sie noch nicht fertig waren. „Also bist du im gleichen Jahrgang und Haus wie das Lovegood-Mädchen, ja? Hat sie je was über Potters Aufenthaltsort oder Pläne gesagt?“ Darum ging es also, dachte Eleanor. Man wollte sie Schüler ausquetschen über Harry Potter, der sich offenbar dafür entschieden hatte, sein letztes Schuljahr nicht in Hogwarts zu verbringen. Eine kluge Entscheidung, denn sonst wäre er direkt hier im Zug von den Todessern erwischt worden. Hatten diese ernsthaft geglaubt, er würde einfach so nach Hogwarts spazieren, als wäre nichts geschehen? Harry Potter erschien ihr zwar wie der typische hitzköpfige Gryffindor, aber nicht einmal er wäre so dumm davon auszugehen, dass er unter dem neuen Regime einfach so seine Ausbildung fortsetzen konnte. Was Luna anging, so war sie vermutlich seit der Sache im Ministerium im Vorjahr auf dem Radar gelandet. „Luna spricht selten mit jemandem. Die meisten denken, sie wäre komisch“, erklärte Eleanor. „Ganz ehrlich bezweifle ich auch, dass Potter ihr irgendetwas gesagt hätte.“ Sie hoffte wirklich, dass die Todesser mit dieser Auskunft zufrieden waren und sie nun in Ruhe ließen. Und tatsächlich nickten die beiden Männer sich gegenseitig zu und verließen ihr Abteil, wie sie gekommen waren, ohne jegliche Höflichkeitsfloskeln. Die beiden Erstklässler atmeten hörbar aus und auch Eleanor stieß einen kleinen Seufzer der Erleichterung aus. Sie konnte wirklich nur hoffen, dass es keine derartigen Besuche mehr gäbe, sobald sie in der Schule waren. Es dauerte noch eine ganze Weile, doch dann setzte der Zug sich wieder in Bewegung und die angespannte Stille löste sich langsam auf. Als Eleanor etwas später die Toilette aufsuchte, waren viele Schüler schon auf den Gängen unterwegs, um die Vorkommnisse mit ihren Freunden in anderen Abteilen zu besprechen. Der Rest des Tages verging ereignislos und Eleanor verbrachte die restlichen Stunden der Zugfahrt damit, in ihren Schulbüchern zu lesen und Fragen zur Schule von den beiden jüngeren Mädchen zu beantworten. Als der Hogwartsexpress abends endlich Hogsmeade erreichte und alle hinunter auf den dunklen Bahnsteig kletterten, konnte Eleanor nichtsdestotrotz das Gefühl nicht verdrängen, dass von nun an schwere Zeiten auf sie warten würden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)