Ich weiß von dir von lady_j ================================================================================ Kapitel 1: Skizze ----------------- You know how the time flies Only yesterday we had the time of our lifes We were born and raised in the summer haze Bound by the surprise of our glory days „Herr? Ich fürchte mich…“ Die Worte seines Knappen klangen so simpel, und doch war Adayn ihm zutiefst dankbar dafür, dass er sie ausgesprochen hatte. Kenny war noch jung genug, um dies ohne Scham zu tun. „Es sind nur Bäume“, entgegnete er trotzdem ruppig und trieb sein Pferd an, damit es stolz ein paar Schritte voraus tänzelte, bis er es wieder halten musste, weil der Weg erneut zu schmal für solche Manöver geworden war. Ungeduldig rutschte er im Sattel hin und her und spähte nach oben zum dichten Geäst, das sich weit über ihren Köpfen zu einer Kuppel wölbte. Er hätte schwören können, dass die Sonne noch hoch am Himmel gestanden hatte, als sie Silfa betraten, doch hier herrschte beinahe abendliche Dämmerung. Die Schatten waren scharf und groß. Und es wehte kein einziges Lüftchen. Die Stille presste sich auf seine Ohren, war so undurchdringlich, wie er es zuvor nicht gekannt hatte. Auf Burg Hadrian war stets das Brausen des Meeres im Kanal zu hören, und eine lebhafte Stadt wie Nova ruhte nie. Der Elf tauchte plötzlich wieder auf. Adayn zügelte sein Pferd gerade noch rechtzeitig, sonst wären sie wohl einfach an der Gestalt vorbeigezogen. Als sie sich jetzt erneut ansahen, bestätigte sich auch sein Verdacht: Im Blick seines Gegenübers lag wirklich unverhohlenes Misstrauen, sogar noch mehr, als bei den einfachen Kriegern, die sie an der Grenze empfangen hatten. Hatte Caith im Zorn irgendetwas über ihn erzählt, was ein schlechtes Bild hatte entstehen lassen? Beinahe hätte Adayn geschmunzelt: Zuzutrauen wäre es ihm. Kurzentschlossen ging er also in die Offensive: „Habe ich etwas Falsches getan, oder warum seht Ihr mich so verächtlich an?“, fragte er. Der Elf verzog keine Miene. „Nein, nichts.“ „Gut.“ Adayn richtete sich auf und blickte betont herrisch von seinem Ross hinab. „Ihr könntet im Übrigen so freundlich sein und mir Euren Namen verraten; wir werden sicher nicht zum letzten Mal das Vergnügen haben.“ „Ich bin Yilan, der Magier.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab. „Folgt mir. Ich würde Euch die Augen verbinden, denn kein Mensch sollte vom Weg nach Avon Glynn wissen…Aber der König war dagegen.“ „Na, da bin ich aber froh…“, brummte Adayn sarkastisch, dann setzten sie ihren Weg fort. Schon nach einer kleinen Weile wurde ihm klar, dass er sowieso kein zweites Mal allein hierher finden würde, denn hier gab es wirklich keine markanten Punkte, an denen man sich orientieren konnte. Selbst der Pfad war verschwunden und sie ritten nun über das welke Laub, das alle Geräusche schluckte. Bald heftete Adayn seinen Blick an das einzige, das nicht von grüner oder brauner Farbe war, an Yilans weißes Gewand. Der Magier war, soweit er das einschätzen konnte, recht groß für einen Elfen, jedoch ebenso schmal und sehnig, wie Caith. Allerdings schaffte er es bei weitem nicht, genauso unheimlich zu wirken. Nach dem Eindruck, den Caiths stechende, rote Augen auf ihn gemacht hatten, konnte ihn wohl nichts mehr so schnell aus der Fassung bringen, also empfand er Yilans Aussehen beinahe als menschlich: Der Elf hatte schulterlanges, braunes Haar und nach Adayns Vermutung graue Augen, aber da war er sich schon nicht mehr sicher. Das Licht war hier einfach zu unbeständig, um es eindeutig zu erkennen. Zerstreut hob er die Hand und fuhr mit einem Finger über seine Ohrmuschel, als wolle er etwas daraus entfernen, das ihn taub machte. Aber da war natürlich nichts. Es gab nur einfach nichts zu Hören. Nicht einmal seine Männer, die doch so großspurig waren, sprachen ein Wort, obwohl viele von ihnen Zweifel angemeldet hatten, als er ihnen von seinen Plänen erzählte. Es war eine Sache, ihren König zu verraten, wobei Adayn wusste, dass er für seine Ritter eine weitaus bedeutsamere Bezugsperson war, als Henrik. Doch es war etwas ganz anderes, sich dann auch noch mit den Elfen zu verbünden, nach Silfa zu gehen, in dieses unbekannte, verschlossene Reich und nicht wirklich zu wissen, ob sie wiederkamen. Unweigerlich dachte er an Mona und die kleine Gaia. Um sein Weib ging es ihm dabei gar nicht so sehr, seine Sehnsucht richtete sich allein an seine Tochter. Wie eine alte Hexe hatte er auf Rache gesinnt, als er von Monas Intrige erfahren hatte, um ihn vor den Altar zu ziehen. Doch es war unvermeidbar, sich einer Frau zu verweigern, ohne dass getratscht wurde; und Untertanen, die über ihn spotteten konnte er noch weniger gebrauchen. Und so war Mona schwanger geworden. Während dieser neun Monate hatte er immer wieder gute Gründe gefunden, seinem Hof fern zu bleiben, sodass er sein Kind schließlich erst wenige Tage nach der Geburt zu Gesicht bekam. Er hatte sich geschworen, es zu ignorieren, sollte es ein Mädchen sein. Wirklich. Doch als die Amme sie ihm reichte, als er dieses kleine Wesen in den Händen hielt, das doch so viel von ihm hatte und so wenig von Mona, war seine ganze Liebe beinahe ohne seinen Willen auf es übergegangen. Nicht einmal für Caith hatte er so gefühlt, im Gegenteil: Als der Elf damals plötzlich bei ihm aufgetaucht war und sich auch nur in die Nähe seiner Tochter gewagt hatte, hatte er ihn auf der Stelle töten wollen. Noch nie hatte er Caith so sehr gehasst, wie in diesem Moment. Erst jetzt bemerkte Adayn, dass sich seine Empfindungen deutlich in seinem Gesicht spiegeln mussten, während er an Gaia dachte, die inzwischen mit wackeligen Schritten auf ihn zuging, wenn er heimkehrte, damit er sie auf den Schoß heben und ihr durch die roten Locken streichen konnte. Schnell versuchte er, jeden Ausdruck aus seiner Mimik zu verbannen, der nicht hierher gehörte. Doch dann drängte sich ihm die zunehmende Dunkelheit auf, und ein leiser Schauer wanderte seinen Rücken hinunter. Die Bäume standen jetzt noch dichter und der Boden war feucht. Die Hufe der Pferde schmatzten im Schlamm. „Steigt ab“, befahl Yilan in diesem Moment, „Die Pferde müssen hier bleiben. Keine Sorge…“, fügte er auf den zweifelnden Blick der Männer hin hinzu, „Ein paar von uns werden auf sie achten, während ihr in Avon Glynn seid.“ „Tut, was er sagt“, meinte Adayn nun selbst und saß als erster ab. Ob es ihnen gefiel oder nicht, sie mussten Yilan jetzt vertrauen. Und was gaben die Pferde ihnen in dieser Situation schon, außer einem Gefühl von Sicherheit, die eigentlich gar nicht bestand? In Reih und Glied folgten sie dem Magier weiter durch die Bäume. Selten, sehr selten, brachen dünne Lichtstrahlen durch das Blattwerk, die irgendwie fehl am Platz wirkten. Hier gab es kein Unterholz, doch die meisten Baumstämme waren bemoost. Mit jedem Schritt sanken ihre Stiefel ein gutes Stück ein, und sie mussten ständig darauf achten, nicht auszurutschen, sodass der Marsch bald recht anstrengend wurde. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie die Ausläufer des Sees. Klares Wasser lag über moderndem Laub, still wie ein Spiegel. Ein Stück weiter, wo es tiefer wurde, lag eine Hand voll Kähne für sie bereit, jeder mit einem eigenen Ruderer. Diese waren in weite, helle Gewänder gekleidet, deren Kapuzen sie vollständig verhüllten. Yilan trat ohne zu zögern ins Wasser und watete auf eines der Gefährte zu. Adayn folgte sofort und ging seinen Männern so mit gutem Beispiel voran. Da sich der Elf nicht setzte, blieb auch er stehen. Kenny kletterte auf seinen Wink hin zu ihnen hinein, und dann setzte sich der Kahn in Bewegung. Als er sich noch einmal umdrehte, sah Adayn, dass die anderen mit viel mehr Männern besetzt wurden. War dies also eine Ehrerbietung ihm gegenüber? Die Fahrt war zwar gemächlich, dauerte aber nicht allzu lange. Bald wurde der Wasserweg vor ihnen breiter und zu dem See des Avon, und Adayn bekam zum ersten Mal die einzige elfische Stadt zu Gesicht, die es in Silfa gab. Avon Glynn war vollends natürlich gewachsen. Die mächtigen Baumsäulen trugen ein hohes Dach aus Laub und Ästen, noch beeindruckender, als auf dem Weg hierher. Ihre Rinde hatte einen silbrig-grauen Glanz, der das wenige Licht kühl verfärbte. Das Wasser zu ihren Füßen wurde nur dort aufgewirbelt, wo der Strom des Avon nicht versiegt war. Ansonsten stand es still; man müsste meinen, darauf gehen zu können. Es gab kein sichtbares Zeichen von den Bewohnern dieser Stadt, doch es lag etwas in der Luft; Adayn spürte förmlich die Anwesenheit vieler Elfen, die ihn wahrscheinlich sehen konnten und selbst unsichtbar blieben. Er bemerkte, wie Kenny ein Stück näher zu ihm rückte und fand sich in seiner Annahme bestätigt. „Die Mutter der Bäume“, sagte Yilan leise und deutete voraus. Dort erhob sich ein riesiger, knorriger Baum mit kräftigen, tief angesetzten Ästen. Er war beinahe breiter als hoch und durch diese ungewöhnlichen Proportionen stach er sofort ins Auge. Adayn konnte den Blick nicht abwenden, als würde etwas…ja, als hätte dieser Baum eine ganz menschliche Ausstrahlung, die ihn anzog. „Es ist überliefert“, sagte Yilan, als hätte er seine Gedanken gelesen, „Dass die Mutter, als sie noch ein Sprössling war, also zur Urzeit der Dinge, mit dem Blut einer ganzen Schlacht gegossen wurde und so die Seelen der Wesen in sich aufsog, die in dieser Schlacht gefallen sind.“ „Ich habe noch nie von einem solchen Ereignis gehört“, meinte Adayn abweisend, denn er gab nicht viel auf solche Schauergeschichten. „Natürlich nicht. Es geschah lange bevor ihr Menschen auf diese Insel kamt.“ Adayn hob die Schultern. Er hatte nicht vor, sich durch den Magier provozieren zu lassen, auch wenn er nahe daran war, zu bereuen, dass er sich in der Vergangenheit so oft für die Elfen ausgesprochen hatte. Im Grunde waren sie ja doch nicht besser als die Menschen. Er spähte noch immer zur Mutter der Bäume. Viele ihrer dünnen Zweige hingen im Wasser des Sees und bildeten dichte Vorhänge aus silbergrünem Laub. Ein Stück weiter oben war gerade noch ein Plateau zu erkennen, das einzige künstlich Geschaffene, das er bis jetzt hier gesehen hatte. „Der Thronsaal“, erklärte Yilan, „Hier werde ich Euch verlassen, Herr. Ihr müsst allein weiter.“ „Allein?“ Adayn verstand nicht ganz und zeigte hoch zum Plateau. „Dorthin?“ „Nein“, entgegnete Yilan und schüttelte nachsichtig den Kopf, „Ihr werdet weiterfahren. Euer Knappe und ich werden hier aussteigen und mit Euren Männern hier warten. Keine Sorge, die Truppe wird gut versorgt werden; dafür verbürge ich mich.“ Adayn öffnete den Mund, um eine Frage zu stellen oder vielleicht Widerworte zu geben, doch Yilan bedeutete ihm, zu schweigen. Also hob er nur kurz die Schultern und wandte sich wieder von dem Magier ab. Was für ein Geplänkel, das hier mit ihm veranstaltet wurde! Ungeduldig verschränkte er die Arme vor der Brust und lockerte sie auch dann nicht, als der Kahn auf Grund lief und Yilan zusammen mit Kenny ausstieg. Auch die anderen Boote landeten zu Füßen der Mutter der Bäume, doch Adayn zwang sich, nicht auf die fragenden Blicke seiner Männer zu achten. Natürlich waren sie ohne ihn als ihren Herrn verunsichert. Er hoffte nur, dass sie keinen Streit vom Zaun brachen und so die zarte Verbindung zwischen ihnen und Silfa nicht schon jetzt zum Scheitern verurteilten. Sein Bootsführer stieß den Kahn wieder vom Ufer ab und lenkte ihn auf den Strom hinaus, wo er beinahe selbständig dahinglitt. Allmählich ließen sie Avon Glynn hinter sich, verließen es in gegensätzlicher Richtung. Der See verengte sich, bis sie schließlich auf dem schmalen Fluss entlangfuhren, der sich sanft durch den Wald schlängelte. An vielen Stellen hingen niedrige Äste über dem Strom, und überall zweigten kleine Wasserarme ab. In einen von ihnen bogen sie schließlich ein. Die Fahrt wurde langsamer und die Dunkelheit nahm erneut zu. Hier standen Buchen, ganz selten auch Eichen, dicht an dicht, dazwischen verstreut einige Kiefern und fast schwarze Tannen. Der Bug schrammte leise auf dem Grund, als der Pegel zu niedrig wurde, um weiterzufahren. Adayn sah sich suchend um, konnte jedoch nichts sehen, was ihn dazu verleitet hätte, sich am Ziel der Fahrt zu wähnen. Alarmiert runzelte er die Stirn. „Adayn.“ Und drehte sich zu dem Bootsführer um, der mit bekannter Stimme zu ihm gesprochen hatte. Er verzog den Mund zu einem verächtlichen Grinsen. „Caith.“ Sein Gegenüber schob die weite Kapuze zurück. Sein langes, schwarzes Haar fiel gelöst auf seine Schultern und dämpfte die Helligkeit, die von dem changierenden Stoff ausging. Er warf Adayn ein kurzes, spitzbübisches Lächeln zu, bevor er aus dem Kahn sprang. „Hilf mir.“ Gemeinsam zogen sie das Gefährt ans Ufer. Caith entledigte sich des unhandlichen Umhangs nun ganz und legte ihn zur Stange. Dann forderte er Adayn mit einer Geste auf, ihm zu folgen, erklomm die niedrige Böschung und lief zielstrebig zwischen den Bäumen hindurch, als bräuchte er sich nicht erst orientieren. Adayn musterte ihn kurz von der Seite und wusste nicht recht, was er sich von diesem Zusammentreffen erhofft und ob es sich nun erfüllt hatte. Das ist also der König der Elfen, dachte er nüchtern. So recht glaubhaft erschien es ihm nicht. Das war doch nur Caith, dessen Körper trotz des unwirklichen Äußeren warm war und auf Berührungen genauso reagierte, wie jeder andere Körper auch. Adayn schloss kurz die Augen. Es war vorbei. „Ich wollte zuerst mit dir allein sprechen, bevor wir morgen mit den offiziellen Verhandlungen beginnen“, ergriff Caith das Wort, „Denn es gibt Dinge… Nun, ich will nicht, dass etwas zwischen uns steht, das später zu Schaden führen könnte. –Und ich möchte dir etwas zeigen.“ „Du machst es wie immer spannend“, sagte Adayn schlicht und Caith lächelte ihm kurz zu. Er fühlte sich unter diesem flüchtigen Blick erschauern. Der Elf war unheimlich, wie immer, beinahe gruselig. Aber genau das reizte ihn doch, oder? „Du sollst wissen“, fuhr Caith dann fort, „dass ich dir dankbarer bin, als ich mit Worten ausdrücken könnte. Du verfügst vielleicht nicht über viele Männer, doch deine Truppe ist wertvoller für uns, als unsere besten Krieger. –Bis jetzt habe ich mich gehütet, das laut auszusprechen. Die meisten dürften annehmen, dass du mir deine Hilfe angeboten hast, um zu Reichtum zu kommen und ich das Angebot annahm, weil ich ein Auge auf dein Land geworfen habe. Sie erwarten solche Pläne von mir, glaube ich.“ Adayn schwieg sich aus und nahm sich noch einmal Zeit, um ihn eingehend zu betrachten. Er hatte sich nicht verändert, war allenfalls wieder etwas hagerer geworden. Seine Wangen waren genauso eingefallen, wie damals in Nova, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Er trug sogar wieder seinen Schmuck, auf den er so lange verzichtet hatte: die roten Steine und Silberkugeln, die seine Ohren spickten, die vielen Ringe, unter ihnen der, der wie eine Krone geformt war und die beiden Krallenfinger, und auch in seiner Unterlippe steckte jetzt wieder der zierliche Silberring. Wie immer erschien es, als wüsste er von allem, was um ihn herum geschah; wie eine ruhende Raubkatze, deren Ohren selbst im Schlaf hin und her zuckten. Hier, in seinen eigenen Gefilden, wirkte sogar das seltsame elfische Gehabe plötzlich natürlicher, sodass es nun Adayn war, der sich fehl am Platze fühlte. Caiths Worte verrieten ihm aber auch, dass er nur redete, um unangenehme Fragen zu unterbinden. Er verstand, doch es frustrierte ihn. „Als du in Nova aufgetaucht bist“, setzte er an, um irgendwie anzufangen, „schienst du nicht so gelassen, wie ich es von dir kenne. Du warst gerade in den Kampf um die Krone verwickelt, nicht wahr? Was ist passiert?“ Er wusste bis heute nicht, warum Caith ihm diesen zweifelhaften Besuch abgestattet hatte, aber ihn danach zu fragen hätte wohl erst recht zu keiner Antwort geführt. „Dragan ist tot“, sagte Caith, „Ernyth auch. Es war vielleicht nicht notwendig, aber ich habe es getan. Ansonsten wäre ich vermutlich nie unabhängig gewesen. Nun habe ich, was ich wollte, aber ich frage mich wie immer, ob ich nicht einen Fehler gemacht habe.“ Er hielt inne und wandte sich Adayn zu. Zum ersten Mal sahen sie sich wieder direkt in die Augen. „Ich bin froh, dass du jetzt hier bist“, gestand Caith ihm. Adayn konnte nicht anders, er streckte die Hand aus und berührte leicht das schwarze Haar. Armes Kind, wollte er sagen, aber es wäre absurd. Caith war viel älter als er. Er zog die Hand zurück. „Nun, aber dein Volk scheint nichts von deinen Zweifel zu wissen, nicht wahr?“, meinte er. „Nein.“ Indem Caith den Blick abwendete, beendete er diesen aufrichtigen Moment –diesen ersten Augenblick, in dem Adayn ihn wieder so sah, wie er ihn früher gesehen hatte. Aber wahrscheinlich hatte er selbst ihn schon mit seinen banalen Worten zerstört. Caith forderte ihn mit einer Geste auf, ihren Weg fortzusetzen. „Ich bin ihr legitimer Herr“, fuhr er dann fort, „und es gibt niemanden mehr, der mir diesen Platz streitig machen könnte. Ich glaube, für sie ist meine symbolische Bedeutung als Götterkind wichtiger, als meine Fähigkeiten. Ich konnte sie schneller davon überzeugen, gegen Henrik in den Krieg zu ziehen, als Dragan oder selbst Ernyth es je vermocht hätten. Still jetzt“, fügte er hinzu, als Adayn schon den Mund geöffnet hatte, um eine weitere Frage zu stellen. Instinktiv ging der Ritter in Habachtstellung, doch Caith hatte wohl nicht auf eine Gefahr hinweisen wollen, denn er zog ihn nur spöttisch lächelnd weiter. Wieder wurde der Boden abschüssig und weicher. Das Laubdach lichtete sich; jetzt fielen ganze Bündel von Lichtstrahlen durch die Zweige. Unter seinen Füßen wechselten sich modernde Blätter mit Moos ab, ab und an wuchsen auch einige Gräser. Vermutlich hatte ein Sturm hier eine Schneise in den Wald geschlagen, aber das musste auch schon Jahrzehnte her sein. Die neu gewachsenen Bäume, jetzt zumeist Eichen und Birken, bekamen genug Licht, denn ihre Äste setzten schon tief an; doch zwischen ihnen schob sich vereinzelt jüngeres Unterholz nach oben. Überrascht erkannte Adayn, dass sein Zeitgefühl bereits durch die kleine Weile, die er im Dämmerlicht verbracht hatte, völlig abhandengekommen war. Es konnte erst später Nachmittag sein, die Sonne sank noch nicht einmal, sondern wärmte ihm die Schultern. Ihr Licht nahm Caith seine unirdische Ausstrahlung. Er wirkte irgendwie…kleiner, und Adayn spürte, wie das Gefühl von Beklemmung ihn verließ. Ein schmaler Bach schlängelte sich durch ihr Blickfeld, und zu seinem Ufer führte Caith ihn. Die jungen Bäume standen dicht und wurzelten teils im Wasser, teils auf trockenem Boden. Moos bedeckte die Erde und zog sich an den Stämmen hoch. Als sie näher traten, geriet die Szene in Bewegung. Ein Elf, der zuvor still gegen einen Baum gelehnt dagesessen hatte, erhob sich. Adayn erkannte ihn sofort und zischte leise: „Der? Was macht er hier?“ Phan kam ihnen die letzten Schritte entgegen. Er lächelte, doch während seine goldenen Augen in Adayns Richtung wanderten, spiegelte sich Verwunderung in ihnen. „Es ist alles in Ordnung“, sagte er zu Caith. „Gut, vielen Dank. Du kannst jetzt gehen, ich werde die ganze Nacht hier sein.“ Phan deutete eine Verbeugung an, indem er den Kopf senkte. Das war selbst für Elfen ungewöhnlich, denn auch sie verneigten sich eigentlich formvollendet vor ihrem Herrscher. Als Phan an ihnen vorbeiging, traf sich sein Blick mit dem Adayns –in beiden stand eine leise Drohung. „Erklär mir das“, forderte Adayn, sobald sie allein waren, „Was ist passiert? Er war doch dein Feind, Dragans Leibwächter, wenn ich mich recht entsinne-“ Caith hob den Zeigefinger und er verstummte. „Sei leise“, sagte er, ließ sich auf die Knie sinken und zog an etwas, dass Stoff zu sein schien, der über einer Kuhle ausgebreitet worden war. „Du weckst sie sonst.“ Und Adayn sah: Dort lagen zwei Elfenkinder aneinandergeschmiegt im Moos. Sie glichen sich so sehr, wie Spiegelbilder, doch vor allem glichen sie Caith, der ihnen über das dichte, schwarze Haar strich. Die gleiche Haut, reinweiß im Sonnenlicht und vermutlich beinahe blau im Schatten… Er konnte es nicht verstehen. „Du hast Kinder?“, flüsterte er und der andere sah lächelnd zu ihm auf. „Nein. Es sind nicht meine. Setz dich, ich erkläre es dir.“ Beinahe willenlos kam Adayn der Aufforderung nach. Wie sollten diese zwei nicht zu Caith gehören, wo doch jeder sah, dass sie von der gleichen Art waren? Er blickte auf die Kinder hinab. Es war nicht zu erkennen, ob es Jungen waren oder Mädchen. Beide hatten langes Haar, wie es bei den Elfen üblich war, und trugen das gleiche schlichte Gewand, das die kleinen Ärmchen und Beine freiließ. Obwohl sie viel dünner waren, als Menschen in diesem Alter, schien ihnen nicht im Geringsten kalt zu sein. Caith sah noch immer in ihre schlafenden Gesichter, als er anfing: „Sie kamen kurz nach meiner Rückkehr zur Welt. Ihre Mutter starb bei der Geburt. Der Körper einer Elfe ist nicht dazu bestimmt, Zwillinge zu gebären. Sie hätten eigentlich auch nie einen Atemzug machen sollen, doch…Ernyth hat sie gerettet. Er schnitt der Mutter den Bauch auf, als klar wurde, dass sie es nicht überleben würde. Ich bin nicht sicher, ob er wusste, dass diese beiden Götterkinder sein würden. Ich erfuhr es erst, als alles vorbei war. Ernyth kam zu mir und sagte…er sagte, jetzt sei meine Nachfolge gesichert.“ „Wie kann das sein?“, unterbrach Adayn leise. „Das habe ich mich schon gefragt, als du mir deine Geschichte erzähltest. Wieso werden Götterkinder aus dem Nichts geboren?“ „Ein nicht geringer Teil der Elfen trägt den Samen der Götterkinder in sich“, erklärte Caith, „Wenn zwei Elfen dieses Teils zueinander finden, können sie weitere Götterkinder zeugen. Doch das passiert trotzdem nur selten. Ernyth glaubte, dass der Samen langsam verschwindet. Sollte ich jedoch tatsächlich einmal selbst Kinder haben, werden sie ihn sicherlich in sich tragen. Da nun aber mit diesen beiden hier meine Nachfolge bestimmt wurde, müssen sie für mich wie meine eigenen sein. Es fiel mir nicht schwer, sie anzunehmen –ich liebte sie vom ersten Augenblick an. Ich glaube, Adayn, du kennst dieses Gefühl.“ Er wendete den Blick von den Kindern ab und sah Adayn voller Zuneigung an. „Als ich mir damals deine Tochter ansehen wollte, glaubte ich, du würdest dich gleich auf mich stürzen wie ein wildes Tier. Ich habe noch nie so viel Hass in dir gesehen. Du hättest mich aus Liebe zu Gaia getötet, oder? –Dabei wollte ich nur wissen, wie sehr sie nach dir kommt.“ Adayn wollte abwinken und schüttelte den Kopf. Am liebsten wäre es ihm, wenn es diesen Moment nie gegeben hätte, denn er hatte die Kluft zwischen ihm und Caith noch vergrößert. Und Gaia? Er hätte verhindern sollen, dass sie so früh in Berührung mit den Elfen kam. „Wer ist der Vater?“, fragte er schließlich, um sich selbst auf andere Gedanken zu bringen. „Phan“, antwortete Caith schlicht und der Ritter riss überrascht die Augen auf. „Und du hast keine Angst, dass er das ausnutzen und dich verraten könnte?“ „Nein. Phan und ich haben uns ausgesöhnt.“ Sein Tonfall ließ keine Zweifel zu. Adayn konnte nur nicken. „Wie heißen sie?“ „Guendolen und Leon.“ „Das sind…nicht unbedingt elfische Namen…“ „Gut erkannt“, meinte Caith spöttisch, „Wir dachten, es wäre besser so. Egal, wie dieser Krieg ausgeht, Elfen und Menschen werden sich wieder einander nähern müssen…“ Daraufhin schwiegen sie sich an und die Stille des Waldes umhüllte sie wieder, doch es war eine lebendige Stille im Gegensatz zu Avon Glynn. Der Ritter streckte die Hand aus und berührte eines der Kinder, strich ihm mit den Fingerspitzen über die runde Wange, die ganz warm war von Sonne und Schlaf. Erst dann wurde ihm bewusst, dass er etwas tat, das er selbst Caith nicht erlaubt hatte. „Ich hätte deiner Tochter nie etwas angetan“, sagte der Elf in diesem Moment, als wolle er seine Gedanken bestätigen. Adayn biss kurz die Zähne zusammen. „Ich weiß.“ Er hob den Blick und sah in Caiths rote Augen, die hier, wie seine ganze Erscheinung, ebenfalls weniger bedrohlich wirkten. In solchen Momenten fand Adayn ihn schön, auch wenn er auch jetzt niemandem erklären konnte, was ihn dazu verleitete. Er konnte nicht sagen, warum er sich nicht vor ihm fürchtete. Caith erhob sich. Mit einer auffordernden Geste hielt er Adayn die Hand hin, damit er sie ergriff und ebenfalls aufstand. Er führte ihn ein Stück von den Kindern weg und stellte sich dann vor ihn, sah zu ihm auf. „Ich war froh, dass Gaia dir so sehr ähnelt“, sagte er, „Wenn sie Monas Abbild gewesen wäre…ich hätte es noch mehr bereut, ihr geholfen zu haben, dich zu bekommen. Obwohl ich wusste, dass es das Beste für uns alle war…ich war so wütend…“ Adayn schob die Hände in sein Haar und küsste ihn. Das Geäst war hier so licht, dass man sogar den Mond sehen konnte. Er nahm zu, würde schon bald seine volle Rundung erreicht haben. Adayn lag nackt auf dem Moos und blickte in den Himmel. Caith schlief neben ihm, er hörte seine leisen Atemzüge. Auch die kleinen Götterkinder hatten den Nachmittag verschlafen, aber Caith hatte ihm versichert, dass das normal war. Ihre erste Zeit auf Erden verbrachten Elfen fast ausschließlich im Schlummer, und dabei wuchsen sie viel schneller heran, als Menschenkinder. Sie mussten früh laufen lernen, um sich möglichst schnell selbst versorgen zu können, denn die Beziehung zu den Eltern blieb recht neutral und die ganze Gemeinschaft kümmerte sich um sie. Wann hatte er zuletzt solche Ruhe erlebt? Es schien Jahre her zu sein. Irgendwann, bevor er Lehnsherr geworden und mit seiner Frau nach Nova gezogen war, ja, noch bevor er Mona erst geheiratet hatte; als sein Leben noch in ganz anderen Bahnen zu verlaufen schien. Er erinnerte sich an eine Nacht im Monat vor Samhain: kurz vor dem Morgen stieg Nebel aus dem Gras auf und alles war nass und klamm. In seinem Gemach war das Feuer längst erloschen; nur noch ein wenig Glut glomm im Kamin. Und unter den Laken und Fellen lag Caith an ihn geschmiegt und schützte ihn vor der Herbstkälte. Ein paar Stunden ohne Sorgen, beinahe wie jetzt, nur dass es ihm, wenn heute der Morgen graute, noch viel schwerer fallen würde, seine Schlafstätte zu verlassen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Caith den Kopf hob und sich dann über ihn beugte, sodass sein Gesicht in Adayns Blickfeld gelangte. Er stützte sich mit einer Hand ab, die andere legte er ihm auf den Bauch. In seinen Haaren hatten sich ein paar Grashalme und Mooskrümel verfangen. Der Silberschmuck in seinem Gesicht glänzte kühl. Wortlos sahen sie sich an, bis Caiths Augen sich lösten und sein Blick ein Stück nach oben wanderte. Vorsichtig ließ er seine Finger durch Adayns Haar gleiten. „Hast du immer noch nicht genug davon?“, fragte der Ritter leise. „Wie könnte ich? Selbst in diesem Licht ist diese Farbe noch so schön…Ich habe dir den ganzen Tag auf deinen roten Schopf gestarrt, hast du das nicht bemerkt?“ „Du konntest es gut verbergen.“ Caith reckte das Kinn, um ihn auf die Schläfe zu küssen, und Adayn nutzte die Gelegenheit, um ihn noch näher zu sich heranzuziehen. Der vertraute Geruch von Harz und frischen Kräutern umfing ihn, die Aromen unterschieden sich nur wenig von denen ihrer Umgebung. „Schlaf“, murmelte Caith, „Es wird dir gut tun.“ Doch er schüttelte den Kopf. „Nicht jetzt. Wer weiß, wann wir…“ Jetzt hätte er doch beinahe ausgesprochen, was er die ganze Zeit nicht einmal hatte denken wollen. Die Zukunft war ungewiss; und sie beide waren nicht mehr in einer Lage, die ihnen erlaubte, zu tun und zu lassen, was sie wollten. „Henrik wird nicht gleich morgen mit einem Heer vor Silfas Torbögen stehen“, entgegnete Caith, „Und du hast schnell reagiert, was uns erlaubt, sorgfältig zu planen. Es wird genug Zeit vergehen, bis wir uns auf eine gemeinsame Kriegsführung geeinigt haben, glaub mir, und diese Zeit sollten wir zu nutzen wissen.“ „Meine Männer sind aber nicht dumm, Caith“, sagte Adayn und zupfte ein Blatt von der Schulter des Elfen, „Es wird auffallen, wenn wir jede Nacht gemeinsam irgendwohin verschwinden. Sie werden schon genug Fragen stellen, wenn wir jetzt wieder zu ihnen stoßen. Hast du irgendeine Erklärung parat?“ Der andere ließ den Kopf wieder sinken. „Ich dachte da an nächtliche Beratungen…“, hauchte er ihm ins Ohr. „Ja, das klingt sehr…glaubhaft“, spottete Adayn. Dann drehte er sich zu ihm um. Nein, über die Motivation seiner Männer brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Sie alle wussten, dass es falsch war, Silfa zu ignorieren wie bisher oder es unterjochen zu wollen, wie Henrik plante. Doch auch in ihnen saß die tiefe Furcht vor den Elfen fest, die nicht gerade dadurch gemildert wurde, dass deren Herrscher aussah wie ein Wesen aus der Unterwelt. Er grinste in sich hinein. „Was ist?“, fragte Caith sofort. „Sei bitte nicht allzu herrisch ihnen gegenüber“, antwortete Adayn, „Sie haben dich noch nie gesehen und werden schon so großen Respekt vor dir haben.“ „Was? Sind die Schauermärchen über mich etwa noch nicht von Hadrian nach Nova gelangt?“ Statt eine Antwort zu geben legte Adayn ihm eine Hand auf die Wange und küsste ihn. Natürlich hatte es sich in Henriks ganzem Herrschaftsgebiet herumgesprochen, dass es einen Elfen auf Hadrian gegeben hatte, doch niemand brachte ihn mit dem Thron Silfas in Verbindung. Von den ganzen Streitigkeiten hier war nichts außerhalb des Waldes gelangt; wahrscheinlich war er noch immer der einzige Mensch, der davon wusste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)