Falsche Blüten von Flordelis (Custos Vitae reminiscentia) ================================================================================ Prolog: Falsche Blüten ---------------------- Cherrygrove galt als gesegnet. Unzählige, für den Namen verantwortliche, Kirschbäume säumten das Dorf und es hieß, dass jedes Versprechen, das unter ihren Blüten ausgesprochen wurde, auch in Erfüllung ging, weswegen der Ort in jedem Frühling zu einer Pilgerstätte zahlreicher Reisender wurde, die aufgrund der Schönheit des Anblicks jeden Bewohner beneideten, der das ganze Jahr hindurch dort verbringen durfte. Aber ein einzelner Baum, der weit abseits von allen anderen stand, galt als verflucht. Was immer man sich unter diesem wünschte, wurde auf eine Weise erfüllt, die es jeden bereuen ließ. Deswegen wurde er von den Bewohnern gemieden, sogar ein Zaun war um ihn gezogen worden und jedem Touristen wurde geraten, sich ihm nicht zu nähern. Dabei war es ein außergewöhnlicher Baum, der das Interesse aller weckte. Sein Stamm war so weiß wie seine Blüten, so dass es wirklich aussah als würde Schnee auf den Weg fallen, wenn der Wind im Frühling stärker wurde. Die Früchte, die aus ihnen wuchsen, waren allerdings blau wie das Meer und galten als giftig, seit ein Kind einst nach dem Verzehr der fremdartigen Kirschen gestorben war. Seitdem war es Kindern nicht einmal mehr gestattet, sich in die Nähe davon zu begeben. So viel Segen auf den anderen Bäumen lag, so viel Unglück vereinte dieser eine in sich, weswegen seine Existenz totgeschwiegen und er von den Bewohnern nur mit Blicken gewürdigt wurde, wenn man einen Touristen oder seine Kinder wieder davor warnen musste – außerdem empfand man die Blüten als falsch, weil sie weiß und nicht rosa waren und das ließ so manchen Bewohnern vor Furcht erzittern. Noch ein Grund, diesen Baum zu ignorieren. Daher bemerkte auch nie jemand die Gestalt, die in manchen Nächten zwischen den hervorstehenden Wurzeln des Baumes saß und – einen Totenkopf in den bleichen Händen haltend – ins Dorf starrte so als wartete sie darauf, dass jemand zu ihr kam und ihr anbot, sie fortzubringen. Allerdings wäre sie niemals auf dieses Angebot eingegangen, denn ihr Platz war unter diesem Baum. Sie saß dort zu jeder Jahreszeit, immer in unterschiedlichen Nächten, manchmal monatelang sogar nicht mehr, egal ob es kalt oder nass war, es schien sie nicht im Mindesten zu kümmern, wenn sie auftauchte. Selbst wenn eine Stadtwache auf die Idee kam, in Richtung des Baumes zu blicken und dann die Gestalt entdeckte, sorgte das unheimliche Leuchten, das ihr weißes Äußeres umgab, dafür, dass die Wache das Gesehene lieber wieder vergaß und nicht einmal darüber sprach. Eine Wache hatte dieses Tabu einmal gebrochen und war wenige Wochen später tot in einem Brunnen gefunden worden, seitdem wurde dieses Wesen von der Stadtwache ignoriert. So saß die Gestalt jahrein- jahraus da, bis eines Tages tatsächlich jemand den niedrigen Zaun überwand, auf sie zukam und vor ihr stehenblieb. Ohne etwas zu sagen, hob sie den Kopf und strich dabei unwillkürlich über den blanken Schädel, der verriet, dass sie das öfter tat. Die Person vor ihr kniete sich hin, so dass sie auf derselben Augenhöhe waren. „Ich habe gehört, du erfüllst Wünsche... auf eine andere Art als die anderen Bäume hier.“ Die Gestalt antwortete nicht, aber ihr Besucher interpretierte das erneute Streichen über den Schädel als Zustimmung, so dass er fortfuhr: „Ich habe vor jedem Baum meinen Wunsch geäußert, außer vor diesem. Deswegen hoffe ich, dass du mich erhörst.“ Wieder antwortete die Gestalt nicht, gab nicht einmal zu verstehen, dass sie zuhörte, aber der Besucher zeigte sich dennoch zuversichtlich: „Mein Wunsch ist...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)