Falsche Blüten von Flordelis (Custos Vitae reminiscentia) ================================================================================ Kapitel 2: Sternenfest ---------------------- Normalerweise war Cherrygrove kein sonderlich festfreudiger Ort, denn immerhin bedeutete so etwas auch viel Arbeit und Aufregung. Man war genug von den Touristen amüsiert, die sich jedes Frühjahr aufs Neue versammelten, aber es gab ein Fest, das in ganz Király und damit auch Cherrygrove gefeiert wurde: man nannte es Sternenfest. Es wurde zu Ehren der Sternnenynmphe Asterea abgehalten, wenngleich sich niemand mehr so ganz sicher war, warum gerade sie ein eigenes Fest bekommen hatte. Aber da es ohnehin hauptsächlich darum ging, sich nachts mit allen Bewohnern der entsprechenden Stadt, in der es gefeiert wurde, zusammenzusetzen, zu trinken, zu essen und Spaß zu haben, war es ohnehin egal. Zumindest wenn man Faren Glauben schenkte. Dieser saß wie jedes Jahr während der Feier an genau dem Tisch auf dem ein Teller mit Fleischspießen auslag und kaute abwechselnd an dem Spieß in seiner linken oder dem in seiner rechten Hand. Zwischen den Bissen fand er allerdings die Zeit, den anderen zu erklären, warum sie feierten: „Also letztes Jahr hat mir jemand erzählt, wir feiern, weil an diesem Tag Asterea ihre erste Vision hatte. Dieses Jahr hat Granny Ann mir aber erzählt, dass wir eigentlich eher feiern, dass sich die Sternennymphe verliebt hat, weil es der erste und bislang einzig bekannte Naturgeist ist, der sich verliebte.“ „Und das ist ein Grund zu feiern?“, fragte Richard schlecht gelaunt. Als einziger der Freunde saß er nicht Faren zugewandt, stattdessen drehte er ihm den Rücken zu und blickte in eine andere Richtung, um die Feiernden zu beobachten. Es war bereits dunkel, aber neben den Sternen und dem Mond spendeten auch zahlreiche runde Lampions an Drähten, die quer durch die ganze Stadt gespannt waren, genügend Licht, um auch zu sehen, mit wem man sich unterhielt oder was genau man eigentlich aß – bei manchen Gerichten konnte man sich da nicht so sicher sein. Faren schwor sogar, jedes Jahr aufs Neue, dass der Salat der Witwe Gordon sich bewegte, wenn man lange genug hinsah – und so wie Kieran diesen ebenfalls immer wieder anstarrte, musste sogar etwas dran sein, aber Richard wollte das nur ungern genauer erkunden. Von irgendwo – bei all den Menschen war es nur schwer zu sehen, wo es herkam – war Musik hörbar, allerdings klang der Spieler nicht sonderlich talentiert, vermutlich zupfte nur irgendein angetrunkener Festbesucher an einer Gitarre oder einem anderen Instrument. „Was bist du schon wieder so schlecht drauf?“, fragte Faren. „Ich dachte, du wärst wesentlich entspannter, wenn du erst einmal allein wohnst, immerhin hast du dann ja genug Zeit, um-“ „Ich bin jedes Jahr so schlecht drauf zu diesem Zeitpunkt“, unterbrach Richard verärgert. „Und das hat nichts mit dem zu tun, was du schon wieder denkst.“ Faren neigte kauend den Kopf, doch dann nickte er plötzlich, noch ehe einer von ihnen zum Erklären ansetzen konnte. „Ah ja, ich erinnere mich, du glaubst ja nicht an Naturgeister und findest dieses Fest deswegen irgendwie blöd... oder so.“ „Nein!“, erwiderte Richard und wandte sich ihm nun doch zu, da es ihm zu anstrengend wurde, sich über seine Schulter hinweg zu unterhalten. „Ich glaube nicht an Naturgeister – aber nur weil ich weiß, dass sie existieren! Und ich hasse diese verdammte Asterea! Wenn die mir irgendwann wieder unter die Augen kommt, werde ich... ich...“ Er hielt inne, ein wenig ratlos, da er sich bislang noch keine Gedanken darüber gemacht hatte, was er mit ihr tun würde, wenn er sie wieder traf. Immerhin war sie ein Naturgeist – und sie hatte auch nichts getan, was es erfordern würde, dass er ihr etwas Schlimmes antat. Sie hatte seinen Stolz verletzt, aber was tat man, um diesen zu rächen? Da er nicht weitersprach und in seine eigenen Gedanken versunken war, wandten sich Faren und Joshua nun Kieran zu, der neben Richard saß und bislang schweigend, wie üblich eben, den anderen gelauscht hatte. Fragend erwiderte er die Blicke, obwohl er sich bereits denken konnte, was sie wissen wollten und sie ihm das auch im nächsten Moment bereits bestätigten: „Weißt du eigentlich, was es mit Richards Hass auf Naturgeister... und blonde Frauen... auf sich hat?“ Immerhin war jedem von ihnen bereits aufgefallen, dass Richard eine deutliche Abneigung gegenüber blonden Frauen empfand, was besonders seiner hartnäckigsten Verehrerin sauer aufstoßen durfte, an diesem Abend war allerdings noch nichts von ihr zu sehen gewesen. Da Richard noch immer gedanklich abwesend war – und sich gerade verschiedene Strafmethoden vorstellte – bekam er nicht mit, dass Kieran antwortete: „Nun, einmal, so sagt er, ist Asterea blond und sie hat offenbar einmal seinen Stolz verletzt, ich weiß aber auch nicht so recht, wie sie das gemacht haben soll, das sagt er mir nicht. Außerdem war seine jüngere Schwester, Kathreen, auch blond und er denkt nicht so gern an die Vergangenheit.“ Bei der Erwähnung dieses Namens zuckte Richard augenblicklich zusammen und sah Kieran an. „Wie kannst du ihnen das alles nur erzählen? Das ist meine Sache... meine vergangene Sache vor allem. Und ich rede nicht gern über die Vergangenheit.“ „Deswegen habe ich das für dich übernommen“, erwiderte Kieran trocken. „So musst du ihnen nichts mehr davon erzählen.“ Richard hatte zwar weiterhin das Gefühl, dass irgendwas daran nicht ganz stimmig war, aber er wusste nicht so recht, was es war, deswegen beließ er es dabei, sich am Kopf zu kratzen und sich dafür zu bedanken. Faren und Joshua lachten darüber amüsiert – bis plötzlich eine Stimme erklang, die sie dabei unterbrach: „Awww, ihr amüsiert euch hier, ohne mich?“ Im nächsten Moment saß bereits eine junge Frau neben Joshua. Neugierig betrachtete sie alle mit ihren braunen Augen durch ihre Brille hindurch, ihr nackenlanges schwarzes Haar fiel ihr dabei in die Stirn und verriet, dass sie wieder einmal einen Friseur besuchen sollte. „Worüber redet ihr?“, fragte sie interessiert und schob sich dabei die Ärmel ihrer viel zu großen blauen Jacke zurück, da sie ihr über die Hände gerutscht waren und sie daran hinderten, sich ebenfalls einen Fleischspieß zu nehmen. Kieran und Richard schwiegen und überließen die Antwort Joshua, doch da er offenbar noch viel zu überrascht über ihr plötzliches Auftauchen war, musste Faren das übernehmen: „Wir haben über Richards Vergangenheit gesprochen, Bell... und es ist doch deine eigene Schuld, was hängst du auch dauernd bei den Mädchen herum?“ Dabei warf er einen Blick zu dem Tisch, an dem die jungen Frauen, die im Waisenhaus lebten, gemeinsam mit jenen, die inzwischen ihr eigenes Haus hatten, saßen und sich miteinander unterhielten. Der Wind trug einzelne Gesprächsfetzen und Gelächter herüber. Bellinda nahm einen Bissen von dem Spieß und kaute sorgsam, ehe sie erwiderte: „Meine Mutter will, dass ich mehr Zeit mit Mädchen verbringe, sie fürchtet, dass du einen schlechten Einfluss auf mich ausübst.“ Faren stieß ein theatralisches Seufzen aus. „Da kennt deine Mutter mich so lange und traut mir so etwas zu? Ich bin wahrlich schockiert, meine Beste.“ „Ich auch“, stimmte sie zu. „Wenn es nicht so anständige Kerle wie Josh gäbe, würde ich sicher gar nicht mehr mit Männern sprechen dürfen.“ Joshua lachte verlegen, als er das hörte, ignorierte Farens gemurmeltes „Der tut doch nur so als ob“ und erwiderte stattdessen: „Ah, zu viel der Ehre.“ Sie lächelte ihm zu, dann wandte sie sich an Richard: „War Allegra eigentlich schon bei dir?“ „Beschrei es bloß nicht, am Ende taucht sie wirklich noch auf. Warum fragst du?“ Es wäre ihm neu, dass sie auch mit Allegra befreundet war, aber offenbar war sie das wirklich nicht, denn sie deutete mit dem Kopf zu einem etwas weiter entfernten Tisch, an dem vier Personen saßen. Faren verzog sofort das Gesicht, als er den erwachsenen Mann mit dem schwarzen Haar und der Augenklappe sah, unter der sich eine große Brandnarbe befand. „Irgh, der Hauptmann, auch das noch. Nicht mal beim Feiern hat man noch seine Ruhe.“ „Hast du etwa nicht vor, nachher arbeiten zu gehen?“, meinte Joshua missbilligend. „Doch, natürlich – schon allein, weil du ja immerhin auch mit mir Schicht hast...“ Normalerweise schaffte Faren es, sich seinen Schichten zu entziehen, indem er ihnen einfach fernblieb, solange er es damit nicht übertrieb, störte es auch niemanden. Aber bei Joshua war er auf verlorenem Posten, dieser suchte ihn stets, wenn sie eine Schicht miteinander teilten und zog ihn dann am Kragen in die Wachstation. Nach dem dritten Mal hatte Faren es daher aufgegeben – und seitdem hatte er doppelt so viele Schichten mit Joshua als früher. Neben dem Hauptmann saßen auch dessen Frau – eine blasse, furchteinflößende Frau mit grauem Haar –, sein Sohn Dario – ebenfalls ein schwarzhaariger, aber dafür junger Mann, dessen kantiges Gesicht auf die Verwandtschaft hindeutete – und auch eine junge Frau, deren blondes Haar zwar kurz geschnitten war, aber auf beiden Seiten ihres Gesichts hing eine lange Strähne herab, ihr Name war Allegra und sie war die Tochter des Hauptmanns. „Ich kann die Caulfields nicht leiden“, brummte Faren undeutlich. „Die ganze Familie ist so arrogant und gebieterisch...“ Bellinda nickte zustimmend und ergänzte kauend: „Und voll nervig. Als Dario hier seine Kavalleristenausbildung absolviert hat, ist er hier herumstolziert als müsste jedes Mädchen ihm zu Füßen liegen.“ „Ich finde nicht, dass wir über sie reden sollten“, meinte Richard, ehe Joshua auch noch seine Meinung dazu abgeben konnte. „Vielleicht sind sie in Wahrheit ganz anders als wir denken, ihr solltet nicht so oberflächlich sein.“ „Sagt die Person, die Allegra am laufenden Band abweist, weil sie blond ist“, erwiderte Faren schmunzelnd und erntete dafür einen finsteren Blick von Richard. Eine Bewegung am Tisch der Waisenhaus-Mädchen, lenkte Bellindas Aufmerksamkeit auf diesen und ließ sie amüsiert kichern. „Ich glaube nicht, dass er sie ablehnt, weil sie blond ist, eher, weil sein Interesse einer ganz anderen gilt.“ Keiner der anderen musste fragen, von wem sie sprach, denn man kannte sie nicht nur, sie kam in diesem Moment auch auf den Tisch zu. Die blaue Kappe, die sie trug, um ihr langes schwarzes Haar zumindest ein wenig zu bändigen, war farblich passend zu ihrem Kleid ausgewählt, das sie trug und ihre dunkelbraunen Augen leuchteten im Gegensatz zu denen von Allegra warm, es war nicht weiter verwunderlich für seine Freunde, dass Richard mehr Interesse an ihr besaß. Er stand auch sofort auf, als sie am Tisch ankam und die anderen freundlich grüßte. „Guten Abend, alle zusammen~.“ „Guten Abend, Blythe“, grüßten die anderen sie zurück. Aber Richard ließ ihnen nicht sonderlich viel Zeit, sich mit ihr zu unterhalten, das hatte er bereits oft genug miterlebt, um zu wissen, dass es peinlich werden könnte. Stattdessen griff er nach ihrer Hand und zog sie mit sich, weswegen sie sich unbeeindruckt von den anderen verabschiedete und mit ihm davonging. „Er mag sie echt, was?“, fragte Faren, der den beiden interessiert hinterhersah. Kieran zuckte mit den Schultern und nutzte die Ablenkung der anderen, um sich den letzten Fleischspieß zu nehmen, der für ihn allerdings der erste an diesem Abend war. „Ich denke schon. Im Waisenhaus haben sie auch oft Zeit miteinander verbracht. Aber er redet auch nicht darüber... allgemein redet er nicht gern über solch private Dinge.“ Es gab mit Sicherheit vieles, was er nicht einmal seinem besten Freund über sich erzählte. In gewisser Weise würde er wohl für jeden immer ein Fremder bleiben. „Vielleicht~.“ Bellinda war allerdings nicht allzu neugierig und wandte sich lieber Joshua zu. „Hast du das Buch eigentlich schon angefangen, das ich dir geliehen habe?“ „Ja, habe ich, bislang...“ Kieran blendete das Gespräch der beiden aus, da sie nun ohnehin in ihrer eigenen Welt gelandet waren und konzentrierte sich auf seinen Fleischspieß, da Faren ohnehin nie mit ihm sprach, wenn es nicht sein musste. Aber als er Allegra aufstehen sah, verfolgte er sie mit Blicken, bis er sie nicht mehr zwischen den Feiernden entdecken konnte – allerdings wusste er ohnehin, wo sie hingehen würde. Da blieb ihm nur zu hoffen, dass nichts eskalieren würde. Richard befand sich derweil mit Blythe hinter einem der Häuser, wo es ein wenig mehr Ruhe gab. Die Gespräche und die Musik waren nicht sonderlich deutlich zu hören und es gab mehrere Kisten, auf denen man sitzen konnte, so wie sie beide in diesem Moment. Während sie allerdings nervös schien, blickte er fast schon gelangweilt in die Dunkelheit hinaus. Er konnte sich denken, was sie wollte, aber er wollte es ihr auch nicht abnehmen, es selbst auszusprechen – schon allein, weil er sich vorstellte, dass es dann umso schmerzhafter werden würde, wenn er seine Erwiderung darauf gab. „Uhm, Richard...“ Er wandte sich ihr zu, als sie die Stimme hob, blickte aber nach wie vor desinteressiert, da sie das allerdings bereits gewohnt war, schien es sie nicht im Mindesten zu stören. „Ich will dir schon seit langer Zeit etwas sagen.“ „Hmm...“ Auch an seiner Einsilbigkeit störte sie sich nicht und fuhr stattdessen fort: „Also weißt du, ich...“ Doch bevor sie aussprechen konnte, was sie sagen wollte, erklangen plötzlich Schritte und im nächsten Moment stand Allegra vor ihnen. Sie bedachte Blythe nur mit einem verächtlichen Blick, ehe sie sich Richard mit dem Versuch eines warmen Lächelns zuwandte, das eher an eine Grimasse erinnerte. „Warum versteckst du dich hier, Richard?“ „Ich verstecke mich nicht“, erwiderte er. „Blythe wollte nur allein mit mir reden.“ Da sie ihm das bereits am Nachmittag angekündigt hatte, war ihm das bereits bewusst gewesen, als sie an den Tisch getreten war und deswegen hatte er sie auch hierher geführt. Allegra schnaubte. „Ein Liebesgeständnis am Abend des Sternenfestes, hm? Was für ein Klischee.“ Blythe wurde sofort rot, widersprach aber nicht, was Richard noch einmal darin bestätigte, dass er mit seiner Annahme recht hatte. „Wenn du mit mir reden willst, musst du warten, bis Blythe fertig ist.“ Allegra schnaubte noch einmal, warf ihrer Rivalin aber nicht einmal einen Blick zu. „Fein. Ich werde morgen mit dir reden. Meine Liebe kann warten – bis zu einem weniger klischeehaften Tag.“ Nach einem allerletzten Blick zu ihrer Rivalin hinüber, ging sie mit erhobenem Haupt wieder davon. „Sie ist furchteinflößend“, urteilte Blythe, als sie endlich wieder weg war. Richard zuckte allerdings mit den Schultern. „Nicht wirklich, sie tut nur so. Aber sag mir jetzt lieber, worüber du reden wolltest.“ „N-na ja, eigentlich hat Allegra es schon gesagt. Also, ich hab dich sehr gern und-“ „Tut mir Leid“, wehrte er endlich ab, nachdem sie es endlich ausgesprochen hatte und stand dabei bereits wieder auf. „Ich denke, es wäre besser, wenn du dir jemand anderen suchst. Ich mag dich als Freundin, aber da wird mit Sicherheit nicht mehr daraus. Du musst dir keine Hoffnungen machen.“ Blythe wurde augenblicklich blass. „A-aber...“ Diese brüske Abweisung tat ihm selbst ein wenig Leid, aber er hielt es für besser, ihr direkt zu sagen, dass es umsonst war, auf ihn zu hoffen. Egal, was seine Freunde alle glaubten, er empfand nicht mehr als Freundschaft für Blythe – und er zweifelte daran, jemals mehr für irgendwen empfinden zu können. „Du solltest lieber nach Hause gehen und schlafen“, sagte er noch, ehe er sich verabschiedete und davonging, um sich an seinen eigenen Rat zu halten. Dabei fragte er sich, bereits in Gedanken versunken, warum er eigentlich dauernd irgendwelche Liebeserklärungen abweisen musste, obwohl er keinerlei Interesse daran hatte und bemerkte dabei nicht, dass Blythe ihm mit vor Wut tränenden Augen und geballten Fäusten hinterhersah – und er ahnte auch nicht, dass es das letzte Mal sein würde, dass er sie lebend sah. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)