Loving You Is Killing Me von Shunya (Liebe auf den letzten Blick) ================================================================================ Kapitel 1: L_Leider ------------------- Da sitzt er! Boah, wieso muss es ausgerechnet der da sein?! Blonde Haare, eine riesige Brille, die ihm nicht mal steht und dann diese nichtssagenden Klamotten! Und den hab ich in meinem Traum auch noch geheiratet und sogar geküsst?! Hat sich jetzt die ganze Welt gegen mich verschworen?! Das Leben ist aber auch ungerecht! Ich sitze hier in meinem Versteck, hinter einem blauen Mülleimer und einigen Bücherregalen und sehe zu meinem nächtlichen Alptraum. Der Nerd namens Peter Harmon, von allen aber nur Pete genannt, geht leider auch noch in meine Klasse. Sehr zu meinem Kummer. Da kann ich ihm ja nicht einmal aus dem Weg gehen! Wir sehen uns also fünf Tage die Woche und das ungefähr acht Stunden täglich. Das ist einfach nicht fair! Wieso habe ich überhaupt von ihm geträumt?! Ich stehe noch nicht mal auf Kerle! Schon gar nicht auf solche Streber wie Pete! Wimmernd sitze ich hier in meiner Ecke und bemerke sehr wohl die skeptischen Blicke meiner Mitschüler. Die wissen ja auch nichts von meinem Leid! Immerhin wurde ich in der letzten Nacht zwangsverschwult! Die wissen ja gar nicht, wie schlimm das ist! Jemand hat sich gegen mich verschworen! Er oder sie da oben hat mich zu einem Spielball gemacht, den es nun ins gegnerische Tor zu schießen gilt. Aber ohne mich! Da mache ich nicht mit! Hätten die Beiden da oben wohl gerne! Ich hab sie durchschaut und ohne mein Zutun kann mir keiner etwas in die Schuhe schieben, was ich nicht will! Und ich will Pete nicht!!!! Oh Gott! Hat er gerade hergesehen?! Tatsächlich! Wie hat er mich entdeckt? So auffällig bin ich doch gar nicht! Hey, ich bin komplett schwarz! Wie soll ich da bitte in meiner kleinen Ecke großartig auffallen? Hängt über mir in der Luft ein Pfeil, der direkt auf mich zeigt?! Nein...! Jetzt kommt er auch noch zu mir. Pete, bleib wo du bist! Ich will nichts von dir! Lass mich in Ruhe! Du stellst dich nicht auf die Seite der beiden Idioten da oben, die sich gegen mich verschworen haben! Glaub mir, das willst du nicht! „Hallo, Ewan!“, begrüßt er mich freundlich, bleibt vor mir stehen und schaut auf mich herunter. Wie konnte er mich nur finden? Liegt das an seiner Intelligenz? Oder liegt es daran, dass ich an ihn gedacht habe? Natürlich habe ich nicht an ihn gedacht! Soweit kommt es noch! Er ist immerhin schuld an meinem Alptraum! „Hey!“, murre ich ihn zickig an und sehe bitterböse zu ihm, durch meine Sonnenbrille, auf. Der hat mich immerhin geküsst! Ohne meine Erlaubnis! Doofer Pete! Peter geht vor mir in die Hocke, seine Schulbücher auf den Knien abgelegt. „Ich freue mich schon auf unseren Schulausflug.“, erzählt er mir freudig. Schön für ihn. Ich freue mich so gar nicht! Was ist daran überhaupt toll? Dann muss ich ihn nämlich einen ganzen Tag lang ertragen. Das überlebe ich bestimmt nicht! Ich bleibe stur in meiner Ecke sitzen und sage kein Wort mehr. Wenn er noch irgendetwas von mir will, soll er es sagen. Mir wäre es jedenfalls lieber, wenn er geht, damit ich endlich meine Flucht antreten kann. Wenn er so vor mir sitzt, ist es irgendwie unheimlich. Er könnte sich immerhin jeden Augenblick vorbeugen und mich küssen! Das wäre furchtbar! Moment! Der kleine Peter ist ja gar nicht schwul! Hah! Was rege ich mich da also so sehr auf? Ist doch alles in bester Ordnung! Er will nichts von mir! Mit einem dümmlichen Grinsen sitze ich nun vor Peter, der mich besorgt mustert. Ja, der Ärmste weiß auch nichts von meinem Leidensweg. Wie gut, dass von dem Traum keiner außer mir weiß. Sonst hält mich wirklich noch jemand für schwul! Peter greift mit seiner Hand nach meiner Wange. Moment mal! Was macht er da? Was soll das? Ist der doch plötzlich schwul? Nein, Peter! Tu' mir das bitte nicht an! Du willst das doch gar nicht! „Alles in Ordnung? Du siehst so blass aus.“, stellt er besorgt fest. Er legt den Kopf schief und seine Hand gleitet von meiner Wange, hoch zu meiner Stirn. Perplex sehe ich ihn an. Natürlich! Was mache ich mir hier auch für Gedanken. Er will wirklich nichts von mir. Ist auch gut so. „Ich bin nicht krank.“, erkläre ich ihm beruhigt. Und ich dachte schon, der will mir an die Wäsche gehen! Was mache ich mir hier überhaupt ständig für Sorgen? Ist doch alles in Butter! Peter nimmt lächelnd seine Hand von meiner Stirn, scheint aber noch immer nicht aufstehen und weggehen zu wollen. Okay, dann muss ich das wohl machen. Ciao, meine kleine Ecke! Du warst mir nicht sehr hilfreich. Ich erhebe mich und wieso auch immer, Pete macht es mir gleich. Leicht verwirrt sehe ich ihn an. Er scheint es zu bemerken, denn er deutet auf die Uhr, die in der Schulbibliothek hängt. „Du gehst doch auch zur Klasse, oder? In fünf Minuten klingelt es.“, klärt er mich auf. Noch immer leicht verwirrt nicke ich. Er grinst und geht voran. Empört sehe ich ihm nach. Wie kann er entscheiden, wo ich hingehen will?! Was wäre denn, wenn ich woanders hingegangen wäre? Aber nein, Pete weiß es mal wieder besser! Na und, dann muss ich eben in die gleiche Richtung! Purer Zufall! Immerhin gehen wir in dieselbe Klasse. Ganz toll! Jetzt stehe ich hier im Regen und werde bis auf die Haut klatschnass. Ich war so schlau und hab nur meine dünne Jacke angezogen. Mir ist jetzt schon eiskalt. Die Anderen haben sogar einen Regenschirm dabei und keiner lässt mich mit drunter! Nennt man so etwas etwa Klassengemeinschaft?! Ja, meine Klasse ist voller Egoisten! Natürlich bin ich die Ausnahme! Plötzlich legt sich ein Schatten über mich und ich sehe zu der Person neben mir. Endlich ist jemand so nett und lässt mich unter seinen Schirm. Mein Herz sackt augenblicklich in den Keller. Peter! Das war ja so was von klar! „Morgen, Ewan! Schade, dass heute so schlechtes Wetter ist, nicht wahr? Dabei habe ich mich so sehr auf den Ausflug gefreut!“, erzählt er mir enttäuscht und mit heruntergezogenen Mundwinkeln. Wer will das wissen? Ich bestimmt nicht. Ich bin froh, wenn der Ausflug nicht stattfindet, umso weniger muss ich Pete ertragen. Also brumme ich nur auf seinen Kommentar hin. Leider bekomme ich ihn damit auch nicht zum Schweigen. „Weißt du? Ich habe mich im Internet informiert und wir hätten wirklich viel zusammen unternehmen können. Ich habe alles ausgedruckt! Wenn du möchtest, zeige ich es dir nachher mal.“, erzählt er und sieht mich mit einem aufforderndem Lächeln an. Seit wann ist er denn schon beim Wir? Muss ich mir jetzt etwa doch noch Sorgen machen? Ich will doch gar nichts von ihm! Wann bekommt er das endlich in seinen Kopf? Ich meine, er ist doch so intelligent, dann müsste er doch eigentlich von selbst drauf kommen?! Und nun wartet er immer noch auf eine Antwort von mir. „Nee, lass stecken.“, antworte ich ihm abweisend. Vielleicht versteht er dann endlich, dass ich nicht mit ihm reden möchte. Genervt stecke ich meine Hände in die Hosentaschen und ziehe die Schultern hoch. Mir ist so kalt. Gestern ging es mir noch gut! Wie lange dauert das denn noch? Wo bleibt der dämliche Bus? Ich will endlich nach Hause! Und dann muss ich unbedingt mit Sarah reden! So geht das nicht weiter. Ich habe schon wieder nicht schlafen können. Immer wieder dieser dämliche Traum! Irgendwann kippe ich noch mal um. „Ewan, kannst du mal kurz den Schirm halten? Ich muss meine Fahrkarte suchen.“, bittet Pete mich und holt mich somit aus meinen Gedanken heraus. Wie gerne wäre ich bei ihnen geblieben. Ich nicke nur und nehme ihm fröstelnd den Schirm ab. Geschäftig wühlt er in seiner Tasche herum. Wie kommt es eigentlich, dass er mich dauernd mit meinem Vornamen anredet? Ich weiß selber, wie ich heiße. Da braucht er mich nicht ständig daran zu erinnern! „Hab sie!“, meint Pete triumphierend und sieht mich mit strahlenden Augen an. Ganz toll, Pete! Willst du jetzt einen Keks haben? Pech gehabt, die sind aus. Stur sehe ich wieder auf die Straße vor mir. Bus, wo bleibst du? Ich vermisse dich. Und ich will ganz schnell nach Hause! Überrascht sehe ich zum Griff des Schirms. Peter will ihn mir wieder abnehmen und berührt dabei meine Hand. Es ist eiskalt! Wie kann es dann sein, dass seine Hand so herrlich warm ist? Wie paralysiert sehe ich auf seine Hand, bemerke gar nicht, dass er mich ansieht, weil ich den Schirm nicht loslasse. „Ewan?“ Noch immer starre ich auf seine Hand. Wieso sehne ich mich auf einmal so sehr nach Wärme? Liegt es daran, dass ich klatschnass bin? Ob der Rest von ihm auch so warm ist? Ich hab das Gefühl, dass meine Klamotten längst ganz aufgeweicht sind. Ewan! Reiß dich zusammen! Woran denkst du da überhaupt?! Abrupt lasse ich den Schirm los und beinahe fällt er zu Boden, weil Peter so überrascht ist. Im Reagieren ist er jedenfalls schon mal ziemlich schnell. Ich sehe ihn noch einen Moment an, bevor ich meinen Blick wieder auf die Straße richte. Meine Hand schiebe ich zurück in die Hosentasche. Da, wo Pete mich berührt hat, kribbelt es stark. Ich rümpfe angesäuert die Nase. Bei Peters Anwesenheit mutiere ich noch zu einem Weichei. Was soll das? So bin und will ich gar nicht sein! Das ist doch sowieso nur die Schuld von diesem Traum! Wenn ich den nicht gehabt hätte, würde ich auch ganz sicher nicht so über Pete denken. Das ist doch der reinste Schwachsinn! Ich habe keine Gefühle für Pete und dabei soll es auch bleiben! Endlich kommt der Bus. Ich lasse Peter stehen und gehe direkt vorne zum Einstieg, kaufe ein Ticket und stemple es ab. Nach einem kurzen Blick durch den Bus beschließe ich, wie immer, nach ganz hinten zu gehen. Irgendwie habe ich ein mieses Gefühl und meine Nackenhaare richten sich auf. Peter folgt mir! Ich hab es im Gefühl! Noch drehe ich mich nicht um, zwinge mich weiterzugehen. Wieso verfolgt er mich? Was will er denn nun schon wieder von mir? Ich setze mich in eine Ecke in der letzten Reihe und sehe mich um. Was war das denn? Er ist mir ja gar nicht gefolgt! Er ist nicht mal im Bus drinnen! Überrumpelt sehe ich nach draußen. Ah, er scheint einen anderen Bus zu nehmen. Auch gut, dann habe ich meine Ruhe! Trotzdem sehe ich wie gebannt zu ihm hin. Er starrt auf den Boden und als hätte er es bemerkt, sieht er auf einmal zu mir. Ich erschrecke und sehe schnell zur Seite. Was soll das? Wieso benehme ich mich auf einmal so zimperlich? Das ist ein freies Land, ich kann hinsehen wo ich will! Ich sehe wieder nach draußen und schon wieder treffen sich unsere Blicke. Kann er nicht woanders hinschauen? So interessant bin ich nun auch wieder nicht. Obwohl ich zugeben muss, dass ich mich hier im Bus, wie ein Tier im Zoo fühle. Ich bin hier gefangen und kann seinem Blick nicht entweichen. Mit einem Ruck fährt der Bus plötzlich los. Ich sehe überrascht nach vorne, aber als ich wieder zu Pete sehen will, ist er bereits aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich seufze und lehne mich in meinem Platz zurück. Schön tief in den Sitz hinein und schließe meine Augen. Ein bisschen dösen tut mir sicher gut. Ich fühle mich immer noch nicht besser. Habe ich mich erkältet? Ich erinnere mich plötzlich wieder an gestern. Woher wusste Pete, wie es mir ging? Es scheint als hätte er schon vorher bemerkt, dass ich krank werden würde. Schon komisch. Der Bus hält an meiner Haltestelle an und beinahe verpasse ich meinen Ausstieg. Mühsam rappel ich mich auf und verlasse den Bus. Ich bin etwas wackelig auf den Beinen. Das ist doch einfach nur nervig. Ich habe keine Lust krank zu werden! Ich schlurfe, wieder die Hände in den Hosentaschen vergraben, die Straße entlang und biege in eine Seitenstraße ab, die lediglich für Passanten zugänglich ist. Ich öffne die Tür des Zaunes, der mein Familienhaus umgibt und gebe mir nicht die Mühe, ihn hinter mir zu schließen. Dann gehe ich den kurzen Weg zur Haustür über den Kies, vorbei am Vorgarten. Ich lebe in einem blauen Haus. Wer kommt auf die Idee und malt sein Haus blau an? Ich bin doch kein Schlumpf! Obwohl ich mich gerade so fühle. Ich schließe die Haustür auf und betrete das Einfamilienhaus. Zwei Stockwerke, auf denen ich mich kaum aufhalte. Man glaubt es kaum, aber in diesem winzigen Haus gibt es sogar eine Sauna und einen Pool. Mein Reich befindet sich auf dem Dachboden. Dort habe ich sogar mein eigenes Badezimmer. Okay, im Sommer ist es die Hölle. Man hat das Gefühl da oben einzugehen, aber ansonsten habe ich wenigstens meine Ruhe. Und die ist mir heilig! Meine Eltern stecken mitten in einer Scheidung. Das ist einfach nur nervig. Sie streiten zwar nicht ständig, aber es ist immer ein komisches Gefühl, mit den Beiden unter einem Dach zu leben. Sie leben einfach aneinander vorbei, als gäbe es den jeweils anderen nicht. Was ist nur passiert? Früher haben sie sich geliebt und waren unzertrennlich. Haben sie sich einfach nur auseinander gelebt? Ich weiß es nicht. Mit mir redet ja auch keiner darüber. Sie wollen nur wissen, bei wem ich leben möchte. Wenn es nach mir geht, wohne ich lieber alleine. Dann muss ich mich auch nicht entscheiden. Welche Eltern stellen ihr Kind vor solch eine Entscheidung?! Das ist doch selten dämlich! Jedenfalls will ich davon nichts wissen. Die sollen mich bloß mit ihren Problemen in Ruhe lassen und sie mir nicht auch noch aufhalsen. Wissen die überhaupt, wie es gerade in mir aussieht?! Ich stecke mitten in einer Krise und die Beiden haben nichts Wichtigeres zu tun, als einen Krieg auszufechten, wer das Haus behalten darf und zu wem das Sorgenkind kommt. Scheinbar will mich nämlich keiner von ihnen haben. Was soll das? Bin ich auf einmal nichts mehr wert? Zur Hölle, ich bin ihr Kind! Okay, ich bin ziemlich mies in der Schule und strenge mich auch nicht wirklich an. Wozu auch? Über die Hälfte davon brauche ich später sowieso nicht mehr. Wenn überhaupt. Schule ist die reinste Zeitverschwendung. Am Besten ich sage ihnen gar nicht, dass ich schon wieder eine Arbeit nachschreiben muss. Sonst liegen sie mir damit auch noch in den Ohren. Momentan läuft es nämlich so weit, dass sie gar nicht mehr mit mir reden. Als würde ich überhaupt nicht existieren. Und so was schimpft sich Eltern! Ich ziehe meine Jacke aus und hänge sie im Flur an den Haken. Das Licht ist ausgeschaltet und so ist es ziemlich düster im Haus. Scheint noch keiner außer mir daheim zu sein. Ich streife mir die dreckigen Schuhe ab und pfeffere sie in die nächste Ecke, direkt gegen die polierten Lederschuhe meines Vaters. Na, der wird sich freuen. Ich schleppe mich in die Küche und sehe im Kühlschrank nach, ob sich dort etwas Essbares befindet. Ich schnappe mir einen Joghurt und suche in einer Schublade nach einem Löffel. Dann setze ich mich an den Esstisch und beginne meine karge Mahlzeit. Wahrscheinlich muss ich mir später noch etwas Richtiges kochen. Eigentlich habe ich gar keine großen Appetit. Mit einem flauen Gefühl im Magen, schiebe ich den Joghurt von mir, nachdem ich die Hälfte gegessen habe. Ich stehe auf und gehe die Treppe nach oben. Im zweiten Stock hieve ich meinen Körper noch eine weitere Treppe hoch und dann bin ich endlich in meinem Zimmer. In die kurzen Seiten der Dachschräge habe ich Bücherregale eingebaut, die bis ganz nach oben reichen. Direkt neben der Tür steht eine Leiter. Im vorderen Bereich ist mein Schreibtisch mit einer ganzen Reihe an Kommoden. Ich gehe weiter nach hinten und lasse mich auf mein Bett fallen. Das Bett, dass mich hinterrücks von Pete hat träumen lassen! Sogar meine Möbel hintergehen mich und lassen ihren armen Besitzer im Stich! Dabei pflege ich sie doch immer so gut! Und das ist dann der Dank dafür. „Pete...“, murmele ich und schließe meine Augen. Der Junge tut mir wirklich nicht gut. Als ob mein Leben nicht schon kompliziert genug wäre, werde ich noch von Alpträumen geplagt. Es hat sich wirklich jemand gegen mich verschworen! Ein durchdringendes Klingeln reißt mich aus meinem Dämmerschlaf. Ich bleibe liegen und rege mich keinen Zentimeter. Ich bin nicht da. Mich gibt es gar nicht. Ich bin nur eine Einbildung. Leider scheint es die Person an der Haustür anders zu sehen, denn es wird unbarmherzig weiter auf die Klingel gedrückt. „Geh weg, ich bin nicht da!“, jammere ich und wälze mich ächzend vom Bett. Doch mir wird der Gefallen nicht getan und so schlurfe ich von meinem Zimmer wieder den ganzen Weg runter zur Haustür. Tja, heutzutage wird auf kranke Leute auch keine Rücksicht mehr genommen. Wenn es der Postbote wäre, würde ich ihn einfach ignorieren, aber bei dieser Person geht das einfach nicht. Schwerfällig öffne ich die Tür und sehe das Mädchen vor mir grimmig an. „Na, alles fit im Schritt?“, begrüßt Sarah Cabot mich fröhlich und betritt einfach das Haus. Wozu auch an Formalitäten halten? Sie geht hier inzwischen ein und aus, als würde sie hier wohnen. „Ich bin krank, aber da unten ist noch alles funktionsbereit.“, erwidere ich müde und schließe die Haustür. Wieso nur komme ich mir gerade vor, wie ein Butler? Ich folge Sarah nach oben in mein Zimmer, wo sie erst mal ihren Rucksack entleert und alles auf meinem Bett verstreut. Ich schnappe mir die Chipstüte, während sie noch einmal in die Küche läuft, um uns Cappuccino zu machen. Wenigstens eine Person umsorgt mich, wenn es mir mal nicht so gut geht. Mit zwei dampfenden Tassen bewaffnet kommt sie wieder zurück. Bevor ich mir auch noch die Zunge verbrenne, warte ich aber lieber noch eine Weile, bis der Cappuccino nicht mehr ganz so heiß ist. Sarah fläzt sich neben mir aufs Bett und sieht mich an. Ich kenne diesen Blick. Sie will wissen, was wirklich mit mir los ist. Wieso merken Frauen immer sofort, wenn etwas nicht stimmt? Irgendwie scheinen die dafür ein Gespür zu haben. „Ich habe Peter geheiratet.“, bringe ich mühsam heraus. Sarah sieht mich mit großen Augen an. Dann fällt sie mir plötzlich um den Hals. „Herzlichen Glückwunsch!“, meint sie freudig. Doch ich wehre sie ab und schiebe sie von mir weg. „Gar keinen Glückwunsch! Das ist die Hölle! Ich habe von ihm geträumt, dass ich ihn heirate! Das ist doch krank!“, erkläre ich ihr entgeistert. Sie sieht mich mit schief gelegtem Kopf an. „Wer ist eigentlich Peter?“, fragte sie mich. Sprachlos sehe ich sie an. Dann seufze ich. „Mein Mitschüler, dieser Nerd von dem ich dir erzählt habe.“, kläre ich meine Freundin auf. „Ah, von dem Klassenfoto! Der ist süß!“, meint sie und zwinkert mir verschwörerisch zu. „Für dich vielleicht! Ich stehe nicht auf Kerle!“, beharre ich auf meine sexuelle Neigung und stopfe mir einen Stapel Chips in den Mund. „Eine Freundin hast du aber auch nicht.“, merkt sie an und schlürft genüsslich ihren Cappuccino. Ich sehe Sarah schmollend an. „Musst du mir das auch noch auf die Nase binden?“ Ich lasse mich nach hinten aufs Bett fallen und sofort kommt sie angekrochen und kuschelt sich an mich. „Willst du nicht meine Freundin werden?“, frage ich sie. Sie schüttelt heftig den Kopf. Es ist ein unausgesprochenes Gesetz, dass zwischen uns beiden nie etwas laufen würde. Sie will nichts von mir und ich will nichts von ihr. Wir sind Freunde, nicht mehr und nicht weniger. „Aber ich träume neuerdings ständig denselben Alptraum. Ich stehe mit ihm in der Kirche, er küsst mich und dann wache ich auf. Ich meine, was soll das? Hat das irgendetwas zu bedeuten? Ich will nichts von diesem Nerd mit der dämlichen Brille! Ich kriege davon nicht mal eine Erektion. Es ist ein richtiger Alptraum!“, meckere ich und sehe Sarah neben mir an. „Sag mal, schläfst du?“, frage ich sie empört. Sie schlägt die Augen auf und sieht mich an. „Stör mich nicht, ich denke nach.“, meint sie und dreht sich um. Ihr Kopf liegt auf meinem Arm und sie scheint wirklich zu überlegen. Dann sieht sie mich ernst an und ich werde unruhig. Was hat sie mir zu sagen? „Ich habe keine Ahnung.“, meint sie schlicht, setzt sich wieder auf und schnappt sich ihre Tasse. Wie jetzt? Das war es? Mehr hat sie nicht zu sagen? Perplex starre ich auf Sarahs Rücken. „Das muss doch etwas bedeuten! Ich meine, man träumt doch nicht alle Tage davon seinen Mitschüler zu küssen!“, werfe ich beharrlich ein. Sarah dreht sich zu mir um und sieht mich einen Moment lang schweigend an. „Vielleicht willst du ihn ja küssen? Also, unterbewusst. Du bist längst in ihn verliebt, aber das ist in deinem Gehirn noch nicht angekommen.“, meint sie und trinkt ihren Cappuccino, während sie mir weiterhin in die Augen sieht. „Ich bin nicht in Pete verliebt und ich will ihn ganz sicher nicht küssen!“, murre ich und ziehe die Stirn kraus. Den will ich ganz sicher nicht küssen. „Aber ich glaube, der will was von mir. Der läuft mir ständig hinterher.“, brumme ich. Sarah sieht mich lachend an. „Du hast einen Stalker!“ „Oh Gott! Nein! So was kann ich nicht gebrauchen! Außerdem benimmt er sich nicht wie ein Stalker. Ich hab nur immer das Gefühl, dass er da ist und wenn ich mich umdrehe, sehe ich ihn. Das ist ein ganz komisches Gefühl. Er wusste gestern schon, dass ich krank bin. Das ist doch merkwürdig! Meinst du nicht?“, erzähle ich ihr und richte mich auf. „Ein Alien!“, meint sie plötzlich mit großen Augen. Ich muss lachen. Sarah ist wirklich eine verrückte Nudel. Selbst wenn es mir mies geht, schafft sie es doch tatsächlich mich von meinem Kummer abzulenken. „Ich glaube, ich bin ein Alien und nicht Pete.“, überlege ich und nehme mir meinen Cappuccino. Ich puste und trinke langsam einen Schluck. „Ist doch so. Mir geht’s scheiße und ich kippe mich hier mit lauter ungesundem Zeug zu. Wie kann es mir da noch gut gehen?“ Ich sehe zu Sarah und die nickt mir bestätigend zu. Ich grinse und boxe ihr leicht gegen die Schulter. „Du darfst mir da doch nicht zustimmen!“, erwidere ich lachend. „Ich hab Hunger.“, jammert sie plötzlich. Als ich ihr jedoch die Chipstüte vor die Nase halte, schüttelt sie den Kopf. Ich seufze. „Okay, ich rufe den Lieferservice an. Chinesisch?“, schlage ich vor und Sarah stimmt mir begeistert zu. Sie liebt die asiatische Küche genauso sehr wie ich. Am Besten, ich bestelle gleich etwas für meine Eltern mit, dass sie dann nur aufwärmen müssen, wenn sie heimkommen. Also schnappe ich mir mein Handy und gebe die Bestellung auf. Plötzlich beugt Sarah sich zu mir vor und sieht mir in die Augen. „Wa-was ist?“, frage ich sie überrascht. „Soll ich dir mal was sagen?“, fragt sie und ich sehe ein gefährliches Leuchten in ihren Augen. Skeptisch nicke ich. „Du bist verliebt, Emo Boy.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)