Lovers Eyes von Sengo-sun (Sherlock/John) ================================================================================ Kapitel 1: Der Besucher ----------------------- Eine ziehende Stille ergoss sich, dem Leichentuch über verblassendes Leben gleich, über das grüne Gras, welches sich im Anblick des gräulichen Herbsttages blass verfärbte. Feuchtigkeit tänzelte in Nebelschwanden über der Erde, wirkte wie alleigelassene Geister, die verirrt über Steine strichen, als könnten sie darunter ihren verstorbenen Körper wiederfinden. Rauschen erfüllte die Luft, es erzeugte eine kalte Welle von ehrfürchtigen Schauern bei dem Zuhörer, der an dramatische Filmszenen zurückdachte. Die Sonne kroch langsam über den Rand des nächtlichen Horizonts, Laternen gaben ihr flackerndes Licht auf die große Fläche preis. Kies knirschte unter schweren Fußsohlen, Blumen lagen wie deplatzierte Farbkleckse auf Gräbern. Ob weißlicher Marmor oder schwarzer Granit, es war egal, überall waren abgeschnittene, nun sterbende Blumen zu finden. Fast schon wie eine Art Opfergabe an die Verstorbenen, als Beweis für die Besucher, dass sie sich immer noch erinnerten an das Leben mit den Beerdigten. Auch wenn dies wohl nicht mehr der Wahrheit entsprach. Der Besucher, welcher seit geraumer Zeit dastand, blind auf den Grabstein unter dem Baum starrte, in den Händen keinerlei Opfergabe für den Toten, verzog schmerzhaft das Gesicht. Wahrheit. Bitter und sauer schmeckte das Wort in seinen Gedanken. Wahrheit war dehnbar, man musste aus ihr nur eine Idee schaffen, um anschließend eine gänzlich neue Wahrheit zu erschaffen. Er ballte die Hände zu zitternden Fäusten. Verlust. Ja, dieses Wort begleitete Wahrheit. Verlust in vielerlei Hinsicht. Irgendwo hinter dem Besucher erklangen die Töne einer Glocke, sie schallten schwerfällig über die grüne Ebene, gespickt mit Steinen und Statuen, sowie wispernden Bäumen. Der Klang erreichte den Besucher, durchdrang dessen Körper, blieb in dem nur mühsam pochenden Herzen hängen und ließ sein Requiem gleiches Läuten darin schallern. Schwer zogen sich die Lungenflügel zusammen, bemühten sich weiterhin ihre Funktion auszuführen. Während weiterhin das Echo des Glockengeläut in ihnen Resonanz fand. Die angespannten Hände sanken herab, Spannung verflog und wurde von trübsinniger Lethargie erfasst. Beben ergriff den Körper des Besuchers, ein Beben, dass unterschwellig begann um sein großes Crescendo in mitten des Geistes zu vollenden. Es ließ den Körper erzittern, ebenso die Seele darin. Es gab Menschen, die glaubten, Seele und Körper seien getrennt, doch der Besucher war sich sicher: so wie er jetzt fühlte, was er jetzt verspürte, ging durch alle Verbindungen zwischen Körper und Seele und bezeugte ihm, dass beide zueinander gehörten, fest verschmolzen waren. Eins waren, ein ewiger Kreis. Die Luft wurde kühler, je weiter die Sonne den Horizont erklomm. Die Feuchtigkeit krabbelte langsam die Beine des Besuchers empor. „Bitte, tu mir einen Gefallen: sei nicht tot.“ Zuerst waren sie gedacht, dann ausgesprochen worden: Worte aus Verzweiflung, perfidem Unglauben, geboren aus dem Universum des Nicht- Wahrhaben- Wollens. Es zerriss die Brust des Besuchers, die überquoll vor Erinnerungen, nicht von der Zeit zerfressene Phantasiegebilden, sondern aus frischen, beinahe jungfräulichen Erinnerungen. Zittern ergriff den Besucher, als dieser den Kopf schüttelte – mal wieder, zum tausenden Male, während er hier stand, das Grab anstarrte – nein, nicht das Grab, sondern die Inschrift. Knirschend mahlten Zähne aufeinander, während der Besucher erneut den Kopf schüttelte, dies war nicht wahr! Dies gehörte nicht zur Realität, all dies war ein Spiel, ein gottverdammtes, verkapptes Spiel! Er wusste es, er fühlte es! Und sein Instinkt hatte ihn niemals getäuscht! Wütend, hilflos vor Verzweiflung presste er die Augen fest zusammen, hinter der Dunkelheit seiner Lider, verspürte er das dumpfe Brennen von Tränen. Tränen, die immer wieder gegen seine inneren Mauern rollten, ausbrechen wollten, doch er weigerte sich partout dagegen. So leicht konnte kein Genie sterben! Es war nicht möglich! All dies war nicht möglich. Schmerz durchzuckte den tauben Körper des Besuchers, doch er ignorierte diesen, bis bitterer Metallgeschmack seine Zunge bleiern werden ließ. Ruckartig riss der Besucher die Augen auf. Betastete seine Lippen, spürte etwas Feuchtes, zerrieb das Rot auf seinen Fingern, ehe er ein Taschentuch hervorhob und seinen Mund abtupfte. Er schloss kurz die Augen. Er wünschte jemand anderes würde dies tun… Die Kraft verließ ihn und er spürte, dass es Zeit war diesen Ort zu verlassen. Somit kehrte John dem Grab den Rücken zu und ging mit dem stetigen Gefühl den forschenden Blick zweier grauer Augen zu spüren, wie er seinen Rücken auf und ab glitt, immer wieder, als suche er nach dem richtigen Augenblick. Doch John wusste es besser: da existierte keine schlanke Silhouette, gekleidet in schwarzen Stoff, umrahmt von einer Aura silbriger Genialität. Da waren nur der Schatten eines Baumes und das Rauschen des Windes in dessen Wipfeln. Johns Gesicht verzog sich vor innerem Schmerz, keuchend zischte sein Atem zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor. Das Uhrwerk der Zeit drehte sich weiter, mitten drin der beweglose Körper des Soldaten mitsamt dem Geist eines treuen Gefährten. Die Zahnräder drehten sich tickend weiter, begannen zu zermalmen was dazwischen geriet und die Zeit, diese mechanische Bestie verschlang Sekunde um Sekunde um seinen Betrieb fortzusetzen. Es war hoffnungslos diese Maschinerie aufzuhalten und zum Zurücklaufen zu bewegen, dies wusste John, dennoch versagte sein Gehirn dabei seinem Herz weißzumachen, dass Sherlock Holmes unmöglich tot sei. Aber die Zeit drehte sich weiter, immer weiter und riss John mit sich, unbarmherzig und unbeugsam. John verließ den Friedhof mit dem Wissen, dass es nicht lange dauern würde, bis er paralysiert vom Ablauf des Lebens erneut hierher kommen würde. Wie sooft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)