The Darkside von somali77 ================================================================================ Kapitel 5: Bruderliebe ---------------------- ~ Er hatte nicht richtig getroffen. Einer der Querschläger hatte Itachi am Brustkorb verletzt und jetzt krümmte er sich gurgelnd und japsend am Boden. Er erstickte an seinem eigenen Blut. Sasukes Hände zitterten viel zu sehr. Seine Handflächen waren so rutschig dass ihm die Waffe beinahe aus der Hand fiel. Er versuchte zwischen die Augen zu zielen, aber er konnte nicht mehr abdrücken. Es war unmöglich. Mit zusammengebissenen Zähnen stand er da wie gelähmt, unfähig sich von dem furchtbaren Anblick vor seinen weiten Augen auch nur abzuwenden. „Sasuke“, japste Itachi. Seine Stimme war leise und kraftlos. „Das hast du... gut gemacht. Danke dir“ Langsam sank die Hand mit der Waffe herunter. Sasuke fiel auf die Knie. Sein Gesicht war eine Maske aus Schrecken. Unter ihm färbte sich der Boden rot. Ein Teppich aus Blut. Genau wie damals. „Sie wollten dir-... weh tun. Weißt du“ Er spürte wieder, wie das Blut in seinen Ohren zu pochen begann. Die Sicht vor ihm verschwamm zu Schlieren von rot. Irgendwo vor ihm tanzte Itachis verzerrtes, trauriges Lächeln in seinem Albtraum. „So wie-... mir auch“ Er spürte zwei Finger an seiner Stirn. Eine Flut von Erinnerungen stürzte auf ihn ein. Bildfetzen, Worte, Emotionen. Der liebevolle, sanfte Itachi. Dieses freundliche Stupsen mit zwei Fingern gegen seine Stirn. Der fürsorgliche, beschützende Itachi. Der Itachi, der immer ernster geworden war im Heim. Der immer weniger Zeit für ihn gehabt hatte. Er hatte immer seltener gegen seine Stirn gestupst. Der Itachi mit den viel zu leeren Augen, der ihn zum Spielen weggeschickt hatte. „Heute nicht, Sasuke“ „Ich muss noch etwas erledigen, Sasuke“ Wenn er es sich recht überlegte, war sein Bruder wirklich oft im Büro des Heimleiters gewesen. Weil er so ein Wunderkind gewesen war, hatten sie gesagt... Er spürte sich heimkommen über einen klebrigen, roten Teppich der nach rostigem Eisen stank. Es war totenstill in den Gängen. Das Heim war immer schon unheimlich gewesen, aber an diesem Abend war es ein Grab. Außer Itachi lebte niemand mehr. Keiner der Betreuer. Keiner seiner Freunde. Er hatte allen die Kehle aufgeschnitten. Mit einem Teppichmesser. Und dann hatte er ihn entdeckt. Die folgenden Minuten, das Grauen, die erstickende Angst als sein Bruder ihn durch das Gebäude gejagt hatte, würde er nie vergessen. Es hatte sich tief in ihn hinein gefressen, sorgfältig abgekapselt von jeder Gemütsregung. Er hörte noch die Worte in seinem Ohr. Du musst stärker werden, Sasuke, hatte er gesagt. Sonst erwischen sie dich, in dieser hässlichen Welt. Du musst noch stärker werden als ich. Und wenn du glaubst, dass es so weit ist... kommst du zurück zu mir und wir bringen alles zu Ende. „Was-...“, seine Stimme versagte. Es war viel zu still auf einmal an diesem schäbigen Ort, in diesem grauenhaften Augenblick. Irgendwo draußen, in der Welt außerhalb dieser schmutzigen Wände, rollte rumpelnd der Donner eines beginnenden Gewitters. Sasuke saß in Itachis Blutlache und sah seinem Bruder beim Sterben zu. „Warum?“, krächzte er kaum hörbar. Seine Kehle war wie zugeschnürt. „Wenn du-... Nur damit ich dich-..?“ Itachis Körper zuckte. Seine Augen glitten langsam zu. „Ich bin zu-... tief abgestürzt, kleiner Bruder“ Sasuke war unfähig auch nur einen Muskel zu rühren. Er konnte nur da sitzen und mit weiten Augen zusehen. „Bei dem was war-... ist es gut, jetzt“, die blutigen Finger glitten kraftlos von seiner Stirn, beschmierten die blasse Haut mit tiefdunklem Rot. Die Zeit in dem kleinen Zimmer schien still zu stehen. Itachi lächelte. Ein dünnes Rinnsal von Blut sickerte ihm aus dem Mundwinkel. „Ich hab dich-... immer lieb gehabt, weißt du“, wisperte er. Sasuke sah die Welt in seinem Blickfeld verschwimmen. „Nein“, stieß er reflexhaft hervor. „Nein!“ Ungläubig, fassungslos spürte er, wie sich eine unnatürliche Ruhe in seinem Innern ausbreitete, obwohl er gerade noch das Gefühl gehabt hatte, in tausend Teile zu brechen. Ein warmes, schützendes Glücksgefühl flutete durch seine Adern, das ihn einhüllte wie einen Mantel und es wurde immer stärker. Er wusste sofort, dass es nichts mit normalen Gefühlen zu tun hatte. Die Droge begann zu wirken und sie wirkte mit voller Macht. Das Wissen allein brachte ihn noch mehr außer sich, er kämpfte erbittert um sein Recht auf Schmerz und Verzweiflung. Aber die Tränen versiegten zu schnell. Viel zu schnell wurde er ruhiger, egal wie sehr er versuchte dagegen anzukämpfen. Der goldene, künstliche Engelsgesang lullte ihn ein, betäubte ihn, zwang ihn zu Fassung und auf einmal schien es die beste Idee zu sein, sich einfach an der zerschossenen Brust des letzten Familienmitglieds das ihm genommen worden war, zusammenzurollen und mitten in all dem Blut an ihn gedrückt einzuschlafen. In hellem, vollkommenem Frieden zu schlafen und nie wieder aufzuwachen. Mit letzter Kraft wuchtete er sich in stummer Fassungslosigkeit nach oben, fand stolpernd, bis in die Grundfesten erschüttert den Ausgang. Die Metalltür nach draußen war nicht abgeschlossen. Ihn empfing eiskalter, strömender Regen und endlose Weite in jeder Richtung. Eine graue Welt aus Steppengräsern und niedrigem Gestrüpp. Über ihm rollte der Donner über die Fläche. Er hatte keine Ahnung wo er war, er wusste nur, dass er dort nicht bleiben wollte. Vielleicht, wenn er genug Abstand zwischen sich und das was passiert war brachte, konnte es ihn nicht mehr erreichen. Dann konnte er sich einreden, es wäre alles nie passiert. Seine Beine waren wie aus Gummi. Er schleppte sich vorwärts, verlor in kurzer Zeit jede Orientierung, jedes Zeitgefühl. In einer Grube aus Kies blieb er liegen. Unter dem weinenden Himmel rollte er sich zusammen, allein. Wie ein Embryo ohne Mutter. Ein Wesen, das es gar nicht geben sollte. So wie er im Grunde immer gewesen war. Das letzte was er wahrnahm war die kalte Nase eines Hundes, der aufgeregt über sein Ohr schnupperte und einen Ruf aus weiter Ferne, dann wurde es Nacht um ihn. ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)