The Darkside von somali77 ================================================================================ Kapitel 57: Erinnerung ---------------------- ~ In der Dunkelheit hallten Stimmen. Eine davon war vertraut. Sie erinnerte ihn an blondes Haar. Blond, wie goldene, wogende Weizenfelder unter einem blauen, blauen Himmel, an einem warmen Tag. Einem Tag wie diesem, als er am See gespielt hatte... in einem Meer aus Grashalmen an der Böschung, die größer waren als er. Insekten hatten gezirpt. Irgendwo in der Ferne klang das Knattern eines Rasenmähers oder eines kleinen Flugzeugmotors... und er war wieder dort, fünf Jahre alt, arglos und glücklich. Ganz still und mit angehaltenem Atem schlich er sich durch hohe Grasrispen an sein ahnungsloses Opfer heran, spannte die Muskeln zum Sprung-... wartete auf den perfekten Moment und warf sich dann mit lautem „Buh!“ und einem gewaltigen Satz in die Arme des Anderen. Itachi lachte. Sein Lachen war klar und hell. Man spürte jeden Knochen an ihm, aber er war warm und seine Hände waren immer sanft. Sasuke schmiegte sich an ihn. Er wusste, wie stark sein Bruder sein konnte. Er hatte gesehen, wie er im Training mit diesen sanften Händen in einem Schlag einen Stapel Bretter gespalten hatte, als hätte er eine Axt. Es machte ihn stolz. Richtig stolz. „Ich hab dich, ich hab dich!“, rief Sasuke aufgeregt, „Jetzt bist du tot!“ „Oh nein!“, der Itachi der Erinnerung umarmte ihn lachend, ging widerstandslos zu Boden und griff sich in dramatischer Geste an die Brust, „Du hast mich erwischt-... ohh... urgh-... grhh-...“ „Ich bin der Stärkste!“, verkündete Sasuke und kletterte triumphierend auf den Bauch seines Bruders, platzierte sich kniend auf ihm. Itachi griff ihn an den Seiten und stemmte ihn mit weitem Lächeln in die Luft über sich: „Das bist du!“ „Haha! Hey!“ Der Abend kam nie langsam. Er war immer einfach nur plötzlich da. Im einen Moment war es noch gerade am schönsten, die Sonne golden, die Luft weich wie Samt und voller Gerüche: Erde, Blätter, die sich leise kräuselnde Oberfläche des Wassers. Sonnenwarme Steine an denen man Eidechsen fangen konnte. Und im nächsten Moment konnte man kaum noch bis zum nächsten Schritt sehen. Sasuke floh an die Seite und an die warme Hand seines Bruders, die seine eigene sicher umfasste. „Gehen wir nach Hause, Sasuke.“ Er wollte nie wirklich nach Hause gehen. Die Wildnis am See war viel spannender. Aber wenn Itachi diesen sanften Ton für ihn anschlug, war es schwer, bockig zu sein. Viel schwerer als bei seiner Mutter. „Wenn wir groß sind, gehen wir zusammen ganz weit weg, ja?“, fragte er. Itachis warme Hand drückte ihn sanft. „Würde dir das gefallen?“ „Ja! Wir bauen ein Floß und fahren auf eine einsame Insel! Und da fangen wir Fische und machen Feuer und schnitzen spitze Stöcke! Und ich bin dann der König, und du bist der zweite König“ Itachis Lächeln konnte man in der Stimme hören: „Wenn du groß bist, möchtest du bestimmt lieber eine schöne Frau heiraten?“ Sasuke blickte auf in der Dunkelheit und ein plötzlicher Ruck von Emotion stieß ihn vorwärts. Er drückte seinen Kopf an die Hüfte seines Bruders und hielt ihn mit beiden Armen ganz fest. „Nein!“, klagte er, „Ich hasse schöne Frauen! Ich will nur mit dir zusammen sein, für immer und immer und immer!“ Itachi lachte. Es war ein weiches, helles Geräusch. Und als Sasuke mit großen Augen zu ihm aufsah, spürte er das kräftige Schnippen mit zwei Fingern gegen die Stirn. „Au!“, protestierte er und rieb sich beleidigt die Stelle. „Dummer, kleiner Bruder“, sagte Itachi liebevoll und seine schwarzen Augen glänzten im Licht der Straßenlaterne... ~ Jemand rief nach ihm. In der ewigen, kalten Dunkelheit rief jemand seinen Namen, und ihm wurde auf einmal klar, dass er längst allein war. Ganz allein... Alle waren fort. Es gab niemanden mehr. Sie hatten ihn alle verraten. Sie hatten ihn alle allein gelassen. Die Verzweiflung darüber, die ihm zum ersten Mal vor vielen Jahren und danach immer wieder neu in die Knochen gefahren war, hatte eine Wunde gerissen, die nichts heilen konnte. Es würde für immer ein Loch bleiben, eine hässliche, harte Narbe die ihn entstellte, jedem zeigte, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung war. Und irgendwo, weit im Hinterkopf, einer tiefen Kammer seines Instinkts, wusste er dass er starb. Jetzt gerade. Einfach so. Allein. Er hatte immer Angst vor dem Tod gehabt. Aber jetzt, wo es passierte, blieb ihm einfach nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden. Es war genau so, wie Gaara gesagt hatte: Am Ende ging jeder Mensch in die Knie. Ausnahmslos jeder. Es war einfach nur eine Frage der Zeit. Widerstand war auf einmal so mühsam. Und er war... es so unendlich leid, zu kämpfen. Er wollte nicht mehr. Wozu auch? Es war alles sinnlos. Seine Kraft war verschwunden und es würde so leicht sein, einfach aufzugeben... Etwas rumpelte und als er sich für einen kurzen Moment in seinem Körper wiederfand, einen verschwommenen Blick in die äußere Welt werfen konnte, war alles ein Wirbel aus grellem Licht, rumpelndem, ratterndem Untergrund und Bewegung. Er schloss schnell die Augen wieder. Der Schmerz war nicht einmal das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass das Gefühl von Sehnsucht und Einsamkeit, diese unendliche Leere in ihm nicht verschwunden war. Es war noch viel stärker und übermächtiger als sonst. Jetzt, wo ihn keine Illusion von Kraft, keine Gedankenblockade mehr davor schützte, hatte er bittere, heiße Sehnsucht nach seiner Mutter. Nach seinem Bruder. Sogar Sehnsucht nach seinem Vater, irgendjemandem. Nur einmal noch eine Familie haben... eine Verbindung. Dieses Gefühl, nach Hause zu kommen. Etwas haben, wohin er gehörte. Da war kein helles Licht am Ende des Tunnels für ihn. Da war niemand, der die Hand nach ihm ausstreckte. Da war nur kalte, ewige Finsternis überall, die ihn tiefer zog, er war allein in der Asche aus seinem Hass. Und auf einmal wurde ihm klar: das musste die Hölle sein. In heftigem Ruck schoss Leben zurück in seinen Körper, er bäumte sich auf wie ein Fisch auf dem Trockenen, riss die Augen auf und sah für einen Moment wieder klar-... aber die Wirklichkeit war noch schlimmer: Fremde, Gegner, sie taten irgendetwas mit ihm-... er wollte schreien, aber es ging nicht, da war etwas in seinem Mund- und als er den Kopf zur Seite wand um sich zu wehren, kam der Schmerz. Er schlug in ihn ein wie ein Axthieb, zuckte ins Rückgrat, bis in seinen tiefsten Kern und brachte ihn dazu, hilflos die Finger in etwas zu graben, irgendetwas, einen Untergrund der ihn hielt-... „Er ist wach-... er ist wach, Achtung!“ „Verd-... gib ihm mehr Propofol!“ Jemand schloss die Arme um ihn, fing sein Gesicht ein, beugte sich schützend über ihn, küsste ihm die Stirn. „Sasuke“, wisperte er immer wieder, „Sasuke, Sasuke.“ Er schnaufte in würgenden, kurzen Stößen, immer dicht an der Panik, die drohte ihn zu überrollen, saugte vertrauten Geruch der ihn von allen Seiten umfing, Wärme, Nähe, Erinnerungen an goldene Haare und blaue Augen und wirre Sehnsucht aus der Ferne... Und dann verstand er auf einmal. Er hätte sich früher entscheiden sollen. Bevor er zurück in die Dunkelheit fiel, wo ihn nichts mehr erreichte, hatte er die vage Hoffnung- zum ersten Mal in einer traurigen Tradition falscher Entscheidungen- dass er eine davon nicht mehr lange bereuen musste... ~ Ein paar Mal kam er noch zu Bewusstsein. Es war ein unwirkliches, verschwommenes Driften aus einer satten Dosis von Schmerz- und Betäubungsmitteln in eine Wirklichkeit, in der er kaum seinen Körper spürte, geschweige denn wirklich verstand, was gerade mit ihm geschah. Später würde er sich an mechanisches Piepsen erinnern und Wärme um seine Hand. Eine Frauenstimme sagte etwas, das er nicht verstand. Die beruhigende Gegenwart bei ihm verließ ihn nicht. Sie war da, ein heller Schatten in seinen Träumen, ein sicherer Hafen in den hilflosen Phasen von Halbbewusstsein, in denen er weder sprechen, noch auch nur einen Finger bewegen konnte. Das nächste Mal als er wacher wurde, war als jemand mit vertrauter Stimme leise auf ihn einsprach und seine Panik beruhigte, die hochzuschwappen drohte, als die Welt sich drehte und kippte, als brennender, unguter Schmerz in seinen innersten Kern hineinzuckte und für eine ganze Weile pochend dort blieb... als er kaum noch Luft bekam und sein Kopf sinnlos, wie der einer Marionette mit durchgeschnittenen Fäden nach vorn baumelte. Dann wurde es plötzlich kalt und dunkel und laut überall... aber er fiel zurück in watteweiche Gleichgültigkeit und verlor das Bewusstsein. Das letzte Mal als er aufwachte, baumelte er kopfüber in einem endlosen Treppenhaus. Die ganze Welt war ein Treppenhaus, weiß und eckig, blank und vollkommen grauenhaft. Die Schmerzen waren wieder stärker und er hatte die bittere Gewissheit, dass er sterben würde. Er würde fallen und sich das Genick brechen- oder noch schlimmer, fallen und einfach immer weiter fallen. Bis in alle Ewigkeit. Für einen Moment hatte er das Gefühl, er sei wieder in einem von diesen grausamen, endlosen Fieberträumen, die ihn nach dem Chidori- Drama verfolgt hatten. Aber die beruhigende Gegenwart war noch da. Sie war unter ihm, um ihn, über ihm. Er schloss irgendwann einfach die Augen, hörte auf das atemlose Keuchen und das beruhigende Murmeln. Seinen Namen hörte er ab und zu. Sasuke... Sasuke... Er konnte sich nur an Einen erinnern, der das so gesagt hatte. ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)