Zigarette danach von sissyphos (Naruto & Sasuke/ Other Pairing) ================================================================================ Kapitel 3: Nachts sind alle Katzen grau --------------------------------------- »Hast du alles?«, fragte Naruto in voller Hektik. Der Uchiha besah noch einmal seinen bepackten Rucksack und zuckte mit den Schultern. »Denk schon«, sagte er mit leicht mürrischem Unterton. Die Gewissheit, die heutige Nacht bei Kälte in der Wildnis zu verbringen, versetzte ihn nicht unbedingt in Euphorie. Schon gar nicht, wenn er daran dachte, wer in diesen Stunden seine einzige Gesellschaft sein würde. Sasuke warf einen letzten Blick auf das Display seines Handys, das die heutige Nacht am Ladekabel verbringen würde. Eine neue SMS lag vor. ›Zur Erinnerung: Sie haben noch fünf neue Nachrichten in Ihrer Mobilbox. Zur Abfrage wählen Sie...‹ »Na dann los, es ist schon spät. Wir müssen oben sein, bevor es dunkel wird«, drängte der Blondschopf und schnallte das Riesending von Rucksack auf seinem Rücken fest. Sasuke zuckte einmal mit den Schultern. Die Außenwelt konnte ihn für die nächsten vierundzwanzig Stunden mal derbe an seinem ästhetischen Hinterteil lecken. »Wir sind dann weg, Mum«, rief er noch einmal im Vorbeigehen in die Küche und Alexis, die ähnliche Schauspiele längst gewohnt war, hob nur einmal sehnsüchtig die Hand. »Seid vorsichtig, ihr zwei.« Da klang sie wieder durch, die typische mütterliche Sorge, die auch Sasuke nicht unbekannt war. Aus reiner Gewohnheit verdrehte er einmal die Augen und folgte Naruto aus der Haustür hinaus. Es war später Nachmittag, die Sonne stand noch hoch oben am Himmelszelt und Sasuke konnte sich kaum vorstellen, dass sie bis zum Sonnenuntergang benötigen würden, um den Berg – viel mehr den Hügel – zu erklimmen, den Naruto ihm vor ein paar Tagen gezeigt hatte. Also warum die Eile? »Und du hast so was echt noch nie gemacht?«, fragte er mit einer Mischung aus purer Verwunderung – gerade so, als sei Freeclimbing so etwas Selbstverständliches wie Schnürsenkel zubinden – und ein wenig Sorge. Letzteres traf etwas verspätet ein, Naruto musste Sasuke inzwischen gut genug kennen, um zu wissen, dass er mit Sicherheit keinen Rückzieher mehr machen würde. Schließlich wollte er nicht als feiges Weichei dastehen. »Nein«, erwiderte der Uchiha knapp und heftete seinen Blick an Narutos Rücken, der komplett von seinem Gepäck verdeckt wurde. »Wenn wir da sind, erklär ich dir alles nochmal in Ruhe«, sagte er und irgendwie schmeckte Sasuke die Richtung, in die sich das Gespräch entwickelte, schon jetzt nicht. Er kam sich bevormundet vor – von Stephen King-Junkie Naruto. »Brauchst du nicht«, sagte Sasuke, der allein damit beschäftigt war, seinen Stolz zu wahren. Sein Plan war es, einfach Naruto zu beobachten und seine Bewegungen entsprechend nachzuahmen. Ein grandioser Gedanke, schließlich hatte Naruto hinten keine Augen. Ihm würde es also nicht auffallen, wenn Sasuke ihn ununterbrochen anstarrte, um perfektionierten Mimikry zu betreiben. Sasuke machte ein ganz leichtes Zögern in Narutos Bewegung aus. Er blieb beinahe stehen, fand aber recht schnell sein bisheriges, strammes Schritttempo wieder. »Auch gut«, sagte Naruto und beendete damit auf simpelste Weise ihre Konversation. Er wusste, dass Sasuke einen Teufel tun würde, ohne entsprechenden Grund weiter mit ihm zu plaudern. Naruto stellte weder eine Frage noch machte er eine provozierende Aussage – Sasuke sah deshalb keinen Anlass, das Gespräch weiter aufrecht zu erhalten; so handhabte er es immer. Nach einigen schweigsamen Minuten fanden sie sich beide vor ihrem felsigen Ziel wieder. Sasuke riskierte einen Blick in die Höhe, blinzelte der Sonne entgegen. Scheiße, aus direkter Nähe sah das Ding wirklich dreimal so hoch aus wie aus sicherer Entfernung. Er besah die Wand aus Felsvorsprüngen, wie dafür gemacht, um von irgendwelchen Wahnsinnigen erklommen zu werden. Sasuke schenkte sich selbst ein wenig Mitleid, bei dem Gedanken daran, dass er – wenn auch unfreiwillig – in wenigen Augenblicken selbst zu diesen Wahnsinnigen gehören sollte. »Eins muss ich trotzdem noch klarstellen, damit wir uns nicht falsch verstehen«, sagte Naruto, während er seinen Rucksack vor der Felswand noch einmal richtete und wie ein Korsett um seine Taille schnürte. »Ich betreibe eine sehr spezielle Form des Freeclimbings«, sagte er und Sasuke hoffte im Stillen, dass sich diese spezielle Form nicht als irgendeine perverse Variante wie FKK-Climbing entpuppte. »Nennt sich ›Free Solo‹«, meinte Naruto und er entnahm Sasukes Stillschweigen die Gewissheit, dass er den Unterschied nicht verstand. »Der Unterschied ist, dass beim normalen Freeclimbing sehr wohl mit Seil und Haken gesichert wird, beim Free Solo eben nicht. Das bedeutet Adrenalin pur«, erklärte Naruto und man konnte allein seiner Stimme entnehmen, dass er ein größenwahnsinniger Fan von Extremen war. Sasuke kam sich vor wie in einem Film. Ihm stand eine Aufgabe bevor, die seine Fähigkeiten weit überstieg. Er sollte einen Felsen ohne jegliche Hilfsmittel besteigen, obwohl er bis dato noch nicht einmal eine beschissene Kunstwand erklommen hatte. Ohne sich auch nur einen Millimeter bewegt zu haben, schüttete Sasukes Körper in Sekundenschnelle durchaus genug Adrenalin für eine ganze Fußballmannschaft aus. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Naruto seinen Tod allen Ernstes leichtfertig in Kauf nehmen würde, nur um ihm zu beweisen, dass er es voll drauf hatte. »Da ich die Sauerei später allerdings nicht aufwischen möchte, kannst du mit Seil und Haken arbeiten. Jeder fängt damit an«, sagte Naruto und meinte es offensichtlich nur gut, doch er bedachte Sasukes überdimensionalen Stolz nicht ausreichend. Sasuke wollte gerade den Mund öffnen, um zu entgegnen, dass solche Vorsichtsmaßnahmen nicht nötig seien und er, wenn er schon einmal dazu kam, auch den richtigen Kick erleben wollte, da hielt er mitten im Atemzug inne. War er denn von allen guten Geistern verlassen? Er war nicht so ein Idiot wie Naruto, der gegen jegliche Vernunft seine Männlichkeit und Furchtlosigkeit zur Schau stellen musste. Gelegentlich mochte man es nicht glauben, aber Sasuke Uchiha hing durchaus an seinem Leben. Sehr sogar. Das würde er mit Sicherheit nicht leichtfertig für ein ›Free Solo‹ aufs Spiel setzen. »In Ordnung«, presste er hervor. Trotz der Gewissheit, dass seine Entscheidung die richtige war, konnte er einen scharfen, beleidigten Unterton nicht unterdrücken. Die Wut platzte mal wieder unkontrolliert aus ihm heraus, weil er genau wusste, dass sich Naruto still und heimlich darüber freute, dass er klein beigeben musste. Selbst bei drohender Gefahr war es nicht Sasukes Art, einfach die Flinte ins Korn zu werfen. Das ließ sein Stolz nicht zu. Vor allem in Situationen, die mit dieser annähernd vergleichbar sind. Hier war es regelrecht seine Pflicht, sein Anliegen sich zu beweisen, aber er durfte es schlicht und ergreifend nicht. Denn hier war nicht die Rede von irgendeiner potenziellen, humanen Gefahr wie einem verstauchten Unterarm, sondern direkt von akuter Lebensgefahr. Seine Überlebenschance lag optimistisch vielleicht bei fünfzig Prozent, realistisch betrachtet eher so bei zehn bis zwanzig Prozent und Sasuke setzte nicht gerne auf Spekulationen und Glück, schon gar nicht, wenn sein Einsatz nichts geringeres als sein Leben war. Der blonde Mann riss Sasuke mit dem Rascheln und Klappern seines Rucksacks aus jeglichen Gedankengängen. Er schnürte ihn wieder los, zog ihn nach vorne und entnahm dem riesigen Gepäckträger Seil und Haken. Die Haken betrachtete er kurz mit skeptischen Blick, verstaute sie aber wieder in dem riesigen Ding von Rucksack. Offensichtlich hatte er doch nicht damit gerechnet, dass sich Sasuke seinen Rat zu Herzen nehmen würde. »Nimm bitte kurz deinen Rucksack ab«, murmelte Naruto, während er weiter in seinem Gepäck herumkramte. Sasuke zog eine Augenbraue hoch. »Er hat ›bitte‹ gesagt«, stellte er mit Verwunderung fest. Noch bis vor wenigen Sekunden hätte er sich geweigert auch nur daran zu glauben, dass derartige Begriffe überhaupt in Narutos Wortschatz existierten – zumindest in einer Konversation mit Sasuke. Kommentarlos tat er wie ihm geheißen und seine Begleitung stand nur Sekunden später direkt vor ihm, musterte ihn wie einen rohen Stein, der zu einer wunderschönen Statue gemeißelt werden sollte. Naruto schien zu überlegen, wo er zuerst Hand anlegen sollte. Der Blick des Uchihas fiel dabei auf das Geschirr, das er in den Händen hielt. Aus einer hochgezogenen Augenbraue, wurde prompt eine zweite. »Kombination aus Hüft- und Brustgurt. Sichert dich ab«, erklärte er, während er Sasuke das Ding um den Körper schnallte. Für den Uchiha hatte das Teil mehr etwas von einem krassen Sexspielzeug als einem Sicherheitsgurt. Ihm gefiel es überhaupt nicht, dass Naruto nahezu jeden Zentimeter seines Körpers betatschte, um die Schlaufen an den entsprechenden Stellen festzuziehen. Es gefiel ihm deshalb nicht, weil es seinem Körper zu sehr gefiel. Naruto pfriemelte an seiner Hüfte herum, fixierte die Schlaufen zu guter Letzt an seinen Oberschenkeln und Sasuke sah dabei einfach nur starr geradeaus, auf die gegenüberliegende Felswand. Aus dem Augenwinkel erkannte er Narutos blonde Haarspitzen, in einer verdächtig perfekten Höhe. Sasukes Schlucken war lautlos. »Das hätten wir«, verkündete Naruto mit stolzer Miene und richtete sich wieder auf. Die Fäuste stemmte er dabei in die Hüfte und begutachtete mit einem zufriedenen Lächeln sein vollbrachtes Werk. »Du ziehst gleich das Seil durch die Schlaufe, dann sicherst du beim Klettern nach und nach das Seil an den Haken in der Felswand und...« Naruto hielt einen regelrechten Vortrag über all das, was Sasuke auf ihrem Weg zu beachten hatte. Jetzt ergab es eindeutig einen Sinn, warum er schon so früh aufbrechen wollte. Anscheinend war es nie seine Absicht gewesen, ihn völlig ohne Hilfestellung den Berg hochklettern zu lassen. Überraschungen fanden ihren Weg zu Sasuke wirklich immer genau dann, wenn er am wenigsten damit rechnete. Unglaublich, dass tatsächlich, wenn auch nur ein winziger Funken, Vernunft in diesem egozentrischen Vollidioten schlummern sollte. »Alles verstanden?«, fragte Naruto auf einmal. Sasuke nickte, auch wenn er ihm schon nach dem ersten Satz nicht mehr zugehört hatte. Er war allgemein kein schlechter Zuhörer, das nicht, aber nun ja, in den vergangenen Minuten waren seine Gedanken nebenbei lieber weiter um die vorherige Situation gekreist und hatten ein paar Szenen dazu gedichtet, die in dieser Konstellation niemals stattgefunden hatten. Wer behauptete, Sasuke sei fantasielos, der hatte einfach noch nie einen ungetrübten Einblick in seine Gedankenwelt bekommen. »Na dann los«, sagte Naruto und wandte sich von ihm ab. Sasuke war ab diesem Moment klar, dass er bis zum Ende ihrer Klettertour nicht mehr als Luft für Naruto sein würde. Vermutlich würde er nicht einmal den dumpfen Klang bemerken, wenn sein Körper ungebremst auf dem Boden aufschlug. Natürlich, er könnte schreien, um auf sich aufmerksam zu machen, aber er würde es nicht tun. Dank seiner Sicherung würde er in eine derartige Bredouille allerdings auch nicht geraten, was für ein Glück. Sasuke sah Naruto dabei zu, wie er weiter und weiter nach oben kletterte, ohne auch nur einmal anzuhalten oder über die Schulter zu schauen, um zu sehen, wo seine Begleitung blieb. »Du bist ein hoffnungsloser Idiot«, murmelte der Uchiha und der Wind trug seine Worte mit sich. Hoffentlich direkt in Narutos taube Ohren. Tief durchatmend zog er seinen Rucksack ein letztes Mal stramm, begutachtete die wenigen Werkzeuge, die er hatte und stellte zu seiner Zufriedenheit fest, dass Naruto jegliche Sicherungsvorkehrungen unbemerkt während seines Vortrags vorgenommen hatte. »Na dann los«, wiederholte er leise die vorigen Worte, mit einem gewissen sarkastischen Unterton und machte sich sozusagen ›an die Arbeit‹. Schon nach wenigen Zügen machte sich Sasukes hoch angespannte Muskulatur bemerkbar. Er war froh, in den letzten Jahren regelmäßig das Fitnessstudio besucht und dabei seine Rücken-, Arm- und Schultermuskulatur auf Hochtouren gebracht zu haben. Trotzdem war das hier irgendwie etwas ganz anderes als sein monotones Training. Seine Muskeln wurden völlig anders beansprucht und er hatte das Gefühl, als würden Muskeln strapaziert, von denen er zuvor nicht einmal gewusst hatte, dass sie überhaupt existierten. Erschwerend kam der Nervenkitzel hinzu, dass er sich bereits um die zehn Meter über festem Boden befand. Sasuke war schwindelfrei, glaubte er zumindest. Bis heute war er allerdings noch nicht in einer vergleichbaren Situation gewesen. Gut, als Kind war er gelegentlich auf Bäume geklettert, aber das war mit dem, was er jetzt tat, kaum zu vergleichen. Für einen Moment hielt Sasuke inne, legte den Kopf in den Nacken und sah nach oben. Einige Körperlängen von ihm entfernt war Naruto zu erkennen, der mit unglaublichem Tempo vorankletterte und immer wieder unbeabsichtigt kleine Steinchen herunterschleuderte, die sich von der Felswand lösten und Sasukes makellosem Gesicht nach dem Leben trachteten. Er kletterte weiter und je weiter er kletterte, desto mehr Spaß machte es ihm. Durch die kalte, frische Luft, die ihn unermüdlich umwirbelte, wurde sein Kopf frei von allen Gedanken, die er seit Wochen, wenn nicht sogar Monaten nicht mehr haben wollte. Manche davon hatten ihm sogar seit ihrer Existenz nichts als Probleme bereitet, auch wenn er sich das selbst nicht gerne eingestand. Der Ausblick von hier oben musste gigantisch sein. Am liebsten würde er einen Blick über die Schulter riskieren, jetzt, da er eine Höhe erreicht hatte, mit der er über die meisten Bäume hinwegsehen konnte, aber – nun ja, um ehrlich zu sein, musste er sich auf das konzentrieren, was er gerade tat; da war absolut kein Platz für Ablenkungen. Deshalb freute er sich umso mehr auf das Ziel ihrer Klettertour, von dem aus er hoffentlich kilometerweit blicken konnte. Die freie Natur beobachten, während einem der Wind um die Ohren tobt und die Sonne im Westen untergeht – das Gefühl von grenzenloser Freiheit. Das Gefühl, als liege einem die ganze Welt zu Füßen und sei es auch nur für einen winzig kleinen Augenblick. Dieses Gefühl stellte sich Sasuke berauschend vor; ja, sogar lebenswert. Während er sich Zug um Zug vorarbeitete, dachte er an eine Episode aus seiner Kindheit. Er erinnerte sich an einen besonders heißen Sommertag, kurz nach seinem zehnten Geburtstag, als Itachi mit ihm einen See besucht hatte, von dessen Existenz Sasuke zuvor nur durch seine Berichte wusste. Damals saßen sie abends oft gemeinsam am Tisch und Itachi erzählte dann von genau diesem See, den er mit seinen Freunden unsicher gemacht, wo er große Feten erlebt und seinen ersten Kuss bekommen hatte. Sasuke hatte ihm lange in den Ohren gelegen, dass er ihn einmal mit dorthin nehmen sollte, doch Itachi lehnte stets ab. Bis zu jenem Tag. An diesem Samstagabend, der seit mehr als zehn Jahren der Vergangenheit – einer wirklich schönen Vergangenheit – angehörte, war Itachi nicht mit seinen Leuten losgezogen, sondern hatte sich um seinen kleinen Bruder gekümmert und ihm einen lang gehegten Wunsch erfüllt: Er setzte ihn auf den Gepäckträger seines Fahrrads und fuhr mit ihm durch die Stadt, hinaus in die Wildnis. Für Sasuke war dieser Tag ein einschneidendes Erlebnis in seiner Jugend gewesen. Fast wie sein erster Kinobesuch oder später sein erster richtiger Alkoholabsturz mit darauffolgendem Blackout. Sein Bruder und er verstanden sich gut, so war es immer gewesen und so würde es vermutlich immer sein – Sasuke war oft eines Besseren belehrt worden -, aber dennoch hatte ihm Itachi damals seine Freunde vorgezogen, wenn es drauf ankam. Wenn es darum ging zu entscheiden, ob er mit seinen Leuten auf die Piste oder mit seinem kleinen Bruder abends ein paar Brettspiele oder Kinderfilme schauen sollte, entschied er sich nahezu jedes Mal für seine Kumpels. Gerade aus diesem Grund hatte Sasuke diese Ausnahme damals so gefreut und vermutlich erinnerte er sich auch gerade deshalb so bildlich an diesen Tag, als sei es gestern gewesen. Er dachte an den Geruch von den frisch gemachten Hotdogs, die an einem kleinen portablen Stand am Rand verkauft wurden, an die vielen kreischenden Mädchen und sogar an das kleine Kind, das wie am Spieß schrie, weil die riesige leckere Eistüte auf dem Boden klebte und gerade von einem gierigen Hund aufgeleckt wurde. Sasuke erinnerte sich an nahezu jede Einzelheit dieses wunderbaren Tages. Vor allem aber an das gemeinsame Schwimmen und auf Bäume klettern, dem sie stundenlang nachgegangen waren, bis Itachi von ihrer Mutter auf dem Handy angerufen wurde, weil das Abendessen längst kalt war. Sie waren nicht nach Hause gefahren, sondern hatten die halbe Nacht unter dem klaren Sternenhimmel verbracht und Sasuke war sich für ein paar Stunden wie ein Held aus einem seiner Kinderbücher vorgekommen. Das hier, was er gerade tat, war wirklich alles andere als eine Szene aus einem Kinderbuch. Außer wenn man bedachte, wie unglaublich unrealistisch es in Bezug auf seine Person war, dass er sich tatsächlich dazu nötigen ließ, etwas vollkommen Waghalsiges zu tun. Es war riskant, mehr als gefährlich und er tat es trotzdem. Der Wind wurde immer stärker und er hatte Naruto längst aus seinem Blickfeld verloren. War er bereits oben? Oder doch hinter einem Felsvorsprung verschwunden, um auf ihn zu warten und dann zu Tode zu erschrecken? Er sollte sein Glück bloß nicht herausfordern. Sasuke war nicht derjenige, der völlig ohne Sicherung diesen Berg erklomm und er gehörte auch nicht unbedingt zu der Sorte Mensch, die Gewissensbisse kriegten, nur weil sie einen – aus reiner Notwehr vollzogenen – Stoß als Unfall abtaten. Sasuke verlor beinahe den Halt, als sich mit einem Mal etwas Fleischiges vor seinem Gesicht auftat. Nach einem kurzen Schockmoment entpuppte sich dieser verstörende Anblick als Narutos ausgestreckte Hand. Der junge Mann blinzelte, legte den Kopf abermals in den Nacken und sah in das grinsende Gesicht des Blonden. Dieses Grinsen hatte nichts Verspottendes an sich, es war viel mehr anerkennend und freundlich und sprach gleichzeitig Bände über seine momentane körperliche Verfassung: Naruto hatte seinen Körper voll ausgepowert und fühlte sich sichtlich wohl in seiner Haut. Mit einem tiefen Atemzug erwiderte Sasuke sein Lächeln und griff nach seiner Hand, ließ sich mit Schwung auf das Plateau ziehen. Erst als er vorsichtig einen Fuß nach dem anderen auf festen Boden setzte, bemerkte er, wie sehr sein Körper vor Anstrengung zitterte. Er versuchte es zu unterdrücken, zu kontrollieren, aber es war unmöglich. Tröstlich war Narutos Anblick, der sich von seinem nicht sonderlich unterschied. Er schwitzte am ganzen Körper, sein Pulli schien an seiner Brust festzukleben und eine leichte Erschütterung fuhr kontinuierlich an seinen Oberarmen auf und ab. »Wahnsinn, Sasuke!«, rief er mit der Art von Lächeln, das jeden, auf den es trifft, irgendwie mit seiner Helligkeit blendet. Sasuke konnte nicht anders als aufzuatmen; diese Leichtigkeit zog ihn einfach magisch an. Naruto breitete die Arme aus, richtete seinen Körper dem Wind entgegen und hatte für einen Moment etwas von einem Kind, das sich wünscht ein Vogel zu sein und in die Lüfte aufzusteigen. Bei diesem Anblick wurde Sasukes Lächeln ehrlicher, ungezwungener und war fast schon die Wahrheit. Es dauerte wirklich nur einen Moment, bis sich Naruto zu ihm drehte und sagte: »Komm, lass uns das Zelt aufschlagen«, aber es war ein wirklich schöner Moment, bis zum letzten Augenblick. Fast schon wie damals. »Ganz im Ernst: Ich habe dich total unterschätzt! Hätte nie geglaubt, dass du das wirklich durchziehst«, grinste Naruto, nachdem sie das Zelt aufgebaut und sich allgemein ein wenig entspannt hatten. Jetzt saßen sie einander gegenüber und genossen die frische Luft, während die Sonne allmählich ihren tiefsten Punkt erreichte. Sasuke zuckte nur mit den Schultern, als sei es gar nichts Besonderes gewesen. Gerade so, als würde er ständig Extremsport betreiben und immer wieder etwas Neues ausprobieren, damit ja keine Langeweile aufkam. Dem war aber nicht so. Es war Narutos ungebremste Anerkennung, die ihm so sehr schmeichelte, dass er sie einfach herunterspielen musste. »Wir sind über dreißig Meter geklettert«, sagte Naruto und wies plötzlich mit dem Finger hinter Sasuke, wo sich das Plateau neigte. »Dort gibt es einen Weg, der ebenfalls hierauf führt. Den Rückweg können wir also ein bisschen wandern gehen, wenn du magst«, schlug er vor. »Warum nicht«, antwortete der Uchiha mit einem weiteren Achselzucken. Es war krass, nahezu unfassbar, wie schnell er sich bei Naruto bewiesen hatte. Nur durch eine so simple – wenn auch lebensgefährliche – Aktion, hatte sich sein Bild von Sasuke komplett verändert. Eine 180-Grad-Wende sozusagen. Sasuke kam darauf überhaupt nicht klar. Es erschien ihm plötzlich so surreal; das ganze Zusammensein mit diesem Mann war plötzlich wie ein einziger Traum. »Katze«, flüsterte ihm Naruto ins Ohr und Sasuke schreckte noch im selben Moment zurück. »Hör auf mit dem Scheiß«, grummelte er und schob das grinsende Gesicht beiseite. Naruto lachte. »Lachst du eigentlich über jeden Scheiß?«, fragte Sasuke, mehr aus Trotz als aus Interesse und war nicht imstande, diesen fiesen, sarkastischen Unterton aus seiner Stimme zu verbannen. Plötzlich verschwand das Lächeln auf Narutos Lippen, das Lachen blieb ihm im Hals stecken. Seine Reaktion war mehr die, wie man sie auf eine fiese Beleidigung oder Unterstellung erwartete, die mitten ins Schwarze traf. Hatte Sasuke also mitten ins Schwarze oder doch nur einen Nerv getroffen? »Nein, ich lache nicht über jeden Scheiß«, sagte der Blonde schließlich mit einem Lächeln. Dafür, dass ihm vor ein paar Sekunden so krass die Gesichtszüge entgleist waren, hatte er sich verdammt schnell wieder gefangen und die ursprüngliche lockere, fröhliche Art zurückerlangt. Wie auf Knopfdruck. Noch einen Augenblick betrachtete er ihn, wie er so falsch lächelnd da saß, grübelte kurz, ob er ihm seine Lügerei übel nehmen sollte, wandte aber entschieden den Blick ab. Kurz setzte zwischen ihnen eine befangene Stille ein, die Naruto keine Sekunde länger ertragen konnte. »Warst du schon einmal nachts allein im Schwimmbad?«, fragte er und Sasuke sah mit einem überraschten Blinzeln auf. »Nein, wieso?« Narutos Augen leuchteten. »Weißt du, ich arbeite nebenbei gelegentlich im Schwimmbad und hab dafür auch einen Schlüssel«, sagte er. Offensichtlich gefiel ihm seine Idee selbst besonders gut. »Aha«, sagte Sasuke und wandte den Blick direkt wieder ab. »Wenn du magst, können wir nachts mal zusammen dahin gehen. War schon mit einigen Leuten da. Das macht echt Laune«, schmunzelte er und Sasukes Blutdruck stieg prompt an. »Auf einmal?«, zischte er. Er kam sich von Naruto verarscht vor und zwar auf ganzer Linie. Woher der plötzliche Sinneswandel? Er behandelte ihn plötzlich wie seinen besten Freund, den er ewig nicht gesehen hatte und mit dem er verdammt viel nachholen musste. Aber das war nicht die Realität. Sie waren keine Freunde, keine Bekannte, sie verstanden sich nicht einmal sonderlich gut. Bis heute jedenfalls. Sasuke dachte erneut an das andere Ereignis, das ihn auf seiner Klettertour begleitet hatte. Es war eine schöne, eine gute Vergangenheit, die ihm erneut wie ein Blitz durch seinen Kopf schoss. Naruto wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da hob Sasuke die Hand. »Okay«, sagte er. Der blonde junge Mann blinzelte verwundert. »Okay?«, hinterfragte er ungläubig. »Okay«, wiederholte der Uchiha mit zusammengekniffenen Augenbrauen. »Cool«, lächelte Naruto. »Gleich morgen?«, fragte er keine zehn Sekunden später. Jetzt war es wieder an Sasuke, verwundert zu blinzeln. Es war wirklich ein ständiger Stellungswechsel zwischen den beiden und Naruto war ein Mann, der Nägel mit Köpfen machte. Er ließ nichts anbrennen und das gefiel Sasuke. Er übernahm selten selbst die Initiative. Egal, ob bei Freund- oder Liebschaft. Sasuke zuckte nur ratlos mit den Schultern. Ihm fielen keine Worte ein, die er darauf hätte erwidern können, deshalb zog er es vor, zu schweigen. »Stark«, erwiderte Naruto. »Das wird der Hammer. Wir decken uns mit Alkohol ein und dann schmeißen wir eine richtig dicke Party. Schonmal zu zweit gefeiert? Macht richtig Laune«, sagte er und starrte dann Löcher in die Luft. Offensichtlich malte er sich bereits eine mega affengeile Party in entspannter Zweisamkeit aus. Hatte er vergessen, mit wem er feiern wollte? Sie unterhielten sich noch eine halbe Ewigkeit über ihre unterschiedlichen Leben und Sasuke gab in dieser Zeit bereitwillig Informationen über sich preis. Immer nur gerade so viel, dass Naruto ihm aus dem Gesagten später keinen Strick drehen konnte, aber doch genug, um sich ein vages Bild über ihn als Mensch machen zu können. Es war eine wolkenlose Nacht, jeder einzelne Stern zeigte sich in vollkommener Pracht, nur die Temperatur, die wie eine Lawine fiel, nahm dieser Übernachtung in der freien Wildnis für Sasuke ihre Perfektion. Er fror in dem dünnen Schlafsack und neben ihm schnarchte Naruto selig vor sich hin, wälzte sich alle fünf Minuten von der einen auf die andere Seite. Der Blonde schien wirklich mit nichts etwas am Hut zu haben. Nein, diese Nacht war nicht perfekt, aber gerade diese Unvollkommenheit war es, die Sasuke letzten Endes genoss. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah in den klaren Sternenhimmel hinauf. Ein Anblick wie er ihn zuvor noch nie erlebt hatte. Sasuke Uchiha war einfach kein Pfadfinder. Zwar mochte er die Natur, aber er betrachtete sie lieber aus den Fenstern seiner gemütlichen Wohnung, als aus direkter Nähe. Das hatte er all die Jahre getan und es hatte ihm stets gefallen. Jetzt beschlich ihn das unangenehme Gefühl, etwas verpasst zu haben. Dabei hatte er den Ausflug mit Itachi damals doch als unbeschreiblich schön empfunden. Warum hatte er dann nie etwas Vergleichbares wiederholt? Ja, warum eigentlich nicht? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)