Bakaito und Ahoko von Mopsbacke (Eine Kaito-Aoko-Romanze) ================================================================================ Kapitel 6: Case 6: Aoko "Peter Pan" Nakamori -------------------------------------------- „Irgendwann ist eben alles mal vorbei, oder?“ Aokos Worte hallten noch lange in Kaitos Ohren. Vorbei. Vorbei. Vorbei. Ein ekelhaftes Wort. Ein widerwärtiges Wort, das niemand jemals in den Mund nehmen sollte. Es schmerzte ihn in den Ohren und jeder verwinkelten Windung seines Gehirns. Vorbei. Kaito wusste keine geeignete Reaktion. Er saß da, spürte wie sich seine Gedärme verkrampften und seine Hände zitterten, während er stur geradeaus blickte. Nein, Aoko, wir bleiben ewig jung, rennen wild über die Wiesen, wälzen uns in Blumenfedern, schauen den Schmetterlingen nach und erfreuen uns aneinander. Nein, Aoko, die Zeit kann uns nichts anhaben, genauso wenig wie Naturkatastrophen, dein Vater noch alle anderen Menschen auf dieser Erde - nicht einmal Gott selbst könnte uns trennen. Nein, Aoko, wie Kaito Kid Juwelen an sich reißt, hast Du mir mein Herz gestohlen – und es wird auf ewig dir gehören. Ja, Aoko, nichts ist für die Ewigkeit, außer unserer Liebe! Das waren alles ziemlich beschissene Antworten. Das wusste Kaito selbst. Vermutlich sagte er deshalb nichts. Aber irgendetwas musste er sagen… irgendetwas. Etwas Ermutigendes. Etwas, das Aoko von ihren nihilistischen Gedanken abbringen konnte. Unschlüssig, was er sagen sollte, öffnete er provisorisch den Mund. Doch außer einem angestrengten Atmen konnte er nichts hervorbringen. Aoko sah unterdessen schweigend auf ihre Füße. Sie scharrte ein bisschen mit dem rechten Fuß, drehte den linken etwas weiter nach innen… sie ließ kleine Kieselsteinchen über den Boden kreisen, während Kaito gar nichts machte: Damit war sie ein ganzes Stück produktiver als er. Die Stille war bedrückend. Wenn Kaito doch nur etwas einfiele, was er sagen könnte. Er hörte Aoko still und gepresst atmen. Hin und wieder vernahm er ein unterdrücktes Schlucken ihrerseits. Kaito tat es ihr gleich. Einmal Schlucken. Den trockenen Hals bekämpfen. Die pelzige Zunge in den Griff kriegen. Nur einmal Schlucken. Dann sprechen. Sprechen. Sprechen. „Jetzt sag doch endlich was, du verdammter Idiot“, drängte sich Kaito. Er ging alles genau im Kopf durch. Ein falsch gewähltes Wort, ach was, eine falsch gesetzte Betonung, konnte das Ende bedeuten. Denn irgendwann IST eben alles mal vorbei. Aoko hatte recht, das wusste er, doch er fürchtete sich davor, zu erfahren, was denn nun bald vorbei sein sollte... zumindest Aokos Ansicht nach. Langsam drehte er seinen Kopf zu Aoko. Er musste sich zu jeder einzelnen Silbe durchringen, aber schließlich presste er doch ein kleines Wörtchen hervor: „Aoko…“ Gerade überlegte er noch, was er sagen sollte, wie er eigentlich fortfahren wollte, da schnitt Aoko ihm schon das Wort ab – sofern man jemandem, der gar nicht weiß, was er sagen will, überhaupt das Wort abschneiden kann. „Nicht mehr lange, dann war’s das mit der Schule. Wir werden alt und kriegen Falten. Wir heiraten…“ Moment, WIR heiraten?! „…jemanden…“ Ach so, wir heiraten also jemanden… „den wir zu kennen glauben, aber über den wir letztlich gar nichts wissen… wir gehen Tag für Tag arbeiten, kriegen ab und zu mal ein Kind und dann geht’s irgendwann ab unter die Erde.“ Aoko schüttelte energisch den Kopf: „Nein, ich will nicht erwachsen werden.“ Kaito sah verwundert zu Aoko herüber. Diese Art zu reden… das passte überhaupt nicht zu ihr. Nun, diese impulsive Herangehensweise, diese plötzlichen Gedankensprünge, diese kindliche Naivität… all das war eindeutig Aoko, aber… aber dieses … na ja, aufgeklärte, abgebrühte Gerede. Dieser Hass auf’s Erwachsenwerden. In ihren Augen loderte dasselbe Feuer der Abneigung wie wenn sie von Kaito Kid sprach. „Ist alles in Ordnung mit Dir, Aoko?“, frug Kaito unsicher. Er wollte sie berühren. Sie besänftigen. Doch er war unentschlossen, wie er das anstellen sollte. Eine Hand auf ihre Schulter. Auf ihre Hand. Auf ihr Knie. Zögernd, und um ein bisschen Zeit zu gewissen, biss er sich auf die Lippe. Diese Frage schien Aoko mehr aufzuwühlen, als Kaito es für möglich gehalten hätte. All die Emotionen, die sie sich in den letzten Tagen bis hierhin aufgespart hatte, sprudelten auf einmal aus ihr raus. Laut „Nein, nichts ist in Ordnung!“, stieß sie mit schallender Stimme hervor. Ein paar in unmittelbarer Nähe pickenden Tauben flogen aufgebracht ein paar Meter weiter, verärgert über den plötzlichen Gefühlsausbruch gurrend. Für einen Moment sah Kaito in Aoko wieder das kleine, fünfjährige Mädchen, das er damals vor dem Rathaus traf. Sie wirkte trotzig und bockig, wie sie da auf dem Brunnen saß, die Arme verschränkte und den Kopf hängen ließ. „Aoko, ich… ich glaube wirklich, du machst Dir da Sorgen wegen nichts.“ Kaito sprach diesen Satz relativ arglos aus. Relativ. Eigentlich wollte er Aoko beruhigen. Stattdessen schien er Öl ins Feuer gegossen zu haben. Mit einem Satz brachte sie ihr Gesicht unmittelbar vor seins, sah ihm durchdringend in die Augen und keifte: „Wegen nichts? Wegen nichts?! Du verstehst es einfach nicht!“ Völlig unvermittelt warf sie die Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn. Ihre Haare kitzelten seinen Hals und er konnte ihren Atem stoßweise in seinem Nacken spüren. Er war vollkommen überfordert. Was zum… was… was war mit Aoko los? Ihre Hände krallten sich in den Stoff seines Pullis. Langsam und zögerlich strich er ihr mit seiner rechten Hand über den Rücken. Dieser Moment war derartig surreal, dass Kaito sich fast ein wenig wunderte, als er den weichen Stoff von Aokos Bluse unter seinen Fingern spürte – fast so, als brauchte er dieses Gefühl, um sich zu vergewissern, dass das hier gerade wirklich passierte. Da saß also nun dieses vollkommen aufgelöste Mädchen, das sich einen Kopf um ihre Zukunft machte, und erdrückte ihn fast an dem Ort, wo sie sich das erste Mal trafen. Und das ausgerechnet am Tag nach ihrem ersten Blind date. Moment. Woher wollte er denn wissen, dass es ihr erstes… na, war jetzt im Moment ja auch egal. Er spürte, wie sich ihr Brustkorb beim Atmen hob und wieder senkte. Er spürte ihr Herz aufgeregt klopfen – wenn er auch zunächst dachte, es sei nur sein eigenes. Sie atmete schwer durch den Mund und in regelmäßigen Abständen kuschelte sie sich wieder näher an Kaitos Schulter, wenn sie davon abgerutscht war. Kaito streichelte ihr unentwegt den Rücken – etwas Intelligenteres fiel ihm gerade nicht ein. Wenn es das war, was sie gerade brauchte oder wollte, dann sollte sie es eben bekommen. Lieber von ihm als von diesem Möchtegernpolizisten. „Was verstehe ich nicht?“, flüsterte Kaito nach einer längeren Stille in Aokos Ohr. „Alles!“, raunte Aoko zurück. Kaito seufzte. Er nahm die Hand von Aokos Rücken und verschränkte beide Arme vor der Brust: „Du willst nicht erwachsen werden. Dann lass es doch einfach.“ Aoko nahm ihren Kopf von seiner Schulter und sah ihn verdutzt an. Ihre Augenbrauen zuckten kaum merklich. Ihr Blick war geladen, als stünde sie unter Strom. „Als ob das so einfach wäre, Du Idiot!“ Ja, das war schon wieder viel mehr wie Aoko. Diese Aggressivität, die aus ihrer Gestik und Mimik sprühte – DAS war Aoko. Kein jammerndes, klagendes Mädchen, das sich an der Schulter eines Typen ausheulen musste. Keine Frage, es war schön, Aoko im Arm halten zu können und ihre Wärme zu spüren… aber es war Kaito doch lieber, die „richtige“ Aoko bei sich zu wissen. „Pah, ‚dann werd‘ doch einfach nicht erwachsen‘! Danke, Bakaito, darauf wäre ich ja nie von allein gekommen!“ Sie legte beide Hände auf seine Schultern und gab ihm einen kleinen Schubs, bevor sie aufstand. Mit Müh und Not konnte er sich davor retten, nach hinten und in den Springbrunnen zu fallen – auch wenn das mit jeder Menge Armrudern verbunden war. Ein richtiger Balanceakt eben. Aoko stapfte grummelnd einige Schritte von ihm weg – man konnte ihr genau ansehen, dass sie keine Ahnung hatte, wo genau sie eigentlich hinwollte. „Aoko!“, rief Kaito – weniger, weil er einen Plan hatte, wie’s weiter gehen sollte, sondern viel mehr, weil er ihr einen Gefallen tun und ihr aus ihrer Situation heraushelfen wollte. „Nichts ‚Aoko‘! Ich erzähl dir von meinen Problemen und Du sagst mir ‚Dann werd halt nicht erwachsen‘ und ‚Du machst Dir einen Kopf um nichts‘!“ Aoko hatte ein erstaunliches Talent dafür, Kaito auf eine besonders vortrefflich bissige Art und Weise nachzuäffen. Sie hatte die Arme verschränkt und den Kopf verächtlich in den Nacken geworfen, nachdem sie wieder näher an ihn heran getreten war. „Schau, das bist viel eher Du“, grinste Kaito ihr entgegen. Er erwartete, dass sie zurückgrinste und sich daran freute, dass sie immer noch die Alte war – und das ganz entgegen ihrer Erwartungen. Aoko starrte nur unbeirrt zurück. Ihre Mundwinkel zuckten nicht einmal. Dieses Mädchen konnte Stimmungswandel durchmachen wie keine Zweite. „Meine Güte, Aoko, was soll denn dieser unterkühlte Blick?“ Er erhob sich nun ebenfalls vom Brunnenrand und ging einige Schritte auf Aoko zu, sodass er seine Hände sanft auf ihre Schultern platzieren konnte. „Wenn Du nicht heiraten willst, dann heirate nicht. Wenn du keine Kinder kriegen willst, dann krieg eben keine. Wenn Du nicht unter die Erde kommen willst… hm…“ Gottseidank unterbrach Aoko ihn an dieser Stelle, denn er hätte wirklich nicht gewusst, wie er fortfahren sollte. Gereizt schüttelte sie seine Hände von seinen Schultern ab: „Kaito…“ Schon am Tonfall konnte Kaito hören, dass gleich ein Gewitter über ihn hereinbrechen würde. Das berüchtigte Nakamori-Donnerwetter. Aber Kaito hatte genug. Wenn es keinen Unterschied machte, ob er nun nett zu ihr war und sich Mühe gab, sie zu trösten, oder sie direkt mit Gemeinheiten vor den Kopf stieß – warum sollte er sich dann noch weiter anstrengen? Dann konnte er auch genauso gut wieder in sein altes Verhaltensmuster fallen und ihr das Leben schwer machen. Er zuckte mit den Schultern und schüttelte alle seine guten Absichten von sich ab. „Fein, Aoko, wie Du willst. Wenn alles, was ich sage, so verkehrt ist, dann frag doch deinen neuen Freund nach seiner Meinung.“ Endlich veränderte sich Aokos Miene. Die kalte Maske fiel ab. Ihre Gesichtszüge entgleisten förmlich. Ihre Lider zuckten, ihr Mund verzog sich und ein nicht näher einordbares Entsetzen machte sich in ihren Rehaugen breit. Das musste ja ein toller Typ sein, wenn ihre Reaktion, wenn man sie auf ihn ansprach, so aussah. „Mein… mein neuer Freund?“, stammelte sie. Kaito spürte sein Blut in den Adern rauschen. Es pochte förmlich in seinen Ohren. Sie könnte es ja wenigstens zugeben – es war ja nicht so, als würde man es ihr nicht sowieso ansehen. Kurz zog Kaito in Erwägung, ein „Oh, entschuldige, dein ‚erster‘ Freund, nicht wahr?“ als Antwort zu zischen. Er entschied sich für etwas mit mehr Stil. Na ja, mit etwas mehr Stil. Er wippte auf seinen Füßen hin und her und ließ dann genüsslich folgende Worte über seine Lippen gleiten: „Ach, du weißt schon, der Möchtegernpolizist.“ Er kostete die Wirkung jedes einzelnen Wortes aus. Er ließ sich jeden Buchstaben auf der Zunge zergehen – und jeder Konsonant, jeder Vokal war, als würde er Stacheldraht kauen. Wahrscheinlich verletzte es ihn selbst mehr als sie, immerhin hatte sie einen Freund – oder zumindest ein Date – während er, Kaito, plötzlich, ganz unvermittelt, allein dasteht. Ohne Aoko. Nichtsdestotrotz hatte sich ein süffisantes Lächeln auf seinem Gesicht eingebrannt. Viel, viel hämischer, als er es haben wollte. Doch es ließ sich einfach nicht aus seinen Mundwinkeln wischen. Seine Worte zeigen sofort Wirkung. Sie stolperte rückwärts. Ihre Augen waren noch größer als zuvor. Sie schüttelte ungläubig den Kopf und er konnte erkennen, wie sich ihre Haare aufstellten und ihre Hände sich verkrampften. Sie wurde furchtbar blass und fahl - sie sah aus, als könne sie sich jeden Moment übergeben. Genau genommen reagierte sie heftiger als Kaito es sich vorgestellt hatte. Aber er war selbst zu sehr Hitzkopf, um zurückzurudern. „Schau, Kaito, das bist viel eher Du“, flüsterte Aoko ganz und gar durchdringend. Ihre Stimme war nicht viel mehr als ein Windhauch, und trotzdem ging sie Kaito durch Mark und Bein. Während sie sprach, machte sie einige Schritte rückwärts. Kaito hingegen stand still und starr dar. Seine Glieder waren plötzlich unheimlich steif. Einige Sekunden lang starrte Aoko Kaito an. Ungläubig. Wie versteinert. Schließlich drehte sie sich um und lief raschen Schrittes davon. Diesmal rief Kaito ihr nicht hinterher. Er machte auch keine Anstalten, ihr hinterherzulaufen. Diesmal nicht. Irgendwann ist eben alles mal vorbei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)