Bakaito und Ahoko von Mopsbacke (Eine Kaito-Aoko-Romanze) ================================================================================ Kapitel 7: Case 7: Hinter dem Schnurrbart ----------------------------------------- Kaito würde Aoko nie wieder sehen. Sie würde mit ihrem Polizeihündchen durchbrennen und Kaito würde weiter als Kaito Kid die Polizei an der Nase herumführen. Es würde an Reiz verlieren – immerhin musste er nun keine Rücksicht mehr auf Inspektor Nakamori nehmen – aber vielleicht konnte er Nakamori ja aus Sympathie noch den einen oder anderen Knochen zufallen lassen. Nichtsdestotrotz würde es langweilig werden. So sah zumindest Kaito die Zukunft. Es war eine trostlose, öde Zukunft, aber es war immerhin die, für die er sich entschieden hatte. Für ein happy end hätte er vorher die Handbremse ziehen müssen. Oder gleich eine Vollbremsung hinlegen. Vielleicht hätte er auch noch alles deichseln können, wenn er ihr hinterhergelaufen wäre. Er wäre ihr hinterhergerannt und sie wäre vor ihm weggelaufen. Dann hätte er sie am Handgelenk gepackt, sie hätte sich unter Tränen gewehrt und ihn beschimpft. Dann hätte es plötzlich angefangen zu regnen – aus heiterem Himmel. Sie hätten sich im schlimmsten Unwetter gegenüber gestanden. Sie hätte ihm Vorwürfe gemacht und er hätte sich entschuldigt. Er hätte alle Streitigkeiten aufgeklärt, hätte mit einem Arm ihre Hüfte umfasst und mit der freien Hand ihre Hand genommen. Dann hätte er ihr seine Liebe gestanden, sie hätten sich im Regen geküsst und dann wäre der Vorhang gefallen. Doch das echte Leben ist keine Schnulze. Es ist keine Soap-Opera, kein Märchen und ganz bestimmt keine Fanfiction. Kaito hatte genug solcher Geschichten gelesen, um zu wissen, wo es lang ging. In einer seiner nächtlichen Recherche-Arbeiten, um zu schauen, wie groß seine Fangemeinde inzwischen war, war er auf eine verstörende Fülle an Geschichten gestoßen, die sich nur darum drehten, wie er, Kaito Kid, den großen Detektiv des Westens, Shinichi Kudo, verführte – oder von eben diesem verführt wurde. Dieses Kollektiv hatte eine solche Faszination auf ihn ausgeübt, dass er die ganze Nacht vor dem Laptop verbracht hatte. Auf was für Ideen seine Fans doch kamen. So ist das wohl, wenn man sich für keine der beiden Faktionen entscheiden kann – man verkuppelt sie eben. Vielleicht sollte er Kudo bei ihrem nächsten Treffen von diesem Trend erzählen? Doch Kaito hatte jetzt wichtigere Probleme. Gut – ein wichtigeres Problem. Ein Problem, das ihm gerade wirklich den letzten Nerv raubte. Aoko. Aoko. Immer wieder Aoko. Früher war sie mal niedlich gewesen. Wenn sie den Mopp schwang. Oder sich aufregte, wenn er ihr unter den Rock schaute. Oder wie sie ihn mit Fischen nervte. Damals. Ja, das waren noch Zeiten gewesen. Aber wie sie sich heute vor ihm aufgebaut hatte… die Hände in die Hüften gestemmt, den Kopf in den Nacken geworfen… das war nicht mehr Aoko. Sie gebarte sich plötzlich wie… eine junge Dame. Als würde sie tatsächlich erwachsen werden. Zum Kotzen. Kaito ließ seinen Frust an einer herumliegenden Cola-Dose aus. Er kickte sie grimmig vor sich her, während er sich – unter Zuhilfenahme vieler verzweigter Umwege – langsam gen Zuhause bewegte. So eine dämliche Kuh. Nur weil sie jetzt mit einem Polizisten ausging. EINEM POLIZISTEN. So etwas Peinliches. Da kann sie sich ja gleich von ihrem Herrn Gevatter einen Mann aussuchen lassen. Kaito stieß einen verächtlichen Laut aus. Einfach so. Für sich. Weil es ihm half. Zumindest vermutete er, dass es ihm half. Eine Zeit lang hatte er noch gehofft, ihre Wege würden sich vielleicht auf dem Heimweg kreuzen. Eventuell nahm er deshalb auch so viele Umwege – um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass er ihr noch einmal begegnete. Aber… was sollte er dann schon sagen? Sorry, dass ich dir hinterher spioniert habe? Bitte, verlass diesen 0815-Typen für mich, den Idioten, der Dir bei jeder Gelegenheit sagt, dass Du flachbrüstig bist! Apropos – ich bin übrigens Kaito Kid, die Person, die Du am meisten hasst! Dies war der Moment, in dem Kaito einfach alles scheiße fand. Die nächsten Tage schlichen dahin. Aoko hatte ein Talent ohnegleichen, wenn es darum ging, Kaito aus dem Weg zu gehen. Den Sonntag konnte er sich ohnehin abschminken. Wenn er ihr zuhause auflauern würde, würde sie nicht einmal die Haustür öffnen – geschweige denn mit ihm reden. Und wer wusste, ob sie überhaupt zuhause war. Vielleicht stand ja schon das Mittagessen bei den zukünftigen Schwiegereltern an! Kaito schnaubte verächtlich. Doch auch in der Woche hatte er kein Glück, Aoko zu erwischen. Den gemeinsamen Schulweg hatte sie einfach schon zehn Minuten vor ihm passiert. Wann immer er glaubte, Aoko erspähen zu können, verschwand sie in einer dichten Traube aus Mädchen. Sie schaffte es, spurlos zu verschwinden. In der Klasse hatte sie ihre Plätze mit einem anderen Mädchen getauscht. Für diesen Tauschhandel war vermutlich nicht viel Überzeugungsarbeit nötig gewesen – immerhin saß nun eines der Mädchen neben Kaito, das schon ewig für ihn schwärmte. Als er ihre vor schmalzigen Liebesvorstellungen triefenden Blicke auf seiner Haut spürte, verdrehte er die Augen und dachte sehnsüchtig daran zurück, wie Aoko ihn anzusehen pflegte – irgendwie genervt und gereizt. Aber auf eine niedliche, liebenswerte Art. Aokos konsequente Art, sich vor einer Konfrontation zu verstecken beeindruckte Kaito zutiefst. Sie hatte wahrlich das Zeug zu einer Meisterdiebin. Allerdings ließ sie ihm dadurch keine andere Wahl. Er würde Konsequenzen ziehen. Und zu harten Maßnahmen greifen. Immerhin war er Kaito Kid. In einem unbeobachteten Moment, in dem Aoko sich vermutlich gerade auf die Toilette verkrümelt hatte, um Kaito aus dem Weg zu gehen (erstaunlicherweise hatte Aoko trotz ihrer momentanen Launen den Anstand, weiterhin zur Schule zu kommen. Schon fast löblich. Wenn es Kaito das Leben nicht noch mal extra schwer machen würde.), nutzte der Meisterdieb die Gelegenheit, Informationen über Aokos Gemütszustand zu erfahren. „Keiko!“ Normalerweise klebte Keiko an Aokos Seite, als wären sie wie siamesische Zwillinge miteinander verbunden. Heute hatte er Glück. Er schlenderte zu ihrem Pult und stützte sich leicht darauf ab, während er zu ihr sprach. „Kaito?“, fragte sie unsicher und sah nach links und rechts, als wolle sie sicherstellen, dass ihre beste Freundin auch ja nicht bemerkte, wie sie Kontakt mit dem Feind aufnahm. Die Situation schien gesichert zu sein, denn Keiko beugte sich näher zu Kaito und antwortete mit einem gehässigen Grinsen: „Naaa, Regen im Paradies? Ehestreit?“ In den letzten Tagen hatte sich Kaito genug dieser Sprüche anhören müssen. Kaum hing er nicht mehr mit Aoko rum, rumorten die Gerüche wie nie zuvor. Interessanterweise. Sie konnten sich prügeln und die Haare raufen - sie waren das perfekte Paar. Aber kaum redeten sie ein paar Tage nicht miteinander, hieß es gleich „Ehekrach?“. Doch jetzt, in diesem Moment, regte sich Kaito nicht auf. Immerhin brauchte er Keiko gerade. Für… Ermittlungen. „Nein, alles bestens.“ Kaito knirschte mit den Zähnen. „Sag mal, hat Aoko irgendwas gesagt.“ „‘ne ganze Menge.“ „Irgendwas von Belang?“ „‘ne ganze Menge.“ „Keiko, das hilft mir nicht! Hat sie irgendwas gesagt… über einen … einen Typen gesagt?“ „‘ne ganze Menge.“ „Und, was ist das für Einer?“ Kaito fühlte, wie seine Hände zu schwitzen begannen. „Ein arroganter, selbstverliebter Typ, der sich für den größten Magier alles Zeiten hält.“ Kaitos Verstand raste. Das klang nach einem echt beschissenen Typen. Nach einem billigen Kaito-Abklatsch. … … Momentchen. „Keiko! Ernsthaft! Es geht hier nicht um mich!“ „Anscheinend mehr als Du denkst.“ Dieses bebrillte Mädchen brachte Kaito langsam zum Verzweifeln. Genauso gut konnte er mit Wänden reden. Oder mit Aoko. Kaito näherte sich Keiko und senkte verschwörerisch die Stimme, als er fortfuhr: „Bitte, Keiko, weißt du irgendwas über … über einen anderen Typen mit dem sie sich trifft?“ Wie Kaito das so sagte, kam es ihm so vor, als würde Aoko fremdgehen. Dabei war es eigentlich ihr gutes Recht, sich mit wem-auch-immer-sie-wollte zu treffen. Der überlegene Ausdruck auf Keikos Gesicht verschwand. Anscheinend wurde ihr Kaitos Not endlich bewusst. Sie biss sich gequält auf die Unterlippe, bevor sie schließlich flüsterte: „Na ja. Es gibt da wen. Ich weiß auch nicht viel…ich hab die beiden einmal zusammen gesehen. Zufällig. Es war ihr furchtbar unangenehm… ich glaube, ich hab auch seinen Namen mithören können… Ta… Ta… Tatami? Irgendwie sowas?“ Tatami. So ein selten dämlicher Name. So nichtssagend! Normalerweise konnte sich Kaito die Identitäten der Personen, die er imitierte, über lange Zeiten einprägen. Doch Tatami sagte ihm gar nichts. Vielleicht irrte sich Keiko ja auch, aber ein Anhaltspunkt war es allemal. Er zog den Mund schief, als er sich bei Keiko für diese Infos bedankte. Nun, wo sein Nebenbuhler einen Namen hatte, wurde die Gefahr, die von ihm ausging, noch präsenter. „Kaito?“ „Hm?“ „V…versöhn dich wieder mit Aoko, ja?“ Kaito stutzte. Das kam unerwartet. „Ich glaube… ich glaube, dieser Typ ist nicht der Richtige für Aoko.“ Als Antwort zuckte Kaito mit den Schultern. Keiko seufzte, doch Kaito hatte sich bereits wieder umgedreht und sich seinem eigenen Platz wieder zugewandt. Er wollte nichts mehr davon hören. Der Richtige für Aoko. Der Richtige. Pah. Das war doch allein Aokos Entscheidung. Da hatte Keiko nicht mitzureden und er selbst auch nicht. Und trotzdem wurmte es ihn wie verrückt. Vermutlich wandte er sich nur von Keiko ab, um sich nicht länger ausgiebig mit dem Thema befassen zu müssen. Eigentlich hätte es ihn zutiefst befriedigen müssen, dass Keiko von diesem Typen nicht viel hielt. Doch die Tatsache, dass sich Aoko mit ihm derart in der Öffentlichkeit zeigte, dass Keiko ihr begegnen konnte, machte ihn rasend. Tatami. Tatami. So ein Drecksack. Nun galt es nur noch, diesen Typen aufzuspüren und auch noch den Rest über ihn in Erfahrung zu bringen. Was er so trieb. Was für ein Mensch er war. Wie man sich seiner am besten entledigen konnte. Kaito hielt es kaum mehr auf seinem Sitzplatz aus. Er wollte sofort aufspringen, loslegen, Recherchearbeit anstellen. Geduldig harrte er noch die restliche Schulzeit aus, doch kaum ertönte die Glocke, um das Ende des Schultages einzuläuten, sprintete Kaito schon los. Normalerweise hätte er versucht, Aoko aufzulauern und abzufangen, doch heute war es ihm wichtiger, etwas über dieses Polizeihündchen zu erfahren. Schon während er noch im Klassenzimmer gesessen hatte, war er gedanklich durchgegangen, wie er seine Informationen sammeln sollte – doch nun, wo er nach Hause sprintete, raste sein Verstand genauso schnell wie ihn seine Füße trugen. Am einfachsten war es vermutlich, mal direkt im Polizeiquartier vorbeizuschauen. Gesagt, getan. Nach einem kleinen Abstecher zuhause, wo er sich rasch die nötigen Dinge für eine perfekte Maskierung zusammensuchte, eilte er direkt weiter zu Aokos Haus. Nicht etwa, um mit Aoko zu reden. Nein, Kaito ging raffinierter vor. Raffiniert wie kein Zweiter. Er brauchte eine perfekte Tarnung, um im Polizeihauptquartier nicht aufzufallen. Und wer eignete sich da besser, als Inspektor Nakamori himself? Kaito musste nur einen raschen Blick durch’s Küchenfenster der Nakamoris werfen, um sich zu vergewissern, dass Inspektor Nakamori zuhause war und nicht im Präsidium. Und tatsächlich – er schlief, lang auf dem Tisch ausgestreckt, neben einem Haufen Dosenbier. Na, das musste ja ein Leben sein. Doch Kaito genügte dieser Anblick. Er musste sich nicht großartig darüber auslassen, er hatte jetzt wichtigeres zu tun. Er verkrümelte sich in die nächstbeste Seitengasse, schmiss sich in sein Nakamori-Kostüm (das er als selbsternannter Meisterdieb natürlich immer griffbereit hatte. Denn niemanden muss man so oft kopieren, wie den zuständigen Kommissaren!) Die Maske, der Schnurrbart, der Anzug – alles saß wie angegossen. Auf dem Weg zum Polizeiquartier übte er Inspektor Nakamoris steifen Gang ein. Hin und wieder leckte er mit der Zunge am falschen Schnurrbart. Er würde sich nie an dieses flauschige Ding gewöhnen. Nach einem kurzen Fußmarsch stand er direkt vor seinem Ziel – dem Polizeirevier. Er atmete tief ein und aus. Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen. Er war unsicher wie selten zuvor. Hiergegen war ein Einbruch nichts. Hier ging es um mehr als um Juwelen. Natürlich beargwöhnte ihn niemand, als er das Quartier betrat. Die Polizisten grüßten ihn allesamt freundlich und behelligten ihn nicht weiter, als er schnurstraks und zielstrebig durch die Flure schritt. Ein Meisterdieb alleine unter Polizisten. Wenn das mal keine Ironie war. Kaito war sich nicht sicher, ob er die Akten der Polizisten auf Anhieb finden würde. Das letzte Mal war er vor Jahren mit Aoko im Polizeiquartier gewesen – und da hatten sie auch nicht viel mehr als den Eingangsbereich gesehen, da Aoko ihrem Vater nur ein Bento hinterher brachte. Ach, dieser Trottel von einem Kommissar konnte sich schon glücklich schätzen, so eine Tochter zu haben. Kaito bog in den nächstbesten Raum ab, der nicht nach Kantine oder Aufenthaltsraum aussah. An den Wänden türmten sich Aktenschränke. JACKPOT. Es war kaum zu glauben, wie einfach das gewesen war. Kaito schritt siegessicher auf die der Tür und ihm gegenüberliegende Wand zu. Die Aktenschränke erstreckten sich bis zur Decke und je näher er ihr kam, desto mehr musste er feststellen, dass diese Vielzahl an Aktenschränken ihn fast erschlug. Kaum auszudenken, was für Aktenberge sich dahinter verbergen konnten! Er hatte keine Ahnung, wo er anfangen sollte, also zog er zufällig eine Schublade heraus, griff beherzt hinein und zog eine dicke, beigefarbene Mappe heraus. Er öffnete sie, um einen schnellen Blick hineinzuwerfen. „Imatake Satoru“. Nein, das war eindeutig nicht der gesuchte Tatami. Kaito steckte die Aktenmappe achtlos zurück und griff sich gleich die nächste. Als auch die nicht den gewünschten Erfolg mit sich brachte, begann er immer wilder und diffuser Schubladen zu öffnen und Mappen zu durchstöbern. Es war ein Wunder, dass ihn keiner seiner Polizeikollegen darauf ansprach. Es ließ sich kein klares Muster erkennen – er suchte nicht einmal alphabetisch. Vermutlich war er bereits so in Raserei, dass er die Akte nicht einmal erkannt hätte, wenn er sie in den Händen gehalten hätte. Nach etwa einer halben Stunde fiel ihm etwas Seltsames an einer Personalakte auf. Ein kleiner Eintrag direkt auf der ersten Seite: Mord. Mord? Moment, wer stellte denn einen Polizisten ein, der einen Mord begangen hatte? Kaito wendete die Akte ein paar Mal, bis es ihm dämmerte. Er griff ein paar der anderen Akten heraus und sah auch diese näher an. Totschlag. Mord. Schwerer Raub. Er hatte seine letzte halbe Stunde damit verschwendet, Täterakten durchzusehen?! Wie konnte ihm das vorher nicht aufgefallen sein? Er war so auf die Namen fixiert gewesen, dass er alles andere vernachlässigt hatte. Am liebsten hätte er sich die Haare aus- und die Akten entzwei gerissen. Doch er wusste sich zu beherrschen. Diesmal. Für einen Moment kribbelte es ihn in den Fingern, nach seiner eigenen Akte zu suchen. Vermutlich hatte er bereits einen eigenen Spind. Doch es gab nun Wichtigeres zu tun. Es galt, diesen Tatami-Typen zu finden. Er wollte zumindest ein Foto von ihm sehen – am liebsten so ein peinliches, offizielles Foto. So ein Foto, das der Grund ist, weshalb man ungern seinen Ausweis oder Führerschein vorzeigt. Ja, so ein Foto wollte er sehen. Während er versuchte, die Akten möglichst akkurat wieder in ihre ursprünglichen Standorte hineinzustopfen, tippte ihm plötzlich jemand auf die Schulter. Kaito schreckte hoch – war er etwa aufgeflogen?! Hätte dieser Trampel Nakamori die Aktien etwa liebevoller zurückgesteckt? Als er sich umdrehte, um zu sehen, was ihn da soeben an der Schulter berührt hatte, sah er in das halb entsetzte, halb verwirrte Gesicht einer jungen Frau in Polizeiuniform. „K-Kommissar Nakamori, kann man Ihnen irgendwie helfen?“ KAito atmete innerlich erleichtert auf. Er schien also immer noch als Nakamori durchzugehen! Nun, wenn man ihm schon Hilfe anbot, wollte er sie natürlich auch nicht einfach so ausschlagen! „Ich suche was.“ „Eine bestimmte Akte?“ „Sozusagen.“ Kaito bemühte sich, vage zu bleiben. Er wollte nicht, dass jeder sofort wusste, dass er sich nach der Akte eines Polizisten umsah – immerhin sollte sich nicht gleich herumsprechen, Kommissar Nakamori habe nach der Akte dieses Tatamis gesucht. Nicht, dass sich noch Gerüchte von Beförderungen oder Entlassungen auftäten! „Aber… seit wann suchen Sie denn in den Archiven? Benutzen Sie nicht sonst Ihren Computer für alle möglichen Daten?“ Es fiel Kaito wie Schuppen von den Augen. Natürlich hatte der Kommissar einen eigenen Computer mit Daten zu Fällen und Personal in seinem Büro! Wie konnte Kaito nur so dumm sein?! Am liebsten wäre er dieser Polizisten um den Hals gefallen – doch er war immer noch Kommissar Nakamori und außerdem wollte er nun, da er wusste, wo er hinmusste, keine weitere Zeit mehr verlieren. „Nun…“, antwortete Nakamori-Kaito, während er sich gedanklich noch eine Ausrede aus den Fingern sog, „ja. Man wird ja wohl trotzdem mal in den Archiven schnüffel dürfen.“ Er drückte ihr die letzte Akte, die er noch fest umklammert gehalten hatte, im Vorbeigehen in die Hände und machte sich auf dem Weg in „sein“ Büro. Das zu finden war keine Schwierigkeit, stand doch groß der Name „NAKAMORI“ an der Tür. Nun hatte er es geschafft, er war sich sicher. Er huschte ins Büro, schloss die Tür leise hinter sich und ließ sich in Nakamoris Drehstuhl fallen. Er fuhr den Computer hoch und als das Laufwerk langsam zu surren und zu arbeiten begann, breiteten sich Glücksgefühle in Kaito aus. Die ersten seit einiger Zeit. Es war schon fast absurd, wie etwas, was mit diesem Möchtegernpolizisten zu tun hatte, ihn so in Hochstimmung versetzen konnte. Passwortabfrage. Kaito musste nicht einmal nachdenken, er hatte nicht einmal Zeit, ins Schwitzen zu geraten, da hatten seine Finger schon ein Passwort eingegeben. Aoko. Fehlermeldung. Gut, so simpel war Nakamori dann anscheinend doch nicht gestrickt. NakamoriAoko. Fehlermeldung. Na gut, einen Versuch war’s ja wohl wert gewesen. Kaito versuchte es, mit etwas anderem. Aokos Geburtsdatum. Das volle. Tag, Monat, Jahr. Kaito trommelte ungeduldig mit den Fingern, als diesmal nicht sofort die Fehlermeldung aufploppte. Sollte das etwa tatsächlich schon das korrekte Passwort gewesen sein? Das allzu vertraute Geräusch des startenden Computers brachte Kaito in helle Verzückung. Man, dieser Nakamori war echt zu leicht zu durchschauen. Kaito landete auf dem Desktop des Kommissars. Für einen Moment blieb sein Herz stehen, als er das Hintergrundbild erblickte. Es zeigte den Kommissar mit einer etwa zehn-, vielleicht elfjährigen Aoko. Sie lachten gemeinsam in die Kamera. Das Bild musste entstanden sein, nachdem Kaitos Vater, der ursprüngliche Kaito Kid, ermordet worden war und Aokos Vater wieder mehr Zeit für sie hatte, da er nicht mehr ständig im Einsatz war. In der rechten oberen Ecke des Monitors befand sich ein Ordner mit dem unrühmlichen Namen „Kato Kid“. Es störte das Gesamtbild aufs Abscheulichste. Auf eine seltsame Weise rührte es Kaito, dass Kommissar Nakamori solch ein Hintergrundbild an seinem Arbeitsplatz hatte. Vermutlich bedauerte Nakamori es mehr, so wenig Zeit mit seiner Tochter verbringen zu können und verbracht zu haben, als Kaito bisher dachte. Ein schlechtes Gewissen kroch in ihm hoch und ließ ihn schwer schlucken. Dann besann er sich wieder auf sein eigentliches Vorhaben. Es brauchte nur ein paar gezielte Klicks, schon war er in der Personalübersicht. Kaito spürte eine unangenehme Art der Erleichterung, als er das Foto der jungen, fröhlichen Aoko sehen musste. Er scrollte in der Übersicht auf und ab, doch einen Tatami konnte er nirgends entdecken. Ach, dass sich diese Keiko nicht einmal den Namen des neuen Freundes ihrer besten Freundin merken konnte! Innerlich verfluchte er Keikos schlechtes Namensgedächtnis auf’s unflätigste, bis ihm zwei Namen ins Auge stachen, die zumindest annähernd Ähnlichkeit mit „Tatami“ haben konnten – mit etwas Fantasie, immerhin. Takano und Tateno. Takano entpuppte sich als Polizist Ende dreißig, der mit einem unglaublich kantigen Kinn auftrumpfen konnte und keinerlei Ähnlichkeit mit dem jungen Mann in dem Café hatte. Tateno hingegen… ja… wenn Kaito sich anstrengte, konnte er einige Ähnlichkeiten zwischen Aokos Date und dem Foto, das ihm vom Monitor entgegen strahlte, ausmachen. Zu allem Überfluss war es kein „Oh mein Gott, bitte, schau nicht auf mein Führerscheinfoto, hahaha!“-Bild, sondern ein solches Bild, das man tatsächlich mit sich in der Tasche führen konnte, wenn man seinen Freundinnen und Freunden ein Bild vom derzeitigen Lebensabschnittsgefährten zeigen wollte. Es stellte sogar Kaitos Schülerausweisfoto in den Schatten. Seine Finger krallten sich fest in die Schreibtischunterlage und er musste sich zusammenreißen, seine Faust nicht in den Monitor zu versenken. Stattdessen ließ er ein verächtliches Zischen verlauten. Der Typ war 25 und ließ sich mit einer Siebzehnjährigen ein! Am liebsten hätte Kaito in die Tischplatte gebissen – oder sich unter dem Schreibtisch zusammengekauert und elendig geweint. Warum konnte sie sich nicht mit jemandem in ihrem Alter begnügen?! Es war ein leichtes für Kaito, seinen Hass, der sich die ganze Zeit auf jemanden namens „Tatami“ konzentriert hatte, auf einen „Tateno“ umzulenken. Das war ein mindestens genauso dummer Name! Gerade, als Kaito noch mit der Entscheidung rang, ob er sich nicht doch theatralisch auf den Boden schmeißen solle, um dort mit den Fäusten zu hämmern und wilde Flüche auszustoßen, klopfte es an der Tür. Kaito überlegte, ob er es vielleicht ignorieren sollte. Immerhin wäre Aokos Vater ja in diese Moment gar nicht hier gewesen. Doch prompt antwortete Kaito schon, wie aus einem tief verwurzelten Reflex: „Herein?“ Die Tür öffnete sich quietschend und herein trat einer der Polizisten, die Kaito schön öfter bei irgendwelchen Polizeieinsätzen rund um Kaito Kid bemerkt hatte. Dieser Typ schien zum Stammpersonal Nakamoris zu gehören. „Kommissar Nakamori, haben Sie einen Moment Zeit?“, frug der Polizist unsicher, als er in Kaitos Gesicht, das von den eben noch durchlebten Emotionen immer noch gezeichnet war, sah. Kaito nickte – so viel brachte er gerade noch zustande. „Es gibt neue Informationen bezüglich des…“, der Polizist senkte die Stimme und sah sich verschwörerisch um, als könne sie jemand möglicherweise belauschen, „Red Beryll.“ Kaito lupfte die Augenbrauen. Das klang verdächtig. Und nach einer Information, seine Hände die falschesten der falschen waren. Kaito wurde in diesem Moment ganz Profi – er setzte sein Pokerface auf und tat, als wüsste er genau, wovon dieser Polizist sprach. „Nun?“ „Der Juwel wird uns am Sonnabend zur Bewachung übergeben werden.“ „Und wann holt der Besitzer ihn wieder ab?“ „Er bleibt für eine Woche in unserer Obhut, wie angekündigt.“ „Dann hoffen wir mal, dass Kaito Kid nichts von diesem Juwel mitkriegt“, flüsterte Kaito unverhohlen und versteckte ein Grinsen hinter Nakamoris Schnurrbart. „Aber Herr Nakamori, wie sollte Kaito Kid je davon erfahren? Außerdem wäre er doch nie so dumm, zu versuchen, einen Juwel, der im Polizeirevier versteckt ist, zu klauen?“ Kaito fuhr den Computer mit wenigen Handgriffen herunter und erhob sich langsam aus seinem Drehstuhl, um Nakamoris Büro zu verlassen: „Man kann nie wissen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)