Armageddon von UrrSharrador (Auch die Hoffnung stirbt irgendwann ... [Trailer online]) ================================================================================ Kapitel 1: Der Geschmack der Erde --------------------------------- Durch eine milchige, beschlagene Scheibe konnte man die bewusstlosen Ninjas sehen, die im Inneren des Apparats an schweren Ketten hingen. Aus der Apparatur quollen Dutzende Schläuche, durch die hellblaue Flüssigkeit in den Körper lief, der in etwas lag, was wie ein überdimensionaler Brutkasten aussah. Mit schnellen Handgriffen und den passenden Jutsus entfernte Kabuto zuerst die Schläuche, dann die Siegel, die überall am Brutkasten klebten und gefährlich rauchten. Er den Deckel ab. Es fauchte, weißer Rauch entwich. Kabutos Brille beschlug einen Moment, und als er wieder etwas sah, hatte sich der Körper, der im Inkubator lag, bereits aufgesetzt. „Was ist …“ Die Stimme klang genauso, als hätte der Mann jahrelang nichts gesagt … Er hatte also aufgehört, da drin Selbstgespräche zu führen. „Orochimaru ist tot“, sagte Kabuto. „Bist du das, Kabuto?“ Seine Sicht war nach sieben Jahren in diesem Kasten getrübt. „Bringst du mir neues Chakra?“ Kabuto schüttelte den Kopf. „Hast du mir nicht zugehört? Orochimaru ist tot. Dein Luxusleben hat ein Ende. Es wird dir niemand mehr Ninjas bringen, deren Chakra du injiziert bekommst.“ Der Ninja murrte. „Was willst du dann?“ Kabuto trat näher. „Sieben Jahre lang hat Orochimaru deinen Körper mit dem Chakra von Hunderten genährt. Jetzt wirst du deine Fähigkeiten dazu nutzen, Orochimarus Mörder zur Strecke zu bringen.“ Der Mann musterte ihn eine Minute lang wenig begeistert. „Also schön“, seufzte er dann. „Sag mir seinen Namen und wie ich ihn finden kann.“ Acht Gestalten auf der Lichtung, die sich Auge in Auge gegenüberstanden. Spannung wie von elektrischem Strom, der zwischen ihren Worten in der Luft lag. „Sasuke“, murmelte Naruto. „Spar dir deine Mühe“, sagte Suigetsu, der Schwertkämpfer in Sasukes Begleitung, und wog spielerisch Zabusas mächtige Klinge in der Hand. „Sasuke wird nicht mit euch nach Konoha zurückkriechen, egal, wie sehr ihr uns berieselt.“ „Sasuke, bitte“, murmelte Sakura. Sasuke sah sie nicht einmal an – die rothaarige Frau an seiner Seite schon, und unter ihren Brillengläsern blitzen ihre Augen spöttisch auf. „Wir haben nicht vor, zu kämpfen“, sagte Kakashi ruhig. Er hatte sein Stirnband hochgeschoben, das Sharingan-Auge mit der Narbe entblößt. „Du hast Orochimaru getötet. Komm nach Konoha zurück, es gibt nichts mehr für dich zu tun.“ Sakura wusste es besser. Sasuke würde sich davon nicht überzeugen lassen. Sein Rachedurst war nicht befriedigt. Orochimaru war nur ein Meilenstein auf seinem langen Weg der Zerstörung gewesen. „Ihr wiederholt euch“, gähnte Suigetsu. „He, Sasuke, was meinst du, ich schneide sie in kleine Scheibchen, dann ziehen wir weiter.“ Sasuke sagte auch jetzt nichts. Stumm wanderte sein Blick nun doch zu Sakura. Naruto bemerkte es. „Du hast Sakura das Herz gebrochen, als du fort bist, weißt du das?“, knurrte er. Dann war er wieder fort, der Blick, losgelöst von ihren Augen, und es war, als würden Fesseln von ihr abfallen. In dem Moment fuhr Kakashi herum und schleuderte einen Kunai in eine nahe Baumkrone. Ein leiser Aufschrei ertönte, dann fiel etwas – jemand – aus den Ästen und landete auf dem Waldboden. Sakura erblickte erstaunt einen Ninja, nur in Lederhosen gekleidet, mit dunklem Haar und unscheinbarem Gesicht. Er kratzte sich an der Wange, wo der Kunai eine feine rote Linie gezogen hatte. „Die Jahre im Brutkasten haben wohl meine Reaktion beeinträchtigt“, sagte er zu sich selbst. „Wer bist du?“, fragte Naruto. Sai drehte sich schräg, um sowohl Sasukes Team als auch den Fremden im Auge haben zu können. Der Ninja ignorierte ihn und fixierte Sasuke. „Du bist Sasuke, wenn ich mich nicht täusche, ja?“ „Und wenn?“ Mit ihm sprach er. Mit diesem völlig Fremden, schlecht ausgebildeten Ninja sprach er, und mit seinen ehemaligen Freunden nicht. Sakura fühlte sich dadurch verletzt. Es schien, als wären sie Luft für ihn, und nur sie. „Dann hab ich keine weiteren Fragen mehr. Dank dir bin ich frei. Dank dir muss ich mich nun selbst ernähren. Das ist alles.“ Er streckte sich und ließ sein Genick knacken. „Dann muss ich wohl auch nicht weiterhin mein Chakra verbergen.“ Und eine erdrückende Welle schien über Sakura zusammenzuschlagen. Das Chakra dieses Mannes war gewaltig – so dicht gepresst, dass es zäh und träge wirkte, und die schiere Menge davon überraschte sogar Naruto, der sich mit großen Chakramengen bestens auskannte, denn er schnappte nach Luft. Der Ninja streckte die Hand aus und ein reißender Strom aus purem Chakra fuhr auf Sasuke zu, blaue und wirbelnd und vernichtend, riss eine Furche in den Boden und fegte Steine, Gras und Blätter davon. Sasuke und sein Team sprangen ohne Schwierigkeiten außer Reichweite, doch Sakura spürte, dass der Angriff sie umgebracht hätte, hätte er sie erwischt. Selbst auf diese Entfernung vibrierte die Luft, als das Chakra einschlug und einen Krater in den Boden riss. Wer oder was war das? Der Fremde lächelte und sagte rau: „Ich wurde sieben Jahre lang mit dem Chakra von etlichen hundert Ninjas gespeist. Ich beherrsche keine Jutsus und bin im Nahkampf eine Niete. Aber mein Kekkei Genkai erlaubt es mir, das Chakra nach Belieben freizusetzen. Orochimaru-sama hat dieses Talent erkannt.“ Noch bevor er ausgeredet hatte, tauchte Sasuke mit wehendem Mantel wie aus dem Nichts vor ihm auf. Sakura musste innerlich den Kopf schütteln. Glaubte der Ninja denn, er könnte jemanden wie Sasuke mit bloßem Chakra besiegen? Ohne ihm ein Haar zu krümmen, schnellte Sasuke nur um ihn herum und ging dann auf Abstand. Der Ninja sah ihm nach und sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Entsetzens. „Was … nein … Nein, ich hab euch nicht freiwillig absorbiert! Hört auf! Hört auf, mich so anzusehen!“ Seine Stimme wurde schrill, während er sich die Haare raufte, Büschel davon ausriss und wie betrunken auf der Stelle taumelte. Speichel sprühte aus seinen Mundwinkeln, als er wie am Spieß schrie. „Er steht bereits unter einem Genjutsu“, stellte Kakashi an Sakuras Seite fest. „Der Kampf ist vorbei.“ „Nein! Haut ab!“ Der Ninja schrie und jaulte weiter, als Sasuke bei seinen Teamkameraden landete. „Wir gehen“, befahl er. Der Ninja bäumte sich ein letztes Mal auf und brüllte in den wolkenverhangenen Himmel hinein: „Na gut! Nehmt es! Ich geb es euch zurück, aber lasst mich in Ruhe!“ Kakashi merkte es als erstes, denn er spannte alle Muskeln an, und Sakura fühlte es kurz danach. Die gewaltige Menge Chakra in seinem Körper kochte und brodelte über. „Bringt euch in Sicherheit!“, rief Kakashi, als der Körper des Ninjas in gleißendem, blauem Licht entflammte und ein Sturm aus purem Chakra explodierte und sich in alle Richtungen ausbreitete. Es ging alles so schnell, und doch erinnerte sich Sakura an die Einzelheiten. Die Wolken am Himmel wurden schier weggefegt, das blaue Leuchten brach das Sonnenlicht in unwirkliches Glühen. Der Boden riss auf, die Bäume ächzten, wurden gespaltet. Sasukes Team verschwand mit flatternden Mänteln aus ihrem Blick. Wie eine gewaltige Staubwolke ergoss sich das Chakra über das Land, rollte kreisförmig über sie hinweg, und Sakura fühlte den Sturm auf der eigenen Haut, fühlte, wie etwas Fremdes ihren Körper durchströmte, eisig kalt, diebisch und vernichtend, sie fühlte, wie ihre Poren sich wie mit Öl verklebten und sie alle Kraft und Lebensgeister verlor. Dann waren da plötzlich zwei kräftige Hände, die sie an den Schultern packten und herumrissen. Sie sah in Kakashis einzelnes Sharingan-Auge, das durch die blaue Luft wie eine glühende Kohle funkelte. Er sprang. Der Sturm riss sie mit, doch das Gefühl der Leere wurde nicht mehr intensiver, sondern füllte sie mit Übelkeit und Schmerz. Wo war oben, wo war unten? Alles stürmte, alles wirbelte, blaues Licht überall. Sakura hätte sich nie gedacht, dass so der Weltuntergang aussehen würde. Einen kurzen Blick erhaschte sie auf Sai, der leblos in dem wogenden Strom trieb, die Haut trocken und spröde und voller Falten, grau wie die eines alten Mannes und abblätternd wie alter Verputz, die Augen weit aufgerissen und mit geplatzten Adern darin, die sie blutrot färbten. Sakura schrie, doch sie hörte sich selbst nicht. Kakashis Arme schlossen sich um sie, sie vergrub ihr Gesicht in seiner Ninjaweste. Dann verlor sie das Bewusstsein. Als sie erwachte, schmeckte sie Erde im Mund. Hustend setzte sie sich auf. Ihr war kalt, sie schlang sich zitternd die Arme um den Leib. Dabei merkte sie, dass ihre Kleidung voller Schmutz war, fast war sie schwarz. Die Sonne strahlte noch vom Himmel, dennoch konnte sie sie nicht wärmen. Ihre Sinne waren seltsam getrübt. Sie lag irgendwo in einer Einöde, soviel konnte sie erkennen, unterhalb eines Abhangs auf einem erdigen Weg. Dort oben standen verkrüppelte Bäume, manche zerschlagen, andere gebeugt, allesamt blattlos, von einigen schälte sich die Rinde ab und kräuselte sich an den Stämmen. Der Himmel war wolkenlos, das Licht der Sonne erschien ihr eigentümlich, als läge ein seltsamer Nebel über dem Land, der es blasser, kälter wirken ließ … Sakura konnte sogar direkt in den glühenden Ball starren, ohne dass ihre Augen schmerzten. Und lag nicht etwas auf der Welt, drückend und schwer, und machte das Atmen zur Qual? Dann erst bemerkte sie ihn neben sich und schlug erschrocken die Hand vor den Mund. Die einzige kräftige Farbe in dieser Einöde war sein Blut. Kakashi lag auf dem Rücken neben ihr, seine Kleidung wie von scharfen Klingen aufgeschlitzt, und überall klafften kleine Wunden an seinem Körper. Die Augen hatte er geschlossen. „Kakashi-sensei!“ Sofort war sie bei ihm, die Bewegung rief Übelkeit in ihr hervor, aber sie ignorierte das Gefühl. Sie fühlte seine Temperatur. Er war kalt, aber er atmete noch. Sakura schluckte, riss seine Weste und sein Hemd, die beide ohnehin nur noch Fetzen waren, von seinem Leib und versuchte Chakra in ihren Handflächen zu sammeln, um ihn zu heilen. Es klappte nicht. Das Glühen erschien nicht, und sie fühlte auch nicht das gewohnte Fließen der Kraft in ihren Adern. „Gib dir keine Mühe“, hörte sie seine Stimme, leise wie ein gemächlicher Bach. „Sensei!“, rief sie. „Bist du in Ordnung?“ Nein, in Ordnung war er eindeutig nicht. „Es geht schon“, murmelte er schwerfällig. „Was ist denn passiert?“ Das Sharingan-Auge zugekniffen, sah er sie müde an. „Ich habe nur eine Theorie“, sagte er und versuchte sich aufzusetzen. Sakura drückte ihn mit sanfter Gewalt wieder zu Boden. „Der Chakrasturm, der aus dem Körper dieses Ninjas gekommen ist … Er ist schuld.“ „Ist so etwas überhaupt möglich? So viel Chakra zu speichern?“ Sakura konnte es sich gar nicht vorstellen, aber sie hatte gesehen, wie die blaue Energie aus dem Mann hervorgebrochen war. „Ich habe sowas noch nie gesehen, aber das muss nichts heißen“, sagte er. „Das Chakra ist durch alles hindurchgefahren, was es erwischt hat. Ich weiß nicht, wie weit der Sturm gegangen ist, aber er war vielleicht kraftvoll genug, um Leben auszulöschen und Häuser einzureißen. Er ist in unsere Körper gedrungen und hat unser eigenes Chakra einfach weggefegt. Unsere Chakra-Punkte haben die Belastung nicht ausgehalten. Sie sind betäubt, möglicherweise sogar zerstört.“ Sakura riss die Augen auf. „Heißt das, wir …?“ „Nein“, keuchte Kakashi. „Wir sind immer noch Ninjas und könnten immer noch Jutsus einsetzen – denke ich. Wenn wir an Chakra kommen. Selbst produzieren können es unsere Körper aber nicht mehr, zumindest im Moment.“ „Aber wenn der Sturm wirklich so zerstörerisch war …“, murmelte sie, „wieso leben wir dann noch?“ „Das Chakra war nicht überall gleich stark. Mit meinem Sharingan konnte ich sehen, in welchem Wirbel wir überleben konnten. Trotzdem war es wohl für meinen Körper eine große Belastung.“ Er kniff die Augen zusammen, als er versuchte, seine Glieder zu bewegen. Schweiß lief ihm über die Stirn. Sakura tupfte sie mit ihren Handschuhen ab, dann tastete sie nach ihrer Medi-Tasche, doch sie war fort, von ihrem Gürtel gerissen von dem Sturm. Sakura besah sich Kakashis Verletzungen genauer. Konnte es sein, dass …? Natürlich. Ein bitterer Geschmack legte sich auf ihre Zunge. Er war zwar verletzt, aber vom Sturz, und keine der Wunden war tief genug, um einen Ninja seines Kalibers außer Gefecht zu setzen. Er hatte zu viel von dem fremden Chakra abbekommen, obwohl er sein Sharingan eingesetzt hatte … weil er sie beschützt hatte. Wenn er starb, war das ihre Schuld. Und sie konnte ihn nicht einmal heilen! Wie sollte sie ihn von den Nachwirkungen des lebensfressenden Chakras heilen, wenn sie selbst keines bündeln konnte? In hilfloser Wut hieb sie in die Erde, und nicht einmal ihr Schlag war so kraftvoll wie sonst. Schweigend beobachtete sein waches Auge, wie sie mit den Zähnen knirschte. Dann riss sie sich zusammen und bemühte sich um ein Lächeln. „Ich werde versuchen, Hilfe zu holen. Und Verbandszeug.“ Sie tastete nach seiner Hand und drückte seine Finger. „Ich muss dich aber allein lassen, ist das okay?“ Seine Finger bewegten sich leicht. „Das ist kein Problem.“ Sakura nickte. Sie spürte, wie trocken und kratzig ihre Kehle war. Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Einen ganzen Tag vielleicht? Sie würde auch Wasser und etwas zu essen auftreiben. Sie zog Kakashi unter einen nahen Felsvorsprung, damit er nicht in der prallen Sonne mitten am Weg lag. „Es tut mir leid, Sensei“, murmelte sie schwer atmend, da sie ihn wie einen nassen Sack zerren musste. Es musste entwürdigend sein. „Schon gut“, murmelte er schwach. „Ich sollte mich bei dir entschuldigen … Sakura.“ Er schloss die Augen und ihr Herz setzte einen Moment aus, aber er atmete weiterhin, wenn auch flach. Sie kauerte neben ihm nieder und legte ihm die Hand auf die Brust, spürte sein Herz schlagen. Er war alles, was sie hatte, fiel ihr wieder ein. Wenn der Sturm wirklich so zerstörerisch war … Das Dorf war nicht fern gewesen … Und sie hatte noch gut vor Augen, was mit Sai geschehen war … Und Naruto … Nun kamen ihr die Tränen, als sie es erkannte. Wahrscheinlich waren sie alle tot. Naruto und Sai. Ihre Freunde … Nein, so durfte sie nicht denken. Vielleicht war dem Dorf nichts geschehen. Sie musste unbedingt nachsehen, sobald es Kakashi wieder besser ging. Und Sasuke … Er könnte überlebt haben, er besaß auch das Sharingan. Vielleicht, wenn er Glück gehabt hatte … Eins nach dem anderen. Erst mal musste sie Kakashis Überleben sichern. Mitschleppen konnte sie ihn unmöglich; das hatte ihr die kurze Strecke zum Felsvorsprung klargemacht. Ihr blieb also nur übrig, sich zu beeilen. Sie kannte die Gegend ein wenig, weil sie hier bereits am Vortag nach Sasuke gesucht hatten. Die Bäume waren jetzt verkrüppelt, Staub von der Straße befleckte, was von den Wiesen übrig war, und das Erdreich war stellenweise aufgebrochen, aber in etwa wusste sie immer noch, wo sie war. Kopfschüttelnd besah sie sich die Zerstörung. Dass ein einzelner Ninja eine solche Katastrophe verursacht hatte … Nein, verbesserte sie sich. Nicht ein einzelner Ninja. Hunderte Ninjas, mit zusammengepresster Kraft. Aber würde das denn ausreichen? Sie hatte das Gefühl, dass diese Erklärung nicht die ganze Wahrheit war. Sakura folgte dem Weg, bis sie zu dem Dorf kam, das sie gestern schon passiert hatten. Auch hier hatte die Zerstörung sichtbare Spuren hinterlassen. Viele der hölzernen Hütten waren eingestürzt, die Dächer abgedeckt. Einige Häuser waren nur noch Ruinen, Stacheln aus Stein und abgerissenen Brettern, die in den Himmel ragten. Und dann die Leichen. Sie lagen auf den Straßen, vor den Bänken, auf denen sie gehockt waren, so angeordnet, dass man noch sehen konnte, wer zu der Zeit, als der Sturm ausgebrochen war, mit wem geredet hatte. Zwei Frauen mit langen Schürzen lagen vor dem Brunnen im Dorfzentrum. Sakura schluckte. Obwohl sie sich zwang, nicht genauer hinzusehen, sah sie doch jedem Leichnam, den sie passierte, in die Augen. Der Chakrasturm hatte unterschiedliche Auswirkungen auf sie gehabt. Manche waren schwarz verkohlt, andere hatten wächsern glänzende Haut, wieder andere schienen komplett heil zu sein und einfach zu schlafen, und dann waren da noch die Grauhäutigen, denen die Flüssigkeit aus dem Körper gezogen worden zu sein schien und deren Haut aufgerissen war und abbröckelte wie Mörtel. So, wie Sai kurz vor seinem Tod ausgesehen hatte … Sakura schlug die Hand vor den Mund und würgte. Sie stützte sich an der einzelnen Hauswand zu ihrer linken ab und übergab sich. Galle blieb auf ihrer Zunge zurück und wieder drohte sie die Verzweiflung zu übermannen. So schnell, es war so schnell gegangen … Gerade noch hatten sie versucht, Sasuke zu überreden, und dann kam ein Ninja, den niemand von ihnen kannte, und dann … Sie atmete tief durch und bereute es sofort. Dem Dorf haftete der Gestank des Todes an. Sie trat zum Brunnen, stieg über eine der Frauen hinweg und kurbelte den Eimer, der im Schacht verschwunden war, nach oben. Wenigstens das Wasser schien in Ordnung zu sein. Schlechtes Gewissen überkam sie, als sie die Häuserruinen durchsuchte. Es ist kein Diebstahl, redete sie sich ein. Sie fand eine Feldflasche, in die sie das Wasser füllte, außerdem einen Vorratskeller mit Pökelfleisch und Brotwecken. Elektrischen Strom für Kühlschränke gab es in diesem Dorf nicht. Verbandszeug. Dafür musste sie länger suchen. Sie wollte auf keinen Fall die Taschen der Leichen plündern. Im Endeffekt kletterte sie in den ersten Stock der höchsten Hütte im Dorf, was recht riskant war, denn von der Treppe war nur noch die Hälfte übrig, und ohne Stützen knarzte und bog sich diese unter ihrem Gewicht. Die Hälfte des Fußbodens oben war noch intakt, obwohl das Dach darauf gestürzt war. Unter den Trümmern lugte ein verkohlter alter Schrank heraus, der umgestürzt war. Sie brach die zersplitterten Bretter auseinander und fand tatsächlich einen Jutesack mit Verbandszeug und Kräutersalben. Sie stopfte noch die Feldflasche und das Essen hinzu, schulterte den Sack und verließ das Dorf. Einmal drehte sie sich noch um. Die zerstörten Überreste hatten etwas Endgültiges, Niederschmetterndes. Sie fragte sich, ob nur auf der Lichtung das reine Chakra gewirbelt hatte und hier, weiter davon entfernt, die Elemente daraus hervorgebrochen waren. Das würde die stellenweisen Brandflecken erklären. Fast bedauerte sie es, den Sturm nicht mitangesehen zu haben. Dann hätte sie gewusst, was passiert war. Sie fand Kakashi unverändert vor, immer noch bewusstlos. Zuerst machte sie sich daran, seine Wunden zu verbinden. In dem Jutesack war auch reiner Alkohol zum Desinfizieren. Nach getaner Arbeit verarztete sie ihre eigenen, kleinen Schrammen, von denen sie sich die meisten beim Herumklettern in den Ruinen zugezogen hatte. Kakashi atmete tief und regelmäßig. Sie überlegte, ob sie nicht das Tuch vor seinem Mund und seiner Nase entfernen sollte, damit er besser Luft bekam, aber aus irgendeinem Grund fand sie es eine irre Verletzung seiner Privatsphäre, und so ließ sie es bleiben. Dann wartete sie. Die Sonne ging unter und Sakura wurde müde, zwang sich jedoch, wachzubleiben. Als der Mond am Himmel stand, kalt und leer, schlug Kakashi wieder die Augen auf. Sein Blick suchte ihr Gesicht. „Sakura“, murmelte er. „Verzeih. Ich bin eingenickt.“ „Schon gut. Schlaf ruhig weiter. Ich halte Wache, bis du dich wieder erholt hast“, sagte sie sanft. Ihr fiel auf, dass sie bisher noch nie so vertraut mit ihm gesprochen hatte. Stets war er der unerreichbare Sensei gewesen, ihr immer einen Schritt voraus. Aber es lag wohl einfach daran, dass er ihr Patient war. Tatsächlich schlief er wieder ein, sicherlich gegen seinen Willen, und Sakura hoffte einfach, dass sich sein Körper mit genügend Schlaf weitgehend erholen würde. Sie zwang sich, so lange wach zu bleiben, bis auch sie die Schlacht gegen die Müdigkeit verlor, lange nach Mitternacht. Die folgenden Tage liefen nach einem ähnlichen Schema ab. Sakura suchte die Umgebung nach brauchbaren Dingen ab – und auch nach Lebenszeichen, doch nicht einmal Tiere fand sie. Ihr Mut sank immer weiter, doch sie redete sich ein, dass die Zerstörung ihre Krallen nur in diesen Landstrich geschlagen hatte und sowohl Konoha als auch der Rest des Landes noch da waren. Wie sollte es auch anders sein? Alles andere wäre lächerlich! Ihre Chakrapunkte waren nach wie vor belegt und sie fühlte sich in vielerlei Hinsicht verwundbar. Kakashi bekam Fieber, das sie so gut es ging kühlte und mit Kräutern behandelte. Das war dann auch das einzige, was sie essen konnten: Kräuter und Brot. Das Fleisch, das sie gefunden hatte, war irgendwie verdorben; es war faserig und spröde wie Holzspäne und schmeckte dabei grauenhaft und wässrig. Das Brunnenwasser war schal, aber genießbar. Kakashi konnte seine Arme immer noch nicht richtig bewegen, also fragte sie ihn am zweiten Tag in einem wachen Moment, ob sie das Tuch entfernen könnte. Fast andächtig schob sie das Stück Stoff zur Seite und darunter war – nichts. Keine Narbe, keine fehlerhaften Zähne. Trauer überkam sie, als sie zurückdachte, wie sie als Kinder Thesen darüber aufgestellt hatten, was Kakashi wohl darunter verbarg. Sie flößte ihm Wasser ein und tränkte auch das Brot damit, das sie ihm gab. Weit entfernte sie sich nie von ihm. Als sie einmal einen zweistündigen Ausflug in eine andere Siedlung unternahm, schleppte sie mehrere Decken mit, um ihm ein bequemeres Lager einzurichten, dazu eine Öllampe für die finsteren Stunden; auch einen Regenschirm fand sie. Sie tat ihr Möglichstes, um Kakashi gesund zu pflegen, aber sie wusste, dass es nicht reichte. Sein Fieber wurde besser, aber die Schwäche ließ nicht von ihm ab. Wenn nicht bald jemand vorbeikam, am besten ein Medic-nin, der seine Fähigkeiten nicht verloren hatte, wusste sie nicht, ob sie ihn noch lange am Leben halten konnte. Tatsache war, dass sie ihn nicht ewig mitten auf der Straße lagern konnte. Aber ohne ihre Kräfte, die durch das Chakra zustande kamen, konnte sie ihn auf keinen Fall bis zu einer Unterkunft tragen, und sie wagte es auch nicht, noch weiter fortzugehen, um Hilfe zu holen. Einmal, als sie Kakashi wieder mit einem feuchten Tuch über die Stirn wischte, sah er mit fiebernden Augen zu ihr hoch. „Rin?“, murmelte er. „Ich bin es, Sensei“, erwiderte sie mit brüchiger Stimme. Sie wusste, dass Rin seine verstorbene Teamkameradin war. Ob sie ihm etwas bedeutet hatte? „Wo bin ich?“, seufzte er. „Was ist mit Obito?“ Sakura schlug die Augen nieder. Er fantasierte. Das konnte nichts Gutes bedeuten. „Schlaf gut, Kakashi-sensei“, flüsterte sie. Das schien er zu verstehen, denn er schloss die Augen und atmete entspannt aus. Er kam ihr plötzlich hilflos vor wie ein kleines Kind, und den gefürchteten Kopierninja so zu sehen, versetzte ihr einen Stich. Sie wollte, dass er wieder der alte wurde, dass er sich wieder wegen seines Zuspätkommens entschuldigte, dass er in jeder Situation cool blieb, dass er wieder vor seinen Schundromanen saß und dabei – nur zum Schein – alles um sich herum vergaß. Sakura spürte, wie ihr plötzlich Tränen über die Wangen rannen. Wenn der berüchtigte Kakashi nun der hilflose, halluzinierende Patient war, der vor ihr lag, war die Welt wohl tatsächlich untergegangen. „Werde wieder gesund“, schluchzte sie leise. „Bitte. Ich habe sonst niemanden.“ Sie stellte sich vor, was sie tun sollte, wenn sie ihn verlor – ihren letzten Anker, der mit der Welt, die sie kannte, verbunden war. Würde sie losgehen und das Dorf suchen? In all der Zeit hatte sie keine Menschenseele gesehen, und obwohl sie wusste, dass es töricht war, so etwas auch nur zu denken, hatte sie immer mehr Zweifel, ob sie beide nicht vielleicht die letzten lebenden Menschen auf dieser Welt waren. Um den Gedanken abzuschütteln, machte sie sich daran, seine Verbände zu wechseln. Wenigstens die körperlichen Wunden verheilten gut. Erstmals blieb ihr Blick an Kakashis hervorstechenden Bauchmuskeln hängen, dann an seinen Armen. Er war wirklich gut durchtrainiert … Ihr fiel auf, dass sie ihn noch nie mit nacktem Oberkörper gesehen hatte und fast war es ihr peinlich. Die letzten beiden Menschen auf der Welt … Nein, was dachte sie überhaupt? Sie war Medic-nin, er ihr Patient! Dennoch träumte sie in dieser Nacht von ihm, als sie wieder während ihrer Wache einnickte. Hinterher konnte sie sich nicht an den Traum erinnern, aber der Gedanke daran war seltsam tröstlich. Nach mehr als zehn Tagen hatte sie ihr Jagdgebiet noch ein wenig vergrößert und streifte durch die Wälder, die weiter nördlich lagen, bis sie an eine Felswand kam. Hier irgendwo gab es ein Gebirge, das wusste sie, und vielleicht waren dort, im Schutz der Steilwände, ein paar Dörfer verschont geblieben. Tatsächlich wurde sie nach kurzer Zeit fündig, anders allerdings, als sie erwartet hatte. Ein kleiner Wagenzug war dicht am Steilhang vorbeigekommen, eine Handelskarawane oder etwas Ähnliches vielleicht. Verlassene Lastkarren standen in einer schnurgeraden Linie da, angeführt von etwas, das wie eine Kutsche aussah. Die Pferdegeschirre waren leer; entweder hatte jemand die Tiere mitgenommen – tot oder lebendig – oder sie waren entkommen. Die Töpfe und Kisten, die auf den Karren standen, sahen ungeöffnet aus. Sakura kletterte auf den erstbesten Karren und warf prüfend einen Blick in einen der Töpfe. Marillen, noch genießbar. Allerdings suchte sie etwas anderes; wenn sie Glück hatte, hatte Karawane auch medizinischen Bedarf geladen, Soldatenpillen vielleicht, oder irgendetwas anderes, das Kakashi weit genug aufputschen würde, damit sie endlich weiterziehen konnten. „Keine Bewegung!“, hörte sie eine Stimme von oben und sie zuckte zusammen. Die ganze Zeit über hatte sie keine Menschen gesehen und auch nicht erwartet, welche anzutreffen, und war daher nicht gerade vorsichtig bei ihren Plünderungen zu Werke gegangen. Nun sollte sie vielleicht erfreut sein, dass noch jemand außer ihr und Kakashi den Chakrasturm überlebt hatte, aber der Bogen mit dem Pfeil auf der Sehne, der auf sie gerichtet war, hinderte sie daran. Auf der oberen Kante der Felswand waren gleich mehrere Leute aufgetaucht, allesamt Männer, wie es aussah. Sie trugen grobe Sicheln, Hämmer und Spitzhacken und der eine, der gerufen hatte, ebenjenen Bogen. Ihre Kleidung war schmutzig, aber selbst unter dem Schmutz durchgängig schwarz, und sie hatten sich die Gesichter schwarzweiß angemalt, und zwar so, dass Sakura im ersten Moment glaubte, in blanke Totenschädel zu blicken. „Das ist unsere Beute! Verzieh dich!“, rief der Mann herunter. Er hatte einen Reisbauernhut auf, der ihm ständig ins Gesicht rutschte. Sakura wägte ihre Chancen ab. Einem einzelnen Pfeil konnte sie immer noch ausweichen, und es waren zwar insgesamt sechs bewaffnete Männer, aber auch ohne Chakra sollte sie auf ihre Ninja-Ausbildung zählen können. Aber wollte sie wirklich gegen das einzige Bisschen Leben kämpfen, das ihr in den letzten Tagen begegnet war? „Kein Problem“, rief sie nach oben. „Ich habe nicht vor, euch etwas wegzunehmen. Ich brauche nur, was sie an Medikamenten dabei haben. Einverstanden?“ Sie sah, wie der Mann neben dem Anführer sich zu ihm beugte und ihm etwas zuflüsterte. Die Miene des Mannes hellte sich auf. „Tatsächlich? Wieso weiß ich davon nichts?“ Der andere zuckte verlegen die Achseln. „Na gut, wenn das sein Wille ist … aber du zeigst mir diese Schriftrolle dann, ja?“, murmelte der Bogenschütze. Dann rief er zu Sakura: „Gut, plündern wir die Karawane gemeinsam. Du nimmst, was du brauchst, und wir nehmen, was wir brauchen.“ Sakura nickte und machte sich wieder auf die Suche, während die Männer damit beschäftigt waren, die Felswand herunterzuklettern. Der mit dem Strohhut kletterte zu ihr hoch, als sie gerade damit beschäftigt war, eine schwere Eisentruhe zu öffnen. Es wollte ihr nicht gelingen, das Schloss aufzubrechen. „Lass mich mal“, brummte der Mann und zog eine Spitzhacke mit gekürztem Stiel von seinem Gürtel. Nach ein paar gekonnten Hieben zerbarst das Schloss und Sakura öffnete die Kiste. Sie lächelte erleichtert, als sie darin kleine Säckchen vorfand, aus denen kleine, braune Kügelchen herausgerollt waren. Eben wollte sie sich danach bücken, als plötzlich zwei raue Hände ihre Schultern packten und nach hinten rissen. „Aua, was soll das?“, rief sie und schlug um sich, aber da schlängelte sich auch schon etwas Kaltes um ihre Handgelenke und zurrte ihre Arme hinter dem Rücken fest. Sakura bäumte sich auf, wirbelte herum und schmetterte den Fuß in das Gesicht eines der Männer, den es rücklings vom Karren warf. Da war schon der nächste heran, mit einer weiteren, eisernen Kette in den Händen. Hätte sie noch ihre alten Kräfte gehabt, hätte sie die Kerle wie lästige Insekten von sich geschleudert, doch ihr blockiertes Chakra und vor allem der Schlafmangel schmälerten ihre Reaktionsfähigkeit. Der Mann schlang ihr die Kette um den Hals, glitt hinter sie und zog zusammen. Sakura röchelte, als die Kettenglieder über ihren Hals schrammten und ihr die Luft abschnitten. Sie versuchte die Ketten zu packen, aber ihre Hände entkamen den Fesseln nicht. Jemand stieß ihr etwas ins Kreuz, was sie keuchend in die Knie brechen ließ, dann wurde sie von mehreren Händen gleichzeitig auf das raue Holz des Karrens gepresst, während die Schlinge um ihren Hals noch fester gespannt wurde. Tränen stiegen in ihre Augen und sie schmeckte Blut im Mund, hatte sich auf die Zunge gebissen. Dunkle Flecken tanzten vor ihren Augen. „Was … soll das …“, brachte sie tonlos hervor. „Was wir gesagt haben. Wir nehmen, was wir brauchen“, sagte der Mann mit dem Hut hämisch grinsend. Als Sakura nicht nur nahe dran war, das Bewusstsein zu verlieren, sondern es sich schon herbeisehnte, wurden die Ketten um ihren Hals gelockert. Sie rang nach Luft, ihr Hals schmerzte höllisch. Die Hände, die sie zu Boden gedrückt hatten, hoben sie nun in die Höhe und sie wehrte sich nicht mehr, als man auch ihre Beine aneinander kettete und die Ketten am Karren befestigte. Dann verschwanden die Männer aus ihrem Gesichtsfeld, und während sie noch darum kämpfte, nicht doch noch in Ohnmacht zu fallen, begann sich der Karren rumpelnd in Bewegung zu setzen. Mit ihr als Beute. Nein … Warum … Warum tut ihr das? Sie konnte sich doch nicht entführen lassen … Was war mit Kakashi? Er würde garantiert sterben, wenn sie nicht mit den Pillen zurückkam … „Es tut mir leid, Sensei“, flüsterte sie und schloss die Augen, in denen sich Tränen sammelten. ======================================= Oha, ist das lang geworden ... aber ich wollte den kleinen Rückblick mit Kabuto auch drin haben :) Es war trotzdem mehr eine Einleitung ... hoffe, dass es nicht langweilig war, weil ich mich mehr auf die Umgebung konzentriert habe. Über Feedback bin ich übrigens immer dankbar :) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)