Armageddon von UrrSharrador (Auch die Hoffnung stirbt irgendwann ... [Trailer online]) ================================================================================ Kapitel 19: Neuanfang --------------------- Die Höhle war öde und leer. Kein Gras, kein Wellenrauschen, kein Schnee und kein dämmeriges Dickicht, nur Felsen und Tropfstein, und verwischte oder durchkreuzte Jashin-Symbole auf der großen Säule. Düsteres Fackellicht, teils orangerot, teils blaue, und Schatten krochen wie schwarzer Nebel über den Boden. Die feindseligen Stacheln, die den Weg säumten, waren die dämonische Perversion des sich sanft im Wind wiegenden Grases aus dem Traum. Erstarrt und höllisch ragten sie in die Höhe und von der Decke herab. Sakuras Kleidung, die in dem Genjutsu längst wieder sauber gewesen war, klebte ihr blutig und schmutzig am Leib, ihre Narbe juckte. Vor ihr stand Itachi, so wie noch gerade eben, doch er stieß ein Stöhnen aus und presste sich die Hand aufs linke Auge. Für einen Moment wankte er, und Sakura griff zu um ihn zu stützen, ehe er stürzen konnte. Sasuke hielt das Schwert immer noch in der Hand. Es war seltsam, ihn nach so vielen Jahren unverändert zu sehen, obwohl es nur natürlich war. Sakura hatte die Situation nie vergessen, in der sie waren, aber sie brauchte dennoch ein wenig, um in diese Welt zurückzufinden. „Was hast du mit ihr gemacht?“, fragte Sasuke, die Augen schmal vor Misstrauen. Itachi keuchte schwer, stemmte sich an ihrer Schulter hoch, ehe er wieder aufrecht stand. Sakura musterte ihn genau. „Willst du immer noch diese Fähigkeiten für Sasuke aufgeben?“, fragte sie leise. Itachi musste erst Atem schöpfen, dann sagte er: „Ich habe es mir geschworen. Er soll alles bekommen.“ In seiner Stimme lag der gleiche Ton, mit dem er eben noch im Traum mit ihr gesprochen hatte. Sakura war erleichtert. Für einen kurzen Moment war ihr der Gedanke gekommen, dieser Itachi hier hätte nichts mit dem in der Welt seines Tsukuyomi zu tun gehabt. „Hast du versucht, sie mit deinen Lügen zu überzeugen, Itachi?“, fragte Sasuke harsch. Sakura sah ihn mitleidig an. Nach fünf Jahren an Itachis Seite kam ihr Sasukes Hass einfach nur sinnlos vor, sinnlos und fast lächerlich. Sie glaubte, seinen Bruder nun besser zu kennen als er selbst. „Er hat mir nur die Augen geöffnet“, erwiderte sie und trat neben Itachi, der sich wieder zu Sasuke umgedreht hatte. Immer noch presste er den Handballen auf sein Auge und wirkte zu Tode erschöpft, und Sakura sah ihn besorgt von der Seite an. „Anscheinend“, meinte Sasuke abfällig. „Ihr beide seid ja plötzlich dicke Freunde geworden.“ Sie ging nicht auf seine Sticheleien ein. „Sei vernünftig, und tu, was er sagt, Sasuke. Itachi meint es gut mit dir.“ „Hätte er unsere Familie getötet, wenn er es gut meinen würde?“, warf er ihr aufgebracht an den Kopf. „Hätte er dich vergewaltigt? Er muss dir den Verstand verdreht haben!“ „Menschen leben immer nach dem, was sie für richtig und wahr erachten“, murmelte Itachi leise. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Das Tsukuyomi musste fast sein gesamtes Chakra verbraucht haben. Sakura sah sich um, doch nirgendwo war etwas von dem roten Wasser zu sehen. „Sie glauben, was sie sehen. Doch egal, wie gut deine Sharingan mittlerweile sind, du weigerst dich, aus dem Fenster in die weite Welt zu blicken. Ich habe auf den Befehl von Konoha hin gehandelt. Das ist die Wahrheit. Und ich will dir meine Augen vermachen, das ist ebenfalls die Wahrheit.“ Sakura und er hatten lange darüber nachgedacht, wie sie ihn überzeugen konnten. Itachi hatte ihn lange nicht gesehen und nur eine ungefähre Vorstellung gehabt, in welche Richtung sich sein Bruder im tiefsten Innersten entwickeln würde. Auch Sakura war vieles an ihm noch ein Rätsel, während sie Itachi bereits kannte wie ein Buch, das sie oft und vollständig studiert hatte. Aus Sasukes Blick sprach immer noch Zorn, also sagte Sakura: „Es ist wahr. Hör auf ihn, bitte.“ Du dummer, kleiner, unwissender Junge. Dein Hass gilt einem Phantom. „Ich werde Anzu zur Hand gehen und auch bei der Operation helfen.“ Sie nickte der Kunoichi zu, die immer noch im Schatten der Säule darauf wartete, wie sich die Sache entwickelte. Sasukes Schwert begann bläulich zu blitzen. „Ich werde mir seine Augen holen, nachdem ich ihn getötet habe“, knurrte er. „Ich kann nicht riskieren, auf eine Lüge hereinzufallen.“ „Dann soll es so sein“, murmelte Itachi. „Ich hatte gehofft, es anders regeln zu können, aber wenn du deinen Hass sonst nicht ablegen kannst …“ Er trat vor. „Nein!“, rief Sakura, drängte sich vor ihn und stellte sich damit zwischen die Brüder. „Aus dem Weg“, knurrte Sasuke kalt. „Oder ich töte dich gleich mit.“ „Er ist nicht in der Verfassung zu kämpfen, siehst du das nicht?“ Itachi legte ihr die Hand auf die Schultern. „Lass es gut sein“, murmelte er. „Ich habe befürchtet, dass es so weit kommt.“ „Ich weiß, aber trotzdem …“, murmelte Sakura hilflos. All die Wochen des Herumsinnierens, umsonst? Sie betrachtete sein Auge, das er immer noch zusammengekniffen hatte. Er hatte fast all sein Chakra geopfert, um Zeit mit ihr zu verbringen … und damit sie die Dämonen los werden konnte, die sie verfolgten. Dafür sollte er jetzt sterben? Das war nicht gerecht! Itachi lächelte leise. „Nichts in dieser Welt ist gerecht, Sakura“, sagte er. Sie war nicht überrascht, dass er ihre Gedanken kannte. „Ich habe nichts mehr zu bereuen. Ich wünsche mir, dass du mein Gesicht vergessen kannst, Sakura.“ Sanft schob er sie aus dem Weg; diese Geste allein grub eine zornige Furche in Sasukes Gesicht. „Bist du bereit?“, fragte der jüngere der beiden Brüder. Itachi warf Sakura noch einen Blick aus den Augenwinkeln zu. „Eines möchte ich noch sicherstellen“, sagte er. „Ich weiß, ihr wart zusammen unterwegs und früher in einem Team. Sakura liebt dich noch immer. Aber ich frage dich: Liebst du sie?“ Sasuke sah ihn an, dann sie, erst starr wie die in Stein gemeißelten Gesichter der Hokage, dann nachdenklich und misstrauisch, und ein boshaftes, schmales Lächeln erschien auf seinen Lippen, das etwas in Sakura zu Eis gefrieren ließ. „Sie? Lieben?“ Er lachte heiser. „Was ist das, lieben?“ „Sasuke“, flüsterte Sakura. Auch ihre Stimme klang nun heiser, ihre Kehle kratzte, die Narbe juckte, und hinter ihren Augen begann es zu brennen. „Ich dachte …“ „Ja, du dachtest“, unterbrach er sie und hob affektiert die Augenbrauen. „Das tust du gern, ich weiß. Du dachtest, ich könnte Itachi nicht das Wasser reichen. Du dachtest, du müsstest mich davor schützen, ihm zu begegnen.“ Natürlich. Für sie waren fünf Jahre vergangen, doch für ihn nicht einmal eine Minute. Die Wunde, die ihr Verrat an ihm hinterlassen hatte, war immer noch frisch. „Sasuke“, sagte sie. „Es tut mir leid. Dass ich dir vorenthalten habe, wo Itachi ist, und deine Auspeitschung und … alles andere auch. Aber gab es nicht trotzdem einen Moment, einen Augenblick, in dem du mich wirklich geliebt hast?“ Seine Mundwinkel kräuselten sich. „Du stellst dich auf die Seite meines Bruders, und das schon von Anfang an. Und ausgerechnet du sprichst von Liebe?“ Er schnaubte. „Gab es so einen Moment? Ich weiß nicht“, spottete er. „Du hast die Welt durch eine rosa Brille gesehen und warst ganz begierig darauf, Clanmutter zu werden. Ganz nebenbei hast du selbstsüchtig versucht, mir deinen Willen aufzuzwingen. Ich habe dein Theater mitgemacht, um dich mir warmzuhalten, aber langsam habe ich genug davon.“ Sie fühlte sich, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. In ihrem Hals hatte sich ein dicker, hässlicher Knoten gebildet, der sie am Schlucken hinderte, und in ihrem Bauch brannte etwas Heißes, Unangenehmes. Selbst nach fünf Jahren schmerzten diese Worte so sehr. „Theater?“, brachte sie tonlos hervor. „Du warst einfach zufriedenzustellen. Reden, Umarmungen und Küssen, und bei mir zu bleiben, das wolltest du. Einen Partner, der nichts tut, was du nicht willst, dem du aber unter dem Einfluss eines Genjutsus trotzdem Kinder schenken kannst.“ „Dann war das … alles nur gespielt?“ Sakura presste sich die Hand vor den Mund, biss sich kräftig auf die Unterlippe. Tränen standen ihr in den Augen. „Auch … Auch die Nacht im Grasbett?“ Sie fühlte keine Verlegenheit vor Itachi. Sie hatte ihm längst alles erzählt. „Ich spürte, dass es notwendig war. Ich habe dir gesagt, ich will unsere Bande festknüpfen, aber in Wirklichkeit warst du es, die sich sicher sein wollte, dass sie mich in ihrem Netz hatte. Ich leugne allerdings nicht, dass es mir gefallen hat.“ Sakuras Unterkiefer begann zu zittern, ihre Zähne klapperten. Fünf Jahre, nein, noch länger … und sie war sich die ganze Zeit so sicher gewesen … Sie musste sich nicht umsehen, um sich Itachis ausdrucksloses Gesicht vorstellen zu können. Er sagte es, um sie zu verletzen, das musste es sein. Er wollte seine Rache, diesmal an ihr, weil sie ihn belogen hatte. „Du … Mistkerl“, stieß sie hervor. Sasuke lachte. Langsam kam er näher. „Soviel zur Liebe. Aber es war ohnehin nur immer ein Traum von dir, oder? Also macht es nichts, wenn ich dich nur habe träumen lassen. Besser, als dich deinen Albträumen von ihm zu überlassen, nicht wahr?“ Direkt vor ihr blieb er stehen. „Eins muss ich dir aber lassen“, sagte er plötzlich ernst. „Du hast etwas in mir bewegt. Lange hat mir niemand solche Zuwendung entgegengebracht. Du warst selbstsüchtig und oberflächlich und verängstigt und hinterhältig, aber du wolltest dich für mich aufopfern.“ Er atmete tief durch, seine Finger rieben am Griff seines Schwerts. „Wenn es eine Person gibt, die mir wirklich nahesteht“, flüsterte er ihr ins Ohr, während sie nur starr dastehen und abgehackt atmend ins Leere sehen konnte, „bist du es.“ Und sie hörte mehr das Singen der Klinge und spürte den Luftzug, als dass sie die Bewegung sah. Ein Knirschen ertönte, warmes Blut klatschte ihr auf die Wange, ein seichter Schmerz flammte in ihrer Halsbeuge auf, ein kalter, stählerner Kuss. Sakura wandte den Blick, starrte in Sasukes rot funkelnde Augen. Die spürte den Arm, der sie umschlungen hielt, warm und schwach, und der Mantel direkt vor ihrer Nase roch nach Räucherwerk. Itachi hatte ihr von hinten den Arm um den Hals geschlungen, als Sasuke die Klingenspitze in ihre Halsbeuge hatte rammen wollen. Die Klinge hatte den Knochen an seinem Oberarm durchbohrt und steckte fest, nur ein, zwei Zentimeter hatten Sakuras Haut erreicht. Itachi riss den Arm fort und das Schwert wurde aus Sasukes Händen gerissen. „Itachi!“, rief sie erschrocken, als sie sich aus ihrer Starre gelöst hatte. Itachi packte den Griff mit der rechten Hand, doch geschwächt, wie er war, konnte er das Schwert nicht herausziehen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sagte er: „Sasuke. Ich habe dir versichert, dass es auch so gehen wird.“ „Du hast gesagt, es bleibt ein Restrisiko.“ Sasuke formte Fingerzeichen, umklammerte sein Handgelenk und das Chidori erschien blitzend und zuckend und kreischend in seiner Hand. Sakura fühlte sich wieder wie erstarrte. Sasuke wollte sie töten … Erst jetzt wurde ihr klar, was er gerade versucht hatte – und jetzt wieder versuchte. Er stürmte auf sie zu, und erst als Itachi ihren Namen rief, riss sie sich soweit zusamen, dass sie ausweichen konnte. Die elektrische Wucht seiner Attacke sauste unter ihr hinweg, als sie sich kraftvoll vom Boden abstieß. Während sie in der Luft einen Salto schlug, riss sie sich die Kette vom Leib und schlug kopfüber mit ihrer improvisierten Pfannenwaffe zu. Er vermutete wohl, es wäre etwas Gefährlicheres, die Pfanne wäre mit einem Jutsu belegt oder würde wie ein Sprengkunai explodieren, denn er fuhr herum und fing sie mit seinem Chidori ab. Das billige Blech wurde zerfetzt, doch das lose Kettenende peitschte Sasuke ins Gesicht und ließ ihn taumeln. Als Sakura schwer atmend landete, war sie froh, dass die letzten fünf Jahre nur in ihren Gedanken stattgefunden hatten, denn sie hatten nicht trainiert. Doch hier endete auch schon ihr Widerstand. Sie konnte doch unmöglich gegen Sasuke kämpfen, oder? „Was ist in dich gefahren?“, rief sie. „Ich dachte … Auch wenn du mich nicht liebst, du hast gesagt, ich stünde dir nahe!“ Sasuke sah sie an. Die Kette hatte eine tiefe Schürfwunde auf seiner Stirn hinterlassen. Das Blut, das hervor sickerte, umrahmte sein linkes Auge, lief über seine Wange, und es sah aus, als würde er dunkle Tränen weinen. „Du stehst mir sogar sehr nahe, Sakura. Genau das ist der Punkt. Wenn die Operation fehlschlägt, weil ich nicht auch das Mangekyou Sharingan besitze, war alles umsonst.“ Sakura biss sich auf die Lippen. War es eine Fehleinschätzung, weil das Blut in der Düsternis tatsächlich an Tränen erinnerte, oder klangen seine Worte wirklich bitter, traurig? Und vielleicht hat er mich doch geliebt, dachte sie. Aber selbst wenn, es war nicht genug gewesen, um seinen Rachewahn oder sein Streben nach Macht zu übertrumpfen. Sie fühlte plötzlich Wut in sich aufsteigen. Fünf Jahre mit Itachi hatten sie die rosa Brille ablegen lassen, von der Sasuke gesprochen hatte, und nun war sie fähig, grenzenlose Wut auf diesen Fremden vor ihr zu empfinden. Sie war nicht auf ihn angewiesen. Sie war nicht auf seine Liebe angewiesen. Sie brauchte ihn nicht. Er brauchte sie, tot. „Das ist also deine Antwort, Sasuke“, murmelte sie leise. Sie ballte die Faust, fühlte, wie das Chakra darin pulsierte. Immer noch hielt sie Kazes Kunai in der Hand, und das Leder knirschte unter ihrem festen Griff. Er sah sie nur überheblich an, was den pochenden Zorn in ihrem Kopf noch weiter anstachelte. „Hier hast du meine!“ Wie ein roter Blitz schnellte sie auf ihn zu, zückte den zweiten Windkunai, und stellte zufrieden fest, wie Sasukes Augenbrauen kurz zuckten. Er hatte sein Schwert nicht, um die Messer zu parieren, doch selbst wenn er es gehabt hätte, die schiere Wucht von Sakuras Schlägen hätte dennoch seine Knochen zertrümmert. Dem ersten furiosen Hieb wich er aus, die Spitze des Kunais schnitt kurz vor seinen Augen durch die Luft, als er sich zur Seite drehte. Sakura benutzte ihren Schwung, um mit dem zweiten Messer zuzustoßen, aber seine Sharingan ließen ihn selbst den grauen Schatten sehen, in den sich der Kunai verwandelte. Sie spürte, wie seine Faust ihr Handgelenk traf, seitlich, und den Schlag ins Leere gehen ließ. Kurz sah sie seine Augen, rot und schwarz, und er schien immerhin überrascht, dass sie so unbarmherzig auf ihn eindrang. Noch während sie beide einen Ausfallschritt machten, um das Gleichgewicht zu erhalten, wirbelte Sakura herum. Diesmal sah er die Kette kommen, die wie eine verrückte Kobra nach ihm biss, schützte sein Gesicht mit den Unterarmen – und Sakura beendete ihre Drehung und schmetterte ihm den Fuß ins Gesicht. Während sie unsauber zu Boden ging, wurde Sasuke ebenfalls von den Füßen gerissen, stürzte rücklings und kam in einer Rolle wieder auf die Beine. Doch er griff nicht an. Verdutzt betastete er seinen beschädigten Wangenknochen, als könnte er es nicht fassen, von Sakura erwischt worden zu sein. Vor Wut zitternd richtete sie sich auf. Hätte sie die Zeit gehabt, mehr Kraft und Chakra in den Tritt zu legen, hätte sie ihn vielleicht sogar damit getötet. Aber es war zu spontan gewesen. Und als sein Mienenspiel wieder unbeeindruckt wurde, wusste sie, dass das die wirkliche Grenze war. Sie konnte gegen ihn kämpfen, aber besiegen konnte sie ihn nicht. „Ist das alles?“, fragte er und noch ehe seine Worte verklungen waren, schoss er auf sie zu wie ein von der Sehne gelassener Pfeil. Sie versuchte sich mit ihren Kunai zu schützen, doch er las ihre Bewegungen, schlug abermals ihre Hände zur Seite und sein Fuß traf ihre Brust. In einem feinen Sprühnebel aus Blut und eingetrocknetem Schlamm wurde sie davongeschleudert, schlug hart auf dem Boden auf und schürfte über Felsen und Steinzacken. Ein tiefer Schrei löste sich aus ihrer Kehle. Der Tritt hatte die Wunde in ihrem Brustkorb wieder aufreißen lassen. Wie eine feurige Spinne streckte der Schmerz seine Beine in ihrer Brust aus. Sakura krümmte sich und hob schwer atmend die Hand, ließ ihr Chakra aufflammen und begann sich selbst zu heilen. „Ihr seid doch alle verrückt!“, hörte sie Anzu von irgendwo in der Höhle rufen. „Schlagt euch die Schädel ein, solange ihr wollt. Ich bin raus aus der Sache.“ Ihre Schritte verhallten in dem Stollen. Wie ein Schatten schleppte sich Itachi schwerfällig vor Sakura, die sich langsam inmitten der Felsnadeln aufrappelte. Ihr Rücken musste wie eine Mondlandschaft aussehen. „Hör auf, Sasuke“, sagte Itachi ruhig, obwohl sein Atem schnell ging. Immer noch steckte das Schwert in seinem Arm. „Töte mich. Das wird genügen.“ „Deine Lügen werden nicht besser, Itachi.“ Sasuke formte Siegel und spie einen Feuerball auf die beiden. Sakura keuchte erschrocken auf. Itachi stand mitten in der Schusslinie, sie musste aufspringen, ihn mit sich reißen – die geschmolzene Hölle hüllte sie ein, Feuer und Hitze überall, Sakura presste die Hand vors Gesicht, versuchte Itachi zu packen – als er sich gegen sie warf, sie zu Boden drückte und mit seinem eigenen Körper schützte. Sakura starrte in sein Gesicht, auf die kleinen Flammen, die an seinen Haarspitzen züngelten. Es war fast wie damals, nur blieb sie dieses Mal ruhig. Dieses Mal war er kein Schwert, das in ihre Seele drang, sondern ihr Schild. Warum?, formten ihre Lippen, ehe die Flammenhölle abebbte. Ihre Haut prickelte vor Hitze, die untere Hälfte ihrer Beine war von dem Feuer erwischt worden, aber ansonsten war sie unversehrt. Itachi lag schwer auf ihr, seine Händ links und rechts neben ihren Schultern, zwischen seinen Fingern die Felsnadeln. Er hatte er sich in die Höhe gestemmt, doch sein Oberkörper wankte. Sein Mantel war am Rücken vollkommen verbrannt, die Haut darunter rauchte und der Geruch nach angesengtem Haar drang Sakura in die Nase. Sie hörte Sasukes Schritte näher kommen, energisch und zielstrebig. „Du bekommst sie nicht, Itachi“, sagte er scharf. „Du hast sie dir einmal mit Gewalt genommen. Das war das einzige Mal, dass du sie berühren durfest. Du verdienst sie noch weniger als ich.“ „Es tut mir leid, Sakura“, sagte Itachi. „Sasuke hat recht.“ Sakura krallte die Hände in den Saum seiner Ärmel. Tränen standen ihr in den Augen. „Versuch zu fliehen“, hauchte sie. „Ich kann ihn ein wenig aufhalten.“ Er schüttelte traurig den Kopf. Seine Augen waren schwarz umrandet und unendlich müde. Zärtlich strich er ihr durchs Haar. „Es macht keinen Unterschied. Ich bin krank, Sakura. Ich habe nicht mehr viel Zeit.“ Die Tränen liefen ihr über die Wangen, waren angenehm kühl auf ihrer heißen Haut. „Warum hast du das nicht gesagt?“, hauchte sie. Nie hatte er ein Wort darüber verloren, in den ganzen fünf Jahren nicht. Wenn es nur für so kurze Zeit gewesen wäre, hätte sie ihm den Gefallen getan und wäre solange bei ihm geblieben, genau wie er es erbeten hatte. Außerdem … „Ich könnte dich heilen, ich …“ Ein schwaches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Ich wollte dich nicht noch mehr beeinflussen, Sakura. Aus Mitleid solltest du nicht bei mir bleiben.“ Er beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss auf die Lippen. Erst versteifte sie sich, doch dann schloss sie die Augen. Das hier ist jemand anders, sagte sie sich. Es war ein Hohepriester von Jashin, der mir das damals angetan hat. Das hier ist ein besorgter, einsamer Mann, dessen Bruder ihm den Tod geschworen hat. Und weiter als bis hierhin gehen wir nie. Als sich seine Lippen von den ihren lösten, flüsterte er: „Es war mich wohl nicht vergönnt, dieses Mal selbstsüchtig zu sein.“ Blitze zuckten hinter ihnen. Sakura wusste nicht, ob Sasuke absichtlich gewartet hatte. Vielleicht war er auch einfach fassungslos gewesen, und der Kuss hatte seine Wut weiter angestachelt. Itachi rappelte sich auf und zog sie in die Höhe. Er bot seine letzten Kräfte auf, das merkte sie. „Dieser Schlag wird euch beide treffen“, verkündete Sasuke. Die Zähne hatte er knirschend aufeinandergebissen. In dem Moment hatte Sakura nur noch Mitleid mit ihm. Er war ein Gefangener seiner selbst. Sakura griff nach Itachis Hand. „Es ist meine Schuld, dass es so weit gekommen ist. Ich hätte nicht herkommen sollen“, sagte sie, während die Blitze in Sasukes Hand noch an Intensität zunahmen. Ihre Stimme wurde gefühllos, die Schmerzen in ihrem Körper verschwanden plötzlich, und sie war diese Farce einfach nur mehr leid. „Ich habe genug Schaden angerichtet. Lass uns gemeinsam sterben.“ Itachi drückte schwach ihre Hand. „Als Freunde?“ Sie nickte. „Als Freunde.“ „Chidori Nagashi!“ Die Blitze in Sasukes Hand verästelten sich und sausten wie sich windende Schlangen auf die beiden zu. „Vergib mir, Sakura“, hörte sie Itachis Stimme. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sie gepackt, von den Füßen gerissen und mit sich gezerrt. Woher nahm er plötzlich wieder diese Kraft? Hatte er ihr seine Schwäche nur vorgespielt? Die Blitze wurden in den Boden gerammt, einer traf Itachis Bein und ließ ihn straucheln. Sakura hätte sich wehren können, aber sie ließ es zu, dass er mit ihr zum Stollenausgang rannte. „Was soll das?“, fragte sie matt. Ein bitteres Lächeln schlich sich auf seine Züge. „Ich werde dich wohl immer wieder auf eine Art retten, die du mir nicht verzeihen kannst.“ Er gab ihr einen kraftvollen Stoß zwischen die Schulterblätter, der sie in den Stollen taumeln ließ, der von der Höhle fortführte, wo ihre bereits zerschundenen Ledersandalen an einem Steinbrocken hängen blieben und sie stürzen ließen. „Lauf!“ Itachi hatte sich wieder umgedreht und war von einer Art Feuer eingehüllt, das von ihm selbst auszugehen schien. „Du unterschätzt die Macht des Mangekyou Sharingan, kleiner Bruder“, hörte sie ihn sagen. Sasuke kam hinter der Tropfsteinsäule zum Vorschein, immer noch stand ihm die Kampfeslust ins Gesicht geschrieben. Das Feuer um Itachi loderte heller auf, etwas erschien darin, Knochen oder etwas in der Art, durchscheinend, etwas Großes, das bis zur Decke der Höhle reichte. Felsen knirschten, Steine brachen, das Etwas, das erschien, sprengte die Höhlenwände, Staub und Steinmehl rieselten herab, Felsenstachel und Stalaktiten hagelten herab wie ein tödlicher Nadelregen, über Sakuras Kopf bildeten sich Risse im Gestein, Felsen wurden gespalten, Staub und winzige Chakrakristalle bildeten eine im Hals kratzende Wolke, die Höhle brach ein … Es hatte zu regnen begonnen. Die Fackeln in der Siedlung flackerten und wehrten sich tapfer, und so spendeten sie noch ein wenig Licht, das einzige in dieser Nacht. Bis auf die fallenden Tropfen war alles totenstill. Staub qualmte immer noch aus dem Berg, aus jedem der Höhleneingänge, eher der Regen ihn niederkämpfte. Der Berg selbst war in sich zusammengesunken wie ein Kuchen, der zu lange im Ofen war, der obere Teil eingebrochen. Eine Schutthalde war es, eine Schutthalde aus Felsen und Stein, zermalmten Chakrakristallen und Träumen und Erinnerungen. Sakura hob den Kopf, um sich den Regen übers Gesicht laufen zu lassen. Die Tropfen ersetzten ihre Tränen, die versiegt waren. Sie hatte sie zurückgelassen, irgendwo in den Stollen verloren, als sie unter einbrechenden Balken und herabstürzenden Felsbrocken nach draußen gerannt war. Ihre Tränen waren vielleicht ebenso unter Tonnen verfluchten Gesteins begraben. Die Stätte des Grauens, die dieses Bergwerk einst dargestellt hatte, war nicht mehr. Dennoch gähnte in Sakura eine riesige Leere, schwärzer noch als diese verregnete Nacht. Es war normaler Regen, fiel ihr auf, er schmeckte nach nichts, als er ihr in den halb geöffneten Mund floss. Sie wollte sich am liebsten in den Schlamm legen und einfach schlafen, doch selbst das erschien ihr zu mühsam. So blieb sie einfach stehen, im Regen inmitten von Ruinen. Sakura atmete tief ein und aus, ein und aus, ein und aus. Die Luft war frisch, der Staub wurde vom Regen niedergedrückt, aber immer noch kratzte er ihr im Hals. Sie wünschte sich in Itachis Traumwelt zurück. Der zerbrochene Berg erinnerte sie an die Ruinen Konohas. Wie niedergeschlagen hatte sie sich gefühlt, als sie sie vor tausend Jahren erblickt hatte. Damals war ihre ganze Welt in Trümmern gelegen. Nun waren auch die Trümmer zertrümmert, ihre Welt ein weiteres, ein drittes Mal zerstört worden. Es war nicht gerecht. Nichts in dieser Welt ist gerecht. Ein Schluchzer entfuhr ihr und sie kauerte sich auf dem Boden zusammen, machte sich so klein wie möglich. Sollte die Welt sie doch auch verschlingen. Alles war zerstört, jeder war tot, warum war das Schicksal so grausam und ließ sie überleben? Wieder legte sie den Kopf in den Nacken und blinzelte gegen den Regen an. Sie brauchte die kühlen Tropfen, sie würden ihr einmal mehr helfen, ihre Gedanken fortzuschwemmen. Die Fackeln erloschen, und sie saß immer noch so da. Gnädige Finsternis umhüllte sie, verbarg den zerbrochenen Berg vor ihren Blicken, und sie saß immer noch so da. Ihr wurde kalt und sie fröstelte, dann zitterte sie, und trotzdem saß sie immer noch so da, schaute zu einem Himmel hoch, der genauso unerreichbar war wie die Zukunft. Irgendwann dämmerte es im Osten, wurde die Welt wieder etwas heller, doch es war nur ein helleres Grau, ein helleres, farbloses Nichts. Und die Regentropfen verschwanden, als sich ein löchriger, blassgelber Regenschirm über sie schob. „Du wirst dich erkälten, wenn du zu lange im Regen sitzt.“ Sakura wandte den Kopf und sah ihn mit leerem Blick an. Der Regen hatte ihn beschworen. Er war immer da gewesen, wenn es geregnet hatte. „Du bist wieder einmal zu spät gekommen“, sagte sie tonlos. Kakashi sah sie lange an, dann den zerstörten Berg. „Es scheint so“, murmelte er und reichte ihr die Hand. „Na komm.“ Doch er musste sie hochziehen, aus eigener Kraft aufstehen konnte und wollte sie nicht. Zu zweit standen sie unter dem Schirm und betrachteten die Zerstörung. Sie fragte ihn nicht, wo er ihn herhatte, vermutlich hier aus der Siedlung oder aus einem verlassenen Lager. Sie musste Kakashi auch nichts erklären, er wusste bereits, was geschehen war. „Denkst du, Sasuke hat überlebt?“, fragte er irgendwann. Von ihrem Haar lief noch ein Tropfen über ihr Gesicht, fiel von ihrer Nasenspitze. „Er ist schon seit langer Zeit tot“, sagte sie tonlos. Sie hatte sich getäuscht. Die Welt war untergegangen, aber nicht einmal das hatte Sasuke zur Vernunft gebracht. Selbst, als er sie hätte haben können, als er König der neuen Welt hätte werden können, selbst dann noch hatte er Itachi nichts gegönnt und sich nicht von seiner Rache abbringen lassen. Und Itachi … er war bereit gewesen, alles für seinen Bruder zu opfern. Nur sie nicht. Sie hatte er davor bewahrt, geopfert zu werden, erneut, und wieder konnte sie ihm dafür nicht dankbar sein. Nun hatte sich alles, was Itachi angestrebt hatte, in Rauch aufgelöst. In Asche und Staub und tonnenschwere Gesteinsbrocken. Sasuke, der sie nicht geliebt hatte. Itachi, den sie nicht lieben konnte. Was bedeutete Liebe schon in einer Welt wie dieser? „Neuanfang wurde zerstört“, sagte Kakashi nach einer Weile. „Die Ninjas werden sich wieder hierher zurückkommen.“ Sakura nickte gedankenabwesend. Sie würden sich wohl untereinander zerstreiten, zumindest aber würde sich ihre Gruppe auflösen. Niemand wusste bislang, ob ihre Chakrapunkte wieder funktionierten oder ob selbst das Chakra, das der rote Regen gebracht hatte, wieder verflog. Dann waren die Kristalle unerreichbar. Vielleicht waren sie bereits vernichtet, zermalmt von den einstürzenden Felsmassen. Vielleicht war es besser, wenn es keine Ninjas mehr gab. Das würde vielleicht verhindern, dass die Welt ein zweites Mal unterging. Und vielleicht würde sowieso bald das gesamte Ökosystem zusammenbrechen und sie alle würden sterben. Ein weiteres Mal. „Gehen wir?“, fragte Kakashi. „Wohin?“ „Irgendwohin. Wenn wir lange genug durch das Land reisen, finden wir vielleicht einen Ort, an dem wir bleiben können.“ Sakura nickte. „Danke, dass du noch bei mir bist“, flüsterte sie, aber sie wusste nicht, ob ihre Worte im Regen untergingen oder ob er sie hörte. „Ich hätte dich damals nie auf der Straße zurücklassen sollen.“ Er war wie ein Haus, eine Heimat. Er war immer da, irgendwo wartete er auf sie, und er würde sie nicht abweisen, wenn sie zu ihm kam. Sie beide waren der klägliche Rest von Team 7. Ein neuer Anfang an seiner Seite. Alles vergessen. Sakura war um fünf Jahre weiser geworden und fühlte sich fünfhundert Jahre älter. Jetzt wusste sie, dass die Zeit aus Wunden zumindest Narben machte, die zwar als Mahnmal blieben und juckten wie die an ihrer Brust, die aber irgendwann aufhörten, ihr Denken zu bestimmen. Kakashi hielt ihr die Hand hin, und sie ergriff sie. Der Regen ließ etwas nach, nicht viel, aber es wurde merklich heller, als sie Hand in Hand unter dem Regenschirm gedrängt das Tal verließen. Sakura sah sich nicht um, sah nicht mehr zurück, als sie in die neue Welt hinausgingen. Sie erreichten einen Wald, gingen an Bäumen vorbei, deren Mantel aus Blut endlich fortgewaschen worden war und die satt und grün und kräftig die Zukunft erwarteten. ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)